Tugend - Opfer - Rebellion

Zum Bild der Frau im weiblichen Erziehungs- und Bildungsroman

Der Mann muß hinaus
Ins feindliche Leben,
Muß wirken und streben
Und pflanzen und schaffen
[...]
Und drinnen waltet
Die züchtige Hausfrau,
Die Mutter der Kinder,
Und herrschet weise
Im häuslichen Kreise.
(Friedrich Schiller, Die Glocke)

Die Entwicklung einer arbeitsteiligen Gesellschaft im 18. Jahrhundert veränderte auch die Stellung der Frau. Während sie noch im 17. Jahrhundert in der Regel als »Hausmutter« an der häuslichen Arbeitsgemeinschaft - beispielsweise eines landwirtschaftlichen oder handwerklichen Betriebs - teilhatte, vollzog sich nun die Trennung zwischen privatem und öffentlichem Leben, zwischen Wohn- und Arbeitsplatz; der Mann mußte hinaus, während die Frau in die dreifache Rolle der Hausfrau, Gattin und Mutter verwiesen wurde. Ihre Hauptaufgabe bestand darin, den familiären Innenraum zu einem Ort der Harmonie, des Ausgleichs, der Erholung werden zu lassen, in dem der Mann sich von dem harten, mit Leistungs- und Konkurrenzzwängen verbundenen Existenzkampf erholen konnte, den er »draußen«, im Berufsleben führte. In noch verstärktem Maße wurden der Frau als tugendhaft idealisierte Eigenschaften zugesprochen, die allesamt ihre Emotionalität betonten man erwartete von ihr Güte, Zurückhaltung, Bescheidenheit - Komplementäreigenschaften zu dem aktiven, bestimmenden Part des Mannes im öffentlichen Leben. Gleichzeitig wurde der bürgerliche Ehrbegriff ein Gegenentwurf zur adeligen Libertinage.
Gegen einen völligen Rückzug der Frau aus dem öffentlichen Leben wandte sich allerdings bereits zu Beginn des 18. Jahrhunderts Gottsched; er forderte beispielsweise, daß die Frau im kulturellen, literarischen Leben auch kreativ werden sollte und ermunterte seine Frau, die sogenannte Gottschedin, selbst zu schreiben.
Hatte sich die Forderung nach mehr Bildung für die Frau noch mit ihrer dreifachen Bestimmung vereinbaren lassen, da sie beispielsweise für den wirtschaftlichen, organisatorischen Teil der Haushaltsführung, für die Unterhaltung des Gatten und seiner Gäste - also im weitesten Sinne für sein berufliches Fortkommen - nützlich sein konnte, so war das Postulat einer nicht nur rezeptiven Rolle der Frau doch revolutionär. Schon in der zweiten Hälfte des Jahrhunderts setzte allerdings eine Gegenströmung ein - ausgehend von Philosophen wie Kant, Rousseau, Herder. Sie alle waren Vertreter der sogenannten »Geschlechtscharakterologie«, nach der die Frau von Natur aus bereits die Komplementäreigenschaften des Mannes besaß. Gegensatzpaare wie aktiv-passiv, rational-emotional, nehmend-gebend legitimierten die Vorherrschaft des Mannes auf allen Gebieten des gesellschaftlichen Lebens. Passivität wurde von der Frau nicht nur im öffentlichen Bereich, sondern auch in wichtigen Fragen ihres privaten Lebens erwartet. Nicht nur die Initiative zu einer Eheschließung hatte vom Manne auszugehen - jegliche Aktivität der Frau im erotischen Bereich stellte ihre Unschuld, ein wichtiges Attribut weiblicher Tugendhaftigkeit, in Frage. Auch war die sogenannte Konvenienzehe, nach der die Eltern den zukünftigen Gatten ihrer Tochter unter dem Aspekt seiner familiären Herkunft und seines Vermögens auswählten, durchaus noch üblich. Die Frau wechselte in der Regel nur von einem Abhängigkeitsverhältnis in ein anderes - aus der Obhut des Vaters in die des Gatten, von dem sie als die zumeist nicht Erwerbstätige finanziell abhängig war. Allmählich entwickelte sich zwar die bürgerliche Liebesideologie, nach der persönliche Wertschätzung, Zuneigung und Gefühl über die Wahl entscheiden sollten; Familie, Vermögen und soziales Prestige blieben allerdings nach wie vor ausschlaggebende Kriterien der Eheschließung.
Am Ende des 18.Jahrhunderts wurde jedoch - begünstigt durch die Ereignisse der Französischen Revolution - die »Geschlechtscharakterologie« zunehmend umstritten. So kritisierte beispielsweise Hippel an der Französischen Revolution, daß ihre Ideale der liberté, egalité und fraternité für die Frau eben nicht geltend gemacht wurden, und auch Schlegel forderte mehr Freiheit für die Frau im sinnlich-erotischen Bereich. Wie tief die bürgerliche Moral damals schon das Allgemeine Bewußtsein prägte, zeigt der Skandal, den sein Roman Lucinde (1799) auslöste, in dem er das Modell einer gleichberechtigten Beziehung entwarf, in der beide Partner in Aufhebung der geltenden Rollenzuweisungen erotische Erfüllung fanden.
Seit der Mitte des 18.Jahrhunderts begannen bürgerliche Autorinnen weiterhin ihre weibliche Bestimmung zu reflektieren, indem sie literarische Modellfiguren entwarfen. Da Frauen grundsätzlich kein politisches Mandat hatten, war der Griff zur Feder eine der wenigen Möglichkeiten ihrer öffentlichen Meinungsäußerung. Schreibende Frauen waren jedoch suspekt, zumal wenn sie sich in der relativ neuen und umstrittenen Romanform artikulierten. So diente ihnen häufig die dezidiert erklärte, weiblich-erzieherische Absicht als Legitimation ihrer Kreativität. Wie groß - trotz aller erzieherischen Intentionen - dennoch die Gefahr von Repression und öffentlichem Ehrverlust für schreibende Frauen war, zeigt die Tatsache, daß die meisten Veröffentlichungen anonym oder unter Pseudonym erfolgten.
Ein »papiernes Mädchen« wollte Sophie von La Roche, eine Gelehrtentochter aus Kaufbeuren, Gattin eines Hofrates und ehemalige Verlobte Wielands in ihrem 1771 anonym erschienenen Briefroman Fräulein von Sternheim schaffen. In diesem ersten bedeutsamen deutschen Frauenroman, der äußerlich an die Tradition der Briefkultur anknüpft, schöpft die Autorin aus den unterschiedlichen geistesgeschichtlichen Strömungen ihrer Zeit und entwirft einen als völlig neu empfundenden Frauentyp. In der Figur des Fräulein von Sternheim verweben sich autobiographische Erfahrungen und Phantasie zu einem stark idealisierten Frauenbild, das kein komplexes, widersprüchliches Portrait, sondern ein Modell für »Teutschlands Töchter« sein soll. Fräulein von Sternheim, das in seinen weiblichen Eigenschaften dem Idealbild der La Roche entspricht, verkörpert verinnerlichte bürgerliche Tugendideale: Inhalte einer streng an religiösen, pietistischen Prinzipien orientierten Erziehung werden den lockeren Sitten des Adels gegenübergestellt. La Roche zeichnet einen integren weiblichen Charakter; Fräulein von Sternheim versucht nicht, auf das andere Geschlecht zu wirken, und ihr Auftreten scheint vollkommen unabhängig von der wohlwollenden Anerkennung der Männerwelt zu sein. Sie buhlt nicht um die Gunst der Männer, vermeidet es, mit äußerem Blendwerk deren Sinne zu verwirren und findet die Maßstäbe ihres Handelns in sich selbst. Bescheidenheit, Güte, Zurückhaltung, Wohltätigkeit und nicht zuletzt ihre Unschuld sind die Qualitäten, die sie von den koketten, putz-, gefallsüchtigen und Intrigen spinnenden Hofdamen unterscheiden, denen sie nach dem Tod ihrer Eltern am Hofe ihrer Tante begegnet.
Auch Caroline von Wolzogen, die an der von La Roche herausgegebenen Zeitschrift Pomona für Teutschlands Töchter mitarbeitete, beschreibt in ihrem Roman Agnes von Lilien (1796), der sich ausdrücklich gegen die Konvenienzehe richtet, eine Frauengestalt, die in wesentlichen Zügen dem Fräulein von Sternheim entspricht. Wie Sophie ist auch Agnes auf dem Lande aufgewachsen und konnte dort - unter der liebevollen Anleitung ihres Pflegevaters - all die Eigenschaften entwickeln, die ihr erlauben, in sich selbst zu ruhen. Sie erlangt eine innere Stabilität, die ihr bei ihrem Eintritt in die Gesellschaft ermöglicht, ihr Selbst zu wahren. »Wahrhaftigkeit«, »Schönheit des Geistes« und »Harmonie«, das sind die Tugendideale, die in beiden Romanen der adeligen Libertinage entgegengesetzt werden, einer »überlebten« Gesellschaft mit ausgehöhlten Konventionen und sinnlosen Gesprächsthemen. Sowohl Sophie als auch Agnes bewahren ihre Eigenständigkeit dieser Gesellschaft gegenüber, ihre charakterliche Integrität, die sich auch in ihrem Äußeren widerspiegelt, das dem Ideal einer klassischen Simplizität verpflichteten Eleganz entspricht. Diese, durch Tugendbegriffe geprägte Selbstbestimmung ähnelt jedoch - fernab von jedem »Gretchen-Mythos« - keineswegs dem bürgerlichen Ideal der Hausfrau, Gattin und Mutter; vielmehr wird hier jeweils eine Frau beschrieben, die gerade durch ihre innere Ausgeglichenheit eine Unabhängigkeit von dem gesellschaftlichen Streben erlangt und auf diese Weise Bewunderung erfährt. Dennoch - oder eben weil sie im Gegensatz zu den adeligen Verführerinnen nicht nur ein Spiegelbild männlicher Wunschvorstellungen ist - übt Fräulein von Sternheim eine ungeheure Faszination auf die Männerwelt aus. Ähnlich ist die Wirkung Agnes' von Lilien, die Nordheim, ihren späteren Gatten, von sich überzeugt, indem sie ihre Authentizität im gesellschaftlichen Zirkel bewahrt.
Untrennbar von dem Begriff der weiblichen Ehre und Tugend ist die Unschuld, auf die nicht der Makel eines Verdachts fallen darf Agnes' Glück droht kurz zu schwanken, als Nordheim sie mit Julius von Alban beobachtet und daraus ungerechtfertigte Schlüsse zieht; wiederum läßt sich eine Parallele zu Fräulein von Sternheim ziehen, die kurzfristig in Verdacht gerät, den Verführungsversuchen des Fürsten, dessen Bekanntschaft sie auf einem Maskenball macht, erlegen zu sein. Sie widersteht jedoch allen Attacken, und auch dem galanten Lord Derby ebenfalls ein Typ des adeligen Verführers, wie er beispielsweise auch im bürgerlichen Trauerspiel auftritt gelingt es nicht, Sophie vom Pfad der Tugend abzubringen. Dennoch wird sie vorübergehend das Opfer eines raffinierten Täuschungsmanövers, als es Derby gelingt, sich ihr als ein Vorbild an Wohltätigkeit zu präsentieren. Sie willigt in eine Ehe mit ihm ein ein Entschluß, der im nachhinein als Irrtum erkannt wird, denn die Tugendprinzipien gelten nicht nur für die Frau, sondern auch für den Mann. Sophies Zuneigung gehört indes dem wie sie - eher schüchternen, zurückhaltenden, melancholischen Lord Seymour, bei dem sie einen »Gleichklang der Herzen« empfindet. Keine zügellose, leidenschaftliche, sondern eine zur Seelenliebe sublimierte, der bürgerlichen Liebesideologie verpflichtete Empfindung ist es also, die sie zu Seymour hinzieht. Ein vergleichbares Gefühl verbindet Agnes mit Nordheim. Wie sie durch ihr Wesen unter den Frauen einzigartig erscheint, so verkörpert Nordheim in seiner Integrität »Wahrhaftigkeit«, »Güte« und »Edelmut« Inbegriffe humaner Tugend.
Obwohl dieses Tugendideal zunächst das Leben des Individuums prägt, auf dessen charakterliche Ausgewogenheit zielt, die durch eine gesunde Eigenliebe geschützt werden soll, kommt ihm darüber hinaus ein gesellschaftlicher Wert zu. Tugend soll nicht nur auf die eigene Persönlichkeit, sondern auch auf die Außenwelt wirken. Dies geschieht zum Beispiel durch Wohltätigkeit gegenüber sozial Minderbemittelten, eine Wohltätigkeit, die die herrschende, »gottgewollte« ständische Ordnung allerdings keineswegs in Frage stellt. Der nächste Schritt von der Eigen- zur praktizierten Nächstenliebe liegt in einem tätigen sozialen Engagement. So gründet Fräulein von Sternheim beispielsweise eine Gesindeschule und unterrichtet arme Kinder. Ist die Tugend für La Roche ein Resultat der Erziehung und für beide Geschlechter gleichermaßen verbindlich, so sieht sie zwischen Mann und Frau durchaus Unterschiede, die die Entwicklung spezieller Fähigkeiten bedingen. So soll die Bildung der Frau beispielsweise keineswegs nur ihren Wert auf dem Heiratsmarkt erhöhen; von ihr wird nicht nur verlangt, sich auf eine oberflächliche Rezeption von Bildungsinhalten zu beschränken; dem Mann werden allerdings tiefergehende intellektuelle Fähigkeiten zugestanden. Dennoch stellt das Fräulein von Sternheim das Modell einer selbständig handelnden Frau dar, die durch ihre sozialen Aktivitäten aus dem engen Raum der Hausfrau, Gattin und Mutter hinausstrebt.
Wenn sich schreibende Frauen jetzt auch zunehmend der Gattung Roman widmen, so heißt das noch lange nicht, daß sie gleichzeitig zu Fürsprecherinnen weiblicher Eigenständigkeit werden. Den zarten Gleichheitsbemühungen der Sophie von La Roche völlig entgegengesetzt ist beispielsweise der Roman von Wilhelmine Caroline von Wobeser Elisa oder das Weib wie es seyn sollte (1795), in dem die bedingungslose Unterwerfung der Frau gefordert wird. Dieser Roman, der innerhalb kürzester Zeit sechs Mal aufgelegt wurde und zahlreiche Nachahmungen hervorrief, ist wohl deutlichstes Beispiel dafür, daß Frauen teilweise sogar strengste Ansichten selbst zum Postulat erheben und zeigt die Kontroverse um die Stellung der Frau. Wollte schon Sophie von La Roche mit ihrem >Papiernen Mädchen< einen exemplarischen Entwurf tugendhafter Weiblichkeit entwickeln, so verdeutlicht Wobeser die gleiche Absicht bereits mit dem Titel ihres Romans: mit dem »Weib, wie es seyn sollte«, wird ein Modell entworfen, dem alle Eigenschaften weiblicher Vollkommenheit zugeschrieben werden. Elisa soll Vorbild sein, als »Lehrfigur« auf ihre Rezipientinnen wirken. Auffallend ist die recht nüchterne Schreibweise, die den belehrenden Impetus verstärkt; längere, fast schon theoretische Dialoge erläutern die »Philosophie« Elisas, die in vielerlei Hinsicht rigider anmutet, als die zeitgenössische Diskussion: Elisa entsagt sich jeder Eigenständigkeit, jeder Selbstbestimmung, jedes äußeren Reizes, jeder Leidenschaft. Alles Verhalten ist immer auf den Mann ausgerichtet, ihm zu dienen, ihm zu gefallen und seinen Anweisungen Folge zu leisten, ist die Maxime. In dem Bewußtsein, der Schwester zuliebe selbst geopfert zu werden, beugt sich Elisa dem Wunsch ihrer Mutter: sie verzichtet auf den Mann, den sie liebt und heiratet einen, der ihr durch seine charakterliche Haltlosigkeit viel Kummer bereitet. Elisa aber bewältigt diese äußerlich so traurige Situation durch Pflichterfüllung, Gehorsam und Streben nach Tugendhaftigkeit zur eigenen Vervollkommnung. Während ihrer Ehe wird Elisa verschiedenen Situationen ausgesetzt und bewährt sich im Sinne der Autorin jeweils vorbildhaft, so daß man den Eindruck eines Handbuches erhält, in dem die Leserin in schwierigen Lagen das rechte weibliche Verhalten nachschlagen kann: ist Carl, ihr Gatte, kalt, schroff und ungerecht, so zeigt sich Elisa gleichbleibend heiter und freundlich, um ihn aufzumuntern. Selbst als er ihr den ältesten Sohn früh entreißt, verbirgt sie vor ihm ihre Trauer; als er der Spielleidenschaft verfällt und fast sein gesamtes Vermögen verliert, läßt sie ihn ihr Unbehagen nicht spüren, sondern reagiert mit Sanftmut, Zurückhaltung und Güte, und als er sich schließlich einer verschwenderischen Nebenbuhlerin leidenschaftlich hingibt, schenkt sie ihr, als diese in Not gerät, noch ihre Juwelen und gewinnt durch diesen Beweis ihres tugendhaften Edelmuts ihren gerührten Gatten zurück. Elisa wird trotz aller Entsagungen glücklich; dieses Glück aber, »welches ihr doppelt süß war, da es nicht das Werk des Zufalls, sondern sie es durch ihre Tugend errungen hatte und Tugend ihr den Genuß erhöhete« (S. 324), beruht ausschließlich auf Verzicht. Stärker noch als bei Sophie von La Roche bedeutet Tugend hier neben Sanftmut, Bescheidenheit, Güte, Demut, Hilfsbereitschaft den Armen gegenüber vor allen Dingen Opferbereitschaft; eigene Bedürfnisse jeglicher Art werden dem Streben nach Vollkommenheit untergeordnet, deren Befriedigung wird dem vorbildlichen Weibe untersagt, denn zur Vollkommenheit gehört die Bereitschaft zur Unterwerfung, die Selbstverleugnung. Diese Rigidität in dem Entwurf einer vollkommenen Frau ist wohl einzigartig. Wobesers Roman zeigt allerdings nicht nur einen bürgerlichen Tugendbegriff, wie er strenger kaum sein könnte, sondern er vermittelt auch einiges über den Stellenwert der schreibenden Frau: diese nämlich mußte, um ihre Kreativität, ihr Schreiben überhaupt rechtfertigen zu können, im Rahmen ihrer weiblichen Erzieherrolle bleiben.
Auch der Roman Luise oder die unseligen Folgen des Leichtsinns, der von August Kotzebue herausgegeben (1800) - anonym erschien und Johanne Caroline Amalie Ludecus, der Schwester Kotzebues zugeschrieben wird (Meise, S. 257,244), scheint auf den ersten Blick Wobesers Intentionen ganz zu entsprechen.
Luise erscheint als »negatives« Pendant, als das genaue Gegenteil der tugendhaften Elisa. Sie unterliegt leichtfertig dem Reiz eines aufwendigen, aber oberflächlichen Gesellschaftslebens. Verführt von Leichtsinn, Eitelkeit und Koketterie stürzt sie sich und ihren geliebten Gatten Carl von Essen ins Unglück. Obwohl sowohl der Titel als auch wesentliche Aspekte der Handlungsführung wiederum auf eindeutig belehrende Intentionen der Autorin verweisen, so erhält man im Gegensatz zu dem Roman Wobesers doch den Eindruck, als handele es sich hier eher um einen Vorwand, um eine äußerliche Rechtfertigung, als habe die Autorin unter dem Mäntelchen der »Belehrung« eine Möglichkeit gefunden, auch »Pikanterien« zu beschreiben. Auch läßt sich innerhalb des Romans eine Akzentverschiebung beobachten. Wird in dem ersten Band der moralisch-belehrende Aspekt noch hervorgehoben, so verliert er sich zunehmend in der Fortsetzung, um einer abenteuerlichen Schilderung der Erlebnisse des reisenden Carl von Essen und seiner Freunde Platz zu machen. Die meisten Figuren haben sich »zum Besseren« gewandelt. Der Werdegang Luises tritt in den Hintergrund. Von ihr erfährt man nur, daß sie, durch ihr Unglück geläutert, sich zu einem tugendhaften Leben bekennt und - bis zu ihrer langersehnten Versöhnung mit Carl - sich der erfolgreichen, aber nicht näher erläuterten Erziehung ihrer Tochter und anderer Mädchen widmet.
Sollten die Protagonistinnen in den bisherigen Romanen durch ihren positiven oder negativen Exempelcharakter zwar ausdrücklich erzieherisch auf die Leserinnen wirken, so wurde ihre eigene Erziehung kaum geschildert. Andere Intentionen werden in den Romanen sichtbar, die die Erziehung ihrer Hauptfiguren selbst zum Thema haben. Besonders deutlich wird dies in der Geschichte des Julchen Grünthal (1784) von Helene Unger, in der die negativen Folgen der Erziehung Julchens in einem französischen Pensionat beschrieben werden. Die Erziehung dort nämlich - so führt Julchens Vater aus, der die unglückliche Geschichte seiner Tochter erzählt wirkt der natürlichen Würde und »Bestimmung« der Frau »zu den Pflichten und Freuden der Gattin und Mutter« (S. 45) entgegen, verführt zu Hingabe an äußere Reize und Leichtfertigkeit. Von der lockeren französischen Lebensart geleitet, verliebt sich Julchen in einen unzuverlässigen Verführer und beginnt später ein Verhältnis mit dem Mann ihrer tugendhaften Cousine. Doch auch mit ihm wird sie nicht glücklich. Nach einem lasterhaften und verschwenderischen Lebenswandel, der in den finanziellen Ruin führt, flieht sie schließlich mit einem russischen Offizier.
Julchen ist weder positives, noch negatives Exempel für die Leserinnen. Ähnlich wie Luise stürzt zwar auch sie sich durch leichtfertiges Verhalten ins Unglück, während Luises Leichtsinn aber als Charaktereigenschaft von Anfang an zu erkennen war, ist Julchen von Natur aus gut und wird erst durch die fehlerhafte Erziehung im Pensionat verdorben. »Alle weiblichen Tugenden lagen in ihrer jungen Seele unentwickelt da; ich durfte sie nur herausholen und entfalten helfen« (S. 12), sagt der stolze Vater über die frühe Kindheit seiner geliebten Tochter. So erscheint hier Tugend als quasi angeborene Gabe, als weibliche, unverbildete Eigenschaft, die durch eine glückliche Erziehung erhalten und gefördert, durch negativen Einfluß jedoch zerstört werden kann. »Zwar schlummern« meint der Vater, »eine Menge Neigungen und Triebe in der Einsamkeit« (S. 39), »in einem Kreise stiller häuslicher Freuden aber hätte meine Tochter ihre Bestimmung sicher nicht gefehlt, denn zu diesen war sie gebildet worden« (S. 4). Neben der »Bestimmung des Weibes« wird hier zugleich die »Bestimmung des Standes« thematisiert, denn die Erziehung im französischen Pensionat wirkt nicht allein der Aufgabe als Gattin und Mutter entgegen, sondern sie erweckt auch Ansprüche auf eine Lebensweise, die den bürgerlichen Mädchen aufgrund ihrer Standesgebundenheit in der Tat in den gegebenen gesellschaftlichen Verhältnissen nicht zusteht. Sie können lediglich zu Gespielinnen der Adeligen werden oder unglücklich im begrenzten bürgerlichen Alltag. Bürgerliche Werte weiblicher Tugendhaftigkeit, als da sind Religiosität, Bescheidenheit, Unauffälligkeit in der Kleidung, Sanftheit im Wesen, Zurückhaltung in der Gesellschaft, ja sogar Unschuld, werden im Pensionat verpönt und verlacht: Julchen verlernt das stille Gebet, verbraucht viel Ziel für äußere Aufmachung, wird kokett, verliert ihre Unschuld. Fast scheint es, als sei Julchen - anders als in den Romanen der La Roche, Wobeser oder Ludecus - für ihr Unglück kaum selbst verantwortlich, als sei allein die mißglückte Erziehung die Ursache für ihr Verderben. Dennoch verläuft auch Julchens Leben modellhaft, ist auch hier die Absicht der Autorin erkennbar, erzieherisch auf ihre Leserinnen zu wirken, ihnen die leichtfertige französische Lebensart in den Städten als Ursprung allen Lasters zu entdecken.
Gegen adelige Libertinage, gegen die Koketterie, Putz- und Gefallsucht der Weiber wettert in Frankreich auch Mme de Genlis, die als Erzieherin des späteren Bürgerkönigs Louis Philippes tätig war und schließlich emigrierte. In ihren zahlreichen literarischen Veröffentlichungen - historische, erzieherische Romane, Künstlerromane, moralische Erzählungen und Handbücher zur Haushaltsführung - weist sie immer wieder auf den drohenden Sittenverfall hin, der ihrer Ansicht nach von der sinnlichen »Reizbarkeit« der Weiber ausgeht, dem eindeutig emotional betonteren, daher dem Laster gegenüber gefährdeteren Geschlecht. Die erzieherische Absicht, die sie in ihren Romanen verfolgt, besteht deshalb in einer Warnung vor der ungehemmten Hingabe an die Leidenschaft. Dies behauptet sie jedenfalls in einem Vorwort zu ihrer La Duchesse de La Valliére (Geschichte der Herzogin von La Valliére, 1804), in der sie den Lebenslauf einer ursprünglich vorbildlichen, tugendhaften Frau darstellt, die ihre Ehre und damit ihr Glück aufs Spiel setzt, indem sie die Maitresse des Sonnenkönigs wird. Nicht nur die Leidenschaft selbst wird also verdammt, sondern auch ihre Darstellung ist nur dann legitim, wenn sie eine ausdrückliche negative Bewertung erfährt. Den Hintergrund dieser Erzählung bildet das Siècle Classique, de Genlis' Ideal einer vollkommenen gesellschaftlichen Ordnung und künstlerischen Blütezeit mit ihrer klassischen »clarté«, in deren Tradition sie auch ihre eigene Sprache stellt. Abgesehen von ihrem moralischen Fehlverhalten, das den Verlust der Unschuld bedingt, verkörpert die Herzogin allerdings keineswegs den Typ der adeligen Libertine, sondern stellt ein Gegenmodell zu der Intrigen und Liebesränke spinnenden Hofdamen dar. Wie auch Sophie in dem Roman von La Roche ist sie ein Vorbild an Tugendhaftigkeit. Da der weibliche Ehrbegriff für Mme de Genlis eng an die Wahrung der Unschuld gebunden ist, sind ihre erzieherischen Ziele vor allem Affektregelung und Mäßigung in der Befriedigung spontaner sinnlicher Bedürfnisse. Auf die Methode der Erziehung geht sie dezidiert in ihrem Briefroman Adèle et Théodore (1782) ein, in dem sie sich mit den Thesen Rousseaus und Lockes auseinandersetzt. Wie auch Rousseau betont sie, daß die Frau die Komplementäreigenschaften zu dem aktiveren, rational betonteren, mutigeren und Gefahren nicht scheuenden Mann entwickeln sollte. Allerdings legt sie eindeutig mehr Wert auf die Bildung der Frau. Von frühester Kindheit an wird Adèle in der Geschichte, in den Fremdsprachen und schönen Künsten unterrichtet und darüber hinaus zu eigener Kreativität im Zeichnen und Musizieren unter der Anleitung eines Hauslehrers angehalten. Dabei wird sorgfältig darauf geachtet, daß anschauliche und begriffliche Erfahrung immer ineinander übergehen und der Zögling nie überfordert wird. Mit Rousseaus Naturbegriff ist Mme de Genlis jedoch keineswegs einverstanden - für sie ist der Mensch nicht von Natur aus gut, er wird es erst durch die Erziehung, die Mann und Frau gleichermaßen zu tugendhaftem Verhalten anleiten sollte. Im Gegensatz zu Rousseau hält sie weiterhin an einer streng hierarchisch-ständischen Gesellschaftsordnung fest, die durch keinerlei »Mesalliancen« in Frage gestellt werden sollte. Zwar sind für de Genlis persönliche Wertschätzung und Zuneigung der Gatten wesentliche Voraussetzungen für das eheliche Glück; sie warnt sogar vor der Verheiratung der Töchter mit allzu despotischen Ehemännern und hält eine Heirat, bei der sowohl das Gefühl, als auch die gesellschaftlichen Konventionen berücksichtigt werden, für ideal. In jedem Fall treffen die Eltern jedoch die Vorentscheidung zu diesem wichtigen Ereignis im Leben ihrer Töchter, auch wenn deren Herz anders spricht. So wird beispielsweise in dem Roman Petrarque et Laure (1819) der Heiratswunsch der Liebenden durch den Willen der ehrgeizigen Mutter vereitelt, die für ihre Tochter bereits eine bessere Partie ausgewählt hat, und Laure wahrt ihre Tugendhaftigkeit, indem sie ihrem Liebsten entsagt. Die Unterwerfung der Frauen unter den Willen der Eltern, beziehungsweise unter den des Gatten ist also auch für Genlis ein Attribut der Tugendhaftigkeit und damit auch ein wichtiges Ziel der Erziehung im Hinblick auf die weibliche Bestimmung. Rezipiert wurde Mme de Genlis nicht nur von Schriftstellerinnen wie George Sand und Jane Austen. Auch männliche Autoren fühlten sich durch die strenge Sittenlehre der äußerst gebildeten Comtesse bisweilen zu ironischen Kommentaren animiert. So zählte beispielsweise E. T A. Hoffmann sie zu den »Seelenkennerischen Damen [...] , die auf ein Haar wissen, wie junge Gemüter in die rechte Bahn zu ziehen« seien (S. 971).
Während in den bisher untersuchten Romanen des 18.Jahrhunderts immer wieder Frauentypen auftauchten, die modellhaft für die Leserinnen nachahmungswerte Tugendideale verkörperten, oder die durch Mißachtung der Werte doch ein negatives, abschreckendes Beispiel abgaben, zeigt der erste Roman der englischen Autorin Fanny Burney Evelina (1778) bei grundsätzlich gleicher Struktur durchaus andere Intentionen.
Wie Agnes von Lilien wird Evelina von ihrem Pflegevater in gesellschaftlicher Abgeschiedenheit erzogen. Zwar entwickelt auch sie durch diese Erziehung Tugenden, die ihr bei ihrem Eintritt in die Gesellschaft eine Distanz, einen moralischen Halt, eine persönliche Eigenständigkeit vermitteln, zugleich aber auch eine Unerfahrenheit und Naivität, die ihr in der Konfrontation mit der Gesellschaft hinderlich sind. Da sie eben nicht die Gepflogenheiten und Sitten des gehobenen Londoner Zirkels beherrscht, gerät sie in verfängliche Situationen, von einem Mißgeschick ins andere -ja, wegen ihrer schweigsamen Hilflosigkeit wird sie zu Beginn sogar zum Gespött der Männer.
Evelina beschreibt ihre Erlebnisse aus ihrer Sicht in satirisch witzigem Ton in Briefen, die an ihren Pflegevater gerichtet sind. Deutlich werden in ihren Schilderungen typisch weibliche Ängste: die gesellschaftlichen Gefahren, die auf das Mädchen einströmen, setzen sie einem immerwährenden Konflikt aus; sie steht unter dem Zwang, nicht nur tugendhaft zu sein, sondern auch nach außen als tugendhaft zu gelten, und sie ist durch ihre Naivität ständig der schrecklichen Möglichkeit ausgesetzt, ihren Ruf der Unbescholtenheit zu verlieren. Trotz ihrer grundsätzlichen Tugendhaftigkeit, die sie verteidigt, hat Evelina nicht den eindeutigen Modellcharakter der Elisa oder Sophie, vielmehr erfüllt sie in ihrer ironisch-witzigen Darstellung der Gesellschaft innerhalb des Roman die Funktion eines Mediums, durch das die Sitten der Aristokratie gespiegelt werden. Dennoch ist auch in dieser Funktion ein moralisch-belehrender Aspekt erkennbar, denn gerade durch diese ironische Spiegelung der Gesellschaft mit ihren zweifelhaften Bräuchen werden ja deren Mißstände unter einem, wenn auch naiven, so dennoch moralisierenden Aspekt thematisiert. Durch diese Kritik an den gesellschaftlichen Verhältnissen wirkt zwar auch dieser Roman belehrend auf die Leser; die Hauptfigur, Evelina, erfüllt in dieser Hinsicht aber nur eine indirekte Funktion.
Spiegelte Fanny Burney in ihren Romanen bereits gewisse (Un-)Sitten der englischen Aristokratie wider, so richtet Jane Austen ihre Kritik gezielt gegen den Landadel, die sogenannte »gentry«, die ihre Landsitze fernab von den Städten hat und ihre Urlaube in Bath verbringt. Dort werden die Töchter dann in Musselin-Kleider gehüllt und in die Gesellschaft eingeführt, um eine gute Partie, das heißt einen jungen Mann aus guter Familie und mit Vermögen zu finden. Wie Burney nutzt auch Jane Austen die Möglichkeiten der ironisch-satirischen Darstellung, um in einer kritisch-distanzierten Erzählhaltung die Konventionen dieser gesellschaftlichen Schicht zu verdeutlichen, der sie selbst angehört. Pointiert fixiert sie die Schwächen der gehobenen, bürgerlichen Klasse der Besitzenden, die in England seit der industriellen Revolution gegen Ende des 18. Jahrhunderts ohne jeden politischen Umsturz die Machtstellung der Aristokratie doch erheblich geschwächt hatte. Aus dieser Klasse stammen auch Jane Austens »Heldinnen«, wie sie ihre zunächst äußerst durchschnittlichen, keineswegs außergewöhnlichen Protagonistinnen ironisch nennt. Sie stehen in der Tradition der Romanfiguren der Mme de Genlis. So ist beispielsweise Anne Elliot in dem Roman Persuasion (1818) ein Vorbild an Zurückhaltung, Bescheidenheit und ähnlichen Demuts-Eigenschaften, die eben nicht die Voraussetzungen eines weiblichen Selbstbewußtseins sind. Anders als de Genlis fordert Austen jedoch nicht mehr die Unterwerfung der Töchter unter den Willen der Eltern, nicht mehr im Zweifelsfall die Entsagung, also den Verzicht auf den individuellen Glücksanspruch zugunsten gesellschaftlicher Anerkennung und Ehre, sondern gerade in dieser Frage das Recht auf die persönliche Entscheidungsmöglichkeit. So können beispielsweise sowohl Anne Elliot, als auch Catherine Morland in dem Roman Northanger Abbey (entstanden 1795-98, überarbeitet 1816, veröffentlicht 1818) ihre individuelle Erfüllung erst finden, nachdem ihre Entscheidung gegen den Willen der Tante, beziehungsweise des Vaters und für das eigene Gefühl ausgefallen ist. Fragwürdig wird die elterliche Autorität, da sie sich nicht an moralischen Wertmaßstäben, sondern ausschließlich an materiellen, finanziellen Aspekten orientiert. Eine ähnliche Situation schildert auch Maria Edgeworth in ihrem Roman The Absentee (1812), in dem der Sohn sich weigert, eine von der Mutter erwählte reiche Erbin zu heiraten und er gleichzeitig die emporkömmlerischen gesellschaftlichen Ambitionen seiner Eltern als korrupt und leer durchschaut. Zwar erreicht diese streng moralisierende Schriftstellerin nicht die literarische Qualität Jane Austens; bei beiden Autorinnen aber wird das Problem der Konvenienzehe zu einer Kritik an der gehobenen bürgerlichen Schicht ausgeweitet, die ein zunehmend an materiellen Werten und Profit orientiertes Bewußtsein entwickelt und dieses auch über persönliche Fragen entscheiden läßt. Die Liebesheirat wird zum Gegenentwurf zu einer lediglich an pekuniären Aspekten gemessenen Werteskala. Hierin ist wiederum begründet, daß auch von einer vorbildlich erzogenen Tochter keine bedingungslose Unterwerfung unter den Willen der Eltern mehr gefordert werden kann, sondern daß ihre moralische Integrität sich vielmehr durch die kritische Distanz gegenüber den geltenden Konventionen auf dem Heiratsmarkt erweist. Als untugendhaft erscheint daher eher die Frau, die die bürgerlichen Normen verinnerlicht hat und eine Geldheirat anstrebt, alle äußerlichen Reizmittel aufwendet, um einen Zuwachs an sozialem Ansehen durch eine gute Partie zu erreichen - beispielsweise Isabella in der Erzählung Northanger Abbey.
Besonders pointiert karikiert Jane Austen dieses bürgerliche Bewußtsein in ihrem Roman Emma (1816). Die gleichnamige weibliche Hauptperson stellt keinen komplexen Charakter dar, sondern verkörpert bestimmte Denkweisen, Vorurteile und Normen. Emma ist eine junge Erbin, die mit ihrem Vater zusammenlebt, Heiraten unter finanziellen Erwägungen vermittelt, ohne selbst heiraten zu wollen, denn sie bedarf keines zusätzlichen Vermögens, ist unabhängig von den Finanzen eines Ehemannes. Im Verlaufe des Romans allerdings zeichnet sich bei Emma eine individuelle Entwicklung ab, die von der kritiklosen Übernahme und Verinnerlichung von gesellschaftlichen Konventionen weg zu einem an eigenen Urteilen orientierten Denken und Handeln hinführt. Indem Emma ihr Gefühl für Mr. Knightley entdeckt, der Austens Ideal eines englischen Gentleman verkörpert, zeigen sich bei ihr erste Ansätze eines unabhängigen, Gefühl und Verstand gleichermaßen berücksichtigenden Selbstbewußtseins. Jane Austen skizziert also bereits eine innere Entwicklung ihrer Heldinnen, die auf eine Loslösung von verinnerlichten bürgerlichen Wertmaßstäben hinausläuft, kritisiert die Gepflogenheiten einer bestimmten Schicht, ohne daß hierdurch die gesellschaftliche Klassenordnung bereits grundsätzlich in Frage gestellt würde. Sie thematisiert nicht mehr abstrakte bürgerliche Tugendideale als Gegenentwurf zu adeliger Libertinage, fordert weiterhin von der Frau nicht mehr Unterwürfigkeit, Sanftmut und Angepaßtheit um jeden Preis; vielmehr zeigt ihr Entwurf der weiblichen Bestimmung bereits eine kritische Distanz und ein eigenes Urteils- und Entscheidungsvermögen hinsichtlich der Konventionen des aufstrebenden Bürgertums.
Nicht mehr allein die Bildung eines weiblichen Selbstbewußtseins gegenüber den Normen der bürgerlichen Gesellschaft, sondern die aktive Selbstverwirklichung der Frau in einer von Männern dominierten Arbeitswelt interessiert Charlotte Bronte, die unter dem Pseudonym Currer Beu schrieb. In ihrem Roman Shirley (1849) thematisiert sie beispielsweise die Schwierigkeiten einer jungen, selbstbewußten Erbin, sich als Frau unter Fabrikbesitzern und Handesleuten zu behaupten. Shirley scheint dem Typ der weiblichen, anschmiegsamen Frau vollkommen zu widersprechen, vertritt dezidiert ihre Ansichten, gilt als unbequeme, eigenwillige Gesprächspartnerin, die keine Auseinandersetzung scheut. Sie behauptet auch politisch ihren Standpunkt, bezieht Position, als sich Konflikte zwischen Arbeitnehmern und -gebern, Fabrikbesitzern und ihren Angestellten anbahnen, deren historischen Hintergrund die maschinenstürmerischen Ludditenaufstände und die damit verbundene Krise des englischen Frühkapitalismus in der Grafschaft Yorkshire im Jahre 1812 bilden. Anders als die ansonsten äußerlich eher unscheinbaren, farblosen Bronte-Protagonistinneu gilt Shirley als eine schöne, begehrenswerte junge Frau mit nicht nur hübschem, sondern auch eigenwilligem Kopf. Sie widersetzt sich beispielsweise den Wünschen der Familie, die für sie bereits einen wohlhabenden jungen Mann als Gatten ausgesucht hat, und behauptet auch in dieser wichtigen Frage ihres persönlichen Lebens ein Recht auf die eigene Entscheidungsfreiheit. Shirleys moralische Integrität erweist sich gerade dadurch, daß sie eine Geldheirat ablehnt, die Wertmaßstäbe der Gesellschaft nicht bedingungslos anerkennt, sich eben nicht anpaßt und sich weder dem Willen der Familie noch dem eines Ehemannes unterordnet. Weibliches Selbstbewußtsein behauptet sich also auch hier gegenüber den fragwürdig gewordenen Wertmaßstäben der bürgerlichen Gesellschaft.
Probleme mit den Normvorstellungen des Bürgertums, für das die Erwerbstätigkeit der Töchter beziehungsweise der Ehefrauen einen Verlust an sozialem Prestige bedeutet, hat auch Shirleys Freundin Caroline Helstone. Ihr fällt es schwer, stickend und strickend zu Hause zu sitzen und auf den Einzigen zu warten. Sie hegt den Wunsch nach einer sinnvollen beruflichen Beschäftigung, interessiert sich für »trade«, doch nicht einmal den als weiblich anerkannten Beruf der Lehrerin darf sie ausüben. All ihre Versuche, aus dem Bannkreis des häuslichen Lebens auszubrechen, scheitern am Willen ihres engstirnigen Onkels und des Ortspfarrers. »Currer Bell« thematisiert in diesem Zusammenhang weiterhin, wie die Trennung der Arbeitsbereiche von Mann und Frau in »Innen« und »Außen« das Gefühl einer Entfremdung zwischen den Geschlechtern entstehen läßt. Caroline weiß beispielsweise plötzlich nicht mehr, was in ihrem geliebten Robert Moore, einem zielstrebigen jungen Unternehmer, vor sich geht; sie hat das Gefühl, daß er geistig mit Dingen beschäftigt ist, die sie nicht nachvollziehen kann, zu denen sie keinen Zugang hat. Eine Lösung dieses Problems der geschlechtsspezifischen, aber auch gesamtgesellschaftlichen Entfremdung sieht »Currer Bell« nur in der Zusammenarbeit von Mann und Frau im Hinblick auf ein gemeinsames Ziel. Diese Vorstellung äußert sie keineswegs abstrakt, sondern als eine konkrete Utopie, die die >Wohltätigkeit< der herrschenden Klasse als Scheinlösung verwirft: nachdem Robert Moore beinahe einem Attentat der gegen die Einführung neuer Maschinen rebellierenden Arbeiter zum Opfer gefallen wäre, entsteht in seiner Fabrik ein Ort der partnerschaftlichen Zusammenarbeit zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern; die streng hierarchischen Abhängigkeitsverhältnisse werden gemildert, und auch Arbeitslose finden eine Beschäftigung eine für diese Epoche charakteristische Kompromißlösung. Den Frauen Caroline, die inzwischen mit Robert, und Shirley, die mit dessen Bruder, dem Hauslehrer Louis Moore verheiratet sind, fällt bei diesem Projekt die wichtige, wenn auch typisch weibliche Aufgabe zu, die Kinder der Arbeiter zu unterrichten. Die Frau nicht als unselbständiges Hausmütterchen, sondern als gleichberechtigte Partnerin an der Seite des Mannes, die in der Ehe einen Ort der Liebe und Geborgenheit, nicht der tyrannischen Unterdrückung findet das ist das Anliegen Charlotte Brontes, das sie in allen ihren Romanen formuliert, beispielsweise auch in The Professor (1857), der eigentlich der Entwicklungsroman einer jungen Frau ist. Diese wird unter der liebevollen Anleitung ihres Lehrers zu einem selbstbewußten Wesen, das schließlich sogar zur Directrice einer Schule avanciert. Bronte berücksichtigt in dieser Ich-Erzählung auch die Perspektive des Mannes, der mehr Interesse an einer eigenständigen Persönlichkeit denn an einem willenlosen, unterwürfigen Wesen an seiner Seite hat.
Die Liebe hat auch in den autobiographischen Romanen Villette (1853) und Jane Eyre (1847) einen gewissen Hebammeneffekt auf die Bildung weiblichen Selbstbewußtseins, die durch die Darstellung innerer Vorgänge anschaulich wird. Zwar sind beide Hauptfiguren bereits zu Beginn der Erzählungen relativ selbständige Wesen, die als Lehrerinnen ihre Existenz behaupten, ein Sklavinnendasein als Ehefrau verweigern; sie werden jedoch erst durch die partnerschaftliche Beziehung zu einem geliebten, nicht despotischen Mann zu Persönlichkeiten, die Gefühl und Verstand integrieren, ihre Weiblichkeit im harten Existenzkampf nicht mehr verleugnen, sondern im Gegenteil erst voll entwickeln. Der Schluß des in Brüssel spielenden Romans Villette, der das Kentern eines Schiffes darstellt, das den Verlobten der Hauptperson Lucy Snowe an Bord trägt, soll übrigens Rimbaud zu seinem Gedicht Le Bateau Ivre inspiriert haben. Doch nicht nur Zeitgenossen zeigten sich von »Currer Bells« Romanen, in denen sie häufig autobiographische Erfahrungen verarbeitet, fasziniert, sondern auch zeitgenössische Filmemacher wie Francois Truffaut, der seinem Film Deux Anglaises et le Continent den Lebenslauf der Bronte-Sisters zugrunde legte.
In Schweden kämpft Fredrika Bremer für die Gleichstellung der Frau. In diesem Land, das zu jener Zeit im Vergleich zu anderen europäischen Ländern noch strengere Gesetze hatte - seit 1734 standen Frauen jeden Alters unter Vormundschaft, und Unverheiratete konnten nur in einer umständlichen, teuren und demütigenden Prozedur vom König für mündig erklärt werden, erst 1884 wurden Frauen und Männer im gleichen Alter mündig - vertritt Fredrika Bremer nicht nur einen individuellen Kampf der Frau um Selbstbehauptung, sondern attackiert zugleich die schwedische Gesellschaft, fordert eine Änderung der herrschenden Gesetze und engagiert sich in sozialen und religiösen Debatten ihrer Zeit.
In ihren früheren Romanen schon, die unter dem Titel Skizzen aus dem Alltagsleben zusammengefaßt sind, beschreibt sie scharfäugig und humoristisch das Leben ihrer Umgebung in höheren bürgerlichen und aristokratischen Kreisen und zeichnet durch ihre vielfältigen Charakterstudien nicht mehr idealisierte Frauenbilder, sondern - wie bereits Charlotte Bronte eher realistisch anmutende, differenzierte Gestalten. Sie reflektiert die Stellung der Frau, setzt sich für eine bessere Ausbildung ein und verteidigt den Anspruch auf weibliche Berufstätigkeit. Nach einer anregenden Reise in die USA und nach England (1849-51) verfaßt sie 1856 ihren Roman Herta, in dem sie sich energisch für die Freiheitsrechte der Frau einsetzt. Fredrika Bremer beschreibt - wie sie es nennt - »die wahre Wirklichkeit«, die die Frau ersticken und erlahmen läßt. Herta, die Hauptfigur, ist nicht nur dem strengen Reglement ihres despotischen Vaters ausgesetzt; überall spürt sie Barrieren, die eine freie Gestaltung des Lebens, eine Selbstbestimmung der Frau verhindern. Allein in ihrer Beziehung zu Yngve, der als männliches Äquivalent zu Herta ebenfalls Sprachrohr der Autorin ist, findet Herta eine Bestätigung ihrer Ideen. Da sie sich aber nicht mehr zur bürgerlichen Rolle der allein auf den Mann fixierten Gattin, Mutter und Hausfrau bestimmt fühlt, willigt sie in eine Ehe mit ihm nur unter der Bedingung ein, daß Yngve ihr hilft, ihre »höhere Aufgabe«, zu der sie sich berufen fühlt, die Gründung einer Mädchenschule, zu erfüllen. Diese, schon bei Bronte beschriebene Utopie der gleichberechtigten partnerschaftlichen Arbeit scheitert jedoch an der willkürlichen Herrschsucht des Vaters, der trotz vorheriger Zusage die Erlaubnis zur Heirat verweigert. Da Herta sich scheut, ihre Ansprüche dem Vater gegenüber gerichtlich durchzusetzen, zerbricht ihre Beziehung zu Yngve. Dennoch gelingt es ihr, ihren Traum einer Mädchenschule zu verwirklichen, in der junge Frauen durch vielfältigere Bildung bessere Voraussetzungen zu ihrer Behauptung in der Gesellschaft erhalten sollen.
Obwohl Herta in ihrer kritischen Auseinandersetzung mit der individuellen und gesellschaftlichen Stellung der Frau sicherlich insofern Modellcharakter hat, als sie als Sprachrohr der Autorin engagiert die Mißstände attackiert und nach Möglichkeiten ihrer Beseitigung sucht, wird sie in ihrer kämpferischen Haltung jedoch keineswegs idealisiert. Vielmehr wird hier das differenzierte Bild einer Frau gezeichnet, die auch Schwächen hat und im Kampf gegen den Vater zum Beispiel - unterliegt. Während Fredrika Bremer sich selbst bereits 1840 vom König für mündig erklären ließ, läßt sie Herta vor diesem Schritt zurückscheuen und setzt sie im Roman dem Vorwurf mangelnder Entschlußkraft aus.
Nach vielen Jahren der Trennung erhält Herta dann - weil sie auf einen Rechenschaftsbericht des Vaters über das Muttererbe verzichtet - doch seine Zustimmung zu ihrer Heirat mit Yngve. Die Utopie der gemeinsamen partnerschaftlichen Arbeit läßt sich zu dieser Zeit aber nicht mehr erfüllen, denn wie M. Emmanuel in dem Roman Villette von Charlotte Bronte gerät auch Yngve in ein Schiffsunglück und stirbt - gesundheitlich immer schwächer werdend - bereits ein Jahr nach der Hochzeit. Die persönliche Tragik Hertas verdeutlicht in verstärktem Maße die Schwierigkeit des Individuums, sich gegen gesellschaftliche Schranken ZU behaupten; diese Bedingungen als unmenschlich zu attackieren, ist Fredrika Bremers vorrangiges Ziel. Die Zwänge, denen die Frau in einer patriarchalischen Gesellschaftsordnung, beispielsweise im Alltag einer Konvenienzehe ausgesetzt ist, thematisiert auch Amandine-Lucie-Aurore Dudevant, geborene Dupin, als Schriftstellerin bekannt geworden unter dem Pseudonym George Sand. Im Mittelpunkt ihrer ersten Romane steht häufig eine junge Frau aus der gehobenen bürgerlichen Schicht, die bereits in frühester Jugend unfreiwillig in die Ehe mit einem ungeliebten, despotischen Gatten getrieben wurde, der sich mehr für die Jagd, seine Hunde, Pferde und ähnliche Hobbies interessiert als für die Frau an seiner Seite, die er gar nicht erst als ein eigenständiges Wesen wahrnimmt. So ist beispielsweise Indiana in dem gleichnamigen Roman (1832) zunächst eine duldsame, dem weiblichen Ideal der sanftmütigen, bescheidenen, selbstlosen, zurückhaltenden Gattin durchaus entsprechende junge Frau, die erst durch die Entwicklung ihres leidenschaftlichen Gefühls für Raymon, der den Typ des gewissenlosen Verführers verkörpert, ein erstes Bewußtsein von sich selbst entwickelt. Die Leidenschaft wird von George Sand - anders als von Mme de Genlis - also nicht mehr als unmoralisch verdammt, sondern als ein erster Impuls zu einem durchaus legitimen Versuch der Befreiung aus gesellschaftlichen Zwängen dargestellt. Die tradierten weiblichen Tugenden werden nicht mehr idealisiert, da sie die Herrschaft des Mannes über die Frau, ihre Unterwerfung unter seinen Willen ermöglichen, und erst der Ausbruch der Frau aus den gesellschaftlichen Konventionen bildet den ersten Schritt zur Entwicklung weiblichen Selbstbewußtseins. In dieser frühen Phase ihrer Romanproduktion verarbeitet George Sand ihre persönlichen Erfahrungen in der Ehe mit dem Baron Dudevant, die mit der Trennung (nicht Scheidung) endete. Der individuelle Glücksanspruch der Frau ist für sie zu diesem Zeitpunkt noch unvereinbar mit den gesellschaftlichen Ehekonventioneu, die Selbstverwirklichung der Frau und das Glück sind nur in einer Art »Erémitage à deux« zu finden, wie sie beispielsweise Indiana und Ralph
schließlich verwirklichen. Letzterer verkörpert neben dem tyrannischen Ehemann und dem gewissenlosen Verführer den dritten Typ Mann im Werk George Sands, den des heimlich und selbstlos Liebenden.
Abgöttisch, allerdings nicht selbstlos liebt auch Stenio, ein junger Poet, Lelia in dem gleichnamigen Roman (1833). Diese stellt eine dem geltenden Klischee von Weiblichkeit vollkommen widersprechende Intellektuelle dar, die den gesellschaftlichen Entwicklungen ihrer Zeit skeptisch bis nihilistisch gegenübersteht und unter ihrer mangelnden Hingabefähigkeit, unter ihren selbsterrichteten Barrieren gegenüber dem Mann leidet. Lelia schreckt davor zurück, sich ganz ihrem Gefühl hinzugeben, da sie befürchtet, daß in diesem Moment die Liebesglut des anderen bereits erlöschen könnte. Eine Art weiblicher Dandy bleibt sie undurchdringlich, eine kühle, marmorne, unerreichbare Schönheit in klassischer Eleganz, die man nur von ferne bewundern darf. Sie schützt sich selbst vor dem Leiden, indem sie niemandem erlaubt, sich ihr zu nähern. Auch Stenio, der sie anbetet, gelingt es nicht, ihr Inneres zu rühren. Er verfällt schließlich dem Laster, indem er versucht, sein Idol in einer donjuanesken Existenz zu vergessen und geht an seiner unerfüllten Liebe zugrunde. Das weibliche Pendant zu Lelia stellt übrigens die Courtisane Pulcheria dar, die ein rein sinnliches Dasein führt.
Ihr eigentliches Ideal einer liebesfähigen Frau, die gleichzeitig eine eigenständige Persönlichkeit ist, als Schauspielerin arbeitet, sich sogar dem Tyrannen Friedrich II. - an dessen Hof sie spielt - widersetzt und die für ihre persönliche Meinung sogar in den Kerker geworfen wird, entwickelt George Sand allerdings erst in ihrem Roman La Comtesse de Rudolstadt (1843). Vor dem Hintergrund der Epoche Friedrich II. und der philosophischen, religiösen Diskussion dieser Zeit, zeichnet sich in einer barock und durch zahlreiche phantastische Elemente romantisch wirkenden Handlungsfülle der Lebenslauf Consuelos, der späteren Gräfin von Rudolstadt ab. Diese findet schließlich sogar Aufnahme in der ursprünglich nur Männern vorbehaltenen Loge der Freimaurer, tritt für die Ideale der Französischen Revolution ein, fordert liberté und egalité auch für die Frau. In diesem Roman vollzieht George Sand gleichzeitig den Schritt von der individuellen zur politischen Lösung der Frauenfrage. War in ihren ersten Erzählungen die individuelle Selbstverwirklichung nur in der Isolation von der Gesellschaft möglich, so entwickelt sie nun eine konkrete politische Utopie. Consuelo wird zum Sprachrohr der Autorin, die sich schließlich für die Ideen des Saint-Simonismus begeisterte und politisch engagierte.
Gleichheitsideen vertritt auch Ida Hahn-Hahn, eine Gräfin aus mecklenburgischem Landadel, die zu den ersten Schriftstellerinnen gehört, die ihren Lebensunterhalt durch das Schreiben verdienen konnten. In der Regel stammten die Literatinnen dieser Zeit aus der Schicht des gehobenen Bürgertums oder der Aristokratie und waren finanziell abgesichert. Wie George Sand formuliert auch Hahn-Hahn ihre Kritik an der Konvenienzehe, stellt beispielsweise den Alltag von Frauen dar, die bereits im Alter von vierzehn Jahren mit ungeliebten Männern verheiratet wurden. Indem sie das Motiv der unterschiedlichen Schwestern aufgreift, veranschaulicht sie verschiedene Reaktionen auf die geltenden Rollenzwänge. So verkörpert beispielsweise Cornelie in dem Roman Zwei Frauen (1845) eher den Typ der anschmiegsamen, gefügigen, unterwürfigen Gattin, während ihre Schwester Aurora von vornherein als ein eher eigenwilliges, wissensdurstiges, aufgewecktes Wesen dargestellt wird. Erstaunlich ist jedoch, daß im weiteren Verlaufe des Romans Cornelie es ist, die beginnt, eigene Interessen und ein selbständiges Denken zu entwickeln, sich schließlich sogar von ihrem treulosen Gatten trennt, also keinesweges mehr Opfer sein will; Aurora hingegen resigniert nach einigen mißglückten Versuchen, soziale Aktivitäten zu entwickeln, flieht in pietistische Schwärmereien und fügt sich den Umständen - einem eintönigen Leben an der Seite eines langweiligen Gatten, bei dem sie keinerlei geistige Anregungen findet. Ausbruch oder Anpassung - dies sind also die möglichen Reaktionen auf die Konvenienzehe, die Hahn-Hahn aufzeigt. Allerdings bleibt auch Cornelies Prozeß der Emanzipation eine lediglich individuelle Lösung, stellt noch keine soziale Utopie eines besseren Zusammenlebens dar.
Probleme sieht Ida Hahn-Hahn keineswegs nur in der Konvenienzehe, sondern auch in der freien Partnerwahl, wie die Entwicklung der Gräfin Faustine in dem gleichnamigen Roman (1840) zeigt. Dieser spiegelt - wie auch die Autobiographie Sibylle (1846) - persönliche Erfahrungen der Autorin wider, die nach ihrer Scheidung eine »freie« Beziehung zu Baron von Bystram einging. Faustine, die zunächst in einer Ehe mit einem ungeliebten Gatten gelebt hatte, findet nach seinem Tod ihr Glück in der Verbindung mit dem Baron Andlau, einem festen, allerdings keineswegs despotischen Charakter. Eines Tages trifft sie jedoch den jungen Mario Mengen, in den sie sich verliebt. Schmerzhaft verläuft die Trennung von Andlau, sie willigt in eine Ehe mit Mario ein und bekommt ein Kind von ihm. Doch die Liebe allein kann Faustine nicht ausfüllen, sie ist eine Künstlernatur, deren Wesen - in Anspielung an Faust ein ewiges, immer unbefriedigt, aber auch immer lebendig bleibendes Streben nach Erfüllung ist, das allerdings schließlich in eine Art seelische Apathie mündet. Eine Frau auf der Suche nach ihrer Selbstverwirklichung, die nicht mehr die Verkörperung abstrakter Tugendideale und dennoch ein Gegenmodell zu ihren Geschlechtsgenossinnen ist: wie bereits das Fräulein von Sternheim ist auch sie in ihrer äußeren Erscheinung dem Ideal klassischer Einfachheit verpflichtet, macht sich nichts aus belanglosen Salonplaudereien, buhlt nicht durch falschen Talmiglanz um die Anerkennung der Männer, sondern fasziniert durch ihr Wesen, das Spontaneität, Phantasie, Unabhängigkeit, Begeisterungs- und Liebesfähigkeit ist. Und dennoch sind ihre Möglichkeiten begrenzt, denn wenn Faustine auch gleiche Rechte für Mann und Frau fordert, die Unterwerfung der Frau als korrumpierbare weibliche Moral ablehnt, so verdeutlicht doch gerade diese Forderung die gesellschaftlichen Schranken, an die sie immer wieder stößt. Ähnliche Frauengestalten wie Faustine tauchen in allen Romanen Hahn-Hahns auf, in denen sie immer wieder das Problem der weiblichen Emanzipation thematisiert, selbst wenn sie oberflächlich betrachtet den Lebenslauf eines Mannes (Cecil, 1844) oder die Karriere einer Künstlerin (Rachel, 1859) behandelt. In einer bisweilen verwirrenden Handlungsfülle (Der Rechte, 1839) entwickelt sie in zahlreichen Reflexionen und Diskussionen immer wieder mögliche Alternativen zu den patriarchalischen Verhältnissen. Den gesamtgesellschaftlichen Entwicklungen ihrer Zeit stand Hahn-Hahn zwar nicht ablehnend, aber dennoch skeptisch gegenüber. Sie erblickte in den Gleichheitsbestrebungen eine Tendenz zur Gleichmacherei, eine Gefahr der Wertenivellierung durch den Verlust allgemeingültiger moralischer und religiöser Maßstäbe, der Orientierungslosigkeit und Irritation, erkannte in der Freiheit zwar die Bedingung für die Bildung des Individuums, sah in ihr aber zugleich auch einen Feind.
Die Skepsis der aristokratischen Ida Hahn-Hahn teilt die »Tendenzschriftstellerin« Fanny Lewald nicht. Diese bürgerliche und jüdische Autorin, die vor allem in ihren aufschlußreichen autobiographischen Schriften ein genaues Bild der für Mädchen und Frauen so eingeschränkten Möglichkeiten vermittelt, sieht ihre Aufgabe vielmehr bewußt darin, sich für eine Demokratisierung »menschlichen Zusammenlebens« einzusetzen. In ihrem Roman Jenny (1843) zum Beispiel bezieht sie sich konkret auf gesellschaftliche, religiöse und politische Probleme ihrer Zeit und zeigt die zweifache Diskriminierung, der Jenny - wie die Autorin - als Frau und Jüdin ausgesetzt ist.
Jennys Emanzipationsprozeß, durch den sie sich vom traditionellen Rollenbild befreit, ist vielschichtig. Zwar hatte sie schon früh die ihr angetragene Konvenienzehe abgelehnt, dennoch glaubte sie, sich aus Liebe dem Mann, den sie heiraten möchte, anpassen zu müssen und ist zunächst bereit, zum Christentum überzutreten, einer Religion, deren »Mystizistik« die intellektuell Zweifelnde keineswegs überzeugt. Dann aber erkennt Jenny den selbstverleugnerischen Aspekt eines solchen Schrittes; sie sagt sich von der Liebe los. Wird bei Ida Hahn-Hahn noch die Frage der Konvenienzehe thematisiert, so geht Fanny Lewald über diese Problematik hinaus; auch der »geliebte Mann« wird in seiner dominierenden Position als Maßstab des Denkens, nach dem die Frau sich zu richten hat, in Frage gestellt. Indem Jenny sich in ihrer religiösen Identität behauptet, gelingt ihr die Entwicklung einer eigenständigen Persönlichkeit: sie beteiligt sich an zeitgenössischen Diskussionen und setzt sich - wie ihr Bruder - für die Rechte der Juden ein. So kann sie in einer »gleichberechtigten« Freundschaft zu Graf Walter, den sie gerade durch ihre Eigenständigkeit überzeugt, eine partnerschaftliche Beziehung zweier gleich starker Individuen erleben. Trotz des äußerlich traurigen Endes dieses Romans - Graf Walter wird im Duell erschossen und auch Jenny scheitert - der keineswegs die Idee in Frage stellt, sondern lediglich die Rückständigkeit der Gesellschaft aufzeigt, wird hier die konkrete Utopie eines neuen Rollenverständnisses entwickelt, die Hoffnung auf ein gleichberechtigtes, partnerschaftliches Beisammensein in einer liberaleren und toleranteren Welt.
Zu den produktivsten Autorinnen der Vormärz-Zeit zählt Klara Mundt, die unter dem Pseudonym Luise Mühlbach insgesamt zweihundertneunzig Romane verfaßte, von denen allerdings nur wenige die Unterdrückung der Frau zum Thema haben. Während Ida Hahn-Hahns Erzählungen fast ausnahmslos in einem adligen Milieu des »dolce far niente« spielen, stellt Luise Mühlbach mit ihrem 1844 erschienenen Roman Eva Ein Roman aus Berlin (1844) die spezifischen Probleme einer Handwerkersgattin dar. Nach ihrer Eheschließung zum häuslichen Müßiggang als Gattin eines Meisters verurteilt, entwickelt Eva Aufstiegsphantasien, beginnt sie, nach der sogenannten besseren Gesellschaft zu schielen - einer Mischung aus neureichen Emporkömmlingen und verarmten Adeligen, die voneinander zu profitieren versuchen. Ohne sich auf eine bloß moraline Haltung zu beschränken, stellt Mühlbach Evas Aufstiegsambitionen als Folge eines Mangels an sinnvoller Beschäftigung dar; die Frau nicht mehr allein als Opfer eines adligen Verführers, in diesem Falle ihres Lehrers, sondern als Opfer einer Gesellschaft, die ihr das Recht auf Selbstverwirklichung verweigert. Symptomatisch verdeutlicht Luise Mühlbachs Roman die Entstehung eines kritischen Bewußtseins, die einhergeht mit einer Loslösung von geltenden Moral- und Tugendvorstellungen, die die Einschränkung der Frau auf den häuslichen Bereich verlangen, sie von allen öffentlichen Belangen ausschalten.
Wurden gegen Ende des 18.Jahrhunderts idealisierte Frauenbilder, Verkörperungen weiblicher Tugenden entworfen, so zeichnet sich zu Beginn des 19.Jahrhunderts die Tendenz zu einer wirklichkeitsnaheren Beschreibung ab. Nicht mehr »das Weib, wie es seyn sollte«, sondern wie es ist - in seinen eingeschränkten Möglichkeiten nämlich - wird hier dargestellt.