1. Zahlenspiegel der weiblichen Parteimitglieder
Die absolute Zahl der weiblichen CDU-Mitglieder ist in den letzten Jahren zwar gestiegen, ihr prozentualer Anteil an der gesamten Mitgliederschaft zeigt jedoch eine fallende Tendenz.[1] So war 1964 nur noch jedes 7. Mitglied weiblichen Geschlechts, 1957 dagegen jedes 6., und 1953 soll sogar jedes 4. Mitglied eine Frau gewesen sein.[2] Von diesem Gesamtanteil weichen die Prozentsätze der einzelnen Landesverbände teilweise beträchtlich ab.[3] Im Landesverband Baden-Württemberg beispielsweise stellten Frauen 1964 nur jedes 17., in Berlin dagegen jedes 3. Parteimitglied. Rein zahlenmäßig ist also die Situation der CDU-Frauen in den Landesverbänden der Partei sehr verschieden. Überdies hat es innerhalb der einzelnen Landesverbände im Laufe der Jahre teilweise starke Veränderungen gegeben. Hierfür ist das Absinken des Prozentsatzes in den Landesverbänden Rheinland und Westfalen ein besonders auffälliges Beispiel.[4] Weiter ist festzustellen, daß sich die weiblichen Parteimitglieder innerhalb jedes Landesverbandes zahlenmäßig sehr uneinheitlich auf die einzelnen Kreisverbände verteilen.[5] Das wird, auf der niedrigsten Ebene, für die Situation der Orts verbände ebenfalls zutreffen. Als Charakteristikum für diesen kurzen Zahlenüberblick bleibt festzuhalten, daß die Mitgliederschaft der CDU je nach Landes-, Kreis- oder Ortsverband und zu jedem Zeitpunkt verschieden stark mit dem weiblichen Element durchsetzt war und ist. Durch diese variierende Dichte der weiblichen Mitgliederschaft sind für Art, Umfang und Möglichkeit einer Mitarbeit der Frau in dieser Partei jeweils andere Ausgangspositionen gegeben.
Welche Faktoren wirken sich nun auf die räumlichen und zeitbezogenen Differenzen in den Zahlen der weiblichen Parteimitglieder aus?
Der Rückgang des Gesamtanteils der Frauen an der Mitgliederschaft, wie er sich im Jahresvergleich zeigt, dürfte unter anderem auf den Wandel des Gesellschafts- und Wirtschaftssystems Westdeutschlands seit dem Zusammenbruch 1945 zurückzuführen sein. In der Literatur finden sich vielfach Hinweise, daß Frauen in Krisenzeiten eher den Weg in eine Partei finden und dann auch zu aktiver Mitarbeit bereit sind.[6] Danach spricht einiges für die Vermutung, daß infolge der verbesserten und weitgehend gesicherten wirtschaftlichen und sozialen Lage eine existentielle Betroffenheit, wie sie in den ersten Nachkriegsjahren für das politische Engagement vieler Frauen ausschlaggebend war, heute nicht mehr empfunden wird. Dagegen ist wohl Streckers Hinweis, »der Zug zum Privaten ist ein vielbeachtetes Charakteristikum unserer Zeit«,[7] für beide Geschlechter gleichermaßen gültig. Es mag zunächst naheliegend erscheinen, die Unterschiede zwischen den Landesverbänden durch einen Vergleich mit dem ebenfalls jeweils unterschiedlichen Anteil der Frauen an der Bevölkerung in den einzelnen Bundesländern zu erklären. Doch stellt sich bald heraus, daß die Schwankungen in diesem Bereich kaum von Bedeutung sein können. Zwar ist der Bevölkerungsanteil der Frauen in Berlin (1961 = 57,6%) beispielsweise größer als in allen übrigen Bundesländern, doch stellen sie auch in diesen immer mehr als die Hälfte aller Einwohner (zwischen 51,5 und 5 3,7%).[8]
Dagegen scheinen Faktoren wie Bevölkerungsdichte, Sozial- und Wirtschaftsstruktur der Länder, Kreise und Gemeinden sowie die jeweilige politische Rolle der CDU den Prozentsatz der weiblichen Mitglieder eher zu beeinflussen. Ein Vergleich der Positionen, die beispielsweise Nordwürttemberg und Nordbaden in der Rangfolge der Landesverbände (nach der Höhe des Anteils weiblicher Parteimitglieder) im Jahre 1964 gegenüber den beiden anderen Landesverbänden Baden-Württembergs einnehmen, kann das veranschaulichen.[9] Der Vorsprung des stark industrialisierten Nordens Baden-Württembergs vor dem Süden, mit seiner vorherrschenden Land- und Forstwirtschaft, darf als Beweis dafür angesehen werden, daß der Anteil der Frauen in der CDU-Mitgliederschaft in den Gebieten am höchsten ist, die am stärksten durch Industrialisierung und Verstädterung geprägt sind.
Die Rolle, die gerade diese beiden eng miteinander verknüpften Faktoren im Hinblick auf die weibliche Parteimitgliederschaft spielen, wird in einer Gliederung nach Stadt- und Landkreisen noch offenkundiger.[10] In der Gegenüberstellung übertrifft der prozentuale Anteil der Frauen in den Stadtkreisverbänden ausnahmslos den in den Landkreisverbänden.
Faßt man die Stadt- und Landkreise nach ihrer Einwohnerzahl in Gruppen zusammen, so zeigt sich außerdem eine Korrelation mit der Gemeindegröße.[11] Der Mitgliederanteil der Frauen steigt mit zunehmender Gemeindegröße sowohl in den Stadt- als auch in den Landkreisen. In den Stadt- und Landkreisen mit gleich großer Einwohnerzahl gehören Frauen relativ häufiger den Stadtkreisverbänden an als den Landkreisverbänden. Die Ausführungen von Bremme hierzu sind also auch für die Gegenwart belegbar.[12]
Größe, Sozial- und Wirtschaftsstruktur der Gemeinden wirken zwar zusammen, doch haben sie - und zwar jeder Faktor für sich - ein jeweils anderes Gewicht. Das zeigt sich einmal in den unterschiedlichen Anteilgrößen, je nachdem ob es sich um einen Stadt- oder einen Landkreisverband handelt.[13] Das zeigt sich zum anderen darin, daß einige Landkreisverbände mit ihrem Frauenanteil sogar über manchen Stadtkreisverbänden liegen, wenn man berücksichtigt, daß z.B. die Landkreisverbände Loreley 14,6% und Unterlahn 14,8% Frauen unter ihren Mitgliedern 1964 hatten.[14]
Die Schlußfolgerung liegt nahe, daß mit der CDU sympathisierende Frauen in den Städten und stark industriell geprägten Gebieten, in denen sich die alten Vorstellungen von der Rolle der Frau am stärksten gewandelt haben, auch am ehesten Neigung - und Möglichkeit haben, der Partei beizutreten. Wie stark der Einfluß der sozialen Struktur eines Bundeslandes auf die Zahl der weiblichen Parteimitglieder ist, ergibt sich auch aus folgender Überlegung: In einer allgemeinen Gegenüberstellung von CDU und SPD war Bremme zu dem Ergebnis gekommen, »daß für Frauen der Zugang zu Parteien mit >Honoratiorencharakter<... schwieriger ist als zu den Mitgliederparteien«.[15] In diesem allgemeinen Sinne trifft die Aussage heute noch zu. Da beide Parteien jedoch nach Landesverbänden betrachtet recht heterogen sind, erscheint es angebracht, die Feststellung für die besonderen Verhältnisse in den Landesverbänden nachzuprüfen. Danach müßte dort, wo die Mitgliederdichte eines CDU-Landesverbandes besonders gering ist, auch der weibliche Mitgliederanteil äußerst klein sein. Das Gegenteil scheint zuzutreffen.[16]
Die Mitgliederdichte der CDU-Landesverbände ist in der Regel dort am höchsten, wo die Partei am meisten Stimmen erhält.[17] Gerade hier aber ist der Prozentsatz der weiblichen Parteimitglieder im allgemeinen besonders gering.
Der Zusammenhang zwischen dem Stimmenanteil der CDU und dem Anteil weiblicher Mitglieder besteht also vielmehr in der Weise, daß Frauen um so seltener Mitglied sind, je mehr Stimmen die CDU in dem betreffenden Land auf sich vereinigen kann. Stimmenstark für die CDU sind insbesondere solche Länder, die ein weniger industrielles und großstädtisches Gepräge aufweisen als die anderen.[18] Daraus ist zu folgern, daß die soziale Struktur einerseits zwar den Stimmenanteil der CDU gefördert, andererseits aber den Zustrom weiblicher Parteimitglieder gehemmt hat. So ist das gerade bei der CDU sehr große Mißverhältnis zwischen der Zahl der Wählerinnen und der Zahl weiblicher Parteimitglieder nicht verwunderlich. Inwieweit die politische Betätigung der Frau in den einzelnen Bundesländern der Sozialstruktur und den mit ihr eng verbundenen erwarteten Verhaltensweisen unterliegt, ist - soweit ersichtlich - bisher noch nicht untersucht worden. Hier soll am Beispiel des Faktors Konfession geprüft werden, ob ein Zusammenhang zwischen der konfessionellen Struktur der Bevölkerung und dem Frauenanteil in den Landesverbänden der CDU erkennbar ist. Da vor allem in katholischen Bevölkerungskreisen die traditionelle - also politisch passive-Rolle der Frau gilt, ist anzunehmen, daß Frauen in Ländern mit vorherrschend katholischer Bevölkerung der Partei seltener angehören.
Diese Hypothese wird in der Tat bestätigt. Wo weniger als die Hälfte der Bevölkerung im Gebiet eines Landesverbandes protestantisch ist, also eine katholische Mehrheit vorliegt, ist der Anteil weiblicher Mitglieder in der CDU meist besonders klein. Landesverbände, in denen die Bevölkerung zu drei Vierteln protestantisch ist, weisen dagegen den höchsten Frauenanteil auf.[19] Dieser Zusammenhang zwischen dem unter anderem von der Konfession her bestimmten Bild der Frau und dem Anteil weiblicher Mitglieder in der CDU erscheint zutreffender, als hohe Frauenanteile dadurch zu erklären, daß die CDU sich bei ihrer Mitgliedergewinnung stark auf die Institutionen der katholischen Kirche stützen könne.[20] Die Feststellung dieses Zusammenhangs darf aber nicht darüber hinwegtäuschen, daß der Faktor Konfession nur zur Geltung kommt, wenn in der Bevölkerung eine deutliche konfessionelle Mehrheit oder Minderheit besteht. Er muß also in Verbindung mit anderen Faktoren gesehen werden, die seine Wirkung abschwächen oder gar aufheben können.
Es ist angebracht, noch einmal auf Bremmes Ausführungen zum Honoratiorencharakter der CDU zurückzukommen. Denn der jeweils herrschende Führungsstil, ein entscheidender Faktor bei der Definition als »Honoratiorenpartei«, spielt in der Öffentlichkeitsarbeit der CDU-Parteiorganisation zweifellos eine wichtige Rolle und dürfte den Zugang neuer weiblicher Parteimitglieder entscheidend beeinflussen. So ist auch heute noch die Gewinnung neuer weiblicher Parteimitglieder in erheblichem Ausmaß von der Initiative des Vorsitzenden eines Orts- oder Kreisverbandes abhängig.[21]
Die hier genannten und behandelten Faktoren, von denen unter anderen sich der variierende Mitgliederanteil der Frau in den Orts-, Kreis- und Landesverbänden der CDU als abhängig erweist,[22] sind als Ausdruck der jeweils vorherrschenden Rollenerwartungen gegenüber der Frau zu erkennen. Sie kennzeichnen die Beteiligung der Frau am öffentlichen Leben als »unschicklich« oder als »selbstverständlich« und sogar »notwendig«. Sie können je nachdem die Frau darauf beschränken, lediglich ihre Stimme für eine Partei abgeben zu dürfen, oder ihr auch Anreiz und Gelegenheit bieten, in die Partei einzutreten und an der aktiven Politik beteiligt zu sein. Die übrigen, hier nicht behandelten, jedoch zweifellos wirksamen Faktoren sind vielfach nicht oder nicht unmittelbar nachweisbar. So läßt sich etwa der hohe Mitgliederanteil der Frauen in den Parteiverbänden der Stadtstaaten durch die hier genannten Faktoren nicht hinreichend erklären. Wenigstens erwähnt werden sollen noch die mehr oder weniger einflußreiche Arbeit der Frauenorganisationen in den Landesverbänden, der unterschiedliche Effekt der politischen Bildungsarbeit in den Bundesländern und seine Bedeutung für die Landesverbände sowie das Vorbild führender Persönlichkeiten unter den Frauen in Parteien und Verbänden, das eine entscheidende Rolle spielen kann.[23]
Hier ist nur der Einfluß der Rollenerwartungen und deren Abhängigkeit von sozialstrukturellen Variablen aufgezeigt worden. In der Literatur wird die relativ kleine Zahl der Frauen, die Parteimitglieder sind, auch durch den Hinweis auf die geringe Organisationsfreudigkeit der Frau, auf ihre Belastung durch familiäre Pflichten und auf die Organisationsform der Parteien zu erklären versucht. Wenn aber mangelnde Einsicht in die Funktion und Organisationsstruktur der Parteien aufgeführt wird, so trifft das jedenfalls nicht nur auf Frauen zu.
2. Die Frau in den Parteiorganen und Delegationen
Der vorangegangene Abschnitt hat gezeigt, daß die weiblichen Parteimitglieder in der CDU immer in der Minderheit waren und es auch heute noch sind. In der Partei wird dieser Zustand insofern berücksichtigt, als seit der Parteigründung ein Paragraph des Statuts verlangt, daß »in allen Organen der Partei... Frauen angemessen vertreten sein (sollen)«.[24] Darüber hinaus bestehen auf Bundesebene und in den Landesverbänden zusätzliche Bestimmungen. Diese liegen im Ermessen der einzelnen Parteiorganisationen, fallen deshalb ihrer Reichweite nach sehr verschieden aus und sind wiederholt geändert worden. Um einen Überblick über die Vertretung der Frau in den Parteivorständen der CDU zu gewinnen, hätte es zunächst eines genauen Studiums aller Bundes- und Landessatzungen bedurft. Da jedoch für die meisten Landesverbände kein Zahlenmaterial vorlag, war es im Rahmen dieser Arbeit nur möglich, die Partei auf Bundesebene und den Landesverband Berlin näher zu untersuchen.[25]
a) auf Bundesebene
Seit 1956 wird der Bundesfrauenvereinigung der CDU im Parteistatut zugesichert, daß ihre beiden gleichberechtigten Vorsitzenden zugleich, also kraft ihres Amtes, Mitglieder des Bundesvorstandes sind.[26] Es gab zwar auch vor 1956 weibliche Mitglieder im Bundesvorstand, und danach waren es sogar immer mehr als statutarisch bindend vorgeschrieben.[27] Der prozentuale Anteil der Frauen im Bundesvorstand lag jedoch immer unter ihrem Mitgliederanteil. Er ist allerdings im Laufe der Jahre gestiegen, während der prozentuale Anteil an der Mitgliederschaft zurückging.
Diese Differenz erklärt sich weitgehend daraus, daß unter den Bundesvorstandsmitgliedern kraft Amtes - sieht man von den Vorsitzenden der Frauenvereinigung ab - nur selten Frauen zu finden sind; wobei zu bedenken ist, daß 1964 dem Bundesvorstand allein 64% seiner Mitglieder kraft Amtes angehörten. Dazu zählten unter anderem die Landesverbandsvorsitzenden, die Ministerpräsidenten und die Bundesminister der CDU.[28] In diese politischen Spitzenpositionen ist bis heute nur in Ausnahmefällen eine Frau vorgedrungen. Bisher waren Frauen überwiegend als gewählte Mitglieder und Kooptierte sowie als Vorsitzende der Frauenvereinigung in den Bundesvorstand der CDU gelangt, in Einzelfällen auch als Vertreter der CDU/CSU-Bundestagsfraktion und als Bundesminister. Die Frage nach der geringen Zahl weiblicher Vorstandsmitglieder erweist sich damit zugleich als eine Frage nach dem Fehlen weiblicher Spitzenpolitiker.
Auch dem Bundesausschuß gehörten Frauen offenbar vor allem als gewählte Mitglieder an.[29] Sowohl im Bundesausschuß als auch unter den Parteitagsdelegierten blieb der Anteil der Frauen immer hinter ihrem Mitgliederanteil zurück.[30] In das Parteipräsidium der CDU wurde erstmals 1966 eine Frau gewählt.[31]
b) auf Landesebene
Dem Landesvorstand der CDU Berlin müssen nach dem Statut zwei Frauen angehören: eine als Beauftragte für soziale Fragen, eine als Sprecherin der Frauenvereinigung.[32] In der Praxis waren auch hier meist mehr Frauen im Vorstand.[33] Wie auf Bundesebene waren sie in Berlin jedoch ebenfalls relativ schwächer unter den Mitgliedern des Landesvorstandes vertreten als unter den Parteimitgliedern. Während der Anteil weiblicher Vorstandsmitglieder in den letzten Jahren gefallen ist, ist der Prozentsatz weiblicher Delegierter des Landesverbandes Berlin auf den Bundesparteitagen gestiegen. Doch liegt auch er noch unter dem Mitgliederanteil.[34] Die weitgehenden Übereinstimmungen der Verhältnisse im Berliner Landesverband und auf Bundesebene lassen vermuten, daß die Frauen auch in den Organen und Delegationen der übrigen CDU-Landesverbände unterrepräsentiert waren und sind. Brauksiepe bestätigt diese Vermutung nicht nur, sondern weitet sie noch auf die Kreisvorstände der CDU aus.[35]
Welche Erklärungen sich dafür anbieten, daß die Frauen der CDU in wahrscheinlich allen Parteiorganen und Delegationen im Verhältnis zu ihrem Mitgliederanteil zu schwach vertreten waren und es noch sind, wird später aufgezeigt.