Zur rechtlichen Aufklärung

Über den Ehebruch  und die Folgen
in der Rechtsprechung  des
ausgehenden 18. und des 19. Jahrhunderts

»Pourquoi, mon Dieu, me suis-je mariée?«
(Flaubert, Madame Bovary)

Die Frage, welche privatrechtlichen Konsequenzen die Eheschließung habe und unter welchen Voraussetzungen die Möglichkeit einer Ehescheidung zu gewähren sei, hat, beginnend mit Hugo Grotius, seit dem 17. Jahrhundert alle bedeutenden Theoretiker des Naturrechts beschäftigt. Anhand von zwei auf dieser Methode der Rechtsfindung basierenden Gesetzeskodifikationen, dem »Allgemeinen Landrecht für die preußischen Staaten« von 1794 zum einen, dem Code civil des Francais von 1804 zum anderen, soll versucht werden, zwei für die Rechtsprechung relevante Ergebnisse dieser über Jahrhunderte hin geführten Diskussion darzustellen. Diese wie auch andere, sich auf das Naturrecht berufende Gesetzbücher verstanden sich im Gegensatz zu früheren Rechtsaufzeichnungen, wie Franz Wieacker betont, als »Akte revolutionärer Umgestaltung«, sie sollten »Vorentwürfe sein für eine bessere Gesellschaft« (S. 198). Durch sie sollte nicht bestehendes Recht zusammengefaßt, verbessert oder vervollständigt werden, sondern sie zielten darauf, ein Rechtssystem zu erstellen, das den Anspruch erheben konnte, seine Grundsätze aus der Naturbzw. Vernunftsphäre des Menschen herzuleiten. Da diese Grundsätze analog den Gesetzen der Naturwissenschaften als logisch ableitbar und begründbar galten, glaubte man, in ihnen die unwandelbaren Gesetzlichkeiten, Rechte und Pflichten des Menschen in der menschlichen Gesellschaft gefunden zu haben (vgl. Wieacker, S. 134ff.). Hinsichtlich der in diesem Zusammenhang sich stellenden Forderung, auch das Zusammenleben von Mann und Frau in der Ehe habe auf vernunftgemäßen Grundsätzen zu beruhen, wäre zu erwarten, daß insbesondere zwei naturrechtliche Prinzipien in der Neugestaltung des Eherechts zur Anwendung kommen werden: zum einen der für das staatsrechtliche Denken der Aufldärung so wichtige Satz, daß alle Menschen von Natur aus frei und gleich sind, daß die Unterordnung unter den Willen eines anderen nur mit Zustimmung des Unterworfenen, also durch einen Vertrag, erfolgen kann, zum anderen, daß Rechte nur erlangt werden in Ausübung und zur Ausübung von Pflichten. Aus dem ersten Grundsatz folgt leicht ersichtlich die Forderung nach Gleichstellung von Mann und Frau in der Gesellschaft und damit doch wohl auch in der Ehe; aus dem zweiten Grundsatz folgt, daß eine despotische Gewaltausübung ein für allemal ausgeschlossen sein soll. Nach einem auf naturrechtlichen Forderungen basierenden Eherecht wäre die Ehe demnach zu definieren als ein auf freier Willenserklärung beruhender, durch rechtlich gleichgestellte Personen geschlossener Vertrag, der im Interesse beider eine ausgewogene Verteilung von Rechten und Pflichten zum Inhalt haben sollte. Aufgrund dieser Eheauffassung rnüßte, so wäre anzunehmen, das bisherige, aus germanischer Tradition der Geschlechtsvonnundschaft des Mannes über die Frau herrührende Eherecht als vernunftwidrig, die Natur des Menschen verletzend angeprangert werden, da dieses, wenn auch gemildert im übernommenen römischen Recht, die Herrschaft des Ehemannes über die Ehefrau in allen das gemeinschaftliche eheliche Leben betreffenden Angelegenheiten festlegte. Die in den während der Französischen Revolution entstandenen Entwürfen zu einem Zivilgesetzbuch geprägten, bei Hermann Conrad zitierten Grundsätze, »der Wille der Eheschließenden bestimmt das Wesen der Ehe«, und »die Eheschließenden legen die Bedingungen ihrer Gemeinschaft frei fest« (S. 265f, Übers. v. d. Verf), geben zu der Hoffnung Anlaß, daß in diesem zu schaffenden Gesetzbuch der Gedanke der Gleichberechtigung von Mann und Frau in der Ehe verwirklicht werde.
Bevor wir uns der endgültigen Fassung dieses Gesetzbuches, dem Code civil des Francais, zuwenden, hören wir, welche Belehrung der in Eherechtsfragen versierte Romanautor Honoré de Balzac in seinem 1833 veröffentlichten Roman Die Herzogin von Langeais der Protagonistin gleichen Namens zuteil werden läßt, die in aller Öffentlichkeit dem Marquis de Montriveau gegenüber eine allzu heftige Leidenschaft bekundet: »Wenn Sie Wert auf einen Skandal legen - ich kenne Ihren Mann«, sagt der Herzog von Grandlieu und fährt fort: »Er wird sich von Ihnen trennen, Ihr Verinögen behalten und Sie arm und folglich ohne jede Geltung zurücklassen. Die hunderttausend Franes Zinsen, die Sie unlängst von ihrer Großtante mütterlicherseits geerbt haben, werden zur Bezahlung des Freudenlebens seiner Mätressen dienen. Sie jedoch sind durch Gesetze gebunden und geknebelt, Sie müssen zu diesen Verfügungen ja und Amen sagen« (Bd. VI, S. 291). Diese Belehrung setzt in Erstaunen. Nicht das Recht des unschuldigen Teils, im Falle des Ehebruchs die Scheidung bzw., da diese seit 1816 nicht mehr gewährt wurde, die Trennung zu verlangen, nicht der dem schuldigen Teil drohende Verlust gesellschaftlicher Achtung aufgrund eines geminderten Lebensstandards überraschen, aber ist nicht die Einbehaltung des Vermögens sowie der erst kürzlich angetretenen Erbschaft der der Untreue verdächtigten Herzogin eine unangemessen harte vennögensrechtliche Konsequenz? Und deutet die vermutete Verwendungsart dieses persönlichen Erbteils, zur Bezahlung der Mätressen nämlich, nicht an, daß an der Untreue des Herzogs kein Zmeifel besteht, diese aber keinerlei Konsequenzen hatte? Die Romanhandlung umfaßt den Zeitraum von 1808 bis 1820. Es muß also angenommen werden - da die Redlichkeit Balzacs nicht in Zweifel zu ziehen ist - daß diese Belehrung dem Eherecht des Code civil entspricht. Tatsächlich finden sich bei der Lektüre dieses berühmten Gesetzbuches Artikel, die diese Befürchtung bestätigen. Lesen wir in Art. 212 noch recht zuversichtlich: »Die Ehegatten sind einander Treue, Hilfe und Beistand schuldig«, erfahren wir in den die Eheauflösung betreffenden Artikeln, daß die Nichteinhaltung des Treuegebots für Mann und Frau unterschiedliche Folgen nach sich zieht: »Der Mann kann die Ehescheidung wegen eines von seiner Ehefrau begangenen Ehebruchs verlangen«, heißt es in Art. 229, dagegen in Art. 230: »Die Frau ist wegen eines vom Manne begangenen Ehebruchs auf Ehescheidung anzutragen befugt, wenn er seine Beischläferin in dem gemeinschaftlichen Hause gehalten hat«. Vorausgesetzt, der Mann vermeidet die Provokation, den Ehebruch in der ehelichen Wohnung zu vollziehen, ist die Ehefrau nicht berechtigt, die Scheidung bzw. nach 1816 die Trennung zu verlangen. Eine solche Provokation wäre nicht ratsam gewesen, denn nach Art. 299 verliert der Ehegatte, wider welchen die Scheidung zugelassen worden, alle Vorteile, die er von dem anderen Ehegatten durch Heiratskontrakt oder auch seit der geschlossenen Ehe erhalten hatte.« Zudem behält derjenige Ehegatte, der die Scheidung erwirkt hat, »die von dem anderen Ehegatten ihm zugedachten Vorteile, obwohl es ausbedungen war, daß sie wechselseitig sein sollten« (Art. 300). Vorausgesetzt, es gilt das gesetzliche Güterrecht andere Güterrechtsformen können vereinbart werden mit der Einschränkung, daß der Ehemann auf Rechte, die ihm aufgrund seiner ehemännlichen Gewalt zustehen, nicht verzichten darf, bedeutet dies: der obsiegende Partner behält das Gemeinschaftsgut, wozu die eingebrachten und die in der Ehe erworbenen beweglichen Güter zählen, das sind Geldkapitalien, Renten, Zinsen, Hausgeräte aller Art, Arbeitsverdienst von Mann und Frau; hinzu kommt das während der Ehe entgeltlich erworbene unbewegliche Gut, also Grundstücke und Liegenschaften. Dazu erhält er die bisher an die Gemeinschaft fahenden Einkünfte aus den in die Ehe eingebrachten oder während der Ehe durch Erbschaft oder Schenkung erworbenen Liegenschaften, die als solche jedoch Sondergut des schuldigen Gatten bleiben. Der Herzog von Langeais wie alle Ehemänner Frankreichs und derjenigen deutschen Lande, die auch nach 1815 zum Geltungsbereich des Code civil gehören, d. h. der linksrheinischen preußischen Gebiete z.B., werden diese Folgen gekannt und ihre Geliebten außerhalb des mit der Ehefrau bewohnten Hauses getroffen haben. Für die Herzogin wie für alle Ehefrauen des entsprechenden Gebietes hingegen steht im Falle ihrer Untreue die Existenz auf dem Spiel. Die Warnung des Herzogs von Grandlieu beschreibt also, wie vermutet, in allen Einzelheiten zutreftend die im Code civil festgelegte rechtliche Situation der der Untreue bezichtigten Gattin. Wenn Grandlieu verschweigt, daß der Herzogin eine Einsperrung ins Zuchthaus droht für eine Zeit, die »nicht kürzer als drei Monate und nicht länger als zweijahre sein darf« (Art. 298), so geschieht dies sicherlich aus gesellschaftlich gebotenem Takt.
Die Benachteiligung der Frau im Falle des Treuebruchs läßt vermuten, daß den Autoren des Code civil auch in anderen Fragen des Eherechts nicht an der Gleichstellung von Mann und Frau gelegen war. Den Weg wies kein geringerer als Napoleon selbst, dessen Name das Gesetzeswerk von 1807 an trug. Er soll, wie Marianne Weber berichtet, bei den Beratungen über das Eherecht des Code civil gesagt haben: »Es gibt etwas, das nicht französisch ist: daß eine Frau tun kann, was ihr gefällt« und des Näheren gefordert haben: »Ein Ehemann soll eine absolute Herrschaft über die Handlungen seiner Frau ausüben; er hat das Recht, ihr zu sagen: Madame, Sie werden nicht ausgehen; Sie werden das Theater nicht besuchen; Sie werden mit der oder jener Person nicht verkehren« (S. 320). Entsprechend schreibt Art. 312 des Code civil vor: »Der Mann ist seiner Frau Schutz und die Frau ihrem Mann Gehorsam schuldig.« Der Gehorsam gegenüber dem Ehemann verbietet es der Ehefrau, ohne Genehmigung ihres Mannes vor Gericht aufzutreten, es sei denn in einem gegen sie anhängig gemachten Strafverfahren (Art. 215, 216), er verbietet ihr zu schenken, zu veräußern, ihr Vermögen mit Hypotheken zu belasten, entgeltlich oder unentgeltlich zu erwerben, es sei denn, sie erlangt dazu die Genehmigung ihres Mannes, oder aber sie betreibt ein eigenes Handelsgewerbe (Art. 220), was wiederum die Zustimmung ihres Mannes voraussetzt. Immerhin - und das bedeutet eine erhebliche Konzession - wird ihr zugestanden, eine vom Ehemann verweigerte Genehmigung durch eine gerichtliche zu ersetzen (Art. 218, 219). In Erziehungsfragen ist allein der väterliche Wille ausschlaggebend. Die Frau übernimmt aber nach dem Tod des Ehemannes die Vormundschaft über ihre Kinder (Art. 3 75, 390). Im ganzen ist zu konstatieren: das Eherecht des Code civil des Francais enttäuscht die Hoffnungen all derjenigen, die erwartet hatten, das der »Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte« von 1789 zugrundeliegende naturrechtliche Postulat der Rechtsgleichheit habe für alle Menschen zu gelten, auch für die Frauen.
Hat dies allein Napoleon mit seiner frauenfeindlichen Haltung verschuldet? Die Ursache ist vielmehr zu suchen in der Naturrechtslehre selbst, insbesondere in der Deutung, die sie in geschlechtsspezifischer Hinsicht durch J. J. Rousseau erfahren hat. Vernunft und Natur, diejenigen Kategorien also, welche die Aufklärer der Ständegesellschaft des Ancien régime entgegenhielten, um gleiches Recht für alle zu fordern, dienen Rousseau zur Rechtfertigung der Ungleichheit von Mann und Frau. Im Zusammenhang der bei der Frau strenger als beim Mann zu ahndenden Untreue kommt Rousseau zu dem Schluß: »Wenn die Frau sich beklagt, die Ungleichheit zwischen ihr und dem Mann sei ungerecht, so hat sie unrecht. Diese Ungleichheit ist keine menschliche Einrichtung, zum mindesten nicht das Werk eines Vorurteils, sondern der Vernunft. Es ist Sache desjenigen von zweien, dem die Natur die Kinder zu treuen Händen anvertraut hat, auch dem anderen gegenüber dafür einzustehen« (S. 418). Bricht der Mann die Treue, handelt er ungerecht und barbarisch, die Frau jedoch begeht mit dem Treuebruch eines der schlimmsten Verbrechen - so Rousseau -, da der Ehemann nicht mehr sicher sein kann, der Vater seiner Kinder zu sein. Um die Fortpflanzung des Menschen zu sichern, hat die Natur zudem Mann und Frau mit unterschiedlichen Gaben ausgestattet: Aktivität und Stärke befähigen den Mann, die Frau zu erobern und zu schützen, Passivität und Schwäche veranlassen die Frau, sich dem Mann zu unterwerfen, um seinen Schutz zu erlangen. Wer folglich die »natürliche« Bereitschaft der Frau zur Unterwerfung leugnet, argumentiert ebenso wider alle vernünftige Einsicht wie derjenige, der ihre Fähigkeit zu gebären abstreitet. Daß diese Gedanken Rousseaus direkten Eingang in das Eherecht des Code civil gefunden haben, ist aus den Äußerungen des französischen Juristen und Staatsmannes jean Etienne Portalis ersichtlich, der dieses Recht entscheidend prägte und Rousseau folgend in seiner Begründung schreibt: »Es ist keineswegs das Gesetz, sondern die Natur selbst, die das Los eines jeden der beiden Geschlechter ausgemacht hat. Die Frau bedarf des Schutzes, weil sie schwächer ist, der Mann ist freier, weil er stärker ist« (zit. bei H. Conrad, S. 269). Welche Gesetze der Gesetzgeber für notwendig erachtete, um der schwachen Frau Schutz zuteil werden zu lassen, wurde bereits dargelegt.
Ist die konservative Ausrichtung des Familienrechts des Code civil somit unübersehbar, stellt sich die Frage, welcher Position der Naturrechtslehre die Autoren des »Allgemeinen Landrecht für die preußischen Staaten« den Vorzug geben: der Forderung, allen Menschen, Mann und Frau, sind gleiche Rechte zuzubilligen, oder aber der Forderung, die Frau habe sich aufgrund ihrer Geschlechtsfunktion dem Mann unterzuordnen und könne Rechte nur in geringerem Umfang beanspruchen. Es stimmt optimistisch, daß bereits auf den ersten Seiten des preußischen Gesetzbuches der Grundsatz der Gleichheit von Mann und Frau proklamiert wird: »Die Rechte beider Geschlechter sind einander gleich«, auch wenn einschränkend hinzugefügt wird: »soweit nicht durch besondere Gesetze oder rechtsgültige Willenserklärungen Ausnahmen bestimmt werden« (ALR 1.1 § 24). Inwieweit trägt das Ehe- und Familienrecht dieser Proklamation Rechnung, inwieweit billigt es der Frau eine der Rechtsstellung des Mannes vergleichbare Stellung zu? Die Lektüre Theodor Fontanes Roman Effi Briest läßt jedenfalls Zweifel daran aufkommen, ob sich die Situation der schuldig geschiedenen Effi im Berlin derjahre nach 1870 wesentlich von derjenigen der Herzogin von Langeais in Paris unterscheidet. Fontane, an rein juristischen Fragen sicher nicht in gleichem Maße interessiert wie Balzac, erwähnt, ohne Einzelheiten zu nennen, Landrat Baron Instetten, der betrogene Ehemann also, habe, nachdem er den Liebhaber seiner Frau hn Duell getötet hatte, einen Brief an die Adresse seiner Schwiegereltern geschrieben. Dieser Brief enthält, wie aus den folgenden Ereignissen zu erschließen ist, die Nachricht, Instetten werde sich von seiner Frau Effi scheiden lassen. Die bescheidenen finanziellen Verhältnisse, in denen Effi nach ihrer Scheidung in Berlin lebt, lassen vermuten, daß die schuldig geschiedene Frau vermögensrechtlich dem französischen Recht des Code civil ähnliche Konsequenzen zu gewärtigen hatte. Im Unterschied zum Recht des Code civil aber hätte Instetten im Fall seiner Untreue rechtlich die gleichen Folgen zu tragen gehabt. Denn gemäß dem Allgemeinen Landrecht berechtigt »Ehebruch, dessen sich ein Ehegatte schuldig macht (...), den unschuldigen Teil auf Scheidung zu klagen« (ALR 1.2. 1. § 670). Der Gesetzgeber gesteht für den Fall der ehelichen Untreue also beiden Geschlechtern gleiches Recht zu: der jeweils unschuldige Teil, Mann oder Frau, darf die Scheidung verlangen. Ein rechtlicher Anspruch auf die Treue ihres Ehemannes wird der Frau in Preußen damit fast einhundertjahre früher zugestanden als in England oder Frankreich. Allerdings hat der untreue Mann das Recht, der Scheidungsklage zu widersprechen, wenn er seinerseits die Untreue seiner Frau nachweisen kann. Dieses Recht wird der Frau vorenthalten. Die vermögensrechtlichen Folgen, die der für schuldig befundene Teil zu tragen hat, variieren je nach den im Ehevertrag niedergelegten güter- bzw. erbrechtlichen Vereinbarungen. Im allgemeinen gilt der Grundsatz, daß der unschuldige Teil für das ihm durch die Scheidung entgehende Erbe zu entschädigen sei. Er hat in der Regel wahlweise Anspruch auf Zahlung eines lebenslänglichen Unterhalts, oder aber auf den sechsten bzw. vierten Teil des Vermögens des Schuldigen, je nach Schwere dessen Verschuldens. Für den Fall, der Ehevertrag bringt den schuldigen Teil in eine für ihn weitaus ungünstigere Lage, wird zur Sicherung seiner Existenz festgelegt, daß »dem Schuldigen niemals mehr als höchstens die Hälfte von der Substanz oder dem Nießbrauche seines Vermögens genommen werden kann« (ALR II. I § 797).
Ist der Eindruck entstanden, das Landrecht habe eine im Scheidungsfall für beide Geschlechter gleiche und somit gerechte, den schuldigen Teil gewissermaßen schonende Lösung gefilnden, ist es aufschlußreich, der Frage nachzugehen, ob das Schicksal der Romanheldin Effi nach ihrer Scheidung überhaupt der tatsächlichen Situation einer Frau in vergleichbarer Lage zu dieser Zeit entspricht. Bei genauerem Hinsehen zeigt sich nämlich, daß die rechtliche Gleichstellung der Geschlechter keineswegs ausschließt, daß der Ehebruch der Frau, die vermögende Frau ausgenommen, wesentlich härtere Konsequenzen zeitigt als derjenige des Mannes. Effi stammt zwar aus wohlhabendem Hause, verfligt aber erst, nachdem sie das Erbe des Familiengutes Hohen-Cremmen angetreten haben wird, über eigenes Vermögen. Von Effis »trousseau«, einer Ausstattung mit Wäsche, Geschirr und sonstigem Hausgerät, abgesehen, bestimmt vorwiegend das Einkommen aus der beruflichen Tätigkeit des Landrats den Lebensstandard der Familie Instetten. Hätte Instetten, schuldig geschieden, schlimmstenfalls auf seine berufliche Karriere verzichten müssen, wäre ihm entweder eine Pension verblieben oder aufgrund seiner Ausbildung und beruflichen Erfahrung die Möglichkeit gegeben, eine andere, sein Lebensniveau sichernde Tätigkeit zu suchen. Da für Frauen ihres Standes Berufsausbildung und Erwerbstätigkeit ausgeschlossen sind, bleiben Effi diese Wege der Existenzsicherung versperrt. Gegenüber all denjenigen Frauen, die auf ein Erbe oder die Unterstützung durch die Eltern nicht rechnen können, befindet sich Effi sogar in einer vergleichsweise glücklichen Lage.
Obgleich das Landrecht im Gegensatz zum Code civil der Frau in gleicher Weise wie dem Mann den Weg der Scheidungsklage eröffnet und daher als fortschrittlich gelten könnte, ist es in den meisten anderen Fragen des Eherechts von konservativem Geist durchdrungen. Mit dem Grundsatz: »Der Mann ist das Haupt der ehelichen Gesellschaft, und sein Entschluß gilt in gemeinschaftlichen Angelegenheiten« (ALR II.I § 184), wird auch in diesem Gesetzeswerk die ehemännliche Vorherrschaft zum leitenden Prinzip des Eherechts erhoben. Wie in Frankreich, hat sich die Ehefrau den Entschlüssen ihres Mannes unterzuordnen. Sie teilt dessen Wohnsitz, Name und Stand, verpflichtet sich, den Haushalt zu führen. Ohne ehemännliche Genehmigung ist es ihr verwehrt, eine außerhäusliche Tätigkeit aufzunehmen bzw. ein Gewerbe zu betreiben. Sie darf in der Regel keine Prozesse führen, keine Rechtsgeschäfte abschließen, aus denen ihr Verpflichtungen entstehen, im Unterschied zu den Bestimmungen des Code civil aber wohl solche eingehen, aus denen ihr Vorteile entstehen, sie kann z.B. selbständig Schenkungen entgegennehmen. Auch in anderen Punkten ist ihre Handlungsfreiheit weniger eingeschränkt: bei Verhinderung des Mannes kann sie die zur Verwaltung ihres Vermögens erforderlichen Rechtshandlungen selbständig vornehmen. Wird ihr durch die güterrechtliebe Vereinbarung des Ehevertrags ein Teil oder auch ihr ganzes Vermögen als Sondergut vorbehalten, behält sie dessen Verwaltung und Nutznießung, vertritt es vor Gericht und führt ohne Zustimmung des Mannes darüber Prozesse. In Frankreich ist eine derartige Ausweitung der Handlungsfähigkeit der Ehefrau durch den Ehevertrag ausgeschlossen. Gegenüber den Kindern ist jedoch, ebenso wie im Code civil festgelegt, allein die Autorität des Vaters ausschlaggebend. Nach dessen Tod übernimmt die Frau zwar das Erziehungsrecht, im Unterschied zur französischen Regelung aber nicht die Vormundschaft ffir die Vermögensverwaltung und die gerichtliche Vertretung der Kinder, die ihr aber durch ein Gericht übertragen werden kann.
Zusammenfassend ist festzustellen, daß, obgleich einige Regelungen des Allgemeinen Landrechts der Frau größere Handlungsfreiheit einräumen, als dies nach bisherigem und nach französischem Recht der Fall ist, dennoch nicht behauptet werden kann, der im Landrecht I.I § 24 ausgesprochene Gleichheitsgedanke habe das Ehe- und Familienrecht dieses Gesetzeswerkes geprägt. Die im Vergleich zum Code civil großzügige Erweiterung weiblicher Handlungskompetenz bevorteilt ausschließlich die vennögende, nach der Ständegliederung des Landrechts dem Adel oder dem eximierten Bürgerstand, den Offiziers-, Akademiker- und bürgerlichen Gutsbesitzerfamilien also zugehörende Frau. Für die Frauen der anderen Stände sind die gewährten Handlungsfreiheiten von weit geringerer Bedeutung, wenn nicht gar bedeutungslos. Die Rücksichtnahme auf die Situation der Frau gehobenen Standes, die dem Gesetzgeber des Landrechts geboten schien, konnte im französischen Recht des Code civil u.a. deshalb entfallen, weil dieses Recht bereits von der Tatsache einer 1789 proklamierten rechtsegalitären Gesellschaft ausging. Diese Vorgabe bedeutet paradoxerweise, daß die Rechtslage der verheirateten Frau in familien- und vennögensrechtlicher Hinsicht ungünstiger ist als in Preußen, wo die ständische Gliederung der Gesellschaft durch das Landrecht bestätigt wird. Von Interesse dürfte in diesem Zusammenhang die Tatsache sein, daß nach Aufhebung der Ständeschranken durch die Stein-Hardenbergischen Reformen Kritik an den im Landrecht den Frauen angeblich zu großzügig gewährten Rechten geübt wird (vgl. Ute Gerhard, S. 169ff.).
Die Durchsetzung der naturrechtlichen Forderung nach Rechtsgleichheit, so ist aus dem Vergleich der vorgestellten Gesetzeskodifikationen zu entnehmen, bedeutet für Frauen zunächst einmal, daß sie Männern gegenüber in gleichem Maß, ohne Ansehen des Standes nämlich, rechtlich benachteiligt werden. Auf die auch heute noch spürbar die gesellschaftliche Stellung der Frau bestimmende soziale Benachteiligung wurde bereits hingewiesen.