Markt, Plan, informeller Sektor:

ordnungspolitische Alternativen

Wirtschaftsreform — die verlorene Utopie?*

(* Ursprünglich erschienen in: »Kommune«, Nr. 5, Mai 1985. Der Abdruck erfolgt mit
freundlicher Genehmigung der »Kommune«-Redaktion.)

Wege zur Rekonstruktion ordnungspolitischer Alternativen

Wirtschaftspolitik hat stets zwei Seiten: das anvisierte ökonomische Ziel und die Strategie der politischen Durchsetzung. Es mutet als selbstverständlich an, daß die politische Zielrichtung, also die ordnungspolitische Struktur des gewünschten ökonomischen Systems, als erstes bestimmt werden müßte. Gleichwohl scheint es zu einem Markenzeichen wirtschaftspolitischer Reformdiskussionen im Umfeld der Grünen geworden zu sein, die gewünschte ordnungspolitische Struktur auszuklammern und statt dessen Einzelziele (Arbeitszeitverkürzung, Umweltschutz und ähnliches) isoliert und ohne Systembezug, dafür aber mit allen strategischen Finessen zu diskutieren.
Kurzfristig mag eine solche paradoxe Haltung durch gewieften Pragmatismus zu übertünchen sein. Langfristig wird freilich jede »alternative« Wirtschaftspolitik ohne positive Utopie, sprich: ohne ordnungspolitisches Konzept der Wirtschaftsreform, scheitern müssen.
Wir werden dieses wirtschaftspolitische Desaster grüner Politik im folgenden auf zwei Wegen deutlich zu machen versuchen: indem wir erstens einige gängige Reformstrategien an ihrem ordnungspolitischen Anspruch messen und zweitens zeigen, daß das Problem weniger in den falschen Antworten liegt als vielmehr darin, daß nicht einmal die richtigen Fragen gestellt werden. Wir werden uns dabei nicht scheuen, einige Erkenntnisse der vielgeschmähten bürgerlichen Ökonomie zum Beleg unserer Thesen heranzuziehen. Abschließend soll anhand einiger Kernprobleme andiskutiert werden, inwieweit ein ordnungspolitischer Gegenentwurf — das Modell einer Marktwirtschaft mit arbeiterselbstverwalteten Unternehmen — geeignet wäre, Auswege aus dem Dilemma alternativer Wirtschaftspolitik zu weisen.

Die alten Utopien sind tot!

Bis zum Ende der 70er Jahre schien die radikale Auseinandersetzung mit der »kapitalistischen Marktwirtschaft« ein leichtes Geschäft, konnte doch die wohlbegründete Kritik stets mit der Forderung nach der »Vergesellschaftung« aller Lebensbereiche untermauert werden, wobei Vergesellschaftung — natürlich — analytisch feinsinnig von der »Verstaatlichung« getrennt wurde. Betrachtet man freilich die wirtschaftspolitische Substanz jener Vorschläge, so war das eben doch nicht mehr als die Überführung in Staatseigentum, mit »direkter demokratischer Kontrolle« durch »Wirtschafts- und Sozialräte« zwar, aber ohne Spezifikation der Leitungs- und Kontrollrechte oder etwa der gesamtgesellschaftlichen Vernetzung solcher Räte. Was also hinter dem basisdemokratischen Nebel blieb, war der Staat als Ziel und Instrument der Wirtschaftsreform.
Unabhängig von solchen semantischen Übungen konnte die Verstaatlichung allerdings für so manchen schon mit Blick auf den realen Sozialismus keine so rechte Utopie darstellen. Auch hierzulande war es dann keineswegs nur die konservative Staatskritik, die dem Sozialstaat seine bürokratische und anonyme Leistungserstellung, ja die »Entmündigung des Bürgers« vorwarf.[1] Nicht zuletzt bestanden Zweifel, ob basisdemokratische, partizipative Lebens- und Wirtschaftsstile nicht in unauflösbarem Widerspruch zu jeder Art zentralgelenktem Staatsgebilde stehen.
Dennoch, eine handfeste Analyse, die sich um das analytische Rüstzeug zur Beurteilung ordnungspolitischer Gegenentwürfe mühte, blieb aus. So waren der Staat und die bekannten Strategien der »Vergesellschaftung« vielfach mehr instinktiv denn rational diskreditiert, während der Gegenpol, der kapitalistische Markt, in bester marxistischer Tradition von vorneherein ausgeschlossen wurde. Es konnte nicht verwundern, daß im Sog dieses konzeptionellen Vakuums wirtschaftspolitische Diskussionen zur Domäne konservativer, bestenfalls keynesianischer Politikempfehlungen wurden.

»Dualwirtschaft« als ordnungspolitische Option?

Spannend wurde es erst wieder, seit sich eine alternative ökonomische Theoriebildung in kreativer Vielfalt mühte, nicht nur Strategien mit prozeßpolitischer Zielsetzung zu entwerfen, sondern gleichzeitig damit auch ordnungspolitische Reformkompetenz anzumelden. Es sei nämlich — so lautet eine erste Variante — ein Beweis typischer ökonomistischer Blindheit, das Feld möglicher Wirtschaftsformen auf die bipolare Weltsicht »Markt versus Staat« zu reduzieren. Neben Markt und Staat gebe es »dritte Formen« des Wirtschaftens, die auf direkter Kooperation zwischen Produzenten und Konsumenten beruhen, ohne über den Marktmechanismus oder staatliche Regulierung vermittelt zu sein. Als Schwerpunkte einer solchen, von den regulären Tauschprozessen abgekoppelten Ökonomie werden gemeinhin Eigenarbeit, Selbsthilfegruppen, Nachbarschaftshilfe und auch alternative Betriebe genannt. Systemsprengende Qualitäten sollen diese Wirtschaftsstile durch die ihnen eigenen Prinzipien der Bedarfsorientierung einerseits und der selbstbestimmten Arbeitsorganisation bei nicht-entfremdeten Arbeitsinhalten andererseits entfalten.
Nun ist sicherlich unbestritten, daß die ökonomische Analyse bislang wenig Energie auf die Beschreibung und Erforschung von bedarfsorientierten Selbsthilfeaktivitäten und von Selbstversorgungsformen privater Haushalte verwendet hat.[2] So scheinen die überwiegend von Frauen in Hausarbeit produzierten Dienstleistungen der Haushaltsführung, Kindererziehung und sozialen Reproduktion, die ex definitione dem informellen Sektor zugehörig sind, des abends von manchem Wissenschaftler gerne konsumiert zu werden, ohne daß sie tagsüber als relevante Formen wirtschaftlicher Bedürfnisbefriedigung begriffen werden.
Die Identifikation und Analyse solch dualwirtschaftlichen Wirkens ist also durchaus begrüßenswert. Freilich sagt dies noch nichts über die ordnungspolitische Sprengkraft einer solchen »Schattenwirtschaft« aus. Denn schon im Kern der Idee stecken manche Fallstricke. Alternative Betriebe wissen von der — ihren Interessen entgegengerichteten — Dynamik des Markts und dem schleichenden Transformationsdruck stets dann ein Lied zu singen, wenn sie — zumeist potentere — Nachahmer aus dem privatkapitalistischen Lager gefunden haben. Marktnischen werden nur da erhalten bleiben, wo entweder die alternativen Produktionskosten auf Dauer unter dem gesellschaftlichen Durchschnitt bleiben (beispielsweise durch langfristige Akzeptanz der Selbstausbeutung und/oder staatliche Transfers) oder aber sich die Abnehmer über nicht-marktliche Faktoren (beispielsweise Solidarität statt Preis- und Qualitätsvergleiche) an die Betriebe gebunden fühlen.
Offensichtlich sind schon damit Größe und Spielraum des »autonomen« Sektors begrenzt. Mehr noch: Statt daß sich die Keimzellen nichtkapitalistischer Wirtschaftsformen wie Ölflecken auf dem kapitalistischen Brackwasser ausbreiten — wie es noch der konservative Ökonom Ludwig von Mises 1929 befürchtete —, scheint das Gegenteil der Realität näherzukommen: indem nämlich die erwerbswirtschaftliche Dynamik zäh und unnachgiebig bedarfswirtschaftliche Wirtschaftsstile in ihre Schranken weist. Als ordnungspolitisches Leitbild oder gar strategischen Ansatzpunkt zur Wirtschaftsreform griffe mithin die Option der Dualwirtschaft viel zu kurz. Bestenfalls würde die Gesellschaft in zwei Lager gespalten: die einen im traditionellen Sektor machen die (fremdbestimmte, entfremdete und hochgradig spezialisierte) Drecksarbeit, während die anderen im autonomen Sektor mehr oder weniger erfolgreich um ihre Persönlichkeitsentfaltung ringen oder eben — bei sinkender gesamtwirtschaftlicher Prosperität — ringen müssen, als »drop-outs« des formellen Systems.
Macht man sich darüber hinaus an die vorurteilsfreie Überprüfung der These der »selbstbestimmten« und »nicht-entfremdeten« Arbeit — und bleibt beim bereits erwähnten Beispiel der Hausarbeit —, so ist diese doch gerade durch die traditionelle geschlechtliche Rollen- und Arbeitsteilung strukturiert, womit aber in einer patriarchalischen Gesellschaft die proklamierte Selbstbestimmung der (Haus-)Frau nur zu einer leeren Phrase wird. Auch Nachbarschaftshilfe und Selbsthilfegruppen erscheinen angesichts dieser These durchaus ambivalent: Einerseits vermögen die dort geleisteten Tätigkeiten sicherlich ureigene Qualitäten wie nicht-entfremdete Arbeit, Erfüllung sozialer Kontaktbedürfnisse und ähnliches aufzuweisen, andererseits werden viele Formen der Selbsthilfe schlichtweg durch marktlich oder staatlich verursachte Deprivation aufgezwungen. Derartige Selbsthilfe und Zwangsarbeit ist dann eben nicht mehr freiwillig; sie hat Zwangscharakter, weil es an anderweitigen Subsistenzmitteln mangelt. Die Hoffnung auf Selbstbestimmung und Autonomie dualwirtschaftlichen Wirkens gerät so letztlich gefährlich ins Wanken.

Mit dem »garantierten Mindesteinkommen« zur befreiten Arbeit?

Nun wurde der nur begrenzte Spielraum eines autonomen Sektors auch von seinen Protagonisten schnell erkannt. Sollte der systemtranszendie-rende Anspruch nicht aufgegeben werden, galt es mithin, die ökonomische Basis, sprich das Einkommensniveau der im Schatten von Staat und Markt Wirkenden, zu verbessern. Spontan — oder besser: in bester sozialdemokratischer Tradition — schien sich da der Staat mit seinem Umverteilungsapparat anzubieten. Ein staatlich garantiertes Mindesteinkommen (etwa in Form einer negativen Einkommensteuer oder einer Staatsbürgerrente) »würde vielen Alternativprojekten weiterhelfen, ein humaneres Innenverhältnis und ein ökonomisch stabileres Außenverhältnis zu entwickeln, da es verringerten Anpassungsdruck an die Marktgesetze bedeuten würde«.[3] Es würde »insofern einen wichtigen Beitrag leisten, als die in den chronisch finanzschwachen Alternativprojekten Arbeitenden mit weniger Lohn auskämen«.[4]
Es soll hier keineswegs der sozialpolitische und emanzipatorische Gehalt des garantierten Mindesteinkommens denunziert werden. Jedoch seine Befürworter sehen weit mehr im Kern dieses Konzeptes verborgen. Das garantierte Mindesteinkommen würde — so wird proklamiert — »einen bedeutsamen kulturellen Umbruchprozeß einläuten: es würde Unternehmer, Gewerkschaften und Staat als ideelle Sinngebungsinstanzen verabschieden«,[5] ja sogar die »Bedürfnislogik« gegen die »Produktionslogik« zur Geltung bringen [6] und schließlich: »den Sozialstaat aufheben.«[7] Fürwahr, starker Tobak, der da auf einen staatlichen Sozialtransfer gemünzt wird.
Es blieb ironischerweise zuerst Peter Glotz vorbehalten, den ordnungspolitischen Anspruch des garantierten Mindesteinkommens zu demontieren.[8] Denn die »Bedürfnislogik« der Eigenarbeit, Selbsthilfegruppen und alternativen Betriebe soll gerade dadurch über die kapitalistische Produktionslogik triumphieren, daß sie eben aus deren Wertschöpfung alimentiert wird. Der Teil der Gesellschaft, der die verbleibende Maloche im formellen Sektor erledigt, wird dafür per Steuer bestraft (nach Opielka bei der Einkommensteuer gar mit einem Anfangssteuersatz von 50 Prozent — gegenwärtig sind es 22 Prozent!),[9] während der andere Teil der garantierten Muße nachgehen darf. Reformpraktisch gewendet, entzöge sich diese Strategie mit zunehmendem Erfolg ihre eigene Grundlage, da ja dann mit immer weniger Lohnarbeit immer mehr Nicht-Lohnarbeit finanziert werden müßte — was natürlich weiter steigende Steuersätze und damit sicherlich noch weniger Motivation zur Erwerbsarbeit provozieren würde usw.[10] Sieht man von dieser praktischen, aber nichtsdestoweniger fatalen Konsequenz einer solchen Strategie der »Wirtschaftsreform« ab, so »bleibt die simple Vorstellung von Dualwirtschaft, die den formellen Sektor zwar finanziell melken, ansonsten aber ebensowenig antasten will wie die traditionelle Arbeitsteilung«.[11]

Der »ordnungspolitische Ausstieg«

Es nimmt nicht wunder, daß angesichts solch schillernder Wege so mancher lieber eindeutige Lösungen vorziehen würde. Das Sindelfinger Wirtschaftsprogramm der Grünen fordert lapidar den »teilweisen Abbau und den Umbau unseres Industriesystems«[12] mit dem Ziel, »eine soziale, ökologische und basisdemokratische Wirtschaft«[13] zu schaffen. Nun, dieser Zielformulierung wird so keine politische Partei dieses Landes widersprechen. Wie also konkretisiert sich der Umbau des Systems, welche Eigentumsformen, welche Steuerungsverfahren und welche Verteilungsprinzipien konstituieren die neue Wirtschaftsordnung? Statt der Lösung bieten die Autoren die freie Auswahl:[14] »Ohne die Steuerungsfunktionen des Marktes gänzlich ausschalten zu wollen oder auch nur zu können, sollen die schädlichen Wirkungen des Marktes ausgeschaltet werden.« Dennoch: »Grund und Boden, Naturschätze, Produktionsmittel und Banken sollen in neue gesellschaftliche Formen des Eigentums überführt werden.« Gesamtgesellschaftliche Interessen werden durch »Wirtschafts- und Sozialräte« vertreten. Eine Konkretisierung dieser Gedanken verbietet sich von selbst, schließlich können »Modelle und Alternativen freier, nicht-staatlicher, sondern selbstverwalteter Verfügungsrechte nur von den Betroffenen selbst entwickelt werden.« V. Hayeks Idee der freien gesellschaftlichen Evolution, die gewerkschaftlichen Planungshoffnungen auf »Wirtschaftsund Sozialräte«, sozialdemokratischer Steuerungsoptimismus, sozialistische Vergesellschaftungsforderungen — wem ist es vorher schon gelungen, so viele widersprüchliche Konzepte als ein Programm zu verkaufen? Einen neuen programmatischen Anlauf versuchte unlängst Reinhard Pfriem, der im letzten Schritt seines »ökologischen Dreisprungs« zur Perspektive des »ordnungspolitischen Ausstiegs«[15] zu gelangen hofft. Sein dritter Weg »jenseits der Systemfrage von Kapitalismus und Sozialismus« verläuft entlang der folgenden Handlungsebenen: 1. ökologischer Umbau der gesellschaftlichen Produktion, 2. ökologische Arbeitspolitik, 3. Arbeitsumverteilung, 4. gesellschaftliche Würdigung der Nichterwerbsarbeit, 5. soziale Mindestsicherung und 6. Veränderung der Informations- und Entscheidungsbasis des Wirtschaftens. Auf der Zielebene vermag diese Aufzählung vielleicht eine mehrheitsfähige Schnittmenge vergangener Diskussionen abzubilden, nur: Ordnungspolitik heißt doch, jene institutionellen Elemente und Verfahren zu identifizieren, von deren Zusammenwirken in einem Wirtschaftssystem wir uns eben diese Ergebnisse erwünschten![16] Nur zu häufig scheint hier noch jenes imaginäre Wunschbild zu wirken, man brauchte nur die nötige »gesellschaftliche Macht« zu erringen, dann würde sich das erträumte Utopia schon von selbst einstellen.
Was bringt es aber, soziale, emanzipatorische und ökologische Normen stets von neuem blumig zu formulieren, ohne sich an die Strukturen heranzutasten, bei denen solche Normen gesellschaftliche Realität werden könnten? Was hilft schließlich das Beschwören einer »ökologischen Ethik«, wenn wir wissen, daß gesellschaftliche Werte nicht vom Himmel fallen, sondern sich nur in einem bestimmten institutionellen Rahmen entfalten können? Nichts gegen eine breite Diskussion über normative Zielfindung, aber eine »Perspektive des ordnungspolitischen Ausstiegs« vermag man so nicht zu finden. Da kann der »ökologische Dreisprung« nur mit einer Bauchlandung enden!

Was bleibt? Ein Neueinstieg in die ordnungspolitische Debatte

Wir wollen nicht überheblich sein. Eine Wirtschaftspolitik, die nach neuen Wegen jenseits der ausgetrampelten Pfade sucht, kann stets nur Ergebnis eines mühsamen Suchprozesses sein. Trotzdem, es fällt auf, daß viele Diskussionsbeiträge genau an dem Punkt aufhören, wo es erst richtig spannend wird. Nehmen wir beispielsweise die Forderung nach dem »ökologischen Umbau der Produktion« — und schließen aus, daß die menschlichen Bedürfnisse von einer fernen grünen Volksregierung für jeden einzelnen vorgeschrieben werden —, wer bestimmt denn dann, was ökologisch sinnvoll ist, wer entscheidet über Produktion und Konsumtion, welche verbindlichen ökonomischen Regeln werden festgelegt? Antworten darauf gibt es viele, doch wenn nicht einmal die Fragen gestellt werden, muß jede Diskussion möglicher »Wirtschaftsreformen« in den Anfängen steckenbleiben!
Auf der Suche nach möglichen Organisationsprinzipien der gesellschaftlichen Produktion von Gütern und Dienstleistungen erscheint es also notwendig, einige vergessene bzw. ausgeblendete Fragestellungen zu rekonstruieren. Und hier kann uns die vielgescholtene bürgerliche Ökonomie, genauer gesagt die Allokationstheorie (Theorie der bestmöglichen Verteilung begrenzter Mittel auf verschiedene Verwendungszwecke), ein gutes Stück weiterhelfen. Denn ein, wenn nicht sogar das zentrale Problem (auch alternativer) ordnungspolitischer Konzeptionen resultiert aus der Knappheit der vorhandenen Ressourcen; nur in der Fiktion einer (z.B. kommunistischen) Überflußgesellschaft bedarf es keines Ausschlusses von konkurrierenden Ansprüchen und Wünschen durch einen selektiven Steuerungsmechanismus. Dieses Schlaraffenland ist aber eben fiktiv, unsere relativ unbegrenzten Bedürfnisse werden sich immer mit den, gerade auch aus ökologischen Gründen, begrenzten Möglichkeiten zur Güterproduktion stoßen und damit das Knappheitsproblem auf Dauer virulent halten.
Wir brauchen also einen Mechanismus, der unsere Bedürfnisse mit den vorhandenen Ressourcen abstimmt (»Knappheitsproblem«) und der darüber hinaus die Koordinationsleistungen übernimmt, die in einer arbeitsteiligen Gesellschaft mit einer Vielzahl von Wirtschaftssubjekten notwendig werden (»Koordinationsproblem«). Derartige Steuerungsmechanismen sind immer nötig, wenn auf der einen Seite die ökonomischen Entscheidungen der Individuen wechselseitig voneinander abhängig sind und andererseits die Frage beantwortet werden muß, wie die knappen Ressourcen, über die eine Gesellschaft verfügt, optimal genutzt und auf konkurrierende Zwecke verteilt werden sollen.
Die Wahl eines bestimmten Steuerungsmechanismus ist aber nicht allein nach ökonomischen Optimalitätskriterien zu bestimmen, sondern eine politische Frage. Nur ein Allokationsverfahren, das mit unseren politischen Wertvorstellungen

  • - Selbstbestimmung der Beteiligten,
  • - Sicherung der ökologischen Basis,
  • - sozialpolitischer Schutz und Ausgleich

kompatibel ist, kann ein angemessenes Organisationsprinzip für unsere Utopie sein. Wenn wir sagen, daß die Wahl eines bestimmten Steuerungsprinzips politisch determiniert ist, heißt das auch, daß wir ein instrumen-telles Verhältnis zu den unterschiedlichen Steuerungsprinzipien haben. A priori ist keines von ihnen (auch der Markt nicht) diskreditiert, ihre Brauchbarkeit bestimmt sich allein danach, ob sie den genannten Kriterien genügen. Das Kriterium der ökonomischen Optimalität ist allerdings bis jetzt nur in den Grundzügen benannt und bedarf ob dieser Unscharfe einer weiteren Präzisierung.

Was muß ein Wirtschaftssystem leisten?

Das Knappheits- und Koordinationsproblem hat zwei zentrale Ausprägungen: zum einen geht es darum, aus den verfügbaren, das heißt durch die gesellschaftlichen Wertvorstellungen (siehe oben) bereits begrenzten Ressourcen [17] ein Maximum an Gütermengen zu erstellen, zum anderen muß die Struktur des Güterangebots den Bedürfnissen der Nachfrager entsprechen. Dazu müssen folgende Fragen beantwortet werden:[18]

  • - Wie erhalten wir (wahre) Informationen über die Präferenzen der Nachfrager in bezug auf bestimmte Güter?
  • - Wie verteilen wir unsere vorhandenen Ressourcen auf die einzelnen Produktionseinheiten, um die (präferenzorientierte) Bereitstellung der Güter zu gewährleisten
  • - Wie entscheiden wir, welche Produktionstechnologie eingesetzt werden soll?
  • - Wie soll das Anreizsystem ausgestaltet sein, um die Individuen zu einem Verhalten zu motivieren, das die gesamtwirtschaftliche Wohlfahrt erhöht?
  • - Wie erreichen wir eine Konsistenz der interdependenten Wirtschaftspläne der unterschiedlichen Wirtschaftssubjekte, da diese Pläne ja simultan realisiert werden müssen (das Koordinatonsproblem im engeren Sinne), bei gleichzeitiger Unübersehbarkeit des gesamten volkswirtschaftlichen Prozesses für das einzelne Wirtschaftssubjekt?

Die oben gestellten Fragen sind eher statischer Natur, zusätzlich muß in dynamischer Sicht eine optimale Anpassungs- und Veränderungsfähigkeit sichergestellt werden; dies in Hinblick auf

  • - die Anpassung der Produktion an sich ändernde Präferenzen,
  • - die Entdeckung und Anwendung neuer, produktivitätssteigernder und ressourcensparender Technologien.

Die unterschiedlichen Organisationsprinzipien, mit denen wir unsere Güterproduktion regulieren wollen, sind also zum einen nach ihrer Steuerungskapazität (in statischer und dynamischer Sicht) zu beurteilen: Was leisten sie hinsichtlich der Abstimmung von Ressourcen und Bedürfnissen, was bei der Koordinierung der Wirtschaftspläne und was bei der ökonomisch optimalen Ausnutzung des Ressourcenschatzes? Darüber hinaus stellt sich die Frage nach ihrer Informationskapazität, die dann optimal ist, wenn das Wissen und die Informationen, die die einzelnen Individuen über wirtschaftliche Tatbestände haben, möglichst ohne Informationsverluste der gesamten Gesellschaft zur Verfügung gestellt werden.
Eng verbunden damit ist die Kontrollkapazität des Steuerungssystems, es sollen Rückkopplungsprozesse initiiert werden, um Fehlsteuerungen zu revidieren. Und wie sieht es als letztes mit ihrer Anreizkompatibilität aus: reichen die Motivationsressourcen (verstanden als externe Belohnungen oder Sanktionen, die aus den Entscheidungen des Wirtschaftssubjektes resultieren) aus, um die Individuen zu einem gewünschten Tun oder Unterlassen anzuregen, wobei dieses gewünschte Verhalten sowohl auf der Ebene realer Leistungserstellung als auch auf der der Weitergabe wahrheitsgemäßer Informationen angesiedelt sein kann?
Dies ist nur ein Teil — freilich ein sehr wesentlicher — der Ansprüche, die ein jedes Wirtschaftssystem erfüllen muß. Das Spektrum der Lösungsalternativen ist vielfältig und reicht weit über die Dichotomie Plan/Markt hinaus. Die Aufteilung von Ressourcen kann erfolgen durch [19] Märkte mit Preissystemen, durch politische Abstimmungs(Wahl-)prozesse, durch Versteigerungen, durch Verhandlungen bzw. Vereinbarungen; wir kennen — das heißt nicht befürworten — die Allokation durch Autoritäten, gesetzliche Anordnungen oder Diktatoren, Allokation durch Gewalt, Betrug oder Täuschung, aber auch Allokation durch Sitte oder Normen.
Entscheidend für die Auswahl des gewünschten ökonomischen Ordnungsprinzips ist freilich nicht nur die Leistungsfähigkeit in bezug auf die genannten Ansprüche, entscheidend ist genauso — wie gezeigt — die Kompatibilität mit gesellschaftlichen Wertvorstellungen. Beide Kriterien zusammen ergeben das Raster, an dem jede Wirtschaftsordnung ihre Tauglichkeit beweisen muß. Auf der Suche nach Antworten kann es hier nur darum gehen, ein paar grobe Argumentationslinien nachzuziehen. Wir beschränken uns zunächst auf die beiden polaren Fälle: dezentrale Vereinbarung in kleinen Kollektiven (wir nennen den so organisierten Bereich »informeller Sektor«) und durchrationalisierte, zentralstaatliche Festlegung (Plan) auf der Basis politischer Abstimmungsprozesse, um uns dann in einem weiteren Schritt der Instanz zuzuwenden, die zwischen diesen Polen liegt und von den Linken als Steuerungsprinzip wenig beachtet und viel geschmäht wird: dem preisgesteuerten Marktsystem.

Der informelle Sektor: fein, aber zu klein

Die Produktion erfolgt in kleinen Kollektiven und ist auf der Basis der individuellen Präferenzen der (freiwilligen) Mitglieder auf Gebrauchswerte ausgerichtet, sie soll primär der eigenen Bedarfsdeckung dienen. Daher sind Prototypen für eine derartige Produktionsform Selbsthilfegruppen oder Nachbarschaftshilfe,[20] die nicht von vorneherein oder ausschließlich für andere, sondern für ihre eigenen, unmittelbaren Bedürfnisse produzieren. Dementsprechend zählen beispielsweise selbstverwaltete Betriebe der Alternativökonomie, die eindeutig mit Marktausrichtung produzieren, nicht dazu. Sie unterscheiden sich von »normalen« Betrieben vor allem durch ihre interne Struktur, sind ansonsten aber in das Marktsystem integriert.
Das Steuerungsprinzip in diesem Sektor ist das der Vereinbarung oder des rationalen Diskurses, die dahinterliegende Handlungsmotivation speist sich aus den Quellen Solidarität, Altruismus, Liebe oder Zuneigung, schließt damit aber keinesfalls eigennützige Motive aus. Per Vereinbarung wird auf der Basis artikulierter Präferenzen entschieden, welche Güter und Dienstleistungen produziert werden sollen, in welchen Mengen und Qualitäten, welche Produktionsverfahren angewandt werden sollen usw. Die Artikulation und Abstimmung der individuellen Bedürfnisse erfolgt in für alle Beteiligten offenen Diskussionsprozessen, die einmal getroffenen kollektiven Entscheidungen sind in direkter sozialer Interaktion leicht zu kontrollieren und — bei Bedarf — zu sanktionieren. Ist die Zahl der Gruppenmitglieder nicht zu hoch, wird ein solcher Abstimmungsmodus auch mühelos in der Lage sein, sich ändernde Bedürfnisse zu berücksichtigen. Dadurch, daß die Gruppenmitglieder direkt sowohl mit ihren Aufwendungen als auch Erträgen (den produzierten Gütern und Dienstleistungen, aber auch Zusatznutzen durch die Art und Weise der gemeinschaftlichen Produktion selbst) konfrontiert werden, wird eine bedürfnisadäquate Produktionsweise und Produktionsausrichtung garantiert. Gleichzeitig werden so relativ hohe Anreize zum Experimentieren und zur Innovationsbereitschaft geschaffen.
Das Anreizsystem besteht hier also aus einer Mischung von sozialer Belohnung und Kontrolle einerseits und direkten Anreizen durch eine nicht-entfremdete Produktionsweise andererseits. Auf jeden Fall, so scheint es, wird das Selbstbestimmungsrecht der Beteiligten in einem solchen Steuerungsmechanismus auf glänzende Weise respektiert. Das stimmt freilich nur soweit, wie die in dem jeweiligen Kollektiv zur Geltung kommenden gesellschaftlichen Normen die Selbstbestimmung einzelner Gruppenmitglieder nicht von vorneherein beschneiden. So mag die Hausarbeit in der Kleinfamilie nicht-entfremdet sein, deshalb muß die Hausfrau ihren Arbeitsplatz aber noch lange nicht frei (das heißt bei Abwesenheit von sozialem Zwang) gewählt haben. Vor einer Idealisierung dieses Wirtschaftsstils ist also zu warnen.
Bei zunehmender Gruppengröße wird die Leistungsfähigkeit des Anreizsystems aber abnehmen.[21] Denn kollektivintern muß sichergestellt werden, daß »Trittbrettfahren« nicht möglich ist: wer an dem Gruppenoutput teilhaben will, muß sich auch an der Leistungserstellung beteiligen. Die Ausbeutung der Gruppe durch einzelne wird bei größeren Kollektiven immer schwerer erkennbar und sanktionierbar, denn sowie der direkte soziale Kontakt unterbrochen wird, bestehen kaum Chancen, derartiges »free-rider«-Verhalten im Gruppeninteresse zu korrigieren. Der Informationsaufwand für den einzelnen wäre groß, der individuelle Nutzen aber nur klein. Nicht zuletzt werden mit zunehmender Kollektivgröße der Aufwand für die Koordination aller Mitglieder sowie Dauer und Intensität des Konsensfindungsprozesses steil ansteigen. Will das Kollektiv trotzdem leistungsfähig bleiben, bedarf es (wenn überhaupt möglich) hoher »sozialer Kompetenz«, die Spielregeln des direkten sozialen Diskurses durchzuhalten — nicht zufällig leiden also viele Kollektive an einem Mittelschicht- oder Akademikerüberhang.
Aber selbst wenn wir unterstellen, diese Probleme ließen sich lösen, so kann ein solcher Steuerungsmechanismus nur bei einem Teil der individuellen Bedürfnisbefriedigung Anwendung finden. Wenn wir von der diffusen Fiktion autarker Kommunen ä la Bahro abgehen, in der alle notwendigen Güter und Dienstleistungen durch das Kollektiv erstellt werden, verlassen wir eben auch den Bereich der Bedarfsdeckungswirtschaft und wechseln über in die arbeitsteilige Welt. Bei zunehmender Größe gesellschaftlicher Systeme führt aber schon die Vernetzung aller Kleingruppen zu einer Kommunikationsdichte, die nur durch mehrstufige Systeme der Interessendelegation bewältigt werden könnte. Die Überschaubarkeit und mit ihr die direkte soziale Interaktion und Kontrolle gingen verloren, ökonomische Planung würde mehr und mehr von den Produktionskollektiven und den individuellen Präferenzen abgekoppelt — der Übergang zu einem (demokratisch legitimierten) System zentraler Planung wäre fließend. Wählt man diesen Weg zur Organisation einer arbeitsteiligen Wirtschaft, würde das bedarfswirtschaftliche Prinzip durch die Planvorgaben übergeordneter Instanzen notwendigerweise zerrüttet!
Wir sehen also, daß dort, wo eine Vernetzung der einzelnen Kollektive notwendig wird, unser Organisationsmechanismus sich entweder wandelt — oder eben versagt. Denn ohne Rekurs auf andere Abstimmungsverfah-ren vermögen »Vereinbarung« und »Solidarität« keine Anreizmechanismen darzustellen, die Ressourcen gemäß den Präferenzen auf unterschiedliche Kollektive zu verteilen und so die Produktion zu steuern, die wünschenswerte /'/rterkollektive Diffusion von Neuerungen unterbleibt, es gibt keine Koordinationsinstanz, um die Wirtschaftspläne unterschiedlicher Kollektive konsistent zu regulieren. Fehlsteuerungen, die mehrere Kollektive betreffen, werden nicht automatisch korrigiert. Was für das eine Kollektiv wünschenswert ist, kann für die anderen negative Folgen haben — der typische Fall externer Effekte. Wie werden z.B. in den ökologisch sensiblen Bereichen solche externen Effekte verhindert — reicht dazu die Hoffnung auf das ökologisch richtige Bewußtsein aller Kollektive oder brauchen wir einen Internalisierungs- (und das heißt immer auch Koordinierungs- und Abstimmungs-)prozeß, der über den Horizont der versprengten autonomen Kollektive hinausgehen muß?[22]
Das Steuerungsprinzip Vereinbarung bleibt damit auf die Binnenorganisation von Kollektiven oder bestenfalls auf kleine Gruppen von Kollektiven beschränkt. Von daher kann der informelle Sektor in einer arbeitsteiligen Gesellschaft immer nur komplementäre Funktionen übernehmen, in ihm können die Güter und Dienstleistungen erstellt werden, für deren Produktion die Kollektivmitglieder Ressourcen und Dispositionsfreiheit haben — der typische Fall der gemeinschaftlichen Eigenarbeit. Diese Eigenarbeit reicht aber nicht aus, um die eigene Reproduktion zu sichern, sie kann sie nur ergänzen. Selbstredend sind die Kollektive dann auch nicht in der Lage, für den sozialpolitischen Schutz ihrer Mitglieder zu sorgen. Dafür ist immer eine Fremdversorgung notwendig — entweder generell, indem die Subsistenz durch Fremdarbeit (sei sie markt- oder plangesteuert) gesichert wird, sei es, daß übrigbleibende Risiken (Unfall etc.) durch übergeordnete Körperschaften (Staat, Versicherungen) abgefedert werden müssen.
So wünschenswert das den informellen Sektor steuernde Organisationsprrinzip also auch sein mag, so eng begrenzt ist doch seine Reichweite. Wenn diesem Sektor an sich die Priorität zugewiesen werden sollte und daher der Ausbau soweit wie möglich zu forcieren ist (beispielsweise durch die flankierende Maßnahme Arbeitszeitverkürzung), wenn also so viele unserer Produktionsnotwendigkeiten wie möglich dort zu plazieren sind, so sollte doch nie seine Untauglichkeit zu einer gesamtwirtschaftlichen Steuerung aus den Augen verloren werden.

Durch die »sichtbare Hand des Staates« zu mehr Glück?

In sozialistischer Tradition würde es sich jetzt anbieten, den gesellschaftlichen Bereich außerhalb des informellen Sektors durch direkte staatliche Planungen zu steuern. Dabei scheint mit der Forderung nach staatlicher Wirtschaftsplanung häufig die Erwartung verbunden zu sein, daß die angestrebten gesellschaftlichen Ziele tatsächlich auch mit hoher Sicherheit, ja fast mühelos, erreicht werden könnten. Kaum jemals scheint bewußt zu werden, daß ein solcher Planungsoptimismus genau in der Technikgläubigkeit wurzelt, die auch die Natur vollständig durch den Menschen beherrschbar sieht. Denn ökologische Kreisläufe und soziale Systeme sind in ihren Strukturmerkmalen durchaus vergleichbar: bei beiden handelt es sich um »organisiert-komplexe Phänomene« (v. Hayek), deren unzählige Variablen alle in systematischer Weise miteinander verbunden sind, wobei sich diese Zusammenhänge freilich in Raum und Zeit ändern (»lernende Systeme«). Schon daraus wird deutlich, daß jede Planung von Einzelgrößen mit ungeplanten Zielabweichungen an den Rändern des Steuerungsfeldes und mit systematischen Rückkoppelungseffekten auf das Steuerungsziel selbst rechnen muß.
Die Wirtschaftsplanung läßt sich grundsätzlich in vier Einzelschritte zerlegen:[23]
1. Die Planungsinstanz muß sich die notwendigen Informationen über die Planungssubjekte (individuelle Präferenzen) und über die verfügbaren Ressourcen (Produktionsfaktoren, Stand der Technik) besorgen. Da dieses gesellschaftliche Wissen dezentral über alle Menschen verteilt ist, müssen Mechanismen der Informationsgewinnung durch die Zentrale institutionalisiert werden. Diese setzen — bei mangelnden dezentralen Anreizsystemen zur Informationssuche und -bereitstellung — eine weitgehende soziale Transparenz (»gläserner Bürger«) oder gar die Anwendung von Zwang voraus. Die zunehmende gesellschaftliche Differenzierung und stetiger sozialer Wandel werden den notwendigen Informationsbedarf dabei fortlaufend erhöhen. Selbst bei der gegenwärtigen Entwicklung der Infor-mations- und Kommunikationstechniken wird deshalb eine zentrale Planung mit Verlusten an (vorhandenem) gesellschaftlichem Wissen und Problemlösungspotenzen erkauft werden müssen — ganz abgesehen davon, daß eine zentrale Informationssammlung in ihren sozialen Konsequenzen politisch unerwünscht wäre.
2. Die Grenzen des Planungsprozesses selber zeigen sich bereits bei der Festsetzung der Planungsziele. So läßt sich rein logisch die Unmöglichkeit nachweisen, individuelle Präferenzen zu einer konsistenten gesellschaftlichen Präferenzskala zu aggregieren.24 Die demokratische Legitimation der Planziele leidet nicht zuletzt darunter, daß die Frage des Minderheitenschutzes ungeklärt ist. Schließlich werden die Ausführungsorgane des Planes (»Planungsbürokratie«) infolge notwendiger Informationsvorsprünge ein systematisches Eigengewicht gewinnen, das ihnen gesellschaftlich unkontrollierbare Machtspielräume eröffnet.
3. Die Erfüllung der Planziele muß durch Rückkoppelungs- und Kontrollmechanismen überwacht werden. Da für die Individuen und Betriebe keine funktionierenden äußeren Anreizmechanismen (Gewinne)25 und in nur geringem Ausmaß innere Anreize (das berühmte »Bewußtsein«) zur Planerfüllung bestehen, andererseits bei der Detailplanung aber Handlungsspielräume auf der Mikroebene kaum zu verhindern sind, muß es zu Planabweichungen kommen. Beispielsweise werden die planungsrelevanten Daten, die die Zentrale von den Unternehmen erhält, im Interesse der Betriebe stets so formuliert sein, daß spätere Planziele leicht zu erfüllen sind und die wirklichen Kapazitäten nicht voll ausgeschöpft werden. Zwangsläufig muß so die Arbeitsproduktivität zurückbleiben. Zudem ist es für die Betriebsleitung nur rational, alle Faktoren, die eine Planerfüllung gefährden könnten, auszuschließen: dies gilt vor allem für technologische Innovationen, deren betriebliche Kosten und Erträge nie exakt im voraus planbar sind. Die Orientierung an den formulierten Planzielen verführt die Betriebe schließlich dazu, den Plan zwar zahlenmäßig (etwa der Menge nach) zu erfüllen, ohne aber die Qualität oder die Sortimentsstruktur konstant zu halten.
4. Der stetige gesellschaftliche Wandel und Änderungen exogener Daten (Ausland, Wetter und ähnliches) machen permanente Plananpassungen notwendig. Die Komplexität der Planaufstellung und das notwendige demokratische Abstimmungsverfahren lassen Korrekturen zwangsläufig nur in größeren Abständen zu. Innovationen schließlich, die per definitionem neues gesellschaftliches Wissen darstellen, lassen sich logischerweise nicht oder nur sehr begrenzt planen. Soweit nicht durch individuelle Anreizmechanismen Suchprozesse angeregt werden, ist eine systematische Innovationsschwäche geplanter Wirtschaftssysteme notwendige Konsequenz.
In der Gesamtschau machen wir mithin zwei fundamentale Schwächen der zentralen Wirtschaftsplanung aus.
Gesellschaftspolitische Defizite: Zentrale Lenkung bedeutet zentrale Informationsbeschaffung und -Verarbeitung. Dies verlangt weitgehende soziale Transparenz oder auch staatlichen Zwang. Zudem verschafft es der Zentrale eine gesellschaftliche Machtposition, die jeden demokratischen (Kontroll-)Anspruch ad absurdum führt. Nicht zuletzt ist in einer geplanten Gesellschaft jede Ebene des gesellschaftlichen Lebens mit streng hierarchisch organisierten Planungs-, Ausführungs- und Kontrollinstanzen durchsetzt.
Wirtschaftliche Ineffizienz: Durch Informationsverluste, unvollkommene Planvorgaben und -kontrollen, die mangelnde Anpassungsflexibilität und schließlich die grundlegende Innovationsschwäche können jedwede wirtschaftliche Ziele nur mit unverhältnismäßig hohem Aufwand erreicht werden. Fehlende Anreize zur Planerfüllung werden sich sowohl in überhöhten Produktionsinputs als auch in einer falschen Outputstruktur und -qualität niederschlagen. Dies führt zwangsläufig zur Verschwendung auch ökologischer Ressourcen.                                                        

Die unsichtbare Hand des Marktes: ein Ausweg?

So mancher Anhänger sozialdemokratischer oder auch sozialistischer Provenienz sucht dem Dilemma zentraler Planung zu entrinnen, indem er die Verlagerung staatlicher Macht auf die kleinsten föderalen Einheiten, die Kommunen, fordert. Unzweifelhaft könnte damit in einigen Bereichen die Steuerungskompetenz des Staates erhöht werden. Nur wäre dies noch lange keine »dezentrale Planung«. Denn die Idee der Dezentralität ist stets untrennbar mit der unmittelbaren Selbstbestimmung individuellen sozialen und wirtschaftlichen Handelns verbunden — freilich mit der Einschränkung, daß individuelle Autonomie dort ihre Grenze findet, wo die Rechte anderer Personen verletzt werden. Dezentrale Planung verlang dann, alle individuellen Handlungen nach Maßgabe der Bedürfnisse so zu koordinieren, daß gesamtgesellschaftlich die maximal mögliche (materielle und immaterielle) Wohlfahrt erreicht wird.
Würde die Gesellschaft nur die Größe einer kleinen, überschaubaren Gruppe haben, so wäre dieses Koordinationsproblem — wie gezeigt — leicht zu lösen. Auf gesellschaftlicher Ebene benötigen wir aber Abstimmungsverfahren, die über den Bereich der individuellen sozialen Erfahrungswelt hinausgehen und zugleich eine »anonyme« Steuerung ermöglichen. Der bislang einzig bekannte Steuerungsmechanismus dieser Art ist der Markt. Idealtypisch betrachtet scheint sein Funktionsprinzip der Anreizstruktur bei kollektiver Produktion (»informeller Sektor«) nachgebildet, wobei anstelle der sozialen Anreize — die bei größeren Gruppen ihre Kraft verlieren — monetäre Anreize treten: jedes Individuum, das zwischen mehreren (wirtschaftlichen) Handlungsmöglichkeiten zu entscheiden hat, wird sich für die vorteilhafteste Alternative entscheiden. Der Markt ist nun genau der institutionelle Mechanismus, der diese individuelle Handlungslogik zur gesellschaftlichen Koordiniation nutzt.
Durch die Existenz von Marktpreisen werden die Produzenten informiert, wie, was und für wen sie produzieren sollen; wenn sie diesem Knappheitsindikator folgen (oder auch nicht), werden sie über Gewinn und Verlust positiv oder negativ sanktioniert. Der Markt als interkollektives Koordinationsinstrument setzt also positive Einkommensanreize für den Produzenten, der Güter anbietet, nach denen ein besonders dringlicher gesellschaftlicher Bedarf besteht (Nachfrageüberschuß = Preisanstieg = Gewinn). Umgekehrt wird der Anbieter, der am gesellschaftlichen Bedarf vorbeiproduziert, bestraft (Angebotsüberschuß = Preisverfall = Verlust).
Besteht also hinreichender Wettbewerb, so werden die Gewinne und Verluste den Produktionsoutput so lenken, daß sich Angebot und Nachfrage selbst bei starkem wirtschaftlichem und sozialem Wandel langfristig ausgleichen. Marktpreise fungieren mithin als Knappheitsindikatoren, die nicht nur den jeweiligen gesellschaftlichen Bedarf anzeigen, sondern gleichzeitig genau das individuelle Verhalten prämieren, welches gesellschaftliche Bedarfslücken zu füllen sucht. Darüber hinaus schaffen sie Anreize, da nach innovativen Gütern und Dienstleistungen zu suchen, wo die gegebene Produktpalette die gesellschaftliche Nachfrage nicht (oder nur zu hohen Preisen) befriedigen kann.
In seiner idealtypischen Version scheint der Markt mithin als gesellschaftlicher Steuerungsmechanismus im Vergleich zur zentralen Planung gewichtige Leistungsvorteile aufzuweisen:

  • - die weitgehende Nutzung dezentraler Information, die vermittels der Preise als Knappheitssignale gleichzeitig allen Marktteilnehmern zur Verfügung gestellt wird;
  • - gegenüber zentralen Planungsinstanzen ist dezentrale Lenkung machtarm, da ökonomische Machtpositionen jederzeit potentiellem Wettbewerb und damit der Erosion unterworfen sind;
  • - wirtschaftliche Effizienz: es existieren Anreizmechanismen, die individuelles Handeln und gesellschaftlichen Bedarf miteinander verknüpfen, gleichzeitig garantiert der Wettbewerb einen möglichst verschwendungsfreien Umgang mit Ressourcen;
  • - der Markt als Selbststeuerungsmechanismus besitzt eine hohe Anpassungsflexibilität und
  • - schließlich regen individuelle Anreize innovatives Verhalten an.

Der Markt — ein großes gefräßiges Ungeheuer?

Idealtypische Bilder sind freilich immer von der realen Leistungsfähigkeit zu trennen. Wenn wir dennoch den Markt als idealtypischen Planungsmechanismus hervorheben, so deshalb, weil uns die dahinter stehende Ordnungsidee als viel zu plausibel erscheint, um sie — wie üblich — in pauschaler Kritik untergehen zu lassen. Trotzdem: sind wir nicht täglich mit Problemlagen konfrontiert, die dem Marktmechanismus anzulasten sind? Die Massenarbeitslosigkeit, die Arbeitsbedingungen in den Unternehmen, die systematisch erzeugte Ungleichverteilung von Einkommen und Vermögen, politische und soziale Folgen ökonomischer Machtkonzentration, das in Marktwirtschaften produzierte ökologische Desaster, die betriebliche Fremdbestimmung — ist das nicht alle untrennbar mit diesem Steuerungsmechanismus verbunden?
Wir meinen nicht. Die bekannten Fehlsteuerungen sind typische Ergebnisse gegenwärtiger kapitalistischer Marktwirtschaften, keineswegs aber ist damit der Markt als Steuerungsinstrument an sich diskreditiert. Dies ist freilich eine These, die es zu belegen gilt.
Es ist offensichtlich, daß das spezifisch »Kapitalistische« an westlichen Marktwirtschaften das private Eigentum an Produktionsmitteln bzw. die damit verbundene Verfügungsgewalt ausmacht. Mit einer solchen ordnungsrechtlichen Ausgestaltung werden aber zwangsläufig die oben benannten Eigenschaften des Marktes als Steuerungsmechanismus verfälscht. Denn private Unternehmen mit hierarchischer Entscheidungsstruktur, bei denen die Unternehmensleitung die Arbeitsbedingungen einerseits und die Verteilung der Gewinne und Lohneinkommen andererseits festlegt, stehen im diametralen Widerspruch zum Postulat »machtarmer« Wirtschaftsstrukturen. Zudem sind funktionsfähige Mechanismen, die die Macht des Arbeitgebers über Wettbewerbsprozesse begrenzen könnten, ausgeschlossen: Erstens, weil Arbeitnehmern nur die Wahl zwischen kapitalistischen Unternehmen offensteht und sie damit auf spezifische Arbeitsbedingungen und Lohnhöhen festgelegt sind. Eine materielle Wahlmöglichkeit wäre nur dann gegeben, wenn alternative Unternehmensformen, etwa arbeiterselbstverwaltete Betriebe, zur Auswahl stünden. Das zur Gründung von Unternehmen notwendige Kapital steht Arbeitnehmern aber schon deshalb nicht zur Verfügung, weil ihnen normalerweise der Zugang zu den Kapitalmärkten verschlossen ist (das sogenannte »human capital« wird wegen fehlender und sicherer Zugriffsmöglichkeiten im Gegensatz beispielsweise zu Sachkapital nicht beliehen). Das kapitalistische Unternehmen hat deshalb in bezug auf Technikwahl, Arbeitsbedingungen und Gewinn-/Lohnrelation eine monopolistische Machtposition inne.[26]
Der Charakter dieser monopolistischen Machtposition ist durch die fehlenden Wahlmöglichkeiten des Arbeitsangebotes aber nur zum ersten Teil beschrieben. Denn versuchen die Arbeitnehmer dem Diktat kapitalistischer Arbeitsbedingungen und Einkommensverhältnisse auszuweichen — sei es durch passive Verweigerung oder aktive, organisierte Gegenwehr —, so steht dem Arbeitgeber jederzeit die Wahl kapitalintensiverer Produktionstechniken offen. Jede erkämpfte Anpassung an die Präferenzen der Arbeitnehmer kann so mit Entlassung beantwortet werden: Arbeitslosigkeit wird zu einem Disziplinierungsinstrument, das das Arbeitsangebot unnachgiebig auf kapitalistische Verhältnisse verpflichtet. Unter kapitalistischen Eigentumsrechten ist damit nicht nur die Konkurrenz auf dem Kapitalmarkt beschränkt, sondern gleichzeitig wird das Privateigentum an Produktionsmitteln zur notwendigen Quelle von Arbeitslosigkeit und der damit verbundenen Schwäche und Unterlegenheit der Anbieter von Arbeitskraft.[27]
Wir kommen zu dem vielleicht paradox anmutenden Schluß, daß bei instrumentellem Verständnis des Marktes (im Sinne der entwickelten Anspruchskriterien) dieser seine Funktionsfähigkeit erst mit der Konstituierung neuer Eigentumsformen gewinnen kann. Welche Gestalt eine solcherart geänderte Eigentumsverfassung annehmen müßte, sei hier nur angedeutet. Betrachtet man Eigentum als ein Bündel von Verfügungsrechten (Rechte der Eigentumsnutzung, -Veräußerung und der Gewinnentnahme), so verlangt das Prinzip der dezentralen Koordination (insbesondere in be-zug auf die Anreizstruktur), daß zumindest das Schwergewicht der Verfügungsrechte nach wie vor auf den Betrieb verteilt ist, freilich nicht mehr auf einen oder wenige Kapitaleigentümer, sondern auf die Belegschaft selbst (»arbeiterselbstverwaltete Unternehmen«). Über die Art der Aufteilung der Verfügungsrechte existieren unterschiedliche Modelle, die hinsichtlich ihrer Effizienz und partizipativen Struktur zu diskutieren wären. Wir würden — ohne dies hier weiter auszuführen — das Modell von Ota Sik [28] bevorzugen: An den Mitarbeiterunternehmen bestehen keine individuellen Eigentumsrechte. Das sogenannte neutralisierte Kapital befindet sich unteilbar und ohne Veräußerungsrecht im Eigentum der Belegschaft. Das Einkommen der Mitarbeiter setzt sich aus festen Lohneinkommen einerseits und — je nach Markterfolg des Unternehmens — variablen Gewinneinkommen andererseits zusammen.
Es sei unbestritten, daß damit die Anreizstruktur des Marktes gelockert würde, Effizienzverluste können die Folge sein. Freilich schreckt dies nicht, wenn von vorneherein anerkannt ist, daß zwischen ökonomischen und gesellschaftlichen Anspruchskriterien notwendigerweise Zielkonflikte bestehen, etwa zwischen ökonomischer Effizienz auf der einen und Partizipation, humanen Arbeitsbedingungen und gerechter Einkommensverteilung auf der anderen Seite. Mit der arbeiterselbstverwalteten Unternehmung ist dann aber eine Institution geschaffen, in der solche Gegensätze von den Betroffenen selber [29] und — bei Existenz von Abwanderungsmöglichkeiten zu anderen Betrieben mit alternativen Einkommens-/Technikkombinationen — nach Maßgabe ihrer Präferenzen entschieden werden können.

Ökologie und Markt — gar grausend wenden wir uns ab?

Nun sind mit dieser institutionellen Reform des kapitalistischen Marktes beileibe nicht alle bekannten Facetten marktwirtschaftlicher Fehlentwicklungen aufgelöst. Tatsächlich würde die autonomen Selbstregulierung auch eines Marktes mit arbeiterselbstverwalteten Betrieben zu einer Reihe von Fehlsteuerungen führen, die durch externe, das heißt staatliche Eingriffe reguliert werden müßten.
Denn daß das marktwirtschaftliche System regulierender staatlicher Eingriffe bedarf, ist evident — nur radikale Markttheoretiker bürgerlicher Proveninez [30] oder anarcho-kapitalistische Idealisten [31] trauen dem Markt alles — allerdings nur Positives — zu. Freilich sind wir der Ansicht, daß staatliche Interventionen stets so erfolgen müssen (und können!), daß der marktwirtschaftliche. Steuerungsmechanismus funktionsfähig bleibt. Es würde den vorgegebenen Rahmen sprengen, dies für alle Bereiche marktwirtschaftlicher Fehlentwicklungen (konjunkturelle Krisen, Konzentrationen etc.) belegen zu wollen. Statt dessen wollen wir exemplarisch ein Problemfeld herausgreifen, für das — gerade im grünen Umfeld — die These des Marktversagens längst zum Allgemeingut geworden zu sein scheint, nämlich: »Die Natur taugt nicht zur Vermarktung.«[32]
Der Bock wird zum Gärtner gemacht, so schallt es einem entgegen, wenn man den Vorschlag unterbreitet, vielleicht doch, zumindestens teilweise, den Marktmechanismus zu nutzen, um eine Umweltschutzpolitik zu realisieren, die sowohl ökologisch sicher als auch ökonomisch effizient sein soll.[3] Die Häme gegenüber diesem Vorschlag ist groß, die fachliche Kompetenz, die hinter der Kritik steht, leider oft gering. Es entsteht der Eindruck,[34] daß einige der Kritiker derartiger marktbezogener Umweltschutzkonzepte entweder physisch nicht in der Lage waren, zu lesen (z.B. Brille verlegt, gerade im Urlaub, Literatur war nicht zu beschaffen etc.) oder psychisch nicht verstehen wollten, was sie lasen, da ihnen der Frevel, die göttliche Ressource Umwelt im Rahmen des profanen Marktmechanismus zu steuern, wohl doch zu groß erschien.
Das dahinter stehende Bild ist klar: die Steuerungsgröße Profit führt dazu, daß all das, was umsonst zu haben ist, auch bis zur Neige ausgebeutet wird. Eben; all das, was kostenlos angeeignet werden kann. Sobald aber die Rahmenbedingungen so gesetzt werden, daß für die Nutzung der Umwelt ein Preis zu entrichten ist, wird es zu einer Regulierung des Ge-oder Verbrauchs kommen. Es müssen also Rahmenbedingungen gesetzt werden: aus sich selbst heraus ist der Marktmechanismus nur dann in der Lage, eine optimale Allokation (und das heißt auch: Sicherung der ökologischen Basis) zu gewährleisten, wenn eine entsprechende — staatlicherseits vorzunehmende — Spezifizierung der Eigentumsrechte vorliegt. Dahinter steht die These, daß nur die, die die Ressourcen besitzen und damit auch an den Erträgen beteiligt sind, ein ausreichendes Interesse haben, sie schonend zu nutzen. Eine derartige Zuweisung von Eigentumsrechten und damit auch die marktliche Selbstregulierung scheitert bei der Ressource Umwelt,[35] der Markt bedarf einer weitergehenden staatlichen Regulierung.
Von daher ist auch das Gerede um eine marktwirtschaftliche Umweltpolitik dann fehl am Platze, wenn es beispielsweise um Umweltabgaben oder Umweltlizenzen geht. Denn hier wird bestenfalls versucht, durch Setzung entsprechender Rahmenbedingungen marktanaloge Prozesse zu initiieren. Man benutzt das Steuerungsmedium Preis, um eine kostengünstige Allokation der Ressource Umwelt zu erreichen: die Preise selbst jedoch sind immer politisch gesetzt. Das heißt, auf politischer Ebene wird entschieden, welche Qualität die Umwelt haben soll. Und erst dann stellt sich die Frage, welche Instrumente eingesetzt werden sollen, um diesen Standard zu erreichen. Wenn wir solch gravierende Fehlentwicklungen wie jetzt in der Umweltpolitik beobachten, ist also die Einbruchstelle nicht der Markt, sondern der Staat.[36]
Wie können Preise jedoch die Nutzung der Ressource Umwelt lenken? Wer die Ressource Umwelt nutzt, soll dafür zahlen. So etwa bei einer Abwasserabgabe: Für die Einleitung von Abwasser ist eine Abgabe zu entrichten. Mit der Höhe dieses Preises konfrontiert, wird der Betrieb überlegen, ob es für ihn kostengünstiger ist, die Abgabe zu entrichten oder ob sich Kostenvorteile realisieren lassen, wenn die Abwässer von ihm gereinigt werden bzw. Produktionstechnologien benutzt werden, die Abwässer erst gar nicht (oder nicht in dem Umfang) entstehen lassen. Die Höhe der Abgabe ist so festzusetzen, daß die dann immer noch in den Vorfluter eingeleiteten Abwässer nicht die natürliche Absorptionskapazität dieses Umweltmediums überschreiten und so eine Verschmutzung im Sinne einer Gefährdung nicht eintritt.
Ähnlich funktioniert das Lizenzmodell, nur erfolgt hier staatlicherseits keine Preis-, sondern eine Mengensteuerung. Der Staat bestimmt, welche Emissionsmengen gestattet sind, um ein wünschenswertes oder politisch akzeptables Emmissionsniveau zu erreichen. Für diese Menge an Emissionen werden Lizenzen zugeteilt oder versteigert: nur dem Inhaber solcher Lizenzen ist es dann gestattet, Schadstoffe an die Umwelt abzugeben. Diese Lizenzen sind handelbar, es wird sich ein Preis dafür bilden, und wieder erfolgt die Allokation der Ressource Umwelt nach ihrer höchsten volkswirtschaftlichen Produktivität. Die Lizenzen wändern — wie bei der Abgabe — zum »besten Wirt«. Die Firmen, die kostengünstig reinigen lassen können bzw. den Lizenzkosten ausweichen, indem sie umweltschonende Technologien einsetzen, beanspruchen die Umwelt nicht. Von den Firmen, bei denen die Reinigung oder die Umstellung auf andere Technologien — relativ zum Lizenzpreis — zu teuer käme, werden Lizenzen erworben werden müssen, sie dürfen emittieren. Sie werden aber auch gleichzeitig auf die Suche nach neuen Technologien gehen, um die Lizenzkosten für sich zu senken, die innovationsorientierte Suche nach neuen Reinigungs- und/oder Produktionstechnologien wird angeregt. Die ökonomische Effizienz dieses Lizenzmodells sperrt sich aber auch nicht gegen die ökologische Sicherheit:[37] die Emissionen werden nicht über die staatliche Normierung (Mengenzuweisung) hinausgehen können.
Diese kurze Skizzierung einer preislichen Steuerung der Umweltnutzung sollte nur die Leitlinie deutlich machen, auf viele Detailprobleme kann in diesem Rahmen nicht weiter eingegangen werden.[38] Und natürlich sind nicht alle Umweltprobleme einer derartigen preislichen Lenkung zugänglich, zu denken wäre beispielsweise an die Schadstoffe, deren Schädlichkeit auch in kleinen Mengen so groß ist, daß eine Emission von vorneherein verhindert werden muß (etwa Seveso-Dioxin). Umweltpolitik kann daher nicht nur auf dem »Marktbein« stehen, sondern bedarf zwingend auch staatlicher Ge- und Verbote, um einen effektiven Schutz der Umwelt zu sichern. Aber es geht ja auch nicht darum, direkte staatliche Auflagen in Form von Ge- oder Verboten als generell unsinnig erscheinen zu lassen, sondern die Stoßrichtung ist gegen die unreflektierte Verabsolutierung dieses Instrumententypes gerichtet, wenn gleichzeitig andere, marktnähere Instrumente zur Verfügung stehen, die ökonomisch effizienter und gleichermaßen umweltsicher sind.

Offene Fragen — offener Ausblick

Marktwirtschaftliche Systeme stehen also — bei entsprechender politischer Prioritäten- und Rahmensetzung — nicht hilflos vor beispielsweise Umweltproblemen, potentielle Lösungswege sind innerhalb und mit Hilfe dieses Steuerungsprinzips möglich und realisierbar, ohne die Preismechanik als solche aufzuheben. Eine vorzugsweise indirekte Regulierung marktwirtschaftlicher Funktionsdefizite erscheint also auch ohne Rückgriff auf eine durchgehende zentralstaatliche Planung machbar.
Die Plausibilität dieser These muß sich allerdings auch an der Bewältigung der anderen Fehlentwicklungen messen lassen, die (kapitalistischen) Marktwirtschaften zuzuschreiben sind. Weit davon entfernt, ausformulierte Lösungen für alle kapitalismusgenerierten Problemlagen vorlegen zu können, wollen wir hier nun doch einige Anmerkungen folgen lassen, die die Richtung weisen, in der von uns Lösungspotentiale vermutet werden:
Konjunkturelle Krisen: Lösungsansätze sind hier sicherlich am umstrittensten, nicht zuletzt wegen sehr unterschiedlicher Diagnosen (Keynes bis Profit Squeeze). An unseres Erachtens interessanten Therapien sollten der Ansatz von Vogt, der auf den spezifischen Wirkungen einer Eigentumsreform aufbaut [39] und die Verteilungsplanung von Ota Sik erwähnt werden.[40]
Die soziale Sicherung der Individuen und der — wenn auch vermutlich in geringerem Umfang als bisher notwendige — Ausgleich von Einkommensunterschieden: für beides mag in diesem Zusammenhang das Beispiel des garantierten Mindesteinkommens stehen.
Konzentrationsentwicklung: Durchaus traditionell mit funktionierender Wettbewerbspolitik, wobei freilich unseres Erachtens dieses Problem bei arbeiterselbstverwalteten Unternehmen an Schärfe verlieren wird.
Diese rudimentären Hinweise verstehen sich — wie der gesamte Aufsatz — als Diskussionsansatz; erst nach einer kontroversen und ohne Vorurteile geführten Auseinandersetzung wird sich zeigen, ob die (Teil-) Steuerung des Wirtschaftsgeschehens über Märkte mit unseren Utopien und unseren Wertvorstellungen vereinbar ist.
Einem möglichen Mißverständnis soll hier jedoch gleich vorgebeugt werden. Es geht nicht darum, die Marktsteuerung absolut zu setzen. Sie ist ein möglicher Allokationsmechanismus in der Vielfalt der Ordnungen, die wir uns vorstellen. Nicht die gesamten wirtschaftlichen Aktivitäten (und schon gar nicht die gesamte Gesellschaft) sollen mit einem Marktnetz überzogen werden. Priorität hat die Leistungserstellung im informellen Sektor. Erst wenn dessen Leistungspotential erschöpft ist, soll die arbeiterselbstverwaltete Marktökonomie einspringen, um neben dem informellen Sektor die Bedarfsdeckung zu übernehmen.
Aber auch die Reichweite des Marktes ist begrenzt und bedarf sowohl der Korrektur (z.B. Einkommensverteilung) als auch der Ergänzung (z.B. Erstellung öffentlicher Güter). Derartige staatliche Aktivitäten sollten von der jeweils untersten, zur Lösung des Problemes befähigten förderalen Ebene ausgehen. So verstanden, ist der Markt nur ein Subsystem, eine Möglichkeit neben anderen, die notwendigen wirtschaftlichen Tätigkeiten zu steuern.
Auch wenn viele Fragen offen bleiben, ist es allemal besser, sich auf das gefährliche Terrain neuer ordnungspolitischer — auch und gerade marktwirtschaftlicher — Wege zu wagen, als die Augen vor möglichen Pfaden nach Utopia zu verschließen; denn das wäre — zumindest auf lange Sicht —    das Ende jeder »alternativen« Wirtschafts(reform)politik.

Entökonomisierung als Antwort auf die ökologische Krise (Pfriem)

»Man entscheidet sich also für oder gegen die Wissenschaften genauso, wie man sich für oder gegen punk rock entscheidet, mit dem Unterschied allerdings, daß die gegenwärtige soziale Einbettung der Wissenschaften die Entscheidung im ersten Fall mit viel mehr Gerede und auch sonst mit viel größerem Lärm umgibt.« (Paul Feyerabend, Wissenschaft als Kunst)
»Die Welt ist einfach zu kompliziert, als daß ein Mensch sich den Luxus leisten könnte, alle seine Ansichten miteinander in Einklang zu bringen.« (Douglas R. Hofstadter, Gödel, Escher, Bach)

Die ursprünglich vom Herausgeber formulierte Frage, zu der kontrovers argumentiert werden sollte, hieß, ob der Sozialismus im Sinne der Überwindung des Privateigentums bessere Chancen zur Lösung der Umweltprobleme böte als eine Privateigentümerökonomie. Dieser Aufsatz ist kein sozialistischer Gegenartikel zum Marktplädoyer von Eckhard Bergmann und Dietmar Krischausky. Aus Gründen, die ich an anderer Stelle dargelegt habe (Pfriem 1985a), ist es theoretisch und praktisch nicht länger sinnvoll, den Sozialismus als Emanzipationsleitbild zu betrachten. Meine Distanz zum einfachen Nein auf die Frage »Sozialismus passe?« steht also gleich zu Beginn. Ein Gegenartikel ist es trotzdem: gegen die theoretische Leichtfertigkeit, mit der gegenwärtig auch in Teilen der ökologjschen-alternativen-grünen Bewegung das Lob des Marktes gesungen wird. Die drei Thesen, die ich mit dem folgenden Aufsatz zu erläutern versuche, lauten:
(1) Für die Renaissance des Marktlobgesangs gibt es wenig gute Gründe außer der Tatsache, daß überkommene sozialistische Planwirtschaftsmodelle zu recht keinen überzeugenden Bezugspunkt mehr bilden, und dem Problem, daß die Suche nach Grundelementen einer ökologischen Wirtschaftsordnung sich bisher auf wenig Vorarbeit stützen kann (schon gar nicht auf vorliegende Patentrezepte).
(2) Loblieder des Marktes wie das von Bergmann/Krischausky behindern die Entfaltung von gesellschaftstheoretischer Kreativität und Phantasie gerade an den Fragen, an denen eine Diskussion begonnen hat, die eingefahrenes verkrustetes Denken aufbrechen könnte, indem sie die Fragen praktisch für illegitim erklären.
(3) Die Loblieder des Marktes bewegen sich im Rahmen des überkommenen Verständnisses von Wirtschaftsordnungspolitik. Für einen ökologischen Umbau von Wirtschaft und Gesellschaft ist jedoch ein erweitertes Verständnis von Ordnungspolitik notwendig.

(A) Die grundlegenden Merkmale der ökologischen, sozialen
und ökonomischen Krise und einige wichtige Erklärungsmuster

Von Ökologie und Umweltschutz reden heute alle. In der Literatur wie in der gesellschaftspolitischen Diskussion sind die Zeiten vorüber, da es hieß, wir könnten uns keinen wirksamen Umweltschutz leisten, weil damit Wirtschaft und Arbeitsplätze gefährdet würden.[1] Unter dem Druck ökologischer Kritik und Widerstandsbewegungen geht eine neue Predigt über das Land: die von der Einheit von Ökonomie und Ökologie, von Wirtschafts- und Umweltpolitik. Das Problem ist, daß fast jeder etwas anderes meint, wenn er von Ökologie oder Umweltschutz redet. Wo die einen eine begrenzte Rauchgasentschwefelung der bestehenden Kraftwerke im Sinn haben (ohne sich wiederum über die großen Mengen von Gips, die dabei anfallen, weiter Gedanken zu machen), denken die anderen vielleicht an einen energiewirtschaftlichen Umbau, der Energieeinsparungen an die erste Stelle setzt [2] und den Restbedarf an Energie vorzugsweise mit regenerativen Energieträgern decken möchte. Wo für die einen der Katalysator das Höchste der Gefühle ist, rechnen andere auch etwa Lärm und Landschaftsverbrauch zu wesentlichen ökologischen Folgeproblemen des Autoverkehrs und plädieren deshalb für nachhaltige Schritte zu seiner Eindämmung.
Wie der demokratische und soziale Rechtsstaat der Bundesrepublik Deutschland droht die Einheit von Öonomie und Ökologie zur gesellschaftspolitischen Phrase zu werden, die die praktische Funktion hat, Tabus zu errichten: wer die Einheit nicht gleich zugeben und erst einmal der Frage nachgehen will, ob es vielleicht strukturelle Disparitäten zwischen ökologischer und traditioneller ökonomischer Rationalität gibt, verfällt oft genug der Ausgrenzung aus der Diskussion.[3]
Unterschiedliches Verständnis von Ökologie bzw. Umweltschutz kann sich nicht nur auf die Reichweite befürworteter Maßnahmen beziehen, sondern schon auf die Auswahl der Tatbestände. Der Rat der Sachverständigen für Umweltfragen (1974, 1978) unterscheidet zwischen Umweltmedien und komplexen Bereichen der Umweltpolitik. Wenn man dieser Unterscheidung folgt, so bezieht sich die überkommene Umweltpolitik zunächst einmal vor allem auf die Bereiche, in denen schädliche Emissionen »heruntergefiltert« werden können, so die Umweltmedien Luft und Wasser. Nun gehört es zu den grundlegenden Erkenntnissen der ökologischen Wissenschaft, die Vernetzungszusammenhänge des komplexen Systems Natur genauer geklärt zu haben. Gleichwohl ist eine integrierte Umweltpolitik, die Fragen von Stadt- und Landschaftsplanung, von Verkehrspolitik u.a. in ihre Konzeptualisierung einbezöge, in der Bundesrepublik noch nicht einmal ansatzweise vorhanden. Die Überspezialisierung der Politik korrespondiert hier mit einer Überspezialisierung der Wissenschaften: eine integrierte ökonomisch-ökologische Betrachtung, die die leichtfertige Rede von der Einheit von Ökonomie und Ökologie unterstellt, ist nämlich in Lehre und Forschung der BRD überhaupt nicht institutionalisiert (vgl. Simonis 1985, S. 233ff).
Gegenwärtig ist noch völlig ungeklärt, welche ökologischen Standards wir für wünschenswert und künftig erreichbar halten, was z.B. die Frage einschlösse, welche Opfer wir vielleicht auf anderen Gebieten dafür bringen wollen. Immerhin beginnt eine Diskussion über die Zweifelhaftigkeit der Segnungen unserer Produktivität, wenn sie mit einer steigenden Zahl von Arbeitslosen verbunden ist, und über Fragen wie die, ob Fleisch, das beim Braten auf die Hälfte zusammenschrumpft, eigentlich tatsächlich Ausdruck gestiegener Lebensqualität ist. Die Frage nach wünschenswerterreichbaren ökologischen Standards ist also keine, die man der exakt-wissenschaftlichen Analyse überlassen könnte im Sinne der Minimalstandards, die eben ausreichen, die längerfristige Regenerationsfähigkeit der Menschen und der sie umgebenden Ökosysteme zu sichern. Ohne einen gesellschaftspolitischen Diskurs, wie wir leben wollen, d.h. unter anderem wie wir konfligierende Bedürfnisse aufeinander beziehen wollen, ist gar keine ernsthafte Diskussion über die Bewältigung der ökologischen Krise möglich.
Von Bekämpfung der Arbeitslosigkeit reden heute auch alle. Auch wenn in diesem Aufsatz das Verhältnis von Ökonomie und Ökologie im Vordergrund steht, läßt sich an der sozialen Krise (bzw. dem, was darunter verstanden wird) etwas verdeutlichen, was von hervorragender ökologischer Bedeutung ist: für nicht wenige wäre die aktuelle soziale Krise bewältigt, wenn alle Arbeitslosen wieder in die Erwerbsarbeit einbezogen wären, bei gegebener Wirtschaftsstruktur. Die Arbeitslosigkeit wird dann als Beschäftigungskrise interpretiert, ohne nach dem sozialen und ökologischen Sinn oder Unsinn der Arbeit zu fragen. Es handelt sich um eine (als vorübergehend unterstellte) Funktionsstörung. Die Störung ist das Problem und mit ihrem Ende das Problem erledigt. Zweifellos verstärkt Arbeitslosigkeit bei gegebener Wirtschaftsstruktur soziale Not und muß durch gesellschaftspolitische Maßnahmen zu überwinden versucht werden.[4] Die tiefergehende soziale Krise scheint mir aber heute in der offenkundigen Verkehrung von Arbeit als einem Mittel zu möglicher gesellschaftlicher Bedürfnisbefriedigung zum Selbstzweck zu bestehen: Arbeitslosigkeit erzeugt politischen Druck, Arbeit zu schaffen, egal wie und wofür. So betrachtet, erscheint es als unangemessen, das Problem lediglich in der Funktionsstörung des Systems zu sehen; seine Funktionsfähigkeit wird selbst zum Problem.
Die Herauslösung der Ökonomie aus der Gesellschaft, d.h. die Verkehrung einer gesellschaftlichen Veranstaltung zu anderen Zwecken zum Selbstzweck der Gesellschaft ist das erste von einer ganzen Reihe von Erklärungsmustern dafür, daß die ökologische Krise solch drastische Ausmaße angenommen hat, wie wir sie heute beklagen.[5]
Volkswirtschaftlich macht sich diese Verselbständigung in permanenten Wachstums-, Arbeits- und Produktionszwängen geltend. In diesem Sinne ist es auch berechtigt, von der Einbettung gewerkschaftlicher Logik des Kampfs für sichere Arbeitsplätze in die Normen der industrie-kapitalistischen Wirtschaftsweise zu sprechen. Wie zuletzt das DGB-Programm »Umweltschutz und qualitatives Wachstum« (verabschiedet im März 1985) vorführt, sind Gewerkschaften, solange sie die Wachstums- und Produktionszwänge nicht selbst in Frage stellen, gezwungen, Konfliktpotentiale zwischen Ökonomie und Ökologie zu verdrängen sowie auf der anderen Seite die beschäftigungspolitischen Wirkungen von Umweltschutz zu überschätzen bzw. einem eher strukturkonservativen Umweltschutz in die Hände zu arbeiten (ich komme darauf zurück).
Einzelwirtschaftlich drückt sich die Verselbständigung des Ökonomischen im unternehmenspolitischen Ziel der Gewinnmaximierung aus. Für dieses gilt praktisch Ähnliches wie für die Wachstumszwange des volkswirtschaftlichen Systems: es muß um so nachhaltiger und brachialer verfolgt werden, je mehr Durchsetzungsschwierigkeiten sich ihm in den Weg stellen. Ökologische Kritik wird dann erst recht in den Hintergrund gedrängt. Man vergleiche die zunehmende ökologische Kritik am Automobilverkehr mit den quasi militaristischen Zwangsvorstellungen, die die gegenwärtige weltweite Vernichtungskonkurrenz in der Automobilindustrie begleiten. Die verselbständigte Ökonomie produziert also volks- wie einzelwirtschaftlich Maßlosigkeit und vermag ihrer manchmal zu hörenden Defnintion, vom haushälterischen Umgang mit knappen Gütern zu handeln, so konstitutiv nicht gerecht zu werden: Kostenminimierung des Inputs war immer schon eine unternehmenspolitische Zielsetzung, ökologisch ausschlaggebend ist freilich die Maximierung des Durchsatzes von Stoffumwandlung und -Verformung, die sich aus der Maßlosigkeit ergibt.
Hier liegt auch der Grund für eine aufgekommene Kritik am Industrialismus, die von den Verteidigern des Industriesystems als Plädoyer für die Agrarisierung der BRD denunziert wird. Das industrielle System ist in der Hinsicht expansiv, daß es danach trachtet, einen möglichst großen Teil der gesellschaftlichen Probleme auf industriellem Wege, d.h. mit Stoffumwandlung und -Verformung zu lösen. Mit der Entwicklung und Einführung neuer Technologien wie Mikroelektronik, Bio- und Gentechnologie verbinden manche weitgehende Hoffnungen auf eine Ökologisierung des Industriesystems (so z.B. Huber 1982) oder gar eine nach-industrielle Gesellschaft (vgl. den neueren US-Bestseller Naisbitt 1984).
Auch wenn einige industrielle Prozesse durch technologische Innovationen mit weniger Energie- und Rohstoffverbrauch beim Input bzw. weniger Schadstoffen und Abfällen als Kuppelprodukten der Produktion verbunden sein mögen; auch wenn solche Tendenzen durch einen erhöhten Anteil von Dienstleistungen gegenüber dem verarbeitenden Gewerbe gestärkt werden können: eine präventive Schadensvermeidungsstrategie widerspricht der Interessenstruktur des ökonomischen Systems. Die mögliche Nutzbarkeit neuer Technologien bietet weder für die Chemieindustrie Anreize zur Einschränkung von Pflanzenschutz- und Düngemittelproduktion, mit denen auf Dauer die Grundlagen einer gesunden Landwirtschaft und Ernährung zerstört werden, noch für die Automobilindustrie Motive, innovativ an einem umweltverträglicheren Verkehrswesen zu arbeiten.
Der Industrialismus kann ja nicht getrennt werden von dem Kommerzialisierungszwang des ökonomischen Systems: einen möglichst hohen Anteil der gesellschaftlichen Bedürfnisbefriedigung marktfähig zu machen. Wenn Kranken- und Altenbetreuung wieder stärker in flexible Organisationsformen sozialer Selbsthilfe eingebettet würden, könnte niemand mehr daran verdienen. Einspar- und Vermeidungsstrategien, die ökologisch so überzeugend sind, weil sie den Verbrauch der elementaren Produktionsfaktoren Mensch und Natur einschränken, sind im Rahmen der traditionellen Ökonomie gerade deshalb ökonomisch unvernünftig (grundlegend dazu: Jänicke 1979).
Dieser Kommerzialisierungszwang wird durch die neuen Technologien in keiner Weise tangiert, im Gegenteil: sie sollen ja gerade die Basisinnovationen eines neuen Aufschwungs, d.h. eines neuen Runs nach Gütern und Dienstleistungen ausmachen. Aufgrund der Zusammenhänge von Ver-machtung und Vermarktung wirkt auch die Dezentralisierungseuphorie, mit der die neuen Technologien zum Teil begleitet werden, höchst zweifelhaft. Kern/Schumann haben für industrielle Produktionsprozesse gezeigt, daß mehr dezentrale Handlungs- und Entscheidungsspielräume durch Mikroelektronik kein automatisches Kuppelprodukt technischen Fortschritts sind, sondern allenfalls die gesellschaftspolitisch durchzusetzende, nicht konfliktfrei zu habende Nutzung und Gestaltung entsprechender Potentiale (Kern/Schumann 1984). Erfolge können hier wohl nur dann errangen werden, wenn man die Gefahren- und Problempotentiale hinreichend ernstnimmt.
Dazu gehört, daß auf neuer technologischer Basis mangels gesellschaftlicher Kontrollmechanismen erneut ständige strukturelle Angebotsüberhänge geschaffen werden. Zwar läßt sich stolz auf das grundlegend bessere Versorgungsniveau gegenüber der »angebotsorientierten« Mengenplanung der realsozialistischen Länder verweisen, aber das reicht nicht aus, das eigene Dilemma zu rechtfertigen. Und die gestiegene Kunden- bzw. Marketingorientierung moderner kapitalistischer Unternehmen kann zwar Nähe zum Kunden suggerieren und in Einzelfällen auch organisieren (etwa bei nicht-normierten Industrieanlagen), vermehrt jedoch die eigentlichen Ursachen für die Trennungen zwischen Produktion und Bedürfnissen, indem die räumliche Trennung zwischen beiden weiter steigt (Nais-bitt, 1984, 81ff., verbindet mit seiner Utopie der nachindustriellen Gesellschaft explizit auch eine vertiefte internationale Arbeitsteilung).
Unter schwieriger werdenden ökonomischen Rahmenbedingungen, z.B. Sättigungstendenzen auf bestimmten Märkten, nimmt die Konkurrenz an Schärfe zu, die Produktivitätssteigerungsanforderungen an die einzelnen Unternehmen steigen, d.h. die Anforderungen, möglichst ausbeuterisch mit der menschlichen Arbeitskraft und wenig sorgsam mit der nichtmenschlichen Natur umzugehen. Die marktliberale Idee des freien Wettbewerbs realisiert sich in Schlachten um Marktanteile, bei denen als unternehmerische Grundtugenden für die strategischen Entscheidungen Planung und Beherrschung gefragt sind, nicht Intuition und Spontanität.
Die Verökonomisierung der Gesellschaft hat verzerrend auf ihr Normen- und Wertsystem zurückgewirkt. Das volkswirtschafltiche Bruttosozialprodukt produziert ständig Informationen, die von uns verlangen, entstandene Schäden und ihre anschließende Reparatur als gesellschaftliche Wohlfahrtssteigerung zu betrachten. Aus den einzelwirtschaftlichen Rechnungssystemen gehen nur die Kosten hervor, die Unternehmen tatsächlich aufwenden, nicht aber die, die sie durch ihre Tätigkeit anderen aufbürden. Das Monetarisierungsgebot, daß Wert nur hat, was seinen Preis hat, sorgt zudem ganz praktisch dafür, daß im täglichen Leben von Ökonomie und Ökologie Ziele wie Arbeitsqualität oder ästhetische Naturwahrnehmung schon deshalb bedeutungslos werden, weil sie nicht quantifiziert und mo-netarisiert werden können.
Institutionelle und kulturelle Beziehungen greifen ineinander, wobei die ökologische Krise am Beispiel unseres anthropozentrischen Weltbildes deutlich gemacht haben sollte, welch große Rolle kulturelle Verhaltensweisen für die praktische Ausgestaltung eines ökonomischen Systems spielen.

(B) Eine ordungspolitische Debatte ist überfällig,
das allgemeine Lob des Marktes jedoch wenig hilfreich

Die überkommene wirtschaftswissenschaftliche Behandlung des Problems der angemessenen Wirtschaftsordnung beschäftigt sich mit den meisten der im vorigen Abschnitt behandelten Fragen nicht, weil davon ausgegangen wird, daß unter Wirtschaftsordnung die praktische Wirtschaftsverfassung verstanden werden sollte als grundlegende institutionelle Festlegung über den ökonomisch-gesellschaftlichen Koordinationsmechanismus (Gäfgen 1969, 168ff.). Entsprechend werden Marktwirtschaft und Zen-tralverwaltungswirtschaft als Grundtypen gegenübergestellt; soweit Konzeptionen wie Wirtschaftsdemokratie oder Selbstverwaltung erwähnt werden, wird ihnen allenfalls eine ergänzende, jedenfalls keine eigenständige, eine Wirtschaftsordnung konstituieren könnende Rolle zugesprochen.
Auf der anderen Seite finden sich in der Diskussion über Alternativen zur etablierten Wirtschaftspolitik, die angesichts anhaltender Arbeitslosigkeit und ökologischer Zerstörung inzwischen eine eigene ansehnliche Bibliothek ausmacht, bisher kaum ordnungspolitische Elemente im Sinne von Überlegungen über die Selbststeuerung einer anderen als der jetzigen Wirtschaftsordnung; was formuliert ist, definiert sich selbst eher als Vorstellung von Leitbildern ökologischen Wirtschaftens (dazu: Projektgruppe ökologische Wirtschaft 1985).
Diese Feststellung gilt auch für die bisherigen Beiträge von sehen der Grünen, wie Bergmann/Krischausky 1985 zu recht feststellen und daher für die (Wieder-) Aufnahme der ordnungspolitischen Diskussion plädierten. In der Kritik der Grünen formulieren die beiden Autoren, »daß das Problem weniger in den falschen Antworten liegt als vielmehr darin, daß nicht einmal die richtigen Fragen gestellt werden«. Auf die Stimmigkeit dieser Behauptung werde ich später zurückkommen.
Ausgehend vom Scheitern marxistischer Konzeptionen der siebziger Jahre setzen sich Bergmann/Krischausky mit Strömungen und Positionen auseinander, die sie als für die grüne Diskussion repräsentativ ansehen. Da ist zum einen die dualwirtschaftliche Option, deren besondere Aufmerksamkeit jenen ökonomischen Prozessen gilt, die weder über den Marktmechanismus noch über staatliche Regulierung vermittelt sind. Auch wenn es der Theorie nach um ein ausgewogenes Verhältnis zwischen Erwerbsarbeitssektor und den verschiedenen Formen informeller Arbeit gehen soll, fällt in der diesbezüglichen Literatur auf, daß die Grenzen der Expansion des informellen Sektors kaum analysiert und Reformvorschläge für den formellen Sektor nicht entwickelt, sondern nur in allgemeiner Form postuliert werden (so etwa Huber 1984).
Insofern ist Bergmann/Krischausky im Grundsatz zuzustimmen, daß die dualwirtschaftliche Konzeption in ihrer vorliegenden Gestalt als strategischer Ansatzpunkt für eine Wirtschaftsreform zu kurz greift, auch wenn sie sich über kommunale Vernetzungsmöglichkeiten, neue Finanzierungswege und andere Maßnahmen, mit denen die gegenwärtigen Expansionsgrenzen des informellen Sektors hinausgeschoben werden können, nicht auslassen. (Dieser Verzicht mutet spätestens dann merkwürdig an, wenn man im Schlußabschnitt ihres Artikels die These findet, die Leistungserstellung im informellen Sektor solle Priorität bekommen; eine These, die schlichtweg in Gegensatz zum übrigen Artikel steht.)
Für unbedingt zutreffend halte ich ihre Kritik an der Verknüpfung der dualwirtschaftlichen Option mit der Aufblähung der Forderung nach einem garantierten Mindesteinkommen zum zentralen Element einer ökonomischen Umbaustrategie. Ich selbst habe an anderer Stelle (Pfriem 1985b) analysiert, wie auf diese Weise den radikalsten Kritikern des überkommenen bürokratischen Sozialstaats das »Malheur« passiert, dessen besonders radikale Vertreter zu werden und sich mit Fragen des Arbeitsund Lebensmodells der Gesellschaft nicht mehr weiter zu beschäftigen. Statt Für und Wider der Mindesteinkommensforderung eingeschränkt auf die sozialpolitische Funktion zu diskutieren, wurde eine Zeitlang auch bei den Grünen die Diskussion verzerrt und so der Eindruck von Flucht aus dem komplizierten Projekt des ökologischen Umbaus von Wirtschaft und Gesellschaft erweckt.
Bergmann/Krischausky ziehen aus ihrer Kritik an den Grenzen des informellen Sektors den Schluß, das Steuerungsprinzip Vereinbarung bleibe auf die Binnenorganisation von Kollektiven oder bestenfalls auf kleine Gruppen von Kollektiven beschränkt. Schon bei dieser These, deren praktische Konsequenz dann doch wieder nur die Alternative Marktwirtschaft oder Planwirtschaft zuläßt und zum Plädoyer für den Marktmechanismus weiterführt, fällt allerdings die Bindung der beiden Autoren an die Individualismus-Fiktion der liberalen Markttheorie ins Gewicht. Diese behauptet ja die überragende Stellung der Konsumenten in der Marktwirtschaft (und damit die grundsätzliche Bedürfnisorientierung dieser Wirtschaftsordnung) mit dem Argument der Steuerungskapazität der am Markt handelnden Individuen, die über ihre Kaufentscheidungen ihre jeweilige Präferenzstruktur hinreichend deutlich machen könnten.
In der Realität heutiger mixed-economies sind jedoch wesentliche Bestandteile der gesellschaftlichen Bedürfnisbefriedigung dem Austragungsprozeß individueller Entscheidungen am Markt durch politische Vereinbarungen entzogen. Man betrachte bloß die Energiewirtschaft und frage danach, welche Freiheit die Stromverbraucher bei Entscheidungen über Energieeinsparung und Energieträger haben; man betrachte das Verkehrswesen und prüfe, ob die ökologisch zerstörerische Massenmotorisierung auf dem Wege individueller Nutzenmaximierung überwunden werden kann oder nicht gerade durch neue gesellschaftspolitische Vereinbarungen. Man betrachte den Wohnungsmarkt oder die Tatsache, daß heute mehr als 40 Prozent der Preise, die in den Warenkorb eingehen, administrierte Preise sind und frage nach der Stimmigkeit der marktliberalen Grundthese, die von Bergmann/Krischausky mit den Worten übernommen wird: »Durch die Existenz von Marktpreisen werden die Produzenten informiert, wie, was und für wen sie produzieren sollen; wenn sie diesem Knappheitsindikator folgen (oder auch nicht), werden sie über Gewinn und Verlust positiv oder negativ sanktioniert.«
Was in der Frühphase der bürgerlichen Nationalökonomie noch vertretbar gewesen sein mag, angesichts emphatischer Hoffnungen auf die Entfaltungsperspektiven des bürgerlichen Individuums als Individuum und einer noch weit geringeren Verstaatlichung von Teilen des kapitalistischen Reproduktionsprozesses, nämlich eine einseitig individualistische Sicht der Gesellschaft, ist heute schlichtweg anachronistisch. Das Schlüsselplädoyer der beiden Autoren lautet so: »Auf gesellschaftlicher Ebene benötigen wir aber Abstimmungsverfahren, die über den Bereich der individuellen sozialen Erfahrungswelt hinausgehen und zugleich eine 'anonyme' Steuerung ermöglichen. Der bislang einzig bekannte Steuerungsmechanismus dieser Art ist der Markt.«
Ob die Anführungszeichen Ausdruck einer theoretischen Verunsicherung sind, weiß ich nicht. Jedenfalls: natürlich bedarf es überindividueller gesellschaftlicher Abstimmungsverfahren, daraus folgt aber keineswegs, daß diese »anonym« sein müßten im Sinne des Ausschlusses möglichst demokratischer politischer Entscheidungswege. Meine Kritik ist also eine doppelte:
(1) die marktindividualistische Auffassung ist empirisch falsch,
(2) das Pochen auf eine anonyme Steuerung ist nicht beweiskräftig. Die theoretischen Folgen der Vorgehensweise von Bergmann/Krischausky sind allerdings relativ verheerend:
(1) jegliche Rekonstruktionsbemühungen, warum sich die kapitalistischen Marktwirtschaften denn so und nicht anders entwickelt haben, werden unter der Hand überflüssig und entfallen entsprechend;
(2) gesellschaftstheoretische Überlegungen (und praktische Versuche) zu neuen Abstimmungsverfahren, z.B. auch zur Demokratisierung öffentlich-politischer Entscheidungen, werden von vornherein als Irrwege deklariert, ohne sich weiter damit auseinandersetzen zu müssen.
Umstandslos wird behauptet, soziale Anreize verlören bei größeren Gruppen ihre Kraft, dort könnten nur monetäre Anreize erfolgreich wirken. Im Grunde gehen Bergmann/Krischausky damit am Kern der neuen sozialen Bewegungen der letzten Jahre vorbei, deren Originalität und mögliche politische Kraft gerade darauf beruht, daß sie damit begonnen haben, auf verschiedenen Gebieten des gesellschafltichen (und ökonomischen) Lebens wie Energiewirtschaft, Verkehrspolitik, Wohnungs- und Siedlungspolitik, soziale Dienstleistungen Leitbilder für neue Arbeits- und Lebensmodelle zu entwerfen, die sich in Prozessen praktisch-politischer Operationalisierung durchaus in konkrete Konzepte zur Veränderung der gesellschaftlichen Infrastruktur umsetzen lassen. Zu dieser analytischen Beschränktheit ließen sich durchaus noch drastischere Formulierungen finden, als sie Bergmann/Krischausky gegenüber mir und anderen Kritikern der marktwirtschaftlichen Orientierung benutzt haben (»Brille verlegt, gerade im Urlaub, Literatur war nicht zu beschaffen«), ich halte allerdings wenig davon, eigene theoretische Unsicherheiten mit infantilen Formen der Auseinandersetzung zu kompensieren.
Quantifizierung und Monetarisierung, die nach meinen einleitenden Ausführungen zu methodischen Restriktionen zählen, die einen zerstörerischen Umgang mit der nichtmenschlichen Natur begünstigen (das Zählen und Rechnen der Natur auf Basis der cartesianischen Trennung von Subjekt und Objekt der Erkenntnis, d.h. der Leugnung der Vernetzungen zwischen Mensch und Natur, ist im Wortsinn un-ökologisch, vgl. dazu Link 1978), stellen für Bergmann/Krischausky kein weiteres Problem dar: sobald die Rahmenbedingungen für die Nutzung der Umwelt einen Preis verlangten, komme es zur hinreichenden Regulierung des Ge- und Verbrauchs.
Ich habe in dem von den beiden gescholtenen Artikel (Pfriem 1984) argumentiert, daß das Monetarisierungsgebot zwangsläufig zu einer Einschränkung umweltpolitischer Handlungsfelder führen muß. Wichtige Bestandteile menschlichen Naturumgangs lassen sich nicht angemessen bepreisen:
geht dabei grundsätzlich die Dimension ästhetischer Naturwahrnehmung verloren. Natur wird auf diese Weise sofort auf die ökonomischen Nutzenfunktionen für die Menschen zurechtgestutzt;
zeigt die Diskussion über ökonomische Hilfsgrößen für die ökologische Schadenskostenabschätzung (Leipert 1984), daß nicht zuletzt aufgrund des integrierten Charakters ökologischer Ursachen-Folgen-Zusammenhänge plausible Bepreisungen auch dann, wenn man es will, nur sehr eingegrenzt möglich sind.
Es geht also nicht um eine Argumentation, die Verökonomisierung der Natur sei unmoralisch, weil man der Natur an sich keine Geldwerte zuordnen dürfe, wie Holger Bonus und andere Verfechter der Verökonomisierung der Natur die Kritik an ihnen rezipieren (Bonus 1983). Es geht um das, was ich in meinem genannten Artikel die zwangsläufige »Emissionsborniertheit« sich selbst so definierender marktwirtschaftlicher Umweltpolitik genannt habe. Eine ökologisch wirksame Abgabe ist besser als eine ökologisch schlechtere Auflage. Zur ideologischen Zweiteilung zwischen marktwirtschaftlichen und nicht marktwirtschaftlichen Instrumenten der Umweltpolitik besteht eigentlich kein Anlaß, denn auch bei den marktwirtschaftlichen Instrumenten geht es um die Setzung von Rahmenbedingungen, wie Bergmann/Krischausky zu Recht feststellen.
Ideologie wird allerdings gegenwärtig vor allem von denjenigen betrieben, die pauschal die Überlegenheit marktwirtschaftlicher gegenüber anderen Instrumenten behaupten und in der Ursachenanalyse behaupten, nicht der Markt, sondern der Staat sei für die unzureichende Umweltpolitik verantwortlich. Von dem früheren, jahrelang vorgetragenen Argument angefangen, Umweltschutz sei volkswirtschaftlich aus Kosten- und Beschäftigungsgründen negativ anzusehen, über die Abwehrhaltung der Automobilindustrie gegen Katalysatoren und Geschwindigkeitsbeschränkungen bis hin zu den ständig neu aufgedeckten Umweltvergiftungen durch die Industrie derart, daß noch nicht einmal die bisher recht zurückhaltend ausgestalteten Umweltgesetze eingehalten werden, sind von Unternehmerseite immmer wieder technisch mögliche ökologische Modernisierungen be- und verhindert worden. Daß oft genug von gewerkschaftlicher Seite ebenfalls gegen konsequente Umweltschutzmaßnahmen Stellung genommen wurde, kann kein Entlastungsargument für die Unternehmen abgeben.
Bergmann/Krischausky merken in einer Fußnote verschämt an: »Inwieweit das Marktsystem das politische System — beispielsweise restriktionsanalytisch — dominiert und ob hier nicht Ursachen für die Umweltprobleme zu orten sind, bleibt hier offen ...« Die Feststellung ehrt sie; es ist freilich kein angängiges theoretisches Verfahren, eine Feststellung, die wichtige Behauptungen des eigenen Artikels in Frage stellen würde, konsequenzlos stehen zu lassen. Das gesellschaftstheoretische und -praktische Problem ist doch, daß marktwirtschaftliche Instrumente der Umweltpolitik dann, wenn sie auf kurzfristige ökologische Effizienz ausgelegt sind, von den Unternehmen genau so für dirigistisch erklärt werden wie Verbote oder sonstige Auflagen. Aufgeklärte Vertreter des marktwirtschaftlichen Ansatzes wie Lutz Wicke geben das auch ohne Umschweife zu.
Die Schlußfolgerung daraus müßte sein, den marktwirtschaftlichen Ansatz6 im Lichte dieses Problems zu reflektieren. Ich bleibe bis auf weiteres bei meinem Verdacht, daß die Option auf marktwirtschaftliche Instrumente der Umweltpolitik, versehen mit ständigen Hinweisen auf die Möglichkeit kostengünstiger flexibler Anpassungen von seiten der Unternehmen, einem ökologischen status-quo-Denken entspricht: d.h. sie orientieren auf eine Auslegung, die ökonomisch eher milde, ökologisch gemessen an dem, was heute notwendig wäre, eher ineffizient ist.
Nun gehören Bergmann/Krischausky zu den Marktwirtschaftsanwälten, denen es sehr auf die grundsätzliche Unterscheidung zwischen kapitalistischer Marktwirtschaft und Marktwirtschaft »an sich« ankommt. Ich möchte dazu die Bemerkung nicht weiter erläutern, daß die Belobiger des Marktes auf diese Weise genau das machen, was sie orthodoxen Marxisten, die gegen alle gesellschaftspolitischen Wirklichkeiten den Sozialismus »an sich« verteidigen, vorwerfen (übrigens mit Recht).
Bergmann/Krischausky sprechen sich für die »Konstituierung neuer Eigentumsformen« aus. Sie befürworten das Mitarbeiterunternehmensmodell von Ota Sik (dessen wichtige Ausführungen über das Anwachsen nicht-ökonomischer Bedürfnisse sie übrigens leider nicht verarbeiten). Die Tatsache, daß auch selbstverwaltete Unternehmen bei anhaltender Gewinnorientierung darauf aus sind, Kosten und Schäden zu externalisieren, wird von ihnen nicht ausgeschlossen, führt freilich nicht dazu, sich auf Überlegungen einzulassen, wie die einzelwirtschaftliche Gewinnrationalität vielleicht eingeschränkt oder verändert werden könnte. Die Rahmenbedingungen werden es schon richten; damit wird jedoch der einzelwirtschaftliche Gegensatz zwischen ökonomischen und ökologischen Zielsetzungen perpetuiert. Der Frage, wie durch Abkopplung des Einkommens der Betriebsbelegschaften von der Expansion ihres Unternehmens der Übergang zu einer maßvolleren (und ökologieverträglicheren) Wirtschaft begünstigt werden könnte, gehen die Autoren nicht nach.
Ich glaube, daß die Marktverteidiger im grünen Umfeld mit der Unterscheidung zwischen kapitalistischer Marktwirtschaft und Markt »an sich« (Bergmann/Krischausky sprechen von »instrumentellem Verständnis des Marktes«) ein Marktverteidigungsdilemma konstruiert haben, das für die Unfruchtbarkeit ihrer theoretischen und praktischen Schlußfolgerungen verantwortlich ist: gegenüber Hinweisen auf strukturelle Defizite der kapitalistischen Marktwirtschaften neigen sie so penetrant dazu, von diesen den Markt »an sich« abzugrenzen, daß man von dem aber gar nichts mehr in Händen hält. Der von ihnen verteidigte Markt an sich ist so substanzlos, daß sich daraus gar keine gesellschaftspolitischen Reformvorschläge ergeben, sondern nur ein ideologisches Plädoyer. Jochen Reiche (1985, 24) von den Berliner Ökolibertären hat das unlängst dahingehend verschärft, daß er sogar Nachdenken über basisdemokratische Planung, sozialistische Marktwirtschaft und neue Formen des gesellschaftlichen Eigentums (er ist also offensichtlich gegen alle Bemühungen zur Reform der Unternehmensverfassung im Sinn Ota Siks und anderer) für absurd erklärt. Alle Vorstellungen von einem Dritten Weg zwischen Markt und Plan führten ins politische Abseits.
Auch wenn man so einseitig nicht argumentiert, was Bergmann/Krischausky ausdrücklich zugestanden werden soll, bleibt doch die Feststellung, daß sich gesellschaftstheoretisch und wirtschaftspolitische Phantasie frühestens jenseits ihres ideologischen Plädoyers entfalten könnte: in Aussagen über Ziele, Strategien, Instrumente und Träger des ökologischen Umbaus von Wirtschaft und Gesellschaft. Sonst vermögen auch gutwillige Leser den praktischen Unterschied zur etablierten Umweltökonomie von Siebert, Bonus, Wicke und anderen nicht zu erkennen.

(C)  Für ein erweitertes Verständnis von Ordnungspolitik

In dem von Bergmann/Krischausky monierten Aufsatz habe ich als Handlungsebenen eines Dritten Wegs der Wirtschafts- und Gesellschaftspolitik genannt:

  • (1) ökologischer Umbau der gesellschaftlichen Produktion,
  • (2) ökologische Arbeitspolitik
  • (3) Arbeitsumverteilung
  • (4) gesellschaftliche Würdigung der Nichterwerbsarbeit,
  • (5) menschenwürdige soziale Mindestsicherung,
  • (6) Veränderung der Informations- und Entscheidungsbasis des Wirt-schaftens.

Nach Meinung von Bergmann/Krischausky handelt es sich dabei um die blumige Formulierung ökologischer und sozialer Normen, ohne an die Strukturen heranzukommen. Das Plädoyer für eine ökologische Ethik sei hilflos, gesellschaftliche Werte könnten sich nur in einem bestimmten institutionellen Rahmen entfalten.
Um mit dem Letzten anzufangen: es bestätigt sich wieder einmal, daß (einseitige) Marktwirtschaftsverfechter (wie orthodoxe Marxisten) zur Überschätzung der determinierenden Wirkungen von Institutionen neigen und stets bereit sind, Fragen der Ethik und Kultur geringschätzig zu behandeln. Logisch ist das insofern, als die marktwirtschaftliche Verabsolutierung ökonomischer Anreizsysteme ja zur erklärten Absicht hat, Wert-und Sinnfragen aus dem gesellschaftlichen Koordinationsmechanismus zu verbannen, verbunden mit der These, veränderte Lebenseinstellungen würden in der Veränderung individueller Präferenzstrukturen hinreichend auf den Markt durchschlagen und sich geltend machen können.
Da sich ein zunehmender Komplex von Ausgestaltung materieller und sozialer Infrastruktur der Gesellschaft von der Sache her gar nicht über den Weg individueller Nutzenmaximierung vernünftig regeln läßt, sondern einen nichtmonetären gesellschaftlichen Diskurs erfordern würde, setzt die kritisch-nachkapitalistische Marktorientierung nolens volens die Verbannung lebensweltlicher Interessen aus dem ökonomischen Koordinationsmechanismus fort. Um diesem Dilemma zu entgehen, müßten die inhaltlichen Ansprüche an ein Wirtschaftssystem oder eine Wirtschaftsordnung (im Unterschied zu der traditionell-ökonomistischen Definition von Bergmann/Krischausky) so definiert werden, daß sie zumindest der Möglichkeit nach eine Wirtschafts- und Gesellschaftsperspektive jenseits von Arbeits-, Produktions- und Wachstumszwängen, jenseits von Mone-tarisierungszwängen und Dominanz von Erwerbsarbeit enthalten (diesen Anspruch müßten übrigens auch unsere beiden Autoren stellen, wenn sie das freundliche ordnungspolitische Durcheinander im Schlußabschnitt ihres Artikels ernstnehmen).
Daraus leite ich eine weitere Schlußfolgerung ab. Der Weg ist das Ziel: Tao; die schematische Trennung zwischen einer wünschenswerten ökologisch-sozialen Zukunft (ich unterstelle hier grundsätzliche Gemeinsamkeit zwischen Bergmann/Krischausky und mir) und einem instrumenteil begriffenen Markt leidet nicht nur darunter, daß die Position fade und langweilig ist, weil alle Steuerungsprobleme pauschal auf die Rahmenbedingungen und die Politik geschoben werden — sie ist auch nicht haltbar, weil ein dynamisches Verständnis von Wirtschaftsordnung die Handlungsfelder implementieren muß, über die ökonomisch-gesellschaftliche Veränderung erreicht werden können.
Wenn Bergmann/Krischausky meine genannte Handlungsebene als blumige Ziele und ordnungspolitisch irrelevant abtun, eliminieren sie aus dem Bereich der Ordnungspolitik, daß Steuerungsmechanismen gefunden werden müssen:
(1)um ökologisch unverträgliche Produktionen um- und abzubauen,
(2)um Ziele von Arbeitsqualität und Selbstverwirklichung in der Arbeit in die Rationalität praktischer Unternehmenspolitik zu integrieren,
(3) wie die Gesellschaft sozial verträglich = gerecht das aus Gründen der Produktivitätssteigerung geringer gewordene Erfordernis an gesellschaftlich notwendiger Arbeitszeit umsetzen kann,
(4) wie intermediäre [7] bzw. informelle Arbeiten ausgeweitet werden können, ohne auf Dauer am Tropf und damit auch in der Abhängigkeit von Zuschußgebern steckenzubleiben,
(5) wie die menschenwürdige soziale Mindestsicherung vom Arbeitszwang abgekoppelt werden kann (insofern wäre — gegen Bergmann/Krischausky — das von manchen befürwortete garantierte Mindesteinkommen schon ein Bestandteil von Ordnungspolitik; was dagegen spricht, liegt auf einer anderen Ebene).
Ich verlange gerade nicht, daß bestimmte Strategien auf diesen Handlungsfeldern in den Rang von Ordnungspolitik erhoben werden; das ordnungspolitische Potential dieser Handlungsfelder zu leugnen und am traditionellen bornierten wirtschaftswissenschaftlichen Verständnis von Ordnungspolitik festzuhalten, führt freilich dazu, daß mit diesem auch die traditionelle Behandlung der von mir genannten Handlungsfelder perpetuiert wird. Gegenwärtig läßt sich dies an nichts deutlicher zeigen als an der additiven »Integration« von Umweltschutz in Wachstums- und beschäftigungspolitische, d.h. ökonomische Ziele. Weit entfernt davon, Unterschiede zwischen der überkommenen ökonomischen und einer formulierbaren ökologischen Rationalität überhaupt nur zu thematisieren, wird »Umweltschutz« danach bestimmt, ob er den anderen Zielen dienen kann. Einschließlich des DGB-Programms, das eine Beschleunigung qualitativen Wachstums durch Umweltschutz fordert, plädiert man für eine Expansion der Umweltschutzindustrie, die bekanntlich dazu da ist, entstandene Schäden zu sanieren, industriell-nachsorgend, was Wachstum und Beschäftigung verheißt. Präventive Vermeidungsstrategien und eine Strukturpolitik, die zukunftsorientiert darauf aus ist, Reparaturindustrien und -arbeiten überflüssig zu machen, können dagegen unter Umständen Wachstum und Beschäftigung kosten, langfristig haben sie es sogar zum Ziel (vgl. Jänicke 1984).
Eine ernsthafte Option auf die ökologische Orientierung der Ökonomie (vgl. Simonis 1985) müßte die überkommenen Handlungsmuster selbst und nicht nur irgendwelche grenzwertsetzenden Rahmenbedingungen verändern. Entökonomisierung ist etwas anderes als das überkommene ökonomische Handeln unter veränderten Daten. Sich von einem ökolibertären Standpunkt aus für die Entökonomisierung einzusetzen, halte ich für wenig plausibel (so aber Reiche 1985, 23). Diese ist mit Prozessen der Ent(ver)marktlichung durchaus gleichzusetzen. Das offenkundige Problem marktwirtschaftlicher Selbstverwaltung, wahrscheinlich ähnliche externe Effekte der Unternehmen zu produzieren, fordert gesellschaftspraktische Phantasie heraus, wie das Gewinnziel als leitendes Unternehmensziel verändert werden kann; auch hier, wo von der »Basis« her sich die ökonomische Rationalität einer Gesellschaft konstituiert, nur nach anderen Rahmenbedingungen zu rufen, kann nicht genügen.
Die von mir vorgeschlagene Veränderung der Informations- und Entscheidungsbasis des Wirtschaftens meint dementsprechend keineswegs ex-post-Indikatoren, wie Bergmann/Krischausky behaupten. Eine ökologische Buchhaltung etwa soll ja gerade dazu dienen, ökologische Innovationen der Unternehmen durch politische Auflagen einzufordern oder durch monetäre Anreize anzuregen; darüberhinaus könnte sie als kontinuierliche Informationsgewinnung auch während der Rechnungsperiode als Steuerungsinstrument eingesetzt werden.
Eine ordnungspolitische Diskussion, wie denn die einzelwirtschaftliche Gewinnrationalität aufgehoben werden könnte, hat noch gar nicht begonnen. Meiner Ansicht nach wäre sie ein Kernstück in einem solchen Diskurs. Wie können die Interessen der Träger einer selbstverwalteten Unternehmung von den traditionellen einzelwirtschaftlichen Zielen abgekoppelt werden? Wie können nicht nur auf dem Gebiet der landwirtschaftlichen Produktion, wo es Ansätze dafür gibt, sondern auch bei Gütern und Dienstleistungen Formen der Direktvermarktung entwickelt werden, die die räumlichen und zeitlichen Entfernungen zwischen Produktion und Konsum reduzieren?
Welche Perspektive bietet die Entwicklung kommunaler Komitees, die (zunächst beratend) integrierte lebensorientierte Produktionsvorschläge erarbeiten in Verbindung mit den Produktionsmöglichkeiten der ansässigen Unternehmen (dazu Pfriem 1985c)? Welche ordnungspolitischen Eingriffe können dazu führen, die heutigen Unternehmenseinheiten in Richtung ihrer stofflichen Betriebseinheiten zu entflechten und dadurch kleinere ökonomische Systeme zu schaffen, die eher nach demokratischen Kriterien organisiert werden können? Wie kann angefangen bei den Strukturprinzipien und Handlungsmustern von und in Einzelwirtschaften das ökonomische System die Fähigkeit ökologischer Systeme zur Selbstregulation gegen einseitiges Wachstum und Maßlosigkeit gewinnen? Fragen, deren Erörterung lohnen würde als eine fruchtbare Erweiterung der ordnungspolitischen Diskussion.

Zur theoretischen Analyse ordnungspolitischer Reformoptionen
— einige notwendige Anmerkungen (Bergmann/Krischausky)

  1. Ein Gedanke, so zumindestens die leise Hoffnung, gehört der Vergangenheit an: es sei möglich, die Steuerung der (gesellschaftlichen) Produktion von Gütern und Dienstleistungen einem Ordnungssystem allein zu überlassen. Denn die Existenz unterschiedlicher Steuerungsprobleme erfordert einen Gesamtentwurf, in dem institutionell unterschiedlich ausgestaltete Steuerungsmechanismen ihren Platz finden, da keine Steuerungsform für sich eine flächendeckende Problemlösungspotenz aufweisen kann. Aus der Vielfalt der möglichen Ordnungsentwürfe erwächst nach Maßgabe der jeweiligen Steuerungsvorteile eine begründete Priorität; aus der Begrenztheit des informellen Sektors folgt die Notwendigkeit zur Installation marktlicher Koordinierung, und wo diese begrenzt ist, muß die staatliche Regulierung einspringen. So erhalten wir eine Hierachie ordnungspolitischer Steuerungsmechanismen.
    Aber diese Dreiteilung ist keine Aufzählung aller möglichen Steuerungsmechanismen, sondern eine grobe Ausdifferenzierung in einer ersten Phase der Spurensuche. Wir haben uns an dieser Trias entlangehangelt, um die für uns grundsätzlichen Fragestellungen zu verdeutlichen: an welche Bedingungen ist die Existenz, Leistungsfähigkeit und Reichweite einzelner Steuerungsmechanismen gebunden? Von daher können historische Erfahrungen, jetzt gelebte Alternativmodelle, neue theoretische Überlegungen genauso ihren Platz in der Idee unserer Ordnungsvielfalt haben wie auch mögliche Ergänzungen zu den von uns präferierten Systemen. Dies gilt für die Ökobank, für Netzwerk oder für die Verknüpfung autonomer Genossenschaften ä la Mondragon, für Verbrauchermärkte zur Komplementierung des Marktsystems oder für Formen direkterer Demokratie in bezug auf das politisch-administrative System — allerdings: all diese Möglichkeiten müssen auf ihre Leistungsfähigkeit überprüft werden.
    Reinhard Pfriem verweist also zu Recht darauf, daß die neuen Arbeits-und Lebensmodelle, wie sie die sozialen Bewegungen der vergangenen Jahre hervorgebracht haben, Anregung und Inspiration für veränderte ökonomische Gestaltungsprinzipien geben können und müssen. Solche induktiven, quasi beispielhaften Elemente gilt es aber zu einem ordnungspolitischen Gesamtmodell zusammenzufügen, aus dem schließlich konkrete wirtschaftspolitische (Umsetzungs-) Strategien abzuleiten sind. Gerade die Umsetzung zu einem Gesamtmodell steckt nun noch in den Anfängen und ist mit enormen Problemen verbunden.
    Es scheint uns, daß dies auch mit der methodischen Herangehensweise, genauer gesagt: dem wissenschaftstheoretischen Verständnis, zu tun hat. Wenn wir die induktive Ebene verlassen, müssen wir uns aus der Vielfalt der empirischen Erscheinungswelt lösen und die wesentlichen Einflußfaktoren und Kausalbeziehungen herausarbeiten. Das ordnungspolitische Modell wird also notwendigerweise zuerst auf sehr abstraktem Niveau formuliert sein. Erst nach der Modellkonstruktion wird die empirische Vielfalt Stück für Stück wieder zugelassen, so daß eine positive Theorie entstehen kann. Marx hat diese Vorgehensweise trefflich als »Methode der abnehmenden Abstraktion« charakterisiert. Jede ordnungspolitische Utopie, die eben (ex definitione) in der Realität nicht vorfindbar ist, wird erst auf solch abstraktem Wege entwickelt und beschrieben werden müssen. Pfriem unterläuft diese Abstraktionsebene zweifach: zum einen in der Kritik an uns und zum anderen im Anspruch an sich selbst. Sein Einwand gegen unser Modell, daß die beobachtbare (kapitalistische!) Marktwirtschaft doch ganz anders aussehe, geht so also ins Leere: er hätte analytisch belegen müssen, daß es systematische, sozusagen marktinhärente Tendenzen sind, die jede Marktsteuerung verformen und pervertieren. Auf die Ebene einer solchen theoretischen Diskussion folgt Pfriem uns leider nicht. Seine Projektionen greifen aus dem gleichen Grunde zu kurz. Die Abkoppelungsthese von Gewinn (S. 16) oder sein (durchaus akzeptierter) enumerativer Forderungskatalog verbleiben auf der Ebene des rein Wünschbaren. Ob sich solche Bausteine in einen bestehenden Ordnungsentwurf einpassen lassen oder wie ein neues, stimmiges Steuerungsmodell aussehen könnte, das den genannten Anforderungen gerecht wird, bleibt offen. Auf die Basis ausformulierter, theoretisch konsistenter Modelle gestellt, ließe sich über Leistungsfähigkeit, Wirkungssequenzen, Realisierbarkeit (also: das Problemlösungspotential) sowohl Pfriemscher Ideen alsauch der oben erwähnten möglichen Ergänzungen zu unserem rudimentären Entwurf trefflich streiten.
  2. Dieser methodische Dissenz läßt sich an der Diskussion des informellen Sektors verdeutlichen. Das hier wirksame Steuerungsprinzip »Vereinbarung« erscheint uns als ausgezeichneter ordnungspolitischer Mechanismus. Er bezieht seine Stärke gerade daher, daß wirtschaftliche Entscheidungen in direkter sozialer Interaktion zwischen Menschen getroffen werden, ohne daß eine möglicherweise verfälschende Instanz dazwischenge-schaltet ist. Umgekehrt ist es aber deshalb plausibel, eine sinkende Leistungsfähigkeit bei steigender Anzahl der Individuen zu vermuten. Denn zwangsläufig wird der notwendige Informationsaufwand für den Einzelnen gravierend ansteigen (welche Bedürfnisse werden artikuliert?, wer kann was am besten produzieren?), genauso, wie das Abstimmungsverfahren immer schwieriger wird (Einstimmigkeit erfordert bei großen und dann häufig inhomogenen Gruppen aufreibende Diskussionsprozesse, bei anderen Mehrheitsregeln werden immer Minderheiten diskriminiert). Diese Probleme treten plastisch hervor, wenn man sich vergegenwärtigt, wieviele direkte Kommunikationsakte zwischen den Teilnehmern einer solchen Bedarfswirtschaft notwendig sind. Ist bei zwei Personen (die beide produzieren und konsumieren) nur ein Abstimmungsprozeß über die gegenseitigen Bedürfnisse und Produktionsmöglichkeiten notwendig, so sind es nach den Gesetzen der Kombinatorik bei 10 Personen schon 45 Abstimmungskanäle, bei 100 Personen 4.950 und bei 3.000 »Kommune«-mitglieder gar 4.498.500(1). Dies heißt nicht, daß das Steuerungsprinzip Vereinbarung dann nicht mehr funktioniert, aber es funktioniert schlecht: die Interessen »unbedeutender« Mitglieder werden nicht mehr wahrgenommen, Artikulationsfähigkeit und persönlicher Machtinstinkt entscheidet über das Ausmaß der individuellen Bedürfnisbefriedigung.
    Es sind dies Gründe, weshalb wir dem informellen Sektor zwar positiv gegenüberstehen, ihn als geawrtgesellschafltichen Ordnungsentwurf aber sehr skeptisch betrachten. Natürlich gilt es nach Wegen zu suchen, wie diese begrenzte Steuerungsfähigkeit der unmittelbaren Bedarfswirtschaft hinauszuschieben ist. Solange aber der logische Kern unserer Argumentation nicht entkräftet ist, fällt es uns schwer, an solche Möglichkeiten zu glauben. Auch Pfriems Hinweis auf die »neuen sozialen Bewegungen« vermag diese analytische Lücke nicht zu schließen — ganz im Gegenteil sehen wir überall dort, wo es sich um Bedarfswirtschaft im beschriebenen Sinne handelt, unsere Skepsis auch empirisch durchweg bestätigt.
  3. Damit gilt es, einen zusätzlichen ökonomischen Steuerungsmechanismus für die arbeitsteilige Welt jenseits der bedarfswirtschaftlichen Eigenproduktion zu bestimmen. Wir haben dargelegt, daß die Bedürfnisadä-quanz sowie die statische und dynamische Effizienz als gewichtige Argumente für eine Ökonomie mit arbeiterselbstverwalteten Unternehmen, die über Märkte miteinander verbunden sind, sprechen. Auch ein solches Marktsystem weist immanente Schwächen auf; Schwächen freilich, die (im Vergleich zu anderen Systemen) gering erscheinen oder durch marktexterne Regelungen korrigierbar sind. Marktsteuerung heißt stets (unabhängig von der jeweiligen Eigentumsordnung), daß die Produktion auf Basis der artikulierten Präferenzen über Preise koordiniert wird. Bekanntermaßen offenbart schon dieses einfache Gerüst des Steuerungsprinzips zumindest zwei Einfallstellen für mögliche Fehlentwicklungen:
    (a) Präferenzen können nur über kaufkräftige Nachfrage artikuliert werden. Dies erscheint solange unproblematisch, wie die Verteilung der Einkommen nach gerechten Maßstäben erfolgt. Wir meinen, daß mit der kollektiven Aneignung des Mehrwertes in arbeiterselbstverwalteten Firmen eine wesentliche Ursache unvertretbarer Einkommensdisparitäten, wie wir sie aus kapitalistischen Ländern kennen, abgebaut ist. Dies entbindet nicht von der Notwendigkeit, über marktexterne Instanzen (Staat) ein Grundeinkommen zu garantieren und das Verhältnis zwischen Basislohn und Leistungslohn zu fixieren. —
    (b) Die Preissteuerung berücksichtigt zwar Knappheiten und individuelle Präferenzen, kann aber darüber hinausreichende soziale und moralische Bedürfnisse nicht abbilden. Dies ist richtig und verweist auf Vorteile einer sozial-diskursiven Steuerung wie im informellen Sektor. Nun laßt sich für Gruppen, deren Mitglieder vorzugsweise am individuellen Eigennutz orientiert sind, aber mühelos zeigen, daß ab einer gewissen Größe soziale Anreize ihre Kraft verlieren werden (52f.). Die Schwäche des Preises, nur monetäre Anreize zu berücksichtigen, wird hier zu seiner Stärke, denn nur wenn komplexe Zusammenhänge (hier: arbeitsteiliges Wirtschaften) reduziert werden können, lassen sie sich letztlich effizient steuern.
    Fragen der Ethik und Kultur, die normative Kraft der Solidarität und der Brüderlichkeit sollen damit keineswegs leichtfertig beiseite geschoben werden. Aber ist es den unbegründet, die Gestaltungskraft solcher Motivationslagen im wirtschaftlichen Austausch der arbeitsteiligen Gesellschaft skeptisch einzuschätzen? Hat nicht die Erfahrung beispielsweise mit gemeinnützigen Wohnungsbauunternehmen gezeigt, daß das Solidarmotiv vielleicht die Versorgung innerhalb der Genossenschaft zu strukturieren vermag, Bedarfslagen außerhalb der Genossenschaft aber kaum mehr das Interesse der Mitglieder finden (»closed-shop«-Mentalität)? Tatsächlich sind es primär die institutionellen Regeln, die hier wirken (im Beispiel: Gewinnbegrenzung, Wiederanlagezwang des überschüssigen Kapitals im Wohnungsbau); nicht aber das Hoffen auf die Moral der Beteiligten.
    Die Anonymität des Steuerungsverfahrens Markt hat aber auch eine zweite Seite. Sie emanzipiert Personen von sozialen Festlegungen und sozialer Kontrolle, erodiert tradierte Normen und Werte und setzt an deren Stelle sachvermittelte, flüchtige und auf die Oberfläche abzielende Begegnungen: der wirtschaftliche Prozeß wird indifferent gegenüber personalen Umständen. Dies provoziert die grundlegende Frage: Wollen wir denn ein soziales Abstimmungsverfahren für alle Lebensbereiche oder benötigen wir auch Räume, in denen wir uns anonym auf unsere Individualität zurückziehen können? Brauchen wir nicht eine Vielfalt der Ordnungen, die sich komplementär zueinander verhalten: nutzenkalkülfreie Bereiche, wo die Sozialität nicht verdrängt wird, neben einem unpersönlichen Steuerungsmechanismus wie dem Markt?
  4. Da die Marktökonomie also wie ein Filter wirkt und das gesellschaftliche Informationspotential auf Preisinformationen reduziert, wird ihr oft auch die Fähigkeit abgesprochen, in sensiblen Bereichen (etwa in bezug auf Naturressourcen) adäquate Steuerungsleistungen zu erbringen. »Quantifizierung und Monetarisierung begünstigen einen zerstörerischen Umgang mit der nichtmenschlichen Natur« (Pfriem). Wenn zugleich durch die Struktureigenschaften von Marktsystemen eine maßlose Aneignung der Ressource Umwelt gefördert werde, dann sei doch eine preisliche Steuerung letzthin unmöglich. — Nun sind Marktökonomien stets nur solange maßlos, wie ihnen eine maßlose Aneignung gestattet wird. Erst durch Zuordnung von Eigentumsrechten, oder im Falle der Umwelt, durch staatliche Regulierung, kann der kostenlose und (bei Vorliegen von Nutzungskonkurrenz) zerstörerische Zugriff auf die Umwelt vermieden werden. Wir haben versucht zu zeigen, daß sich Marktsysteme genau dann nicht gegen eine Berücksichtigung ökologischer Belange sperren, wenn über marktexterne Instanzen entsprechende Signale in den Markt eingeschleust werden. Dazu müssen im politischen Prozeß die rivalisierenden Nutzungsansprüche an die Umweltressourcen abgestimmt und in eine konsistente Rangfolge gebracht werden. Derartige Ansprüche sind vielfältig und reichen von ästhetischer Naturwahrnehmung bis hin zur Benutzung der Umwelt für industrielle Zwecke. Der politische Entscheidungs-prozeß kann prinzipiell alle Wertvorstellungen einbeziehen, unabhängig davon, ob sie quantifizierbar oder monetarisierbar sind. Erst dann erfolgt eine Instrumentenauswahl und ggf. eine preisliche Steuerung. Dies ist aber keine Wertzumessung mehr, keine Verökonomisierung der Umwelt, sondern die Preise haben instrumentellen Charakter und dienen der Umsetzung politischer Wertvorstellungen. Die Verpreisung der Umwelt ist nicht das Ergebnis der Marktkräfte, sondern es sind administrierte Preise, die als Regulatoren dienen, um politisch gewünschte Umweltstandards durchzusetzen.

Die konkrete instrumentelle Ausgestaltung muß sich aber stets nach dem jeweiligen konkreten Problemfeld richten. Die Allokationseffizienz einer Preis- oder Mengenlösung kann nur dann zum Tragen kommen, wenn sichergestellt ist, daß so die Einhaltung der politisch gewollten Umweltqualität erreicht werden kann. Ist dies nicht der Fall, etwa weil die Schadstoffemission gegen Null gehen muß oder marktliche Anpassungsprozesse zuviel Zeit erfordern, sind andere Instrumente zu wählen. Von daher geht es nicht um die Verpreisung der Umwelt »um jeden Preis«, sondern um den Entwurf eines »policy-mix«, in dem Abgaben und Lizenzen genauso wie Auflagen und Gemeinlastfinanzierung ihren Platz haben — freilich exakt definiert nach ihrer Angemessenheit für den Einzelfall. Freilich scheint es gerade hier wichtig geworden zu sein, zu betonen, daß die notwendige Diskussion um die Vereinbarkeit von Markt und Ökologie nicht dazu führen darf, sich von drängenden umweltpolitischen Problemen ablenken zu lassen. Denn angesichts der fatalen ökologischen Entwicklung muß es gegenwärtig oberste Priorität sein, im politischen System die Standards durchzusetzen, die ökologisch unverzichtbar sind. Die aktuellen Auseinandersetzungen haben gerade gelehrt, daß Diskussionen über marktwirtschaftliche Instrumente im Umweltschutz von interessierten politischen Kräften nur zu gerne als Vorwand genommen werden, um die notwendigen Entwicklungen zu blockieren.

Dezentrale Marktproduktion oder Planung? — Eine falsche Fragestellung (Zinn)

In der jüngeren Vergangenheit zeigt sich eine bemerkenswerte Konvergenz neokonservativer und alternativer Begrifflichkeit. Bürokratiekritik, Antietatismus, Forderungen nach Dezentralisierung und Vertrautheit sozialer Strukturen, Stärkung der Eigeninitiative, Einfachheit (sprich: Anspruchsreduktion), Kleingruppenorientierung und dergleichen indizieren jene partiellen Übereinstimmungen von Konservatismus und alternativen Orientierungen. Zugleich zeigen sich fundamentale Gegensätze zwischen den beiden Strömungen etwa in der Beurteilung von Großtechnologien, in der Rüstungs- und Friedenspolitik, in der Einstellung zu Wirtschaftswachstum, Leistung und profitwirtschaftlicher Effizienz. Es wäre ohne Zweifel infam, wenn jene begrifflichen Konvergenzen dem denunziatorischen Angriff auf alternative Vorstellungen dienten. Jedoch darf nicht übersehen werden, daß die neokonservative Forderung nach mehr Markt und die alternativen Dezentralisierungssehnsüchte zusammenspielen; sie appellieren an verbreitete Ressentiments gegen den Interventionsstaat und an gesellschaftspolitische Rückzugsmentalität.
Die aus dem Unbehagen an industrieller Komplexität und Sozialstaatsbürokratie resultierenden Sehnsüchte nach der kleinen Überschaubarkeit bilden den Untergrund der vorgegebenen Thematik dieses Aufsatzes. Die Frage zu stellen, ob die (humanen) Vorzüge kleiner, dezentraler, marktvermittelter Produktion gegenüber denen gesamtgesellschaftlicher Planung überwiegen, setzt falsch an. Denn die Situation der Einzelwirtschaft (Haushalt, Unternehmen, Kleingruppe und dgl.) läßt sich nicht danach bestimmen, ob es gesamtwirtschaftliche Planung oder dezentrale Marktproduktion gibt. Dieser aus der orthodoxen Ordnungstheorie übernommene Gegensatz besteht historisch nicht. Es ist (uns) somit auch nicht möglich, auf die vorgegebene Fragestellung so zu antworten, wie mancher Leser es erwarten mag. Vielmehr sind die folgenden Ausführungen darauf gerichtet, die Irrelevanz der Fragestellung zu erörtern, ohne jedoch das Problem, das sich dahinter verbirgt, außer acht zu lassen.

1. Perspektivenwechsel

Die ordnungstheoretische Frage, die üblicherweise zwischen den konträr gedachten Begriffen Plan und Markt aufgespannt wird, war bis vor einigen Jahrzehnten zugleich mit der gesellschaftstheoretischen und ideologischen Gegenüberstellung von Sozialismus und Kapitalismus verknüpft.
Theoretisch war die Verbindung zwischen den instrumentellen Kategorien Plan und Markt mit jenen gesellschaftstheoretischen Begriffen schon immer schief, aber erst die Realisierung von Marktprozessen in sozialistischen Gesellschaften (am weitesten in Jugoslawien und Ungarn; jüngst ansatzweise in der VR China) und der Verbreitung empirischer Kenntnisse über die Planungsstrukturen und das Zusammenwirken von Staat und kapitalistischer Wirtschaft (Stamokap-These) in den entwickelten westlichen Industrieländern führte in der wissenschaftlichen Ordnungsdiskussion zur Abkehr von jener kruden Zuordnung Plan-Sozialismus bzw. Markt-Kapitalismus.
Daß in der breiten Öffentlichkeit, in der pseudowissenschaftlichen Wirtschaftsliteratur und den Köpfen vieler Wirtschaftspolitiker jene dichotomische Ordnungsideologie noch vorherrscht, ist für die politische Diskussion der einschlägigen Probleme nach wie vor beschwerlich. Jene Beschwerlichkeit muß in Rechnung gestellt werden; weshalb eine reine Instrumentendiskussion, auf die die Erörterung von Plan und Markt bei angemessenen Vorkenntnissen reduziert werden könnte, hier nicht zweckvoll erscheint. Es wird deshalb ausholender argumentiert, d.h. es geht nicht nur um die »pragmatische« Einbettung von Plan und Markt in ein gegebenes (kapitalistisches oder sozialistisches) Gesellschaftssystem — womit die vorrangigen sozialen Zielsetzungen bereits vorausgesetzt würden —, sondern Plan und Markt werden im Rahmen des gesellschaftlichen Gesamtsystems und dessen Zielfunktionen analysiert.
Die Konstruktion jeder Wirtschaftsordnung ist ein Interessenproblem. Damit ist die Erörterung der Wirtschaftsordnung nicht von der Frage zu lösen, in welchem Maße sich das gesellschaftliche Prinzip demokratischer Machtkontrolle auch auf den ökonomischen Bereich auswirkt bzw. von der Ökonomie her gefährdet wird. Plan und Markt sind Kategorien der Wirtschafts-Ordnungstheorie. Wegen des Zusammenhangs von Staatsund Wirtschaftsordnung stehen sie daher auch in einem politischen Kontext. Damit bestimmt sich die jeweilige politische und ökonomische Qualität von Plan und Markt aus jenem Kontext heraus. Plan und Markt sind nicht per se mehr oder weniger kapitalistisch oder sozialistisch, demokratisch oder autoritär, frei oder unfrei etc., sondern Plan und Markt sind funktionell zu sehen; ihre Qualität bestimmt sich vom Umfeld her. Das Umfeld ist demokratisch oder autoritär, sozialistisch oder kapitalistisch etc.
Erst von einer bestimmten (normativen) gesellschaftspolitischen Position aus betrachtet, läßt sich über Plan bzw. Markt urteilen. Denn der instrumentelle Charakter von Plan und Markt impliziert, daß eine Entscheidung über das Instrument nicht getroffen werden kann, ohne sich über den Zweck im klaren zu sein. Und zu den Zwecken gehören operationale Bestimmungen der zentralen Begriffe von Freiheit, Gerechtigkeit, Gleichheit, Solidarität, Humanität, Menschenwürde, um nur die wichtigsten gemeinwohlkonstituierenden Ideen zu nennen. Dies anzuerkennen bedeutet keineswegs, die Ziel-Mittel-Interdependenz (G. Myrdal) zu leugnen, sondern im Gegenteil würde eine isolierte Diskussion Plan/Markt gerade jene Interdependenz ignorieren.
Die eng umgrenzte Diskussion über Plan und Markt ist jedoch noch aus einem ganz anderen Grund unfruchtbar. Die thematisch vorgegebene Gegenüberstellung von Plan und Markt, die wir im Titel als falsche Fragestellung bezeichnet haben, verdankt sich einem unzureichenden ordnungstheoretischen Ansatz, der sowohl von der wirtschaftsliberalistischen als auch der sozialistischen Orthodoxie vertreten wird, nämlich der Konstruktion von (nur) zwei makroökonomischen Idealtypen: der Marktwirtschaft und der Verwaltungswirtschaft.
Das Gesamtsytem wird nicht ausschließlich dadurch determiniert, ob die Einzelwirtschaften markt- oder planwirtschaftlich eingeordnet sind. Vielmehr sind auf der makroökonomischen Ebene Koordinations- und Lenkungsmechanismen konstruierbar und historisch vorhanden, die sich nicht adäquat durch das duale Markt-Plan-Schema — etwa im Sinne einer Kombination oder Mixtur — wahrnehmen lassen. Plan oder Markt konstituieren noch nicht das Gesamtsystem, sondern sind in das Gesamtsystem integriert.

2. Eigentum, Demokratie und Macht

Sozialismus ist unvereinbar mit der Dominanz privater Verfügungsmacht über Produktionsmittel. Wie gesellschaftliche Kontrolle ökonomischer Macht trotz privater Eigentumstitel an den Produktionsmitteln möglich ist, ob und wieweit sozialistisches Eigentum scharf von reiner Verstaatlichung zu trennen ist, ob genossenschaftliches Produktionsmitteleigentum und gemeinwirtschaftliche Betriebe Vorformen des Sozialismus oder Komponenten einer sozialistischen Wirtschaft sind, läßt sich nicht pauschal beantworten. Vielmehr sind jeweils .die historischen Besonderheiten zu beachten und danach wäre zu entscheiden.
Es steht allerdings außer Frage, daß sozialistische (Wirtschafts-)Politik nur gegen kapitalistische Interessen durchgesetzt werden kann. Auch wenn dieser Konflikt politische Kompromisse und Kooperation von Arbeit und Kapital nicht ausschließt, bleibt doch der Widerspruch zwischen gesellschaftlicher Produktion und privater Aneignung bestehen, solange der Produktionsprozeß nicht von der Gesellschaft selbst kontrolliert wird. Gesellschaftliche Selbstkontrolle bedeutet Demokratie, also auch demokratische Bestimmung des gesellschaftlichen Produktions- und Distributionsprozesses. Die Einzelwirtschaft in einer demokratischen Gesellschaft kann keine ausschließlich auf privates Interesse ausgerichtete Institution sein.
Das dominierende Privatinteresse im Kapitalismus heißt Profitinteresse. Der Begriff Privatinteresse ist jedoch umfassender: auch der »Ausstieg aus der Gesellschaft« — wenn es denn so etwas gäbe — oder die Instrumentalisierung einer Bürgerinitiative gegen den Bau einer psychiatrischen Landesklinik können Reflex des Privatinteresses sein.
Es gibt also Konfliktlinien zwischen Demokratie und Privatinteressen, die nicht identisch sind mit dem kapitalistischen Grundwiderspruch. Deshalb lassen sich auch nicht alle Angriffe auf profitwirtschaftliche Projekte automatisch als »gesellschaftlich« legitimierte Interessenvertretung oder gar antikapitalistische Politik stilisieren. Dies als Warnung vor überstürzten Koalitionen. Der Konflikt zwischen verschiedenen Privatinteressen ist selbstverständlich ein gesellschaftlicher Konflikt. Deshalb muß er gesellschaftlich gelöst werden. Das demokratische Prinzip gibt den Lösungsweg vor.
Diese glatte Argumentationskette bricht sich an der Realität: Auch wenn Dezentralisierungswünsche, Regionalismus, die Attraktivität der kleinen Einheit, die Kritik an der Sozialstaatsbürokratie und die Überhöhung karitativer Nachbarschaft und dergleichen privatistische Elemente enthalten, die sich vom Neokonservatismus trefflich instrumentalisieren lassen, sind in dieser Protestströmung drei wesentliche gesellschaftliche Interessenkomplexe enthalten.
Erstens artikuliert sich Kritik an Unzulänglichkeiten und Mängeln des demokratischen Staates. Die Zentralisierungstendenzen — z.B. die Aushöhlung der Finanzkraft der Kommunen, die unzureichende Beteiligung von lokal Betroffenen bei etlichen gesamtwirtschaftlich orientierten Projekten, die Kompetenzverlagerung von demokratischen Gremien (Parlamente) auf Bürokratien etc. — reduziert die demokratische Qualität von staatlichen Entscheidungen zugunsten sogenannter Sachzwänge. Protest und Widerstand hiergegen sind somit eine notwendige Korrektur zugunsten der Re-Demokratisierung.
Zweitens besteht der berechtigte Verdacht, daß — noch begünstigt durch die bereits im vorhergehenden Absatz erläuterte Sachzwang-Diktatur — die Einflußnahme der demokratischen Kontrolle entzogenen Machtkörper, speziell des Kapitals, auf den demokratischen Staat faktisch zu extremen Verwerfungen des demokratischen Entscheidungsprozesses führt: Was zwar formal demokratisch entschieden wird, ist tatsächlich Interessenpolitik. Das Flick-Syndrom indiziert Metastasen. Wie anders als durch Widerstand soll sich der Citoyen und Demokrat gegen die Subversion der Demokratie durch das Kapital wehren, zumal diese Art von Verfassungsfeindlichkeit nicht vom Verfassungsschutz erkannt und der Bundesanwaltschaft zur Anzeige gebracht wird?
Drittens formuliert sich im Protest und den Dezentralisierungspostula-ten das gesellschaftliche Interesse an einer möglichst effizienten und den grundgesetzlichen Garantien adäquaten Bedürfnisbefriedigung. Die Bürokratiekritik, der Vorwurf der Anonymisierung und Inhumanität von Verwaltungshandeln, die Verweise auf Schildbürgerprojekte (Rhein-Main-Donau-Kanal, Startbahn-West), die Verdrossenheit und Wut über staatliche Überheblichkeit, die unsere Polizei — oft gegen den Rat der Polizei-Gewerkschaft — in die Knüppelrolle zwingt, statt politische Konflikte politisch zu lösen, verweisen auf Diskrepanzen zwischen dem demokratischen Geist des Grundgesetzes und obrigkeitsstaatlicher Praxis. Aus solchen Widersprüchen quillt das Gefühl mancher Demonstranten, nicht gegen ihren, unseren Staat zu demonstrieren, sondern gegen den Flick-Staat. Mit dämlichen Politikeransprüchen und ideologischen Sprechblasen mediokrer Wichtigtuer läßt sich das — zum Glück für die Demokratie — nicht beruhigen.
Der Leser fragt nach dem Bezug zum Thema? Die Diskussion der »Linken« über dezentrale Marktsteuerung oder Planung hat einen Hintergrund. Hierum ging es in den vorhergehenden Überlegungen. Die Topoi der Diskussion — immer wieder Dezentralisierung — sind nicht so selbsterklärend und analytisch klar, daß ein theoretisches Herantasten, worum es denn eigentlich geht, überflüssig wäre. Vielleicht wurde hier noch zu schwach ausgeleuchtet; manches Wichtige übersehen; aber die Debatte ist ja noch nicht zuende.
Protest und Postulate sind keine Gewähr dafür, daß richtig artikuliert wird, was man will. Die emotionale Stärke der Intention garantiert noch nicht die Treffsicherheit der Begriffe, in denen die Forderungen daherpre-schen. Der Vorhalt sei am Schlagwort der Dezentralisierung erläutert. Die Sozialhilfe ist dezentralisiert. Schützt das vor Ungerechtigkeit, Herablassung, Klinkenputzen, vor den kleinen Chefs und dem leichtsinnigen Alltagsumgang mit dem Grundgesetzartikel zur Menschenwürde? Sind lokale Bürokratien vor Lobbyinfiltration gefeit? Findet der »größte private Arbeitgeber« im Landkreis etwa kein besonderes Gehör im Kreistag und beim Landrat? Die kleine Münze der kleinen Flicks im kommunalen Wahlkampf wird auch nicht verachtet. — Verkehrspolitik: auch der Bio-Bauer hat Verwandte in der Stadt; seine Kinder werden auch nicht alle wieder Bio-Bauern und bleiben nicht am Ort. Wie organisiert man den Güter- und Personenverkehr »dezentral«? Woher kommt der Strom für die Straßenbeleuchtung im Dorf? Das sind keine prinzipiellen Argumente gegen die Dezentralisierung — wo sie Vorteile bringt. Aber Dezentralisierung ist eben auch kein Prinzip — jedenfalls kein brauchbares. Deshalb sind Plan und Markt keine sich ausschließenden Alternativen. Das zugrunde liegende Problem bedarf zur Lösung einer anderen Perspektive als sie die orthodoxe Ordnungstheorie liefert.

3. Realsozialismus, Marx und die linke Planungsphobie

Die Erfahrungen der Länder des »real existierenden Sozialismus« mit der imperativen Planung zeigen, daß die orthodoxe Planwirtschaft zwar in der Lage war, von einem niedrigen Entwicklungsstand ausgehend eine rasche Industrialisierung durch Konzentration der Ressourcen auf zentrale Projekte zu gewährleisten, aber das war's denn fast auch. Analog ist die Planwirtschaft in der Lage, durch rigorose Gleichverteilungspolitik das Ernährungsproblem einigermaßen zu lösen, sofern das statistische Pro-Kopf-Einkommen der Gesellschaft überhaupt das Existenzminimum überschreitet. Die UdSSR und die VR China sind empirische Beispiele für jene Entwicklungs- bzw. Emährungsregimes. Reformen im Inneren verlangen eine gewisse außenpolitische Sicherheit. Der Ost-West-Konflikt und das internationale Wettrüsten behindert Reformen in den RGW-Ländern. Dieses Faktum besagt noch nichts über die »Schuldigen« der Situation. Faktum ist jedoch auch, daß die USA jeweils als erste einen neue (noch teurere) Waffengeneration der Menschheit aufzwangen.
Mit fortschreitender Entwicklung, dem Übergang vom extensiven zum intensiven Wachstum, also der Betonung von Modernisierung und Innovation, werden die Entscheidungsstrukturen derart komplex, daß die Berücksichtigung des »Prinzips der materiellen Interessiertheit« in den RGW-Ländern mehr Gewicht erhielt. In der ökonomischen Konsequenz müßte daraus dann auch ein größerer Entscheidungsspielraum der Unternehmen (Stichwort: Dezentralisierung) sowohl beim Einkauf als auch beim Verkauf und bei der Produktion resultieren. Dies impliziert eine Veränderung der Allokationsmechanismen von der rein administrativen Planvorgabe und -kontrolle hin zu Marktmechnismen. Historisch läßt sich diese Tendenz an Hand der verschiedenen Reformschritte der Planwirtschaften seit den sechziger Jahren belegen.
Mit der Erweiterung der selbständigen Entscheidungsspielräume der ökonomischen Agenten (Unternehmen) verliert der politische Apparat die direkte und ins Detail gehende Kontrolle über den Wirtschaftsablauf. Machtverlust bedeutet Positions- und Privilegienverlust; die politische Situation müßte sich verändern, ökonomische Reformen sind nicht unabhängig von pohtischen Reformen. Die plausible Interpretation dieses Zusammenhangs sieht tendenziell zwei Alternativen. Entweder kommt es zu einer Trennung von Wirtschaft und Staat derart, daß neben der staatlichen Macht ein relativ selbständiger ökonomischer Machtbereich entsteht; eine quasi-kapitalistische Struktur wäre möglich. Oder die staatliche Macht beginnt sich zu demokratisieren; durch die erweiterten politischen Freiheitsspielräume gewinnt auch die Wirtschaft Flexibilität und Selbständigkeit, womit Verkrustungen und Ineffizienzen überwindbar wären. Zugegeben, daß dies eine Deutung im Telegrammstil ist, bleibt jedoch als Konsequenz festzuhalten, daß ökonomische Reformen als politisches Komplement Veränderungen der Machtstrukturen aufweisen. Darin liegt nun das Problem. Solange die außenpolitische Bedrohung bestehen bleibt, herrscht Vorsicht. Innenpolitische Turbulenzen wird sich das Regime nicht leisten. Man tritt zwar nicht ganz und gar auf der Stelle, aber Reformen laufen im Schneckentempo.
Die Reformträgheit der osteuropäischen Länder hat politische Ursachen und ökonomische Wirkungen. Das dem Marxismus anzulasten, ist wissenschaftlich Dummheit, politisch interessengerechte Ideologie. Für die realsozialistischen Länder besteht eine Dilemma-Situation. Denn auf Dauer lassen sich die ökonomischen Verluste und gesellschaftlichen Folgen ausbleibender Reformen wohl nicht verkraften. Es ist auch keineswegs so, daß repressive Kontrollen jegliche Sanktionsmöglichkeit der Bevölkerung unterbinden könnten: Verweigerungshaltungen, Desinteresse, Apathie, Arbeitsunlust, Leistungseinschränkung, illegale Wirtschaftsformen (Schwarzhandel u.a.) sind hinlänglich bekannte Phänomene.
Die Mängel in östlichen Volkswirtschaften zu nennen, darf nicht darüber hinwegsehen lassen, daß die Probleme der sozialen Armut, der Arbeitslosigkeit, der gesellschaftlichen Disintegration sehr viel besser gelöst sind als in vielen westlichen Ländern. Auch steht es mit der Wirtschaftsleistung und der Produktivität nicht so schlecht, wie die Propagandaindustrie im Westen suggeriert. Beispielsweise liegt die Arbeitsproduktivität der Deutschen Demokratischen Republik über der Großbritanniens. Der »linke« Horror vor dem Realsozialismus hat verständliche Gründe. Das ist aber keine Entschuldigung für undifferenziert Pauschalierungen, historische Kurzsichtigkeit und panische Furcht vor gesellschaftlicher Planung. Die Dezentralisierungs- und Entregulierungspolitik — etwa so konsequent wie in den USA praktiziert — müßte ebenfalls »linken« Horror auslösen.
»Sozialismus passe?« steht als rhetorische Floskel auf dem Titelblatt dieses Bandes und soll wohl gegen Resignation mobilisieren, indem sie thematisiert wird. Distanz zu Marx spricht aus dem linken Katzenjammer; denn Marx hatte eine ungebrochene Zukunftsvision, was ja zur Zeit nicht en vogue ist. Der Realsozialismus hat mit seinem byzantinistischen Personenkult weder Marx noch dem Marxismus einen guten Dienst erwiesen. Aber müssen deshalb die unvermeidlichen Assoziationen zwischen Marx und Realsozialismus auch die linke Ordnungstheorie verwirren?
Die Marxsche Theorie liefert bekanntlich keinen fertigen Entwurf für die sozialistische Gesellschaft; warum sich also von den Verknüpfungen Marx-Realsozialismus in die linkssektiererische Planungsphobie treiben lassen? Es ist ein Mißverständnis, wenn die freie Assoziation der Produzenten als rein planwirtschaftliche Konstruktion des Wirtschaftssystems interpretiert wird. Wie erwähnt, gibt es unter bestimmten historischen Bedingungen gute Gründe, ein rigides Planwirtschaftssystem vom Typ der
orthodoxen Sowjetwirtschaft zu präferieren. Das ist kein Gegensatz zur Marxschen Theorie, aber auch alles andere als die einzig mögliche Gesellschaftsordnung in marxscher Perspektive.
Marx' Kritik an den naturwüchsigen kapitalistischen Marktprozessen wurde zu voreilig als prinzipielle Ablehnung marktwirtschaftlicher Regelungen gelesen. Es geht um die Gestalt des makroökonomischen, also des gesamtwirtschaftlichen Prozesses. Der kommt in einer industrialisierten Volkswirtschaft nicht ohne Planung aus. Das zu beachten, ist jedoch nicht identisch mit dem Dogma, nur die durchadministrierte Planwirtschaft sei Gewähr für sozialistische Verhältnisse. Allerdings ist Wachsamkeit angebracht: Planungsphobien sind zugleich Schleichwege fort von sozialistischer Wirtschaftspolitik. Mit verbalem Windelweichsozialismus ist im Kapitalismus kein sozialistischer Staat zu machen, nicht mal ein sozialer.
Manche Marxegese verkennt die Differenz zwischen einem Wirtschaftssystem, das sich als Summe autonomer Einzelwirtschaften konstituiert — also einer (konkurrenz-) kapitalistischen Ordnung — und einem durch gesamtwirtschaftliche Regelung gesteuerten Wirtschaftsprozeß, mag er nun markt- oder planwirtschaftlich eingeordnete Einzelwirtschaften umfassen. Marx/Engels mußten ihre staatstheoretischen Überlegungen auf eine historische Situation beziehen, in der es keine Demokratie im uns geläufigen Sinn gab. Das allgemeine gleiche Wahlrecht ist ein von der Arbeiterbewegung erst im 20. Jahrhundert erreichtes Ziel. Der Kapitalismus im 20. Jahrhundert mag in wesentlichen Zügen derselbe wie im 19. Jahrhundert sein; für den Staat gilt dies nicht. Deshalb ist auch das Verhältnis zwischen (demokratischem) Staat und kapitalistischer Wirtschaft anders als im vergangenen Jahrhundert zu sehen. Ein schwedischer Wohlfahrtsstaat wäre unter den politischen Bedingungen des 19. Jahrhunderts unmöglich gewesen; die US-Gesellschaft ist hingegen heute nicht so grundverschieden von der vor 100 Jahren. Was belegen soll, daß trotz Fortbestehen des Kapitalismus durch staatlichen Interventionismus sich in einigen Gesellschaften viel geändert hat — und in anderen nicht.
Die dialektische Interpretationsfigur, daß sich die neue Gesellschaft im Schöße der alten entwickelt, legt im Hinblick auf Veränderungen der Wirtschaftsordnung eher die Anreicherung des marktwirtschaftlichen Systems durch gesellschaftliche Interventionen nahe als den abrupten Übergang vom »Markt« zum »Plan«. Die allmähliche — sozusagen reformistische — Veränderung führt nichtsdestoweniger an eine kritische Schwelle oder besser: in eine kritische Phase, in der Quantität in Qualität umschlägt.
Die neoliberalistische Befürchtung, daß sich interventionistische Politik im Sinn der »Ölflecktheorie« als systemtransformierendes Potential erweisen könnte, ist bei aller propagandistischen Oberflächlichkeit insofern zutreffend, als sich mit (interventionistischer) Vollbeschäftigungspolitik — selbst wenn nicht intendiert — eine Stärkung der Arbeiterschaft und ihres gesellschaftspolitischen Reformdrangs einstellt. Die »Ölflecktheorie« wird von ihren Verfechtern zwar meist recht naiv — und damit unzutreffend — als mechanistische Zwangsläufigkeit derart interpretiert, daß der erste Eingriff in die »freie« Wirtschaft, den zweiten, dritten etc. nach sich zöge. Diese Zwangsläufigkeit liegt gerade nicht vor. Das anschauliche Beispiel der weitgehenden Beseitigung marktwirtschaftlicher Steuerung im Agrarbereich macht deutlich, daß sich selbst ein extremer Dirigismus sehr wohl begrenzen läßt und ein Übergreifen auf andere Bereiche weder politisch noch im Sinn mechanistischer Sachzwänge eintritt.
Der mißlungene Agrarprotektionismus zeigt allerdings auch, daß die partielle Beseitigung von Marktwirtschaft die gesamtwirtschaftlichen Probleme nicht nur ungelöst läßt, sondern solche Lösungen erschwert. Und zwar politisch durch die evidente Kontraproduktivität des Dirigismus und ökonomisch durch die Kosten, die er der Gesamtwirtschaft aufbürdet. Ideologisch erfüllt der mißliche Dirigismus jedoch eine wichtige Funktion im Sinn der Stabilisierung des kapitalistisch-marktwirtschaftlichen Systems, weil die einhellige Kritik an der (agrarpolitischen) Protektion zugleich zur Bestätigung der Optimalität des eingriffsfreien Marktmechanismus gemünzt wird. Wie ja auch generell Krisen und Katastrophen des marktwirtschaftlichen Kapitalismus in Umkehrung von Ursache und Wirkung den wirtschaftspolitischen Eingriffen angelastet werden, die das Resultat des marktwirtschaftlichen Chaos sind.

4. Planung ohne Planwirtschaft

Die Identifizierung von Dirigismus und Interventionismus und der damit verknüpfte anti-etatistische Bürokratievorwurf ist ein Gewächs des klassischen Wirtschaftsliberalismus, in dessen Samtschlingen sich gegenwärtig Teile der Linken verheddert haben. In der ordnungstheoretischen Literatur findet sich nur sehr vereinzelt der Versuch, zwischen Dirigismus und Interventionismus klar zu differenzieren. Es läßt sich feststellen, daß partielle, unsystematische Eingriffe in den marktwirtschaftlichen Prozeß von Beginn der kapitalistischen Entwicklung an vorgenommen wurden. Ein idealtypisches Laissez-faire hat es nie gegeben. Polanyis Studien zur »Großen Transformation« belegen zudem, daß es zumindest im 19. Jahrhundert gerade die kapitalistischen Interessengruppen gewesen sind, die nach staatlichen Dirigismen riefen: Außenwirtschaftlicher Protektionismus, Subventionen und Steuerpräferenzen, Kooperation von Staat und (Groß-) Industrie sind historisch gesehen originär kapitalismusimmanente Phänomene.
Der Dirigismus erklärt sich aus politischen Zwängen und Interessenkonstellationen und traf stets auf den wirtschaftstheoretisch begründeten Widerspruch der Smithianer. Das wirtschaftsliberalistische Unbehagen gegenüber dem Staatseingriff ist jedoch nur vordergründig als Kritik an der Abweichung von der marktwirtschaftlichen »Optimalität« erklärbar; die tiefergehende Argumentation berührt den transformatorischen Charakter kumulativer Staatseingriffe. Die systemüberwindende Potenz eines Bündels zusammenhangloser Dirigismen mag überschätzt werden, aber hat sich erst einmal erwiesen, daß das kapitalistische System auch, wenn nicht besser, mit dem staatlichen Eingriff überlebt, entstehen Grauzonen, die ideologisch nur schwer legitimiert werden können. Vor allem wird es für die Kapitalmacht gefährlich, wenn der demokratische Staat von linken Parteien regiert wird.
In theoretisch strenger Unterscheidung zum skizzierten Dirigismus hebt sich der Interventionismus durch seine gesamtwirtschaftliche Orientierung der Einzelmaßnahmen und die systematische Berücksichtigung von Zusammenhängen ab. In diesem Sinn ist es gerechtfertigt, vom theoretischen Interventionismus zu sprechen. Gemeinsam mit dem Dirigismus ist ihm das staatliche Eingreifen in den marktwirtschaftlichen Prozeß, aber wegen seiner theoretischen Orientierung hat der Interventionismus andere Qualität, nämlich eine planorientierte Eingriffskonzeption.
Gegenwärtig verbindet sich die Vorstellung interventionistischer Politik vorwiegend mit dem Keynesianismus. In der Tat lieferte die keynesianische Theorie eine theoretische Begründung der systematischen Beschäftigungspolitik. Diese Begründung fußt einerseits auf der Kritik am klassischen Selbststeuerungstheorem (Saysches Gesetz) und andererseits auf der kreislauftheoretischen Einordnung der Fiskalpolitik als einer gegen die makroökonomische Instabilität des Marktprozesses aktivierbaren Institution.
Die Kritik am wirtschaftsliberalistischen Automatismus enthält eine Reihe von Einzeltheoremen, die im prinzipiellen Gegensatz zur klassisch-neoklassischen Theorie stehen: die Abhängigkeit der (Konsum)-Nachfrage von der Einkommenshöhe und die damit verbundene Widerlegung einer grenzenlosen Palette konsumtiv befriedigbarer Bedürfnisse; die Nachfrageabhängigkeit der Beschäftigung; die realwirtschaftliche Wirkung monetärer Prozesse, womit die klassische Geldschleierthese und die Abkoppe-lung der güterwirtschaftlichen von der geldwirtschaftlichen Sphäre bestritten wird.
Die wirtschaftspolitischen Konsequenzen der keynesianischen Theorie sind in der Regel völlig verkürzt rezipiert worden. Dies gilt sowohl für die Beschränkung keynesianischer Fiskalpolitik auf die antizyklische Konjunktursteuerung als auch auf die Verdrängung der langfristigen stagnationstheoretischen Implikation der keynesschen Theorie. Damit fiel dann auch die strukturpolitische Dimension des Keynesianismus in Vergessenheit, die in Keynes' Postulat der »Sozialisierung der Investitionstätigkeit« impliziert ist und zugleich viel Affinität zum Marxschen Postulat der gesellschaftlichen Kontrolle der Akkumulation enthält.
Keynes' Theorie wurde nicht zufällig wiederholt mit der Marxschen makroökonomischen Analyse in Verbindung gebracht. Zu welchen Detailergebnissen die Autoren auch immer kommen, nicht zu übersehen sind einige wesentliche theoretische Gemeinsamkeiten von Marx und Keynes, die wirtschaftspolitisch um so bedeutsamer sind, als sie im Sinne des (theoretischen) Interventionismus konvergieren:
- die Begründung der langfristigen, d.h. konjunkturzyklenübergreifen-den Abschwächung kapitalistischer Akkumulationsdynamik;
- die modelltheoretische Darstellung eines makroökonomischen Gleichgewichts, dessen Realisierung aber gerade nicht durch den Konkurrenzmechanismus gewährleistet wird, sondern gesamtwirtschaftliche und das heißt gesellschaftliche Steuerung erfordert (Marxsche Reproduktionsmodelle und postkeynessche Wachstumstheorie);
- die Zuspitzung des Proportionierungsproblems auf die Absorption des gesamtwirtschaftlichen »Überschusses«; Absorption des Mehrwerts durch die Akkumulation bei Marx bzw. Absorption der gesamtwirtschaftlichen Ersparnis durch die Investition bei Keynes, und zwar jeweils als im voraus und damit makroökonomisch geplante Absorption, wenn die Krise als die dem Marktmechanismus immanente Anpassungsreaktion auf Ungleichgewichte vermieden werden soll.
Theoretisch hätte es des Keynesianismus' nicht bedurft, um die wesentlichen Elemente des theoretischen Interventionismus zu erkennen. Marx' Vorlage war ausreichend, und es gab darüber hinaus viele weniger prominente Autoren — etwa im Bereich des sogenannten »Staatssozialismus« und der Unterkonsumtheorie, die ein interventionistisches Programm samt dessen theoretischer Grundlage formuliert hatten.
Historisch konnte der theoretische Interventionismus wohl erst jenes Gewicht erlangen, das ihm seit den dreißiger Jahren zukommt, nachdem die Arbeiterbewegung das allgemeine Wahlrecht erkämpft hatte und damit die Chance ihrer direkten Beteiligung an der Staatsmacht eröffnet wurde. Die geläufige Interpretation, daß der Siegeszug der keynesschen Theorie (»Keynesianische Revolution«) der Großen Depression der dreißiger Jahre zu verdanken sei, scheint doch zu kurzschlüssig. Erstens gab es »große« Krisen auch schon im 19. Jahrhundert, ohne daß der Staat interventionistisch reagierte; es blieb stets bei der dirigistischen Katastrophenabwehr. Zweitens wurde interventionistische Politik während der dreißiger Jahre auch unabhängig von Keynes konzipiert und praktiziert (Beispiele sind u.a. die in der Endphase der Weimarer Republik initiierten Arbeitsbeschaffungsprogramme). Die Kriegswirtschaften des zweiten Weltkriegs ließen die beschäftigungspolitische Wirksamkeit des keynesschen Rezepts schließlich klar erkennen; sozusagen eine empirische Bestätigung des Fiskalismus wider Willen. — Es war dann die Arbeiterbewegung bzw. ihre politischen Organisationen und deren ökonomischen Berater, die dem Keynesianismus in der Nachkriegszeit Auftrieb gaben. Für einige Zeit war Beveridge's »Füll Employment in a Free Society« von 1944/45 die wirtschafts- und gesellschaftspolitische Bibel der Labour-Bewegung. Symptomatisch, daß dieses Werk kaum noch dem Titel nach bekannt ist; symptomatisch auch, daß jener ganz im Geist Keynes' und des theoretischen Interventionismus geschriebene »Report« Soziale Sicherheit und Vollbeschäftigung integriert. Beides muß gegen kapitalistische Strukturen und (neo-)konservative Ideologie erkämpft bzw. bewahrt werden. Die linke Dezentralismus-Diskussion sollte sich erst nochmal jene theoretischen und wirtschaftspolitischen Vorgaben genauer ansehen, ehe sie ihren Verstimmungen weiter freien Auslauf zum Wirtschaftsliberalismus gibt. — Es sei am Rande vermerkt, daß es in der Bundesrepublik tatsächlich eine Lücke in Sachen Liberalismus zu füllen gibt; aber da gäbe es mehr zu tun als antietatistische Ressentiments in linke Begriffe zu gießen.

5. Plan und Markt als mikroökonomische Merkmale

Jede Gesamtwirtschaft setzt sich aus mehr oder weniger vielen Einzelwirtschaften zusammen. Jede Einzelwirtschaft orientiert ihr Verhalten an gewissen zukunftsbezogenen Überlegungen, kann somit als planvoll handelnde Einheit gesehen werden. Dieser Gesichtspunkt ist also unbrauchbar, um markt- und planwirtschaftlich operierende Einzelwirtschaften voneinander abzugrenzen. Vielmehr ergibt sich eine solche Differenzierung erst durch Berücksichtigung der Relation zwischen Einzel- und Gesamtwirtschaft. Einzelwirtschaften können markt- oder planwirtschaftlich in ein übergeordnetes (Gesamt-) System eingeordnet sein.
Der Einordnungstyp einer Einzelwirtschaft in eine arbeitsteilige Gesamtwirtschaft (Gegensatz: Summe unverbundener subsistenzwirtschaftli-cher Einheiten) ist marktwirtschaftlich, wenn die Einzelwirtschaft sich aufgrund autonomer Entscheidungsmöglichkeit und eigeninitiativ in das Gesamtsystem integriert. Zwischen Einzelwirtschaft und der Umwelt der Einzelwirtschaft bestehen dann Marktbeziehungen.
Offenkundig impliziert diese auf die Einzelwirtschaft bezogene Definition der marktwirtschaftlichen Einordnung noch keinen bestimmten Typus der Gesamtwirtschaft. Marktwirtschaftliche Einordnung von Einzelwirtschaften ist mit recht verschiedenen gesamtwirtschaftlichen Systemen vereinbar. Wie noch näher erläutert wird, erscheint es sinnvoll, ökonomische Gesamtsysteme nach den jeweils realisierten sozialen Wohlstandsfunktionen zu charakterisieren bzw. zu typisieren. Damit ergibt sich zwischen Gesamtsystem und markt- bzw. plan wirtschaftlicher Einordnung der Einzelwirtschaften ein rein instrumentelles Verhältnis. Veränderte historische Bedingungen mögen es dann gerade zur Aufrechterhaltung des Gesamtsystems (der kontinuierlichen Realisierung der Wohlstandsfunktion) notwendig machen, zwischen plan- und marktwirtschaflticher Einordnung zu wechseln. Anders formuliert: der Übergang von der plan- zur marktwirtschaftlichen Einordnung oder umgekehrt ist kein Indikator der Veränderung des Gesamtsytems, sondern kann im Gegenteil gerade zur Stabilisierung des übergeordneten Ganzen notwendig sein.
Die vorstehende Neubestimmung des Verhältnisses von einzelwirtschaftlichem Einordnungstyp und Gesamtsystem begreift Plan und Markt als historisch variable Komponenten von Wirtschaftssystemen. Damit verbietet sich eine pauschale Regel, die angibt, ob und in welchem Umfang plan- bzw. marktwirtschaftliche Einordnung praktiziert werden soll. Die jeweilige (historische) »Mischung« aus plan- und marktwirtschaftlich eingeordneten Einzelwirtschaften ist sozusagen keine Prinzipien-, sondern eine Opportunitätsfrage.
Die Definition der »planwirtschaftlichen Einordnung der Einzelwirtschaft« ergibt sich sozusagen als Gegensatz zur marktwirtschaftlichen Einordnung. Die planwirtschaftlich eingeordnete Einzelwirtschaft ist auf externe Vorgaben verpflichtet, die ihr eine selbständige Entscheidung, ob und wie sie sich in das Gesamtsystem einfügt, verwehren.
Vorstehende Charkaterisierung der planwirtschaftlichen Einordnung der Einzelwirtschaft ist unabhängig davon, ob die mikroökonomische Einheit ihre Vorgaben vom Staat, von Kartellen, Syndikaten, in- oder ausländischen Konzernmüttern und dgl. erhält. Für das Management einer planwirtschaftlich eingeordneten Einzelwirtschaft ist es faktisch gleichgültig, ob seine Handlungsvorgaben aus einer staatlichen, privaten oder sonstigen Administration stammen. An die Stelle des Marktes tritt die vorgesetzte Bürokratie.
Der Begriff der markt- bzw. planwirtschaftlichen Einordnung der Einzelwirtschaft kann nicht im Analogieschluß für größere Gebilde, sozusagen von »unten nach oben« angewandt werden. Vielmehr ist zu berücksichtigen, wie weit die (private, öffentliche etc.) Bürokratie in der Lage ist, ihre Umwelt zu beeinflussen oder gar zu determinieren. Ein multinationales Großunternehmen, das kapitalistisch operiert, fügt sich nicht einfach passiv in seine Umwelt (Märkte), sondern gestaltet diese Umwelt in erheblichem Umfang. Und hierzu gehört nicht nur die unmittelbar auf dem Märkten ausgeübte Macht, sondern auch die Einwirkung auf die öffentlichen Körperschaften (Staat), auf Verbände und andere gesellschaftliche Institutionen. Solche Einflußnahme erfolgt planmäßig, was spontane Handlungen nicht ausschließt.
Die herkömmliche Ordnungstheorie bezeichnet die skizzierte Konstellation keineswegs als »planwirtschaftlich«, sondern ordnet sie (noch) dem marktwirtschaftlichen Typus zu. Es ist evident, daß damit das Wesentliche der Situation überhaupt nicht erfaßt wird. Aufgrund des Mangels adäquater Begriffe bleibt ein für den entwickelten Kapitalismus charakteristisches Phänomen, nämlich die durch Großunternehmen bestimmte Struktur, ordnungstheoretisch ausgeblendet. Die aus der MzrAtfformentheorie angebotenen Begriffe Monopol, Oligopol usw. sind zu eng, um den Sachverhalt zu erfassen. Denn die Marktformenterminologie sagt nur, daß bestimmte Strukturen von der Konkurrenzpreisbildung fortführen, aber die ordnungstheoretische Frage nach der Wirkung auf den gesamtwirtschaftlichen Koordinationsmechanismus und auf das Verhältnis von Plan und Markt sowie nach der politischen Macht konzentrierten Kapitals werden von den Begriffen der Marktformenlehre nicht erfaßt.
Marktwirtschaftliche und planwirtschaftliche Einordnung von Einzelwirtschaften, so ist festzuhalten, besagt noch nichts über das Gesamtsystem. Unterschiedliche Wirtschaftsordnungen sind vereinbar mit beiden Typen der mikroökonomischen Einordnung der Einzelwirtschaften. Eine große Zahl kapitalistischer Einzelwirtschaften (Unternehmen) ist heute planwirtschaftlich im beschriebenen Sinn eingeordnet, und der Konzentrationsprozeß hat den Charakter des kapitalistischen Koordinationsmechanismus verändert.

6. Makroökonomische Ordnungstheorie

Wie dargelegt wurde, läßt sich vom Einordnungstyp der Einzelwirtschaft noch nicht auf den makroökonomischen Ordnungstyp schließen. Es läge nahe, den jeweiligen Anteil plan- bzw. marktwirtschaftlicher Einordnungen von Einzelwirtschaften als Kriterien für die Charakterisierung der Gesamtwirtschaft heranzuziehen. Dieser Versuch trifft jedoch bereits auf die Schwierigkeit, einer exakten operationalen Erfassung des »Anteils« bzw. des Gewichts, den plan- bzw. marktwirtschaftlich eingeordnete Einzelwirtschaften aufweisen. Immerhin würde dieser Ansatz insofern einen Fortschritt gegenüber der orthodoxen Ordnungstheorie darstellen, als die beiden ordnungstheoretischen Idealtypen durchaus vereinbar wären mit relativ großen Anteilen sowohl markt- als planwirtschaftlichen Einordnungen von Einzelwirtschaften.
Die herkömmliche Ordnungstheorie unterscheidet plan- und marktwirtschaftliche Systeme danach, ob ein (vollzugsverbindlicher) gesamtwirtschaftlicher Plan vorliegt oder nicht. Die Vorstellung eines Gesamtplans ist jedoch ungenau. Auch in jenen Wirtschaftssystemen, die von der orthodoxen Ordnungstheorie als »Planwirtschaften« bezeichnet werden, liegt nicht ein einziger Plan vor. Vielmehr existieren verschiedene Pläne, die allerdings mehr oder weniger erfolgreich aufeinander abgestimmt werden.
Auch für »Marktwirtschaften« läßt sich feststellen, daß weder jede Einzelwirtschaft nach ihrem eigenen, autonomen Plan handelt noch gesamtwirtschaftliche Pläne fehlen. Zumindest sind staatliche Administrationen in entwickelten (kapitalistischen) Marktwirtschaften gezwungen, Gesamtpläne aufzustellen. Häufig hapert es zwar an der Koordination (z.B. der Einzelpläne der Ressorts oder der Gebietskörperschaften), und unter Umständen funktioniert auch die Koordination einzelner staatlicher Pläne mit den Plänen von privaten Wirtschaftsbürokratien (z.B. im militärisch-industriellen Komplex oder im Telekommunikationsbereich) sehr viel besser als die interne Abstimmung der staatlichen Planungen. Insgesamt werden jedoch auch »Marktwirtschaften« von einem Geflecht von Plänen überzogen, die den Einzelwirtschaften übergeordnet sind. Wie solche Pläne implementiert werden, ist eher eine drittrangige Frage: das gehört sozusagen zur Prozeßpolitik.
Die Abhängigkeit der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung von längerfristigen, den Einzelwirtschaften übergeordneten Plänen wird in den industrialisierten kapitalistischen Ländern aber keineswegs nur oder auch nur vorrangig durch die staatlichen Planungen bedingt. Vielmehr resultiert aus dem hohen Konzentrationsgrad der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung in dem Sinn, daß sowohl das Sozialprodukt als auch die gesamtwirtschaftliche Bruttoanlageinvestition qualitativ und quantitativ durch die längerfristigen Planungen der Großunternehmen determiniert sind. In der Bundesrepublik disponieren knapp zwei Prozent der industriellen (Groß-) Unternehmen über weit mehr als fünfzig Prozent der Bruttoanlageinvestitio-nen der Industrie. Berücksichtigt man die Abhängigkeiten der kleineren und mittleren Unternehmen (Vor- und Zulieferbeziehungen) von den großen, so erhalten die Pläne der kapitalistischen Mammutbürokratien noch stärkeres Gewicht für die Gesamtwirtschaft.
Trotz der mehr oder weniger großen Zahl von Plänen, die den Einzelwirtschaften übergeordnet sind und deren Verhalten direkt (bei planwirtschaftlicher Einordnung) oder indirekt (bei marktwirtschaftlicher Einordnung) kanalisieren, können sich durchaus naturwüchsig erscheinende Bewegungen der Gesamtwirtschaft einstellen, die oberflächlich gesehen denen in Systemen ohne solche übergreifenden Planungsnetze ähneln. Aus der Tatsache, daß völlig verschieden strukturierte gesamtwirtschaftliche Systeme ähnlich chaotische Erscheinungen generieren, läßt sich aber nicht auf die Identität der Ordnungen schließen. Solche Kurzschlüssigkeit ist vor allem fatal, wenn es um ordnungspolitische Reformen mit dem Ziel geht, jenes Bewegungschaos der Gesamtwirtschaft zu überwinden.
Versucht man vor dem Hintergrund der vorstehenden Überlegungen, die wesentlichen Ordnungsmerkmale repräsentativer kapitalistischer und realsozialistischer Länder der Gegenwart zu beschreiben, so ergibt sich folgendes Bild.
Kapitalistische Systeme: Mischung aus markt- und planwirtschaftlich eingeordneten Einzelwirtschaften; umfangreiche langfristige Planungen oberhalb der Einzelwirtschaften; Planungsträger sind staatliche Institutionen und private Wirtschaftsbürokratien (Großunternehmen) im Inland und Ausland; partielle Koordination der gesamtwirtschaftlich determinierenden Pläne sowohl innerhalb des staatlichen Bereichs als auch zwischen staatlichem und privatem Bereich; keine bzw. unzureichende Versuche, die Planungen gesamtwirtschaftlich zu integrieren.
System des real existierenden Sozialismus: Planwirtschaftliche Einordnung der Einzelwirtschaften dominant; allenfalls experimentelle Enklaven marktwirtschaftlicher Einordnung von Einzelwirtschaften; Aufstellung der gesamtwirtschaftlichen Pläne durch die staatliche Wirtschaftsbürokratie unter starken Restriktionen des politischen Machtapparates; Koordination der gesamtwirtschaftlichen Einzel- bzw. Ressortpläne intendiert, aber erhebliche Informationsmängel und Inflexibilitäten.
Aus diesen Deskriptionen läßt sich keine brauchbare Typisierung von Ordnungen herausdestillieren. Der Verlegenheitsbegriff der »gemischten Wirtschaftsordnung« wäre sowohl auf die kapitalistischen als auch auf die realsozialistischen Ordnungen anwendbar. Es fehlt an einer die wesentlichen Unterschiede zwischen den Ordnungen diskriminierenden Typologie: eine Typologie, die auch erlaubte, zwischen verschiedenen realsozialistischen und kapitalistischen Systemen zu differenzieren. Hier kann eine solche Typisierung, also eine neue Ordnungstheorie nicht vorgelegt werden. Es seien abschließend lediglich einige Richtungsangaben für einen solchen Versuch gemacht.
Orientiert man sich bei der Typisierung von Wirtschaftsordnungen nach der gesellschaftlichen Relevanz der Abgrenzungskriterien, so tritt der normative Aspekt in den Vordergrund. Was leistet eine Wirtschaftsordnung für die Menschen? In welchem Maße ist eine Wirtschaftsordnung geeignet, die Lebenslage aller Gesellschaftsmitglieder zu sichern und nicht nur einzelnen privilegierten Gruppen Vorteile zu verschaffen. Es wäre also notwendig, Wirtschaftsordnungen nach der Wohlstandssituation der Gesellschaft zu typisieren.
Operationale Ansätze zur Bestimmung einer Wohlfahrtsfunktion bietet die Sozialindikator-Forschung. Die Klassifizierung nach plan- und marktwirtschaftlichen Strukturen würde von einer explizit normativ orientierten Ordnungstheorie abgelöst. Plan und Markt stellen instrumentelle Kategorien dar, die ungeeignet sind, um eine gesellschaftlich relevante Ordnungstheorie zu konstituieren.
Um exemplarisch zu verdeutlichen, wie eine normative Ordnungstheorie anzuelgen wäre, stelle man sich etwa vor, daß einmal Vollbeschäftigung und vollständige Beseitigung der sozialen Armut als oberste Ziele (soziale Wohlfahrtsfunktion) gelten, zum anderen maximales Wachstum, technische Spitzenstellung und Profitmaximierung die soziale Wohlfahrtsfunktion umreißen. Die ordnungspolitische Implementation der Ziele konstituiert dann das System. Erst damit bestimmt sich auch der Umfang markt- und plan wirtschaftlicher Einordnung von Einzelwirtschaften, der Umfang übergeordneter Planungen und deren Integrationsniveau.
Unter Wachstumsaspekten haben kapitalistische Systeme in verschiedenen Phasen den Konzentrationsprozeß und die Förderung (Diskriminierung) kleiner und mittlerer Unternehmen sehr unterschiedlich gehandhabt. Zur Zeit werden durch Innovationshoffnungen motiviert in der Bundesrepublik wieder kleinere und mittlere Unternehmen hofiert. Ordnungstheoretisch ist dies nicht mit dem Plan-Markt-Schema zu erklären, sondern entschlüsselt sich von der sozialen Wohlfahrtsfunktion und der Implementationstechnik her.
Die auf gesellschaftliche Wohlstandsfunktionen bezogene Typisierung von Wirtschaftsordnungen stellt die Frage nach Markt oder Plan in einem neuen Rahmen. Es geht dann um die Konstruktion von Implementierungsmustern, die im Hinblick auf ihre Eignung beurteilt werden, die jeweilige Wohlstandsfunktion zu realisieren. Welche Rolle Markt und Plan im einzelnen einnehmen, ist dann von der Zielfunktion des Gesamtsystems her zu bestimmen.
Der normative ordnungstheoretische Ansatz entkleidet »Markt« und »Plan« ihres Eigenwertes. Westliche und östliche Wirtschaftsideologien behaupten, daß »der« Markt bzw. »die« Planwirtschaft schlechthin gut, richtig etc. bzw. schlecht, falsch usw. ist. Warum es zu diesem Plan-Markt-Dualismus gekommen ist, welche ideologische Funktion er hat, ist hier nicht zu erörtern. Worauf es in diesem Aufsatz vielmehr ankam, war der Versuch, die Unbrauchbarkeit jejener ordnungstheoretischen Polarisierung zu verdeutlichen und damit zugleich eine Erklärung zu geben, warum — zumindest beim gegenwärtigen Stand der Diskussion — keine klare Antwort auf die Frage gegeben werden kann: dezentrale Marktproduktion oder Planung?