Die Salongeselligkeit in Frankreich ist vielfach beschrieben worden. Untersuchungen galten der Zusammensetzung der einzelnen Zirkel, den Gründen ihres Entstehens oder Verfalls und dem Geist der Gäste, die, geschart um eine Frau, die Gesamtheit ihrer Lebensformen zu kultivieren und zu kodifizieren sich bemühten. Dieses Geselligkeitsideal, das die Beteiligung und Berücksichtigung der Frauen zur Voraussetzung hatte, wurde schon im 17. Jahrhundert, etwa von de Pure oder Huet, mit Stolz als eines der Argumente angeführt, mit denen die Überlegenheit des neuzeitlichen Frankreich über die Antike und sogar über Italien begründet werden sollte. Doch ist die Frage bislang nicht gestellt worden, wie innerhalb dieses Rahmens die Frauen den Part einer allein schmückenden Anwesenheit verweigerten und die Prüfung der über ihr Geschlecht verfügten Normen, Ordnungen und Leitbilder in Angriff nahmen.
Über Gesprächsspiele und Konversation eroberten sie die ihnen verschlossenen Bildungsreservate und schließlich auch die Literatur. Diese gedieh im Schutz einer ständischen Elite, die auf die politische Bedrängung nicht zuletzt dadurch offensiv zu antworten suchte, daß sie den Frauendienst auf ihre Fahnen schrieb. Gemeint ist der Schwertadel, dessen Entmündigung mit dem Ende der Fronde besiegelt war. Bedroht von den zentralistischen Bestrebungen der Krone und von einem Bürgertum, dessen humanistisches Bildungsgut und materielles Vermögen im Sinne eben dieses vorabsolutistischen Antifeudalismus aufgewertet wurden, besann sich die alte Aristokratie auf den Geist des mittelalterlichen Rittertums, um neuerlich den einstigen Führungsanspruch zu rechtfertigen. Die Frauen, die innerhalb der aristokratischen Salonkultur zu Schriftstellerinnen wurden, hatten, sofern nicht geburtsmäßig zum Adel gehörend, sich dessen Weltsicht weitgehend zu eigen gemacht. Mlle de Scudéry etwa verurteilte zwar die Fronde, doch entschiedener noch empfahl sie in ihren Novellen aus der Zeit des triumphierenden Absolutismus dem herrschenden Monarchen den Fürstendienst des Schwertadels, und schon im Grand Cyrus hatte sie die politischen Entscheidungen des legendären Königs der keltischen Segorigiens an den Spruch eines Kronrats gebunden, der von den weisen Sarroniden oder Druiden gebildet wurde. Wer indes hier den restaurativen Verrat am bürgerlichen Fortschritt argwöhnte, ginge in die Irre. Die Druiden nämlich sind Vorboten der Aufklärung. In einer Zeit zunehmenden Drucks der französischen Krone auf die Hugenotten legte die Autorin, gut ein halbes Jahrhundert vor Voltaire, diesen »Philosophen« das Bekenntnis zu einer deistischen Toleranz in den Mund. Sie zwingen ihren König zur Integration der andersgläubigen griechischen Minderheit mit der Berufung auf das Volk der Untertanen, dem die Obrigkeit die Mehrung von Frieden, Wohlstand und Wissenschaften schulde. Dieselbe Bürgerin kündigte allerdings für ihr Geschlecht dem paternalistischen römischen Recht, das in Frankreich, beginnend mit dem Mittelalter und weiter bis zu ihrem Jahrhundert, fortschreitend die Macht des Mannes gestärkt hatte, symbolisch die Gefolgschaft auf Ebenso widersetzte sie sich der latenten oder offenen Misogynie jener standesgleichen männlichen Autoren, die auf der Seite der Antikeanhänger (»Anciens«) mit dem ungeprüften Katalog weiblicher Untugenden jedem Aufbegehren gegen die verordnete und fungible Rolle der dem Hauswesen bestimmten Ehefrau und Mutter (»mulier domestica«) den Boden zu entziehen suchten.
In der Salonkultur fanden und nutzten die Frauen einen gesellschaftlichen Fluchtraum, der, ohne um ihretwillen gesucht und besetzt worden zu sein, ihnen ein unvordenkliches Ausmaß der Freiheiten gewährte. Die im gemeinschaftlichen Gespräch gewonnenen Einsichten einer Elite beider Geschlechter, für die das reduktive bürgerliche Ideal der »mulier domestica« außer Kraft gesetzt war, haben für die Geschichte weiblicher literarischer Selbstfindung eine die Zeiten überdauernde Gültigkeit. Daß sie in einer bürgerlichen Welt und Wissenschaft unrezipiert blieben, sollte nachdenklich stimmen. Wäre es denn möglich, daß die Sache der Aufklärung da, wo sie eine weibliche ist, von den männlichen Erben der Revolution anhaltend als unbequem empfunden würde und daß das Selbstbewußtsein des siegreichen Standes nicht ausreichte, auf die Herausforderung des bezwungenen Feudalismus hinsichtlich des den Frauen gewährten Schutzes und geistigen Freiraums überlegen zu antworten?
In einer Zeit, da der Begriff der Eliten mehr denn je sich der Anfechtungen zu erwehren hat, erinnert diese Darstellung an jenen verschwiegenen Fortschritt, den, wie es scheint, nur eine Elite - theoretisch - hat erstreiten können. Die Legitimation wird zunächst bereits dadurch geliefert, daß die kaum bekannten femininen Texte den Wissensstand über eine kulturgeschichtlich bedeutsame Epoche, die man jahrhundertelang unter dem mythischen Begriff der Klassik betrachtet hat, notwendig vervollständigen. Die Autorinnen, die durch ihre Standeszugehörigkeit über materielle Bedrängnis hinausgehoben sind, entwerfen die Utopie einer von fremder Verfügung erlösten Gesellschaft. Ebenbürtig in Bildung, Würde und Selbstwertgefühl wählt in ihr die Frau den Mann zum Freunde, nachdem die eine ihre eigentliche Identität zu finden, der andere diese zu respektieren lernte. Daß das Ideal eines gleichberechtigten Friedens zwischen den Geschlechtern mit solchem Scharfsinn und Mut entwickelt wurde, hat nicht zuletzt Hochmut, in jedem Fall aber Selbstbewußtsein zur Voraussetzung. Dieses konnten nur die Frauen besitzen, die durch ihren Stand gegen die jahrhundertelange vielfältige Dämonisierung ihres Geschlechts gefeit waren. Sie - wie einst in ihren Zirkeln - zum Sprechen zu bringen, bedeutet, daß jene wirkungsgeschichtlich verdrängten Anliegen einer weiblichen Aufklärung vor der Erfahrung der Gegenwart sich prüfen lassen können.
Die selbstverständliche und gleichwertige Mitwirkung beider Geschlechter erscheint, angesichts der Unversöhnlichkeiten und des Sektierertums späterer Jahrhunderte, ein bedenkenswerter kulturgeschichtlicher Schatz. Diesen Schatz zu heben oder wenigstens zu bestaunen, sollte heute um so leichter sein, als, alles in allem genommen, die Lebenswirklichkeit einem ebenbürtigen Umgang zwischen den Geschlechtern günstiger ist denn je zuvor. Insoweit ist die Relevanz der Salonkultur und der aus ihr hervorgehenden femininen Schriften mit dem Hinweis auf den Unterschied der gesellschaftlichen Rahmenbedingungen schwerlich zu bestreiten. Deren jeweilige Rekonstruktion ist allerdings zum Verständnis der Texte, ihrer Fragestellungen und Antworten unverzichtbar. Die Untersuchung stützt sich auf das Werk von Schriftstellerinnen, die verschiedenen Ständen und unterschiedlichen Zirkeln angehörten. Mlle. de Scudéry besuchte das Hôtel de Rambouillet, wo sich etwa zwischen 1624 und 1648 der oppositionelle Hochadel versammelte, bis sie im nächsten Jahrzehnt einige seiner Gäste und neue bürgerliche Freunde bei ihren »Samstagen« im Marais empfing. Der gesellige Umgang war in beiden Salons durch anspruchsvolle Unterhaltungen und Gesprächsspiele gelenkt, die am Muster literarischer Werke (u. a. Astrie, Amadié) das Improvisieren von Geschichten, Portraits, liebeskasuistischen Debatten, Sprichwortspielen, Maximen, Rätseln, Lotterien, Devisen oder allegorischen Karten lehrten. Die Mündlichkeit der »jeux d'esprit« bedeutete für einige der an ihnen beteiligten Frauen den Weg in die Mündigkeit. Mit ihren Werken führten sie die Gesprächs- und Spielkultur der Salons in die literarische Reihe zurück, aus der diese ihren Anfang genommen hatte. Mlle. de Scudéry verewigte beide Zirkel in einer Chronik. Mlle. de Montpensier, die Cousine Ludwigs XIV, war umgeben von Freunden des hohen Adels, die sie mit verschiedenen Formen des Portraitierens unterhielt. Gegen Jahrhundertende blühte in einigen Salons der »Modernen« die von der Comtesse d'Aulnoy beherrschte Mode des improvisierten Feenmärchens.
Die Revisionon der weiblichen Leitwerte und das neue Ideal der Bildung
Ein zentrales Thema der Frauenliteratur des 17. Jahrhunderts ist die Verbesserung der weiblichen Erziehung und Bildung. Voraussetzung dafür war die Wirksamkeit des gegenreformatorischen Bildungsimpulses, die es darum vorab darzustellen gilt. Im späten 16. und frühen 17. Jahrhundert verschärfte sich in Frankreich die Spannung zwischen der Kirche in Rom und der weltlichen Macht um Begriff und Form der Ehe und, in der Folge, um die Stellung und Bestimmung der Frauen und die Erziehung der Töchter. Das Konzil von Trient hatte sich dem Drängen der französischen Krone auf Annullierung heimlich, d.h. ohne elterlichen Konsens geschlossener Ehen mit dem Dekret Tametsi (»prohibuit tametsi non annullavit«) widersetzt und sich auf das Verbot beschränkt. Dies bedeutete für den Ständestaat und die ihn gewährleistende Reinheit der Familien keine hinreichende Sicherung. Um den Vertragscharakter der Ehe zu festigen, verfügte darum die Krone eine Reihe von straf- und zivilrechtlichen Verordnungen, die die Liebesheirat da, wo sie eine Mesalliance war, der Entführung gleichstellte und entsprechend ahndete. Die gallikanischen Parlamentsjuristen verkehrten damit, im Sinne einer Stärkung von Familie und Staat, von väterlicher und königlicher Autorität, die moraltheologischen Grundsätze des Tridentinum in ihr Gegenteil und setzten eine säkulare Ehekontrolle in Gang, die anverwandelt in den Code Civil übernommen wurde. Auch die Verbreitung derjenigen Dekrete, mit denen das Konzil die Ehefrau vor physischer Gewaltanwendung zu schützen und einem von ihr vorgebrachten Trennungsbegehren kirchengerichtlich stattzugeben erlaubte, wurde durch dieselben Juristen erheblich erschwert. Unangefochten blieb die Praxis väterlicher Heiratsverfügungen und Klostereinweisungen gegenüber den Töchtern, obwohl Rom mit dem Sakramentscharakter der Ehe auch die Freiheit der religiösen Berufungen bestätigt und im Zusammenhang damit das gültige Ältestenrecht, das im Adel die Töchter und jüngeren Söhne auf geringfügige Entschädigungen beschränkte, abgelehnt hatte.
Als die wirkungsvollste aufklärerische Leistung des Tridentinum ist indes der von diesem ausgehende Bildungsimpuls anzusehen. Hier deckten sich die Interessen von Klerus und Monarchie, insoweit es beiden um die Rückeroberung reformierten Territoriums ging. Nachdem im Dekalog nur die Gehorsamspflicht der Kinder betont worden war, übertrug die kirchliche Ethik im frühen 17. Jahrhundert den Eltern deren moralische, religiöse und schließlich auch weltliche Erziehung. Den Pfarrgemeinden wurde die Gründung von Primarschulen (»petites écoles«) aufgegeben, die den Evangelisierungsauftrag des Konzils für breite Bevölkerungsschichten einlösen sollten. Eine Gnadenlehre, die auf dem freien Willen gründete, setzte zwangsläufig voraus, daß die Menschen über die Schulung ihres Verstandes allererst in die Entscheidungsfähigkeit versetzt wurden. Neugründungen und Reformen von Orden und Klöstern, die in fortschreitendem Maße ihre Lehrprogramme auch für die weltliche Unterweisung öffneten, bildeten den institutionellen Rahmen für den gegenreformatorischen Erziehungsauftrag. In der kirchlichen Dogmatik allerdings wurde anhaltend die Überzeugung von der gottgewollten Inferiorität der Frau verfochten und damit ihr Ausschluß von Bildung und Wissen in traditioneller Weise begründet und legitimiert.
Die Mädchenerziehung blieb im Vergleich zu der der Knaben um etwa ein Jahrhundert zurück, da in Frankreich die ursprüngliche Absicht, mit den Ursulinen einen den Jesuiten entsprechenden weiblichen Lehrorden zu gründen, an dem erst gegen Jahrhundertende aufgehobenen Ausgehverbot für die Nonnen scheiterte. Auch das öffentliche Unterrichtswesen verfestigte das allgemeine Bildungsgefälle der Geschlechter. Da die Lehrtätigkeit der Frauen an den Primarschulen schlechter dotiert wurde als die der Männer, war die Zahl der Schulen für Mädchen und damit der Prozentsatz ihrer Alphabetisierung erheblich geringer. Keines der für die interne Klostererziehung entwickelten Lehrprogramme hält dem Vergleich mit dem externen Sekundarunterricht der Knabenkollegien, auf den dann noch die Universitäten folgten, stand. In der Elite jedoch hatte sich Entscheidendes verändert. Die Töchter und Frauen höherer Stände begegneten auf weltlicher Seite neuen pädagogischen Instanzen: Mme de Sévigné war ihrer Tochter, Mme de Grignan, eine verantwortungsbewußte und vorbildliche Mutter, und sie bestimmte noch im hohen Alter der Enkelin Pauline die Lektüren. Sie selbst fand in Corbinelli, wie andere im Chevalier de Méré, den anspruchsvollen Privatlehrer. Als stilistischer Berater begleitete Ménage die ersten literarischen Versuche von Mme de Lafayette. Dem Sekretär Segrais, der als Spielemacher, Vorleser und Autor sie selbst und ihre Gesellschaft unterhielt, verdankte Mlle de Montpensier manche Anregung und Korrektur. Während kirchlicherseits die Orden mit Armenpflege, Mission und Unterricht den Frauen eine bemerkenswerte Freiheit der Betätigungen eröffneten, wurde doch die eigentliche Stätte ihrer weltlichen Bildung der Salon.
Dort war die Erziehung der Frauen ein stets neu erörtertes Thema, zusammen mit dem Begriff der »bienséance«, an der sie sich zu messen hatte. Die aristokratische Norm des Schicklichen hatten die Frauen als die ihnen gemäße Form des »honnéteté«-Ideals zu verinnerlichen gelernt, und sie behielt für sie Gültigkeit, wo sie ihnen gebot, das erworbene Wissen oder die im Schreiben durchschimmernde handwerkliche Anstrengung zu verbergen. Die hochgebildeten oder gar gelehrten Frauen - Mme de La Sabliére, Christine von Schweden, Anna Maria v. Schurman - blieben legendäre Ausnahmegestalten oder wurden Opfer satirischen Spotts. Daß die »femme savante« wie der Pedant ein Sozialtypus war, den die Lachgemeinschaft der Komödie ausgrenzen durfte, war eine von beiden Geschlechtern geteilte Überzeugung. Mme de Lambert jedoch, die in den Gesprächen ihres Salons und in Schriften an Sohn und Tochter die Erziehungsfrage behandelte, erkannte die gefährliche Wirkung des gleichnamigen Stücks. Sie machte Moliére zum Vorwurf, daß er auch die »unschuldigen Freuden« weiblichen Bildungsbemühens der Lächerlichkeit ausgeliefert und insoweit ein gängiges Vorurteil verfestigt habe. Da sie eine Veröffentlichung ausschloß, klagte sie die Männer unumwunden an, die Frauen auf sich selbst zu verweisen, seit Jahrhunderten ihre Erziehung zu vernachlässigen - als seien sie, die Hälfte der Menschheit, eine Gruppe für sich - und ihnen Wissenschaften und Künste vorzuenthalten. Der Tochter empfahl sie, nach dem Beispiel von Mme de La Sabliére, die Boileau in der Frauensatire (X) als Gelehrte verhöhnt hatte, Latein zu lernen und sich die Wissenschaften zu erschließen. Für sie hatte sich »das, was man >bienséance< nennt«, zu einem Instrument gegen die Frauen verkehrt, gefügig, wo es darum ging, ihrem Geist die Flügel zu stutzen und seine produktive Betätigung zu verhindern (Réflexions (um 1700), 160-165, 172; Avis (um 1698), 15). Eitelkeit, Koketterie, Verführbarkeit und andere Schwächen, die nach La Bruyére den Frauen angeboren sind und sie zu gelehrter Bildung unfähig machen (Des femmes (1688), 126), sind für Mme de Lambert erst die Folge einer männlichen Bildungsbehinderung, wie sie derselbe Autor ausdrücklich bestritten hatte.
Die Schicklichkeit als Mittel weiblicher Unterdrückung zu deuten, wagte auch Mme de Maintenon: Frei seien allein die Männer, schrieb sie an eine ihrer Klassen, und diese Freiheit mache ihnen niemand streitig, da sie sich über die »bienséance« hinweggesetzt hätten, während ihr Geschlecht dem lebenslangen Gehorsam bestimmt sei (1700, 160161). Auf männlicher Seite hat allein Poullain de La Barre, der die cartesianische Kritik des Vorurteils auf die Frauenfrage anwandte und die Vertreibung der Frauen aus der natürlichen Gleichheit unter den Menschen anprangerte, ihren fortwährenden Ausschluß aus Würden und Wissenschaften damit begründet, daß ihnen, mit dem Recht des Stärkeren und im Namen der »bienséance«, die intellektuelle Erziehung versagt worden sei (1673, 208-235).
Es war vor allen anderen Mlle de Scudéry, die in der Gestalt der Sappho ihrem Geschlecht das geraubte Terrain zurückeroberte (»Histoire de Sapho«, Cyrus X, bes. 331-406). Hand in Hand damit ging die Aufklärung über die falschen und richtigen femininen Leitwerte und der Appell zu allseitiger Selbstkorrektur. Wo der Mann auf die Teilung des Bildungsbesitzes und auf die Rolle des plaudernden Lehrers sich zu verpflichten hatte, mußte die Frau die bequeme Untätigkeit und die törichten Geschäfte gegen die ungewohnte geistige Anstrengung eintauschen. Dieser selbst setzte die hochgebildete Autorin keine Grenzen, wohl aber den Formen, in denen sie in Erscheinung trat. Im Unterschied zu der Epigonin Damophila, die von spezialisierten Hauslehrern ihren grenzenlosen Wissensdurst stillen und sich Verse schreiben läßt, um ihre Gelehrsamkeit dann in Zitat und Disput zu demonstrieren, verbirgt Sappho die heimlich gelesenen Bücher und ihr aus ihnen erworbenes profundes Wissen. Ihr Gespräch ist ein angenehmes Plaudern, das ihr die Frage, nicht aber die kenntnisreiche Antwort erlaubt. Dem Ruf der Gelehrten oder des Schöngeistes zöge sie den der Analphabetin vor. Wenn Sainte-Beuve die Autorin die beste Kritikerin ihres Geschlechts und ihr Bildungsideal für die Frauen erfreulich bescheiden nannte (Galerie, 77-95), wenn jüngst R Hoffmann die von ihr entworfene vollkommene Weiblichkeit im Einklang sah mit dem Urteil aller männlichen Moralisten (57), wurde ein offenbar anhaltend unbequemer Argumentationszusammenhang entstellt oder verkürzt. Die intellektuelle Bescheidenheit der Sappho/Scudéry nämlich ist ihr Schutz vor der »öffentlichen Dummheit und Verfolgung, der all die Frauen ausgesetzt sind, die, wie sie, unglücklicherweise den Ruf haben, sich auf mehr zu verstehen als auf Locken und Bänder« (X, 363).
Mit der Karikatur der Damophile zeichnete bereits Mlle de Scudery ein satirisches Zerrbild der Preziösen, das in der zeitgenössischen Kritik, die in dieser Weise das Preziösentum selbst darstellte, beharrlich verschwiegen wurde. Indem sie Sappho sich ausdrücklich zu dem Leitwert der »bienséance« bekennen ließ, den die Epigonin so offensichtlich verletzte, suchte die Autorin denen zuvorzukommen, die jegliches weibliche Kultivierungsbemühen der Lächerlichkeit zu überantworten trachteten. In der Gestalt der Tullie ihrer Clelie machte sie der Schicklichkeit jedoch den Prozeß (II, 862-882). Diese stolze Amazone wäre, könnte sie wählen, »lieber Soldat als Prinzessin« (11, 874-875), und Tarquin gibt ihr recht: Aus dem Soldaten könne ein König, als Frau hingegen könne man niemals frei werden. Allein die Vestalinnen (d.h. die Ordensfrauen) erlangen nach Tullie eine gewisse Stellung und Anerkennung. Auf weltlicher Seite beanspruche diese der Mann. Als Vater verweise er die unverheiratete Tochter in den erbärmlichen Stand einer Sklavin, der nicht einmal die Wahl ihres Herren gestattet sei. Den gängigen Ehemann portraitiert sie wie später Moliére den lächerlichen Arnolphe seiner Ecole des femmes: Von den Frauen schätze er diejenige am meisten, die den geringsten Gebrauch mache von ihrem Geist. Gewaltsam eingebunden in ein Netz der Vorkehrungen und Zwänge, in der Weltabgeschiedenheit zurückgehalten und bei jedem Schritt bewacht, habe sie zu lernen, ihre Blicke zu kontrollieren, das angenehme Gespräch zu meiden und ihre Leidenschaften zu bezwingen, da ihr weder Liebe noch Haß oder gar Ehrgeiz zu fühlen erlaubt, allein der Gehorsam geboten sei. Wie später Amilcar (III, 107-108) stellt Tullie die patriarchalische Bevormundung der Frauen und die damit einhergehende weibliche Ignoranz als eine Besonderheit des römischen Rechts dar. Die beschämende Unterwerfung habe sich durch die Tyrannei der Gewohnheit und »bienséance« verfestigt, und letztere hole die Frauen um so unerbittlicher ein, je mehr sie durch Verstand und Erkenntnis ihres Status bewußt würden.
Der unstreitig negative Part dieser Heldin im Gesamtgeschehen der Handlung darf von dem Gewicht, das Mlle de Scudéry ihrem flammenden Plädoyer beimaß, nicht ablenken. Fadenscheinig sind die Einwände, die Tullie entgegengehalten werden, und sie stützen sich auf eben jene weiblichen Scheinwerte, deren Widerlegung das ganze literarische Werk der Autorin wie ein roter Faden durchzieht. Der Prince d'Ameriole sucht, wie später der Fürst von Karthago (X, 796), Tullie mit dem Topos der Schönheit und der in ihr gründenden Macht der Frau über den Mann zu beschwichtigen. Auch ihre Schwester sieht darin einen der Vorzüge ihres Geschlechts, der um den zu vermehren sei, daß diesem die Bemühung um Bildung und Mut erlassen werde, bedürfe es doch lediglich einer gewissen Anmut, mittelmäßigen Geistes und großer Bescheidenheit, um eine »honneste femme« zu sein. Den Antagonismus von Schönheit und Bildung hat Mlle de Scudéry schon in der ersten ihrer Schriften entwickelt. Die Zenobia der Femmes illustres (1642-1644) klagt in ihrer Rede an die Töchter über die »höfischen Schmeichler«, die sie in Versen besungen und dabei ihren Teint mit »Lilien und Rosen«, die Zähne mit orientalischen Perlen, die Augen mit der Sonne und sie selbst mit Venus verglichen hätten (1644,I, 118). Die Kritik gilt der unverbindlichen Rhetorik und Metaphorik des männlichen galanten Portraits. Allein das moralische Portrait, das ihre Tugenden würdigt, sei die der Frau als beschriebenem Objekt angemessene Form. Der Preis ihrer Schönheit, so erklärt wenig später Sappho (Sapho à Erinne (1644) I, 421-442), werde nicht dieser, sondern den sie besingenden Dichtern zum Nachleben verhelfen. Die von ihr angesprochene Erinna soll sich aus der »falschen Scham« (423) ihres Geschlechts befreien und selbst schreiben. In der Schönheit den Vorzug der Frauen zu sehen, scheint der griechischen Dichterin die Voraussetzung dafür, daß Künste, Literatur und Wissenschaften männliche Reservate bleiben. Nur wenige Jahre seien dieser beschieden, während diejenigen Dinge der Schöpfung, die allein um des Schmückens willen geschaffen seien - Gold, Perlen, Diamanten und der stets sich verjüngende Phoenix - ewig währten. Die über beide Geschlechter gleichmäßig verteilten Gaben - Phantasie, Scharfsinn, Gedächtnis, Urteilskraft - müßten bei den Frauen um so mehr den schönen Künsten zugute kommen, als die Kraft der Männer sich in Amt und Herrschaft verzehre. Sie verkümmern zu lassen, wäre ein Undank an die Schöpfung. Minerva und die Musen sollten ihnen beistehen, wenn es gelte, den männlichen Widerstand gegen ihre literarische Tätigkeit zu überwinden, die ihre Grenzen erst bei »den schwierigen Pfaden der dornigen Wissenschaften« (434-435), besonders der Philosophie, zu finden brauchte. An die Ufer des Permessos soll Erinna der Lehrerin folgen, um den Hain und die Quellen, die Liebesklagen oder die Tugend zu besingen und sich als Subjekt der Dichtung und nicht als Objekt eines fremden Blicks zu verewigen.
Im Grand Cyrus wird die Schönheitsthematik vertieft. Die schöne und geistvolle Parthenie (Grand Cyrus VI, 69-285) wählt aus der großen Schar ihrer Anbeter den Prince de Salamis zum Mann. Eheliche Gewöhnung und Besitz lassen ihn ihrer überdrüssig werden und nach anderen Schönen Ausschau halten. Mit seiner Liebe verliert sie die Schönheit, ein Grund mehr für ihn, sie zu quälen. Der Fürst rechtfertigt seinen Verrat, indem er die Schönheit mit einem Parfum vergleicht, das man bald nicht mehr wahrnehme. Die Verehrer, darunter der galante Callicrate (der Name bedeutet »Schönheit/Herrschaft«), den man als Voiture hat entschlüsseln wollen, wenden sich von Parthenie ab, als ihr gesellschaftlicher Glanz und all das, »was die Schönheit ihr erworben hatte« (106), verflogen sind. Nach dem Tod ihres Mannes und einer Einkehr der Besinnung und Reflexion kehrt die Vollkommenheit ihres Äußeren wieder - und mit ihr Callicrate, der Amor ohne diese entwaffnet sähe. Parthenie hat nunmehr die Hinfälligkeit dieses Wertes erkannt, vor allem aber seine Uneigentlichkeit. Nicht ihre Schönheit will sie geliebt sehen, sondern »sich selbst, als ganze Person« (110), und sie weiß, daß sie zuvor lernen muß, ihr eigenes Ich zu finden und »sich selbst zu lieben« (121). Erst die Selbstbesinnung ließ die Frau zum Subjekt werden, ebenso wie Bildung und geistige Tätigkeit, während die Schönheit sie zum Akzidens des Mannes gemacht hatte, der die substantielle Identität damit allein für sich beanspruchen konnte.
Dieselbe Erfahrung macht Amathilde (Grand Cyrus VII, 132-351), deren Geschichte die Notwendigkeit, den falschen Wert zu revidieren, in anderem Zusammenhang neu begründet. Nichts bewegt die Sechzehnjährige mehr als die Furcht vor möglicher Entstellung oder dem mit fünfundzwanzig Jahren beginnenden Alter. Wenn ihr schon jetzt der Blick auf Mutter und Tanten unerträglich sei, wie wenig werde sie dann erst sich selbst ertragen können? Ein Freitod mit zwarizig Jahren scheint ihr der alleinige Ausweg, und tatsächlich sucht sie sich zu vergiften, als sie, in der Folge einer Krankheit, die Schönheit verliert. Erst als Glacidie ihr diese und die Chimäre der Jugend als uneigentliche Prädikate femininer Existenz enthüllt, die den durch den Tod symbolisierten Selbstverlust zur Folge haben, lernt sie, überleben und damit leben zu wollen. Kaum mehr als ein Jahr währe ein Leben, das im Genuß der ängstlich gepflegten äußeren Makellosigkeit sich vollenden solle, hatte ihr die Freundin entgegengehalten. Vor allem aber lehrte sie das Altern und wie es sich füllen und erfüllen könne: mit dem kleinen Kreis erwählter Freunde, mit dem kultivierten Gespräch und der besinnlichen Stille der Lektüre.
Wie bedeutsam für eine Geschichte weiblicher Selbstfindung die Revision des falschen Werts der jugendlichen Schönheit im Werk der Scudéry ist, blieb in dessen literaturwissenschaftlicher Rezeption unbemerkt. Unfreiwillig hat diese die Autorin bestätigt. Der maliziöse Chronist des 17. Jahrhunderts, Tallemant des Réaux, ist einer der vielen Zeitgenossen, die ihr die eigene Häßlichkeit zum Vorwurf machten (1659,II, 685). Boileau suchte in den Héros de romans mit ihren Werken auch die Person in dieser Weise zu erledigen, und der monierte Makel trat bis in die jüngste Forschung seine Geschichte an (Aragonnès, 169; Mongriédien, 21; Niderst, 128). Die Erfahrung eines so offenbaren Ungenügens mag die Autorin sensibilisiert und dazu bewogen haben, es sich zum Thema zu machen. Ermutigt sah sie sich durch ein bedeutsames Bekenntnis, das Ovid jener Sappho in den Mund gelegt hatte, in deren Nachfolge sie sich stellte und als deren überlegene Nachfolgerin (»Sapho nouvelle«) sie von den Schriftstellerinnen aus dem Kreis der »Modernen« gegen Ende des Jahrhunderts gefeiert wurde (Mlle Lhéritier, Mlle de La Vigne u.a.). Für ihre Histoire de Sapho, die in H. Rüdigers Darstellung der Sapphorezeption unberücksichtigt blieb, hatte sie aus der 15. Heroide eine Reihe von Namen und Motiven übernommen: Cydro und Atthis, die Freundinnen, den über seine Verhältnisse lebenden Bruder Charaxis, der die mahnende Schwester ablehnt, die frühe Verwaistheit und die Liebe zu dem jüngeren Phaon. Die Übereinstimmungen in der Biographie beider Schriftstellerinnen sind ebenso offensichtlich wie die Vergleichbarkeit ihres erzieherischen Wirkens und ihres Vorbildcharakters für die Frauen, die sie zu literarischer Tätigkeit bewegten. Diese Parallelität der Erfahrung ist ein Schlüssel für Mlle de Scudérys wiederholte Berufung auf die Griechin. Sainte-Beuve aber, der, wie die neuere Forschung, den Hinweis auf die literarische Quelle und die unmißdeutbaren Korrespondenzen schuldig blieb, bespöttelte ihre Histoire de Sapho als den Versuch, sich im Lichte einer mythischen Aufwertung der älteren Dichterin selbst zu glorifizieren. Mutig habe sie dabei an das Thema der Schönheit zu rühren gewagt, im Bewußtsein der eigenen Häßlichkeit und diese fadenscheinig mildernd (80-81). Doch schon Ovid - und dies mag der eigentliche Grund für die Anamorphose Sappho/Scudéry sein - hatte seine Sappho an Phaon schreiben lassen:
Si mihi difficilis formam natura negavit,
Ingenio formae damna rependo meae. (31-32)Wenn mir spröde Natur Schönheit versagte,
Mit Geist gleiche ich, was mir an Schönheit mangelt, aus.
Das männliche Frauenbild und das Selbstportrait des weiblichen Hochadels
Schon die bürgerliche Scudéry hatte, wie gesagt, das literarische Abbilden als eine den Frauen gemäße Weise des Schreibens empfohlen und beispielhaft betrieben. Als Gast des Hôtel de Rambouillet wurde sie dessen Chronistin, die die hochadlige Gesellschaft der Fronde ebenso wie die Freunde bescheideneren Standes in einzelnen Portraits oder in einer Galerie verewigte. Die aufklärerisch-moralische Grundüberzeugung und die gesellschaftlich gebotene Selbstbescheidung bestimmten ihr die Grenzen. Aus Gründen der »bienséance« mied sie, im Unterschied zu ihrem Widersacher Boileau, die im Salon als unfein geächtete persönliche Satire. Wo es ein Laster anzuprangern galt, wich sie in die typologische Verallgemeinerung aus (»caractère«, »portrait général«), eine Vorform des Verfahrens, als dessen klassischer Meister, nicht aber Erfinder, La Bruyère anzusehen ist. Wenn die Modelle jedoch zu entschlüsseln waren, hatte die Federführung behutsam zu sein (»vn leger Crayon«; Grand Cyrus VII, 305). Die Zuneigung zu den Freunden und der Dank an die Höhergestellten bargen die Gefahr der panegyrischen Schmeichelei und Anbiederung in sich, gründete doch das geringe Ansehen des Portraits in Malerei und Literatur nicht zuletzt in der Käuflichkeit ständisch inferiorer Portraitisten, die den schönen Schein hervorzuzaubern, die Unzulänglichkeiten zu verschleiern hatten. Mlle de Scudéry begegnete dieser Gefahr mit bemerkenswertem Geschick. Auch ohne die boshafte Schärfe Tallemants verlieh sie ihren Gestalten Kontur, indem sie bedeutsamere Eigenschaften betonte oder verschwieg, den vertrauten Freund mit liebevollem Spott, den Gegner mit entschiedenem Einspruch korrigierte. Von den Hochgeborenen entwarf sie ein Bild moralischer Vollkommenheit, das die Gemeinten auf die Einlösung der an ihnen gepriesenen Tugenden allererst verpflichtete.
Das Selbstportrait lehnte sie grundsätzlich ab: »Wenn man sich lobt, wird man unerträglich, wenn man sich zu Recht tadelt, täte man besser daran, gegen die Fehler anzugehen als sie zu veröffentlichen, und wenn man weder Gutes noch Böses über sich sagt, ist man einigermaßen langweilig« (Clelie IX, 284-285). Mit diesen Sätzen reagierte sie auf zwei unmittelbar zuvor erschienene Sammelbände (1659), mit denen die von ihr beherrschte Mode des geselligen Portraitierens von einer Rivalin usurpiert zu werden drohte: die Divers portraits der Nichte Ludwigs XIII., Mlle de Montpensier, und den ihr gewidmeten Recueil des portraits et éloges. Die hochmütige Bourbonin hatte sich etwa zur selben Zeit auch dazu herausfordern lassen, dem erprobten Scudéryschen Verfahren fiktionaler Verschlüsselung neue Gestalt zu geben (Relation de l'Isle imaginaire, 1658 und Histoire de la Princesse de Paphlagonie, 1659). In den chiffrierten Portraits und Erzählungen hatte, trotz der erwähnten Nuancen und Schattierungen, die bürgerliche Autorin jene letzte Aufrichtigkeit (»sincérité«) schuldig bleiben müssen, die in der ritualisierten Geselligkeit der Preis für die vollkommene »honnêteté« schien. Moliéres Misanthrop (1666), der sich dagegen aufbäumte, war der verlachte komische Held, doch nicht erst Rousseau oder die Romantiker, die sich seiner Lächerlichkeit verweigerten, enthüllten das Gewicht des geopferten Werts. Schon das berühmte Geständnis von Mme de Lafayettes Princesse de Clèves warf ein Licht darauf, daß die Aufrichtigkeit als die der höfischen Verstellung überlegene neue Norm sich behaupten sollte.
Mlle de Scudéry hatte 1667 in ihrer Novelle Mathilde die »sincérité« zu dem einzigen Gesprächsthema der kleinen Gesellschaft gemacht, die in dem fremden höfischen Rahmen Spaniens der absolutistischen Willkür ausgesetzt ist (153-157; nachgedruckt in Conversations, 1680, 359-384). Daß sie in der fiktionalen Verfremdung den Monarchen selbst als Dramaturgen der Intrigen offenbarte, die der Moralist La Bruyère den Höflingen zur Last legte (»De la cour«, 221-253), hatte die konkrete Begegnung mit der königlichen Ungnade, der der Gönner Foucquet und der Freund Pellisson anheimgefallen waren, zur Voraussetzung und die langjährige Unterdrückung der Erzählung zur Folge.
Die biographische Erfahrung ist in gewisser Weise vergleichbar mit der jener »Grande Mademoiselle«, Mlle de Montpensier, die (1652-1657) auf ihr Schloß Saint-Fargeau verbannt worden war, weil sie den antiabsolutistischen Kampf des Frondeadels unterstützt, ihr Erbgut Orléans amazonenhaft gestürmt und auf der Bastille die Kanone auf die königlichen Truppen gerichtet hatte. Da sie die Skepsis und Verachtung des Schwertadels gegenüber einer vom Hof bestellten, an der Antike orientierten dokumentarischen Historiographie teilte, wählte sie die aristokratische Gattung der Memoiren für die rechtfertigende Selbstdarstellung vor der nachfolgenden Geschlechterreihe. Wie sie in diese Chronik ihrer Erlebnisse gleichsam beiläufig die Skizzen der ihr nahen Personen eingehen ließ, umgab sie sich auch mit einer Gemäldegalerie. Die in Wort und Bild dargestellten Personen sind dieselben, die von ihr und ihren Freunden literarisch portraitiert wurden, als die Mode des »portrait mondain« um 1657 auch ihren Zirkel erreichte. Segrais fing in seinen Nouvelles francoises (1656) den geselligen Zauber ein, den die »Princesse Aurélie Montpensier ins Exil zu retten verstand und den sie ebenso wie ihre baugeschichtlich wirkungsvolle Tätigkeit und ihr Schreiben selbst als »divertissement« (vergnügliche Zerstreuung) beschrieb. Der Begriff war gezielt im Sinne ständischer Selbstdarstellung und Abgrenzung gewählt, denn um diese ging es ihr allenthalben. Vorbeugend bestritt sie in ihren Memoiren jeden unstandesgemäßen Autorenernst (IV 549) oder jenen dem berufsmäßigen (bürgerlichen) Schreiber gebotenen Willen, den chronologischen Irrtum zu meiden, feilend zu überarbeiten, richtig anzuordnen, zu verifizieren oder zu korrigieren (III, 83; IV, 549). Die Orthographie blieb eine für sie unverbindliche Norm (»Jay utor« statt »j'ai eu tort«). Sie wußte sich die reichste Erbin Frankreichs, vor allem aber begriff sie sich durch ihre königliche Geburt als Symbol einer gottgewollten, sie verpflichtenden Ordnung, die ihr in jeder Hinsicht den höchsten Rang bestimmte. Die Wahl der in ihrem Sammelband und in der Gemäldegalerie portraitierten Personen war alles andere als zufällig. Vertraut mit Wappenkunde und Genealogie, ließ Mlle de Montpensier in Saint Fargeau ein Zimmer mit der Geschlechterfolge ihrer Vorfahren ausmalen. Indem sie Verwandte und Freunde aus den europäischen Königshäusern und dem französischen Hochadel in der Abbildung um sich versammelte, behauptete und erhöhte sie sich selbst. Im Kreise derer, die, mit ausdrücklicher Berufung auf ihren Befehl, sich und andere portraitierten, herrschte sie wie eine Königin. Wie das Bauen war auch das literarische »divertissement« die Kompensation für das Scheitern ihrer politischen Träume und der ehrgeizigen Heiratsprojekte. Jussac, Mme de La Suze und vor allem Segrais beschworen Minerva und Diana, um die Gebieterin in den allein der Königin gebührenden mythologischen Konfigurationen zu verewigen. Wie der Sammelband nach innen Mademoiselles Herrschaftsanspruch zu versinnbildlichen hatte, betonte er nach außen, als Gestus der Versöhnung, den Friedenswillen der streitbaren Kriegerin, deren ruhende Waffen über den Künsten wachten und die den geburtsmäßig bestimmten Platz in der monarchischen Galerie zu besetzen begehrte.
In jeglicher Hinsicht beherrschte sie ihr literarisches Reich. Zumindest 16 der 59 Portraits hat sie verfaßt und dabei die Manier, nach Art der Maler, vielfach verändert. Das jeweils neue Verfahren wurde zum Formimpuls für ihre Umgebung. Wie der König - nach N. Elias Etikette und Zeremoniell als distanzschaffende Herrschaftsinstrumente nutzte, bestimmte die Grande Mademoiselle ihrer kleinen Hofgesellschaft die abgestuften Ränge und Rechte. Mit dem Wissen, daß das »Recht auf Bilder« (Plantié, 27, 155) nur ihrem Stande zukam, und mit der Kenntnis der bildnerischen Portraittechniken erweiterte sie die poetologischen Möglichkeiten der geselligen Gattung entscheidend. Wenn sie Ludwig in der monarchischen Apotheose als Herrn über Antike und Neuzeit und umrahmt von den Vorfahren, die auch die ihren waren, darstellte, wenn sie gleichzeitig den geächteten Waffengefährten Condé nach den Gestaltungsprinzipien des historischen Portraits feierte, bekundete sie ihren Willen, der politischen Zentralmacht Respekt für das einstige Aufbegehren abzutrotzen. Im Inneren des Kreises, der durch das Spiel des wechselseitigen Portraitierens in eine gleichsam tänzerisch ritualisierte Bewegung geriet, lenkte sie die Schritte. Mit dem sicheren Sachverstand hinsichtlich der Bildkunstwerke und ihrer bedeutungssteigernden Symbolik paßte sie die Wahl des Genre ihrem Modell an, verwarf hier das »natürliche«, historische oder mythologische Bild zugunsten eines Devotionsgemäldes, entschied sich dort für das Prunkportrait, das Schlachtenbild oder für das flandrische Verfahren variabler Talkapplikationen für dasselbe Gesicht. Wo die Satire das Objekt zu desavouieren drohte, verbarg sie dieses oder sich selbst in der Anonymität. Die Preziösen stellte sie in einem karikaturhaften Gruppenbild dar.
Die Gestalten ohne verhüllende Schleier (»draperies«) in ihrem »Familienalbum« (Plantié 571) zu verewigen, dessen Verbreitung, über den Kreis der Portraitisten hinaus, durch Zerbrechen der Druckplatten verhindert wurde, war Mademoiselles ausdrückliche Absicht. Dieser »Kühnheit«, die die Aufdeckung von Schwächen (»des perspectives et des lointains«, M/B, 238) nicht scheute, unterwarf sie die vertrauten Freunde, wo der geburtsmäßige Rang die Korrektur hinzunehmen zugleich befähigte und nötigte. Umgekehrt erhöhte sie die Niedrigen mit der Anerkennung ihrer Dienste.
Den schüchternen Sekretär Guilloire stellte sie in einem ihrer fünf fiktiven Selbstportraits vor (437-438), mit denen sie die Gattung in der originellsten Weise variierte. Ebenso wie ihrem des Lesens und Schreibens unkundigen Stallmeister lieh sie ihm ihre Stimme und pries seine Selbstlosigkeit und pflichtbewußte Treue. In eins damit aber lenkte sie beiläufig durch Guilloire den Blick auf ihre eigene - bemerkenswerte Wohltätigkeit in Stiftungen und Hospitälern. Was sie dazu bewog, war weniger ein selbstgefälliges und unstandesgemäßes Pharisäertum als das entschiedene Bekenntnis zur Werkfrömmigkeit von Saint Francois de Sales oder Saint Vincent de Paul, wie sie sie an der Comtesse de Brienne rühmte (98-100). Das veräußerlichte Gebaren der Schein-Heiligkeit enthüllte ihre »Selbst«-Darstellung der engen Vertrauten Mme de Thianges, die sich der Glaubenspraxis wie einer kleidsamen Mode zuzuwenden beschlossen hatte (501-503). In einer rechtfertigenden Pseudoautobiographie wiederum entlastete sie die bedrängte Freundin Mme d'Epernon (429-432).
Mit dem verläßlichen Schutz der Untergebenen, der Parteinahme für die geschwächten Freunde und dem nach der Zumutbarkeit gestuften Spott erfüllte und legitimierte Mademoiselle die Pflichten ihres Standes. Wenn sie ihre Gesellschaft portraitierend zurechtwies und die unschmeichelhaften Wahrheiten in den »kräftigen Farben« der anonymen Abbildung mitteilte (Amarante, 433), ruhte auf ihr ein königlich-selbstgewisser Blick. Was er an den Tag bringen sollte, war jedwede Form von Verstellung, Selbstverblendung und Scheinhaftigkeit, alles dessen also, was der »sincéritié« entgegengesetzt war. Während für König und Hof sich die prestigesichernden »Fremdzwänge in Selbstzwänge« verwandelten, die »höfische Rationalität« der berechneten Gebärden und Worte (Elias, 140) zu einer überindividuellen zweiten Natur wurde, nahm die hochgemute Frondeuse den verbannten und außer Kraft gesetzten Wert der Aufrichtigkeit in Besitz. Sie hielt ihn als Spiegel all denen vor Augen, die im falschen Schmuck der Bigotterie, der Zitate (Mme de Thianges), der Adelstitel (Mme de Montglat, Mlle de Vandy) oder der affektierten Künstlichkeit (die Preziösen) einhergingen. In ihrer Selbstdarstellung erklärte sie die Wahrhaftigkeit und Aufrichtigkeit zu der auch für sie verbindlichen Norm (410). Die Eigenschaften, zu denen sie sich bekannte, gewinnen Bedeutung und Gewicht erst vor dem Horizont ihres Selbstverständnisses, das mehr von ihrer Geburt als von der biographischen Erfahrung geprägt ist. Als Frau und als Mitglied des Königshauses war sie eingebunden in zwei Ordnungssysteme, deren Leitwerte und deren Beschränkungen nahezu gegenläufig waren. Im Spannungsfeld dieses Rahmens entwickelt das literarische Selbstportrait, das nach dem Vorbild der Mademoiselle zu einer Gattung des weiblichen Hochadels wurde, eine unvermittelte, kühne und aufrichtig formulierte feminine Weltsicht, die über die Zeiten hinweg bedenkenswert sein dürfte.
Das Selbstportrait gab den Frauen Gelegenheit, gegen die alten Verfügungsmuster der vielfältigen männlichen Traktatliteratur anzugehen. Zu dieser gehörten die Abhandlungen zur idealtypischen weiblichen Schönheit, die seit der Renaissance als Summe von dreißig Schönheitsmerkmalen beschrieben wurde. Zur gleichen Zeit vertrat die Physiognomik die Korrespondenz von Körper und Charakter, äußerem Zeichen und moralisch-seelischer Beschaffenheit. 1659 prüfte, mit der Berufung auf Aristoteles, Cureau de La Chambre die Attribute idealer Frauenschönheit innerhalb des physiognomischen Systems, wo jedes von ihnen einem charakterlichen Mangel entsprach. So seien die an den Frauen bewunderten schwarzen und großen Augen Zeichen von Schüchternheit und Unbeständigkeit, und der idealtypische kleine Mund verweise auf Verlogenheit und Schwäche, während von der weniger schönen eckigen Kopfform oder der Adlernase des Mannes auf Heldenmut und Hochherzigkeit zu schließen sei. Die Humoralpathologie hatte seit Galen und J. Huarte (1575) auch in Frankreich die Überzeugung verbreitet, daß die Frau, zusammen mit den Kindern und Verbrechern, ein phlegmatisches oder feuchtes und kaltes Temperament habe, das den Katalog ihrer moralischen und psychischen Unvollkommenheiten begründe und in dem das Feuer des Ingeniums notwendig verlösche. In der Moralphilosophie des 16. und frühen 17.Jahrhunderts galt die Norm der allein dem Hauswesen bestimmten Gattin, deren Tugend sich in Gehorsam und Keuschheit, im Verzicht auf öffentliches Wirken, Schmuck und Kultur zu erfüllen habe und deren geschlechtsbedingte Gefährdung durch Ehrgeiz, Sinnlichkeit und Habgier allein die Bescheidenheit zu überwinden vermöchte.
Zwischen 1630 und 1650 setzte ein allgemeines Umdenken ein. Weibliche Regentschaften und der nachtridentinische Marianismus bereiteten dem neuen Ideal der christlichen oder nationalen Heroine (»femme forte«) den Weg. Die Theologen bestritten nicht länger die Gottebenbildlichkeit der Frau und suchten mit der Gottesmutter die Eva des Sündenfalls vergessen zu machen und die gebärende Gattin im Lichte des von ihr wiederholten göttlichen Schöpfungsaktes zu erhöhen. Die Medizin stellte den Einfluß der Körpertemperatur auf den Charakter in Frage oder deutete ihn positiv um: Das kalte und feuchte Temperament, einst Grund der weiblichen Schwäche, Unbeständigkeit und Furcht, der Beherrschung durch die Leidenschaften und der Unfähigkeit zu hochherzigem Handeln, barg nun den Schatz der Empfindungsfähigkeit, Phantasie und Intuition, die dem als männlich geltenden Prinzip der Vernunft überlegen schienen. Zugleich gründeten in ihm Gedächtnis und Geduld.
Gestützt auf neuplatonisches Gedankengut konnten die Apologeten die weibliche Schönheit, die einmal Sinnbild teuflischer Versuchung war, zum Widerschein eines als göttlich und kosmologisch verstandenen Prinzips des absoluten Schönen umdeuten. Mit dem Ende klösterlicher Askese erhielt die weltliche Geselligkeit einen neuen geistigen und ethischen Wert. Allein die kultische Verehrung der Frau als der gestaltgewordenen Schönheit wies den erlösenden Weg zu einer das Diesseits transzendierenden Vollendung. Da die Liebenden in der Reinheit dem Göttlichen am nächsten schienen, war das Ideal mit einer ehelichen Ordnung unvereinbar. Insoweit wurzeln in ihm sowohl der preziöse (weibliche) Code der »Tendresse« wie die ihm entgegengesetzte (männliche) Galanterie.
Der Neuplatonismus wirkte insofern säkularisierend, als er die Verfeinerung von Geschmack, Höflichkeit und Soziabilität zu weltlichen, in der Gesellschaft der Frauen zu suchenden Zielen erklärte. Schmuck und Putz galten nunmehr als legitime Attribute und im Bedarfsfall auch als der Ersatz der weiblichen Schönheit, die galante Huldigung, die, den geltenden Normen zuwider, den sinnlichen Genuß begehrte, als die geschuldete Geste. Die offene Apologie von Reichtum und prunkvollem Aufwand bei André du Chesne (1605) deutet vor auf Voltaires Parteinahme für den Luxus und läßt die implizit aufklärerischen Tendenzen dieser Liebesmetaphysik erkennen. Im Glanz des erworbenen Besitzes konnte die Frau zur Mittlerin einer Heilserwartung werden, die das soziale Gefüge zu verändern versprach. Die von ihr erhoffte Veredelung setzte letztlich den Erbadel außer Kraft. Auf diesen wiederum - und damit vor allem auf dessen Frauen - mußte die Inthronisierung des Weiblichen als des Gestaltungsprinzips einer befriedeten und nobilitierenden Geselligkeit und damit der ständischen Mobilität wie eine Herausforderung wirken.
Eine vergleichbare Art der Betroffenheit löste unter den Aristokratinnen offensichtlich das uneindeutige Bild der »femme forte« aus. Mit dem Beispiel der jüdischen, christlichen oder antiken Heroine suchten der Franziskaner P. Du Bosc und der Jesuit P. Le Moyne zu beweisen, daß die weibliche Ausnahmegestalt immer schon zu hohen Tugenden befähigt war. Zugleich aber erklärte Le Moyne die Keuschheit zum unabdingbaren Bestandteil des neuen Leitbildes. Damit widersprach er Tassos 1632 ins Französische übersetztem Discorso della virtù femminile e donnesca (1582), der eine für den weiblichen Hochadel bedeutsame Geschlechts- und Standesethik skizzierte. Nach Tasso gelten für Männer und Frauen verschiedene Tugenden, von denen jeweils eine die herrschende ist. Ihr Fehlen ist demnach der schwerwiegendste Mangel, und die entschuldbarste Schwäche liegt im Gegensatz zu der ersten Tugend des anderen Geschlechts. Die Keuschheit führt den Katalog der weiblichen Tugenden (Schweigen, Sparsamkeit, Bescheidenheit), der Mut den der männlichen an (Beredsamkeit, Großzügigkeit, Prachtentfaltung), Unkeuschheit/Feigheit sind die höchsten Untugenden. Die geschlechtsspezifische Differenzierung der Werte hat die der Betätigungsräume (Haus/Öffentlichkeit) und der dort herrschenden Bedürfnisse zur Voraussetzung. Das weibliche Tugendmodell gilt jedoch nach Tasso nur für die Frauen des Bürgertums und niederen Adels. Auf die Hochgeborene, die im öffentlichen Wirken ihre geburtsmäßig bestimmten Pflichten zu erfüllen hat, ist demnach der männliche Wertekanon anzuwenden. Damit verliert die Schamhaftigkeit, wie bei Kleopatra und Semiramis, für sie an Bedeutung. Dieser standesabhängigen Differenzierung weiblicher Leitbilder (femmina/donna - Frau/Herrin) mußten die genannten französischen Frauenapologeten entgegentreten, da sie am Vorbildcharakter der christlichen Gattin und Mutter grundsätzlich festhalten wollten. Die von ihnen imaginierte »amazone chrestienne< ist zwar unverheiratet, ihr Heroismus indes, weit entfernt von Mannesmut und Tatkraft, erfüllt sich, wie zuvor der von Boccaccios »illustren Frauen«, in heiliger Standhaftigkeit, Langmut und Selbstverleugnung. Le Moynes »femme forte« krönt mithin das Ideal des Weiblichen, ohne aus diesem selbst herauszutreten.
Vielfältig waren also die männlichen Entwürfe des Frauenbilds, auf die das weibliche Selbstportrait, das im Unterschied zum »portrait galant« die Aussagen zu Charakter und Moral in den Mittelpunkt rückte, antwortete.
Ob in den misogynen Systemen der Humoralpathologie und der Physiognomik, in der traditionellen Moralphilosophie und theologischen Dogmatik oder in den frauenapologetischen Schriften des Neuplatonismus und der Gegenreformation - überall wußten sich die Frauen als Objekt fremder Verfügung. Da die theoretische Frauendebatte gegen Jahrhundertmitte zu ihren Gunsten entschieden war, standen, mehr als die unverhüllte Misogynie, die neue Verteidigung ihres Geschlechts und die veränderten Leitwerte und lebensweltlichen Bestimmungen am Horizont ihres Bewußtseins: hier die positive Umdeutung ihrer geburtsmäßigen Anlagen und die weibliche Mittlerrolle für die gesellige Nobilitierung des Mannes, die die Privilegien von Herkommen und Rang zu ersetzen hätte; dort ein heroisches Ideal, das entweder die passiven Tugenden der »mulier domestica« in der Vollkommenheit krönt (Le Moyne) oder aber, bei Wahrung der ständischen Privilegien, die größere psychomoralische Freiheit mit dem Preis der gegengeschlechtlichen Identität zu erkaufen zwingt (Tasso).
Das literarische Selbstportrait wurde und blieb eine weibliche Gattung, seit in Holland (1656) die Princesse de Tarente und Mlle de La Trémouille, vielleicht unter dem Einfluß der Malerei und des Calvinismus, die ersten Texte verfaßten. Mlle de Montpensier, der sie sie zeigten, vermittelte mit ihrem Werk den Formimpuls an eine Reihe weiterer Frauen überwiegend des hohen Adels (u. a. Marie de la Tour de Bouillon, Duchesse de la Trémouille, die Duchesse de Vitry und de Châtillon, die Comtesse de Brienne und Marie-Eléonore de Rohan-Montbazon, die spätere Abtissin von Caen). In den Divers Portraits erschienen elf weibliche und zwei männliche Selbstportraits gegenüber acht/drei im Recueil. Beide Geschlechter verpflichten sich auf einen gemeinsamen Katalog aristokratischer Grundwerte. Um so aufschlußreicher sind darum die Abweichungen. Undank, Verrat, Neid, Verstellung und Vortäuschung scheinen dem Mann offenbar weniger bedrohlich als der Frau; die Aufrichtigkeit, zu der sich sieben Damen bekennen, ihm kaum einer Erwähnung wert. Deutlicher grenzen sich beide voneinander ab, wo es um das Selbstwertgefühl geht. Während männlicherseits die Versuchung durch Ehrgeiz und Ruhmsucht geleugnet wird, nennen die Frauen Stolz und Eigenliebe, Ehrgeiz und Willensstärke ihre hervorstechenden Eigenschaften. Dieses neu beanspruchte, autonome Ich schirmt sich, im Unterschied zu dem des Mannes, vor der Welt ab. Eine bis zur Menschenverachtung reichende Gleichgültigkeit und Unzugänglichkeit, das Mißtrauen der Welt und sich selbst gegenüber, das Beharren auf der eigenen Meinung oder der ursprünglichen und gewachsenen Abneigung, die Intoleranz gegenüber Widerspruch oder Kränkung schützen das weibliche Selbst ebenso wie brüske, aufbrausende Ungeduld, spöttische Skepsis und Menschenkenntnis vor jeder Indienstnahme. Deutlicher als mit dieser einmütigen, an Schroffheit grenzenden Geste der Verweigerung konnte seitens der Frauen die Erwartung einer weiblich vermittelten männlichen Selbsterhöhung nicht bestritten werden. Die Sanftmut (»douceur«) und liebenswerte Höflichkeit (»civilité«) im geselligen Umgang sind selten genannte Eigenschaften, die Schönheit wird von ihnen allenfalls beiläufig erwähnt oder gehört in längst vergangene Jahre. Mit Genugtuung heben die Frauen vielmehr die Mängel ihres äußeren Erscheinungsbildes und Auftretens hervor: die blatternarbige, schlecht geformte oder zu große Nase, die dunkel gewordenen und unschön angeordneten Zähne, der schwammige, grobporige oder von Krankheiten welke Teint, der stumpfe, niedergeschlagene Blick, der flache Busen, das zu lange Gesicht, die mageren Arme, das Ungeschick bei Bewegung und Tanz. Mit dieser kollektiven Häßlichkeit wird einmal die unverbindliche Metaphorik des galanten Portraits, zum anderen die Wunschprojektion der anmutigen, mit Blick und Gebärde verzaubernden geselligen Dame grimmig beantwortet. Auch der physiognomische und humoralmedizinische Verweisungszusammenhang ist den Portraitistinnen offenbar gegenwärtig. Den ästhetischen Mangel des zu großen Kopfes und der Adlernase bei der Princesse de Tarente (M/B 46) wiegt der Gewinn auf, damit unausgesprochen aber unmißdeutbar die heroischen Tugenden, auf die beides verweist, für sich beanspruchen zu können. Melancholisch oder »empfindsamer zu sein für den Schmerz als für die Freude« ist ein weiterer ironischer Konsens der Frauen. Mit dem Bekenntnis zur Melancholie legitimieren sie nicht allein Unbehagen, Indifferenz oder Verachtung gegenüber Menschenwelt und Gesellschaft schlechthin, sondern vor allem den neuen Anspruch auf geistige Befähigung und Betätigung, wie er nur diesem vornehmsten, bislang dem Mann vorbehaltenen Temperament zugestanden wurde. Wo sie einerseits die fremde Verfügung verweigern, beteuern sie andererseits die auszeichnende Wahl. Einem Freiheitsbedürfnis, das sich gegen Führung, Zwang und Unterdrückung behauptet und damit jeder Bindung und Selbstaufgabe in Liebe, Galanterie oder Ehe zu mißtrauen lehrt, werden allein der ruhevolle Rückzug von der Welt (»repos«) und ein träumerisches Bei-sich-Sein (»rêverie«) gerecht. Seine Erfüllung findet es in der Wahl der Freunde und Freundinnen, die die »unbedingte« Zuneigung allererst ermöglicht.
Die Reihe der übrigen weiblichen Selbstaussagen steht ebenfalls in unmittelbarem Bezug zu dem Frauenbild der misogynen oder apologetischen Traktatliteratur. Die Damen bestreiten ausdrücklich jede Neigung zu Eifersucht, Neugier, Geschwätzigkeit, Eitelkeit, Leichtgläubigkeit oder Verführbarkeit durch Geld oder Leidenschaften. Das Gedächtnis scheint ihnen ein weit geringerer Wert als Scharfsinn, schnelle Auffassungsgabe und kompetentes Urteil. Die Bescheidenheit lassen sie nur im Rahmen des in jeder Hinsicht fragwürdigen Aufwands an Kleidung und Schmuck gelten. Die unangestrengte Nachlässigkeit (»négligence«, »paresse«) zieht die Standesgrenzen zur bürgerlichen Nobilitierung durch Besitz und Bildung. Unerschrockenheit, Festigkeit, Großmut, Hochherzigkeit oder Freude am kämpferischen Heroismus sind als aristokratische Grundwerte mit dem restriktiven Tugendkanon der »mulier domestica« ebenso unvereinbar wie mit dem heiligen Langmut der christlichen Amazone.
Mit ihren Selbstportraits haben die Frauen das Vorrecht ihres Standes dazu genutzt, in einzigartiger Entschiedenheit den Beschränkungen, Abwertungen und Verfügungen gemeinschaftlich entgegenzutreten, denen ihr Geschlecht jahrhundertelang ausgesetzt war. Allein Tassos Modell eines an der männlichen Norm ausgerichteten herrenhaften weiblichen Tugendkanons (»virtù donnesca«) barg diesen elitären Freiraum, den der weibliche Hochadel, allen voran die bourbonische Amazone Mlle de Montpensier, zu besetzen verstand. Ohne den heiklen Wert der Keuschheit zu berühren, wandten sich die Frauen gegen die Galanterie. Gegen die »bienséance« verstießen sie selbstredend. Ihre Selbstdarstellung ist gebieterische Antwort, die unwürdiger Einlassungen sich überhoben hat. Ironie und Ingrimm verraten den Argwohn des freigesetzten Bewußtseins, das sich in der Verweigerung behauptet und in der Wahl festigt und neu der Welt öffnet.
Die preziöse Versöhnung der Geschlechter
Einer Veränderung der Lebenswelt zu mißtrauen, hatten die Aristokratinnen mehr Anlaß als die bürgerlichen Frauen. Den Sozialtypus der Preziösen traf ebenso wie Mlle de Scudéry, die zeit ihres langen Lebens mit Persönlichkeit und Werk die preziöse Bewegung verkörperte, Mlle de Montpensiers spöttische Ablehnung. Das von ihr gezeichnete satirische Gruppenbild ist jedoch mitnichten der männlichen Preziösenkarikatur vergleichbar, die über Moliéres Komödie die unbequeme weibliche Weltsicht wirkungsgeschichtlich zu neutralisieren vermochte. Die Grande Mademoiselle hielt den Preziösen entgegen, daß sie in dem monarchischen Staat eine Art Republik (!) bildeten, den geburtsmäßigen Rang mit affektierter Künstlichkeit, das Vermögen mit Geistreichelei zu kompensieren trachteten und ein Recht auf verhöhnende Mißbilligung für sich beanspruchten, das allein dem hohen Stand gebühren dürfte.
Der Bürger und Mann suchte sich der Forderung standesgleicher Frauen zu erwehren, die ihre Beteiligung am geschichtlichen Fortschritt anmahnten. Mit dem oben beschriebenen Anspruch auf eine verbesserte Erziehung und Bildung, dem einen der preziösen Postulate, berührten diese Frauen das männliche Reservat der Literatur und der Gelehrtenrepublik. Ehekritik, Misogamie und das Ideal einer zweckfreien, vergeistigten Freundschaft unter den Geschlechtern (»amitié tendre«), jener andere Teil preziöser Programmatik, stellten Funktion und Leitbild der »mulier domestica« in Frage und damit nicht zuletzt die allein die Frauen belastende Sicherung der patrilinearen Erbordnung. Die männliche Satire beschrieb darum den vermeintlichen Geschlechtsekel der heiratsfeindlichen Preziösen als krankhafte Deformierung natürlicher Sinnenfreude und sie selbst als die von Häßlichkeit, Armut und Alter Gezeichnete, die dem ausbleibenden Ehebegehren mit einer antizipierten Weigerung kompensatorisch zu begegnen suche.
Adlige und bürgerliche Frauen betrachteten übereinstimmend die Ehe als über sie verfügte und verfügende Institution, die, ob als Sakrament oder Vertrag, ihre gottgewollte und juristische Inferiorität gegenüber dem Mann gefestigt habe. Mme de Motteville nannte die Ehe einen allein durch die Gewohnheit legitimierten Irrtum und genoß die Freiheit früher Witwenschaft, die allererst weibliche Selbstentfaltung oder heroische Tugenden ermögliche. Für die Adressatin ihrer Briefe, Mlle de Montpensier, ist der Verzicht auf Heirat und Wiederverheiratung Voraussetzung für die Aufnahme in das von ihr imaginierte neue Arkadien, da nur über die von Familieninteressen diktierte Ehe der Mann die Frau zur Schwächeren habe erklären und als Sklavin sich habe unterwerfen können. Was die Preziösen in dem ihnen gewidmeten Roman des Abbé de Pure (1656) und die Wortführerinnen bei Mlle de Scudéry in die Negativformel der »lästigen Folgen der Verheiratung« faßten, empfand auch die adlige Frau, wie die besorgten Briefe von Mme de Sénigné an ihre Tochter zeigen, nicht als beglückende Auszeichnung ihres Geschlechts. Gerade die ureigene Erfahrung von Schwangerschaft und Geburt unterlag fremder Bestimmung, so daß sich die Mutterschaft zur unfreiwilligen Pflichterfüllung verkehren konnte.
Verantwortliche Entscheidungen bei der Erziehung der Kinder waren der Frau im Ernstfall verboten. Die Säuglingssterblichkeit lag um 1670 bei annähernd 30 v.H., und nur 50-60 v.H. der Kinder erreichten das 20. Lebensjahr. Ein Edikt von 1692, das den Hebammen eine bessere Ausbildung vorschrieb, blieb so gut wie folgenlos. Während der König den Chirurgen J. Clément, den Geburtshelfer seiner Mätressen, in den Adelsstand erhob, erschien von ärztlicher Seite (1708) eine Abhandlung Über die Unziemlichheit männlichen Bestands bei der Entbindung. Die allgemeine Müttersterblichkeit lag bei mindestens 10 v. H. Nachdem in der Masse der Bevölkerung die Geburtenraten durch Erhöhung des Heiratsalters (bis 27/ 29) langsam auf fünf bis vier Kinder pro Familie gesenkt worden waren, galt für die Eliten, bei einem Heiratsalter von 18/21 und der Kinderbetreuung durch Ammen, ein Durchschnitt von acht Geburten. Im Bewußtsein nicht zuletzt, daß eine Geburtenbeschränkung ihnen die Ignoranz rückständiger Medizin und die Gefahr frühen Sterbens ersparte, scheinen die Frauen des Adels und Großbürgertums, wie die Sozialhistoriker vermuten, entgegen dem katholischen Ehekatechismus auf kontrazeptiven Maßnahmen bestanden zu haben. Die einmütige Abneigung gegen Ehe und Mutterschaft, die sie in ihren Schriften bekunden, ist also durchaus begründet.
Jenseits der Verweigerung der ihnen diktierten Rollen und Funktionen öffnete sich jedoch ihr Blick für ein unvordenkliches Reich der Glückserfüllung. Hierbei nun schieden sich die Geister. Die Autorinnen der Selbstportraits argwöhnten, wie erwähnt, in jeder Art von Bindung den Verlust der so energisch behaupteten Autonomie. Der Liebe und den Leidenschaften, die Mme de Lafayette oder Catherine Bernard als Verwirrung (»désordre«, »deréglement«) und Unglück beschrieben, zogen sie, wie die Prinzessin von Kleve, die Selbstbesinnung und Einkehr vor. Das erwähnte Arkadien des weiblichen Hochadels ist ein geselliges Paradies der Freiheit und Kultur, in dem die Geschlechter sich als Freunde begegnen. Um Freundschaft ging es auch Mlle de Scudéry. In der berühmten »Carte de Tendre«, einer erotischen allegorischen Topographie (Clelie I, 205-221, 400-404), kodifizierte sie die Wege zu einem vollkommenen Umgang zwischen den Geschlechtern, dessen Regeln der Mann sich anzueignen habe. »Wertschätzung« (»Estime«) und »Dank« (»Reconnaissance«) heißen die Städte vor dem »gefährlichen Meer«, jenseits dessen das den Frauen verbotene »unbekannte Land« der Leidenschaften liegt. Im unbeirrbaren Aufstieg über die vorgeschriebenen Stufen der Bewahrung - hier die heroischen Tugenden, dort die dienende Aufmerksamkeit - kann der Freund jene »Zartheit« (»Tendresse«) erwerben, die als Göttergeschenk nur wenigen mitgegeben ist. Diese kostbarste natürliche »Tendresse« allerdings bedarf keiner topographischen Haltepunkte: Im breiten Strom fließt das wechselseitige Wohlwollen von der »neuen Freundschaft« zur »Zuneigung«. Die drei Wege zu den Städten »Tendre sur Estime«, »Tendre sur Reconnaissance« und »Tendre sur Inclination« bestimmen das preziöse Reich (»Royaume de Tendre«), als dessen Königin Mlle de Scudéry gefeiert wird, und schirmen es vor den Irrwegen zum »See der Gleichgültigkeit« oder »Meer der Feindschaft« ab.
Die »amitié tendre« schließt alle Momente einer heroischen und rationalistischen Ethik ein. Sie wird synonym mit dem Begriff des »reinen« oder »vollkommenen Liebens«, da auch diesem eine im freien und moralischen Urteil gründende Wertschätzung voranzugehen habe. Der preziöse Code verlangt seitens des Mannes eine verzichtreiche Selbstbindung, die die Frau im Reiche des Scheins für die Willkür seiner tatsächlichen Verfügungsbefugnisse entschädigen und ihn selbst die Utopie einer von Rollenzwängen befreiten Freundschaft unter den Geschlechtern als ureigene Wunschwirklichkeit begreifen lassen soll. In den kasuistischen Binnenerzählungen ihrer beiden großen Romane entfaltete die Autorin den »code tendre« im Reichtum seiner Bezüge und Möglichkeiten. Obwohl sie selbst zu wiederholten Malen der ehelosen Autonomie der Frau das Wort redete, versöhnte sie die preziöse Liebeskonzeption auch mit der Ehe. Märchenhaft nehmen sich die auf der Venusinsel angesiedelten Binnennovellen aus, in denen die Liebenden lernen, die Tempel der libertinistischen Galanterie abzutragen und ihrer Ehe dauerhaftes Glück zu sichern.
Auch ihre »moderne« Nachfahrin, Mme d'Aulnoy, die etwa ein halbes Jahrhundert später an dem Blauen Vogel oder dem Prinzen Frischling die wundervollen Metamorphosen des Tierbräutigams beschrieb, überantwortete die Erlösung der ver-ge-waltigten Frau und in eins damit auch die des Mannes dem Märchen. Die traditionellen Motive der Dämonenverschreibung und Opferung an die Ungeheuer vermischen sich mit der Erfahrung der von Genealogie und Vermögensinteressen bestimmten Zwangsverheiratung des Ancien Régime, für die der böse König/Vater verantwortlich gemacht wird. Wie dieser bedarf vor allem der verliebte Prinz der preziösen Erziehung. Der Frischling legt beispielhaft die Drohgebärden des mächtigen Tiermannes ab und ent-wandelt sich zum behutsam werbenden Liebhaber. In der Tierverwandlung durchmißt »Charmant« die Landschaft des Tendre: Als blauer Vogel büßt er für den Ungehorsam gegenüber dem Bündnis von Macht, Geld und Intrige und nimmt einen siebenjährigen Liebesdienst auf sich, in dem zärtliches Plaudern die animalische Begegnung retardiert. In nahezu allen Märchen lernte der Brautwerber, sich in die junge Frau einzufühlen und über die »unlösbaren Aufgaben« und mit den Zauberdingen der Schutzfeen ihre anfängliche Sprödigkeit, Scheu oder Liebesfeindlichkeit zu überwinden. Mme d'Aulnoy kannte, nicht zuletzt aus eigener Erfahrung, das Befremden, welches die üblicherweise willkürlich verfügte und frühe Sexualerfahrung bei dem jungen Mädchen auslösen mußte, und sie, die den Stoff von Amor und Psyche so oft variiert hat, illustrierte in ihren Märchen die verborgene weibliche Wahrheit des Mythos, der dem ratlosen Zeitgenossen Charles Perrault unergründlich geblieben war. Sie wußte wie dieser, daß Psyche Seele bedeutet, doch sie verstand, im Unterschied zu ihm, »was damit gemeint ist, daß Amor in Psyche, also in die Seele verliebt ist« (Perrault, 5). In demselben Vorwort zu seinen Contes en vers (1695) aber hatte jener Widersacher des misogynen Boileau die Moral der Griseldisgeschichte gepriesen, »die die Frauen dazu geneigt machen kann, an ihren Gatten zu leiden und die zeigt, daß es keinen noch so grobschlächtigen oder willkürlichen gibt, mit dem die Geduld einer guten Frau nicht fertigzuwerden vermöchte« (5). Jenseits dessen, was den neuzeitlichen Autor von dem Antikeanhänger trennt, verbindet augenzwinkerndes Einverständnis den einen Bürger und Mann mit dem anderen, wo es darum geht, den Frauen die alte Norm der »mulier domestica« neu zu verordnen. Im »modernen« Salon also endet die Geschichte der weiblichen Aufklärung, und damit harrte die preziöse oder aristokratische Utopie einer Erlösung beider Geschlechter ihrer Einlösung.