Gäbe es eine weibliche, mit der männlichen konkurrierende Subjektivität, so müßte sich diese in der Lyrik am deutlichsten ausprägen. Wo anders könnte zu Tage treten, ob die soziale Emanzipation der Frauen und der Widerspruch gegen das überlieferte Rollenverständnis die hergebrachte Ästhetik sprengen oder ihren Platz darin finden werden? Zweifellos kann von Frauenlyrik geredet werden. Doch repräsentiert sie offensichtlich das Anderssein der Frauen im Rahmen der ihnen zugewiesenen Rolle, also das Gegenteil eines selbstbestimmten Subjekts. Bis jetzt scheint noch völlig unentschieden, ob ein authentisches weibliches Selbstbewußtsein sich in den Formen der universellen Subjektivität zu fassen vermag oder ob sie sich dieser als der vorherrschenden, also männlichen polemisch entgegensetzen muß. Die folgenden Beispiele aus der Lyrik der DDR zeigen, daß die nachhaltig veränderte soziale Situation der Frauen, die Chancengleichheit in der Ausbildung und die gesellschaftlich geförderte intellektuelle Emanzipation der Frauen an der Lyrik keinesfalls spurlos vorbeigegangen sind. Unverkennbar ist der Zusammenhang von weiblichen Erfahrungen und einer weiblichen Perspektive. Eine grundsätzliche Veränderung, etwa der lyrischen Redeweise, des Gestus oder des Formenkanons, also der Modalitäten lyrischer Kommunikation, ist aber nicht eingetreten. Von Umständen und Ereignissen, die im Wortsinne historisch genannt werden müssen, sind die Gedichte Inge Müllers beherrscht, die erst jetzt in größerem Umfange für die Öffentlichkeit zugänglich geworden sind. Der Krieg und die generelle Entwertung des Glücksanspruches, die das Individuum durch ständige Bedrohung des nackten Lebens erfährt, bilden das Grundinventar von Inge Müllers lyrischer Welt. Darin bewegt sich ein Ich, das nicht nur verletzt ist, sondern auch beleidigt von deren Heillosigkeit, die seine Heimatlosigkeit bedeutet: »Nur der Himmel ist derselbe./ Frierend zähl ich die Wolken ab./ Taubnesseln leg ich, als ich heimgeh/ lachend auf ein fremdes Grab« (G 101). Diese Welt geht über alles, was dem Ich zugehörig sein sollte, gleichgültig hinweg und löscht es aus. Ihre Sterne bewegen sich in großer Ferne, ihre Länder sind »besetzt und vertan« (G 81), ihre Luft ist tödlich und »Wir passen uns vielleicht dem Tod an/Um zu überleben/ Mein Glas trink ich leer ohne Vorsicht« (G 104). Trotz der unablässig geäußerten Sehnsucht danach bleibt wenig Hoffnung, sich als ein Selbst zu finden. Die vergebliche Mühe findet viele Wendungen: »Ich bin wie ihr und von euch wund/ Bin gar kein oder nur ein Mund ...« (G 100), oder: »In jeder Haut hab ich gesteckt./Jetzt werd ich nicht mehr schrein -/Daß ich nicht ersticke am Leisesein!« (G 105). Inge Müllers Gedichte bleiben nicht beim existenziellen Befund einer dauernden Unbehaustheit, die auch bei anderen Lyrikern der Nachkriegsgeneration anzutreffen ist, - so bei Wolfgang Borchert und in der frühen Lyrik Günter Kunerts. Die beklemmende Alternativlosigkeit ist die der Frau in einer Geschichte, die ihr fremd bleibt und die sie nicht angerichtet hat: »In den Gaskammern/ Erdacht von Männern/ Die alte Hierarchie/ Am Boden Kinder/ Die Frau drauf/ Und oben sie/ Die starken Männer ...« (G 22).
Bemerkenswert sind Epitaphe auf Frauen, die als Wehrmachtshelferinnen gefallen sind, Porträts von Frauen, die in den letzten Kriegstagen eingezogen wurden und die Entdeckungen einer Todgeweihten, nämlich Einberufenen an sich selbst: »12-Zeilen-Befehl, Stakkato in Phrasen/Ein Stempel: Mädchen, du bist Soldat...« (G 9). Zum Wehrmachtsdienst verpflichtete Frauen sind, soweit ich sehe, in der gesamten Kriegsliteratur mit der äußersten Verachtung behandelt worden, aus Gründen, denen hier nicht nachgegangen werden kann. Die Situation der Flakhelferinnen und Soldatenbräute, der gefallenen Mädchen schließlich unter den toten Männern in Uniform, wird zu einem Gleichnis für den unfreiwilligen Eintritt von Frauen in eine Geschichte, die von andern »erdacht« wurde. Die Lyrikerin identifiziert sich mit Rede und Haltung jener Frauen, die so, wehr- und fassungslos, eine ungewollte Gleichberechtigung als Angleichung ihrer Bestimmung an die der Soldaten in dem faschistischen Krieg erfahren. Ein anderes Gleichnis für den katastrophalen Eintritt in die Geschichte, das sich fast von selbst ausbildet, ist die Verschüttung. Eine Erfahrung, die Inge Müller am eigenen Leibe machen mußte, liegt ihm zugrunde: »Als ich Wasser holte/fiel ein Haus auf mich/Wir haben das Haus getragen / Der vergessene Hund und ich« (G 17). Daraus wird ihre Grundvorstellung vom Zustand des weiblichen Menschen im geschichtlichen Raum genommen. Dieser Raum und also ihre Welt ist durch den Krieg und eigentlich durch ihn ausschließlich bestimmt. Verschüttung als Bild zeigt an, daß selbst die unentwickelten Ansprüche der Frau in dieser Welt auf andauernde Verneinung gestoßen sind. Verschüttung von Lebensanspruch und Bewußtsein, als reduziertes Selbst zu leben, haben in den Gedichten ihr Pendant in der ständigen Anwesenheit des Todes. Sie erinnert nicht im geringsten an die barocke »Vanitas« oder die empfindsame Vorliebe für nächtliche Gräber, sondern sind Inge Müllers authentischer, wenn vielleicht auch unbeholfener Ausdruck für die große Gleichgültigkeit des von Menschen veranstalteten Krieges für alles menschliche Streben nach Persönlichkeit und Individualität. Inge Müllers Gedichte sind in den fünfziger und sechziger Jahren entstanden, genaue Datierungen fehlen. Es ist auffällig, daß ihre Gedichte von einer Bewältigung und nachfolgenden Lösung aus dem Schock der Kriegserfahrung nichts wissen wollen. Sie laufen beinahe alle immer wieder auf den Punkt zurück, von dem her selbst Lebensbeziehungen wie Liebe und Freundschaft fragwürdig erscheinen und das Selbst als zufällige Existenz und damit im Schatten der Bedrohung durch Tod steht: das Haus kann einfallen; das Wasser kann giftig werden; die »Mörder unsrer Zeit aller Zeit« leben noch (G 68).
Die Nachkriegsjahre, die für viele Dichter in der DDR auch Zeiten des Friedens und der Hoffnung sind, haben in ihren Gedichten daher kein Gewicht. Das Jahr 1945 bleibt der Drehpunkt, und das Vergessen wird augenscheinlich verweigert. Die 1945 erfahrene Entwertung des menschlichen Lebens wird teils durch einen ausgesprochenen Verismus der Beschreibung gefaßt, teils in formelhaften Sprüchen wie dem folgenden: »Da fand ich mich/ Und band mich in ein Tuch/ Ein Knochen für Mama/ Ein Knochen für Papa/ Einen ins Buch« (G 26). In jedem Falle aber sucht der Gedichtverlauf dem Erlebten durch Vergegenwärtigung beizukommen. Keines der literarischen Verarbeitungsmuster wird angenommen. Selbst die Kunstlosigkeit von Inge Müllers Sprache und die gelegentlichen Anleihen ans Banale wirken daran mit. Das zufällige Überleben nach der Verschüttung bekommt dadurch seine sinnbildliche Bedeutung, daß ihm nicht die Kraft eines wirklichen, in sinnlicher Gewißheit verbrachten Daseins zugemessen werden kann. Kein Zufall ist es deshalb, daß ihre Welt immer »in Trümmern« bleibt (G 27) und »türlos«, denn die poetische Sprache ist darauf fixiert, das Grunderlebnis hinter allen weiteren hervorzubringen. Indem Inge Müller so hartnäckig darauf besteht, sich mit der Entzweiung nicht zu versöhnen, verwirft sie das Weibliche im Sinne männlicher Vorstellungen, d. h. alle Rollen und Bestimmungen, die der Frau traditionell angeboten worden, angesichts der historischen Realität aber unangemessen sind.
Die Lyrik Sarah Kirschs, die in den sechziger Jahren zu schreiben und zu veröffentlichen begann, beeindruckte dagegen gerade durch eine allem Augenschein nach ungebrochene Selbstbejahung im Gefühl. Solange Sarah Kirsch in der DDR lebte, sind vier Gedichtbände von ihr erschienen. Besonders der vorletzte, Zaubersprüche (1973), schien allen Erwartungsmustern, die an weiblicher Liebeslyrik gebildet waren, zu entsprechen und sie doch durch Vollkommenheit zu übertreffen. Liebe bildet das Zentrum der lyrischen Aussage; sie ist Bereicherung des Selbst, aber auch Erfahrung des Leidens am anderen, die ebenso ausgesprochen werden kann. Es fehlt auch nicht an dem Eingeständnis, auf das Gefühl als Lebensäußerung angewiesen zu sein. Den Zaubersprüchen ist ein kleiner Text, Anziehung, als Auftakt vorangestellt: »Nebel zieht auf das Wetter schlägt um. Der Mond versammelt Wolken im Kreis. Das Eis auf dem See hat Risse und reibt sich. Komm über den See« (ZS 5). Hier wird ein Bekenntnis zur Unbedingtheit abgelegt, die sich nicht durch Bedenklichkeit und Vorsorge, nicht durch Norm und Regel beirren lassen darf. Auch wenn an späterer Stelle dieses durchkomponierten Bandes in dem Gedicht Elegie 2 gesagt wird: »Ich bin/ Der schöne Vogel Phönix/ Aber durch das/ Flieg ich nicht wieder« (ZS 24), so wird dieses Bekenntnis nicht widerrufen. Ist doch dem Vogel die Kraft zum Fliegen nicht verloren gegangen. Auch die Nachtseiten emotionaler Erfahrung werden angenommen. Aus dem Gefühl selbst kommt die Kraft, es zu durchleben, wie in dem Gedicht Klagruf, das mit der Zeile endet: »Ich dachte ich sterbe so fror ich« (ZS 66). Gefahr droht ihm wie allem Lebendigen lediglich von der Selbstverleugnung und vom »Bösen Blick« (ZS 93), dem erstorbenen Wissen und der im instrumentalen Denken befangenen Rationalität. Die Wendung zur Selbstaneignung im Gefühl, so stark romantische Vorstellungsweisen in ihr anklingen, war dennoch eine durchaus vernünftig begründete. Weder war eine blinde Unterwerfung unter das Gefühl gemeint, noch gar die Hingabe ans Schrankenlose und Entgrenzende. Nichts lag Sarah Kirsch ferner als die Mystifizierung einer Allmacht über dem subjektiven Wollen. Was sie wollte und eben auch vermochte, war eine Subjektivität zu entwerfen, die sich frei von fremder Verfügung wußte. Mit den Lyrikern ihrer Generation war sie sich darin einig, daß die Erhebung der lyrischen Sprache ins Idealische, Pathetische und überzeitliche den Intentionen aller nicht angemessen gewesen wäre. Sie suchte daher nach einer Form, die authentisches Erleben zur Darstellung bringt, und fand sie, nachdem ein naiv-kindlicher Sprachgestus ausprobiert und dann als Maskierung des eigenen Ausdrucks durchschaut worden war, in der Form des Brief- oder Tagebuchgedichtes. Hier waren die Gehalte authentisch, aber das Authentische konnte zugleich artifiziell aufgewertet werden. Die Verlaufsformen emotionaler Erfahrungen sind in diesen Gedichten gleichsam streng chronologisch, nach einer inneren Chronologie freilich, aufgezeichnet, und dennoch waltet eine unsichtbare Distanz vom Geschehenen. Auf diese Weise erhalten die Gedichte ein Ich, das sich seine Welt unmittelbar aneignen kann und sich dennoch kunstvoll äußert. Der persönliche Ausdruckswillen findet Raum und kann eine Kunstwelt hervorbringen. Mit ihrer Gedichtsprache stellt Sarah Kirsch weibliche Erfahrungen heraus; doch wurde sie nicht in dieser Absicht hervorgebracht. Im Klappentext zu den Zaubersprüchen ist freilich die Rede davon, daß Hexen die besten Benutzerinnen der Gedichte sein würden. Die Besinnung auf die verteufelte Weiblichkeit setzt also hier schon ein. Außerdem wird mit Bettina von Arnim, Annette von Droste-Hülshoff und Else Lasker-Schüler eine regelrechte weibliche Ahnenreihe aufgerichtet (vgl. die Gedichte Der Droste würde ich gern Wasser reichen (ZS 55) und Wiepersdorf (RW 20-33). In beidem, der Anrufung der Hexen und der Suche nach den Ahninnen, erkennt man Vorboten von Ideen, die später in den Romanen von Irmtraud Morgner - vor allem in Amanda - kräftig ausgeführt worden sind. Doch prägt sich andererseits die Subjektivität als eine ausgesprochene weibliche in dem Sinne aus, daß sie des Männlichen als Gegenpol bedarf Von den Zaubersprächen hat Adolf Endler gesagt, in ihnen werden geradezu archaische Kämpfe um den Mann ausgetragen (S. 146). In dem Gedicht Ich wollte meinen König töten (ZS 11) bekommt man die freiwiillige Rückkehr zur Ungleichheit der Geschlechter und in die Rolle der Untergebenen vorgeführt. Das Gedicht geht wie andere bei Sarah Kirsch von der Prämisse aus, daß Frauen zu ihrer Identität nicht gelangen, wenn sie sich durch Vergleich und Angleichung selbst zu überspringen trachten. Unbefangen wird die Liebe zur beherrschenden, alle Wesenskräfte aufrufenden Lebensbeziehung der Frau erklärt. Könige wie der aus den Zaubersprüchen bleiben durch die Bedürfnisse ihrer Untertanen an der Macht, die sie auch inthronisiert haben: »Die Freiheit wollte nicht groß werden/ das Ding Seele dies bourgeoise Stück/ Verharrte nicht nur/ Wurde milder ...« (ZS 11). Bei der Darstellung des mißlungenen Aufstandes gegen die hergebrachten Rollen in der Liebe wird ein politisch-historischer Wortschatz gebraucht. Er verweist auf die soziale Tradition, welche die Rollenverteilung zwischen Mann und Frau determiniert. Er sorgt außerdem für einen ironischen Effekt. So freiwillig, wie es aussieht, ist die Entscheidung, die Auflehnung zu unterlassen, auch wieder nicht. Denn es gibt keine andere Möglichkeit. Wie die zugeordnete Sprache zeigt, führt der geprobte Aufstand zum Selbstverlust. Die Begrifflichkeit des politisch-historischen Wortschatzes schafft eine Sprachebene, die der eigenen, der Sprache des Gefühls, fremd ist. Das Ich muß sich in zwei Sprachen teilen und artikuliert sich in der fremden nicht völlig. Willen und Bedürfnis stehen entzweit; die sinnlich-kreatürliche Existenz gerät in Widerstreit mit der sozialen; das formulierte Ziel widerspricht dem Handlungsimpuls, sich von der Unterwerfung unter eine fremde Bestimmung freizumachen. Die Wahl muß mißlingen. Das Gedicht Ich wollte meinen König töten erweist sich als eine Wahl zwischen zwei Abhängigkeiten. Seine Ironie liegt in der Einsicht begründet, daß es die prätendierte Selbstständigkeit der Frau nicht oder noch nicht gibt. Der Text stellt einen Vorgang dar und bewertet einen anderen. Die Diskrepanz zwischen rationalem Vorsatz und dem Selbstgefühl wird ständig zugunsten des letzten überwunden. Emanzipation, wenn sie Selbstverlust mit sich brächte, wird als Möglichkeit zwar geprüft, aber nicht angenommen. Die Gedichte befürworten aber die Gegebenheiten, welche sich noch immer als die »natürlichen« weiblicher Existenz erweisen, nicht. Ironische Behandlung besagter Bedingungen bewirkt immer, daß nicht das männliche Verständnis von Menschlichkeit als Differenzbetrag eingesetzt werden kann. In dem Prosagedicht Das Grundstück (ZS 73) findet sich das ironisch gefaßte Bekenntnis zur Abhängigkeit der Frau nicht als Liebende, sondern als Mutter und Beschützerin der Familie. Die jungen Frauen und Mütter, deren Verrichtungen, Verhaltensweisen und Beziehungen der Text zu betrachten gibt, müssen allzu selbstlos sein, um zu sich selbst kommen zu können. Zwar haben sie ihre Lebensbeziehung selbst bestimmt und leben insofern mit den Verantwortungen, die sie übernommen haben, bei sich selbst. Doch werden sie mit ihrem Verantwortungsgefühl wie mit allen ihren Gefühlen allein gelassen, ihre Bereitschaft zu geben, wird ausgenutzt; und Hilfe der Männer, da durch Verpflichtung nicht mehr organisiert, bleibt aus. So beginnt das schöne Gleichgewicht ihres Selbstgefühls einem Balanceakt zu gleichen, der sich nicht ungefährlich ausnimmt. Weibliche Erfahrungen sind in Sarah Kirschs Lyrik aus dem hier betrachteten Zeitraum auf den Anspruch einer umfassenden Selbstverwirklichung bezogen. Dieser Maßstab befördert die Aufwertung des Gefühls; er strukturiert die Darstellung der Erfahrungen. In der Literatur der DDR ist er von Schriftstellerinnen eingeführt worden, aber nicht von ihnen alleine. Als ein Maß des Menschlichen, dessen der einzelne sich vergewissern konnte und auf das die Gesellschaft als ganze verpflichtet ist, greift der Anspruch auf die allgemeine Emanzipation der Menschen voraus. Und er wurde auch von den Autorinnen als Element der gesamten gesellschaftlichen Bewegung verstanden. Auch die geistigen Quellen sind trotz weiblicher Ahnenreihe nicht in einer weiblichen Gegenkultur aufzufinden, sondern liegen im humanistischen Denken des 18. und 19. Jahrhunderts, vor allem im Marxismus. Die Ungleichheit zwischen den Individuen wird hier als aufgehoben im reichen, über sich und seine Beziehungen verfügenden Menschen gedacht. Sarah Kirsch verschafft sich den Spielraum, der wohl nötig ist, um einen solchen Entwurf vom Menschen zum Vorschein zu bringen, durch eine im Grunde gesetzte Unmittelbarkeit. Was als Selbstbejahung im Gefühl auf die Leser wirkt, entsteht aus der Unmittelbarkeit im Umgang mit sich selbst, der Natur, ja der Sprache, die nicht vor den Gedichten da ist, sondern von ihnen hervorgebracht wird. Sie ist halb als Abbild realer Verhältnisse und Verhaltensweisen, halb als Utopie gemeint und stellt einen realen Lebensentwurf dar, der doch auf die magische Welt angewiesen ist, die es nur in dem Gedicht gibt. Sarah Kirschs Entwurf einer ihrer selbst gemäßen Subjektivität unterscheidet sich von dem ihrer männlichen Dichter- und Generationsgefährten in wichtigen Punkten. So ist Selbstverwirklichung im Verhältnis zur Natur nicht in Gestalt von Herrschaft vorgestellt. Diese beruht bei ihr vielmehr auf dem Prinzip der Sympathie. In der fiktiven Welt der Zaubersprüche hat die Natur ihre Sprache, in welche das Ich der Gedichte einzustimmen vermag: »Eu Regen Schnee Gewitter Hagelschlagen / Steigt aus des Meeres bodenloser Brut/ Und haltet euch in Lüften eng umfangen/ Bis er auf meinem Sofa ruht« (ZS 70). So wie in dieser »Ruf- und Fluchformel« kann eigentlich nur der dritte Bruder aus dem Märchen oder die jüngste Königstochter mit Pflanzen und Tieren umgehen. Dabei gilt immer, wie auch in Sarah Kirschs Gedicht, daß sie der Rufenden zur Hilfe kommen, die Liebenden schützen und ihr Glück befördern. Ebenfalls wie in der Märchenwelt besteht die Natur nicht aus leblosen oder unbewußten Dingen. Wesenheiten bevölkern sie, die sich dem Ich freundlich zuwenden können, aber auch Willen genug haben, sich abzuwenden. So kann sich das Ich in ihnen erkennen: »Schöner See Wasseraug ich lieg dir am Rand/ spähe durch Gras und Wimpern, du/ läßt mir Fische springen [...] deine Ufer/ wähltest du inmitten heimischer Bäume« (LA 37). Im Spiegel des Sees begegnet das Ich sich glücklich, im Einverständnis mit seinem lauten und leisen Leben. Dieser See hat sich seinen Platz gewählt, wie das Ich auch, und wechselt ihn im Gedichtverlauf zugleich mit den veränderten Bildern, die aus dem Bewußtseinsstrom hervortreten. Landschaften aus anderen Teilen der Welt, Bilder, wie die Medien sie übermitteln, können hier noch mühelos in das Einvernehmen des Ich mit der Welt, die seine ist, aufgenommen werden. Die unmittelbare Beziehung bleibt im Wechsel beständig und gewährt Bestätigung des Selbst durch diese. In der Bildwelt der Gedichte wird die Natur so vermenschlicht, daß mit ihr umgegangen werden kann wie mit einem Teil des eigenen Leibes. Diese Erscheinung der Natur ist weniger Reflex einer ursprünglichen sinnlichen Erfahrung, obwohl die Anschauung der Botanikerin nicht fehlt, als vielmehr Topos für eine Welt, in der Wollen und Können eins sind. Diese fiktive Welt wird nicht zuletzt geschaffen, um Liebe darin heimisch zu machen. Das ergab die glückliche Gelegenheit, Liebe wie Sinnlichkeit aus dem Vermögen der Liebenden hervortreten zu lassen, so daß sie sich nicht als Objekt eines anderen finden mußte. Darum gelang es Sarah Kirsch, nicht nur eine Bresche in die Tabus des für Frauen nicht Sagbaren auf sexuellem und erotischem Gebiet zu schlagen, worin sie bald reichlich Nachfolge unter den Autorinnen der DDR-Literatur hatte - wie die Anthologie Don Juan über dem Sund zeigt. Ihre Gedichte vermochten auch, Liebe als Erweiterung der Existenz und Überschreitung der Vereinzelung zu fassen. In dieser Auffassung von Liebe hatte sie keine Nachfolgerinnen. Doch war eben auch nur in der magisch-fiktiven Welt Liebe und verfehlte Liebe, Lust wie Unglück immer Gewinn an Weltbeziehung. Die Natur selbst legt sich hier wie ein Schutzmantel um das Ich und trennt es vom gewöhnlichen Verlauf der Dinge, Verletzung und Einsamkeit, ab-. »eine Bannmeile schöner frischer Wald/ Mit Kuckucken, Holztauben und Rotbrüstchen/ Habe ich um mich gelegt: unempfindlich/ Geh ich im Wind« (RW 23). Der Gestus der Rede widerlegt die behauptete Unempfindlichkeit; aber er bekräftigt eine innere Unangreifbarkeit. Das ist die Sicherheit, die Franz Fühmann in seinem Vademecum als »rigorose Subjektsetzung« an den Zaubersprüchen gerühmt hat (S. 155). Sie braucht die Utopie einer Welt, in der alles Bedeutung für das Subjekt hat und mit ihm korrespondiert. Auch hier sieht man das Grundmuster romantischer Vorstellung von der Welt, wie sie sein sollte, durchschimmern. Daß es darauf ankam, diese mögliche Welt nicht hermetisch von der andern zu scheiden, sondern für Konflikte und Erfahrungen der zeitgenössischen Welt offen zu halten, ist Sarah Kirsch bewußt gewesen. Der Zusammenhalt zwischen beiden wird in den Gedichten immer erneut gewonnen. Nie siegt das Bedürfnis nach Versöhnung im Gefühl ganz über die Spannung der gemischten Gefühle, wie sie etwa Ironie herbeiführt. Oft unterbricht die Gegensätzlichkeit der in die Wahrnehmung eindringenden Gegenstände den Fluß der Rede, oder das Thema gerät in Widerspruch zum Gehalt. Die Selbstgewißheit des Ich ist ein immer angefochtenes, im poetischen Vorgang aufzurichtendes, durchzuhaltendes Ergebnis des schöpferischen und auf Phantasie angewiesenen Gestaltungswillens. Dessen Behauptung ist das Authentische an den Gedichten, so, wie ihre Unmittelbarkeit Entwurf ist.
Von einer derartigen Gewißheit geht das poetische Konzept Elke Erbs nicht aus. Die Generationsgefährtin und Freundin Sarah Kirschs tritt mit poetischen Texten erst in den siebziger Jahren an die Öffentlichkeit. Diese Texte trennen sich von der herkömmlichen Form der Gedichte fast ganz. Sie bereiten Splitter von Wahrnehmungen auf, Bilder, die aus dem gewohnten Zusammenhang gelöst sind, zeichnen Vorgänge auf, die gemeinhin als unerheblich gelten würden, und Ereignisse, die erst durch die Darstellung dazu gemacht werden. Dazwischen sind in allen drei Bänden Reflexionen über das wichtigste Instrument unserer Weltaneignung, die Sprache, gestellt. Elke Erbs Texte sind experimentell zu nennen. Sie verfolgen mehr als einen Kunstzweck, wenn sie aufsammeln, was gewöhnlich verlorengeht, abgestreift oder ausgeschieden wird. Es handelt sich dabei immer um Wahrnehmungen und Eindrücke, die unerwartet auf den Betrachtenden treffen und daher nicht eingeordnet werden können oder Reaktionen herausfordern wie Mitleid, das zu nichts nutze ist und daher wenig geübt wird. Die mühselige Arbeit, solche achtlos behandelten Anlässe zu Freude oder Schmerz, zu sozialen Kontakten oder mitmenschlicher Solidarität zu sammeln, wird unternommen, um einem ausschließlich zweckgerichteten Wahrnehmen und Denken entgegenzusteuern. Es wird gezeigt, welcher Preis für diese Spezialisierung zu entrichten ist. Gegenstände und Bereiche in den Texten variieren stark. So werden an ihnen selbst die Merkmale der Serie nicht faßbar. Sie bieten nichts an, woran Rezeptionsgewohnheit sich festmachen könnte. Gegenstücke sind die polemischen Texte. Sie kreisen Ursachen dafür ein, warum ein Teil des Lebens ungelebt verlorengeht und die Subjekte um diesen verkürzt werden. »Die Aufgabe allem Wirklichen gegenüber heißt: es zu verarbeiten«, schreibt Elke Erb 1969 in einer ihrer kunstkritischen Arbeiten (FdG 53). Das Versagen vor dieser Aufgabe erscheint bei ihr als gleichbedeutend mit Verkümmerung. Diese wird vorwiegend an weiblichen Bewußtseinszuständen dargestellt. In den verschiedenen, im Grunde aber uniformen Rollen, die Frauen zufallen, zeigt es sich als geformt durch die äußeren Bedingungen, so daß ein Selbst nicht auffindbar ist. Weibliches Verhalten wird vorwiegend in der kleinbürgerlichen Lebenssphäre beobachtet, an der Mutter, der Hausfrau, der Witwe. Sie leben nach Regeln, die sich aus ihren Funktionen ergeben. Die Banalitäten des Alltags und der unverrückbare Zeitplan der Verrichtungen sind ihr Gesetz, das ihnen natürlich erscheint, nicht aber der in marxistischem Denken geübten Autorin. Jedoch erweist sich in ihren Texten auch, daß dieses Gesetz nicht dadurch aufgehoben werden kann, daß es durchschaut wird. Die Herauslösung aus der Mechanik traditionell weiblicher Lebensabläufe führt zu einem Dilemma. Der Aufkündigung der Rollen folgen die Rollenkonflikte. Deren Trägerin ist in Elke Erbs Texten fast immer das Ich, Medium der Wahrnehmung. Die Nähe zum Authentischen derartiger Beobachtungen ist durch beigefügte Datierungen, die Tagebucheintragungen evozieren, herausgehoben. Diese Texte notieren Selbsterfahrungen. »Wenn ich auf die Stehleiter steige, bricht mir der Schweiß aus. Rationell wäre, sie nackt zu besteigen. Viele richtige Überlegungen werden vom Alltag verworfen« (VB 15). Die in Der Alltag verhandelte Angelegenheit selbst ist nicht schwerwiegend. Die Aussage des Textes zielt auf die Einschüchterung, die von den Geboten des Alltags ausgeht. Er verunsichert das Selbstgefühl auch dann, wenn die Seinsweisen in den jeweiligen Funktionen nicht mehr angenommen werden. Weibliche Selbstverwirklichung steht vor dem Dilemma, daß Mühsal und Kräfteverschleiß zu Hürden wachsen. Wer sie überwindet, fühlt sich nicht frei, sondern auch müde und traurig: »Morgens, noch in der Waagerechten, wird, was wachgeworden war, erschossen, die Empfindung [...] So wasche ich mein Gesicht zuerst in Tränen«, heißt es in Notiz (VB 22). Als einen ihrer Schreibanlässe bezeichnet Elke Erb »die ausschließlich herrschende lineare Schreibweise« (VB 106). Gegen deren Verlaufsform stemmen sich ihre Texte. In der Poesie soll das Unbewußte mitschreiben dürfen und die Sinnestätigkeit Raum behalten. Auch die Vorstellung, daß die Tyrannei, welche das Bewußtsein über Gefühle und Sinneseindrücke errichtet hat, gebrochen werden müsse, berührt sich mit romantischen Kunsttheorien. Elke Erb bezieht sich selbst ausdrücklich auf diese und fühlt sich auch verwandt mit den Vertretern einer literarischen Revolution, die im Expressionismus und Dadaismus eine »ungenießbare« Kunstproduktion gefordert haben. So stellt sie sich mit den eigenen Arbeiten in die Reihe derer, die mit Poesie die Herstellung oder Wiederherstellung des ganzen Menschen bewirken wollen. An der Dimension eines universellen Ganzheitsanspruchs ist, auch wenn dieses unausgesprochen bleibt, die Einseitigkeit gemessen, die die Texte als Folge der sozialen Existenz von Frauen zum Vorschein bringen. Die Spanne zwischen der weitgreifenden Programmatik und den Themen der Texte ist freilich groß, oft scheint sie kaum überbrückbar zu sein. Christa Wolf bemerkt bereits in ihrem Gespräch mit Elke Erb im Tone des Ungenügens, daß die Partikularität der Erscheinungen genügsam wirke und nicht als Reflex der Wirklichkeit erscheine (FdG 138). Nun ist bei experimentellen Texten schwer zu entscheiden, ob Wirkungen, gerade solche, die Unbehagen auslösen, nicht in der Absicht des Autors gelegen haben. Jedoch erscheint das gebrochene Verhältnis zur Erscheinungsweise der Wirklichkeit wie auch zu allen Idealen unvermeidlich. Elke Erb sorgt dafür, daß in ihren Texten nicht Ganzheit, Schönheit und Unbefangenheit das geschichtslose Dasein der bloßen Idee leben. Sie verfährt anti-utopisch. Der Anspruch auf Selbstwerdung soll aus der Höhe der Ideenwelt herabgeholt und an die Alltagsexistenz gebunden werden. Mit der Wahl einer beinahe naturalistischen Optik bei der Verarbeitung von Wirklichkeitseindrücken wendet sich Elke Erb offenbar gegen die in der Prosa verbreitete »sentimentalische« Haltung. Die Empfindung wird als wirkliches, sinnliches Reservoir aller Selbstverwirklichung bestimmt. Poesie muß daher keine in sich abgeschlossenen Bilder darbieten, sondern »prozessual« statt »resultativ« vorgehen (VB 107). So trägt sie selbst nicht dazu bei, die menschlichen Wesenskräfte dem vorherrschenden linearen Verfahren der Weltaneignung anzupassen. Nur so vermag sie an die Totalität dieser Wesenskräfte zu erinnern und deren Entfaltung endlich auch anzuregen. Tonangebend wie in der Prosa sind Frauen in der Lyrik der DDR des letzten Jahrzehnts nicht gewesen. Das drängt zu der Vermutung, daß die weibliche Perspektive doch des Materials ihrer speziellen Erfahrungen bedarf, um sich kenntlich zu machen. Lyrikerinnen, die in den letzten Jahren hervortraten, wie Christiane Crosz, Annerose Kirchner, Uta Mauersberger und Gabriele Eckart gewinnen das Charakteristische ihrer Texte meistens aus der Beschränkung auf einen abgegrenzten Erfahrungsbereich. Solche poetischen Domänen entstehen etwa aus dem Weltbild einer auf sich selbst gestellten Frau. die diese soziale Situation als Unabhängigkeit anzunehmen entschlossen ist, so bei C. Crosz. Sie ergeben sich auch aus Ungleichheiten und Ungleichzeitigkeiten von ländlichen und handwerklichen Lebensweisen im Vergleich zur modernen, großstädtischen und durch industrielle Produktion bestimmten Existenz. Das ist das Thema A. Kirchners. Schließlieb bringen die sich immer wiederholenden Ankünfte im Alltag, deren Erfahrungsinhalte sich von Generation zu Generation verändern, spezielle Themen bei G. Eckart und U. Mauersberger. Dagegen drängen bei der Lyrikerin Brigitte Struzyk die Gedichte über den Spezialbereich einer weiblichen Erfahrungswelt hinaus, auch wenn sie von diesem ausgeht. Die Autorin stellt die Ungleichheit zwischen den Ansprüchen auf menschliche Ganzheit bei Männern und Frauen ohne Umschweife fest, aber sie tut dies auch, ohne die Erfahrungen ihrer Lebenspraxis auf einen weiterreichenden Kontext, der Geschichte oder Zukunft heißen könnte, zu beziehen: »Ich, beispielsweise/ komme zu gar nichts. Nichts und niemand kommen zu mir/ und viele Kinder,/ die eigenen/ und auch die fremden« (LadK 120). Ein Gedicht des Lyrikers Heinz Czechowski, das mit den ersten beiden der zitierten Worte beginnt, wird hier abgetan, die Welt im Kopfe mit der Reflexion zugleich verworfen. Das Titelgedicht heißt bei Brigitte Struzyk Leben auf der Kippe. Damit wird nicht nur eine soziale Situation benannt, die unter den Verhältnissen der DDR als extrem anzusehen ist. Der Titel weist gleichzeitig auf ein Gefühl der Unbehaustheit und der Gefährdung hin. Das Leben zwischen den traditionellen Rollen oder im Protest gegen sie wird als Gratwanderung erfahren; der Absturz ist nicht ausgeschlossen. Ein ähnliches Selbstverständnis klingt zwar bei Sarah Kirsch und Elke Erb, auch bei den Romanautorinnen gelegentlich an, kommt aber in gleicher Deutlichkeit eigentlich nur in Maxie Wanders Interviewsammlung Guten Morgen, du Schöne zur Sprache. Brigitte Struzyks Gedichte sind kunstlos, das bedeutet hier, unbekümmert um die Semantik der Form. Darin und in dem geringen Spielraum, der dem Ich gegenüber den Dingen, Verhältnissen und äußeren Beziehungen bleibt, gleichen sie denen der zwanzig Jahre älteren Inge Müller. Die Notwendigkeit, sich über den eigenen Platz in der Welt zu verständigen, überwiegt. Die Freiheit, andere Möglichkeiten von Leben durchzuspielen, ist entsprechend gering. Notwendigkeit hat für Brigitte Struzyk ein anderes, vergleichsweise freundlicheres Gesicht. Sie heißt: »Arm am Beutel,/Kind am Herzen« (LadK 92). Der Alltag, von dem ständig die Rede ist, dirigiert sogar die Sprache der Gedichte. Doch brechen sie eben auch entschieden aus dem Einflußbereich all der Vorstellungen heraus, welche aus dem Fundus einer imaginierten Weiblichkeit geschöpft sind und die Frau als besseren Teil der Menschheit gern ausmalen. Hier wird nicht gehofft, daß die Frauen sich selbst aus der Beengung traditioneller Aufgaben und Verpflichtungen durch die intellektuelle Aktion befreien könnten. Die nüchterne Auffassung von der Lage der Frauen in der realen Geschichte, als Beteiligte und womöglich Verstrickte, ist sonst selten in der von Frauen geschriebenen Literatur der DDR anzutreffen. Sie wird in ein direktes Verhältnis zur Bedrohung durch den atomaren Krieg gesetzt: »Doch auf der Schambehaarung des Krieges kugeln die Köpfe/ talwärts blättert der Wind die Kapitel blüht eine Lust/ [...] Kippe ich ab und zu den Quellen?/Auf meinem Schoß sitzt das Kind/ als wäre es noch nicht geboren« (LadK 5/6). Aus dem chaotischen Ansturm der Ereignisse, die Geschichte ausmachen, arbeitet sich das Ich hier nicht heraus. Hier gilt keine geheime Überlegenheit über eine Welt, die als männlich anzusehen wäre und der die Verheißung einer anderen, weiblichen Geschichte entgegenzuhalten wäre. Das Abkippen zu den Quellen, den Müttern oder in die Geschichtslosigkeit hat nur die eine Bedeutung: mit der Mutter ginge das Kind zugrunde und so die nächste Generation der Menschheit. Das ist eine Aussage fast ohne polemische Richtung. Die Texte halten sich an das Gegebene. Ähnlich wie in den Gedichten von Arbeiterschriftstellern in der frühen sozialistischen Literatur oder solchen von Autodidakten wird man hier den Anspruch auf ein universelles, die Welt verarbeitendes Subjekt nicht finden. Daß Frauen ihr Leben und nicht die Ansprüche auf anderes Leben, die jenes produziert, auf diese Art im Gedicht bezeugen, ist neu und schon darin bemerkenswert.