Frauenbilder

Wenn eine Kunstwissenschaftlerin über Bilder schreiben soll, so muß man eine andere Art der Interpretation akzeptieren - eine Betrachtungsweise, die ausgestattet ist mit einem visuellen Erinnerungsvermögen. Wenn Bilder unter dem Aspekt der Frau betrachtet werden, bedeutet dies, sie als Dokumente durch eine zwangsläufig subjektive Auswahl aus ihrem Kontext herauszureißen, den Blick auf ein isoliertes und damit verfälschtes Objekt zu richten und sie mit zeitgenössischen Augen zu sehen, denn »das figurative Abbild steht fest, aber die Wahrnehmung ist veränderlich«.[1]
Eine solche Betrachtungsweise wirft natürlich Probleme auf. Es ist schwierig, Realität und Imagination auseinanderzuhalten; die klassische Unterteilung zwischen Dokument und Kunstwerk führt nicht weiter. So sind die Bäuerinnen, die das Werk von Restif de la Bretonne illustrieren, idealisierter als diejenigen von Le Nain.  Auch Abbildungen in medizinischen Büchern oder Zeitungsillustrationen, sei es im politischen Teil oder unter der Rubrik vermischte Nachrichten, sind keineswegs immer glaubwürdige Zeugen der historischen Wirklichkeit, sondern oftmals reich an Imaginärem. Darüber hinaus gehören Bild und begleitender Text nicht immer zusammen: Derselbe Stich ändert seinen Sinn je nach der mehr oder weniger normativen Bildunterschrift oder je nachdem, welche Texte er illustriert. Und schließlich sind die Künstler in der Mehrzahl Männer: Nur wenige Frauen hatten Zugang zu den visuellen Ausdrucksmitteln, und weibliche Werke der sogenannten Volkskunst bestanden aus empfindlichem Material: Stoffe, Stickereien und Kuchen sind vergänglicher als Holz, Steingut oder Ton.Die begrenzte Anzahl von Bildern verpflichtet zudem zu einer strengen Auswahl und erfordert eine kohärente Strukturierung. Bestimmend für die Auswahl des Bildmaterials war neben reiner Intuition der Wille, Interesse und auch Überraschung bei den Leserinnen und Lesern hervorzurufen.
Schließlich muß das Bildmaterial klassifiziert werden, was einige Präzisierungen notwendig macht: Der/die Leser/in hat. Seite an Seite, Bilder vor Augen, die nicht für dasselbe Publikum bestimmt waren. Unterschiedliche soziale Gruppen haben nicht dieselben Ausdrucksmittel und sehen nicht dieselben Werke, obwohl die Abgrenzungen nicht völlig sicher sind und im Laufe der Jahrhunderte immer durchlässiger werden. Die profane Malerei, die Goldschmiedekunst, jede als solche anerkannte Kunstform war das Privileg der Aristokratie. Das städtische Bürgertum kennt die Stiche der gedruckten Bücher, während das Volk häufig nur zur Malerei Zugang hat. Im 16. Jahrhundert vereinigt der Holzschnitt verschiedene Ideologien und ein unterschiedliches Publikum. Außerdem wird ein Thema häufig durch mehrere Bilder »abgedeckt«, und ein Bild verweist auf mehrere Themen, so daß die Bilder in alle Richtungen ausstrahlen und »jeder Kunstgegenstand ein Ort der Konvergenz (ist), an dem man eine mehr oder weniger große Zahl von Ansichten über den Menschen und die Welt findet«.[2]
Die folgenden Bilder wurden wie zu einem Rundgang angeordnet.
Zu Beginn stehen die symbolische Darstellung des Paares und Frauendarstellungen aus dem Mittelalter und dem Humanismus (Abb. 1-3).Es folgen der weibliche Körper und seine Besonderheiten (Abb. 4-17), ergänzt durch männliche Darstellungen des Frauenkopfes, in denen die Spannung zwischen Natur und Kultur spürbar wird (Abb. 18-23). Danach kommen die Neuaufteilung der Geschlechterrollen, ihre Gefahren und ihre Sorgen (Abb. 24-39) und schließlich die Versuche weiblicher Autonomie: Malerinnen, Literatinnen, Mystikerinnen, Aufrührerinnen
nehmen an den Ausbruchsversuchen der Frauen aus dem Gefängnis teil, in dem sie sich befinden und gehalten fühlen (Abb. 40-54). Am Ende des Weges erscheint das Dilemma, das sich am Vorabend der Revolution stellt und das die folgenden Jahrhunderte zu lösen haben werden (Abb. 55-56): Aus der Eva, Maria und Pandora des 16. Jahrhunderts ist eine Frau geworden, die nach politischer Macht strebt...
Das erste Bild des ineinander verschlungenen Paares (Abb. 1) führt schon in medias res: die Beziehungen zwischen der männlichen und der weiblichen Welt. Auf den ersten Blick meint man, Adam und Eva im Augenblick der Erbsünde zu erkennen. Erstaunlich ist jedoch der (zum Apfel?) erhobene Arm Adams, der von Eva zurückgehalten
wird, das Fehlen der Schlange und des Apfelbaumes und vorne die beiden Hände, die auf den Hals des Mannes, den Adamsapfel, gerichtet sind. Es handelt sich nicht um das biblische Paar, dennoch um ein imaginäres Ur-Paar, ohne Vorrang eines Geschlechts, differenziert und undifferenziert, zwei in einem und eines in zweien: Hermaphrodit.
Die Metamorphose des Hermaphrodit und der Nymphe Salmakis von Jan Gossaert aus dem Jahre 1517 illustriert die Erzählung Ovids. Der Dichter erzählt in seinen Metamorphosen, daß Salmakis sich in den schönen Hermaphrodit verliebte, während er badete; als er vor ihr zurückwich, bat sie die Götter, ihre beiden Körper in einem einzigen
zu vereinigen. Man könnte in ihnen eine Frau sehen, furchterregend durch die Kraft ihrer Leidenschaft, und einen zum Opfer gemachten Mann - aber erlauben die Symmetrie des Bildaufbaus und das, was man über den Maler weiß, eine so parteiische Interpretation? Jan Gossaert, der als der erste italianisierende Maler der Niederlande gilt, ist
ein Künstler, der seine Themen unterschiedslos aus der Mythologie, dem Alten und dem Neuen Testament wählt. Daß er damit im Schnittpunkt unterschiedlicher bildlicher und religiöser Kulturen steht, entspricht der sozialen und kulturellen Komplexität der beginnenden Neuzeit. Der Wunsch nach Vereinigung und Trennung, nach Verschmelzung und Autonomie, der alchimistische Traum eines ursprünglich androgynen Menschen zeigt sich in der Verschränkung der Beine, der Berührung der zum Himmel erhobenen Arme und in dem Versuch des Mannes zu atmen, wobei die Frau ihm hilft (oder ihn daran hindert?). Und was ist das für eine geheimnisvolle Frau, bei der man sich fragen kann, ob sie hilft oder schadet? Sie ist vor allem eine Tochter Evas.
Beim Anbruch der Renaissance leben die mittelalterlichen religiösen Darstellungen der Frau noch fort. Berthold Furtmayr malt die Miniatur Der Baum des Lebens und des Todes (Abb. 2) für das Salzburger Missale, ein offizielles Meßbuch der römisch-katholischen Kirche und damit privilegiertes Instrument für die Wissensvermittlung. Hier findet
sich die Dichotomie gut und böse, Retterin und Mutter aller Übel unmittelbar verkörpert durch Viaria und Eva. Auf der linken Seite pflückt die Jungfrau, neben einem kleinen Kruzifix, das Gegenmittel gegen die Erbsünde, die Hostie, vom Baum und gibt sie an die Auserwählten weiter, denen ein Engel folgt mit dem Spruchband: »Seht, dies ist das Brot der Engel, das Mahl der Pilger«. Auf der rechten Seite reicht Eva in ihrer strahlenden Nacktheit, die die ganze Aufmerksamkeit auf sich zieht, armen Leuten die verbotene Frucht, die sie neben einem Totenkopf vom Baum gepflückt hat. Daneben hält ein Skelett ein Spruchband: »Von diesem Baum kommt das Übel des Todes und die Wohltat des Lebens«. Zwei Bilder des Todes umrahmen unser aller Mutter. Alles ist rund auf diesem Bild: der Raum der Szene, die Medaillons, der Baum, die Hostie und der Apfel, die Brüste und der Bauch Evas - eine graphische Huldigung an die Weiblichkeit. Die Stellung Evas rechts im Bild verleiht ihr vorrangige Bedeutung; sie kommt chronologisch nach der Jungfrau, als ob die Gestalt der Maria die Erbsünde nicht völlig auslöschen könnte. In diesem Drama der Verdammnis steht der Mann im Hintergrund: Christus, der Sieger über den Tod, erscheint nur als kleine Gestalt im Baum, und Adam, der erste Mensch, ist halb verdeckt. Die Szene wird gänzlich beherrscht von der doppelten Weiblichkeit, wobei die negative Sicht vorzuherrschen scheint.
Kann der Humanismus einen Beitrag zur Aufwertung der Frau und ihrer Rolle leisten? Die Antwort ist nicht eindeutig, wie das Bild von Jean Cousin zeigt: Eva Prima Pandora, entstanden um 1538 (Abb. 3), ist ein Hauptwerk des 16. Jahrhunderts und gilt als der erste Akt der Renaissance. Attribute des regungslosen Körpers und der idealisierten
Schönheit sind ein Totenschädel, ein Zweig von einem Apfelbaum, die Büchse der Pandora und eine Schlange. In dieser vollkommenen Nackten zeigt sich eine Anhäufung negativer Bilder aus der Mythologie, aus der Bibel und aus der antiken und zeitgenössischen Geschichte; ihr Thema ist die Femme fatale - die Frau als Verhängnis. Allegorien mit metaphysischen, moralischen und politischen Bedeutungen werden ineinander verflochten.
Auf den ersten Blick scheint es so, als habe sich die antike Pandora an die Stelle der biblischen Eva gesetzt. Beide Traditionen verbinden sich miteinander und machen so die Frau zur Quelle allen Übels. Das Thema der Eva ist noch mittelalterlich, während das im Mittelalter vergessene Thema der Pandora im 16. Jahrhundert wieder auf großes Interesse stößt. Ist die Verbindung der beiden nicht neu, so zeigt das Bild doch erstmals ihre Verschmelzung zu einer einzigen Gestalt.
Das Geheimnis des Gemäldes ist damit allerdings noch nicht gelüftet. Warum die antike Stadt im Hintergrund, warum die ungewöhnliche Position der Schlange, die um den Arm Evas gewickelt ist? Jean Guillaume,[3] der sich auf Laborergebnisse stützt, wonach weitere Schlangen zu sehen sind, hat ein drittes Frauenbild entdeckt: das Bild von Kleopatra, die an dem Biß einer Viper stirbt. Die Pose der Eva Prima Pandora ist identisch mit derjenigen der ägyptischen Königin auf mehreren früheren Stichen (darunter ein berühmtes, von Holbein gestochenes Frontispiz); so kann Kleopatra identifiziert werden, die im 16. Jahrhundert als »geizige, grausame und lüsterne Frau« auf neues Interesse stößt. Aber warum dann die Diskretion der Botschaft? Jean Guillaume formuliert vorsichtig die Hypothese, es handle sich um eine Anspielung auf die Femme fatale der Epoche, die Frau, die den schlimmsten Einfluß auf die Macht ausübte, die Favoritin des Königs.
Jean Cousins Eva weist eine Ähnlichkeit mit jener Nymphe von Cellini auf, die im Schloß von Anet die Herrin des Ortes symbolisierte, Diane de Poitiers, die den königlichen Hirsch besiegte... Damit käme eine weitere negative Heldin zu den drei anderen hinzu. Das Paradox des idealisierten Körpers und der Gefahren, die er in sich birgt, stellt den neuplatonischen Begriff des Schönen als Weg zum Guten in Frage und zeugt von einer tragischen Sicht der Existenz. Auf beiden Bildern zieht der Körper der Frau die Aufmerksamkeit auf sich. Durch seine Schönheit ist
er ein göttliches Zeugnis, durch seine Fähigkeit zur Reproduktion steht er den Tieren nahe - seltsamerweise wird die Schönheit zur Gefahr und die »animalische« Funktion aufgewertet.

Die Angst vor dem Körper

Das Gefühl beunruhigender Fremdheit, das die Stiche von Heemskerk (Abb. 4) und Bosse (Abb. 5) hervorrufen, verweist auf die Ambiguität dieser Darstellungen. Diese »Allegorien« lassen mehr oder weniger explizite Vorstellungen von der Natur, von der Frau, von der Kultur und von der Erde erahnen. Natura (Abb. 4) zeigt eine Frau mit vielen Brüsten, nach dem Vorbild von Kybele und Isis Symbole der Fruchtbarkeit, die in einer bukolischen Landschaft ein Kind stillt und von einer Welt umgeben ist, die mit allen Instrumenten der Technik und der Wissenschaft ausgestattet ist: Zifferblatt, Retorte, Winkel, Sanduhr. Die Natur ist das weibliche Prinzip des Universums: Als gute Mutter nährt sie mit ihrer Milch - der Quelle des Lebens - die Menschheit und den Kosmos.
Diese wohlwollende Natur hat ihre Kehrseite: eine wilde Kraft, die zu Beginn der Neuzeit neue und beunruhigende Macht der wissenschaftlichen Revolution.[4] Diese neue Vorstellung von der Natur hat Bosse in Form der unheilbringenden, von Blattwerk gekrönten Frau ohne Kopf dargestellt (Abb. 5). Es handelt sich um eine Mandragora,
eine Pflanze, die von den Hebammen wegen ihrer fruchtbarkeitsfördernden Eigenschaften benutzt wurde, aber auch von Hexen, wie Texte und Bilder herausstellen. (Über den Köpfen von Dürers berühmten Vier Hexen befindet sich eine Mandragora.)
Der ambivalenten Natur entspricht die ambivalente Frau: Heemskerk stellt Frau und Natur der Welt der Technik und der Kultur gegenüber, Bosse symbolisiert durch die Mandragora das wohltätige oder unheilbringende weibliche Geschlecht. Das Urteil des Paris von Niklaus Manuel Deutsch (Abb. 6) ist ganz von diesem ambivalenten Blick auf den weiblichen Körper durchdrungen. Bei diesem Frühstück im Freien herrscht in der Kleidung große Phantasie: Dem Gewand des Paris, demjenigen eines zeitgenössischen deutschen Ritters, steht die Botticellische Transparenz der Venus gegenüber, dem reichen bürgerlichen Gewand der Juno die erotische Rüstung Minervas. Ambivalent ist auch der Raum, der dem moralischen Gehalt des Themas eingeräumt wird: Eine lange Tradition verbindet es mit der Erbsünde und bringt Venus und den goldenen Apfel, den sie erhält, in die Nähe Evas und des von ihr gepflückten Apfels. Die bildlichen Anspielungen sind zahlreich: Die Haltung des Paris ist die umgekehrte Haltung Adams in dem Holzschnitt von Cranach über die Erbsünde, die Gestalt der Venus erinnert an diejenige der Fortuna Dürers, steht aber fest auf dem Boden und nicht in einem instabilen Gleichgewicht, und die Pose der Minerva ist derjenigen einer der Vier Hexen von Dürer nachgeahmt.[5] Diese formalen Anspielungen belegen, wie sehr sich die Künstler gegenseitig befruchteten, und zeigen, daß diese Themen dem Denken Deutschs nicht fremd sind; aber die einzige sichtbare Spur, die er von der moralisierenden Interpretation übrig läßt, ist die winzige Inschrift auf dem Baum: »Paris von Troy der Torecht« (Paris von Troja, der Törichte). Ambivalent ist schließlich auch das wirkliche Thema dieser Szene voller schmeichelhafter Ironie: Was der Maler jenseits aller moralisierenden mythologischen Anspielungen und Entschlüsselungen zeigt - ist Paris etwa ein Selbstporträt und Venus eine liebenswürdige Dirne? -, ist die Liebesbegegnung zwischen Mann und Frau. Indem er die Augen des Paris öffnet - die meisten Stiche zeigen ihn schlafend und von diesem Urteil träumend unter dem Einfluß von Hermes, hier verwandelt in Cupido -, hat Deutsch den Blickaustausch zwischen Mann und Frau ermöglicht. Die Begegnung der Hände des Paris und der Venus auf dem Bauch der Frau besiegelt die Verbindung des Paares mit dem Versprechen der Fruchtbarkeit.
Ein bemaltes Schild einer deutschen Hebamme (Abb. 7) ist dagegen von ganz anderer Art: Die schwangere Frau wird gepflegt. Im Zentrum des Bildes steht der Bauch, eingefaßt von der Garnitur des Kleides und eingerahmt von den strengen Linien der Haare, des Arms, des Sessels und vor allem der drei ausgestreckten Finger der Hebamme, die die drei Regeln für eine gute Niederkunft aufzählt.
Aus der Fruchtbarkeit zieht der weibliche Bauch seine Macht und sein Geheimnis, und die Bilder auf den folgenden Seiten zeigen, daß er in der damaligen Gesellschaft Staunen und Furcht hervorrief. Nach dem moralisierenden Aspekt, wo die schwangere Frau die Ratschläge der Hebamme anhört, kommt ein eher wissenschaftlicher Aspekt: das Bild des Kindes im mütterlichen Bauch, veröffentlicht in De formatio foetu des Arztes Adrian van Spiegel im Jahre 1631 (Abb. 8). In der visuellen Umsetzung wird aus der Gebärmutter-Frau des Arztes eine Frucht-Frau, wie sie der Kupferstecher und Dichter sieht.
Relativ »vernünftige« Bilder stehen einer Fülle phantasmagorischer Illustrationen gegenüber: Eine schwangere Frau in einem Almanach von 1677 (Abb. 9) besitzt einen Bauch, der ihr völlig äußerlich ist, und eine merkwürdig flache Brust. Unter dem Titel Von Frauen, die viele Kinder geboren haben bezieht sich der Stich auf einen medizinischen Fall, der von Ambroise Pare veröffentlicht und in die Bibliotheque Bleue aufgenommen wurde: Eine gewisse Dorothea kam zweimal mit zwanzig Kindern nieder. Sie war so schwer, daß ihr Bauch auf dem Boden schleifte und sie ihn mit einem großen Band stützen mußte, das um ihren Hals geschlungen war. Nach Ansicht der Medizin im 17. Jahrhundert sollten zu dicke Frauen sich regelrecht verrenken, um besser gebären zu können (Abb. 10). Eine heterogene Produktion scheint bei der Kaninchen gebärenden Mary Toft (Abb. 11) vorzuliegen: Die analphabetische Bäuerin erklärte 1726, einen Wurf von fünfzehn Kaninchen geboren zu haben, nachdem sie sich beim Anblick eines einzigen erschreckt hatte. Ihr Arzt wollte dazu Rat einholen, und die Geschichte gelangte bis zu König Georg I., der seine eigenen Ärzte schickte. Ein Jahr danach wurde der Betrug aufgedeckt. Die in der Zwischenzeit entstandenen Flugschriften und Zeugenaussagen teilten London in zwei Lager. Noch vierzig Jahre später spielt Hogarth in einer Version seines Stichs Credulity, Superstition and Fanatism darauf an.
Wie der Bauch spielen auch die Brüste eine doppelte Rolle: erotische Objekte der männlichen Vorstellungen und nährende Brust. Die Gestalt der Salome (Abb. 12) nimmt in dem Gemälde Das Festmahl des Herodes und dje Enthauptung Johannes des Täufers nur wenig Platz ein; ein riesige Gemälde (9,52 m x 2,80 m), das erst kürzlich Bartholomeus Ströbel zugeschrieben wurde,[6] entstand um 1630. Ob glänzendes Fresko Europas in den ersten Jahrzehnten des 17. Jahrhunderts, Satire auf die von Richelieu angestrebte Politik des Gleichgewichts der Kräfte. Allegorie auf die Verrücktheiten Europas zur Zeit des Dreißigjährigen Krieges oder Anspielung auf die Reise des Prinzen von Wales und Buckingham nach Madrid im Jahre 1632 zum Zwecke der Heirat - alle Interpretationen des Werkes verlieren an Bedeutung angesichts der herausragenden Brüste der Salome und der erotischen Spannung dieser außergewöhnlichen Präsentation ihres Busens und des Kopfes von Johannes dem Täufer. Die enthüllten weißen Brüste ziehen ihren Glanz aus dem blutigen Rot des enthaupteten Kopfes: Rot und Weiß, die beiden Farben der Schönheit. Salome zeigt uns »ihre beiden kleinen hochsitzenden Brüste, die so rund waren, daß sie weniger einen integrierenden Teil ihres Körpers zu bilden als vielmehr wie zwei Früchte daran gereift zu sein schienen«, und auf einer Platte die Frucht ihrer Arbeit, ihres Tanzes. Zwei giftige Gaben... Und diese Huldigung, voller Verführung und Perversität, ist an eine der negativsten weiblichen Gestalten gerichtet! Die Kirchenväter haben Salome (deren Name die Friedliche, die Friedenstiftende bedeutet) zum Prototyp der vom Dämon inspirierten Frau gemacht, und zahlreiche mittelalterliche Legenden präsentieren sie als Königin der Hexen und Organisatorin nächtlicher Sabbate.
Der subtilen Erotik der manieristischen Kunst entspricht die Sinnlichkeit des sibyllinischen Stichs von Lequeu (Abb. 13). Bei Salome. die von einer Menge historischer Personen umgeben ist, tauchen die Brüste aus einem Damastkleid auf, das mit Schmuck beladen ist und über dem ein Puppengesicht mit vielen kleinen Zöpfen thront, das von einem Diadem gekrönt wird. Bei Lequeu ragen die schweren Kugeln, die der phallusförmige Schleier leicht berührt, aus dem strengen Kleid einer einsamen Nonne hervor, deren sinnliches und entschlossenes Gesicht in die Haube eingezwängt ist. Eine Symphonie in Schwarz, Grau und Weiß, ein ernstes und geheimnisvolles Bild des fleischlichen, sexuellen und mütterlichen Begehrens der Frau, das durch den Satz unterstrichen wird: »Und auch wir werden Mütter sein, denn...« Eine Anspielung auf die Zivilverfassung des Klerus - wir sind im Jahre 1792, und die ganze Aufregung um diese Frage mußte den visionären Architekten beeinflussen, der fasziniert war von der weiblichen Sexualität. Seine Nonne ist genauso beunruhigend wie Ströbels Salome.
Aber die wahre Rolle der Brüste ist das Stillen: Es ist eine wirkliche Macht, wie die Zeichnung von Martin de Voss (?) (Abb. 14) zeigt, die für uns deshalb interessant ist, weil sie zwei Lesarten ermöglicht. Entweder handelt es sich um eine männliche Kritik: Die Frau bedient sich der Souveränität, die ihr das Stillen verleiht, und bringt den Mann dazu, Götzen anzubeten (wie Salome oben rechts), oder raubt ihm seine Kraft (wie Delila oben links[8]); oder, gesetzt den Fall es handelt sich nicht um eine Glorifizierung: Die nährende Mutter macht die schlechten Taten der Frauen im Hintergrund des Bildes wieder gut und stellt eine bedeutendere Macht dar als die weltlichen Gewalten, deren Embleme zerbrochen zu ihren Füßen liegen.
Im 18. Jahrhundert tragen Rousseau und Diderot durch ihre Schriften und Greuze durch seine Gemälde dazu bei, das mütterliche Stillen aufzuwerten. Die gute Mutter (Abb. 15), eine deutsche Fayence nach einem Bild von Greuze, zeugt von dieser neuen Einstellung und deren weiter Verbreitung. Sobald sie mit der Mutterschaft verbunden sind, werden Brüste und Bauch glorifiziert.
Denn Kinder zu gebären ist die wahre Rolle der Frau, und zahlreiche Kinder sind ihr Schmuck. Auf einem Stich von Binet sehen wir Edme Restif, den Vater des Schriftstellers, unter dem Porträt seines eigenen Vaters, umgeben von seiner zweiten Frau und den vierzehn überlebenden Kindern. Es waren in diesem wohlhabenden Haushalt zwei Frauen notwendig, um so viele Kinder zu bekommen, was deutlich macht, in welchem Ausmaß die Frau durch ihre Bestimmung in der alltäglichen Wirklichkeit dem Tod begegnete. Die Frauen sterben im Wochenbett, und die Kinder sterben früh. Ein österreichisches Exvoto aus dem Jahre 1775 (Abb. 16) zeigt ein Bauernpaar neben acht kleinen Mumien, den totgeborenen Kindern, das Gott anfleht: »Lieber Gott, acht Kinder sind bei dir, so schenke das neunte mir.« Die Bitte richtet sich zwar an Gott, aber Fürsprecherin ist die Jungfrau der sieben Schmerzen, den toten Christus auf ihren Knien. Die mater dolorosa über der Szene erlaubt die Identifikation. Als »vertraute Gefahr, unvermeidlicher Gefährte« ist der Tod allgegenwärtig.
Die hier versammelten Gesichter - mit Ausnahme des Frontispiz des Berger extravagant von Charles Sorel, gestochen von Crispin du Pas, das der kulturellen Elite vorbehalten war, weit verbreitete Bilder - zeigen die vielen Vorstellungen, die man sich über den Kopf der Frauen machte. Die Hausfrau (Abb. 18) enthält eine bodenständige Beschreibung der Ehe und ihrer Aufgaben. Alle Geräte der weiblichen Arbeiten, vom Fingerhut bis zu den Töpfen und der unvermeidlichen Spindel, sind hier versammelt und signalisieren, was die junge Frau nach ihrer Heirat erwartet. Das männliche Gegenstück dazu ist ebenso gestaltet, aber die Werkzeuge betreffen meistenteils die Arbeit außer Hause, während die Geräte der Frau für Haus und Nebengebäude bestimmt sind. Der Ton ist freundlich, ohne Bitterkeit und Schärfe.
Neben der alten Hausfrau mit Haarknoten, Brille und Tabakpfeife regiert La belle Charite (Abb. 19), mit Gartengesicht und Brüsten aus Globussen. Der Schäfer Lysis - ein Pseudonym - ist verliebt in eine Schäferin, Catherine, deren Namen er bis auf einen Buchstaben in sein Anagramm verwandelt hat: Charite. Er stimmt ein begeistertes Loblied auf die Schönheit der Geliebten an vor Anselme, seinem Malerfreund, der ihm anbietet, Charite nach seiner Beschreibung zu porträtieren. Aber zu seiner Bestürzung erkennt Lysis das Modell nicht, und Anselme muß ihm erklären, daß er Charite nach seinen Worten gemalt hat: ein Teint wie Lilien und Rosen, ein Korallenmund, Augen wie Sonnen, die Strahlen und Flammen aussenden, Haare wie Netze, Angeln und Köder, um die Herzen einzufangen, deren größtes, das von Lysis, nahe am Ohr ist, um dort von seinem Kummer zu erzählen. Die Karikatur wendet sich jenseits des visuellen Überraschungsmoments gegen die gezierte Sprache, aber nicht gegen gezierte Frauen. Sorel ist kein Vorläufer Molieres.
Die Köpfe von Frauen - gleichgültig ob sie Symbole des bürgerlichen Standes oder der intellektuellen Elite sind - stehen unter dem Einfluß des Mondes: Dies sollte eine fast ebenso umfangreiche, aber dafür vielfältigere Ikonographie auslösen wie der Streit um die Hose. Hier (Abb. 20) beleuchtet der Mond eine nächtliche Szene und sendet seine Strahlen und Halbmonde auf die Köpfe von fünf ausgelassenen Frauen aus dem niederen städtischen Volk, die beschließen: »Der Mond ist über unseren Köpfen. Laßt uns trinken und lachen, denn das ist unser Fest.» Auf den ersten Blick wird die weibliche Launenhaftigkeit auf nette Weise verspottet, aber die Runde der Klatschweiber wirkt auch etwas beunruhigend: Man brauchte die Frauen nur auszuziehen und den Ort weniger städtisch zu gestalten, um einem Hexentanz beizuwohnen. Die Verknüpfung Frau—Mond führt schnell zur Verbindung mit Nacht und Hexerei.
Die wahre Frau (Abb. 21), ein anonymer Stich aus dem 17. Jahrhundert, zeigt ein »schreckliches Monstrum mit zweifachem Kopf... das in der Kirche ein Engel und zu Hause ein Teufel ist«. Die Symmetrie zwischen dem Teufel und der Frau wird eingehalten, sie sind regelrechte siamesische Zwillinge. Es handelt sich nicht mehr um eine wechselhafte Stimmung, sondern um den zweifachen und gleichzeitigen Ausdruck ihres Wesens: Engel und Dämon. Und wenn nicht der Teufel die Frau ergänzt, dann ist es der Tod (Abb. 22). Die Frau ist seine Ursache - sie ist die Tochter Evas, die durch ihre Anfälligkeit für die Versuchung die Sterblichkeit des Menschengeschlechts verursacht hat (Abb. 2 und 3). Sie ist die Quelle des Todes durch ihre Sexualität und ihre Schönheit, vergänglich und trügerisch; Der Stich und seine Unterschrift warnen vor dieser Gefahr. Und der Tod trifft die Frau doppelt: Seit sie gegen die Ordnung der Natur verstoßen hat und sich die Frage nach der Existenz ihrer Seele stellt, stirbt sie auf immer mit dem Tod ihres Körpers.
Angesichts dieser diabolischen oder todbringenden Doppelnatur der Frau ist es am einfachsten, aus ihr ein kopfloses Monstrum zu machen. Das große Rätsel der weiblichen ratio wird durch Enthauptung gelöst und die Frau auf ihre Funktion reduziert: Sie regiert kopflos über ihren Bereich. Ein solcher Stich (Abb. 23) dient als Frontispiz für eine Schmähschrift über L'Imperfection des femmes, eine Folge von Bildern, von denen eines negativer als das andere ist. Die Frau ist »die unvollkommenste aller Kreaturen... der Abschaum der Natur... die Plage der Engel». Ohne Kopf wird die Frau auf ihren tatsächlichen Rang als Schäferin und Spinnerin verwiesen. Die Spinnerin ist die Frau par
excellence: Eine lange Reihe mythologischer Heldinnen, von Penelope, Ariadne, Arachne bis hin zu den allzu berühmten Parzen, machte die Spindel zum Symbol für die Stellung der Frau, zu ihrem Siegel.
Diese Infragestellung des weiblichen Gehirns sollte die Neuaufteilung der Geschlechterrollen ermöglichen, die Trennung der Räume und ihres alltäglichen Zusammenlebens.

Das Zusammenleben

Das »Zusammenleben« wird zu einem der beherrschenden Themen der Ikonographie: Darstellungen des Liebesbaums wie des Streits um die Hose, der Notwendigkeit der Gleichheit der Parteien wie der verkehrten Welt haben gemeinsam, daß sie die Grenzen, die Epochen und die sozialen Klassen überschreiten und sich aller Formen der Kunst bedienen, von den elitärsten bis hin zu den volkstümlichsten. Allesamt unterstreichen sie die Wichtigkeit der moralischen und sozialen Funktion der Ehe. Um zusammenzuleben, muß man sich zuerst begegnen, wie die Salatschüssel von Rene Legros aus dem Jahre 1781 zeigt (Abb. 24).[10] Die ländliche Szenerie betont eine Freiheit in der Liebe, die auf dem Land größer ist als in der Stadt. Die Liebesbäume variieren vom 15. bis zum 18. Jahrhundert wenig, aber sie unterteilen sich in zwei Kategorien: Entweder befinden sich die Männer auf den Bäumen oder die Frauen. Wenn die Männer unten sind, sind ihre Mittel der Verführung Wein, Musik und Tand. Lockend und abwartend brauchen sie keine Gewalt, um die Schönen zum Herabsteigen zu bewegen, während die Frauen ein aggressives Verhalten an den Tag legen: Sie bieten zwar Geschenke an, aber sie benutzen eine Axt, sägen den Baum um, steigen auf die Leiter, werfen Schlingen aus. Ist es die Umkehrung der traditionellen Rollen, die den Rückgriff auf die Gewalt erforderlich macht? Aber was ist das dann für eine anonyme Stimme in der kreisförmigen Bildunterschrift auf dem Teller, die den Frauen rät, den Baum anzugreifen und aufzuhören, Geschenke zu machen? Wer spricht hier? Die Initiative zur Gewalt kommt nicht von den Frauen, sie wird ihnen suggeriert.
Von der Gewalt der Frauen handelt auch der Streit um die Hose. Die lange Reihe von Feldern zu diesem Thema unterteilt sich ebenfalls in zwei Gruppen. In der ersten (Abb. 25) ist der Raum diametral geteilt. Der Mann und die Frau, von für ihr Geschlecht symbolischen Gegenständen umgeben oder auch nicht (Kleid/Hose, Gewehr/Spindel, Spaten/Besen etc.), streiten sich um etwas, das weder dem einen noch dem anderen gehört. In der zweiten Gruppe ist der Mann abwesend, es ist nur noch das Emblem seiner Männlichkeit vorhanden, eine phallische Hose, um die sich Frauen streiten, die sich die Haare zausen, sich beißen inmitten eines Gewirrs von Kleidern, entblößten Schenkeln, herausstehenden Brüsten, Das Bild verweist weniger auf die faktische Macht als auf die Angst vor der weiblichen Sexualität, was ihre Gewalt erklärt. Die kurze Hose ist zum sexuellen Symbol geworden, die lange Hose (pantalon) war das Symbol der Macht. Wenn die Frau die Hose gewinnt, ist das Schlimmste eingetreten, die Rollen sind vertauscht. Ein Bild aus Epinal aus dem 17. Jahrhundert (Abb. 26) zeigt den Mann sitzend, mit einer Haube auf dem Kopf, eine Spindel in der Hand, wie er das Kind wiegt, ihm gegenüber die Frau, stehend, mit einem Helm auf dem Kopf, das Schwert an der Hüfte, die Muskete Über der Schulter. Das ist die verkehrte Welt. Die Häufigkeit dieser Bilder und ihre mangelnde bildliche Vorstellungskraft warfen die Frage auf, ob ein Wechsel der Rollen nur als Umkehrung und nicht als Neugestaltung begriffen werden kann.
Symbolische Bilder werden durch das tägliche Leben inspiriert, aber in der Realität finden die unterschiedlichen Tätigkeiten in gemeinsamen Räumen statt. Die diagonale räumliche Unterteilung auf einem Holzschnitt der Roxburghe Ballads (Abb. 27)[11] trennt Geschlechter, soziale Gruppen, Aktivitäten und Räume. Zum Edelmann gehören die Rüstung, die Mobilität, die Weite der Wälder und die Jagd, zur Hausfrau der Hocker, die Immobilität, das Spinnrad und das Spinnen der Wolle vor der Türschwelle. Dies alles geschieht unter dem doppelten Aspekt von »sehen« und »gesehen werden«. Die gleiche, auf einen Blick erfaßbare Szenerie kann man auch im städtischen Raum wiederfinden.
Der Diagonale des Jägers entspricht umgekehrt diejenige in der Zeichnung von Stella (Abb. 28); sie wird betont durch das Treppengeländer und die Verteilung des Lichts. Die symbolische Grenze trennt den männlichen vom weiblichen Raum; ein junger Mann steht auf der Seite der Frauen, wahrscheinlich mit seiner Zukünftigen, die einzige Geschlechtermischung des Bildes. Dieser Stich ist noch in anderer Hinsicht interessant. Zum einen wurde er von einer Frau angefertigt, von Claudine-Francoise Bouzonnet, der Nichte des Zeichners, die diesen für ihr Geschlecht ungewöhnlichen Beruf erlernte und ihren Lebensunterhalt damit verdiente. Zum anderen zeigt er, wie ein Bild als Träger für die Verbreitung unterschiedlicher Ideologien dienen kann. Zwei andere Darstellungen (von Bonnart und Dewismes) dieser Genreszene erhalten durch ihre normativen Unterschriften den Charakter regelrechter Katechismen, die zur Anerkennung der bestehenden sozialen Ordnung aufrufen.[12]
Während auf dem Land die Feldarbeit und der Markt die Frau aus dem ihr ansonsten zugewiesenen häuslichen Raum heraustreten lassen, ist in der Stadt die Straße der Ort, an dem beide Geschlechter gleichermaßen anzutreffen sind: ein Ort des Lebens, an dem Neuigkeiten ausgetauscht werden, an dem Gerüchte entstehen. Die Verwirrung in Paris (Abb. 29), ein unerschöpfliches ikonographisches und literarisches Thema, zeigt das Verhalten und die Konflikte, die aus der ständigen Nähe resultieren. Kein Stich über dieses Thema, der nicht die Lebhaftigkeit der Wortgefechte von Männern und Frauen zeigt, die charakteristisch für die städtische Bevölkerung ist. »Du wirst meinem Mann den Laden bezahlen und seine ganze Arbeit, die du verdorben hast«, »Haltet den Dieb mit meiner Garnitur«, »Die große Picarde geht ins Krankenhaus«, schreien die kleinen lebhaften Gestalten.
Die Neuaufteilung der Geschlechterrollen versteht sich nicht von selbst, sie bringt Beunruhigung und Sorgen mit sich. Abraham Bosse zeigt uns auf seinem Stich Der mit Arglist gefütterte Mann (Abb. 30) einen niedergeschlagenen Mann, das »trauernde Geschlecht«. Ein Jahrhundert später bricht dieser geneigte Kopf, der von dem angewinkelten Ellenbogen gestützt wird, zusammen und ergibt Goyas vernichteten Mann in Der Schlaf der Vernunft gebiert die Ungeheuer. Der Affe an seiner Seite, ebenfalls in melancholischer Stellung, ist das Emblem des universalen Künstlers und das Symbol der Verrücktheiten und der Leidenschaften (die Frauen auf dem Futterstoff?), denen die Menschheit zum Opfer fällt. Bei diesem Bild möchten wir gern verweilen und einige Augenblicke nachdenken über das Ausmaß des männlichen Kummers. Befreit die Rolle des Herrschenden von jeder Sorge, von allen Gewissensbissen, von jedem Bedauern über das Scheitern der harmonischen Zweisamkeit? Verhindert sie jedes Gewahrwerden der Ungerechtigkeit, die dem anderen Geschlecht angetan wird? Die Unterschrift führt von der ontologischen und metaphysischen Ebene auf die historische: Die Ursache des männlichen Unglücks befindet sich im Mantelfutter, wo »diese gefährlichen heimtückischen Tiere« sich eingenistet haben, und diese Feststellung diktiert das männliche Verhalten, das Sichverschließen, die Klausur.
Wenn sie offen ist, ist die Frau böse und gefährlich: Es ist wichtig, ihre Launen und ihren Wortschwall zu kontrollieren, ihre Vagina und ihren Mund zu verschließen. Für das Geschlecht benutzt man den Keuschheitsgürtel, dessen mythologischer Vater Vulcanus ist und den in Wirklichkeit ein Mann aus Padua am Ende des 14. Jahrhunderts erfand. Was das Sprechen betrifft, so zeigt das Bänkchen eines Chorstuhls (Abb. 3D das Bild einer Frau, deren Mund mit einem Vorhängeschloß verschlossen ist: eine Nonne oder eine Bäuerin, mit einem phallischen Gürtel, der das männliche Glied ersetzt oder seine Abwesenheit unterstreicht, das Pendant des verriegelten Mundes. Im Gegensatz zur großen Verbreitung des Stichs von Bosse ist das Bänkchen unter dem Chorstuhl der kleinen Kirche Sainte-Maurille versteckt, die meiste Zeit für die Mönche und Gläubigen unsichtbar. Wer konnte schon diese heilige Babille sehen, von der die Ehemänner die Schweigsamkeit ihrer Ehefrauen erbaten?[13] Die Geschwätzigkeit der Frauen,
eine magere Kompensation für die ihnen fehlende Macht, ebenso unvermeidlich wie ihre Untreue, bringt die Männer zur Verzweiflung. Dieses ikonographische und literarische Thema verschärft sich bis hin zu den sadistischen Zeichnungen von Rowlandson, wo ein Schuster, die Ahle im Mund, energisch die Lippen einer mürrischen alten Frau zunäht.
Wenn Frauen das Recht auf Sprache verweigert wird, hält man sie für unmündig und nimmt sich deshalb auch das Recht, ihr Erscheinungsbild zu reglementieren und sie zu erziehen: »Mode nennt man die Art und Weise, wie man im gegenwärtigen Augenblick die Kleider macht; danach muß man sich richten...«[14] Da, wo es um Vergnügen und Einfallsreichtum gehen sollte, ist die Rede von Pflicht, von Konformität, und damit schnell von Sünde und verwerflichem Exzeß. In einem Wort: Man darf weder gegen sein Geschlecht noch gegen seinen Rang verstoßen. Daß eine Frau ihrem Geschlecht gehorchen muß, zeigt das Frontispiz von Hie Midier, or the Man-Woman (Abb. 32) aus dem Jahre 1620 mit aller Deutlichkeit. Darauf ist eine junge Frau zu sehen, die in einen Mann verwandelt ist durch ihren Haarschnitt, den Federhut, das Tragen des Dolches, während der Friseur bei ihrer Gefährtin Delila spielt. Dies war der Gipfel einer langen Kontroverse über die Schamlosigkeit von Frauen, die die Kleidung der Männer kopieren. Im Jahre 1620 drängte König Jakob den Klerus dazu, diese Angelegenheitin die Hand zu nehmen, und er wurde auch von Schriftstellern gehört: Hic Mulier wurde veröffentlicht und darin gegen die Vermännlichung von Frauen auf allen Gebieten gewettert.[15] Eineinhalb Jahrhunderte später ist man deswegen immer noch beunruhigt, und Louis-Sebastien Mercier schreibt in seinem Bild von Paris: »Die Kleidung einer Frau muß ein Geschlecht haben. Eine Frau muß von Kopf bis Fuß Frau sein.«
Verstöße gegen den gesellschaftlichen Rang sind gleichfalls verboten: Eine Fülle von Stichen unterscheidet ebenso deutlich die Bäuerin von der Bürgersfrau oder von der Aristokratin wie die Türkin von der Deutschen. Man fürchtet sich vor einer in Unordnung geratenen Gesellschaft. In diesem Sinne ist Mode Gewalt: Durch ihren Konformismus zwingt sie das Individuum, die von Gott - oder dem König - gewollte soziale Ordnung nicht zu stören. Sie ist Gewalt auch durch das Elitedenken, das sie voraussetzt: die »mouches« (Schönheitspflästerchen), mit denen sich die Damen im 17. Jahrhundert schmücken, sind ein System von Zeichen, eine Geheimsprache, die nur von den Eingeweihten verstanden werden kann, ein System, das diejenigen ausschließt, die nicht derselben Gesellschaftsschicht angehören. Und sie ist Gewalt durch ihren Luxus und ihre Verbindung mit der herrschenden Klasse. Seit dem 17. Jahrhundert entrüstet man sich auf Stichen über die Verschwendung von Mehl, um das Gesicht zu pudern: »Wegen deiner bemehlten Birne/verkauft man uns das Brot so teuer…«
Die Mode ist komplex: Als sichtbare Manifestation eines ganzen Bündels ökonomischer Interessen, religiöser und politischer Zwänge, sozialer und kultureller Beziehungen bestimmt sie nicht nur die Art und Weise, wie man sich kleidet, sondern auch die Gewohnheiten und das Verhalten. Sie verändert Emotionen und domestiziert Leidenschaften.
Ihren vollkommenen Ausdruck findet sie in der höfischen Gesellschaft, und die Herrschaft der Etikette ist ihre Vollendung. Diese Gesellschaft, in der »das Gesicht hinter einem gezwungenen Gesichtsausdruck verschwindet«,[16] wird von Bonnart in Die allgemeine Maskerade (Abb. 33) angeprangert, wo zwei merkwürdige strahlende Gestalten mit vielen Gesichtern zu sehen sind. Sie tragen Holzschuhe, aber ihre Kleidung setzt sich zusammen aus Beamtenroben, bürgerlichen und aristokratischen Gewändern; »die Zeit, die alles aufdeckt« nimmt ihnen die Masken ab. Dieser »ständige Karneval« zeigt die unzähligen starren und trügerischen, weiblichen und männlichen Masken, die in der Gesellschaft verwendet werden. Das Ideal der Aufklärung wird eine transparente, sichtbare Gesellschaft sein, eine Transparenz, die vielleicht nicht möglich ist.
Der Schein, aber auch das Wissen müssen gelernt werden. Ein Stich aus einem Buch (Abb. 34) veranschaulicht den Stand der weiblichen Erziehung am Ende des Ancien Regime: Die Jungen lernen lesen und schreiben, Geometrie und Kriegstechnik, die Mädchen nähen. Ob dieses Bild die zum Ausdruck kommende Ideologie kritisiert oder unterstützt, bleibt unklar.

Weibliche Auftritte

Insbesondere die anerkannten Malerinnen Artemisia Gentileschi und Clara Peeters (Abb. 35 und 36) verdeutlichen, mit welchen Mitteln die Gruppe der Macht- und Einflußlosen arbeitet: mit Gewalt und List. Judith und Holophernes (Abb. 35), ein Gemetzel in erotischer Stellung, mit blutiger Brutalität (die auf dem Farbgemälde noch viel drastischer wirkt), ist die beschwörende Darstellung einer Vergewaltigung. Artemisia, die Tochter eines angesehenen Malers und selbst Malerin, wurde das Opfer einer Vergewaltigung, auf die ein fünf Monate langer Prozeß folgte, der ihren Ruf beschädigte. Judith, mit der Artemisia sich identifiziert, ist das Gegenteil von Salome, sie ist die »gute«, die tugendhafte Kopfabschneiderin. Die gewaltsam ineinander verschlungenen Glieder zeigen mehrere Handlungen: eine Geburt - der Kopf des Holophernes kommt zwischen den Armen wie zwischen Schenkeln auf einem blutbefleckten Bett hervor, den Eingeweiden entrissen durch die »weisen Frauen«, eine Vergewaltigung - die Vergewaltigung eines Mannes durch zwei Frauen - und schließlich ein rituelles Opfer. Roland Barthes betont hier die jähe Umkehrung der Rollen und die Äußerung weiblicher Macht. Das ist sicherlich richtig, aber es geht vor allem um die Neutralisierung einer Gewalttat durch eine andere: Malerei als Exorzismus. Das Bild hat im übrigen zwar zahllose Kommentare hervorgerufen, aber in seiner Hommage im Jahre 1979 spricht Daniel Buren davon, daß es fast unmöglich ist, einen Zugang zu diesem Bild zu finden. Eine Deutung des Bildes »fehlt definitiv und ebenso grausam wie der Kopf dem Holophernes«.[17] Zuviel weibliche Gewalt?
Neben dieser blutigen Entfesselung der Leidenschaften steht ein ruhiges Stilleben, eine andere Welt, eine andere Lebensweise (Abb. 36).
Clara Peeters spielt eine große Rolle in der Geschichte des Stillebens. Eines von ihnen, das 1612 in Karlsruhe gemalt wurde, bleibt ihr Meisterwerk: Man findet in den Trinkbechern und Muscheln die zeitgenössische Vorliebe für die »Wunderkammern« wieder. Sammlungen von Kuriositäten, die vom Menschen oder von der Natur geschaffen wurden. Aber das größte Wunder, das für uns das Bild interessant macht, ist das Selbstporträt, das sich sieben Mal in den sieben Ovalen des Trinkbechers widerspiegelt. Auf den ersten Blick sieht: man ein prächtiges Stilleben, auf den zweiten Blick die ruhige Bestätigung der Malerin: »Ich bin da« scheinen die sieben winzigen Porträts zu sagen. dje einen Zentimeter hoch sind. Artemisia hat mit einer drastischen Darstellung von Gewalt ihren Namen bekannt gemacht, Clara Peeters durch die friedliche List ihrer Stilleben. Eine andere Form der Unabhängigkeit liegt im Lesen- und Schreibenkönnen. Zwei schreibende Frauen bieten zwei Perspektiven der gebildeten Frau (Abb. 37 und 38).
Die erste ist Lady Dacre, gemalt im Jahre 1555: strenges Gesicht, fest geschlossener Mund, abwesender Blick. Ihr Witwenstand wird durch die eindrucksvolle schwarze Masse signalisiert. Die Hände sind mit Schreiben beschäftigt. Über ihr bemerkt man ein Porträt ihres verstorbenen Mannes, das Holbein im Jahre 1540 gemalt hat. Sie kämpft gegen ein schweres Schicksal: Ihr Mann, angeklagt, an einem Aprilabend des Jahres 1541 einen seiner Wachmänner getötet zu haben, wurde im Juni desselben Jahres gehängt. Seitdem arbeitet sie an seiner Rehabilitierung, die sie 1558 erreicht. Es ist kein Zufall, daß sie als Schreibende dargestellt ist: Ihr Witwenstand verleiht ihr ungeteilte bürgerliche und juristische Persönlichkeitsrechte und erlaubt ihr, die gesamte Verantwortung zu übernehmen.
Auch die zweite Schreibende wird bewacht vom Porträt ihres Mannes, aber in Hauskleidung, in der Intimität einer Bibliothek, die gefüllt ist mit persönlichen Gegenständen, ein Bild des privaten Rückzugs, wie es für das 18. Jahrhundert typisch ist. Es handelt sich um die Gräfin Ulla von Tessin, die Frau des außerordentlichen schwedischen Botschafters in Frankreich, eines großen Sammlers französischer Kunst. Ulla ist dargestellt, wie sie an ihrem Buch Porträts berühmter Männer arbeitet, und das farbige Aquarell von Olaf Fridsberg zeigt eine andere Form der Beziehung zwischen Mann und Frau, die des intellektuellen und affektiven Einvernehmens. Zwei Jahrhunderte sind zwischen beiden Porträts vergangen, aber es ist immer noch das Bedürfnis (der männlichen Maler) vorhanden, die Frau unter dem Blick ihres Mannes zu zeigen.
Die Mystikerinnen stellen eine andere Form des Schreibens unter dem Blick eines anderen Herrn dar. Gegenüber der Immobilität der schreibenden Frauen haben wir hier die Inszenierung des von Ekstase erschütterten Körpers Hellender oder gebärender Frauen, die Augen geschlossen vor der inneren Vision oder zum Himmel erhoben. Der Körper erzählt das Unsagbare. Die Verbindung zum Göttlichen wird auf zwei Weisen hergestellt: einmal über den Umweg der kirchlichen Hierarchie und der Gesellschaft, über die Religion, und zum anderen über die mystische Erfahrung und die Unmittelbarkeit des göttlichen Worts, eine »Reaktion gegen die Aneignung der Wahrheit durch die Kleriker… Sie schätzt die Vernunft der Ungebildeten, die Erfahrung der Frauen, die Weisheit der Verrückten, das Schweigen des Kindes«.[18] Es entsteht ein Dialog der Liebe: »In Zukunft bist du für meine Ehre verantwortlich wie meine richtige Gemahlin. Meine Ehre ist auch deine, und deine ist auch meine«.[19] sagt Christus zu Theresa. »Wenn das die Liebe ist, kenne ich sie«, rief der Schriftsteller Charles des Brosses vor der Statue der heiligen Theresa von Bernini (Abb. 39) aus, womit er die spirituelle Wirklichkeit der Vision und ihren Einfluß auf das Leben Theresas verwischte. Denn diese Verwundung zwingt Theresa, zu handeln und zu schreiben, sie macht sie zu einem Ort der Konvergenz scheinbarer Widersprüche: mystisch und realistisch, kontemplativ und handelnd, weiblich und männlich. Der Körper dieser Frau, der einzigen Kirchengelehrten, spielte noch nach ihrem Tod eine Rolle als Reliquie, die einen »Hunger nach direkten Botschaften vom Himmel«[20] verrät.
Eine andere direkte Botschaft vom Himmel war ein seltsames Schauspiel, das sich zwischen 1728 und 1732 auf dem Pariser Friedhof von Saint-Medard abspielte (Abb. 40). Ausgangspunkt war die Bulle Unigenitus vom September 1713, die den Jansenismus verurteilte. Sie löste bei den Gläubigen dieser Pfarrgemeinde Proteste aus, die die Form von Wundern und Heilungen auf dem Grab des Diakons Francois de Paris annahmen, der 1727 gestorben war. Der Friedhof wurde zu einem Ort halb Krankenhaus, halb Theater, an dem die meisten Akteure Frauen aus dem Volk waren. Das Publikum wohnte dem körperlichen Zeugnis der Jungfer Louise Hardouin bei, die 1731 als erste öffentlich heilende Schüttelkrämpfe demonstrierte - mit »schrecklichen Schmerzen und so heftigen Bewegungen, daß die Zuschauer glaubten, ich hätte einen Anfall erlitten«. Die Antwort auf den Mangel, auf die Enteignung Gottes, auf die fehlende Unterstützung der Priester und der politischen Macht kann in ihrem gezeichneten Körper gelesen werden; er ist Träger des Zeugnisses, wie das Pergament Träger des Geschriebenen ist, ein Buch, in das sich die Gegenwart eines christlichen Gottes einträgt, der die Inkarnation gewählt hat, um seine Existenz zu bezeugen.
Auf der den Enteigneten und Ausgeschlossenen entgegengesetzten Seite stehen diejenigen, denen ihr Stand Macht verleiht: die Königinnen. Die beiden Bilder (Abb. 41 und 42) zeigen die zwei für königliche Darstellungen typischen Formen der Allegorie und Satire: zwei Königinnen, aber zwei Schicksale, zwei Länder, zwei Epochen, zwei Religionen, zwei völlig verschiedene Bilder. Elisabeth I, eine richtige Königin, ist in dem Land geboren, das sie regiert, und schafft ihre eigene Ikonographie: eine elitäre Malerei, die der Königin und ihrem Kreis vorbehalten ist. Marie-Antoinette, die königliche Gemahlin, ist dagegen eine Fremde, die zum Opfer der Ikonographie wird - ein sarkastischer Kupferstich, der durch alle Hände geht.
Das Gemälde von Hans Eworth (?) macht den Unterschied zwischen dem Blick des 16. Jahrhunderts und dem des 20. Jahrhunderts deutlich. Wir sehen darin eine Flucht, ausgelöst durch eine Erscheinung: Die Person im Zentrum - die einzige, die sich im Gegensatz zur allgemeinen Statik bewegt - entflieht. Die kultivierte Elite des 16. Jahrhunderts, für die dieses Gemälde bestimmt war, kannte dagegen die emblematische Sprache und das wirkliche Thema: das Urteil des Paris. Elisabeth erscheint als Ikone. Die ganze Szenerie mit den allgegenwärtigen Rosen und Wappen der Tudors dient ihrem Ruhm. Allein durch ihre Gegenwart und die Insignien der Macht (das Szepter, die  Krone und der Globus) schlägt sie die drei mächtigen Göttinnen in die Flucht. Die Königin übernimmt die Rolle des Paris, aber im Stehen. Sie ist Frau durch ihre Erscheinung, aber Mann durch ihre Rolle. Als Königin und Jungfrau scheint Elisabeth ein anderes Wesen zu sein als die gewöhnlichen Sterblichen.
Dem Olymp der Götter steht der Schweinestall gegenüber, der jungfräulichen Königin das hybride Tier des französischen Königspaars. Die Karikatur Die beiden sind eins (Abb. 42) zeigt Ludwig XVI. als »Hausschwein«, das seiner Herrin Marie-Antoinette folgt, einer weiblichen Hyäne, aus deren Kopf Schlangen wachsen. Auch wenn die Bildunterschrift beide in diesem hybriden Monstrum gleichsetzt, das ohnmächtig ist aufgrund seiner entgegengesetzten Ausrichtung und Doppelköpfigkeit, ist die Aussage nicht unparteiisch. Ludwig XVI. wird nur seine Passivität vorgeworfen, seine Unfähigkeit, er ist nicht gefährlich. Die Karikatur betont dagegen die Boshaftigkeit seiner Frau, die als drei Göttinnen Frau, Königin und Fremde die bevorzugte Zielscheibe bleibt und deren Attribute die übliche Litanei der weiblichen Fehler veranschaulichen Geilheit und unersättliche Sexualität durch die Hörner, die sie Ludwig XVI. aufsetzt, Stolz und Eitelkeit durch die Pfauenfedern (auch eine Anspielung auf die unsinnigen Frisuren der Epoche?). Sie ist blutrünstig durch ihren Hyänenkörper, ein fleischfressendes Tier, das sich von Aas ernährt (die an ihrem Elend Gestorbenen, die aufgrund ihres Luxus Hunger leiden). Sie ist todbringend durch ihre Schlangenhaare, »jedes ein Phallus«,[21] die sie zur Medusa machen, deren Schicksal sie teilen
sollte: die Enthauptung.
Eine andere Kategorie von Frauen wird ebenfalls in Tiergestalt dargestellt: die Hexen. Ihre Rolle in Mythos und Geschichte erklärt die Masse der bildlichen Darstellungen. Sie erreichen jedes Publikum, überschwemmen alle Länder und alle Epochen, auch wenn die Hexenjagd nicht praktiziert wurde. Goya ist ein typisches Beispiel für diese Vormacht des Mythos. Als die Geschichte den Mythos einholt, erreicht der Umfang der Ikonographie seinen Höhepunkt. Der in dem berühmten Discovery of Witches von Matthew Hopkins im Jahre 1647 veröffentlichte Stich (Abb. 43) zeigt den berühmten Witch Finder Generali (wie er sich selbst nannte), der gerade zwei Hexen verhört: eine ebenso wörtlich genommene Illustration des Berichts zweier alter Frauen wie das Porträt der schönen Charite von der Beschreibung ihres Liebhabers. Wir sehen Elizabeth Clark, eine alte einbeinige Bettlerin, die von ihren imps (Inkarnationen der Teufel) spricht, Bilder des Hybriden und Unvollkommenen. Die andere Alte gibt ihren imps »Namen, die kein Sterblicher erfinden könnte«, laut Matthew Hopkins. Die englischen Hexen sind meistens von einer mehr oder weniger extravaganten Fauna begleitet; auf deutschen und französischen Stichen wird die Frau häufig selbst zum Tier. Hier sitzen die beiden Alten in einem Zimmer, womit sie sich in der statischen Position der Frauen und in ihrem gewohnten Raum befinden, wohingegen die Domäne der Hexen  in den Randbezirken der Heide, der unbestimmten Orte angesiedelt ist, wo sie meist umherwandern. Eine charakteristische Umkehrung. Die traditionellen Objekte der weiblichen Rolle sind ihrer Funktion entfremdet: der Besen dient dazu, den häuslichen Raum zu verlassen, die Heilsalbe wird zu einem Balsam, der die Dämonen anzieht, im Kessel werden Föten gekocht und teuflische Suppen gebraut. Es ist die von den Frauen erzeugte verkehrte Welt. Aber es ist nicht beim Symbol geblieben: Hunderte von Frauen haben mit ihrem Leben für die Unordnung bezahlt, die sie angeblich gestiftet hatten.
Einer Hexe ähnlich führt die berühmte Dulle Griet von Brueghel (Abb. 44) in die Welt des Krieges ein. Durch eine Höllenlandschaft, eine alchimistische Szenerie wie von Hieronymus Bosch, geht eine riesige Frau, einen Kessel auf dem Kopf, das Schwert nach vorne gerichtet, einen eisernen Handschuh an der linken Hand, eine goldene Truhe unter der Achsel, den Arm beladen mit Kesseln und Körben, gefüllt mit einer lächerlichen Beute, die Augen starr, nicht achtend auf die Einordnung um sie herum, nimmt sie - nicht zuletzt aufgrund der Größe und der starken Farben ihrer Kleidung - einen zentralen Platz im Bild ein.
Ist sie »die Rasende, die mit dem Schwert in der Hand in die Hölle geht«, eine Art Don Quijote der Gier, eine Präfiguration der Mutter Courage oder ganz einfach die Beschwörung des unversöhnlichen Krieges, der alles zermalmt auf seinem Wege? Hinter der bösen oder unglücklichen Margot triumphiert eine kleine, weißgekleidete Gestalt, die gute Margarete (die heilige Margarete von Antiochia) über den Teufel, den sie an ein Kissen fesselt, umgeben von kleinen Frauen, die hartnäckig gegen eine Bande dämonischer Geister kämpfen. Eine mit Frauen bevölkerte Szene, in der das männliche Element nur in Form infernalischer oder allegorischer Personen erscheint. Erkennt Brueghel hier nicht die guten und die schlechten Seiten der Frauen? Die Allegorie ist vielleicht ambivalenter, als es scheint. Ist sie gut? Ist sie schlecht? »Die Dulle Griet von Brueghel symbolisiert diesen Einbruch der Gewalt der Frau in das kollektive Bewußtsein des krisengeschüttelten Europa im 16. Jahrhundert.«[22]
Die Federzeichnung Landsknecht und Mädchen von Urs Graf (Abb. 45) ist das realistischste Bild dieses Kapitels, ein dem Leben abgelauschtes Zeugnis, wie die Zeichnungen Callots, eine Skizze, die von keiner moralisierenden Absicht, keiner Symbolik, keiner Propaganda verzerrt wird. Urs Graf ist ein privilegierter Zeuge des Soldatenlebens. Seine junge Dirne, Börse und Dolch am Rock befestigt, gehört zu den zahllosen Vagabundinnen, die der Krieg hervorbringt, die sich dem Heer anschließen, meistens als Soldatenmädchen, und offen an Schlachten, Raub- und Beutezügen teilnehmen.
Auch bei Aufständen treten Frauen in der Öffentlichkeit auf. Die bekanntesten Revolten sind die Getreiderevolten, andere sind religiös - vor allem im 16. Jahrhundert - oder politisch motiviert. Die Zeichnung von Cranach, ungefähr auf das Jahr 1537 datiert (Abb. 46), ist ein Entwurf für eine Flugschrift zugunsten der Reformation. Bürgersfrauen und Bäuerinnen, junge und alte Frauen, greifen Mönche und Pfarrer mit Dreschflegeln und Gabeln an. Der Gegenstand ihrer Aggressivität ist nicht verwunderlich: Die Kleriker sind für die Lutheraner eine bevorzugte Zielscheibe und für die Frauen jahrhundertealte Feinde, weil sie von ihnen als Quelle allen Übels, als wandelnde Sünde und ständige Versuchung betrachtet werden. Auch wenn man weiß, wie sehr die Grausamkeit der Frauen Cranach faszinierte, ist dieser männliche Appell an die weibliche Gewalt erstaunlich in einer Zeit, in der Text und Bild diese unisono anprangern.
Um dem Aufruhr Vorschub zu leisten und ihn unter die Leute zu bringen, hat eine junge englische Propagandistin (Abb. 47) ihre Überzeugungen an ihr Mieder geheftet. Sie beherrscht das Bild durch ihre Zeugungen an ihr Mieder geheftet. Sie beherrscht das Bild durch ihre Stellung und ihre Größe. Sie wird begleitet von zwei Frauen, die Flugschriften an die Gefangenen verteilen und sie den Soldaten aufzudrängen versuchen, sowie von einem kleinen Mädchen mit einer Suffragettenpuppe; sie fordern die Befreiung von Wilkes, einem Freund Diderots und D'Holbachs, der 1768 wegen seiner progressiven Ideen verurteilt wurde. Diese weibliche Intervention in der Politik findet statt in London, vor einem Gefängnis, zwanzig Jahre vor der Französischen Revolution.
Boilly zeigt uns in Der Triumph Marazs (Abb. 48) den Höhepunkt der »guten« Revolution, an der Frauen teilnehmen. Die Szene ereignet sich am 24. April 1793. Wir sehen den Freund des Volkes, der im Triumph zum Konventsaal gebracht wird. Ein spontanes revolutionäres Fest vor seiner Kodifizierung als bürgerliches Fest. Unter all den Personen, die Marat zujubeln, irritiert uns ein Gesicht, das einzige, das zum Zuschauer gerichtet ist, eine ambivalente Gestalt mit einer Sans-Culotten-Mütze und revolutionärer Kokarde: eine junge Frau, die als Mann verkleidet ist, oder ein junger Mann mit einem weiblichen Gesicht? Ist es Boilly, wie ein Vergleich mit anderen Porträts glauben macht
oder jst es Theroigne de Mericourt, wie die Tradition es will? Boilly, wegen seiner republikanischen Gefühle von einem eifersüchtigen Rivalen angegriffen, skizzierte dieses Bild, um seine Verleumder zu beschämen, und vollendete es im Jahre 1794. Sollte der Maler einer in Ungnade gefallenen Heldin die Ehre erwiesen haben, die dieser Episode genauso wenig wie er beiwohnte? Wäre er nicht eher versucht gewesen, sich selbst zu zeigen? Wie dem auch sei, es ist der Augenblick, in dem die Revolution für die Frauen umkippt: Drei Monate später wird Marat von einem »weiblichen Judas« ermordet, und das Dekret vom November 1793, das die Frauenklubs und -gesellschaften verbietet, sollte das weibliche Wort für lange Zeit zum Ersticken bringen.
Der Vergleich des Bildes von Boilly mit dem von Füssli (Abb. 49) macht die Grundfrage am Ende des 18. Jahrhunderts deutlich: die Teilnahme am öffentlichen Leben oder die Entlassung in das Schweigen. Das Schweigen ist das Verstummen. Wenn man weiß, daß Füssli gewöhnlich von Locken und Wellen fasziniert war, wenn man sich die Leichtigkeit und Beweglichkeit seiner Shakespeareschen Heldinnen vor Augen führt und an seine Vorliebe für den Gesichtsausdruck denkt, ermißt man den Umfang des Kummers, den er dieser Frau geben wollte, indem er alle diese Attribute wegließ: sitzend, das Gesicht versteckt und mit hängenden Schultern, bietet sie sich unseren Augen frontal dar. Das Individuum ist allein in einer Haltung der völligen Verlassenheit, zurückgezogen aus dem öffentlichen Leben, auf sein Innerstes konzentriert. Hundert Jahre später stellt Edvard Munch seine Gestalten in der gleichen frontalen Haltung dar, um der Angst vor der Welt Ausdruck zu verleihen. Wir verstehen jetzt, am Ende dieses ikonographischen Überblicks, daß Frauen auf diesen Bildern einige konstante Eigenschaften zugeschrieben werden, trotz unterschiedlicher Lesarten der Bilder und unterschiedlicher Zuordnungen von Bedeutungen durch die Bildunterschriften. Bemerkenswert ist vor allen Dingen die Dichotomie des Frauenbildes: Engel-Teufel, Göttin-Tier, Leben-Tod, Eva-Maria, immer wird die Frau an den Extremen angesiedelt, als ob eine mittlere, »normale« Position ihr verweigert würde. Bestimmte Themen bleiben konstant und allgegenwärtig - die Verbindung zwischen der Frau und dem Mond, der Streit um die Hose, der Mann mit der Spindel, das Urteil des Paris, die Frau ohne Kopf (von neolithischen Statuetten bis hin zum letzten Bild Duchamps oder zu La jemine 100 tetes von Ernst zeigen die Männer beharrlich Frauen ohne Kopf), die Hysterie des weiblichen Körpers. Und schließlich das wichtige Verbot der Übertretung der Geschlechterrolle: Gefährlich sind diejenigen Frauen, die das Wort ergreifen, die Kleidung und die Attribute des Mannes anlegen und die Welt auf den Kopf stellen. Die Privilegien der Frau haben sich gegen sie gewandt: Ihre stimmungsabhängigen Sichtweisen der Welt, das Erfülltsein von der Erwartung eines Kindes und ihre lebensspendende Fähigkeit haben aus ihr ein Objekt/Subjekt der Angst gemacht und an ihrer Denkfähigkeit zweifeln lassen, was zu ihrem Ausschluß aus allen Gebieten der ratio führte.
Eine Kunstwissenschaftlerin unter Historikerinnen und Historikern...
Ihre Perspektive kann nicht ohne Auswirkungen auf die erzielten Ergebnisse bleiben: Bilder, die die Geschichtswissenschaft im allgemeinen begeistern, finden wenig Wertschätzung, während andere hervorgehoben werden.[23] War die Auswahl der Bilder nicht allzu subjektiv? Aus welcher unbewußten Appetitlosigkeit heraus fehlt die Küche, der Ort weiblicher Macht par excellence? Die den Bildern verliehene Priorität, der Wille, immer wieder auf sie zurückzukommen, zwingt die Leserin / den Leser zu einem ständigen Hin und Her. Die Gewöhnung an diskursive Texte und intellektuelle Verknüpfungen paßt schlecht zur Unmittelbarkeit der visuellen Beziehungen zwischen Bildern. Dieser Tribut war an das Primat der Bilder zu entrichten.
Am Ende dieses visuellen Spaziergangs mit zahlreichen und zu knapp beschriebenen Ausblicken möchte ich mit Caillois sagen, wie sehr »ich immer mehr die unentschuldbare Flüchtigkeit des Schlußkapitels bedaure. Diese zu gewagten Seiten können den Leser höchstens zum Träumen verleiten, ihm bestenfalls als Ausgangspunkt für eigene Überlegungen dienen (...) Ich tröste mich, so gut es geht, indem ich mir den Versuch eines Philosophen über »die Fruchtbarkeit des Ungenügenden in Erinnerung rufe.«[24]

Aus dem Französischen von Roswitha Schmid

Hinweis der online-Redaktion: Die in diesem Artikel besprochenen Bilder finden Sie in der anschließenden Bildertafel...