Sappho aus Züllichau

Anna Louise Karsch, geb. Dürbach (1722—1791)

».... Und im Gesang ist mir der Gram nicht hinderlich«
Anna Louise Karsch an den Feldprediger Kletke, 1758

Frauen der Goethezeit

Die Kutsche, die am 25. Januar 1761 aus Frankfurt an der Oder kommend in Berlin einrollte, trug keine Unbekannte in die preußische Hauptstadt. Der Karschin ging ein beträchtlicher Ruf voraus, und die Aufnahme, die sie fand, war begeistert. Die kümmerlich gekleidete und früh gealterte Frau, die es aus dem Niederschlesischen in die Königsstadt verschlagen hatte, wurde mit Einladungen überhäuft, der Wiener Gesandte nahm sie bei sich auf, der Hof wurde bald auf sie aufmerksam. »Es hat sich hier im Bereiche des Geschmacks eine wunderbare Erscheinung gezeigt: eine Dichterin, die blos die Natur gebildet hat und die, nur von den Musen gelehrt, große Dinge verspricht .... Ich zweifle sehr, ob jemals ein Mensch die Sprache und den Reim so sehr in seiner Gewalt gehabt hat, als diese Frau«, berichtet der Philosoph und Ästhetiker Johann Georg Sulzer an Bodmer in Zürich. Gleim lädt sie nach Halberstadt zu sich ein, rühmt sie als »deutsche Sappho« und veranstaltet zusammen mit Sulzer eine Auswahl ihrer Gedichte.
Die Karschin nahm diese unverhofft glückliche Wendung ihres Lebens mit der Mischung von Dankbarkeit, Devotion und solidem Selbstbewußtsein hin, die ihr eigen war. Aber woher erklärt sich dieses erstaunliche Debüt der Pächterstochter und Schneidersfrau in den ersten sozialen und literarischen Kreisen Preußens? Ihre Preislieder auf die Taten Friedrichs II. hatten sie bekannt gemacht, und die patriotische Begeisterung über die Siege des Königs kamen auch seiner Dichterin zustatten. Politische Ereignisse, Prinzengeburtstage, Ehebündnisse, Geburten, Todestage — von einem wahrhaften furor poeticus besessen, entging der Karschin kein Anlaß, der sich verifizieren ließ. Denn auch Papa Gleim, der ihr ausrichten ließ, »erst müßte er sich waschen und dann wollte er mit ihr sprechen«, die Königliche Hof-Bauadministration, die ihr eiserne Sparöfen geschenkt hatte, ein »Recept zur Stärkungsschokolade«, alles, alles wird in Verse gebracht, in grotesk übersteigerten Bildern beschrieben und mit mythologischen Floskeln geschmückt, derer sie sich als echte Autodidaktin so gern wie falsch bediente. Kaum läßt sich der Verdacht abweisen, daß der Erfolg derKarschin zu einem Teil auch dem Haut goüt der oberen Gesellschaft am derben und schlagfertigen Auftreten der Frau aus dem Volke entsprang, dem Amüsement über den grimassierenden Blick, die alles andere als gefällige Physiognomie und die ewigen Lamentos der leichtherzigen und gutmütigen Dichterin, die Geld nur einnahm, um es auszugeben. Man führte sie als Schnelldichterin ein, ließ sie in Stegreifversen sprechen und gab ihr absurd zusammengestellte Endreime auf, aus denen sie halbwegs sinnvolle Gedichte herzustellen hatte.
Mit der Karschin begegnete der Berliner Gesellschaft ein Leben aus den untersten Schichten des Bürgertums. In der Nähe von Züllichau, nicht weit von der polnischen Grenze geboren, verbrachte sie ihre Jugend teils bei einem Onkel, der ihr Schreiben, Rechnen und zum Entsetzen ihrer Mutter sogar etwas Latein beibrachte, teils in drückenden Dienstverhältnissen oder auf der Weide die drei Rinder der Familie hütend. Ihre erste Ehe mit einem Tuchweber namens Hirsekorn wurde getrennt, die erste Scheidung in Schlesien überhaupt, eine namenlose Schande in den Begriffen ihrer Mitbürger. Gegen den zweiten Ehemann Karsch, einen Trunkenbold, unter dem sie viel litt, fand sie selber ein rabiates Mittel: sie ließ ihn unter die Soldaten stecken. Auch nach der Übersiedlung nach Berlin, die sie ihren politischen Gelegenheitsgedichten zu danken hatte, war ihr äußeres Los keineswegs frei von Not und Sorge. Die Grafen von Stolberg-Wernigerode und der Herzog von Braunschweig setzten ihr kleine Jahresrenten aus; im übrigen lebte sie, als erste in Deutschland, von ihrer schriftstellerischen Arbeit.
In fast allen Journalen erschienen ihre Gedichte, großenteils wohl auch um der Aktualität der Ereignisse willen, die sie sich als Thema wählte. Sogar Wielands hochangesehene Zeitschrift Teutscher Merkur ist darunter, wenn auch das Urteil der Weimarer — wie übrigens schon Gottscheds — gegenüber diesem dichtenden Phänomen zurückhaltender und — gerechter war. So lobt Wieland, der in seinem Merkur »dieser außerordentlichen Tochter der Natur« seine Reverenz erweist, ihre Empfindungen, nicht die Kunst, sie in Formen zu bringen. Kräftige Gefühle, zu denen sie sich ungeniert bekannte, haben den besten Gedichten der Karschin eine frische Naivität gegeben; ihre bilderreiche Sprache enthält kühne Neuschöpfungen — »Ein Gott umuferte das Meer« und »das Bittgeschrey meines Herzens« hatte vor ihr noch keiner gesagt. Dazu besaß sie derben Humor und eine Beobachtungsgabe, die instinktsicher die Schwächen der Stände erkannte, von denen sie abhängig war. Goethe, dessen Besuch in Berlin 1778 sie wie jede Begebenheit ihres Lebens prompt in treuherzige Verse umsetzte, schrieb ihr mit Worten, die, so burschikos sie klingen, zugleich andeuten, was die Karschin auch für die Jungen der Sturm-und-Drang-Generation akzeptabel machte: »Mir ist alles lieb u. werth was treu und starck aus dem Herzen kommt, mag's übrigens aussehn wie ein Igel oder Amor.

»Mädchen das faßt alle das Liebenswürdige in sich, was man durch Weiblichkeiten ausdrücken könnte,
die Sie alle hat, ob sie gleich nicht schön ist.«
Friedrich Gottlieb Klopstock an Johann Jakob Bodmer, 12. Dezember 1752

Anna Louise Karsch an Johann Wilhelm Ludwig Gleim

Frauen der Goethezeit

24. Juli 1761 abends.

.....
Seufzer:
Streu Schlummer-Körner auf Ihn hin,
Du Mutter der ruhe du Nacht,
Ihn träum ich wenn ich schlafend bin,
Ihn denkend hab ich gewacht.

Anna Louise Karsch an Johann Wilhelm Ludwig Gleim

Zu Berlin den 16t. Juny 1761
Verschwiegner Freund
Sie können diese Eigenschaft behaubten wie Sie sich vorsezen mich zu hinttergehen, ich kome diesen Morgen mit Einer Handvoll rosen die Ich Ihnen als Eine Näscherey auf Ihre reise geben wollte, aber da war kein Gleim, Burchman, auch kein Ramler zu finden. Ich glaubte Ihre Ernsthafte Entfernung von Berlin, und So erwartet Sie mir auch sein muste so viel empfand ich doch angröße von Verdruß und Traurigkeit. Ich ging um diese beyden zu zerstreuen zu Einem meiner Freunde den ich länger als vier Monds Virtel nicht gesehen hatte, ich laß Idyllen, ich hörte Einige Stücke auf den Ciavier, ich hörte meinen Anacreon spielen und ich ward nicht mindrer miß Vergnügt, Von da begab ich mich zu Sullzern. Er ist von dem ansaz Seiner Krankheit befreyet, und daß war noch daß Einzige annehmliche auf den Tag, sonsten haben mich die Musen völlig verlassen, Ich bin kalk mürrisch unzufrieden und ich weiß nicht was Ich alles bin, aber Sie mein Liebster Geheimnißvoller Sie sind von dem Gesundbrunnen zurückgekomen, und ich wünschte daß Sie so heiter wären als ich Trübe bin, wann erzählen Sie mir
denn die Begebenheiten Ihrer Lustreise und wann seh ich  in Ihrer Gesellschaft Gegenstände die mich aufmuntern: sehen Sie nur wellche finstre zankende Verße ich Ihnen da gebe rechnen Sie dieselbe Ihren kleinen Spöttereyen zu die Sie mir Vielleicht ohne Vorsaz sagten, da ich Ihnen hergegen mit dem ganzen Vorsaz meiner Seele versichre daß ich bleibe

Ihre zärtliche Freundin   
Sapho

  • »Ein Weib von dem festen Charakter habe ich noch nicht gesehen, und dann blickt in ihren dunkelblauen feurigen Augen so viele Liebe wieder, daß wir sie recht lieb gewonnen haben.«  
    Caroline Herder an J. G. Müller,
14. Oktober 1785
    Mit Gleim verband die Karschin eine wechselvolle, von ihrer Seite mit Leidenschaft geführte Freundschaft. Der Brief an den Halberstädter Dichter, der sich zu mystifizieren liebte, stammt ans der Zeit von Gleims Berliner Aufenthalt im Sommer 1761. — Ramler: gelehrter Poet und Literaturkritiker, Lehrer an der Berliner Kadettenanstalt. — Sullzern: Sulzer, Philosoph und Ästhetiker.

Anna Louise Karsch
Auf eine Glocke die in Magdeburg umgegossen ward

Ich unbegeistertes Metall
Rief, ganze sechs und neunzig Jahre,
Mit in der Luft vertheiltem Schall,
Zum Gottesdienst, und zu der Bahre.

Gebrauch verminderte den Klang.
Ich hohles Erz ward umgegossen,
Zur Zeit, da schon fünf Jahre lang
Der Krieg das ganze Land umschlossen.

Drey Monarchien sandten aus
Mit jedem Frühling große Heere.
Den König, und sein hohes Haus
Zu stürzen, wenn kein Gott nicht wäre.

Es ist ein Gott! Er deckt das Haupt
Des Königs, wenn ihn ganz umringen
Die Feinde, welchen nicht erlaubt
Ward, über diesen Wall zu springen.

Könnt ich mit Engels Zungen doch
Dir, Magdeburg! die Worte sagen:
Gott lebt! Er thut die Wunder noch,
Die er gethan in Davids Tagen!

Ihr, die ihr in der goldnen Zeit
Zu mir herauf steigt, dies zu lesen,
Erkennt den Herrn der Herrlichkeit,
Der Friedrichs großer Schutz gewesen.

Und ihr, die ihr mich rufen hört
Zum Gott des Himmels und der Erde,
Bringt ihm das Herz, daß es gelehrt
Und heilig umgeschmolzen werde.

  • Nach Magdeburg hatte sich der Hof der Königin Elisabeth Christine, der Gattin Friedrichs II, 1760 zurückgezogen, als die Russen Berlin besetzt hatten; die Königin ließ die Karschin, die sich längere Zeit in Magdeburg aufhielt, wiederholt zu sich rufen.

Anna Louise Karsch an Johann Wilhelm Ludwig Gleim

Berlin den 15 t Aug. 1763
Siebzehn Tage, bester Freund, verweilt' ich im schönen Potsdamm, und fuhr, in Gesellschaft meiner freundlichen Wirthin nach Berlin, zum Besuch, und fand die Briefe meines lieben Gleim, und freue mich nun, daß ich ihm viel angenehmes melden kann!
Friederich der Große, der beste Friederich hat das letzte Gewölke meines Mißvergnügens zerstreut! Sie müßen nun, ihn mehr noch seegnen, als jemals, weil er ihre Freundin vor jeder Sorge des Lebens in Schutz nimt!
Seidlitz, der General, ergriff den schönsten Augenblick, meine Lieder ihm zu geben; es geschah am vorigen Montag beym Abendeßen, als der Obrist Quintus dem Könige ein übersetztes Stükk von mir übergab, eine Phantasie, die von meiner Muse daher [geschenkt] ward, während, daß der General Seydlitz sich ankleidete, und ich, an der Seite seines Schreibers schrieb! Es betraf, was ich schrieb, den berühmten Franzosen d'Alembert, der in Rußland hundert tausend Rubel ausschlug die ihm, wegen der Erziehung des künftigen russischen Thronbesetzers angebothen waren; das Seitenstück zu diesem kleinen Gedichte, war eine andre gleich flüchtig hingeschriebene Phantasie an den Obristlieutenant von Anhalt! Ich machte diesem Herrn, wegen seiner cäßarischen Fertigkeit in Staatsgeschäften ein Compliment, beschrieb ihm den Caracter meiner Muse, sagte, daß ich weder Pracht noch große Zinsen verlangte, mein heißester Wunsch war eine kleine ländliche Hütte, war ein Garten um ihr! Anhalt laß die kleine Phantasie, und warf sie dem Übersetzer Quintus hin!
Diese zwey Kinder meines Genius, empfahlen in ihren französischen Oberrökken dem Könige ihre deutsch gekleideten Schwestern!
Die Ode: An meinen Geist, wegen der Unmöglichkeit den König zu singen! und die andere: Ober den weinenden Amor in Charlottenburg wurden gelesen. Man unterhielt sich den ganzen Abend von meinen Liedern! Vermuthlich hatte der General einige von meinen Triumphgesängen hinzugethan!
Der König verwunderte sich über meine Bekanntschaft mit dem Horatz, dem Homer, dem Pindar, und fragte den General, ob ich in Potsdam noch sey? wo ich wohnte?
Den andern Morgen schikkte Quintus ganz früh, und ließ mich zu sich einladen! Sein Erstes war, mir zu sagen, daß Friedrich mich sehen wollte. Bald darauf ging ich hinaus nach Sanssoucis! Die Edelknaben umringten mich und wünschten mir Glükk! Freund Seydlitz aber mußte den Monarchen nicht heiter genug gefunden haben! Er sagte, man müßte mich heut ihm nicht vorstellen! Also gieng ich zurükk! Den Tag darauf fragte der König mit einer Art von Ungeduld nach mir! fragte: Warum man mich nicht vorgestellet hätte?
Die fünfte Nachmittagsstunde des eilften Augusts also, war diejenige, in der ich zum Marquis d'Argens gerufen ward! Er und Herr von Katt, Vorleser des Königs stellten mich vor. Ich stand im großen Marmorsaal, aus welchem vor etlichen Tagen die Prinzessinnen in den Vorhof tanzten, zehntausend Lampen erhellten den Saal! Hier stand ich, und erwartete den Monarchen, den großen, welchen ganz Europa, welchen Indien kennen will. Das Herz klopfte mir in zwölf gewaltigen Schlägen hoch empor, doch gewann ich so viel Zeit, daß ich meine Lebensgeister, ehe der König die Thür aufmachte, noch ganz gut in Ordnung bringen konnte.
Nun aber trat er herein!
Ist Sie die Poetin?
Ja! Ihro Majestädt! Man nennt mich so!
Sie ist doch aus Schlesien!
Ja! Ihro Majestät!
Wer war ihr Vater?
Er war ein Brauer aus Schweidnitz, beym weinreichen Grünberg!
Aus Schweidnitz? Gehört das nicht den Geistlichen?
Bey Lebzeiten meines Vaters war ein Herr von Köselitz der Eigenthümer!
Aber, wo ist sie gebohren?
Auf einer Meyerey, wie Horatz eine gehabt hat.
Sie hatte, sagt man, niemals Unterweisung?
Niemals, Ihro Majestät! Meine Erziehung war die schlechteste !
Durch wen aber ward sie eine Poetin?
Durch die Natur, und durch die Siege von Ew. Majestät!
Wer aber lehrte sie die Regeln?
Ich weiß von keinen Regeln!
Von keinen Regeln? Das ist nicht möglich! Sie muß doch das Metrum wißen!
Ja! Ihro Majestät! aber ich beobachte das Metrum nach dem Gehör, und weiß ihm keinen Nahmen zu geben!
Wie denn kommt sie mit der Sprache zurecht? wenn sie sie nicht lernte?
Meine Muttersprache hab' ich so ziemlich in meiner Gewalt!
Das glaub ich, was die Feinheit betrift, wie aber stehts mit der Gramatik?
Von der hab ich die Gnade Ew. Majestät zu versichern, daß ich nur kleine Fehler mache!
Man muß aber gar keine machen! (Er lächelte)
Was ließt sie denn?
Plutarchs Lebensbeschreibungen!
Wohl auch Poeten?
Ja! Ihro Majestät, zuweilen auch Dichter, den Geliert, den Haller, den Kleist, den Uz, und alle unsre deutschen Dichter!
Aber liest sie nicht auch die alten Dichter?
Ich kenne ja nicht die Sprache der Alten!
Man hat doch Übersetzungen!
Ein Paar Gesänge Homers von Bodmer übersetzt und den Horatz von Lange las ich.
Also den Horatz! Hat sie auch einen Mann?
Ja! Ihro Majestät! aber er ist von Ihren Fahnen entlaufen, irrt in Polen umher, will wieder heyrathen, und bittet mich um die Scheidung, die ich ihm verwillige, denn er versorgt mich nicht!
Hat sie Kinder von ihm?
Eine Tochter!
Wo ist die?
Zu Berlin! Hofrath Stahl bezahlt für sie.
Ist sie schön?
Mittelmäßig, Ihro Majestät! Sie hat keine schöne Mutter gehabt!
Diese Mutter war doch wohl einmahl schön!
Ich bitte unterthänigst um Vergebung! Sie war niemals schön! Die Natur vergaß den äußern Putz an ihr!
Wie wohnt sie denn?
O, Ihro Majestät! Sehr schlecht! Ich kann kein Haus bekommen in Berlin, und, um Ew. Majestät eine Idee zu machen von meiner Wohnung, muß ich bitten, eine Kammer in der Bastilje zu Paris sich zu denken!
Aber, wo wohnt sie eigentlich?
Im alten Consistorium, drey Treppen hoch, unterm Dach!
Wovon lebt sie?
Von Geschenken meiner Freunde! Hofrath Stahl giebt mir sehr oft zu eßen!
Wenn Sie Lieder in Drukk giebt, was giebt man ihr für den Bogen?
Nicht viel, Ihro Majestät, ich ließ acht Lieder auf ihre Triumphe drukken —
Was gab man ihr?
Nur zwanzig Thaler!
Zwanzig Thaler? In Wahrheit! davon lebt man nicht lange! Ich will schon sehn, will sorgen für Sie!
Mit diesen Worten verließ mich der König! Ich taumelte den Saal hinaus! General Lentulus begegnete mir. Ich weiß nicht, was ich ihm sagte.

  • Friedrich der Große kehrte, nachdem der Friede von Hubertusburg den Siebenjährigen Krieg beendet hatte, Ende März 1763 in seine Hauptstadt zurück. Vier Monate später wagte die Karschin, um eine Audienz nachzusuchen, die ihr nach über zweiwöchigem Warten gewährt wurde. Die Karschin versuchte im Gespräch mit dem König, die Aufmerksamkeit des Monarchen nicht nur auf ihre eigene Notlage zu lenken, sondern auch eine Lanze für die deutschen Dichter wie Christian Fürchtegott Geliert, Albrecht von Haller — den Dichter der „Alpen" —, Ewald von Kleist und den Anakreontiker Uz zu brechen. Der König, Autor des Traktates »De la litterature allemande", hatte von der deutschen Dichtung seiner Zeit eine sehr geringe Meinung. — Seidlitz, der General: die Karschin kannte ihn sdoon von ihrer Glogauer Zeit her. — Der Obrist Quintus: Beiname für Carl Theophil Guichard, Gesell-schafler des Königs, ein Fürsprecher der deutschen Literatur. — d'Alembert: französischer Enzyklopädist, Mathematiker und Philosoph, lehnte Angebote Katharinas IL von Rußland, aber auch Friedrichs II. ab. — General Lentulus: war aus Entrüstung über die Kapitulation von Prag aus österreichischen in preußische Dienste übergegangen.

Anna Louise Karsch

An Quitungsstatt geschrieben
Im Jänner 1783

Seine Majestät befahlen,
Mir, anstatt ein Haus zu baun,
Doch drei Thaler auszuzahlen —
Der Monarchbefehl ward traun
Prompt und freundlich ausgerichtet,
Und zum Dank bin ich verpflichtet.
Aber für drei Thaler kann
Zu Berlin kein Hobelmann
Mir mein letztes Haus erbauen,
Sonst bestellt' ich ohne Grauen
Heute mir ein solches Haus,
Wo einst Würmer Tafel halten
Und sich ärgern übern Schmauß
Bei des abgegrämten, alten,
Magern Weibes Ueberrest,
Die der König darben läßt.

  • Die Erwartungen der Karschin, von Friedrich II. eine Rente oder ein Haus als Geschenk zu erhalten, wurden immer wieder enttäuscht. Als der Monarch — vermutlich im Scherz — ihr ein paar Thaler mit der Post zugehen ließ, sandte sie das königliche Präsent mit einem poetischen Verweis an den Absender zurück. Erst Friedrich Wilhelm II. befahl, der Dichterin ein Haus »ausgeziert mit allen Allegorien der Musen« zu errichten. Zwar wurde das Haus nur ein Häuschen und die Allegorien fehlten ganz, aber die Karschin besaß eine freundliche Wohnung, in der sie ihre letzten Lebenstage verbrachte.

Anna Louise Karsch

Lied einer alten reichen Wittwe,
die gern Dame werden will

Warum sollt ich mich denn härmen,
Hab ich doch Reichthum noch,
Junges Muths zu schwärmen!
Reichthum, Reichthum soll mir geben
Einen Mann, der mich kann
Uebern Pöbel heben —

Dann bin ich Hochwohlgeboren!
Für mein Geld, alle Welt
Staunt und spitzt die Ohren.
Freude wird mich überladen,
Wenn die Magd schüchtern fragt;
»Was befehl'n Ihr' Gnaden?«

Wenn ich sie zum Dienstvergelten
Ihrer Müh tolles Vieh,
Dumme Gans darf schelten;
Wenn sie mich wird bitten müssen
Oben drein, um Verzeihn,
Und den Rock mir küssen —

Hat sie mich nun angekleidet,
Stück für Stück, daß mein Blick
Sich im Spiegel weidet:
Dann trägt ein Gespann von Rappen,
Im Gallop, hop, hop, hop!
Mich und auch mein Wappen!

Welche Wollust, welch Entzücken!
Wenn im Saal mein Gemahl
Links und rechts mit Blicken
Zu verstehn giebt, daß sein Name
Stolz gebeut: seyd gescheit
Kropzeug, weicht der Dame!

Caroline Louise von Klenke
Aus: Lebenslauf der Dichterin Anna Louise Karschin, geb. Dürbach

Je größer aber das Dunkel war, in welches die Armuth die Dichterin einschloß, je heller prallten die Lichtstrahlen ihres Geistes hervor, und je stärker wirkte ihr Abglanz. Alle Fremden von Geschmack, welche nach Glogau kamen, suchten sie auf, und wer da kam, fand sie in dem Zustande, welchen der Ruf von ihr herum trug ....
Indessen wuchs die Zahl ihrer gegenwärtigen und auswärtigen Bewunderer immer mehr an, ob sie gleich nur noch weitschweifige und in mancher Rücksicht unwichtige Gedichte machte. Allein, jedes verrieth das Original-Genie, und dieser Stempel fand überall seine Kenner. Ihr Ruf war auch nach Berlin erschollen. Verschiedene von den Einwohnern dieser Stadt schrieben an die Dichterin, aus Verlangen, Briefe von ihr zu lesen, vorzüglich eine Generalin von Wreech, welche nachher Anlaß gab, daß sie nach Berlin geführt ward. Aber die Dichterin kannte nichts von der Seltenheit des Talentes, welches alle Welt an ihr rühmte; ihre Bescheidenheit begehrte keinen Ruhm; Brod war das einzige, warum sie ihre Kunst übte; Brod und Ruhe! Sie war für keinen häuslichen Zustand geboren, und jetzt, je mehr sie sich ihrem Genie überließ, je drückender wurden ihr die Pflichten einer Hausfrau, Mutter und Magd; denn dies war sie zugleich. Ihr Geist wollte keine Fesseln leiden, und ihre Brodsorgen legten ihr täglich schwerere Ketten an. Daher stand täglich die Klage auf ihrem Munde und die Thräne in ihrem Auge. Ihre Geduld, deren sie viel hatte, so lange ihre Gedanken mit anderen Gegenständen beschäftiget waren, weil sie stets in Gedanken war, und auf Nebenumstände wenig verweilte, diese Geduld riß dennoch aus, so bald sie sich zu den Hausgeschäften herablassen sollte. Je mehr nun ihre Sorgen wuchsen, je mehr nahm ihre Ungeduld zu, der Mann bekam mehr Vorwürfe, und er ging mehr trinken. Bei seiner Nachhausekunft rächte sich sein aufgesparter Zorn, und da geschahen denn Auftritte, die erschrecklich und Jedermann, der davon hörte, ein Gräuel waren. Ihre Haushaltung wurde täglich zerrütteter; sie sah ihren Drangsalen kein Ende, und der Tod gab ihrem Herzen noch die schwerste Wunde, indem er ihr das Kind ihrer Liebe entriß. Sie war an dem Zeitpunkte, wo sie glaubte daß sie es nicht mehr aushalten könnte - - Da kam eine unerwartete Erlösung.
Ein bedeutender Herr, welcher von der Tirannei ihres Ehejoches gehört hatte, vermittelte durch sein Ansehn, daß sie davon frei ward, ohne daß es die Weitläufigkeit der Klage kostete. Die Vermittelung ging freilich nicht den Weg Rechtens, allein die Dichterin ward dadurch frei, und ihrer schwersten Sorgenbürde entladen.
Jetzt bekam ihr Geist seine eigene Schwungkraft. Zwar dichtete sie noch immer um Brod, aber der sanfte Friede um sie her, den sie noch nicht geschmeckt hatte, gab ihr alle die Stärke, welche sie vorher in Sorgen und Unterdrückung hatte verseufzen müssen. Alles, was sie nun dichtete, athmete diesen Frieden, und ward zum Lobgesang. Doch war sie vor neuen Sorgen nicht sicher; denn die Entfernung ihres Mannes war ungewiß, er konnte jederzeit wiederkommen. Es geschah auch wirklich, was sie besorgte; er ward auf einige Zeit wieder zu ihr gelassen. Eine Weile ließ er den Trunk, und mit demselben die Vergehung gegen sie, allein es dauerte nicht lange; und da ward er seinem Schicksale auf immer übergeben.
Nachdem sie ihn wieder los war, brachte sie noch etwa dreiviertel Jahr in der Glückseligkeit eines freien Zustandes hin, als eines Tages ein Diener in ihre Wohnung kömmt, von seinem Herrn, dem Baron von Kottwitz, einen Gruß bringt, und ihr eine beschriebene Karte überreicht. Das Blatt kam von der Frau Generalin von Wreech aus Berlin, welche den Baron ersucht, »daß er sich doch nach der Dichterin in Glogau erkundigen möchte und Nachricht von ihren Umständen einziehn; indem sie gar nicht wüßte, wie es zuginge, daß sie in sieben Monaten keinen Brief von ihr erhalten hätte«. Die Dichterin, beschämt von der zuvorkommenden Güte der Generalin, setzte sich in Gegenwart des Dieners hin, und schrieb, ihrer Gewohnheit nach, sogleich einen Brief in Versen an die Dame und ein poetisches Billet an den ihr ganz fremden Baron. Der Diener, welcher ihr voll Verwunderung zugesehn, wie schnell sie schrieb, bringt das Paket seinem Herrn und ist ganz Erstaunen über die seltsame Frau. Sein Herr, welcher Lektüre und poetischen Geschmack hatte, fand den Bericht des Dieners durch das Schreiben der Dichterin bestätigt und ward neugierig, sie kennen zu lernen. Am andern Morgen ließ er sie zu sich rufen; sie erschien in ihrer gewöhnlichen Bürgertracht, mit einer zwar freundlichen aber fast einfältigen Blödigkeit. Seine Augen ließen ihn zweifeln, ob es die Frau wäre, welche eine so seltne Gabe besäße? Allein ihre Antwort auf seine erste Frage überzeugte ihn bald, denn sie erwiderte ihm in einem recht artigen Verse. Sie bat hierauf um Schreibzeug, und setzte während einer halben Stunde ein angenehmes Gedicht an den Baron auf. Als man sie beurlaubte, ward sie genöthigt, am andern Tage wieder zu kommen, wo der Baron sie einigen seiner Freunde vorstellen wollte. Kaum war sie ein paar Stunden wieder zu Hause, als der Bediente des Barons wieder kam, und ihr im Namen seines Herrn einen bessern Kopfaufsatz und einige andere feine Kleidungsstücke brachte, womit er bitten ließ, daß sie am andern Tage darin erscheinen möchte. Es ist unmöglich, daß der Zaarin Peters des Ersten die Krone mehr süßen Stolz gegeben hat, als die Dichterin über diese geschenkten Kleidungsstücke empfand; jedes war ihr ein Zeichen, daß sie wirklich geehrt wurde, und jedes machte sie vor Freude trunken. So, durch seine Hand geschmückt, ging sie zu ihrem gütigen Baron; hier fand sie die Fremden schon anwesend, und die Freude, welche sie begeisterte, gab allem, was sie der Gesellschaft sagte, etwas Blendendes. Als sie sich wieder entfernte, beschenkte sie der Baron mit einer schönen emaillirten Dose nach damaliger neusten Mode; noch nie hatte man ihr so artig begegnet; sie fühlte in dem angenehmen Geschenk das Edle des Gebers; er dünkte ihr mehr als andere Menschen zu seyn. Sie eilte damit nach Hause, und wie sie nichts auf dem Herzen behalten konnte, so zeigte sie dieselbe sogleich ihrer nächsten Nachbarin. Diese, nachdem sie die Dose um und um besehn und bewundert, macht den Deckel auf und sagt: Hierin ist schöner Taback! Karschin nehme sie doch eine Prise! der Taback ist mit Gold vermengt. Die schön-erschrockne Dichterin fand es wirklich so, wie die Frau sagte, und es waren sechs Augustd'ore unter den Taback gemischt. Sie glühete ihren Dank in Gesängen aus; der Baron ward davon bezaubert, und stellte ihr frei, daß sie von ihm etwas bitten sollte, was zu ihrem Glücke beitragen könnte. Sie, welche noch immer die Zurückkunft ihres Mannes fürchtete, besann sich augenblicklich und bat: daß er sie mit nach Berlin, (wohin dieser Herr auf einer Reise begriffen war, um sich daselbst zu verheirathen) nehmen möchte, wo sie vor der Nachfolgung ihres Mannes sicher zu seyn gedächte. Nichts dünkte dem gütigen Herrn leichter, als das, und in Zeit von vierzehn Tagen war die Sache beschlossen und gethan.
Welchen seeligen Taumel verbreitete diese Aussicht in dem Herzen der Dichterin! Ganz Glogau wurde von Lobliedern für ihren Wohltäter erfüllt; Alles ward ihn zu bewundern und zu verehren aufgefordert. Als hätte sie mit der vorhabenden Reise einen unversiegbaren Schatz in Besitz zu nehmen, so wohl war ihr. Sie schenkte alles weg, was sie an Möbeln und Hausgeräth besaß, und behielt nichts als ihre Kleider und ihre zwei Kinder. Vor Erwarten der Dinge, die da kommen sollten, ward in der Nacht zum letzten Morgen in Glogau nicht geschlafen, sondern auf ihren Knieen dichtete sie Danklieder, bis endlich der Wächter die letzte ihrer Kummernächte abrief: da kam der Wagen des Barons, worauf sich die Dichterin mit ihren beiden Kindern setzte — O Gott! wer nicht elend, nicht bedrängt gewesen ist, der kann das nicht empfinden, was hier so unaussprechlich empfunden ward! Dieser Wagen, welcher nicht Ueberwundene, sondern Ueberwinder jedes Leidens führte, war gewiß vor den Morgensternen glänzender, als irgend ein Triumphwagen der stolzen Sieger zu Rom - Seegen, unsterblichen
Dank der Asche des Edlen Barons! Viele Großen wurden nachher bewährte Freunde der Dichterin; aber Einer nur hatte den Muth, sie aus der Tiefe der Armuth zu reißen; und dieser war der Baron von Kottwitz. Unvergänglich blühe dafür sein erhabenes Geschlecht! und nie müsse es seinem edlen menschenfreundlichen Stamme an jeder Freudenfülle mangeln, welche des Daseyns Glückseligkeit ist!
Die Reise nach Berlin ging über Boyadel, den Hauptadelsitz des Barons, sie kamen daselbst in Einem Tage an. Ihr Wohltäter war voraus gereiset, und empfing sie auf seinem Schlosse, wo schon alles für sie und die Ihrigen aufs beste bereitet war. Ihre Glückseligkeit wurde immer wirklicher, sie sähe, daß es kein Traum war, denn sie erwachte jeden Morgen zu neuer Freude und Ehre. Der Baron hatte Einige von dem nachbarlichen Adel zu sich gebeten, und die Dichterin ward hier zum erstenmale an eine adliche Tafel gezogen. Zwei Tage und drei Nächte brachte sie hier wie in einem ihr gehörigen Zauberschlosse zu. Der Tag der Abreise kam; zwölf Stunden zuvor reisete der Baron nach Berlin ab, der Dichterin Sohn ward auf Beschluß des gütigsten Herrn zu dem Amtmann des Gutes in die Kost gethan, von welchem er zur Schule und allem Guten angehalten wurde; die Tochter ward mit nach Berlin genommen.
Auf der ganzen Reise bis dahin sähe sie ihren Wohlthäter nicht, aber auf jeder Hauptstation wurde gehalten und übernachtet. Die vorzügliche Bequemlichkeit, welche die Befehle des Herrn sie überall genießen ließen, machten ihren Zustand zu etwas Ueberirdischem. Sie dachte sich ihre mühsamen Fußreisen nach Lissa und jenen umliegenden Dörfern; das Kümmerliche ihrer Mahlzeiten und Lagerstätten auf solchen Wallfahrten: welch ein Kontrast! wenn sie hier in jedem Wirthshause nach der vorzüglichsten Bewirthung, auf feinüberzogenen Daunenbetten mit ihren Kindern sich schlummern legte. Sie hatte nur Einen Gedanken: ihren Wohlthäter! alles was ihr wiederfuhr, alles was ihre Sinne berührte, schien von seinem Einflüsse beseelt zu seyn. Sie sah in allem nur ihn, und in ihm die wunderthätige Hand Gottes. So oft sie allein war, lag sie auf ihren Knieen, und ihre Dankgefühle flössen in Thränen über.
Doch, wie Schiffe noch im Hafen scheitern können, so drohete auch hier der Dichterin im Hafen ihrer Glückseligkeit ein zurückschlagender Sturm, denn in Krossen fand sie ihren Mann. Der Schreck betäubte sie auf einige Augenblicke, da sie ihn gewahr wurde und er sich ihr näherte; weil sie aber in hochfreiherrlichem Schutze reisete, so war auf des Mannes Seite auch Furcht, und er, anstatt zu wüthen, fiel ihr um den Hals mit freundlichen Worten und Thränen der Reue. Er nahm seine Zuflucht zu Bitten und Vorstellungen, so rührend es ihm möglich war. Hätte sie nicht adeliche Bedeckung gehabt, so würde sie aus Furcht ihn erhört haben; allein da sie die Uebermacht gegen ihn in Händen hatte, so antwortete sie mit gleicher Freundlichkeit und eben so dringenden Vorstellungen von ihrer Seite: daß es so wenig möglich als nützlich wäre, sich wieder mit ihm zu vereinigen. Dennoch ließ er mit Bitten und Weinen bis auf den Augenblick ihrer Abreise nicht nach, wo er aber auch seinen Ton nicht änderte, vermuthlich in der Hoffnung, daß sie sich wol noch in Berlin zu seinem Besten besinnen würde. Als sie auf den Reisewagen stieg, nahm er seine kleine einzige, und ihm liebste Tochter auf die Arme und rief unter Thränengüssen: »Ach, wenn ich nur wenigstens dich behalten könnte, dich, an der mein ganzes Leben hängt!« Aber der Kutscher und Diener des Barons trieben zur Abfahrt; er setzte sein Kind auf den Wagen, indem er es segnete, ihm tausend Lebewohl wünschte und in der Gestalt eines Verzweifelten, den selbst die Hoffnung verläßt, blieb er hinter dem Wagen zurück. —
Die Dichterin kam glücklich, und ferner unverfolgt in Frankfurt an, wo sie auf die sanfteste Weise übernachtete; von da ging es nach dem palläste-reichen Berlin.
Es war am 25. Januar 1761, als sie hier erschien. Ihre Aufnahme geschah im Hause des Wiener Gesandten, Herrn Grafen von Gotter, woselbst auch der Baron von Kottwitz logirte. Hier war, wie überall, schon alles zu ihrer Ankunft auf das begünstigste bereitet, und weil es Mittag war, so wurde auch sogleich ihr und ihrer Tochter ein Tisch mit fünf auserlesenen Schüsseln vorgetragen. Wer mags beschreiben, wie ihr bei dieser Mahlzeit zu Muthe war?
Sie hatte im December 1760 ihr 38stes Jahr vollendet. Dieses Alter, in welchem die mehresten Frauenzimmer nach gerade von der glänzenden Bühne abtreten, um jungen Schönen für die Bewunderung Platz zu machen, ward, trotz allen nur möglichsten Leiden, durch welche die Dichterin bis zu dieser Epoche gekommen war, der Zeitpunkt, wo sie erst aufblühte, bemerkt und bewundert wurde.
Sobald man hörte, die Karschin sey angekommen, so eiferte auch alles, was Geschmack haben wollte, um die Wette, dieses Wunder von Frau zu sehen. So bürgerlich sie auch noch in den ersten Tagen einher ging, so wurden ihr doch verschiedene Equipagen geschickt, um sie in die vorzüglichsten Gesellschaften abzuholen. Es gereicht wirklich den Herzen, wie dem Verstände der edlen Berliner zur Ehre, daß sie nicht zu stolz waren, weder der Dichterin ihren gemeinen Stand noch Anzug entgelten zu lassen, sondern ihr mit aller der Aufmerksamkeit und Feinheit begegneten, welche ihrem Talente zukamen ....
Nach einigen Tagen ihres unaussprechlich glücklichen Hierseyns ward die Dichterin eines Morgens, nebst ihrer Tochter, in eine Kutsche des Barons gesetzt, und in die prächtige breite Straße gefahren. Die Karschin, welche zwar nicht die Ursach davon wußte, ahndete dennoch etwas Gutes, weil sie von ihrem Herrn lauter Huld gewohnt war. Die Kutsche hielt vor einem großen Galanterieladen, welche der Haischekornsche hieß. Hier mußte sie mit ihrer Tochter aussteigen und in den Laden gehn, aus welchem sie bald eine ältliche Französin, der ein Dienstmädchen folgte, in ein Putzzimmer führte. Madame, sagte die Französin, hier auf diesem Tisch sehen sie Kleidungsstücke für sich und ihre Tochter liegen; sie können sich derselben bedienen, und mein Mädchen wird sie ankleiden helfen. Herr Gott! rief die erstaunte Dichterin, und vermochte weiter nichts zu sagen. Die Demoiselle entfernte sich, und die angenehme Metamorphose ging vor sich, indem das Dienstmädchen beide Personen Stück vor Stück auskleidete, und in dem neuen Anzug modelirte. So fremd der Dichterin jede Bedienung war, so ließ sie doch alles geschehn, was das Mädchen mit ihr vornahm, denn die Freude hatte sie zu bestürzt gemacht. Beider Personen neue Kleidungsstücke waren von modernem Zuschnitt, und feinem Zeuge: und beiden Staatsanzügen, wo von Kopf bis zu Fuß kein Stück vergessen war, folgten in ähnlicher Ordnung zwei Anzüge von schlechterm Zeuge, welche das Mädchen Zusammenpakte und in die Kutsche legte, ohne daß die wohltätige Hand genannt wurde, von welcher dies alles kam. Der Wagen rollte mit den beiden glücklichsten Geschöpfen, welche es vielleicht an dem Tage in Berlin gab, nach Hause. Niemand ließ sich sehen, der darüber einen Dank erwartet hätte; allein ein Diener kam, und nöthigte die Dichterin zur Gräflich Gotterschen Mittagstafel. Bis zur Stunde der Mahlzeit strömte der Dank der Dichterin in mehr als einem Liede hin, ohne zu wissen, wem sie dankte. Sie rieth nur auf den Baron. Bei der Tafel fand sie ihn, sie zieh ihn poetisch seiner schönen That, er lächelte nur, und schwieg ....
Ihre Beschäftigungen wurden nun einzig: Schreiben und Lesen; sie ging vom Schreibpult in die Gesellschaft, um dort wieder zu schreiben und Impromptües zu sagen; und von diesen wieder zum Schreiben. Durch die tägliche Uebung, durch die Ruhe und Ehrenvolle Aufmunterung, welche sie hier von allen Seiten genoß, setzte sich ihr Geist zu einer männlichen Stärke, und zu einem unermeßlichen Schwung. Sie machte bald die Bekanntschaft des Herrn Professor Ramler, welcher schon damals als deutscher Horaz bekannt wurde. Von ihm lernte sie ihre weitschweifigen Sylbenmaaße, an welche sie durch ihre ehemaligen einfältigen Lesereien gewöhnt war, in vier Zeilen einschränken, und ihm den Gang der Ode nachahmen. Mit ihrem reichen Genie, dessen Adel selbst dieser eigensinnige Richter anerkannte, hätte sie in seiner Schule eine Pindarin werden können, wenn ihr Geist die Fesseln der Kunst hätte dulden wollen. Ein vorgelegter Plan lähmte ihre Schwungkraft; sie konnte es durchaus nicht denken: so willst du anfangen, und so wieder endigen, sondern wie der Zufall ihr einen Gegenstand entgegen führte, so faßte ihr Feuer ihn auf, und führte ihn leuchtend fort; unbekümmert, wo er seinen Ruhepunkt nehmen würde ....
Je mehr sie so auf die außerordentlichste Weise aufgemuntert ward, je mehr arbeitete sie, und ihr Genie verlor nichts durch die Menge seiner Geburten. Jedes Stück, auch das kleinste, gab ihm eine neue Schimmerseite, gleich wie die Brillantirung dem Edelsteine, indem sie überall ihm etwas zu berauben scheint, ihn dadurch nur strahlender macht.

  • Über die Karschin hat ihre Tochter Caroline Louise, in zweiter Ehe eine verheiratete von Klenke, eine Lebensschilderung verfaßt. Sie erschien als Einleitung einer nach dem Tode der Dichterin herausgegebenen Gedichtsammlung. Frau von Klenke, die seiher als Verfasserin von Gedichten hervortrat, hatte keine glückliche Jugend. Ihre Mutter, »welche niemals mit ihren Kindern sich Rath gewußt hatte«, gab die Tochter in die Obhut ihres Halbbruders, den die Karschin in Berlin zu sich genommen hatte, ein Verhältnis, das zur Heirat zwischen Oheim und Nichte führte. Der Lebenslauf, den die Tochter über die Mutter schrieb, ist im Gegensatz zu anderen ihrer Äußerungen ein gerecht abwägendes Zeugnis über die Karschin. »Ihr Herz hatte, wie ihr Geist, seine unvergleichliche Seiten; war oft schwach in Vorurtheilen und Leidenschaften; aber an unermüdeter Gefälligkeit, Dankbarkeit, Offenheit und Wahrheitsliebe — einzig, ganz einzig!« — Glogau: nach Glogau zogen die Karscbs 1755, weil die Dichterin sich hier größeren Erfolg für ihre poetischen Arbeiten erhoffte. — Der Dichterin Sohn: aus erster Ehe, wurde später Schulmeister in Ruppin. — Tochter: Caroline Louise, spätere Frau von Klenke. — Ramler: gelehrter Poet und Literaturkritiker, Lehrer an der Berliner Kadettenanstalt.