Nie konnte ich die geschichte vergangener Zeiten überschauen, noch die jetztige welt betrachten, ohne niedergeschlagen zu werden. Ja, seufzen musste ich jedesmal, wenn ich sah, dass entweder die natur selbst einen grossen unterschied zwischen menschen und menschen gemacht habe, oder die ausbildung derselben sehr von Ungerechtigkeit und Parteilichkeit geleitet worden war.
Ich hatte eine menge von Schriften über erziehung nachgelesen, das verhalten der eltern und die behandlung in den schulen beobachtet , mit dem resultat der festen Überzeugung, dass eine vernachlässigte erziehung meiner mitgeschöpfe die hauptquelle des elendes sei, das ich so beklage, und dass vor allem das weib durch die vereinte wirkung verschiedener ursachen schwach und unglücklich werden müsse.
In der tat, es bedarf nur eines aufmerksamen blicks auf das betragen und die sitten der weiber, um sich auf das vollkommenste zu überzeugen, dass ihre seelen nicht in einem guten zustand sind. Man kann sie mit blumen vergleichen, die man in einem zu fetten boden treibt, um kraft und nutzbarkeit der schönheit zu opfern: die prangenden blätter welken, kaum haben sie das auge wenige stunden ergötzt, lange vor der zeit, in der sie zur reife hätten kommen sollen.
Eine Ursache des unfruchtbaren blühens der frauenzimmer schreibe ich dem falschen erziehungssystem zu, das man aus verschiedenen Schriften zusammengestellt hat. Ihre verfasser dachten sich unter dem begriff unseres geschlechts mehr weibliche als menschliche geschöpfe. Daher war es ihnen weit mehr darum zu tun, sie zu reizenden gebieterinnen, als zu vernünftigen gattinnen zu machen. Durch diese falsche huldigung hat der weibliche verstand sich so betören lassen, dass jetzt die gebildeten weiber unseres jahrhunderts, mit wenigen ausnahmen, fast bloss darauf ausgehen, liebe einzuflössen, statt einen edleren stolz in sich zu nähren und durch vorzüge des geistes und des herzens achtung zu gebieten.
In einem werk über weibliche rechte und sitten dürfen daher die schriften, die zur bildung dieses geschlechts abgefasst worden sind, nicht übergangen werden. Am wenigsten darf dies geschehen, wenn man, wie ich, geradezu annimmt, dass die seele der weiber durch falsche verfeinerung geschwächt ist; wenn man, wie ich, ausdrücklich behauptet, dass selbst die bücher, die männer von genie zur belehrung schrieben, am ende doch zu demselben ziele geleitet haben, wohin frivolere produkte führen mussten. In diesen büchern hat man die weiber auf gut mahometanisch, nur als weiblichkeiten betrachtet, und nicht als einen teil der menschengattung, deren heiliger Charakter vervollkommnungsfähige vernunft ist, die allein die menschen über die tiere erhebt und den schwachen händen ein zepter gibt, mit dem sie die natur beherrschen.
Doch, ich besinne mich, dass ich selbst weib bin. Daher mag ich nicht die leser auf den gedanken bringen, ich möchte mich in eine heftige fehde über die frage einlassen: ob das weibliche geschlecht dem männlichen durchaus gleich zu setzen oder dieses jenem überlegen sei. Gleichwohl darf ich das nicht ganz übergehen, wenn ich missverständnisse vermeiden will. Daher sei mir erlaubt, kurz meine meinung zu äussern:
In der haushaltung der fysischen welt bemerkt man leicht, dass das weibliche geschlecht dem männlichen nachzustehen pflegt. Das männchen verfolgt, das weibchen ergibt sich - das ist der gang der natur. Und das scheint sich auch auf das weibliche geschlecht unter den menschen zu erstrecken. Diese fysische Überlegenheit kann nicht abgeleugnet werden. Fürwahr, sie ist ein edles vorrecht: Aber nicht einmal zufrieden mit diesem natürlichen vorzug, geben die männer sich alle mühe, uns noch tiefer herabzusetzen. Ihre absicht ist, aus uns geschöpfe zu machen, die ein paar augenblicke ihren sinnen schmeicheln. Und die weiber, trunken von der anbetung, die ihnen die von ihrer eigenen sinnlichkeit überwältigten männer leisten, versäumen es, auch sie durch ein dauerhaftes band an sich zu fesseln, um eigentliche freundinnen dieser stolzen wesen zu werden, die den umgang mit den weibern sonst nur als Zeitvertreib betrachten.
Ich ahne, was man nun sagen wird: männliche weiber! Aber was ist denn das? Meinen die männer damit einen gerechten tadel der leidenschaftlichen hitze, mit der manche von ihnen die jagd und das spiel betreiben? Dann stimme ich von ganzem herzen ein! Wollen sie aber damit nur der nachahmung männlicher tugenden einhalt tun, oder genauer gesagt, dem erwerb solcher talente und vorzüge entgegen wirken, die den menschlichen Charakter veredeln und deren besitz auch die weiber auf der leiter lebendiger wesen bis zur der stufe erhebt, wo auch sie unter dem gemeinschaftlichen namen menschengattung inbegriffen sind - dann kann man doch nur wünschen, dass sie in diesem sinn von tag zu tag immer männlicher werden mögen.
Zuerst werde ich nun die weiber als menschliche geschöpfe betrachten, die eben so gut als die männer auf die erde gesetzt wurden, um ihre kräfte und fähigkeiten zu entwickeln. Dann werde ich noch besonders auf ihre eigentliche bestimmung eingehen.
Einen fehler, in welchen viele, sonst achtungswerte schriftsteller verfallen sind, werde ich zu vermeiden suchen. Der bisherige unterricht galt nur den ladies, weibern von hohem stand. Ich aber gedenke mein augenmerk auf die weiber aus den mittleren ständen zu richten. Mir scheint, dass diese sich noch im natürlichen zustand befinden. Vielleicht sind es allemal die grossen, durch die zuerst der same falscher verfeinerung, eitler ehrsucht und unsittlichkeit ausgestreut wird. Schwache künstliche wesen, die sich vor der zeit und und gegen die natur, über die gemeinen bedürfnisse und leidenschaften ihrer gattung erhaben fühlen - was können die wohl anders, als die grundpfeiler der tugend untergraben und verderbnis durch die ganze masse der gesellschaft verbreiten. Dabei haben sie als ein teil des menschengeschlechts den stärksten anspruch auf unser mitleid, das wir ihnen umso mehr schenken müssen, je mehr die erziehung der reichen darauf ausgeht, die zöglinge frivol und hülflos zu machen. Ihr geist wird ja nicht durch pflichten gestärkt, die dem menschlichen Charakter seine würde geben. Sie leben ja nur um sich die zeit zu vertreiben. Und so kommt es denn, nach einem gesetz, das in der natur unabänderlich und unfehlbar wirkt bald genug dahin, dass sie auch andern weiter nichts als leeren zeitvertreib gewähren.
Doch da ich entschlossen bin, auf die verschiedenen stände der gesellschaft, und auf den moralischen charakter der weiber ganz besonders rücksicht zu nehmen, so lasse ich es jetzt bei diesem wink bewenden.
Die personen meines geschlechts werden mir, so hoffe ich, verzeihen wenn ich, statt ihnen zu schmeicheln, sie wie vernünftige geschöpfe behandle und sie mir nicht im zustand ewiger kindheit vorstelle, in dem sie nie vom gängelband loskommen. Mein wunsch ist, sie über wahre würde und über wahres glück der menschheit zu belehren. Ich werde mich bemühen, die weiber zum ernsten bestreben aufzumuntern, sich immer mehr stärke der seele und des körpers zu erwerben. Ich werde sie zu überzeugen suchen, dass honigsüsse redensarten, wie regsamkeit des herzens, delikatesse der empfindung, verfeinerung des geschmacks fast gleichbedeutende ausdrücke für schwäche sind. Ich werde alles aufbieten, um es ihnen anschaulich zu machen, dass wesen, die nur gegenstände des mitleids und jener schmelzenden art von liebe sind, gewöhnlich schwester des mitleids genannt, bald gegenstände der verachtung werden müssen.
Man erwarte von mir nicht die süsse zärtliche sprache, zu der sich männer herablassen, wenn sie unsere sklavische abhängigkeit von sich etwas mildern wollen. Nein, ich sehe mit verachtung herab auf jene schwächliche eleganz der seele, auf jene sanfte geschmeidigkeit im betragen, die man als wahre eigentümlichkeiten der »schwächern Werkzeuge« anzugeben pflegt.
Ich werde mich bemühen, darzutun, dass eleganz jederzeit der tugend nachstehen muss, dass eine rühmliche ehrliebe immer ihr augenmerk darauf zu richten hat, sich einen Charakter als menschliches geschöpf, ohne rücksicht auf geschlechtsverschiedenheit, eigen zu machen.
Sollte es mir gelingen, meine Überzeugungen so vorzubringen, wie sie meiner seele vorschweben, dann wird das, was erfahrung und überlegung der feder mitteilen, von manchen meiner leser mitempfunden werden. Ich erachte es nicht der mühe wert, gewählte redensarten zu suchen. Um nutzen zu stiften, kommt gerechtigkeit vor der künstelei. Es geht mir mehr darum, durch stärke der gründe zu überreden, als durch reize der ausdrücke zu blenden. Ich kann meine zeit nicht vergeuden, alles abzuschleifen, oder gar mit gefühlen zu heucheln, die nie zum herzen dringen. Nur die sache ist wichtig, nicht die worte. Vielleicht wird mein bemühen, mein ganzes geschlecht zu einem achtungswürdigern teil der menschlichen gesellschaft umzubilden, mich auch vor der gefahr bewahren, in jene blumenreiche sprache zu verfallen, die sich aus abhandlungen in romane, und aus romanen in briefe, und sogar in gespräche eingeschlichen hat.
Es mag sein, dass nichtssagende artigkeiten - die das schöne bild der wahren empfindsamkeit oft bis zur karikatur entstellte - sanft von den lippen gleiten: immer wird durch sie der geschmack verfälscht, eine art von kränklicher delikatesse hervorgebracht, die sich mit einfacher, ungeschminkter Wahrheit nicht verträgt. Eine flut erheuchelter gefühle und überspannter empfindungen erstickt im weiblichen herzen jede natürliche regung und nimmt ihm allen geschmack an den häuslichen freuden, die uns doch die schweren pflichten erleichtern müssen, welche ein vernünftiges und unsterbliches wesen für einen höhern Wirkungskreis erziehen.
Seit kurzem hat man mehr als sonst auf weibliche erziehung geachtet. Doch fahren die schriftsteller, die darauf aus sind, die frauenzimmer durch satire oder belehrung zu bessern, noch fort, sie als frivoles geschlecht anzusehen. Sie werden entweder verlacht oder bedauert. Immer noch müssen die weiber viele ihrer lebensjahre mit dem erwerb einiger dürftiger kenntnisse und geschicklichkeiten, die meistens stümperei bleiben, verlieren. Die stärke ihres körpers und geistes opfern sie unsittlichen begriffen von Schönheit und dem bestreben auf, durch eine heirat - das einzige mittel, durch das ein frauenzimmer in der welt emporkommen kann - ihr glück zu machen. Weil aber dieses unruhige streben am ende doch bloss tierische geschöpfe aus ihnen macht, handeln sie, wenn sie heiraten, genau nur so, wie man es von solchen kindern erwarten kann: Sie putzen sich, sie malen sich, und machen gottes werk zum gespött. - Wahrhaftig, solche schwache wesen taugen nur in den serail! Wie sind die denn im stande einem hauswesen vorzustehen, oder sich der geschöpfchen anzunehmen, die sie zur welt bringen?
So dürfte sich denn aus dem benehmen der frauenzimmer, aus ihrem leidenschaftlichen hange zum vergnügen, der an die stelle der ehrliebe und jener edlern bestrebungen, die die seele erweitern und erheben, getreten ist, ziemlich richtig folgern lassen, dass die anweisung, die man ihnen bisher erteilte, eigentlich es war, die, in verbindung mit der staatsverfassung, sie zu einem zwecke leitete, der weiter nichts aus ihnen, als unbedeutende gegenstände bloss sinnlicher wünsche - bestimmt nur toren fortzupflanzen! - machen musste. Es dürfte sich beweisen lassen, dass das bemühen, die weiber auf einem andern wege, als durch die ausbildung ihres verstandes, zu vervollkommnen, sie aus dem kreise ihrer pflichten herauszureissen, und mit dem augenblicke, in dem die hinfällige blüte der schönheit welkt, in lächerliche und unbrauchbare geschöpfe verwandeln muss. Und wenn sich jenes folgern und dieses beweisen lässt, so werden, hoffe ich, vernünftige männer es mir gewiss verzeihen, dass ich in weibern den wunsch hervorzubringen suche, immer männlicher und achtungswürdiger zu werden.
In der tat, es bedarf keines tiefen nachdenkens, um zu finden, dass das wort männlich weiter nichts als ein popanz ist. Man hat wenig Ursache zu fürchten, dass die weiber am ende wohl zu viel mut und seelenstärke gewinnen könnten. Sie stehen in hinblick auf körperliche kraft den männern zu augenscheinlich nach, als dass sie von diesen nicht immer noch in den mannigfältigen lebensverhältnissen abhängig bleiben müssten. Wodurch aber würde man wohl berechtigt, sie noch tiefer durch vorurteile herabzusetzen, welche die tugend als das eigentum Eines geschlechtes betrachten und einfache wahrheiten mit sinnlichen träumereien verwirren? Fürwahr, man kann nicht leugnen, dass die weiber durch falsche begriffe von weiblicher vortrefflichkeit ganz sichtbar herabgesunken sind. Ich fürchte daher ganz und gar nicht etwas paradoxes zu sagen, wenn ich behaupte, dass es eben jene erkünstelte schwäche ist, die einen hang zum tyrannisieren in ihnen erzeugen, und sie aus list und aus schlauheit, die immer feindinnen der stärke sind, hinführen muss. So geht es denn wohl sehr natürlich zu, wenn sie auf den gedanken kommen, mit jenen elenden, kindischen wesen ein spiel zu treiben, das selbst da, wo es wünsche erregt, doch alle achtung notwendig zerstören muss. Man nähre nur nicht weiter jene vorurteile unter ihnen. So werden sie von selbst in ihre, zwar untergeordnete, aber immer achtungswerte stelle, für welche sie in dieser welt bestimmt sind, eintreten.
Was ich eben vom weiblichen geschlechte gesagt habe, soll nur im allgemeinen gelten. Manch einzelne glieder unter ihm sind ja den männlichen geschöpfen an einsicht weit überlegen. Wie bei einer waage, wo nach langem schwanken, am ende doch immer nur die schale die andere überwiegt, die wirklich gewichtiger als die andere ist, so beherrscht auch manche frau ihren mann, ohne ihn dadurch zu erniedrigen: denn im grunde herrschen die klügern doch allenthalben.