Schreibende Frauen in der Deutschen Demokratischen Republik

»Der Autor nämlich ist ein wichtiger Mensch« - Zur Prosa

»Natürlich ist das Land ein Ort des Wunderbaren«: Mit dieser ironischen Aussage beginnt und endet Irmtraud Morgners phantastischer Roman Leben und Abenteuer der Trobadora Beatriz nach Zeugnissen ihrer Spielfrau Laura (1974). Morgner erzählt von einer französischen Trobadora, die nach 808jährigem Schlaf rüde ins zwanzigste Jahrhundert erweckt wird. Ihr Weg durch die moderne Gesellschaft führt sie von der Provence nach dem Paris der Mai-Revolution von 1968 und schließlich in »das gelobte Land« DDR, den ersten sozialistischen Staat auf deutschem Boden. In diesem »wunderbaren« und, wie sie hofft, frauenfreundlicheren Land will sie ihren Beruf als Dichterin wieder aufnehmen, nachdem sie ihn, entmutigt durch ihre Erfahrungen in der mittelalterlichen Männerwelt, vor mehr als achthundert Jahren aufgegeben hatte. Morgners Roman entspringt der Hoffnung, daß dieses »gelobte Land« auch ein Schreibort sein wird, der den Interessen der Frauen förderlich ist und ihnen endlich den »Eintritt in die Geschichte« gestattet, der ihnen von früheren, patriarchalen Gesellschaftssystemen verwehrt worden war. Obwohl die Trobadora stirbt, ehe sie ihre »Romanform der Zukunft« vollendet, wird es klar, daß Morgner ihre Hoffnungen auf die DDR setzt als einen »Ort des Wunderbaren« in sozialer, politischer und kultureller Hinsicht, wo Frauen sich einrichten und behaupten können, wo sie endlich ihren »Eintritt in die Geschichte« vollziehen können.
Was macht das »gelobte Land« DDR so anziehend für die Trobadora? Nach ihrem langen Schlaf kommt sie zunächst nach Paris, wo ihre Erlebnisse während der Mai-Revolution sie zum Erlernen der deutschen Sprache motivieren, damit sie Marx und Engels im Original lesen kann. Sie lernt dabei einen Reporter aus der DDR kennen, dessen Berichte über den Versuch, in seinem Land, die Theorien von Marx und Engels zu realisieren, sie zu der Ansicht bringen, daß es sich um das gelobte Land der Frauen handeln müsse. Mit Marx' Bemerkung, »Der gesellschaftliche Fortschritt läßt sich exakt messen an der gesellschaftlichen Stellung des schönen Geschlechts«, fest im Gedächtnis, macht sich die Trobadora auf den Weg zur DDR, die - so erwartet sie - der tradierten Reduktion der Frau auf den häuslichen Bereich und damit ihrem Ausschluß aus der kulturellen Sphäre ein Ende gemacht hat.
Es wäre unmöglich, die umfangreichen Programme zur Sicherung der sozialen, politischen und wirtschaftlichen Gleichberechtigung der Frau in der DDR hier zu erörtern. Es genügt festzustellen, daß außerordentliche Maßnahmen ergriffen wurden, um die traditionellen Barrieren gegen ihre Beteiligung am öffentlichen Leben wegzuräumen; man muß jedoch ebenso darauf hinweisen, daß das Gewicht bei dieser Emanzipation in erster Linie im wirtschaftlichen Bereich liegt. Aufgrund der Prämisse, daß die gesellschaftliche Stellung der Frau notwendigerweise von ihrem Verhältnis zur Produktion abhängt, und daß ihre Emanzipation untrennbar von der Emanzipation des Menschen im Klassenkampf ist, gibt es in der DDR keine organisierte, öffentliche Frauenbewegung. Aus diesem Grund hat vor allem die Literatur die Funktion eines Forums für die Diskussion von Frauenfragen in der DDR übernommen. Wenn DDR-Schriftstellerinnen jedoch von enthusiastischen Lesern aus dem Westen mit dem Etikett »feministisch« versehen werden, so wird diese Bezeichnung meistens entschieden zurückgewiesen, da der Feminismus als bürgerlicher Versuch gilt, Emanzipation durch den Kampf der Geschlechter statt durch den notwendigen Angriff auf die ökonomische Basis der Unterdrückung zu erreichen. Angesichts der Verluste an männlichen Arbeitskräften durch den Krieg und, bis zur Schließung der Grenze, noch durch die Abwanderung in den Westen wäre ein Überleben der DDR, ganz zu Schweigen vom Erreichen des gegenwärtigen Status einer hochentwickelten Industriegesellschaft, undenkbar gewesen ohne die aktive Mitarbeit von Frauen in einer Anzahl und in Berufen, wie man sie vorher nie gekannt hatte: fast 90 v. H. aller Frauen im arbeitsfähigen Alter arbeiten in einem Vollzeitberuf Gleichzeitig aber braucht der Staat, zumindest gegenwärtig, die Dienste der Frau im Familienverband, wo sie auch die Aufgaben wie Reproduktion und Sorge für die Kinder übernehmen muß.
Wenn die Familie eine Bastion des Konservativen geblieben ist, so mag man eine etwas fortschrittlichere Haltung seitens der Regierung und der Partei erwarten, die immerhin die gesetzlichen Rahmenbedingungen für die Emanzipation der Frau geschaffen haben. Obwohl Frauen ungefähr ein Drittel aller Parteimitglieder stellen, sind sie in den höchsten Organen - dem mächtigen Zentralkomitee der SED, dem Ministerrat und dem Politbüro - nur dürftig, wenn überhaupt, vertreten. Die fundamentale marxistisehe These, daß die Einbeziehung der Frau in die Produktion das Ende der Arbeitsteilung herbeiführen würde, wird durch den Fortbestand von Institutionen und Verhaltensweisen widerlegt, welche die Unterordnung der Frau in der öffentlichen wie auch in der privaten Sphäre bewahren. Dieser Zustand wird beispielhaft dargestellt in den Erfahrungen der Trobadora und ihrer Spielfrau Laura.

In der DDR wird der Kultur und insbesondere der Literatur eine zentrale gesellschaftliche Bedeutung zugemessen. Hier gilt Bewußtseinsbildung als die »Arbeit« von Künstlern, besonders Schriftstellern, und sie werden deshalb in viel größerem Ausmaß als im Westen mit festen Gehältern, Stipendien und wohldotierten Preisen unterstützt, welche sie von den literarischen und sozialen Institutionen der DDR (Theatern, Verlagen, Schriftstellerverband und Akademien z.B.) beziehen. So wird von Schriftstellern erwartet, daß sie der Gesellschaft durch produktives Schreiben dienen, sowohl in der Wirkung auf die Menschen, für die geschrieben wird, als auch durch die Befriedigung der Bedürfnisse dieser Leser. Obwohl die ältere Konzeption der »Literatur als Waffe« im Klassenkampf, die in den frühen Jahren der DDR noch volle Geltung besaß, einem breiteren, flexibleren Verständnis der Literatur als »Lebenshilfe« gewichen ist, die der Therapie, dem Widerstand oder der Selbstverwirklichung dienen kann, bleibt die Literaturtheorie in der DDR dennoch eng verknüpft mit aktuellen Fragen der Politik. Die zentrale Stellung der literarischen Kultur in der DDR verleiht ihr eine viel wichtigere Funktion als in den westlichen Ländern. Sie macht sie aber auch zum Objekt der Prüfung und Kontrolle durch außerliterarische Instanzen, weil sowohl dem Schreib- als auch dem Leseakt eine grundsätzlich verschiedene Bedeutung zugemessen wird. So entscheiden kulturpolitische und pädagogische Gesichtspunkte, nicht Profit- oder Vermarktungsfaktoren darüber, was veröffentlicht wird.
Schriftstellerinnen in der DDR arbeiten in einem hierarchisch aufgebauten, bürokratisch kontrollierten literarischen System. Es erstreckt sich vom Zentralkomitee der SED über das Ministerium für Kultur, mit seiner Hauptverwaltung Verlage und Buchhandel - die jeden Aspekt der Publikation und Verteilung, einschließlich der Papierzuteilung kontrolliert zum Schriftstellerverband, der zwischen der Partei und den Autoren vermittelt und die Literaturentwicklung auf allen Ebenen koordiniert und fördert, und schließlich zu den Verlagen, ihren Lektoren und den Schriftstellern, mit denen sie arbeiten. Was in den führenden Zeitschriften und Verlagen erscheint, wird oft mit einer Intensität gelesen und diskutiert, die im Westen nichts Vergleichbares hat, weil allgemein anerkannt ist, daß jede Veröffentlichung einen langen und verschlungenen Weg durch die vermittelnden Institutionen der Kulturpolitik hinter sich hat.
Trotz ihrer Bereitschaft, gesellschaftliche Mißstände deutlich zu artikulieren, fällt es jedoch auf, daß mit Ausnahme von Sarah Kirsch fast keine DDR-Schriftstellerin als »Dissidentin« im Sinne jener, die für ihre Kritik mit Gefängnisstrafen, Ausweisungen oder Emigration bezahlt haben, bezeichnet werden kann. Der kritische und provozierende Ton vieler jüngerer Autorinnen hat ihnen im Westen Aufmerksamkeit eingebracht, aber im Gegensatz zu den »Dissidenten« wird ihre Kritik nicht als Angriff auf das System selbst, sondern als Hinweis auf »nichtantagonistische Widersprüche« betrachtet, die im Kontext des Sozialismus gelöst werden können und sollen. Freilich sind ihre Kritiken oft verschleiert, metaphorisch oder phantastisch, und man kann den Faktor der Selbstzensur auch nicht ausschließen, aber im Grunde haben die Frauen den Versuch nicht aufgegeben, durch die literarischen Institutionen der DDR zu arbeiten, statt sich außerhalb ihrer »Literaturgesellschaft« zu begeben, indem sie sich der illegalen Publikation in den jederzeit zugänglichen westlichen Medien bedienen. Daß einige von ihnen dennoch größere Resonanz im Westen gefunden haben als die meisten ihrer männlichen Kollegen, deutet auf die internationale Relevanz ihrer Anliegen.
Die Aufmerksamkeit, die jüngeren DDR-Schriftstellerinnen im Westen geschenkt wird, steht in starkem Kontrast zu der Nichtachtung ihrer Vorgängerinnen, die gerne als Parteischreiberlinge mit beschränkten Interessen und noch beschränkteren Talenten abgetan wurden. Viele Frauen dieser älteren Generation, meistens schon vor dem Ersten Weltkrieg geboren, waren in den späten 20er oder frühen 30er Jahren der KPD und dem Bund proletarischer-revolutionärer Schriftsteller (BPRS) beigetreten und haben aus diesem Grund die Jahre des Nationalsozialismus im Exil, hauptsächlich in der Sowjetunion, verbracht. Soweit sie nach dem Krieg nach Deutschland zurückkehrten, haben sie sich in der Sowjetzone niedergelassen, entschlossen, mittels der Kultur den politischen, moralischen und wirtschaftlichen Wiederaufbau Deutschlands und deutscher Kultur zu bewirken. Ohne Unterschied der Geschlechtszugehörigkeit ging es den Schriftstellern um den Wiederaufbau von Städten und Fabriken, den Abbau von Faschismus und Kapitalismus, die Verstaatlichung von Betrieben und die Kollektivierung der Landwirtschaft.
Anna Seghers, deren literarische Karriere sieben Jahrzehnte umspannt, wird allgemein als die führende Figur dieser Aufbauperiode und die große Vorläuferin der DDR-Schriftstellerinnen anerkannt. Im selben Jahr, in dem ihr erster Roman, Aufstand der Fischer von St. Barbara (1928), erschien, trat sie der kommunistischen Partei bei. 1930 wurde sie auch aktives Mitglied des BPRS. Nach ihrer Verhaftung im Jahre 1933 floh sie nach Paris, bis die deutsche Okkupation sie zwang, erneut zu fliehen, diesmal über San Domingo nach Mexiko, wo sie unter den Emigranten eine führende Rolle spielte. Das siebte Kreuz, geschrieben während ihrer Pariser Zeit und schon 1942 in englischer Sprache in den USA veröffentlicht, war 1946 die erste deutsche Veröffentlichung des neugegründeten Aufbauverlags. Seghers Roman, der die Flucht eines politischen Gefangenen aus einem Konzentrationslager schildert, wurde in der DDR allein in mehr als einer Million Exemplaren verkauft und gilt seit langem als klassisches Werk der DDR Literatur.
 Nach ihrer Rückkehr nach Berlin im Jahre 1947 engagierte sich Seghers intensiv in dem literarischen und kulturellen Leben der SBZ und späteren DDR. Ohne sich irgendwie über ihre anomale Stellung als Frau im männlich dominierten Literaturbetrieb zu äußern, hielt sie 1947 die Ansprache beim 1. (gesamt-)deutschen Schriftstellerkongreß. Danach wurde sie Präsidentin des Schriftstellerverbandes der DDR von seiner Gründung 1952 bis zu ihrem Rücktritt im Jahre 1978. Bei der Gründung des Kulturbundes 1947 wurde sie dessen Vizepräsidentin und auch Gründungsmitglied der Akademie der Künste (1950). Besonders in den frühen Nachkriegsjahren setzte sie sich immer wieder für die Förderung des Friedens ein und vertrat ihren Staat auf vielen internationalen Kongressen und Tagungen. Bis in ihre späten Lebensjahre spielte Anna Seghers eine aktive, doch zurückhaltende Rolle in der Kulturpolitik der DDR, und ihr Schrifttum kann oft als Kommentar zu kulturpolitischen Fragen gelesen werden. Als z.B. in den 70er Jahren die langanhaltenden Vorbehalte gegen die Romantik und den »Formalismus« sowie engstirnige Auffassungen des sozialistischen Realismus in Frage gerieten, entdeckten DDR-Kritiker wieder den weit aufgeschlosseneren Realismusbegriff in ihren ersten Werken der 20er Jahre und in ihrer Realismusdiskussion mit Georg Lukács in den 30er Jahren. Seghers selbst veröffentlichte dann 1973 ihre wichtige Erzählung Reisebegegnung, die eine imaginäre Begegnung von E.TA. Hoffmann, Franz Kafka und Nikolai Gogol schildert. Hier wird Gogols Realismus als anachronistisch und bourgeois abgetan, während Hoffmanns und Kafkas visionärer Realismus als ehrlich und zeitgemäß hervorgehoben wird.
Anna Seghers war jedoch nicht das einzige Mitglied einer Generation von Frauen, die in bedeutendem Maße die Literatur der DDR formte. Andere engagierten sich noch stärker, z.B. in dem Versuch, Frauen als Arbeiter für die neue Gesellschaftsordnung in den Fabriken und in der Landwirtschaft zu gewinnen. Ihre Romane dienten den politischen und wirtschaftlichen Zielen der Partei, wobei die Emanzipation der Frau auf ihre Funktion als Arbeiter für den Sozialismus eingeschränkt wird, besonders in Positionen, die vorher von Männern besetzt wurden. Vorbildliche Frauen wurden gezeigt, entweder in entschlossenem Widerstand gegen den Nationalsozialismus oder in dem Prozeß, Arbeit und Familienpflichten zu verbinden. In diesem Prozeß des Aufbaus und der Bewußtseinsveränderung, die bis zur Schließung der Grenzen 1961 dauerte, sind die Werke der Schriftstellerinnen in keiner Weise von denen ihrer männlichen Kollegen unterscheidbar. Die Frau wird Objekt, nicht Subjekt der literarischen Darstellung, ohne jegliche Analyse ihrer wirklichen Bedürfnisse oder der Strategien für ihre Emanzipation.
Die fehlende Selbstsicherheit der neugegründeten DDR führte zu einschränkenden Maßnahmen gegenüber den Künsten. Schriftsteller wurden dazu angehalten, den Übergang zum Sozialismus zu fördern, indem sie den Beitrag der Arbeiterklasse hervorhoben und die Sicht auf eine bessere Zukunft in der neuen Gesellschaftsordnung eröffneten. Walter Ulbricht maß der Kultur beträchtliche Verantwortung hinsichtlich der Erfüllung des 5-Jahresplanes zu und machte deutlich, daß es ökonomisch notwendig sei, daß sich die Schriftsteller auf die Gegenwart konzentrierten, anstatt sich weiter mit der Vergangenheit zu beschäftigen. Einer der ersten Betriebsromane der DDR wurde von Maria Langner geschrieben. Langner, deren Roman Die letzte Bastion (1948) den Krieg in ihrer Geburtsstadt Breslau in Erinnerung rief, beschrieb schon in Stahl (1952) die Mitarbeit der Frauen am Wiederaufbau des Stahlwerks Brandenburg. Ruth Werner erfreute sich damals mit Ein ungewöhnliches Mädchen (1958) großer Beliebtheit. Stark autobiographisch schildert der Roman die Entwicklung eines wohlbehüteten Mädchens aus bürgerlichen Verhältnissen, die mit ihrer eigenen Klasse bricht und sich der KPD anschließt, ehe sie ihrem Ehemann nach China folgt. Seit dem biographischen Roman Olga Benario. Die Geschichte eines tapferen Lebens (1961) konzentriert sich Werner mehr auf das tägliche Leben in der DDR, so z. B. mit Romanen und Erzählungen wie Über 100 Berge (1965) und Kleine Fische - große Fische (1973).
Elfriede Brüning, die mit ihrem Roman ... damit du weiterlebst (1949) einen bedeutenden Beitrag zur antifaschistischen Tradition leistete, richtete schon mit Ein Kind für mich allein (1950) ihr Hauptaugenmerk auf die Stellung der Frau in der sozialistischen Gesellschaft, bevor sie 1955 den mustergültigen Betriebsroman vorlegte. Regine Haberkorn beschreibt die Geschichte einer politisch rückständigen Hausfrau, die Glück und Erfüllung in der Fabrik findet - dank einem Parteisekretär, der sich einschaltet und sich um ihre persönlichen und beruflichen Interessen kümmert. Brüning, die bereits in den 30er Jahren als Unterhaltungsschriftstellerin bekannt war, veröffentlichte mehr als ein Dutzend Werke, die immer wieder um Frauenprobleme kreisen, so z.B. Sonntag der 13. (1960), Septemberreise (1974), Wie andere Leute auch (1983) und Partnerinnen (1978), ein Zyklus von vier Erzählungen, die zusammen eine Art Roman bilden. Erst in den späteren Werken wird angedeutet, welchen hohen persönlichen Preis die Frauen, deren Leben geschildert wird, im Zusammenhang mit ihrer Integrierung ins Arbeitsleben zahlen mußten.

Unter den zurückgekehrten KPD-Mitgliedern der Vorkriegszeit waren auch Frauen, die nicht in erster Linie als Romanautorinnen hervorgetreten sind. Hedda Zinner, vor allem als Dramatikerin bekannt, versuchte sich in den 50er Jahren auch an einem Roman: Nur eine Frau (1954), der das Thema der Frauenemanzipation im Zusammenhang mit dem Leben der bürgerlichen Frauenrechtlerin des 19. Jahrhunderts, Louise Otto-Peters, behandelt. Zinner verfaßte später eine autobiographische Trilogie, Ahnen und Erben (1968-73), welche die Versuche einer Frau schildert, mit ihrer bürgerlichen Wiener Herkunft zu brechen und für ihre Emanzipation und die Veränderung sozialer Verhältnisse zu kämpfen. Ihr neuestes Werk, Arrangement mit dem Tod (1984), benutzt die Geschichte des Jüdischen Theaters in Berlin (1933-1941) als Hintergrund einer Geschichte über Kunst und Leben im Dritten Reich. Inge von Wangenheim, die als Schauspielerin und Regisseurin Karriere machte, erfreut sich als Romanautorin eines größeren Leserkreises mit Werken wie Einer Mutter Sohn (1958), worin sie Probleme der Jugend nach dem Kriege behandelte, sowie Romanen, die sich mit dem Verhältnis der Intelligenz zur neuen Gesellschaftsordnung beschäftigten: Professor Hudebrach (1961) und Das Zimmer mit den offenen Augen (1965). Einige ihrer neueren Werke verbinden Stoffe aus der Literaturgeschichte mit Gegenwartshandlungen, so die Beschäftigung mit Lessing in Hamburgische Elegie (1977) und Goethes Weimar in Spaal (1979). Unter den vielen Schriftstellern, die in den 70er Jahren eine Neuanalyse der deutschen Vergangenheit unternahmen, war auch die weniger bekannte Lyrikerin Eva Lippold, deren eigene Erfahrungen als politische Gefangene im Dritten Reich als Grundlage von Haus der schweren Tore (1971) und Leben, wo gestorben wird (1974) dienen.
Einige Schriftstellerinnen dieser Generation schildern auch Erfahrungen von Frauen auf dem Lande, insbesondere Margarete Neumann, selbst Neubäuerin in Mecklenburg, mit Der Weg über den Acker (1955), Lene Bastians Geschichte (1956) und Der grüne Salon (1972), ein Stoff, der 1985 in ihrem jungsten Roman Magda Adomeit fortgesetzt wird. Ihr erfolgreichster Roman, ... und sie liebten sich doch (1966), behandelt aber ein anderes Thema: die Probleme einer Malerin, die ihre Ehe aufgibt, um ein neues Leben zu beginnen. Auch Irma Harder schildert das ländliche Leben in den unmittelbaren Nachkriegsjahren in dem Roman Im Haus am Wiesenweg (1956), der vier Jahre später in Wolken überm Wiesenweg (1960) fortgesetzt wurde. Typisch für die Tendenz in den 70er Jahren, Probleme der deutschen Vergangenheit wieder aufzugreifen, ist ihr neuestes Werk, Die Frau vom Ziegelhof (1985), das die Zeit von 1936 bis zum Kriegsende behandelt leider mit derselben Schwarz-weiß-Malerei, welche die Darstellungen der 50er Jahre charakterisiert.

Frauen aus bürgerlichen Verhältnissen trugen ebenfalls in großem Maße zur Literatur der Aufbauperiode bei. Marianne Bruns, die schon in den 30er Jahren als Schriftstellerin begann, verfaßte in der Zeit von 1945 bis in die frühen 80er Jahre mehr als zwanzig Romane, darunter Jugendbücher wie Der Junge mit den beiden Namen (1958) und Die Silbergrube (1959) und Betriebsromane wie Glück fällt nicht vom Himmel (1954), Das ist Diebstahl (1960) u.a.m. Ein historischer Roman, Uns hebt die Flut (1950), geschrieben im Auftrag des Mitteldeutschen Verlags, zeichnet die Geschichte der Frauenbewegung an der Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert nach. Bis in die 80er Jahre ihres Lebens zeigte Bruns eine überraschende Breite an Stoff, Struktur und Schreibweise in Werken wie Großaufnahme leicht retuschiert (1973), ein Briefroman, in dem eine Mutter den schwierigen Lebensweg ihrer Tochter von den 30er Jahren bis in die Gegenwart erzählt, und Der grüne Zweig, eine Parabel über Noahs Vorbereitung auf die Sintflut, die ihr starkes Engagement für ökologische Fragen aufweist. Auch die jüngere Ruth Kraft, bekannt für ihre Kinderbücher, Hörspiele und Kinderfilme, gehört zu der Gruppe der immer noch vielgelesenen Unterhaltungsschriftstellerinnen. Seit ihrem ersten Roman, Insel ohne Leuchtfeuer (1959), der das Schicksal einer jungen Halbjüdin während des Krieges zum Inhalt hat, hat sie sich zunehmend Gegenwartsstoffen zugewandt.
Zu den beliebtesten Nachkriegsromanen der DDR gehörte auch Wem die Steine Antwort geben (1953) von Hildegard Maria Rauchfuß, die die Probleme beschreibt, welche ein Ehepaar während des Wiederaufbaus in Dresden bedrängen. In den autobiographischen Romanen Schlesisches Himmelreich (1968) und Fische auf den Zweigen (1980) schildert Rauchfuß die Entwicklung einer Frau, die aus konservativer Bürgertradition ausbricht. Auf andersartige Weise hat Liselotte Welskopf-Henrich, Professorin für alte Geschichte in Berlin, DDR Leser mit einer Art sozialistischer Karl-May-Geschichten versorgt: mehr als ein Dutzend Romane, die Kultur und Ausbeutung der Indianer aus sozialistischer Perspektive beschreiben. Neben ihren Indianergeschichten veröffentlichte Welskopf-Henrich auch eine Romantrilogie, Zwei Freunde (1956), die das Leben zweier Intellektueller während der Weimarer Republik und des Dritten Reichs schildert, sowie Romane über den Kampf gegen den Faschismus, z. B. Jan und Jutta (1956).
Gegen Ende der 50er Jahre erkannte die DDR ein fundamentales Problem in ihren Bemühungen, eine eigene sozialistische Kultur zu entwickeln: die meisten Schriftsteller waren ungenügend mit der Welt der Produktion vertraut, und die Arbeiter selbst verfügten weder über die nötige Zeit noch Ausbildung zum Schreiben. Schon 1955 wurde das Institut für Literatur »Johannes R. Becher« gegründet, um vielversprechende junge Schriftsteller auszubilden. Obwohl man wenige Frauennamen unter den Lehrern und Absolventen des Instituts findet, scheinen viele der Debütantinnen der 70er Jahre zumindest an den Sonderkursen teilgenommen zu haben. In dieselbe Richtung schlug auch die Bitterfelder Konferenz 1959, wo Kulturfunktionäre, Schriftsteller und schreibende Arbeiter in dem Versuch zusammenkamen, die Trennung von Kultur und Arbeit aufzuheben. Mit seinen oft zitierten Parolen, »Schriftsteller in die Betriebe!« und »Kumpel, greif zur Feder!«, führte der »Bitterfelder Weg«, obwohl letzten Endes in seinem präskriptiven Lösungsversuch erfolglos, zur Produktion mehrerer Romane, die den Beginn einer neuen Periode der DDR-Literatur markieren. Über einen der ersten exemplarischen Versuche wurde bereits auf der Bitterfelder Konferenz von Regine Hastedt berichtet: Der Roman Die Tage mit Sepp Zach (1959), der Hastedts eigene Erfahrungen mit Bergbauarbeitern in Oelsnitz dokumentiert.
Mit ihrem Roman Ankunft im Alltag (1961) lieferte die wesentlich jüngere Brigitte Reimann die Bezeichnung »Ankunftsliteratur« für die Literatur der 60er Jahre. Dieser Roman über die Probleme und Erfahrungen von Abiturienten, die ihr Pflichtjahr auf einer Großbaustelle verbringen - darunter ein Mädchen, das unmittelbar vor der Ausbildung als Architektin steht - reflektiert Reimanns eigene Erlebnisse mit einer Brigade in Hoyerswerda. Ihr nächster Roman, Die Geschwister (1963), handelt von den Problemen junger DDR-Intellektueller, die an einer Konfrontation mit der Bundesrepublik beteiligt sind. Franziska Linkerhand (postum erst 1974 erschienen) kehrt zurück zur Welt der Arbeit, jedoch mit einer völlig neuen und kritischen Perspektive, die diesem Werk in den 70er Jahren eine ähnliche Bedeutung verleiht wie Ankunft im Alltag für die 60er.

Die berühmteste Schriftstellerin der deutschen Gegenwartsliteratur, Christa Wolf, schrieb ihren ersten Roman ebenfalls im Zeichen des Bitterfelder Wegs: Der geteilte Himmel (1963) entstand aus ihren eigenen Erfahrungen, als sie, während sie als freiberufliche Lektorin für den Mitteldeutschen Verlag in Halle tätig war, in einem Eisenbahnwaggonwerk in derselben Stadt arbeitete. Wolfs Heldin Rita, in der Ausbildung zur Lehrerin, leistet ihr Betriebspraktikum im Waggonwerk. Wolfs Roman ist besonders wichtig, da er einen Erzählstil einführt, der erheblich komplexer ist als der, welcher in den Betriebsromanen der 50er Jahre vorherrschte, eine Mischung von Zeitebenen und Erzählperspektiven, die bis zu ihrem Nachdenken über Christa T (1968) ohnegleichen bleibt.
Mit dem Ende der Kollektivierung der Landwirtschaft 1960 und dem Bau der Berliner Mauer im Jahre 1961 begann in der DDR eine Periode der Isolation, die auch eine der inneren Festigung war. Eine Art sozialistischen Selbstbewußtseins begann sich zu entwickeln, zum Teil basierend auf dem wirtschaftlichen Aufschwung, der aus dem Ende der menschlichen und materiellen Verluste durch das offene Tor zum Westen resultierte, zum anderen auf der dadurch gezwungenen Blickrichtung auf DDR-eigene Angelegenheiten. Damit zusammenhängend wich ebenfalls die alte schwarzweiße Darstellung des »schlechten Alten« und des »guten Neuen« einer differenzierteren Sicht, die auch ungelöste Widersprüche und kompliziertere Fragen in Betracht zog, ohne fertige Antworten parat zu halten. 1961 wurde der Beginn des »entwickelten gesellschaftlichen Systems des Sozialismus« verkündet, das dann 1963 durch das Neue Ökonomische System, mit seiner Betonung der Perspektive des Planers und Leiters, implementiert werden sollte. Auch in der Literatur artikulierte sich ein fast naiver Glaube an die Macht der wissenschaftlich-technologischen Revolution, das menschliche Leben zu verbessern. Der weibliche Bildungsroman thematisierte jetzt die Integration der Frauen in bisher männlich dominierte Arbeitsfelder, vor allem in hochqualifzierte wissenschaftliche Berufe und in ihre neuen Rollen als »Leiter und Planer«. Es mag mit dieser Aufwertung der Technologie zusammenhängen, daß die 60er Jahre kaum wichtige Debütantinnen zu verzeichnen haben, mit der großen Ausnahme von Morgner und Wolf Beide gehören zur relativ spärlich vertretenen Generation der zwischen den beiden Weltkriegen geborenen Autorinnen, die noch in jungen Jahren den Übergang vom Nationalsozialismus zum Sozialismus erlebt haben. Diese Generation, ernüchtert durch die Unvereinbarkeit individueller Bedürfnisse und Glücksvorstellungen einerseits und den Geboten der Gesellschaft andererseits, begann vielmehr, von einem subjektiven als von einem gesellschaftlichen Standpunkt aus zu schreiben, nicht länger gewillt, ihre Selbsterfüllung auf eine bessere Zukunft zu verschieben.

Die jüngsten Entwicklungen in der Frauenliteratur lassen sich auf Christa Wolfs Nachdenken über Christa T zurückverfolgen. Der Roman, der 1968 in ängstlich begrenzter Auflage erschien, wurde dem breiteren Lesepublikum erst zugänglich, nachdem Erich Honecker bei seiner Machtübernahme 1971 eine liberalere kulturpolitische Atmosphäre eingeleitet hatte. Wolf lehnt die herkömmliche, eindimensionale Erzählweise mit ihrer Darstellung der Frau in der Rolle der »positiven Heldin« ab und erzählt stattdessen von einem Versuch, eine junge Frau darzustellen, die nicht beispielhaft war. »Einmal nur«, erklärt die fiktive Erzählerin, »dieses eine Mal möchte ich erfahren und sagen dürfen, wie es wirklich gewesen ist, unbeispielhaft und ohne Anspruch auf Verwendbarkeit.« Ausdrücke wie »zu sich selber kommen« und »die Schwierigkeit, Ich zu sagen« sind Anzeichen für die Suche nach einer Lebens- und Schreibweise, die in Authentizität statt Autorität verankert ist, die eher bedürfnis- als zielorientiert ist, eher Ausdrucks- als Werkzeugcharakter hat. Wolfs Beschreibung des Versuchs, die weibliche Erfahrung zu Papier zu bringen, das Schweigen der Frauen zu brechen, die sich bisher dem patriarchalischen Wertsystem gefügt haben, statt sich auf der Basis eigener Erfahrungen zu definieren, stellt einen Durchbruch in der Geschichte der deutschen Frauenliteratur dar. Mit ihrem Prinzip der »subjektiven Authentizität«, das sie gleichzeitig in dem wichtigen Aufsatz Lesen und Schreiben erläutert, führt Wolf eine radikale Abkehr von den alten Regeln ein, die sowohl die Komplexität der Erzählstruktur als auch das deutlich erkennbare Engagement der Autorin einschließt.
Dieses Prinzip läßt sich durch das gesamte spätere Werk Wolfs verfolgen, bis zu ihrem jüngsten Roman Kassandra (1983). Oft zeigt es sich in der fast gleichzeitigen Veröffentlichung von Aufsätzen, die ihre Texte erläutern und kommentieren. So bildet Kassandra z. B. eigentlich den Schluß von Wolfs theoretischen und autobiographischen Bemühungen in Voraussetzungen einer Erzählung, welche sich mit der Frage nach der Möglichkeit und Wünschbarkeit einer weiblichen Ästhetik befaßt in einer Welt, wo das männliche Prinzip dominiert. Die gleichzeitige Rückkehr zur Welt der Mythologie und die Betroffenheit durch die Gefahr bevorstehender Weltzerstörung in Kassandra stellen nur den bisherigen Gipfelpunkt einer Tendenz dar, immer tiefer die Vergangenheit zu durchforschen, um die Wurzel heutiger Deformationen aufzudecken. Der Versuch, sich zu erinnern, und alles erneut zu befragen, der mit Christa T begann, setzt sich fort in Kindheitsmuster (1976), ein Buch, das auf Wolfs Erlebnissen als Kind im Dritten Reich basiert, und in Kein Ort. Nirgends. (1979), das eine fiktionale Begegnung von Karoline von Günderode und Heinrich von Kleist benützt, um Fragen der Entfremdung und Kreativität zu erforschen, insbesondere in einer Schriftstellerin wie der Günderode. Wie Christa T und Kassandra, so wird auch Kein Ort Nirgends von einem theoretischen Essay begleitet: »Nun ja! Das nächste Leben geht aber heute an«, der Wolfs eigenes Engagement mit ihrem Thema noch verdeutlicht und unterstreicht. Im gleichen Jahr veröffentlichte sie auch eine Ausgabe der Briefe, Gedichte und Prosa der Günderode, wiederum von einem wichtigen Aufsatz begleitet, Der Schatten eines Traumes.
Wie Christa Wolf in Kindheitsmuster, hat auch die etwas jüngere Helga Schütz ihre eigenen Erfahrungen unter dem Einfluß des Nationalsozialismus zum Gegenstand ihres Erzählens gemacht. Etwas früher als die meisten Schriftsteller, die sich in den 70er Jahren erneut mit der deutschen Vergangenheit beschäftigten, hat sie schon 1970 den ersten ihrer fünf Bände »Jette«-Geschichten und Romane vorgelegt: Vorgeschichten oder schöne Gegend Probstein. Stark autobiographisch, werden die meisten Geschichten aus der Perspektive des Mädchens Jette erzählt, die - wie ihre Autorin unter dem Faschismus in einem schlesischen Dorf aufwächst. Jette in Dresden (1977) setzt den Bericht darüber fort, wie sie von ihren Großeltern in die Stadt gebracht wurde. Im bisher letzten Roman der Gruppe, Julia oder die Erziehung zum Chorgesang (1980), ist Jette eine reife Frau von 38 geworden, die ihren Spitznamen zugunsten des erwachseneren »Julia« abgelegt hat. Julia gibt ihre Bindungen an Familie, Beruf, und Heim auf und zieht nach Berlin. Anders als die naive Jette, die den Faschismus des alltäglichen Lebens aus der Perspektive eines vertrauensvollen Kindes beschreibt, ist Julia kritisch gegenüber dem Opportunismus und der Konformität, die sie überall um sich herum sieht, und besteht auf einem authentischeren Leben für sich selbst.

Wolfs Hervortreten als führende Autorin der DDR fällt in eine neue Epoche der Kulturpolitik, die mit dem Wechsel von Ulbricht zu Honecker und Willy Brandts Ostpolitik in die Wege geleitet wurde.
Damit veränderte sich sowohl das Verhältnis der DDR zur Außenwelt als auch die Funktion der Kultur in der Gesellschaft. Mit dieser wenigstens teilweisen Öffnung zur Welt hat die Literatur der DDR auch begonnen, internationale Angelegenheiten zu reflektieren: Frauen-, Umwelt- und Friedensprobleme, die ihr größere Resonanz verschafften als der Betriebsroman, egal in welcher Leitungs- oder Spezialistenposition seine Heldin war. Das gehobene Selbstbewußtsein spiegelt sich auch in einer größeren Bereitschaft zur Selbstkritik, die sich zum Teil auf Honeckers vielzitierte Erklärung auf dem VIII. Parteitag zurückführen läßt, daß es auf dem Gebiet der Kultur keine Tabus geben dürfe, weder die Form noch den Inhalt betreffend, solange man vom festen Standpunkt des Sozialismus ausgehe. Zum Teil ist noch ein anderer historischer Faktor zu berücksichtigen: das Auftauchen noch einer neuen Schriftstellergeneration - die »made in DDR« Jahrgänge, die meistens während oder nach dem Zweiten Weltkrieg geboren sind und deren Weltbild in erster Linie vom Sozialismus geprägt worden ist. Diese Generation stellt eigene Ansprüche an den Sozialismus, welche die qualitativen und nicht nur die quantitativen Aspekte der Emanzipation betreffen, d. h. die Situation der Frauen wird nicht mehr ausschließlich vom Standpunkt der Gesellschaft betrachtet, sondern die Gesellschaft wird auch vom Standpunkt der Frauen beurteilt - und für mangelhaft befunden, vor allem von alleinstehenden oder geschiedenen Frauen, besonders Müttern.
Für diese jüngere Generation muß das Jahr 1974 entscheidend gewesen sein; in drei gewichtigen Romanen nehmen Autorinnen der mittleren Generation das Thema von Christa T wieder auf. Brigitte Reimanns Franziska Linkerhand, Gerti Tetzners Karen W. und Morgners Trobadora. Während Franziska Linkerhand noch Spuren des »Ankunftsromans« der 60er Jahre erkennen läßt (für den Reimanns früherer Roman den Namen geliefert hatte), findet man auch ein viel größeres Maß an kritischer Introspektion in der jungen Architektin Franziska Linkerhand, die sich der Widersprüche zwischen der Realität ihres Lebens und ihren Idealen bewußt wird, als bei ihren Schwestern in den Romanen der vorhergehenden Jahrzehnte. Gerti Tetzner fragt noch beharrlicher in Karen W. nach der Qualität des Lebens einer Frau, sowohl in den Privatbeziehungen als Mutter und Liebende als auch im Beruf So wie Karen W ihren Partner verläßt und ihren Beruf aufgibt, zeigt Tetzner in diesem ihrem bisher einzigen Roman die praktische und strategische Beschränktheit eines abstrakten Emanzipationsdenkens, das den subjektiven Faktor nicht berücksichtigt.

Zu den Schriftstellerinnen, die in den 70er Jahren viele öffentliche Aufmerksamkeit im Westen wie im Osten erregten, zählt natürlich auch Irmtraud Morgner mit Leben und Abenteuer der Trobadora Beatziz nach Zeugnissen ihrer Spielfrau Laura. Roman in dreizehn Büchern und sieben Intermezzos (1974). Wie Christa Wolf, so studierte auch Morgner Literaturwissenschaft an der Universität Leipzig und arbeitete bis 1958 als Redaktionsassistentin. Seit dem Erscheinen ihres ersten Buchs, Das Signal steht auf Fahrt (1959), lebte sie als freiberufliche Schriftstellerin in Berlin. 1962 erschien Ein Haus am Rande der Stadt, ein Werk, das im typischen Stil des Sozialistischen Realismus die Entwicklung einer Maurerbrigade behandelt. Erst 1968, mit Hochzeit in Konstantinopel macht sich eine Veränderung in Form und Inhalt bemerkbar: Der Roman, der in der Form an 1001 Nacht erinnert, bietet auf witzige und originelle Weise die Geschichte einer Frau, die mit einem ehrgeizigen Physiker voreheliche Flitterwochen bei einer seiner Tagungen verbringt und dadurch zu der Einsicht kommt, daß sie ihn lieber verlassen als heiraten will. Morgners nächste Werke, Gauklerlegende. Eine Spielfrauengeschichte (1971) und Die Wundersamen Reisen Gustavs des Weltfahrers (1972), können rückblickend als eine Art Vorspiel zum Trobadora-Roman verstanden werden, der einen Großteil seines Erfolgs dem Esprit, der Phantasie verdankt, mit denen er die Widersprüche darlegt, welche der tatsächlichen Emanzipation immer noch im Wege stehen. Der zweite Roman in Morgners geplanter Laura-Salman-Trilogie, Amanda - Ein Hexenroman (1983), setzt das Spiel mit kulturgeschichtlichen und mythologischen Themen fort, aber mit einem viel ernsthafteren Akzent, der vieles mit Christa Wolfs Kassandra des selben Jahres gemeinsam hat, vor allem die Angst vor der angedrohten Zerstörung aller Zivilisation, falls patriarchalisches Wahndenken unkontrolliert weiterherrscht. Auch Morgners auf den ersten Blick andersartige komplexe Erzählstruktur läßt sich mit Christa Wolfs Versuchen vergleichen, einen Schreibstil zu finden, der den Erlebnissen und Phantasien von Frauen angemessener ist als traditionelle, von Männern entwickelte Formen. Um dem vorherrschenden Mangel an einer eigentlichen Geschichte der Frauen entgegenzuwirken, konstruiert Morgner eine legendäre Geschichte, welche die historische Kontinuität der täglichen Kämpfe und Probleme zeigt, mit denen Frauen - und ganz besonders Schriftstellerinnen - selbst in einer sozialistischen Gesellschaft, konfrontiert werden. Die dreizehn Bücher des Trobadora Romans z.B. bestehen aus einer reichen Montage von mythologischen Figuren, originalen Erzählungen, erotischer Dichtung, Zitaten von so verschiedenen Quellen wie den Memoiren von Lenins Witwe, Berichten aus Tageszeitungen und ZK-Meldungen, Büchern über mittelalterliche Literatur, Reden von Politikern sowie Selbstzitaten (die sieben Intermezzi z.B. sind in Wirklichkeit Exzerpte eines Romans, den Morgner 1964 schrieb, aber niemals veröffentlichte). Morgner behauptet, daß ihr unorthodoxer Stil dem Lebensrhythmus der meisten Frauen entspricht, die nicht die Freiheit haben, ohne Unterbrechung zu arbeiten, die männliche Autoren als Selbstverständlichkeit ansehen. Für eine Frau, die gleichzeitig mit der Kinderbetreuung und dem Haushalt fertig werden muß, während sie auch noch einer eventuellen vollberuflichen Beschäftigung nachgeht, kann sich das Schreiben nur in kurzen, intensiven Gewaltakten vollziehen:


  • Abgesehen vom Temperament, entspricht kurze Prosa dem gesellschaftlich, nicht biologisch bedingten Lebensrhythmus einer gewöhnlichen Frau, die ständig von haushaltsbedingten Abhaltungen zerstreut wird. Zeitmangel und nicht berechenbare Störungen zwingen zu schnellen Würfen ohne mähliche Einstimmung [...] Lebenswahrheit in Büchern kann nicht sein ohne Bekenntnis des Autors zu sich selbst. (Trobadora, S. 285f)


Morgners Roman gewinnt noch an Wichtigkeit dadurch, daß er den auffallendsten jüngsten Trend in der DDR-Frauenliteratur erklärt: das Auftauchen vieler neuen Autorinnen seit den späten 70er Jahren, die nicht hauptberuflich Schriftstellerinnen sind, und die fast keine Romane, sondern hauptsächlich Erzählungen schreiben. Zu dieser Gruppe gehören u.a. eine ganze Reihe von Frauen, die hier nicht besprochen werden können, aber der Vollständigkeit halber wenigstens Erwähnung verdienen: Rosemarie Fret; Hannelore Lauerwald und Christa Müller; Helga Königsdorf, Brigitte Martin, Christine Wolter und Rosemarie Zeplin; Helga Schubert und Karin Simon; Rosita Ionescu und Irene Oberthür; Monika Helmecke; Maria Seidemann; Beate Morgenstern; Angela Stachowa; Daniela Dahn; Angela Krauß; Petra Werner; Maya Wiens und Sylvia Kabus; Doris Paschiller und Regina Röhner. Diese Autorinnen stellen ohne jede Schönfärberei Themen aus dem privaten Alltag dar. Probleme der Familie, der behinderten oder alten Mitglieder der Gesellschaft, Wohnungsnot, das Versagen der Männer, die Freundschaft zwischen Frauen werden mal nüchtern, mal mit Witz und Phantasie behandelt - wobei letztere oft eine übernatürliche oder magische Lösung für sonst nicht zu bewältigende Situationen bietet.
Einige der interessantesten Werke der neueren Literatur werden in einer neuen Form geboten, die den Bereich der Literatur durch den Gebrauch des Kassettenrecorders erweitert. 1975 veröffentlichte Sarah Kirsch Die Pantherfrau. Fünf unfrisierte Geschichten aus dem Kassettenrecorder, gefolgt zwei Jahre später von Maxie Wanders Guten Morgen, da Schöne, das in der westdeutschen Ausgabe von Christa Wolfs Kommentar Berührung begleitet wurde. Wander und Kirsch benutzen den Recorder, um die subjektive Realität von Frauen einzufangen, von Teenagern bis zu Pensionärinnen, indem sie ihrer Sprechweise, ihren Hoffnungen und Ängsten, ihrem ganz persönlichen Stil im wahrsten Sinne des Wortes Stimme verleihen. Beide überschreiten die herkömmlichen Grenzen des Dokumentarischen in der Art, wie sie die Aussagen ihrer Gesprächspartnerinnen auswählen, redigieren, und hervorheben. Das jüngste Beispiel dieser Gattung, Berliner Mietshaus (1983) von Irina Liebmann, nimmt fast die Gestalt eines Romans an. Liebmann, neugierig auf Leben, Liebe und Leiden der Bewohner von 28 Apartments eines alten Mietshauses in Berlin, Prenzlauer Berg, unternahm es, die »Geschichte« des Hauses - die aus den »Geschichten« seiner Bewohner besteht - zu rekonstruieren, und zwar dadurch, daß sie von Tür zu Tür ging und die Geschichte jeder Wohneinheit in einem gesonderten Kapitel dokumentierte. Das Ergebnis ist jedoch ein integriertes Ganzes, das die Spannung und die Struktur eines Romans aufweist.
Wie diese Beispiele der neueren Entwicklung andeuten, haben die Schriftstellerinnen der DDR einen einzigartigen Beitrag zur Erweiterung der literarischen Horizonte ihres Landes geleistet. In zunehmendem Maße scheinen sie ihren eigenen Weg in der Literatur wie in der Gesellschaft der DDR zu finden. Von ihrem Standpunkt aus, teilweise innerhalb und teilweise außerhalb der gesellschaftlichen Institutionen, sind DDR-Autorinnen nicht nur in der Lage, die Unzulänglichkeiten des Systems zu artikulieren, ohne an seinen Fundamenten zu rütteln, sondern auch utopische Impulse, Hoffnungen und Sehnsüchte am Leben zu halten, die ihren grundsätzlichen Glauben an eine Veränderung dieser im Grunde noch konservativen Institutionen widerspiegeln. Ihre Werke sind direkt und offensichtlich mit der sozialen und politischen Geschichte ihres Landes verbunden, wie das kaum für andere deutschsprachige Autorinnen behauptet werden kann.
Trotz Gemeinsamkeiten und sogar Anzeichen zunehmenden Kontaktes und gegenseitigen Einflusses, wäre es unangemessen, von den Dichterinnen der DDR als geschlossener Bewegung zu sprechen. Auch die Unterteilung in Generationen, wie sie hier übersichtshalber versucht wurde, ist letzten Endes unbefriedigend, scheint sie doch die neuere Generation gegen die ältere auszuspielen, statt Berührungen und Entwicklungen ihrer einzelnen Mitglieder sichtbar zu machen. Vielleicht ist es an der Zeit, das alte hierarchische Modell von »Vorbereitung - Herausbildung - Verwirklichung« aufzugeben, zugunsten des offeneren Modells eines widersprüchlichen Lernprozesses. Sicher ist, daß sich die Funktion der Literatur in der DDR noch weiter wandeln wird und daß man von den Schriftstellerinnen noch manches Neue zu erwarten hat. Auf jeden Fall wird wohl Christa Wolfs Behauptung in Lesen und Schreiben seine Gültigkeit behalten: »Der Autor nämlich ist ein wichtiger Mensch.«