Zwischen Frauenideal und Autorenstatus

Zur Präsentation der Frauenliteratur in der Renaissance

Frauenideal und ideale Frauen

Solange sich die Renaissance, vor allem in Italien, von antiken Typologien leiten läßt, kann es für ein weibliches Subjekt keinen Platz in der Literatur geben: die antiken Dichterinnen, Sappho, die Lesbierin, die jungfräuliche Corinna, die Hetäre Aspasia erscheinen als monströse Ausnahmen. Wo immer die Frau als Objekt der humanistischen Pädagogik oder auch, in der lateinischen Elegiendichtung des 15. Jahrhunderts, als Objekt der Liebe posiert, bleibt sie von der Sprache ausgeschlossen. Sie vermag allein mit ihrem Körper zu »antworten«, dessen Zeichen der Literat wie der Wissenschaftler in sein gelehrtes Medium übersetzt: dieses Gefälle von Sagenkönnen und Sprachlosigkeit macht zugleich ein wesentliches Element des literarischen Eros aus.
Die Aneignung klassischer Sprachen und privilegierter Sprechweisen wird nur dort zugestanden, wo sich das Weibliche noch nicht als »Sprachlosigkeit« artikuliert: in einer kurzen vorpubertären, in jedem Fall vorehelichen Phase dürfen Mädchen der höheren Stände bevorzugt vor ihren Brüdern den Eliteanspruch ihrer Familie als Bildungszeremoniell vorführen. Die Aufmerksamkeit, die den weiblichen Frühbegabungen und ihren spektakulären Auftritten, der Fähigkeit zur Improvisation lateinischer Reden bei hohen Anlässen zuteil wird, gilt in erster Linie der dynastischen Repräsentation. Nicht umsonst stammen Cecilia Gonzaga, Costanza Varano, Ippolita Sforza, Battista Sforza aus Fürstenhäusern, die ihre erst kürzlich erworbene Macht stabilisieren müssen und deren weibliche Mitglieder sich einer vorbildlichen Rollenerwartung fügen. Die Abhängigkeit dieser Rolle von der weiblichen Biologie und die strenge Festschreibung einer Dreiteilung von Aufgabenfeldern für Jungfrau, Ehefrau und Witwe grenzen die Bildung als voreheliche Propädeutik aus. Mädchen, die ihre Studien über die Pubertät hinaus betrieben, möglicherweise deshalb den Eintritt in das Eheleben hinauszögerten, verleugneten, im Jargon der Zeit, »ihr Geschlecht«: die männliche »virago« entpuppt sich als Perversion der von den Humanisten gefeierten »virgo«. Ein solches Urteil trifft die wenigen Autorinnen, die aus der humanistischen Bildung eine persönliche Vokation ableiten: Isotta Nogarola, aus einem Veroneser Patriziergeschlecht, das noch bis ins 16. Jahrhundert eine Tradition kultivierter »Jungfrauen« vorzuweisen hatte, Verfasserin gesuchter lateinischer Briefe und eines polemischen Traktats De pari aut impari Evae atque Adame peccato (1451), als Wunderkind umschwärmt, als Intellektuelle isoliert; Laura Cereta, die nach einer nur 18 Monate währenden, kinderlosen Ehe als Witwe ihren naturphilosophischen und astrologischen Interessen nachgehen konnte und 1488 eine Sammlung ihrer Epistolae dem Kardinal Ascanio Sforza widmete; Cassandra Fedele, die mit einer 1488 gedruckten Doktoratsrede und mit lateinischen Briefen an die Öffentlichkeit trat, und deren späte Heirat, mit 33 Jahren, ihre Ambitionen endgültig überholte.
Der Status des Literaten, besonders des an antiken Mustern geschulten Humanisten, galt im Hinblick auf Frauen als »widernatürlich« und entsprechend breit ist die misogyne Einstellung der humanistischen Autoren dokumentiert. Nur die Kompetenz des Dilettanten, die Haltung des Connaisseurs wird für Frauen in dem Maße wünschenswert, wie sich die Höfe, gegen Ende des 15. Jahrhunderts, zu einer konkurrierenden Instanz der Kultur entwickeln. Da nunmehr die Fürstin mit ihren Hofdamen als Adressatin und als potentielle Mäzenin in das Blickfeld des Autors tritt, kann der eklektische Gelehrtencharakter der »bonae litterae« nicht mehr bestehen; ein veränderter Kulturbegriff muß die Präsenz des Weiblichen schon in sich tragen. Dieser Perspektive tragen die im höfischen Milieu von Ferrara und Mantua entstandenen »feministischen« Traktate von Bartolomeo Goggio, De laudibus mulierum (1487), Mario Equicola, De mulieribus (1501c.), Agostino Strozzi, Defensione delle donne, Rechnung. Je mehr sich die Höfe als Epizentren einer idealen Machtentfaltung begreifen, desto mehr wird das Weibliche zur Figur ihrer kulturellen Repräsentation stilisiert. Ein solch idealisiertes und zugleich normatives Frauenbild stellt Baldassare Castigliones Entwurf der Hofdame, »donna di palazzo«, im 3. Buch seines Libro del Cortegiano (ed. 1528) dar, der zugleich eine nostalgische Reverenz gegenüber dem Hof von Urbino und seiner Fürstin Elisabetta Gonzaga in den Jahren 1504 bis 1508 beinhaltet. Sämtliche Qualifikationen der Hofdame, auch ihre »Literarizität«, stellt Castiglione unter den Imperativ der Weiblichkeit (»sempre parer donna«, III,4).
In der höfischen Geselligkeit bedeuten die Frauen die immerwährende Präsenz des erotischen Moments, der im kulturellen Diskurs der »ragionamenti« eingefangen wird: als Anreiz zum »Sprechen, um zu gefallen«, als Kanalisierung und Kontrolle über das Nichtgesagte. Die spezifisch literarische Bildung muß die »donna di palazzo« instandsetzen, die Techniken insbesondere der »ragionamenti d'amore«, des Sprechens über Liebe, zu beherrschen, ohne dabei ihre »weibliche« Sprachlosigkeit aufzugeben, die den »cortegiano« erst zum Reden bringt. Da das Sprechen über Liebe als wichtigstes Element der höfischen Unterhaltung, der »intertenimento«, ausgewiesen ist, besitzen die Konventionen, deren Regeln Castiglione im Cortegiano III, 53 und 55 erläutert, sicher auch für das Schreiben im geselligen Austausch Gültigkeit. In den wenigsten Fällen will die Sprache der Liebe auch Gefühle ausdrücken, eher stellt sie sich als Geste der Wertschätzung, der Ehrerbietung dar und erfüllt damit vor allem ein gesellschaftliches Erfordernis. Die Liebeserklärung an eine Dame soll ihr und ihrer Umwelt beweisen, daß man sie ihrer Person, ihrer Schönheit, ihres Rangs wegen einer solchen Liebe für würdig hält, nicht aber die Tatsache des Gefühls selbst: wer von echter Liebe überwältigt wird, dem versagt die Sprache. Die kategoriale Trennung der beiden Bereiche, des Sprechens über Liebe und der Liebe selbst, muß als entscheidende Voraussetzung für die Ausweitung des amourösen Diskurses in der Renaissance angesehen werden, und nicht zuletzt für die Tatsache, daß den adligen Frauen gerade die Aneignung der Liebeslyrik und ihrer gesellschaftlichen Regeln angetragen wird. Das scheinbar Intime der sprachlichen Annäherung steht im Signum der Unverbindlichkeit. Das petrarkistische Grundmuster, das die reale oder imaginäre Distanz des Schreibenden zum Objekt seiner Verehrung als Motiv des Schreibens selbst behandelt, entspricht hier zugleich den Forderungen des höfischen Rituals. Von daher versteht es sich, daß gerade die Sprache der Liebe, die aus einem begrenzten Fundus literarischer Formeln schöpft, mithin besonders leicht erlernt werden kann, zugleich am wenigsten kompromittiert, vielmehr als Ausweis sozialer Fertigkeiten gilt.
Literarischer Dilettantismus wird so zum Kennzeichen des »weiblichen Adels«, in dem höfische Bildung, ständisches Prestige und ein detailliert vorgestelltes Schönheitsideal nicht mehr voneinander zu trennen sind. »Fare rime thoscane« ist Attribut und Ausdruck einer frauenspezifischen Grazie, in der sich die Kunst des Sprechens über Liebe als scheinbare Natur des Weiblichen behauptet. Ludovico Domenichi, einer der engagierten Herausgeber weiblicher Lyrik in den Jahrzehnten 1540 bis 1560, möchte die Kunst der »ragionamenti d'amore«, wie er in La nobiltà delle donne (ed. 1549) ausführt, nur auf die Fürstenhöfe, allenfalls auf das Stadtpatriziat beschränkt wissen: die Unverbindlichkeit der erotischen Offerte, die zum literarischen Arrangement gehörte, erschien ihm bei Frauen aus niederem Stand, womöglich alleinstehend oder mit Kindern, die zu versorgen waren, höchst mißverständlich, wenn nicht unglaubwürdig.
Bei der Übertragung der im Cortegiano entwickelten Richtlinien hatte Domenichi vor allem Siena vor Augen, wo sich das Stadtpatriziat in der 1525 gegründeten »Accademia degli Intronati« ein Instrument des gelehrten Austausches geschaffen hatte, das zugleich als Vehikel des pseudohöfischen »intertenimento« diente. Die gebildeten Patrizierfrauen, sämtlich verheiratet oder verwitwet, waren zwar nicht als reguläre Mitglieder zugelassen, doch für deren Aktivitäten unentbehrlich: als Musen poetischer Huldigung, als Adressatinnen gelehrter Traktate, als Gastgeberinnen literarischer Zusammenkünfte, als Partnerinnen der »ragionamenti«. Ob der Austausch von Gedichten mit den »Akademikern« bei einzelnen Damen zu einer dauerhaften Praxis führte, läßt sich an den von Domenichi veröffentlichten Proben einer Aurelia Petrucci, Ermellina Arringhieri, Honorata Pecci, Laudomia Forteguerri, Silvia Piccolomini kaum ablesen, am ehesten noch bei Virginia Martini de' Salvi, deren Verse der ebenfalls als »Frauenfreund« agierende Akademiker Alessandro Piccolomini zusammen mit Übungsgedichten von Frasia Marzi, Girolama Carli Piccolomini, Camilla Petroni, Virginia Venturi de' Salvi 1541 nach Venedig sandte: sein eigenes Sonett über einen Besuch an Petrarcas Grab hatte hier den Anstoß zum Schreiben gegeben. In Lyon bildete die »Académie de Fourvière« seit dem Beginn des 16. Jahrhunderts ein ähnliches gesellschaftliches Zentrum, wo sich im Umkreis von Maurice Scève dessen Schwester Jeanne, Claude Peronne, die nur durch Marot namentlich bekannte Jeanne Gaillarde und vor allem Scèves literarisches »Gegenüber« Pernette du Guillet in der poetischen Konversation übten.
Der Zwang zur kalkulierten Gelegenheitspoesie kam um so stärker zum Tragen, je mehr sich das Standesbewußtsein als Selbstzensur auswirkte. Nur Domenichis publizistischer Kampagne für eine adlige Frauenkultur ist es zu verdanken, daß einzelne Stücke einer Silvia di Somma Gräfin von Bagno, Leonora Ravira Falletti Fürstin von Melazzo, Costanza d'Avalos Herzogin von Amalfi, Maddalena Pallavicina Markgräfin von Ceva, Dianora Sanseverina, Tochter des Fürsten von Bisignano, und was der edlen Namen mehr sind, veröffentlicht wurden. Marguerite de Bourg, dame de Gage, aus dem Lyoneser Kaufmannsmilieu zur Frau eines königlichen Intendanten aufgestiegen, vermochte sowohl in Italienisch wie in Französisch zu schreiben, doch von ihrer angeblich umfangreichen poetischen Hinterlassenschaft ist nichts erhalten: sie hatte ein strenges Publikationsverbot verhängt. Der Schritt in die Öffentlichkeit erschien nur dort gerechtfertigt, wo Schreiben sich als Geste narzistischer Huldigung an den »weiblichen Adel« darstellte. Entsprechend beteiligen sich die Frauen zahlreich an den Bänden, die in Form des »Musentempels« Gedichte zu Ehren einer hohen Dame vereinigen: Rime in morte della Signora Irene di Spilimbergo (1561), Il Tempio della divina Signora Giovanna d'Aragona (1565), Il Tempio della divina Signora D. Geronima Colonna d'Aragona (1568). Die Einladung zur dynastischen Enkomiastik sicherte einen gefahrlosen Eintritt in die Literatur, wie die in allen drei Bänden vertretene Venezianerin Olimpia Malipiero beweist. Offenbar von Domenichi ermutigt, suchte sie sich im Literatenmilieu von Florenz durch Lobpreisung des Herzogs Cosimo I. und seiner Familie abzusichern. Noch in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts stellen auch die Autorinnen, die die Standesgrenzen hinter sich lassen, ihre Publikationen ostentativ unter den Leitstern einer hohen Adligen.

Die ideale Autorin: die Aristokratin

Es ist kein Paradox, daß die Literaten der Zeit übereinstimmend einer Frau den Autorenstatus zuerkennen, die als geradezu phänotypisch für die oben beschriebenen Konventionen anzusehen ist, auch darin, daß sie selbst keinen Anspruch auf diesen Status erhob. Vittoria Colonna hat keine der immerhin dreizehn zu ihren Lebzeiten erschienenen Werksausgaben autorisiert oder gar selbst befördert. Schon der Editor der Rime von 1539 mußte bekennen, daß die Veröffentlichung vielmehr gegen den ausdrücklichen Willen der Verfasserin erfolgt war, daß dem allgemeinen Interesse und Nutzen jedoch Vorrang vor dem Mißvergnügen einer edlen Dame einzuräumen sei.
Vittoria Colonna entstammte einem der militantesten römischen Fürstengeschlechter; ihr Verlöbnis im Alter von fünfzehn Jahren mit dem in Toledo aufgewachsenen Ferrante Francesco d'Avalos Markgraf von Pescara war als Garantie einer politischen Einbindung ihrer Familie in den spanisch-habsburgischen Machtbereich geplant. Sie wuchs in der streng ritualisierten Standeswelt des Cortegiano auf, und nicht umsonst hatte Castiglione ihr, einer Nichte Elisabetta Gonzagas, die letzte noch unpublizierte Fassung des Buchs zur Durchsicht überlassen. Die Frauenthemen des 3. Buchs hatten ihr am besten gefallen, doch mochte sie sich in eigener Sache nicht äußern, »determino tacere« (Brief vom 20. Sept. 1524), noch in der Wahl dieses beredten Schweigens eine gelehrige Schülerin des Autors. Daß die panegyrische Funktion ihre petrarkistische Liebesdichtung bestimmt, ist schon in diesem aristokratischen Rahmen vorgezeichnet: in einer unter der dynastischen Verpflichtung des Familiennamens geschlossene Ehe (alle ihre Briefe unterzeichnete sie mit dem durch Heirat erworbenen Titel »la Marchesa di Pescara«), einer fatalen Kinderlosigkeit des Paares in einer Zeit, in der Kinderreichtum als Adelsprivileg galt, langen Abwesenheiten des zu einer ehrgeizigen Militärlaufbahn unter Karl V. ausersehenen D'Avalos, dessen glänzender Aufstieg zu einem der kaiserlichen Oberbefehlshaber bei der Schlacht von Pavia gegen Franz I. 1525, sein Tod im gleichen Jahr als Folge der dort erlittenen Verwundungen, ohne daß sich die Ehegatten nach 26 Monaten der Trennung noch einmal gesehen hätten.
Ihre Verse bestimmte Vittoria Colonna von vornherein als heroisches Monument. Anders als die ihr folgenden Autorinnen, die teils ernsthaft, teils ironisch den Bescheidenheitstopos der »unwissenden Frau« abwandeln, kennt die Aristokratin kein Zugeständnis an ein Publikum: der einzige, dem sie sich verpflichtet fühlt, ist der Verstorbene, dessen Namen sie weiterträgt (Rime amorose, Nr. 35), dessen unbesiegter hoher Geist, »invitto animo altero«, das Double ihres eigenen Emblems Vittoria ist (Nr. 62), dessen Heldentaten das poetische Vermächtnis fordern. Das ständische Ritual geht dem dichterischen Gestus voraus, so daß signifikante Abweichungen vom Modell Petrarcas notwendig werden, die ihrerseits auf einen neuen Kanon der weiblichen Lyrik verweisen. Die eheliche Bindung impliziert hier die soziale Symmetrie der Liebenden und damit ihre sentimentale Übereinkunft, die das traditionelle Gefälle zwischen dem werbenden Dichter und dem unerreichbaren Objekt seines Begehrens aufhebt: das Wort »equale« (Rime amorose, Nr. 69, Nr. 71; Rime amorose disperse, Nr. 16) findet sich in Petrarcas Canzoniere an keiner Stelle. Gleiche Pflicht, »gleiche Treue« stehen für neue Motive des Schreibens: in der Lyrik der Aristokratinnen, der Colonna und der ihr kongenial nachdichtenden Veronica Gambara ist das Sentimentale in die Ehe eingebunden und bedingt so von vornherein eine Verdrängung sexueller Anziehung und des im petrarkistischen Modell immer angelegten Verdachts außerehelicher Verführung. Die »innere Glut« der Frau (Rime amorose, Nr. 7, Nr. 23, Nr. 27) ist denn auch bei der Colonna nur spiegelbildlich zum »glühenden Mut« der hehren Lichtgestalt des D'Avalos konzipiert. Erst eine spätere Autorin, die in Lucca beheimatete Chiara Matraini, die sich die Lektion der Rime amorose zu eigen gemacht hatte, wagt es schließlich, auch von »gleicher Liebe«, »uguale amore ... tra noi« zu schreiben; der bei der Vorgängerin entlehnten Sonnenmetapher für den Mann, des »bel Sole«, der die Dunkelheit des Weiblichen erleuchtet, stellt sie überdies eine symmetrische Figur im Bild des Mondes gegenüber (Lettere, c.1r).
Die erotische Disziplinierung, die den Editoren als eine unabdingbare Voraussetzung der Frauenliteratur erschien, besteht in einer weitgehenden Reduktion der repraesentatio personae und der damit einhergehenden Ambivalenz der Gefühle, die in Petrarcas Canzoniere durch eine obsessive Vorstellung des weiblichen Körpers genährt wird. Der Mann als Imago der weiblichen Erinnerung ist »wahrer« als die fremde, unausgesprochene Realität seiner Körperlichkeit, die sich für die Colonna allenfalls in den eindrucksvollen Narben und dem vom Kampf glühenden Gesicht kondensiert (Rime amorose, Nr. 61). Der Blick der Frau erfaßt das männliche Gegenüber nur scheinhaft, zunächst als Licht-Schein, zuletzt nur noch als Medium. Nur einmal, im Pianto sopra la passione di Christo (ed. 1556), evoziert die Autorin einen realen Körper: den stigmatisierten Leichnam des toten Christus, den die Mutter Maria liebend berührt.
Jenseits der Ebenbürtigkeit, die das illustre Paar auszeichnet, vermittelt die Colonna geschlechtsspezifische »Sehweisen«, die verständlich machen, warum ihre Lyrik als exemplarisch »weiblich« ausgegeben wurde. Dem Mann sind die »ruhmreichen Taten« einer »Vita activa« (Rime amorose, Nr. 4) vorgegeben, die Frau vermag das Heroische nur in der Introspektion zu vollziehen (Nr. 2). Nicht das Schreiben selbst, auch wenn es sich an den höchsten Vorbildern ausrichtet, verleihen der Autorin »gleichen Rang«, sondern allein die heldische Größe ihres Schmerzes (Nr. 67, Nr. 69, Nr. 82). Schon einer der ersten Exegeten der Rime amorose, Rinaldo Corso hatte im Eingangssonett den sentimentalen Anspruch als »weibliches« Merkmal ausgemacht: da Frauen allgemein empfindsamer sind als Männer, hinterläßt die Liebe ebenso wie der Schmerz einen größeren Eindruck in ihrer Vorstellungskraft. Der Vorrang des Affektiven gehört mithin bereits zum Erwartungshorizont der Frauenliteratur, dem sich die Petrarkistinnen konfrontieren müssen. Aus der Plastizität des Weiblichen, dem der Mann sein Bild »einprägt«, resultiert überdies eine Beglaubigung der männlichen Führungsrolle, die, gemessen an der biographischen Wirklichkeit der beiden Autorinnen, reine Fiktion ist. Nach dem Tod ihres Mannes 1518 leitete Veronica Gambara ihr kleines Fürstentum Correggio allein und mit sicherer Hand durch diplomatische und militärische Konflikte. Vittoria Colonna war durch ihren eigenen Mann zum Gouverneur der Stadt Benevent bestellt worden; für diesen Schritt wurde sogar ein päpstliches Breve notwendig. Auch noch als Witwe nahm sie diplomatische Aufträge im Namen ihrer Familie wahr, führte aber im übrigen ein selbstbestimmtes Leben, in dem der Rückzug aus dem Mondänen erst den Freiraum für religiöse und literarische Kontakte eröffnete.
Das Weiblichkeitsideal, wie es sich in der Lyrik der beiden Italienerinnen formiert, verweist jenseits des Autobiographischen auf das gesellschaftliche Imaginäre und seine Kodifizierung. Anders wäre kaum verständlich, in welcher Weise vor allem das Beispiel der Markgräfin befreiend auf andere literarisch ambitionierte Frauen gewirkt hat: Befreiung vom Schweigen zum Reden über Liebe, ohne den gesellschaftlichen Rahmen des Weiblichen zu verlassen, ohne die Hypothek des Skandalösen einzugehen. Die größte mimetische Anverwandlung dieses Vorbilds leistete sicher Veronica Gambara, auch in ihrem aristokratischen Verzicht auf den Status der Autorin (Brief vom 20. Aug. 1536 an Pietro Aretino), in ihrem Beharren auf dem Dilettantismus der großen Dame gegenüber einem ausgewählten Publikum, das sich aus der literarischen Prominenz Venedigs rekrutierte. In den Gedichten der Colonna sah sie vornehmlich ein feministisches Verdienst (Sonett Nr. 1), in deren »weiblicher Tugend« nur ein zusätzliches Element der Verehrung (Sonett Nr. 2). Ihre Gedichte wurden 1554 von Ruscelli in der Anthologie Rime di diversi eccellenti autori bresciani nuovamente raccolte veröffentlicht, der auch für die Tradition der Verwechslung zwischen Sonetten der Colonna und der Gambara verantwortlich zeichnete. Auf beide Autorinnen berief sich die Bologneserin Lucia Bertana, um ihre eigenen lyrischen Versuche zu rechtfertigen. Eine ähnliche Verbeugung vor dem weiblichen Adel, in die er das Lob der Dichterin Maria Spinola einbrachte, vollzog auch der skandalfreudige Pietro Aretino (Brief vom 18. Febr. 1540).
Dieser hatte schon vor der Publikation des ersten Gedichtbandes der Colonna im literarischen Typus der »divina Pescara« und der »dotta Gambara« einen wesentlichen Stimulus für das Selbstverständnis der schreibenden Frauen ausgemacht (Brief vom 6. Dez, 153 7).
Die Autorin, die sich nochmals perfekt den hohen Sprachgestus der Colonna aneignete, Chiara Matraini, in ihren 1555 publizierten Rime e prose, verkörperte allerdings bereits die Krise eines Ideals, das sich innerhalb von ständischen Kriterien definierte. Witwe wie ihre Vorgängerinnen, richtete die Matraini ihre Verse dennoch nicht an den verstorbenen Ehepartner, sondern an einen anderen, seinerseits verheirateten Mann, der unter ungeklärten Umständen ermordet wurde und dessen Tod jeder heroischen Aura entbehrte. Die Autorin entstammte einer bürgerlichen Familie; sie figuriert daher, trotz persönlicher Bekanntschaft mit Domenichi, nicht im Katalog der Nobilità delle donne, während die chronique scandaleuse einer Isabella di Morra ihrer in Versen dokumentierten Passion für den ebenfalls schon verheirateten Don Diego Sandoval, die mit der Ermordung der beiden Liebenden endete, zur gleichen Zeit bereits »literaturfähig« war. Die soziale Diskriminierung, die von der Abwertung des Weiblichen zusätzlich überlagert wird, provoziert die Matraini zu immer lauteren Klagen über die Einschränkungen und die »Ketten«, die auf ihrem Schreiben lasten.

Von sich sprechen: Identität und Religion

Daß die Frauenlyrik bis in die vierziger Jahre des 16. Jahrhunderts unter einem moralischen Imperativ steht, findet seine Entsprechung in den Ansätzen religiöser Erneuerung, die für den italienischen Bereich im Begriff des »Evangelismus« zusammengefaßt werden. Die Öffnung der rerformistischen Zirkel gegenüber den bis dahin zur »Sprachlosigkeit« verurteilten Gruppen, die neue Praxis einer sentimentalen Authentizität des Sprechens zu Gott, die Ablehnung der kirchlichen, ausschließlich Männern vorbehaltenen Mittlerfunktion im Religiösen, zogen zahlreiche hohe Aristokratinnen an, Frauen, auf denen Rollendruck und Sprachnormierung, auch die oben beschriebene, in besonderer Weise lasteten. Angesichts der in die Rime amorose projizierten Rollenverteilung ist es nicht verwunderlich, daß etwa Vittoria Colonna einer Doktrin zuneigte, die nicht mehr den »Werken«, diesem männlichen Zugriff auf die Welt, sondern einer »weiblichen« Emotionalität im Glauben vertraute. Nur bei den Frauen sei noch das wahre Christentum zu finden, äußerte denn auch, mit Berufung auf seine Kronzeuginnen Vittoria Colonna und Marguerite de Navarre, Ludovico Domenichi, den die »christianissima« Renee de France 1522 durch ihre Intervention bei Cosimo I. vor einer lebenslangen Gefängnisstrafe wegen Verbreitung der Häresie gerettet hatte, jene am Hof von Ferrara wie in einer spirituellen Enklave lebende französische Frau des Herzogs, die ihrerseits weibliche Autorinnen, wie die Nonne Girolama Castellana, inspirierte. Postel in Les très merveilleuses victoires des Femmes du Nouveau Monde (ed. 1553) stand gewiß nicht allein mit seiner Behauptung, daß Frauen wegen ihrer größeren sentimentalen Eindrucksfähigkeit empfänglicher für den »Geist« der Religion seien: die Postulate der »weiblichen Natur« begründen sogar die in der Renaissance so häufige Verschränkung von Liebeslyrik und religiöser Dichtung.
Die »Reform« zielt allerdings nicht nur auf die spirituelle Aufwertung des weiblichen Sprechens über Liebe. Diese gerade erst erreichte Anerkennung gibt die Colonna schon zum Erscheinungszeitpunkt ihres ersten Gedichtbands mit einer ausschließlichen Hinwendung zu den Rime spirituali um 1538 auf. Im Eingangssonett der erstmals 1546 vollständig publizierten Sammlung sprach sie sich entschieden gegen das Fernziel literarischen Ruhms und ihre eigene Einreihung in den Parnaß der Dichter aus: Rinaldo Corsos Interpretation von 1543 ist sicher darin zutreffend, daß die Autorin damit nicht die Kunstfertigkeit des Schreibens selbst in Frage stellen wollte, sondern vor allem die Selbstdarstellung in der Rolle der immer und noch über den Tod hinaus auf den Mann und sein Bild fixierten Liebenden: nunmehr schreibt die Markgräfin nur noch für sich (Rime spirituali, Nr. 1).
Sich selbst im Schreiben benennen: die Suche, »quête de soy«, führt im Werk der Marguerite d'Angoulême, bekannt als Königin von Navarra durch ihre zweite 1527 geschlossene Ehe, zu irritierenden Lösungen. Ihre Erstveröffentlichung, der Miroir de l'âme pécheresse (ed. 1531), wurde 1534 von der theologischen Fakultät der Sorbonne auf den Index gesetzt. Daß sich erst im »Spiegel« von Gottes Blick die eigene Person jenseits ihrer sozialen Existenz enthüllt, ist noch ein immanentes Thema »evangelischer« Thematik, die der Königin durch ihre engen Kontakte mit dem Bischof Guillaume Briconnet und seinem Reformzirkel in Meaux aus den Jahren 1521-24 vertraut war. Wie jedoch die neue Identität, der »neue Adam«, ausschließlich in weiblichen Rollen gefunden wird, wie sich die Seele in diesem Monolog als Gottes Schwester, Mutter, Braut und Tochter »erkennt«, kann nicht nur als Spiegelung der realen Zwänge gesehen werden, denen Marguerite, die Schwester des Königs Franz I., zweite Dame des Hofs von Fontainebleau nach ihrer Mutter Louise von Savoyen, Objekt zahlreicher Heiratspläne vor und nach ihrer mit siebzehn Jahren eingegangenen Ehe mit dem älteren Herzog von Alencon, in der zweiten Ehe schließlich Mutter einer einzigen, später gegen ihren ausdrücklichen Wunsch verheirateten Tochter Jeanne, unterworfen war. Nur die Wahl eines weiblichen Mediums erlaubt den unzensierten Ausdruck des Herzens in »amour« und »charité«: das Gebet ist die einzige Form der liebenden Hingabe, die sich der sozialen Zensur entzieht, und zugleich der einzige »freie Raum«, in dem sich das Ich in einer totalen Geste der Liebe vor Gott von den gesellschaftlichen Beschädigungen rekonstituiert und befreit. Für diese im Dialogue en forme de vision nocturne (ed. 1533) entworfene Perspektive wählte die Autorin mit Vorsatz eine weibliche Gesprächspartnerin, ihre 1524 verstorbene Nichte Charlotte. Das »Salve, Regina, mater misericordiae« dichtete die Königin, in Adaptation einer luthernahen Vorlage, in »je te salue, Lésus-Christ, roi de miséricorde« um; doch bezeichnet hier die weibliche Rolle allein die Qualität der unmittelbaren Nähe zu Gott.
Die Identität erfüllt sich letztlich außerhalb der Geschlechtsnorm, ihre Voraussetzung heißt nicht Befriedigung, sondern Befriedung. Was am Ende des Miroir in der Vorstellung vom Ruhen der Seele im göttlichen Gemahl evoziert wird, ist gleichzeitig auch im »ehelichen Diktus« der weiblichen Liebeslyrik als Wunsch verankert nach »amor ... stabile e beato« (Colonna, Rime amorose, Nr. 31), »contentement durable« (Pernette du Guillet, Rymes, 1 Nr. 13), »scambievole e durabile amore, giocondità senza fine« (Matraini, Lettere, c.31r an L. Domenichi). Der verklärte Zustand »ei lieto di me ed io beata in lui« (Colonna), die Stasis des Affektiven im »sommeil d'amour« (M. de Navarre, Chansons spirituelles, Nr. 12), steht im Gegensatz zur destruktiven Dynamik der Liebe, die sich zwischen den Geschlechtern im sozialen Raum entfaltet. Entsprechend ist es in der späten allegorischen Dichtung Les Prisons (1548-49) ein männlicher Protagonist, der im 1. Buch von seiner Gefangenschaft im Turm der Liebe als Krankheit der Seele, »sens aliéné« (I,98), »fole folie« (I,221), »santé tournée en maladie« (I,270), »labirinthe étrange« (I,605) spricht, die seine Identität zunichte machte. Die Rückgewinnung der eigenen Persönlichkeit in den religiösen Monologen erscheint so direkt komplementär zur skeptischen Analyse männlicher und weiblicher Liebesstrategien in der zeitgenössischen Gesellschaft, wie sie Marguerite de Navarre in verschiedenen Gattungen vorführt: in den »heroischen Briefen« von Les Quatre Dames et les Quatre Gentilzhommes, in den Komödien Deux filles, deux marieées, la vieille, le viellard, et les quatre hommes und La femme, quatre filles, l'homme, schließlich in den Rahmendiskussionen des Heptameron des Nouvelles (ed. 1559). Der Wahrheitsanspruch der Erzählungen, durch den sich die Autorin von ihrem Vorgänger Boccaccio absetzt, macht erst die Verdoppelung von männlichem und weiblichem Rollenverständnis und ihren unüberbrückbaren Gegensatz im Bemühen um eine verbindliche »Form« der Liebe in den anschließenden Unterhaltungen notwendig. Auch die religiöse Autorin Marguerite »doppelt« sich in der von einer Sprecherin, Parlamente, vorgetragenen Forderung, einer »feministischen« Umkehrung der paulinischen Vorschriften in Eph 5,22-23, daß die Männer sich gegenüber ihren Frauen verhalten sollen wie Christus gegenüber seiner Kirche. Doch die Novellen selbst wie auch deren Kommentierung vermitteln vor allem die Erkenntnis, daß die Liebe »qui n'est jamais reciproque« sich nur im gesellschaftlichen Feld von Kalkül und Gewalt, List und gestohlener Lust realisiert und deshalb eine permanente Bedrohung vor allem für die weibliche Identität darstellt. Die Befragung sozialer Rollen macht vor den kulturellen Barrieren nicht halt. Marguerite, die sich im Prolog des Miroir als unwissende Frau »qui n'ha en soy science ne scavoir« vorgestellt hatte, bezog gerade hieraus die wahre Qualifikation zum Schreiben: Kunstfertigkeit und Bücherwissen galten ihr als Vorwände literarischer Eitelkeit, die den Blick in den Spiegel, auf »mon vray Estre« trüben könnten (Chansons spirituelles, Nr. 11). Das Mißtrauen gegenüber den etablierten Diskursen und ihren Rollenfixierungen legten so den Zugriff auf eine »offene« und »evangelische« Sprache nahe: in der Komödie L'Inquisiteur (ed. 1536) behauptet sich die rudimentäre Kindersprache des Petit-Enfant gegenüber der theologisch geschulten Sophistik des Inquisitors. Vor allem aber bedeutet die von den Reformern betriebene Aneignung des Bibelevangeliums in der eigenen Sprache nicht nur die Abwehr gegen das fremde Idiom Latein als Instrument der Entfremdung von Gott; vielmehr erhebt sich dahinter die Utopie eines »eigenen«, nicht mehr vermittelten Sprechens zu sich selbst. Die Rime spirituali der Colonna sind dem Bibeltext ebenso verpflichtet wie der Miroir der Königin von Navarra, die aus dem Hohelied Salomos schöpfte. Die Markgräfin von Pescara beanspruchte, die Passion Christi für sich neu zu schreiben; ihr in Terzinen verfaßter Triompho della Croce (ed. 1542) beschwört eine Vision mystischer Selbsterleuchtung (»Dhe, fa, Signor, co un miracol che io/Mi vegga tutta lucida in un punto/E tutta dentro in ogni parte accesa«, c.5v).
Marguerite de Navarre, die 1540 eine Handschrift der schon als suspekt geltenden Rime spirituali der Italienerin erhielt, ein Geschenk, das sie nicht wenig kompromittierte, war überzeugt, daß deren Verfasserin diese neue Sprache, »il parlare che si usa in quella gran corte celeste« bereits beherrsche (Brief vom 20./25.Jan. 1545); diese »Sprache des Hiinmels« vernahmen auch Bembo und Michelangelo.
Im Klima der doktrinären Verfestigung nach 1540 wurde der religiöse Impetus der Frauen erneut unter die männliche Autorität der geistlichen Obrigkeit gestellt. Umsonst schloß die zum Calvinismus übergetretene Marie Dentière, zuvor Äbtissin eines Klosters in Tournai, in ihre der Königin von Navarra gewidmete Epistre très utile (ed. 1539) ein Kapitel zur Verteidigung der Frauen mit ein: in Genf wurde sie mit Redeverbot belegt. Zu den wenigen Werken protestantischer Aristokratinnen in Frankreich zählen die 1571 in Lyon gedruckten Emblemes ou Devises Chrestiennes von Georgette de Montaney. Die am Hof von Renée de France erst als Wunderkind geförderte, dann relegierte Olimpia Fulvia Morata führte mit ihrem Mann, dem deutschen Arzt Andreas Grunthler, ein zu bewegtes Leben zwischen den Fronten der Reformation, um noch ihren humanistischen Studien nachgehen zu können. Die erste Ausgabe ihrer griechischen und lateinischen Werke 1558 in Zürich wurde einer weiteren italienischen Protestantin gewidmet, Isabella Bresegna, die sich 1553 bei der Herzogin Renée in Ferrara aufgehalten hatte und ihrerseits das Exil im reformierten Deutschland, in Zürich, schließlich in der Enklave der italienischen Protestanten in Chiavenna wählte.
Die italienischen Autorinnen, die sich in der ursprünglich vom »Evangelismus« inspirierten Psalmennachdichtung etablierten, gehorchen in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts bereits dem Bildungsdiktat der Gegenreformation. Laura Battiferri Ammanati, Übersetzerin der Salmi penitenziali (ed. 1564) in klassische Metren, war Förderin des in Florenz neu angesiedelten Jesuitenordens. Chiara Matraini rechtfertigte ihre Psalmenexegese Considerationi sopra i sette Salmi penitenziali (ed. 1586) ostentativ mit ihrem Studium antiker Autoren, Kirchenväter und Theologen. Spätestens zu diesem Zeitpunkt wurde das traditionelle Bildungsprivileg in die Typologie des Weiblichen eingebracht: nur Wissen und Wissenschaft können als Ausweis für den Autorenstatus auch der Frauen gelten. Die »feministischen« Traktate reagieren auf die neue Segregation des Weiblichen, indem sie unbeschränkten Zugang der Frauen zu einer Kultur fordern, für deren Orthodoxie sie, in der Verbindung von »bei studi« mit »miglior opre«, selbst als Exempel werben: die Aneignung der kulturellen Diskurse steht im Dienst der eigenen Perfektionierung. Dies bedeutet eine im Dialog Il Merito delle Donne (ed. 1600) von Moderata Fonte schon ausgesprochene Denunzierung der Ideologie des akademischen »intertenimento« und seinem Appell an die erotische Funktion des Weiblichen: die gelehrte Konversation vollzieht sich hier im Kreis einer »Akademie« von Frauen, ihr »Sprechen« wird nur unter Ausschluß der Männer erst möglich, »senza haver rispetto di huomini che le notassero o l'impedissero«. Die weiblichen Statuen mit ihren Symbolen des Dichterruhms und der Gelehrsamkeit, die den ikonologischen Rahmen für das in einem Garten stattfindende Gespräch abgeben, stehen zugleich emblematisch für die tiefgreifende Reduktion der literarischen Frauenrollen. Die Freiheit zur Perfektion realisiert sich im negativen Zeichen des Verzichts auf die von Männern bestimmten Formen des kulturellen wie des erotischen Austausches: Keuschheit und Abstinenz sind der Preis für eine geistige Unabhängigkeit, die sich erst »zur Sprache« bringen muß. Von daher erscheint es plausibel, daß die »feministisch« argumentierenden Autorinnen gleichzeitig mit religiösen und hagiographischen Werken hervortreten: Moderata Fonte mit La Resurrettione di Giesu Christo (ed. 1592), Maddalena Campiglia, die sich ihrer Verheiratung widersetzte, indem sie als Laienschwester in den Dominikanerorden eintrat, mit einem Discorso sopra l'annonciatione della B. Vergine e la Incarnazione del S. N. Giesu Christo (ed. 1585), Lucrezia Marinella, Verfasserin des Traktats La nobilità e l'eccellenza delle donne (ed. 1600), mit ihren vom heroischen Gestus der Gegenreformation getragenen Heiligen-Leben Vita di'Maria Vergine Imperatrice dell'Universo (ed. 1602) und Vita del serafico et glorioso S. Francesco (ed. 1605).

Verführung durch die Schrift: Die Kurtisanen

Der Versuch eines Ausbruchs aus vorgefertigten Rollen betraf nur eine kleine aristokratische Gruppe von Autorinnen, später eine ebenso kleine Bildungselite. Sein Scheitern schon in der ersten Phase bestätigt die gleichzeitige Verfestigung des im doppeldeutigen petrarkistischen Code immer mitenthaltenen Frauenbilds, das sich nun zum alleinigen Subjekt des Sprechens über Liebe erklärt. Die Aussonderung des Weiblichen aus dem höfischen und ständischen Kontext bekräftigt seine erotische Verfügbarkeit, die Domenichis 1549 schon aus der Defensive heraus verhängte Tabuisierung in eben der Doppeldeutigkeit belassen wollte. Insofern ist die Kurtisane »cortegiana onesta«, die vollendete Mimesis der »donna di palazzo«, denn sie beherrscht die Kunst der Unterhaltung, des »intertenimento«, ohne die subtilen Einschränkungen und Manöver der Schicklichkeit, die Castiglione vorschrieb. Die Notwendigkeit von professionellen Künstlerinnen für die Kultur des »intertenimento« wurde überall dort offenkundig, wo in Städten wie Venedig die Patrizierfrauen nach der Heirat streng an das Haus gefesselt waren, nur zu größeren familiären Anlässen wie Taufe und Hochzeit in der Öffentlichkeit erschienen und durch eine rigide Kleiderordnung, die für verheiratete Frauen den langen dunklen Mantel und den dunklen Schleier vorschrieb, schon im Äußeren ihre gesellschaftliche Absonderung bekannten. Die Sphäre der Geselligkeit verlagert sich aus der Familie in die Halböffentlichkeit der Patriziersalons oder in ein »offenes Haus«, in dem die Kurtisane das Weibliche ritualisiert: im Sprechen über Liebe und in der Liebe selbst, als Gegensatz zum Schweigen der Ehefrauen.
Der Bereich des »intertenimento« bildete einen vielseitigen Markt weiblicher Professionalität, und es wäre mit Sicherheit verfehlt, diesen auf die Prostitution allein festzulegen: noch ist die Sexualität nicht als Bezirk des Intimen ausgeklammert, noch wirkt sie als Ingredienz in den verschiedensten Formen von »Öffentlichkeit« mit. In dieser Grauzone bewegte sich die aus einer Paduaner Goldschmiedsfamilie stammende Gaspara Stampa, deren Familie nach dem Tod des Ernährers in das prosperierende Venedig übersiedelte. Wie die meisten Frauen, die sich in der Unterhaltungskultur behaupteten, hatte sie eine sorgfältige musikalische Ausbildung erhalten: Tanz, Gesang, das Spielen von Instrumenten wie Laute und Flöte galten als spezifisch »weibliche« Kunstfertigkeiten; der Erfolg der ausschließlich weiblichen Kammerorchester sagt noch etwas über die in der Renaissance so geläufige erotische Präsentation von Musik aus. Gesangvortrag von vertonten Madrigalen und Sonetten und eigenes Improvisieren von Gedichten lagen vermutlich nah beieinander. 1553 wurden drei Gedichte von Gaspara Stampa in einer von Ruscelli edierten Anthologie gedruckt. Der Mann, dem sie ihren Canzoniere schließlich zueignete, Collaltino di Collalto, dürfte ihr auch den Weg zum Schreiben eröffnet haben. 1544 hatte Domenichi dem aus der Marea Trevigiana stammenden Grafen seine Rime gewidmet und ihn in La nobilità delle donne als Freund des »valore donnesco«, vielleicht auf Grund einschlägigen Mäzenatentums, bezeichnet. Das von Collalto unterbreitete Angebot, petrarkistische Lyrik im Auftrag zu verfassen, lehnte die Stampa ab (Ri~ize, Nr. 39): offenbar zog sie hier, im Schreiben, die Grenzen ihrer Verfügbarkeit. Ihre Rime, von denen 245 Sonette an den Grafen von Collalto gerichtet waren, wurden noch im gleichen Jahr ihres Todes 1554 von ihrer Schwester Cassandra herausgegeben.
Der Unterschied der Lyrik von Gaspara Stampa zu den poetischen Emanationen des »weiblichen Adels« liegt nicht allein in einer bewußt vorgetragenen sozialen Deklassierung. Vielmehr inszeniert die Autorin darüber hinaus einen bedeutsamen Rollenwechsel: es ist nicht mehr die Witwe, die ihrem Schmerz Ausdruck verleiht (»sfogar l'interna doglia«, Colonna, Rime amorose, Nr. 1), sondern ein unvorsichtiges junges Mädchen, »incauta giovane«, das seine Liebesglut in Verse setzt (»sfogare la fiamma«, Rime, Nr. 44). Begründung des Schreibens ist nicht mehr die Unendlichkeit der Trauer, sondern die Unendlichkeit des Begehrens (Rime, Nr. 53): sentimentale Erwartung und sinnliche Erfüllung geben die neuen Horizonte des Sprechens über Liebe vor (Nr. 16, Nr. 17). Im Monument der Dichtung feiert sich die Frau in ihrer uneingeschränkten Hingabe an die Liebe, die sich als »weibliche« Überlegenheit gegenüber der Unbeständigkeit und den Vorbehalten männlicher Wünsche zu verstehen gibt. Daß die Autorin die Weiblichkeit als erotische Offerte einbringen kann, ohne literarische Konventionen zu verletzen, wird von Anfang an in der sozialen Hierarchie deutlich gemacht, die die nichtadlige Frau »donna bassa e vile« (Rime, Nr. 3, Nr. 8) von dem Aristokraten trennt. Der Mann, immer als »conte«, Graf, angesprochen, steht hier so hoch, daß nicht nur die Liebe zu ihm, sondern auch die Geste der Verfügbarkeit geadelt wird und so als »natürlich« erscheint.
Die Selbstdarstellung der Stampa trifft damit in zweifacher Weise auf männliche Wunschbilder: die Demutsgeste der abhängigen Künstlerin verdoppelt sich in der weiblichen Unterwerfung unter den Primat des Erotischen, sie ist deren imaginäre Umsetzung. Denn der petrarkistische Code bringt eben diesen real und sozial wirksamen Abstand im Liebesritual zum Ausdruck: der Mann ist jetzt das schöne Objekt der Phantasien, seine dem Frauenbild entlehnten Züge weiblicher Schönheit, weiblicher Sanftmut, »dolcezza«, spiegeln sich narzistisch in der memoria der Schreibenden. Anders als im Modell Petrarcas kann das männliche Gegenüber den sexuellen Vorstellungen Raum konzedieren, nicht aber dem sentimentalen »weiblichen« Anspruch, der damit einhergeht; seine »Kälte« ist Synonym für eine Unerreichbarkeit des Liebesobjekts, die in der gesellschaftlichen Realität ihre Bestätigung erfährt. Die Passionalität der Hingabe und ihre lyrischen Modalitäten müssen so als eine in der Kunst des »intertenimento« selbst schon verankerte Rolle angesehen werden, jedoch keineswegs als die bevorzugte: die Rime der Stampa, die Petrarcas Verfahren der Selbstentblößung auf die Bereiche des weiblichen Schweigens anwandte, waren in ihrer Zeit kein Publikumserfolg. Daß dieses Verfahren vor allem einem männlichen Diktat gehorcht, macht die Autorin, im Rahmen der petrarkistischen Formeln, selbst deutlich: nicht sie ist es, die schreibt, da sie eher zum Schweigen neigt, sondern der Mann: seine schönen Augen, sein Blick setzen erst die Verführung durch die Schrift in Gang (Rime, Nr. 74).
Daß der männliche Blick nicht nur das Bild der Kurtisane, sondern noch ihre Sprache formt, ist immer wieder mit Genugtuung am Beispiel von Tullia d'Aragona demonstriert worden. Sie pflegte ihre Verse zur stilistischen Kontrolle an einen ausgewiesenen Literaten, den Florentiner »Akademiker« Benedetto Varchi zu schicken, doch entsprach dies einer nicht nur für Frauen üblichen Praxis. Auch Veronica Gambara ließ ihre Sonette erst einmal vom puristischen Bembo prüfen, bevor sie deren Weitergabe im Freundeskreis zustimmte. Dieser männliche Blick der Verfügung über die »cortegiana« bestimmt noch in grotesker Weise die deformierende Optik der Literaturgeschichte. Der D'Aragona wurde nicht nur zeitweise ihr Name (tatsächlich hieß ihr Vater Palmieri d'Aragona, ohne adlige Prätentionen), sondern schließlich die Autorschaft aller Widmungsschreiben der zu Lebzeiten erschienenen Werke und der offiziellen Bittbriefe abgesprochen. Als echt gilt hingegen das Vorwort zu dem posthum veröffentlichten Epos Il Meschino (ed. 1560), da hier die Autorin aufrichtige Reue über ihr vergangenes Leben zeigt und vor dem schädlichen Einfluß unmoralischer Literatur warnt, wie Boccaccios Decamerone und Aretinos Ragionamenti, denen sie eine moralische Liebesgeschichte »tutto castissimo, tutto puro, tutto christiano« (c. 4r), aus dem spanischen Amadis-Roman in ottava rima übertragen, entgegenzusetzen wünschte. Die Bezeichnung von Boccaccio als einem Autor, bei dessen Erwähnung man sich nur bekreuzigen könne (»per certo è cosa da stupire, come non solamente i principi e superiori, ma né anco i ladri e i traditori, che si facciano pur chiamar Christiani, habbiano mai comportato d'udir quel nome senza segnarsi della Santa Croce« c. 3v), erscheint unerklärlich, auch wenn der Vorwurf der Unmoral gegen die Novellen schon in Dolces Bearbeitung der Schrift über Frauenerziehung des Reformers Vives, Della institutione delle donne (ed. 1545) auftaucht; doch die D'Aragona hatte nachweislich keine Sympathien für die Reformprediger. Erst im Index der verbotenen Bücher von 1559, den Papst Paul IV. erstellen ließ, ist Boccaccio mit dem Decamerone, Aretino gar mit den »opera omnia« unter das Anathema der Gegenreformation gestellt, doch zu diesem Zeitpunkt war Tullia schon drei Jahre tot. Das Vorwort zum Meschino muß deshalb als eine zumindest teilweise angelegte Fälschung beurteilt werden, sicher eine Vorsichtsmaßnahme des Verlegers, mit Blick auf den erst im Jahr zuvor publizierten Index, für ein Werk, dessen Verfasserin einen gefährlich eindeutigen Ruf genoß.
Denn anders als Gaspara Stampa, die in ihrem fiktiven Horizont der »incauta giovane« zugleich auf jegliche literarische Qualifikation verzichtet hatte, konnte Tullia, die sich auf ihren Lebensstationen Florenz, Siena, Rom, Ferrara, Venedig, und wiederum Siena, Florenz, Rom als »cortegiana onesta« oder als »cortegiana« tout court eingeführt hatte, keine Fiktion der Ehrbarkeit aufrechterhalten. Aus diesem Grund erwog sie wohl den Schritt in die Professionalität der Literatur, die ihr als konsequente Erweiterung des »intertenimento« erscheinen mußte. Die Rehabilitation leitete sie 1543 mit einer in Siena geschlossenen Scheinehe und dem Versuch ein, 1545-46 in Florenz in ihrem Haus eine Form »akademischer« Geselligkeit unter weiblichem Vorsitz zu verwirklichen. Diesen Ambitionen verleiht der Dialog Della infinità dell'amore Ausdruck, im gleichen Jahr 1547 erschienen wie die der Herzogin von Florenz dedizierten Rime. Tullia präsentierte das Werk als Ergebnis der bei ihr stattfindenden gelehrten Diskussionen; das Thema nähert sich in der Tat den von Varchi in der Akademie gehaltenen Vorträgen an, und möglicherweise haben auch Varchis Petrarca-Auslegungen das ideologische Fundament für die Rime gelegt. Die Autorin, die selbst zugleich Gesprächspartnerin des Dialogs mit Varchi ist, vermag jedenfalls die sexuelle Unbeständigkeit als eine von der Dynamik der Liebe, der Unendlichkeit, »infinità« ihrer Richtung und Ziele vorgegebene »ideale« Haltung zu rechtfertigen.
Der akademische Anspruch trug insofern Früchte, als die Rime, die etwa zur Hälfte Verse von Literaten und »Akademikern« zum Lob der Autorin enthielten, sich mit drei Auflagen bis zum Ende des Jahrhunderts erfolgreich behaupteten, doch war daran die Reputation der ihrerseits erfolgreichen Kurtisane sicher nicht unbeteiligt. Das weibliche Sprechen über die Liebe, ob es sich am Petrarkismus oder an anderen zeitgenössischen Modellen der Lyrik orientiert, bezeichnet jetzt unwiderruflich die Sprache der cortigiania, der Prostitution. Die Autorin Ersilia Cortese, die nach einer kinderlos gebliebenen Ehe ab 1552 als Witwe eine Wiederheirat ablehnte, galt als hochmütig wie eine Kurtisane, »presuntuosa come una cortexana«; wenig änderte daran die pietätvolle Herausgebertätigkeit für die lateinischen Werke ihres Schwiegeronkels, des Kardinals Gregorio Cortese. Louise Labé, die ebenfalls erst als Witwe an die publizistische Öffentlichkeit trat, mußte sich ihrerseits, diesmal von calvinistischer Seite, den Vorwurf einer »plebeia meretrix« gefallen lassen. Auch für Tullia d'Aragona, die als Prostituierte in Rom in bescheidenen Verhältnissen starb, war ein Wechsel innerhalb der Kategorien des Weiblichen, vom Status der Kurtisane zum Status der Autorin, nicht zu verwirklichen gewesen. Der aristotelische Ordnungsgedanke der Renaissance, seine manischen Klassifizierungen und Abgrenzungen der »Gattungen«, die Furcht vor der Unordnung in der Vermischung, der Transgression, trifft hier auf die Wirklichkeit der sozialen Barrieren. So blieb nur die Möglichkeit, den Status der Kurtisane selbst zum Sprechen zu bringen.
Die aggressive Selbstbehauptung diktiert den Tonfall der in Venedig beheimateten Veronica Franco. Das Sprechen über Liebe resümiert sich in der Geste der geistreichen, aber niemals verhüllten sexuellen Provokation. Dieser neue Sprachgestus bestimmt die formale Wahl des literarischen Streitgesprächs (tenzone) und populärer Terzinenformen des capitolo. Auch Veronica Franco war zunächst mit einem Arzt verheiratet gewesen, trennte sich aber in der Folgezeit von ihm; sie hatte sechs außereheliche Kinder, die von ihren jeweiligen Vätern unterhalten wurden, mit der vagen, aber durchaus üblichen Möglichkeit einer offiziellen Anerkennung in der Pubertät; Tabus kannte sie nicht. Ihre Terze Rime (ed. 1575), die 25 capitoli enthielten, widmete sie Guglielmo Gonzaga, dem Herzog von Mantua, ihre Lettere famigliari a'diversi 1580 gar dem Kardinal Luigi d'Este. Doch die Offenheit des sexuellen Angebots steht in direktem Einklang mit ihrem Status, aus dem es kein Ausweichen gibt, nur die Bestätigung notorischer Berühmtheit. Nicht die längst enttarnte Kunst des erotischen »intertenimento« erzeugt Beunruhigung, sondern die geheimen »weiblichen« Praktiken, deren auch die Kurtisane verdächtig ist: 1580 wurde gegen Veronica Franco eine bald abgewiesene Klage wegen Hexerei angestrengt; möglicherweise ist auch die Widmung an den Prälaten aus dem Haus der Este im Zusammenhang mit der gleichzeitig notwendig werdenden geistlichen Protektion zu sehen. Die Kurtisane Tullia d'Aragona wurde ihrerseits von dem boshaften Pietro Aretino, aber auch von dem Mönch Agnolo Firenzuola, der sich mit einer Schrift über Le bellezze delle donne als »Frauenfreund« des Adels ausgewiesen hatte, als Hexe tituliert. Der Vorwurf der »cortigiania«, zusammen mit dem Verdacht magischer Praktiken, hing ebenfalls der Petrarkistin Chiara Matraini an. Die Verführung in der Schrift hatte sich als magische Beschwörung entlarvt.

Die Versuchung des Androgynen: Schreiben wie ein Mann

Bereits Gaspara Stampa hatte einige Sonette als Appell an das weibliche Publikum gestaltet: die Frauen wurden als Zeugen ihres Liebesleids zur emotionalen Solidarität und auch zur vorsichtigen Nachahmung in der Wahl eines »amante nobile« aufgerufen. In ganz anderer Weise versteht die Französin Louise Labé ihre Ansprache an die »Dames lionnoises« als Aufforderung zur Nachahmung. Im Débat de Folie et d'amour, der das theoretische Fundament für die nachstehenden Elegien und Sonette in Form einer mythologischen Fabel darbietet, finden sich wohl ironische Spitzen gegen die Damen, die ihre Liebesgefühle immer gleich in Versen verewigen (Débat, 1194 ff.), oder diejenigen, die nur um ihren Dichterfreunden zu gefallen, Flechtwerk und Nähzeug gegen Schreibfedern und Bücher eintauschen (Débat, 1312-1314). Doch gerade durch das Voransetzen der gelehrten Präambel behauptet die Autorin einen über diese »akademischen« Rollen hinausgehenden Anspruch. Weil im Débat der Liebeswahn, in der unauflöslichen Verbindung von Folie und Amour, selbst schon als literarischer Mythos erscheint, geben sich die Gedichte, die erst die Dialektik des erotischen Furors demonstrieren sollen, von vornherein nicht als Produkt einer als wahr dargestellten Erfahrung, sondern als Artefakt zu erkennen. In der Offenlegung der ihnen zugrundeliegenden Ideologie des Weiblichen entziehen sich die Sonette der traditionellen Pseudographie der Frauenlyrik, sie lassen sich nur noch in ihrer medialen Funktion als »signe d'amante« (Sonett Nr. 14), Zeichensprache der weiblichen Liebe begreifen. Als Ergebnis einer literarischen »science«, die sich in der durchsichtigen Bearbeitung klassischer und zeitgenössischer höfischer Modelle bis hin zu den »Repliken« auf die Soupirs von Olivier de Magny erhärtet, ist die Reflexion über das Schreiben bereits eingeschlossen. Die »gelehrte« Verwendung der literarischen Diskurse zielt schon auf eine Enttarnung der weiblichen Sprechhaltung im petrarkistischen Code im Sinne einer doppeldeutigen männlich-weiblichen Perspektive (Sonett Nr. 2), die zu einer Aufhebung der Rollen führt. Entsprechend thematisieren einige Sonette (Sonette Nr. 12, Nr. 14, Nr. 23; Elegie Nr. 1) in erster Linie die Auseinandersetzung der Liebenden mit ihrem männlich-weiblichen »alter ego«: der Autorin.
Louise Labé dürfte ihren Appell an das weibliche Publikum als emanzipatorischen Zugriff auf das männliche Bildungsarsenal konzipiert haben, um die erotische Verfügbarkeit über das eigene Bild in die weibliche Verantwortung zurückzuholen. Sie selbst, Tochter, Ehefrau und Witwe wohlhabender Kordelmacher, hatte für ihre erstmals 1555 in Lyon erscheinenden Oeuvres das königliche Autorenprivileg beantragt, auch die zweite Auflage des folgenden Jahrs selbst durchgesehen und korrigiert. Diese publizistische Initiative trennt sie von der Generation einer Pernette du Guillet, deren Rymes erst nach ihrem Tod von ihrem Mann 1545 zum Druck gegeben wurden, wohl auf der Welle des Markterfolgs der italienischen Frauenlyrik, auf den sich der Herausgeber Antoine du Moulin ausdrücklich beruft.
In Italien jedoch legte männliche Regie die Präsentation des Weiblichen fest: Domenichi dankte seinen Literatenfreunden, die ihm die Texte für seine ausschließlich weibliche Anthologie von 1559 besorgt hatten; ebenso fühlte sich Ruscelli einem Signor Giulio della Valle für die Überlassung eines Manuskripts mit zahlreichen Sonetten von Frauen für die Fiori delle Rime de'poeti illustri von 1558 verpflichtet. Auch die wohl erfolgreichste Lyrikerin des 16. Jahrhunderts, Laura Terracina, hatte sich zunächst der Bevormundung durch die Editoren von »Frauenliteratur« zu unterwerfen; Domenichi bemerkt im Zusammenhang mit der von ihm beförderten Erstausgabe ihrer Rime 1548, daß die Verfasserin ihm das Manuskript zur bedenkenlosen Verfügung überlassen hatte, ohne ihn (wie aus ihrem eigenen Dankesgedicht resultiert) vorher zu kennen: wohl aber kannte sie das »feministische« Monopol Domenichis.
Laura Terracina entstammte einem kleinen Adelsgeschlecht in der Provinz Lecce, hatte aber wohl in Neapel ihre Ausbildung erhalten. Ihre ersten Schritte in die Literatur wurden von Marcantonio Passero, einem Buchhändler, unterstützt, der auch andere Autorinnen, wie Laura Navarra, protegierte. Die Terracina dürfte als eine der ersten Frauen Aufnahme als reguläres Mitglied in eine Akademie, die »Accademia degli Incogniti« von Neapel gefunden haben, und obwohl diese Institution nach nur zweijährigern Bestehen 1547 vom spanischen Vizekönig wegen suspekter Aktivitäten aufgelöst wurde, vergißt die Dichterin nie, ihre Mitgliedschaft auf den Titelblättern zu vermerken. Ihre Familie stand traditionell auf der Seite der Spanier, so daß ihr daraus keine Nachteile erwachsen sein dürften. Die Teilhabe am akademischen Privileg gibt sich noch in den ersten Rime mit der nötigen Deferenz gegenüber den Akademikern zu erkennen, die ihre literarische Feile an die Verse des neuen Mitglieds anlegten; die Rime seconde, 1549 in Florenz erschienen, war als Auftragsarbeit für einen deutschen Diplomaten gedacht, der in die hohe Neapolitaner Gesellschaft »standesgemäß« eingeführt werden wollte, und wurden ebenfalls den »Incogniti« zur Begutachtung vorgelegt. So elegant die Terracina mit dem Bescheidenheitstopoi der weiblichen Unwissenheit jongliert, so eindeutig ist doch zugleich ihre Absage an die männliche Norm. Thema der Rime ist hier bereits die polemisch verteidigte Eigenständigkeit des »dir donnesco« und seine Qualitäten.
Die mimetische Begabung der Terracina kommt bereits in dem ersten Band der Rime, die bis zum Ende des Jahrhunderts sieben Neuauflagen erlebten, virtuos zum Ausdruck: sie beherrscht beliebige Formen (die petrarkistische Sestina, Sonett, Madrigal, terza rima, Stanzen) und Tonlagen, die zerebrale Diktion der Colonna und die »Lamenti« des Ritterepos, unterschiedlos die männliche und die weibliche »Sehweise«, den frauenfeindlichen wie den feministischen Kanon. Erst die Professionalität, die sich im Rollenwechsel der Auftragsarbeiten niederschlägt, bringt die Autorin in ein Konkurrenzverhältnis zu ihren männlichen Kollegen. Die Quinte Rime (ed. 1552) enthalten einige überaus polemische Ausfälle gegen die »Incogniti«, die vom gewachsenen Selbstbewußtsein der Terracina und ihrer Emanzipation als Autorin zeugen, zumal sie zu diesem Zeitpunkt schon von den Verlegern selbst um ihre Gedichte gebeten wurde. Auf die akademische Kritik antwortet sie: »Die Kunst gehöre euch, und mir bleibe der Stil/Und meinetwegen sei auch der Stil eurer und die Kunst dazu./Ich weiß, daß der weibliche Vers genauso gefällt wie der eure/[...] bis heute zählt mein Name mehr als eurer« (c.33v-34r). Die Konversationsthemen des »intertenimento« und ihre Kasuistik wechseln in den Stanzen der Discorso sopra tutti li primi canti d'Orlando Furioso (ed. 1549) mit feministischen Forderungen nach intellektueller Gleichberechtigung der Frauen und ihres Anspruchs auf einen Autorenstatus, der ihnen von den Männern geneidet und bestritten wird (Canto V, XX, XXVII, besonders Canto XXXVII an Veronica Gambara). Der große Erfolg dieses Bandes, in dem die Terracina die ottava rima in den ständischen Gestus des weiblichen Adels einbindet, beruht auf eben diesem Transfer der Gattungen. Schon Tullia d'Aragona hatte ihre Vorbehalte gegen den Petrarkismus im Spott gegen den »poeta« als Statist der »cortigiania« artikuliert; sie selbst wich im Meschino auf epische Formen aus. Der epische Entwurf war die Sache der Terracina nicht. Doch hatte Moderata Fonte, die 1581 die Tredici canti del Floridoro vorlegte, sicher die virtuose Spielerei der Neapolitanerin mit dem Text Ariosts präsent, denn auch sie fügte im Canto IV eine gezielte Verteidigung der Frauen ein.
Die Unterhaltungskünstlerinnen hatten sich ihrerseits aus der Realität des »intertenimento« heraus auf eine Bühne begeben, wo sie die Figuren der Verführung nur noch spielten. Eine solche, noch in ihrer Vielseitigkeit an das Frauenideal des beginnenden Jahrhunderts erinnernde Künstlerin war die 1568 an Gift verstorbene Vincenza Annani, die selbst bereits Schäferspiele für ihre Schauspieltruppe verfaßte, die musikalische Begleitung in Szene setzte und komponierte. Als erste »prima donna« trat jedoch Isabella Canal Andreini in Erscheinung, auch weil sie innerhalb ihrer Truppe der »Gelosi«, deren Direktor Francesco Andreini sie 1578 geheiratet hatte, in der Figur der »Isabella« einen eigenen Typus der Weiblichkeit kreierte. Doch die Selbstdarstellung auf der Bühne erschien der Andreini nicht ausreichend: die an die Herzogin Lavinia della Rovere adressierte Widmung für ihre 1588 gedruckte Pastorale Mirtilla benennt das Schreiben als den Ausweg aus dem Schweigen, das nur den Tieren angemessen sei. Der rote Faden einer Selbstverwirklichung, die sich im und durch den Primat des Wissens vollzieht, bestimmt auch ihren Brief an Carlo Emmanuele von Savoyen, 1620 in den Lettere veröffentlicht der noch einmal den Weg der Autorin evoziert. Ihr Wissensdurst, erinnert sich die Andreini, habe sie zum Studium geführt, obwohl ihre Herkunft eine Barriere darstellte; kritisch äußert sie sich daher über die »von Haus aus« in ihrer Ausbildung bevorzugten Frauen, die dennoch nur häuslichen Aufgaben nachgehen. Während die Terracina noch gegen ein Kulturprivileg polemisiert, das die Frauen in ihrer Unwissenheit beläßt, rät die Schauspielerin zur Emanzipation aus eigener Kraft: die Fragestellung ist ebenfalls im Brief über Del nascimento della donna behandelt.
1601 wurde Isabella Andreini in die Paveser Akademie der »Intenti« aufgenommen; die 1593 von den Barnabiten begründete Institution versammelte Patrizier, Professoren der Universität Pavia und hohe Geistliche wie die lombardischen Kardinäle Federico Borromeo und Cinzio Aldobrandini. Im gleichen Jahr veröffentlichte die Schauspielerin ihre Rime. Bereits im ersten Sonett werden die Leser gebeten, die petrarkistische Fiktion der »finti ardori« als Rollenspiel abzutun: so wie sie auf der Bühne männliche und weibliche Rollen verkörpere, so schlüpfe sie unterschiedslos in männliche und weibliche Sprecher. Das Androgyne erweist sich als einziger Freiheitsspielraum des Weiblichen, ohne die Irritation, die den realen Rollentausch mit der Strafe des Kriminellen ahndet. Der Auftritt der Frauen, die alle Rollen, ihre eigene eingeschlossen, nur spielen, vollzieht sich im literarischen Gewand der Wohlanständigkeit. Schon Laura Terracina verweist die Liebe in die Grenzen der Konversation: sie erklärt sich nur noch im Mund Dritter, in den Rollenfiktionen der Ritterepen, nicht mehr in eigener Sache.
Isabella Andreini hatte ihrerseits den gegenreformatorischen Zugriff auf die Ideologie des »fol amour« zu ihrem Anliegen erklärt: sie bekennt sich zu einer Liebe, »nobile fiamma«, die sanft brennt, aber nicht verzehrt (Sonett Nr. 29). In ihrer Pastorale kündigt sich das Leitbild an, das die von Louise Labé geknüpften Verbindungen zwischen »Amour« et »Folie«, »Amore« e »Furore« neu formuliert. Die Liebe und der Wahn sind nicht mehr unauflöslich aneinander gekettet, sondern vielmehr endgültig getrennt: Furore ist nur der Schein der Liebe, blind wie die Sinne; Amore ist »sehend« im Erkennen der ehrbaren Zuneigung, die schließlich von der Fackel des Hochzeitsgottes geleitet wird. Der 1. Akt der Mirtilla stellt sich als Plädoyer gegen den Liebeswahn dar, die Krankheit der Liebe, »fol amour« in den Formen der weiblichen Hysterie, von denen Hélisenne de Crennes Konfession Les angoysses douloureuses qui procèdent d'amours (1538) sprach, die gar zum Verlust der sozialen Identität führen (die edle Dame wird »basse et infime«, der junge Mann ohne Rang »sublime«, S. 81), die »amoureuse rage« in den mörderischen Beispielen des Heptamiron. Die Verteidigung der Frauen im 4. Akt der Pastorale sieht ihre Rettung in der Domestizierung durch die Ehe als »dolce e eara compagna«; sanft ist das ehelich Joch (»soave e 'l maritale ardore«). Die utopischen Elemente der Pastorale kristallisieren sich, unter dem Diktum der Gegenreformation, in einer perfekten Spekularität der im Sakrament der Ehe in Gleichheit verbundenen Partner.