»Meine Grenzen konnte ich nicht mehr finden,
mein Bewußtsein hatte sie überschritten,
es war grösser, anders»
Karoline von Günderrode in
Ein apokalyptisches Fragment
»Mir fällt hier in mancherlei Rücksicht das ernste, traurige Schicksal von Troja ein», schrieb Bettina Brentano an Achim von Arnim, »wie seine jungen Helden die Burg zusammenrissen, um die Burg selbst zu retten. Dem König war aller Muth geweihet, drum mußten sie die Thüren und Giebel vom Pallast niederwerfen, um die Feinde zu zerschmettern, mit goldnen Balken warfen sie in der Zerstörer Schaar, um diese zu vernichten, so lange bis alles zerstört und nichts mehr war, dann schrieen sie: Troja ist nicht mehr, die herrliche Burg, die wohnlichen Gemächer, wir haben sie aus ihren Grundvesten gerissen, um ihren Feinden abzuwehren. — So steht auch die unglückliche Günderode in ihrem Schrecklichen Schicksal da, sie wollte den Feind vernichten der ihre Freyheit einengte, und mit dem einzigen Versuch, mit dem einzigen Dolchzucken, traf sie ihr eigen Herz und warf das was ihr werth sein sollte, weit von sich . . . .»
Auf den Tod der Karoline von Günderrode, die sich am 26. Juli 1806 bei Winkel am Rhein erdolchte, wiesen viele Zeichen in ihrem Leben hin. Nicht nur die vielen physischen Leiden sind es, denen das zarte Stiftsfräulein ausgesetzt war und die wie eine Einführung in die tieferen Schmerzen ihres Lebens wirken — das nervöse Kopfweh, die Reizzustände, die Augenschwäche —, auch nicht nur die magische Faszination, die das Spiel mit dem Dolch, der Gedanke an den Tod auf sie ausübte. Der Tod war zu einem Teil ihres Denkens, ihres Lebens geworden. Fast jedes Argument, das zu seiner Rechtfertigung dienen konnte, ergriff Karoline. Der Tod ist ihr Schutz vor der »kleinen Tages- und Weltgeschichte»: »Glückliche, denen vergönnt ist, zu sterben in der Blüte der Freude, die aufstehen dürfen vom Mahle des Lebens, ehe die Kerzen blind werden und der Wein sparsamer perlt». Auch den Tod der Verzweiflung kennt sie: »Es gibt ein Verstummen der Seele, wo alles tot ist in der Brust . . .» Dann wieder der Tod als Überwinder des Zeitlichen: »Durch Vernichtung des Leibes früher zu nahen dem Ewigen». In dieser Gestalt war er ihr am willkommensten — ein Triumph, in dem der Tod sich selber aufhebt: »Ich bin ein Teil einer geistigen Lebenskraft, wie könnte ich sterben, da ich selbst das Leben bin.» Der Tod wird zur Rückkehr in die ewig bewegte »Allheit der Natur», schließlich zu einem religiösen Opfer.
Das eigene Leben und das derer, die ihr nahe waren, Stellte sie unter hohe und strenge Forderungen. Sie maß Mensdien nicht an Menschen, sondern an den Idealen, die sie in ihnen sah. Bettina zwar, die vertraute, um fünf Jahre jüngere Freundin, deren Briefbuch Die Günderode das Andenken an das Stiftsfräulein wachhalten sollte, läßt sich davon nicht allzusehr anfechten. Wenn die Dämmerung die beiden Mädchen in Karolines zwei Gartenstübchen im Frankfurter Stiftshaus überrascht, memoriert sie die Verse, die Karoline ins Dunkel spricht, bis Licht gebracht wird und sie notiert werden können; sie begeistert sich für die Dichterin und Seherin, aber der strengen Disziplin der Pädagogin, die dem »trägen Pflanzenleben» ihrer Gedanken aufhelfen will, entgeht sie mit einer echten Bettina-Wendung: »Dein Schelling und Dein Fichte und Dein Kant sind mir ganz unmögliche Kerle.» Doch auch Bettina klagt, »daß Du nur im Vorübergehen mit mir bist».
War Karoline je mit einem Menschen anders als »im Vorübergehen»? Auch den Geliebten, Friedrich Creuzer, den Heidelberger Altertumsforscher und Mythologen: sah sie je ihn selber, der sich in seinem Leben einzurichten suchte statt sich der Faszination des Todes auszusetzen, in dessen Leben nicht nur die Liebe etwas galt, sondern auch die Pflicht — Pflicht gegenüber seiner um vieles älteren Frau, Pflicht gegenüber Forschung und Lehre —, den ewigen Zauderer bis hin zu jenem Absagebrief, den Karoline am Tage ihres Todes empfing?
Die Günderrode selbst erfüllte die Gesetze, die sie sich gab, nicht aus natürlicher Neigung, sondern mit ihrem unnachgiebigen Willen. Ihr kurzes Leben, das sich zwischen den Landgütern ihrer Freundinnen und dem Frankfurter Wohnsitz, einer Stiftung für Töchter wenig begüterter Adelsfamilien, abspielte, zeigt genug Spuren des Kampfes. So sind auch die Züge, die ihre Freunde und Zeitgenossen überliefern, nicht nur die des Tian — ihres ersten literarischen Pseudonyms — oder der Melete ihres letzten Buches. Sie, die mit einem Dolche lebte, war so furchtsam, daß sie vor den Stiftsdamen nicht das Tischgebet laut herzusagen wagte. Sie träumte mehr und schwerer als andere, aber hielt sich zu Gedächtnisübungen und exakten Studien an. Sie fiel sich selber ins Wort, wenn sie glaubte, gesagt zu haben, was den anderen verpflichten könnte, aber bot Creuzer an, ihn in Männerkleidern als Bedienter nach Rußland zu begleiten. Sie war schüchtern und unbedingt, scheu und rückhaltlos, »lieb Günderödchen», aber auch »Führer und Beispiel».
So steht es auch mit ihrer Dichtung: ein großer Anspruch und die sehr spürbare Anstrengung, ihn zu befriedigen. Zu ihren Lebzeiten erschienen Dramen und zwei schmale Bände mit vermischten Diditungen; eine dritte Sammlung Melete bereitete Creuzer vor, gab sie aber nach Karolines Tod nicht heraus. Alle diese poetisch überhöhten Aufsätze und Gespräche, Erzählungen im Legendenstil, Fragmente, die das Vorbild Ossians und der Edda zu erkennen geben, erst recht aber die dramatisch unbewältigten Schauspiele über große historische Stoffe entstanden aus der »Sehnsucht, mein Leben in einer bleibenden Form auszusprechen, in einer Gestalt, die würdig sei, zu den Vortrefflichsten hinzutreten, sie zu grüssen und Gemeinschaft mit ihnen zu haben». Der Dienst an dieser »Kirche, nach der mein Geist stets wallfahrtet», bestimmt die hochgegriffenen Themen — gern mythologische Sujets — und Absichten ihrer Arbeiten, weniger den Ton, der in Prosa wie Lyrik, übrigens auch in ihren Briefen, knapper, kürzer im Atem, härter in der Fügung und sparsamer in den Bildern ist als bei deu großen zeitgenössischen Romantikern. Es ist Dichtung eher auf dem Wege zu sich selbst als am Ziele, der Vollendung nahe nur in einigen wenigen Gedichten vor allem der letzten Jahre; so, wie in den Versen »Ist alles stumm und leer . ..», sind Schwermut und Verlassenheit von allem Menschlichen erst in Lenaus Schilfliedern wieder Melodie geworden.
Karoline von Günderrode
Hochroth
Du innig Roth,
Bis an den Tod
Soll meine Lieb Dir gleichen,
Soll nimmer bleichen,
Bis an den Tod,
Du glühend Roth,
Soll sie Dir gleichen.
Karoline von Günderrode
Ist alles stumm und leer . . .
Ist alles stumm und leer;
Nichts macht mir Freude mehr;
Düfte, sie duften nicht,
Lüfte, sie lüften nicht;
Mein Herz so schwer!Ist Alles öd' und hin;
Bange mein Herz und Sinn;
Möchte, nicht weiß ich, was;
Treibt mich ohn' Unterlass,
Weiß nicht, wohin!Ein Bild von Meisterhand
Hat mir den Sinn gebannt;
Seit ich das holde sah,
Ist's fern und ewig nah
Mir anverwandt.Ein Klang im Herzen ruht,
Der noch erfüllt den Muth,
Wie Flötenhauch ein Wort,
Tönet noch leise fort,
Stillt Thränenfluth.Frühlinges Blumen treu,
Kommen zurück auf's Neu;
Nicht so der Liebe Glück,
Ach, es kommt nicht zurück —,
Schön, doch nicht treu!Kann Lieb' so unlieb sein,
Von mir so fern, was mein?
Kann Lust so schmerzlich sein,
Untreu so herzlich sein?
O Wonn', o Pein!Phönix der Lieblichkeit,
Dich trägt dein Fittig weit
Hin zu der Sonne Strahl,
Ach, was ist dir zumal
Mein einsam Leid?»Sie war sanft und weich in allen Zügen wie eine Blondine. Sie hatte braunes Haar, aber blaue Augen, die waren gedeckt mit langen Augenwimpern; wenn sie lachte, so war es nicht laut, es war vielmehr ein sanftes, gedämpftes Girren, in dem sich Lust und Heiterkeit sehr vernehmlich aussprach; — sie ging nicht, sie wandelte.»
Bettina von Arnim in »Goethes Briefwechsel mit einem Kinde»
Karoline von Günderrode
Der Caucasus
Mir zu Häupten Wolken wandeln,
Mir zur Seite Luft verwehet,
Wellen mir den Fuß umspielen,
Türmen sich und brausen, sinken. —
Meine Schläfe Jahr' umgaukeln,
Sommer, Frühling, Winter kamen,
Frühling mich nicht grün bekleidet,
Sommer hat mich nicht entzündet,
Winter nicht mein Haupt gewandelt.
Hoch mein Gipfel über Wolken;
Eingetaucht im ew'gen Äther
Freuet sich des steten Lebens.Karoline von Günderrode
Ägypten.Blau ist meines Himmels Bogen,
Ist vom Regen nie umzogen,
Ist von Wolken nicht umspielt,
Nie vom Abendthau gekühlt.Meine Bäche fließen träge
Oft verschlungen auf dem Wege,
Von der durst'gen Steppen Sand,
Bei des langen Mittags Brand.Meine Sonn' ein gierig Feuer,
Nie gedämpft durch Nebelschleier,
Dringt durch Mark mir und Gebein
In das tiefste Leben ein.Schwer entschlummert sind die Kräfte,
Aufgezehrt die Lebenssäfte;
Eingelullt im Fiebertraum
Fühl' ich noch mein Dasein kaum.
Der Nil
Aber ich stürze von Bergen hernieder,
Wo mich der Regen des Himmels gekühlt,
Tränke erbarmend die lechzenden Brüder,
Daß sich ihr brennendes Bette erfüllt.Jauchzend begrüßen mich alle die Quellen;
Kühlend umfange ich, Erde, auch dich;
Leben erschwellt mir die Tropfen, die Wellen,
Leben dir spendend umarme ich dich.Theueres Land du! Gebährerin Erde!
Nimm nun den Sohn auch den liebenden auf,
Du, die in Klüften gebahr mich und nährte,
Nimm jetzt, o Mutter! den Sehnenden auf.»Das lebendige Gesichtchen, die glühenden dunkeln Augen waren von schwarzen Locken umkränzt. Wie sie munter und neckisch allerlei durcheinander schwatzte, kam sie mir vor wie ein in den verschiedenen Farben spielendes Prisma.»
Louise Seidler in »Erinnerungen und Leben der Malerin Louise Seidler»
Karoline von Giinderrode
Timur
Ermar hatte das Geschlecht von Parimor vom Thron gestoßen, Parimor selber, sein Weib und seine Freunde waren gefallen unter dem Schwerte des Überwinders, nur Timur sein einziger Sohn fiel lebend in Ermars Hände. Ungern unterwarf sich das Land dem Sieger, der die Burg des unglücklichen Parimor an der Nordküste der Insel bezog; und die höchste Gewalt mit seinem Bruder, dem wilden Konnar theilte.
Keiner von allen Freunden des gestürzten Königshauses wußte wo Timur sei und ob er lebe? nur die Prophetin wußte es, die verschwiegne Seherin, die in einer Höhle am Eingang der Erde wohnte; sie sah die kommenden Schicksale, die Tiefen der menschlichen Brust, und des unglücklichen Timurs Ketten. Einsam lebte die Prophetin und verrichtete geheimnisvolle Werke, und von allen Sterblichen wußte nur Thia, die schöne Toditer von Ermar, ihre Wohnung. Die Seherin liebte das Mädchen, sie lehrte sie mancherlei Geheimnisse, und enthüllte ihr oft die Begebenheiten der Zukunft.
Einst sprach die Prophetin zu der Tochter von Ermar; Mädchen, fürchte das Geschick deines Vaters, seine Unthat hat den Geist der Rache erweckt; sieh hierher! Und sie zeigte dem erschrocknen Mädchen in einem Spiegel ein tiefes Gefängnis der Burg, und in dem Gefängniss lag auf moderndem Stroh, ein Jüngling mit brennenden Augen, und dichten braunen Lokken; Thia konnte ihre Augen nicht sättigen an dem Anblik des Gefangenen, aber die Seherin sprach: dies ist der König dieses Landes, er schmachtet in Ketten, und dein Vater trägt die Krone die ihm gebührt.
Gedankenvoll eilte Thia zurück zu der väterlichen Burg, und suchte allenthalben nach einer Thüre, die zu Timurs Kerker führen möchte. Im Nord war die Burg von rauhen Felsen umgeben, die bis zum Meer hinabreichten, in diesen Felsen entdeckte Thia, zwischen Gesträuch und Nesseln versteckt, ein Gitter, das eine dunkle Tiefe verschloß; dies Gitter hatte sie in dem Zauberspiegel gesehen; und jeden Morgen, ehe die Bewohner des Schlosses erwachten, und jeden Abend, wenn die milde Dämmerung die Thaten der Liebe in ihre Schleyer verbarg, gieng sie dahin, setzte sich trauernd neben das Gitter, und seufzte: Timur! Timur! und ihr war als kämen liebe unsichtbare Arme aus dem Gitter herauf und hielten sie umschlungen, daß sie die Stelle nicht verlassen konnte, und es nicht achtete, daß der rauhe Nachtwind sie umwehte, und der Thau des Himmels sie benetzte.
Zwei Jahre hatte Timur in dem Kerker geschmachtet, schon waren der Rache wilde Gedanken bleich und ohnmächtig geworden, und die Träume von Erlösung und Befreiung waren verträumt; schon glaubte er sich von allen Menschen vergessen, als ihm däuchte, er höre mit süßer Stimme seinen Namen flüstern, und jeden Morgen und jeden Abend hörte er dieselbe Stimme: Timur! Timur! rufen, und wenn er auf seinem Lager schlummerte, däuchte ihm, ein Engel mit glänzenden Lokken und rosigten Wangen beuge sich über ihn her, drükke leise Küsse auf seine Lippen und seufze: Timur! Aber wenn er erwachte, vergingen die rosigten Wangen in Kerkernacht, die hellen Lokken erbleichten, die Küsse verglühten, doch die süße Stimme flüsterte fort und er wußte nicht, ob der Traum wirklich oder das wirklich Scheinende, Traum sey.
Tage und Wochen waren so vergangen, als das Mädchen zu Ermar sprach: »Vater! der Mund der Prophetin verkündet dir Unheil und Verderben wegen des Sohnes von Parimor, der unschuldig in deinen Ketten schmachtet, deine Ungerechtigkeit wird den Geist der Rache erwekken, fürchte ihn! Timurs Kraft ist gefesselt, erwiderte Ermar: wo ist der Arm der sich der Rache leihet? Fürchte, sprach Thia, die Zukunft und der Seherin untrügliche Worte, ich habe Timur gesehen, ich liebe ihn, gieb ihm die Freiheit, gieb ihn mir, fessle ihn durch ein heiliges Band an dich, oder fürchte auch deine Tochter. Aber Ermar blieb unerbittlich, bis sich die einzige Tochter ihm zu Füßen warf, und ihm schwur, den Geliebten zu seinem treuen Sohne und Freund zu machen, oder ihn zu verrathen, wenn er undankbar sey, und ihm den Dolch mitten in seinen Umarmungen in die Brust zu stoßen.
Timur lag in schweren Träumen, der Geist seines Vaters erschien ihm in blutige Grabtücher gehüllt, und sprach, räche mich! die Zeit ist gekommen. Timur erwachte, aber immer hörte er noch die Worte, die Zeit ist gekommen! er dachte noch darüber nach, als das Gitter sich öffnete; ein Krieger trat herein und hies ihn folgen. Schweigend, voll seltsamer Empfindungen ging Timur hinter seinem Führer her. Jetzt waren sie auf den Felsen angekommen, der Krieger entfernte sich, und Ermar kam dem Jüngling entgegen. Die Zeit ist gekommen, räche mich, flüsterte eine Stimme in Timurs Seele; eine unsichtbare Gewalt trieb ihn; ehe Ermar noch gesprochen hatte, ergriff ihn der Jüngling und schleuderte ihn die Felsen hinab, daß sein Blut hinunter rauchte bis zur See.
Die Bewohner des Schlosses versammelten sich, sie erkannten den Sohn ihrer Könige und nannten ihn freudig Herr, und Gebieter. Als es aber Nacht wurde, trat Thia zu ihm und sprach: »Ich habe dich geliebt, ich habe an der Thüre deines Kerkers gewacht, und deinen Namen der Nacht, und den Sternen vertraut; deine Freiheit ist mein Werk, aber du hast meinen Vater ermordet, du hast die schwere Blutschuld auf meine Seele gewälzt, darum hinweg von dir!
Und das Mädchen gieng, und kehrte nicht wieder. Da ward der König sehr traurig, die lärmende Jagd erfreute ihn nicht, und nicht der Becher, einsam stand er auf seinem Felsen, und sähe und vernahm nichts als die Schrekken des nahenden Winters. Der Himmel war mit schweren Wolken bedeckt, eisigte Regen fielen herab, der Nordwind zerwühlte den Wald und trieb die falben Blätter in wilden Wirbeln umher, die Brandung brauste an der Küste, und der krächzende Rabe unterredete sich mit dem Wiederhall. Monde vergingen so, und immer fielen kalte Regen und Schnee und der Himmel blieb dunkel wie die Seele von Timur; da versammelten sich die Freunde um ihn und sprachen: es ist nicht gut, o König! daß du so einsam trauerst, komm! laß uns Thaten thun; Konnar herrscht noch jenseits der Berge mit eisernem Zepter über das Volk, komm! erobere dein Erbe, überwinde die Verräther! Der Jüngling gehorchte, er riß sich empor aus seinen Träumereien und stürtzte sich in das Gewühl der Schlachten zu Thaten und Ruhm.
Ungewiß schwankte das Glück zwischen Konnar und Timur, Timur war tapfer, Konnar fest und klug. Eine Schlacht entschied für Konnar, Timur mußte sich zurückziehen in die Gebürge. Der Tag verfloß im Getümmel der Gefechte, in Angriff und Vertheidigung, aber wenn die Nacht herniedersank, und den Kriegsgott in Schlummer einlullte, versammelten sich die Gefährten um Timur, und in den Schluchten einsamer Gebürge, in der Nacht dichter Wälder, wo der spähende Feind sie nicht ahndete, errichteten sie ein lustiges Zelt, hundert Fackeln erleuchteten die Wildniss, der Freudenbecher gieng umher, eine süße Musik erscholl, begleitet von den Stimmen braunlokkigter Mädchen, und Timur schwelgte in Ruhm und Lust und Liebe und seine Gefährten jauchzten in wilden Freuden.
Einst aber, da Timur allein war auf seinem Lager, und der Schlummer ihn floh, däuchte ihm, er höre das Geräusch leiser Tritte, und da er noch lauschte, fühlte er sich plötzlich umschlungen von zarten Armen, und heiße sehnsuchtsvolle Küsse bedeckten seine Lippen; als er aber Morgens erwachte, war sein Lager verlassen. Drei Nächte hatte schon die unbekannte Geliebte des Königs Lager besucht, als sie aber zum viertenmale kam, schloß er sie in seine Arme und schwur sie nicht zu lassen, bis sie sich ihm entdeckt habe, damit er seinen Thron und seine Hoheit mit ihr theilen könne. »Laß mich nur noch diesmal ungekannt von dir» sprach das Mädchen, »wenn die Nacht wieder kehrt und die Sterne wieder glänzen, wird ein schwarzes Roß vor dir stehen, dem vertraue dich, es wird dich dahin tragen, wo dir alles offenbar wird.» Der König ließ das Mädchen von sich gehen. Da es aber Nacht wurde fand er das Roß. Ein sonderbarer Schauer durchlief sein Gebein; aber er schwang sich auf des Thieres Rükken, und es trug ihn durch unbekannte, verworrne Pfade, durch Klüfte und Wälder, und blieb stehen vor einem prächtigen erleuchteten Pallast. Die Thore öffneten sich, zwei Knaben traten heraus, hielten ihm den Zügel und führten ihn in einen Saal. Eine milde Dämmerung herrschte, denn nur ein Halbmond über einem Bekken, in das sich duftendes balsamisches Wasser stürzte erleuchtete das Zimmer mit wechselndem Schimmer, bald glänzte der Mond in dunklem Purpur, dann in blassem Rosenroth, dann wieder blau wie der Bogen des Himmels, dann endlich wie der grüne Schmelz der Wiesen.
Staunend sah Timur eine Weile dem wechselnden Farbenspiel zu; da that sich eineThüre auf und viel schöne Mädchen kamen herein in allerlei fremden und sonderbaren Trachten; ein Blumenkranz wand sich um die blonden Haare der Einen, ein zierlich weißes Kleid umfloß sie. Eine Andere haudite Arabiens Balsam, des Morgenlands köstlicher Thau umgab in glänzenden Reihen die dunklen Lokken, und Gold gewürkt in persische Seide verhüllte die runden üppigen Glieder. Eine dritte in leichtem Silberflohr glich der Luft ätherischen Schönen; und das Holdeste aller Zonen schien versammelt um den Jüngling. Plötzlich glänzte das Wasser wie die Sonne und goß breite Lichtströme durch den Saal; eine Musik, wie Orgeltöne, ließ sich hören, eine liebliche Stimme begleitete die rauschenden Harmonien und schwebte über ihnen, wie eine leichte Frühlingsluft: schwebt über dem brausenden Meer, aber die Töne wurden stärker und stärker, und verschlangen die Stimme in Wogen von Wohllaut. Die Mädchen umgaben den Jüngling, sprachen ihm freundlich zu, und jede sandte ihm heiße Blikke, als sey jede die Geliebte der Nacht gewesen. Forschend betrachtete sie der König, jede dünkte ihm hold und lieblich, aber sein Herz bewegte sich zu Keiner, sie ist nicht hier die ich suche, sprach seine innerste Seele.
Jetzt rauschten zwei Flügelthüren auf, ein prächtiger Saal zeigte sich von vielen Fakkeln erleuchtet, die von den Marmorwänden wiederstrahlten; in der Mitte stand eine Tafel. Man setzte sich, der Wein perlte im Gold, die Mädchen nippten mit Rosenlippen an den Bechern, und reichten sie dann dem König; aber Timurs Seele war traurig, er senkte den Blick, und all die Herrlichkeit, und all die Schönheit giengen verlohren an ihm. Da er aber die Augen aufschlug sah er eine Gestalt an der Ekke des Saals ihm gegenüber, an eine Säule gelehnt, stehen sie war ganz schwarz und dicht verhüllt, und blieb immer unbeweglich. Timur betrachtete sie lange und oft, eine tiefe Sehnsucht zog ihn zu ihr; das Maal däuchte ihm unendlich lange, und es ward ihm erst wohl, als man sich erhob.
Die Mädchen verließen den Saal, aber jede sandte ihm noch einladende Blicke, er folgte Keiner, und sah sich endlich allein mit der schwarzen Gestalt, die Fakkeln erloschen, nur ein einziges bleiches Licht durchdämmerte den Saal. Die schwarze Gestalt nahte sich ihm, und sprach: »Folge mir!» er gehorchte und sie führte ihn durch seltsame unterirdische Gänge, auf einen Fels. Der Mond glänzte eben im vollen Lichte, und Timur erkannte schaudernd den Fels und das Meer in welches er Ermar hinab geschleudert hatte. Seine Führerin schlug den Schleier zurück. Es war Thia. Geist meines Vaters! rief sie, laß dich dieses Opfer entsühnen. Sie schlang ihren Arm um den König, und stürzte sich mit ihm die Felsen hinunter, daß ihr Blut sich mischte, und hinab rauchte zur wogenden See.
Karoline von Günderrode an Clemens Brentano
[ohne Datum]
Ich weiß nicht, ob ich so reden würde, wie Sie meinen Brief in dem Ihrigen reden lassen; aber es kommt mir sonderbar vor, daß ich zuhöre wie ich spreche und meine eignen Worte kommen mir fast fremder vor als fremde. Auch die wahrsten Briefe sind meiner Ansicht nach nur Leichen, sie bezeichnen ein ihnen einwohnend gewesenes Leben und ob sie gleich dem Lebendigen ähnlich sehen, so ist doch der Moment ihres Lebens schon dahin: deswegen kömmt es mir aber vor (wenn ich lese, was ich vor einiger Zeit geschrieben habe), als sähe ich mich im Sarg liegen und meine beiden Ichs starren sich ganz verwundert an.
Mein Vertrauen war freilich kein liebenswürdiges Kind, es wußte nichts Schönes zu erzählen, dabei flüsterten ihm die Umstehenden immer zu: Kind! sei klug! gehe nicht weiter vorwärts. Da wurde das Kind verwirrt und ungeschickt, es wußte nicht recht, wie man klug sei und schwankte hin und her. Darf man ihm das übel nehmen? Aber eigensinnig ist das Kind nicht, wenn es im Hause freundlich und gut aufgenommen wird, kehrt es sicher lieber um, als daß es länger auf der Straße verweile.
Sagen Sie mir nichts mehr von Ratschlägen, ich muß mich bei dieser Stelle Ihres Briefes immer auslachen, ich werde das Wort gar nicht mehr gebrauchen können; überdem erinnert es mich auch noch an Burzelbäume; ich habe niemals recht verstanden, was Sie damit sagen wollten, es war mir nur lächerlich, ohne daß ich wußte warum.
Ich kenne wenig Menschen und vielleicht niemand ganz genau, denn ich bin sehr ungeschickt, andere zu beobachten. Wenn ich Sie daher in einem Moment verstehe, so kann ich von diesem nicht auf alle übrigen schließen. Es mag wohl sehr wenige Menschen geben, die dies können, und ich wohl mit am wenigsten. Jetzt denke ich von Ihnen, es sei gut, Sie zu betrachten und erfreulich; aber man solle Sie nur betrachten wollen. Ist diese Ansicht wahr oder falsch?
Karoline.
- Karolines Verhältnis zu Clemens Brentano, dem Bruder ihrer Freundin, verglich sie selber mit dem »Interesse, das man an einem Kunstwerk haben kann». »Ich bin überhaupt nie weiter gekommen, als Ihre Augenblicke ein wenig zu verstehen. Von ihrem Zusammenhang und Grundton weiß ich nichts.» In seinem vorausgehenden Brief hatte Clemens einen wunderlichen imaginären Dialog mit einem Brief der Günderrode verfaßt. — Burzelbäume: Ratschläge — Radschläge.
Karoline von Günderrode an Friedrich Creuzer
[ohne Datum]
Der Freund ist in großer Unruhe, wie Sie die Einsicht in das Unmögliche, die Ihnen die letzten Briefe zeigen, ertragen werden. Sie haben gehofft, er selbst hat es dunkel geahnt, jetzt ist es auf einmal aus auf immer, das holde Licht verlischt auf den letzten Strahl. Wie werden Sie das empfinden? Werden Sie sich nicht wegwenden von einer Aussicht, die sich in trübe Nacht verliert.
Ich fasse die Änderung deiner Gesinnung nicht. Wie oft hast du mir gesagt, meine Liebe erhelle dein ganzes Leben, und nun findest du unser Verhältnis schädlich. Wie viel hättest du ehmals gegeben, dir dies Schädliche zu erringen. Aber so seid Ihr, das Errungene hat Euch immer Mängel. Ich darf dich auch bitten, anders darüber zu denken, doch nicht erweichen wollen, wie ich in meinem vorigen Brief tat. Es geziemt mir dieses nicht und könnte mir Vorwurf zuziehen. Und das muß ich berechnen, seit Schwarz vielleicht wieder Einfluß auf dich hat, denn nicht Liebe richtet mich allein, auch dieser, der mich nicht versteht. Mir ist, du seist ein Schiffer, dem ich mein ganzes Leben anvertraut, nun brausen aber die Stürme, die Wogen heben sich. Die Winde führen mir verwehte Töne zu, ich lausche und höre, wie der Schiffer Rat hält mit seinem Freunde, ob er mich nicht über Bord werfen soll oder aussetzen am öden Ufer?
Sieh, in solcher Lage fühle ich mich, doch mein Gefühl entscheidet nicht. Wenn du dich in Gefahr glaubst, rette dich, setze mich aus an das Ufer. Niemand kann es tadeln, ich selbst nicht. Wenn dem innigsten heiligen Leben Verderben droht, soll man es sicherstellen um jeden Preis. Ich
bitte, tue, was dir gut dünkt. Alles kann ich ertragen; heilig wie das Schicksalswalten ist mir, was du beschließt.
Wohl erwogen hatte auch ich mir einen Genuß und Gewinn von unserem Verhältnis, ich war um eines Menschen Liebe reicher und opferte nichts dafür auf, entbehrte nichts. Zwar weiß ich mich rein von jedem ungerechten Anspruch an dich, doch ohne daß ich es wollte, entriß ich dich deinen vorigen Verhältnissen. Du wurdest ein Fremdling in deiner nächsten Umgebung, als du eine Heimat fandest in meinem Herzen. So viele Opfer mußtest du mir bringen, wer weiß, wie viele, die ich nicht kenne. Natürlich fragst du endlich, wohin das führe? Du erblickst kein Ziel; darf ich dich aufhalten, wenn du umkehrst, die vernachlässigten Bande wieder neu aufknüpfst, darf ich es nur versuchen, nachdem du in deinem letzten Brief gestanden, dein Geist erlahme unter einem so schwankenden Verhältnis? So sehr ich schon lange fühle, ich gehöre dir an, dennoch habe ich dich mit Besonnenheit nie mein genannt. Solche Achtung hatte ich für andere Ansprüche, daß ich in diesem Sinn immer gehandelt. Daß ich durch mein schwankendes Betragen dich und mich hierher geführt habe, das mußt du mir vergeben, weil ich liebte. Ach so manches mußt du mir vergeben, du Einziger Teurer.
Glaube mir nicht, ich betrüge dich und mich mit heuchlerischer Entsagung, denn noch habe ich nicht den Gedanken recht gedacht, von dir verlassen zu werden. Nein, ich halte dich noch fest in meinen Armen, willst du entkommen, mußt du gewaltig dich losreißen.
Savigny wird, denke ich, bald zurückkommen.
Lassen Sie sich doch von Schwarz versprechen, daß er diesem nichts von uns sagt. Die Art, wie er dieses behandelt, ist mir so unangenehm. Wenn nur Schwarz sich überhaupt passiv verhalten wollte. Die Heyden hat ihn auch darum gebeten; er ist doch schuld, daß wir diesen Sommer nicht in Heidelberg sein können, und all sein Eifer kann uns doch nun und nimmer frommen.
Darf ich das nächste Mal nicht direkt schreiben? Vorsichtig, versteht sich, Sie können sich darauf verlassen. Legen Sie mir dies nicht als einen Mangel an Schonung aus. Ich denke, man weiß es doch, daß wir uns schreiben. Daß es indirekt geschieht, ist verdächtiger als geradezu, und ich fürchte, die Adresse von K kommt auffallend oft. Doch wie Sie wollen!
- Karoline von Günderrode hatte Creuzer, der an der Heidelberger Universität lehrte, im August 1804 kennengelernt. Der dreiunddreißigjährige Gelehrte, dessen »Symbolik und Mythologie der alten Völker» die späteren Forschungen Bachofens vorbereitete, war von wenig einnehmendem Äußeren, aber »er ist», wie Heinrich Voß schrieb, »von fast unwiderstehlicher Anmut, wenn man ihn aus der Fülle seines Herzens reden hört.» — Der Freund: Karoline selbst. — Schwarz: Professor der Theologie in Heidelberg, Freund Creuzers. — Savigny: der große Marburger Rechtsgelehrte, ein Schwager Bettina Brentanos, war mit Creuzer seit dessen Marburger Studienzeit befreundet. Karoline hatte ihn 1799 kennengelernt und leidenschaftlich verehrt. — Heyden: Susanne von Heyden, Freundin Karolines, Vertraute ihrer Beziehung zu Creuzer. — direkt schreiben: die Briefe zwischen Creuzer und Karoline gingen über Mittelsmänner wie Kayser, Heidelberger Philologe, später Universitätsprofessor (im Brief: K), aber auch Creuzers Gattin Sophie hatte Kenntnis von ihnen; die wenigen bekannt gewordenen Briefe der Günderrode an Creuzer sind nur in Sophies Abschriften erhalten.
Friedrich Creuzer an Karoline von Günderrode
[März 1806]
Deines letzten Briefes Ton hat mir einen tiefen Schmerz gegeben Lina! Dieses Resigniren kann nicht beruhigen. Du bist ein großes Wesen und stark und fromm. Ich fange es an zu fühlen. Du bist zu fromm für mich, ich verdiene Dich nicht — darum tritt das Schicksal so fest zwischen uns. So denk ich oft aber herrschend bleibt dieser Gedanke nicht, herrschender in mir ist der Stolz und der Gedanke daß ich Dich verdienen werde und die süse Hoffnung daß ich Dich gewinne. Hättest Du doch in meinen Augen lesen können als ich vorgestern nacht Deine zwei Sonette las. Wie bin ich doch so ganz Dein, wahrlich es bedarf solchen neuen Zaubers nicht mich zu fesseln. Aber wie süs ist dennoch dieser Zauber, wie schmeichelnd gleitet er ins Herz!
Du bist unerschöpflich an Poesie und Liebe. Liebe habe ich auch und ewige Liebe und Liebe ohne Maas, aber die Poesie wird mich ganz fliehen wenn ich Dich nur lieben darf, und nicht auch haben und bei Dir seyn und mich einwohnen in der Heimath deines Herzens. Ich bin nicht hoffnungslos aber traurig daß die Hoffnung dich zu besitzen immer abhängiger gemacht ist von der äußeren Macht des Zufalls und von dem Willen von Menschen die mich in ihrem Leben nicht einmal gesehen haben, und ich sie nicht.
Adieu tbeure, theure Seele — ich schreibe Dir nächste Woche mehr. Denke abends spät an mich, wie ich jeden Abend. —
Du antwortest mir niemals auf die Frage, ob Du gesund.
Es kann seyn daß ich (dieser Reise wegen) Savigny nicht sehen werde der wohl jezt hierherkommen wird. Es ist vielleicht auch so besser.
Karoline von Günderrode an Friedrich Creuzer
d. 22. März [1806]
Den vorigen Sonntag war ich den ganzen Tag allein zu Hause. Abends hatte ich etwas Brustschmerzen, und nicht nur war ich sehr ruhig darüber, ich möchte fast sagen, innig froh; ich dachte an alle mich umgebenden drückenden Verhältnisse, und da war mir der Gedanke, ihrer vielleicht bald entfesselt zu sein, sehr erwünscht. Zugleich dankte ich dem Schicksal, daß es mich so lange hatte leben lassen, um etwas von Schellings göttlicher Philosophie zu begreifen und, was ich noch nicht begriffen, zu ahnen, und daß mir wenigstens vor dem Tode der Sinn für alle himmlischen Wahrheiten dieser Lehre aufgegangen sei; denn ich gedachte jener Stelle aus Sophokles: »O der Sterblichen Glückselige, welche die Weihung erst schauten, dann wandeln zum Hades; denn ihr Anteil allein ist es, dort noch zu leben.» Auch deiner gedachte ich recht innig und freute mich, bei dir zu sein; denn ich hoffte, du müßtest wohl auch bald sterben. Dann fielen mir jene Sonette ein, die Sie mir einst schenkten; ich durchlas sie so gerührt, daß ich hätte weinen können.
Ihr Brief, den ich kürzlich erhielt, hat nachmittags mich so fremd angesehen, und ich konnte weder seine Sprache noch seine Blicke recht verstehen. Er ist so vernünftig, so voll nützlicher Tatlust und gefällt sich im Leben. Ich aber habe schon viele Tage im Orkus gelebt und nur darauf gedacht, bald und ohne Schmerz nicht allein in Gedanken, nein ganz und gar hinunterzuwallen. Auch Sie wollte ich dort finden, aber Sie denken andere Dinge. Sie richten sich eben jetzt recht ein im Leben und, wie Sie selber sagen, soll der Sinn unseres Bundes sein, »daß wir gerne gehen wollen, wenn die Natur uns abrufen wird» — welches wir auch wohl getan hätten, ohne uns zu kennen. Ich meinte es sehr anders, und wenn Sie weiter nichts meinten, so sind Sie ganz irre an mir und ich an Ihnen, denn alsdann sind Sie gar nicht der, den ich meine; erklären Sie sich also darüber, damit ich wisse, was ich von Ihnen zu hoffen habe. Die Freundschaft, wie ich sie mit Ihnen meinte, war ein Bund auf Leben und Tod. Ist Ihnen das zu ernsthaft? Oder zu unvernünftig? Einst schien Ihnen der Gedanke sehr wert, mit mir zu sterben und mich, wenn Sie früher stürben, zu sich hinunterzu-reißen. Jetzt aber haben Sie viel wichtigere Dinge zu bedenken, ich könnte ja noch irgend nützlich in der Welt werden. Da wäre es doch schade, wenn Sie Ursache meines frühen Todes sein sollten. Ich muß nun Ihrem Beispiele folgen und ebenso über Sie denken. Ich verstehe diese Vernünftigkeit nicht. —
Verzeihen Sie mir! Ich fühle wohl, wie überreizt ich bin; meine Art zu sein, muß Ihnen lästig werden.
Wissen Sie, welcher der Sinn unseres Bundes war, daß ich nicht länger ....
- Schellings göttlicher Philosophie: wie Goethe und Jean Paul die Dichter waren, die Karoline am meisten las, so waren Herder und Schelling Leitbilder ihres Denkens. Mit Schelling sah sie in der Natur und im Mensehen dieselbe schaffende Kraft, die im Menschen »zu sich selbst» kommt. — nicht länger . . . .: die Abschrift des Briefes bricht hier ab.
Ludwig Achim von Arnim an Bettina Brentano
Göttingen, 27. August 1806.
Der sanfte blaue Blick der armen Günterode begegnet mir sicherer, nun Sie nicht mehr sprechen kann, sie sieht freyer und ohne Zurückhaltung in die Welt, wir fühlen uns enger befangen, schlagen die Augen nieder und an unsre Brust, wir konnten ihr nicht genug geben, um sie hier zu fesseln, nicht hell genug singen um die Furienfackel unseliger, ihr fremder Leidenschaft auszublasen. Ich sage wir — und doch war ich ihr gar zu nichts, aber ihr doch recht gut, und von dem Morgen wo ich ihr das Wasser in die Augen spritzte, von dem Nachmittage, wo sie so lachend kämpfte den Dolch zu verbergen, den Sie aus dem Schranke hervorsuchten, womit wir spielten, recht wie Kinder mit dem Feuer, das ihr Bette ergriffen, bis zu unserm Umstürze, wo ich sie in meinen Armen gen Himmel hielt und bis zu dem Abschieds Abende, in Ihrem Hause, wo sie so hübsch aussah, daß wir uns alle verwunderten, in all der lieben, fröhligen Zeit war sie so mit wirkend zu allem Spiel, so sanft vertheidigend gegen die kritische Pflichtbosheit der censirenden Pädagogik von Clemens, daß ich immer bey ihr auf das Lamm komme, daß nichts mehr zu opfern hatte und sich nun selbst opferte. Schauderhaft ist mir die Section des Arztes gewesen, der ihren Tod aus dem Rückenmarke gelesen, so etwas ist doch nur zu sagen möglich bey dem versunkenen Zustande dieser Wissenschaft, zu der kein Arzt und kein Kranker zum Arzt mehr Zutrauen hat. Mit der weichen, schwachen Hand solche Gewalt, um einem drückenden Lebensverhältnisse zu entgehen, das wohl so einem vereinsamten, gereitzten Ge-müthe im Augenblicke unendlich hoffnungslos scheinen mochte, das ist mehr Lebenskraft als der vortrefliche Arzt verstehen wird, wenn er auch hundert Jahr darüber alt würde. Wer so etwas mit fremden Augen ansieht, der muß sich auch einen fremden Grund denken, er denkt die Krankheit hat einen Arm vorgestreckt um zu vernichten, was sie nicht entstellen mochte, die gemeinste Bemerkung spricht dagegen, daß kein Gesunder so an jeden verlängerten Augenblick des Lebens hängt als alle abzehrenden Kranken. Fort also mit dieser entsetzlichen Erklärungswuth, was in sich so klar ist ohne Anspruch zu machen, gut oder böse seyn zu wollen, sondern lieber wie ein Bergschatten in die Tiefe des Rheins zu verlöschen. Ich weiß nicht, wie nahe Sie sich ihr verbunden fühlen, die Äußerung ist so beschränkt durch zufällige Veranlaßung, daß darüber kein andrer meinen sollte; wahrlich gehöre ich auch nicht zu denen, die andrer Menschen Zuneigungen herabsetzen mögen, es ist ja endlich unser einziger Trost, wo uns Menschen verschwinden, sie recht geliebt zu haben, so lange sie unter uns. Doch meine ich, Sie äußerten damals, ihr näher in Beschäftigung, Richtung, Ansicht und Austausch von Kenntnissen, als durch eigentliches Anschließen an ihr einzelnes eigenthümliches Wesen verbunden zu seyn; denn das ist doch wohl das eigentliche Wesen der Freundschaft, nicht zu lieben den einzelnen Moment, der bezwingt, sondern die göttliche Kraft in allem zu erkennen, die den Gleichgültigen nur im einzelnen Momente überrascht. Ja ich möchte Sie durch sich Selbst trösten und erfrischen, ich möchte sagen, wie der Christ die Wahrheit seines Glaubens an einen Kampf auf Leben und Tod setzt, der Physiker sein mühsames Lebenswerk an ein Experiment, so scheint Ihnen nur die Ansicht der Natur durch den Tod der Freundin, mit der Sie so wahr und so launig wie mit der Natur spielten, verändert, zerrissen, sie glauben dadurch manches gelernt zu haben, es trennt sich von uns nur, was uns fremd war. Es ist hierin kein Vorwurf, sie hatten diese schöne Aufrichtigkeit es ihr zu sagen, vielleicht daher dieses Zurückstoßen in der letzten Zeit, wo sie mit sich ganz einig seyn wollte und jene himmlische Freundschaft finden, die auf Erden einzelne Glückliche zusammen belebt, und mit ihren Sinnen und mit ihren sterbenden Wurzeln den Boden nicht verschließt, sondern auflockert, auch der Dolch wird in diesem himmlischen Elemente zur Pflugschaar, die Unthat zum bösen Traume, über den wir uns die thränenden Augen auswischen und die That darin erkennen, sie weder vernichten noch darüber richten — dazu ist keiner bestellt. Auch ich verlor einen Schulfreund und tägligen Bekannten auf gleiche Art vor sieben Jahren in Halle, lief nach ihm über die beschneiten Berge durch die strudelnden überschwemmten Wege, ein Fremder fand ihn, er hatte sich selbst erschossen, idi fühlte es, wie mir alles unerwartet schrecklich, daß der Zufall des Zusammenlebens nicht nothwendiges Vertrauen uns verbunden, aber das tröstete mich freilich auch nicht.
Das Zweifelhafte aller Zukunft hält mich hier noch fest; wäre nicht diese Qual, die immer in veränderter Gestalt sich bey mir einschleicht, bey jedem Zeitungsblatte meine Adern stocken läßt und den Athem hemmt, ich könnte sagen mir zum Genuß. Meine alten Bekannten haben midi nicht vergessen, fünf Jahre des Herumstreifens haben midi empfänglicher gemacht für manche wunderliche Seelen, die ich sonst nur wie eine Curiosität einmal betrachtete, Wünsche rauben mir nicht mehr den Genuß des gewährten, gegenwärtigen; habe ich in der Wissenschaft verloren, so bin ich doch verständiger geworden; in der Bibliothek arbeite ich jezt gerade in dem entgegengesetzten Winkel wie sonst, die Bibliothekare lachen immer darüber, also etwas weiter bin ich auch da gekommen. Clemens, der mir Ihre Nachrichten von der Günterode schickte, ich erhielt audi Ihren Brief einen Tag vorher, sdireibt mir von einer Kunstwelt, wohin ich mich begeben soll, Sie tragen mir auf, mit der Welt Ball zu spielen. Woher wissen Sie, daß die Erde rund? Mir scheint sie ziemlich scharf und spitzig. Die Erde soll sich auch drehen, mir steht sie fest und die Sonne geht mir noch auf und unter, und in den ersten Flammen des Frühlings brennt mir noch aller Transcendentalismus wie ein Freudenfeuer rein auf, das Thier haart sich, der Mensch enthäutet, und diese ganze Masse abgestreiften Todes hindert die Erde nicht, daß sie grün wird. Wir wollen nicht die faulsten seyn, und schlafen liegenbleiben: drum dein Stimmlein laß erschallen, denn vor allen kannst du loben Gott den Herren hoch dort oben. Ich entsage nicht der Hoffnung, Sie recht bald zu sehen;
ihr ewig naher Ludwig Achim Arnim.
- Karoline von Günderrode hatte sich am 26. Juli 1806 auf dem Landgut ihrer Freundin Lotte Serviere in Winkel am Rhein erdolcht. Creuzer hatte ihr während einer schweren Krankheit, in der ihn Sophie Creuzer aufopfernd gepflegt hatte, über Freunde einen Abschiedsbrief zukommen lassen, den sie durch Zufall unvorbereitet empfing. Arnim suchte Bettina den Verlust der Freundin leichter zu machen, indem er ihre Freundschafl als weniger herzlich darstellte, als sie tatsächlich gewesen war. Bettina selber hatte ihm geschrieben: »ich werde den Schmerz in meinem Leben mit mir führen, und er wird in viele Dinge mit einwirken, es weiß keiner, wie nah es mich angeht, wieviel ich dabei gewonnen und wieviel verloren habe. Ich habe Muth dabei gewonnen und Wahrheit, vieles zu tragen und vieles zu erkennen; es ist mir auch vieles dabei zu Grund gegangen, ich werd mich nicht so leicht mehr an den einzelnen fesseln, ich werd mich wohl an nichts mehr fesseln, und um dieses werd ich oft mit Schmerz und Trauer zu ringen haben. —» — Zurückstoßen in der letzten Zeit: zwischen den beiden Mädchen war es, nicht zuletzt wegen Karolines Verhältnis zu Creuzer, zu einer Entfremdung gekommen. — Das Zweifelhafte aller Zukunft: der bevorstehende preußisch-napoleonische Krieg.
Johann Gottfried Herder
Abschied des Einsiedlers
Erde, du meine Mutter, und du mein Ernährer der Lufthauch Heiliges Feuer mir Freund und du, o Bruder, der Bergstrom, Und mein Vater, der Äther, ich sage euch allen mit Ehrfurcht Freundlichen Dank; mit euch hab ich hienieden gelebt
Und ich gehe zur andern Welt, euch gerne verlassend, Lebt wohl denn, Bruder und Freund, Vater und Mutter lebt
wohl!
- Die Verse entstammen der Herderschen Übersetzung »Gedanken einiger Brahmanen», wo sie dem Inder Bortbuherri zugeschrieben sind. Karoline von Günderrode schrieb sie mit einigen schönen Varianten, am Tage ihres Todes aus dem Gedächtnis nieder; sie wurden zu ihrer Grabschrift.