Vorwort

Vor etwas mehr als zwei jahren hatte ich den Vorstand des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels in Frankfurt am Main gebeten. die Sonderschau der Buchmesse 1975 (int. Jahr der Frau dem thema FRAUEN (bücher zur frauenbewegung, emanzipation) zu widmen. »Bitte verstehen Sie«, wurde mir ablehnend geschrieben (nach dem hinweis, so etwas bei einer »Kosmetikmesse» anzuregen) »dass wir nicht einen Anfang mit >branchenfremden< Sonderausstellungen auf unserer Messe beginnen können.«
Ich hatte mich schon vorher mit ein paar autorinnen und Verlagen in Verbindung gesetzt. Leider war der plan gescheitert: die zuerst begeisterten damen liessen nichts mehr von sich hören oder schoben - wie es frauen eher als männer tun - häusliche pflichten als ausrede vor. Die angefragten verlage waren bereit, ihre bücher für den sammelstand zu geben. Ein solcher, so wurde mir erklärt, sei aber nicht erlaubt, da er der messevorschrift nicht entspreche.
Nach den zwei erfolglosen vorstössen war ich um so erfreuter, als ich an der Buchmesse 1974 erfuhr, die messeleitung werde nun bei den Verlegern bücher zum thema FRAU sammeln, einen katalog erstellen und die kollektion im ausland zeigen. Es lohnt sich also doch, einen Vorschlag zu wagen, auch wenn er zuerst als »branchenfremd« bezeichnet und emanzipationsliteratur ins gebiet der »kosmetik« (kkk!) verwiesen wird. Ideen brauchen, wie samen, oft zeit, um zu keimen.

Freudig überrascht war ich diesen sommer, als ein rundschreiben vom Kleinen Hirschengraben in Frankfurt am Main meldete, die mit grossem erfolg in Italien gezeigte kollektion LA DONNA werde erweitert und mit einem neuen katalog DIE FRAU als sonderschau in einer halle der Buchmesse 1975 gezeigt. Schade nur, fand ich, dass die zeit so knapp war. Für diese einmalige gelegenheit hätte ich gern einen besondern beitrag geleistet. Könnte ich wohl noch Mary Wollstonecrafts >Vindication...< neu herausgeben?
Diese pionierin sollte doch vertreten sein! Früher hatte ich den plan einmal erwogen, aber dann gesehen, dass ein solches buch kaum gekauft würde. Jetzt aber sollte doch etwas interesse dafür vorhanden sein. Sofort begann ich in meiner dokumentensammlung nach der Rettung der Rechte des Weibes zu stöbern.
Vor etwa zehn jahren hatte ich in der bibliothek die zwei kleinen bände aus Schnepfenthal[1] entdeckt, mit interesse gelesen und kopien machen lassen. Damals befasste ich mich noch mehr als je mit den Ursachen der diskriminierung der frauen: uns wurde vom schweizerischen volk und Parlament (beide nur aus männlichen wesen bestehend) nicht nur das Wahl-und Stimmrecht verweigert, sondern auch der broterwerb und die betätigung in gebieten, welche die Volksvertreter nur für geschlechtsgenossen reservierten (amtsstellen, leitende posten, kommissionen, schulbehörden, diplomatie, justiz usw.), so auch - ohne gesetzesartikel - im baufach.
Als architektin, mit hochschuldiplom und mit praxis, wurde ich stets abgewiesen, wenn ich mich um eine öffentliche (oft auch um eine private) arbeit oder um eine ausgeschriebene stelle bewarb.
Ich durfte nicht einmal meinen namen in die im hochbauamt der Stadt Zürich aufgelegte bewerberliste (für kleine Planungsarbeiten) eintragen, wozu mich ein wohlwollender kollege ermuntert hatte. »Was fällt Ihnen ein«, rief der junge adjunkt des Stadtbaumeisters empört, »Sie sind ja nur eine frau!« Obwohl ich das nicht als Sünde empfand und erklärte, er kenne mich und wisse ja, dass ich wie er an der ETH diplomiert habe, weigerte er sich, mir die liste zu geben. »Diese arbeiten werden aus der öffentlichen hand bezahlt«, sagte er, »dürfen daher nie an eine frau vergeben werden. Zudem ist es erwiesen, dass frauen nicht speditiv arbeiten. Und auf der liste darf, weil sie dem Stadtrat vorgelegt wird, kein frauenname stehen.« Also geschehen in Zürich im 20. Jahrhundert!
Mein etwas nördlicher gelegener heimatkanton wird nach ähnlichen ungeschriebenen gesetzen regiert: Präsident Bringolf hatte meiner mutter, dank deren arbeit mir die berufserlernung ermöglicht worden war, auf amtspapier geschrieben, ich sei für Wettbewerbe ausgeschlossen, mit der präsidialen Selbstbezichtigung: »Weil die Behörde sich nicht vorstellen kann, wie eine Frau, und wenn sie noch so tüchtig ist, mit den Behörden verhandeln soll.«
Er schloss mit der weitern begründung: »Die Frau ist die Trägerin der Liebe, der Mann dagegen ist der Träger der Kraft«, das habe, schrieb er, auf verflossene zeiten verweisend, »schon ein alter deutscher Gelehrter gesagt.«
Dieser »träger der kraft« ist ein eingefleischter gegner der menschenrechte für »trägerinnen der liebe«. Er war empört, weil wenig vorher mein anonym eingereichter spital Wettbewerb prämiert worden war. Der regierungsrat hatte mich (weil »nur« frau) gleich ausgeschieden und die aufträge an »Stimmbürger« verteilt. Später verteidigte baudirektor Lieb öffentlich im kantonsrat seinen freund Bringolf, weil er meiner mutter so geschrieben hatte. Ein weiterer freund, Oechslin, hatte in seiner zeitung melden müssen, ich hätte gar keinen preis bekommen! Die richtigstellung dieser unwahren behauptung wurde mir vom Zeitungsbesitzer persönlich
verweigert. Also geschehen in Schaffhausen im 20. Jahrhundert!

Schon Mary Wollstonecraft hatte sich mit der männlichen kraft (der muskeln, politik, gesetzgebung, verweigerung beruflicher erwerbsmöglichkeit für Frauen usw.) eingehend befasst. Zu ihrer zeit war männliche stärke weit gewichtiger als jetzt. Es gab weder elektrizität - nur experimente mit froschschenkeln usw. - noch benzinmotoren. Dampfmaschinen waren erst im entwicklungsstadium. Für mühlen und schiffe wurden wind-und wasserkräfte benützt. Sonst geschah beinahe alles - fortbewegen, bauen, herstellen - mit menschlicher und tierischer muskelkraft.
Heute kann jede frau reisen, ohne von pferden, kutschern oder segelhissenden matrosen abhängig zu sein. Mit einem kran kann sie auch riesenlasten heben oder häuser zertrümmern.

Auch mit den »trägerinnen der liebe« und den Rousseauschen chimären hatte sich Mary Wollstonecraft auseinandergesetzt und gefunden, berufliche betätigung und broterwerb sei ehrlicher, befriedigender und gesünder als nur der putz-und gefallssucht zu frönen, servile Sklavin zu spielen oder sonstwie zu verkümmern.
Damals als wir vom »träger der kraft« so belehrt wurden, kannte ich leider Mary Wollstonecraft höchstens dem namen nach, nicht aber ihre >Vindication<. Als ich sie später las, begriff ich, warum schon vor mir so viele frauen diese pionierin bewunderten oder sich gefragt hatten: warum sind wir noch nicht viel weiter?
Zuerst hatte ich versucht, mich mit bescheidenen privataufträgen durchzuschlagen, sie gewissenhaft auszuführen und mich zu freuen, dass mir solche anvertraut wurden. Um mich in flauen Zeiten über wasser zu halten, schrieb ich zwei bücher und artikel für Zeitschriften. Aber die herren gönnten mir nicht einmal diese bescheidene existenz. Nach einem missglückten versuch (böswilliger entzug einer bereits erteilten baubewilligung für ein winziges haus) fanden sie endlich einen gewiegten parteipolitiker und Juristen, der wusste, wie man einer frau zeigt, wer im männerstaat regiert. Marius Baschung (damals chefjurist der baudirektion, dann zugleich oberrichter - gewaltenkummulation - darauf von bundesrat Furgler als »rechte hand« nach Bern geholt und zum chef der raumplanung ernannt) wusste, wie das »problem gelöst« wird. Aus Willkür und mit bewusst unwahrer begründung (»weil die Abwasserleitung fehlt«) verweigerte er mir die baubewilligungen auf wunsch des gemeinde - und auch des regierungsrates! Er und alle an der aktion beteiligten herren wussten, dass die ableitung nicht nur vorhanden war, sondern dass sämtliche klienten, die beim baureferenten bauen liessen, stets sofort die »Bewilligung zum Anschluss an die öffentliche Kanalisation« erhalten hatten, schriftlich und signiert vom gemeindeschreiber Müller. Einer frau, so fanden sie, lässt sich jede Willkür auftischen. Entweder gibt sie auf oder geht der Sache nach, worauf man ihr einfach planeinsicht verweigert. Sollte sie gar den rechtsweg beschreiten, bieten alle weitern instanzen gern die hand zur abweisung. Und so geschah es dann auch! Damals ahnte ich von dieser »raumplanung« noch nichts. Ahnungslos wurde ich wie ein armes wild durch die »minenfelder« gehetzt, von büro zu büro, von instanz zu instanz.
Als ich trotz verweigerter planeinsicht die verleugnete ableitung nachweisen konnte und mich an anwälte wandte, wiesen mich diese ab (ich erfuhr später warum). Als ich ans bundesgericht appellierte, hatten dort die mit den herren befreundeten bundesrichter Schoch und Deggeller die ausstandsvorschriften »bereits vergessen«, um brüderlich und postwendend die Willkür zu schützen.
Ähnlich erging es später im National-und Ständerat, wo wiederum freunde des chefjuristen und der regierungsräte - H. Wanner dazu persönlich - anwesend waren. Sie fanden das vorgelegte rezept »Nichteinmischen wegen Gewaltentrennung« sehr bequem. Eine frau sollte weder hilfe noch baubewilligungen bekommen! Darauf wurde in Schaffhausen, dank der Interpellation von bäckermeister Nägeli, den herren gelegenheit geboten im kantonsrat, unter dem Präsidium von Erwin Waldvogel, öffentlich eine kollektivwestenreinigung durchzuführen. Baudirektor Lieb verdrehte, verschwieg oder bestritt die Tatsachen und verunglimpfte mich, so dass niemand mehr wagte, mir eine arbeit anzuvertrauen.  Ich musste lernen, was eine »demokratie«, ein »rechtsstaat« und eine »vetternwirtschaft« ist. Es würde zu weit führen, hier die weiteren gegen mich vorgenommenen grausamen Aktionen auch nur anzudeuten.

In diesen kummervollen jahren suchte ich nach erklärungen für diese vorgehen und korruptionen, um die sache überhaupt verkraften zu können. Ich fand hinweise in den büchern von M. Vaerting, in abhandlungen über hexenverfolgungen, männlichkeitswahn und misogynie (frauenfeindlichkeit), sowie in der (nur bruchstücksweise vorhandenen) geschichte der frauenemanzipation.  Bei den nachforschungen in bibliotheken stiess ich auf die namen von Marie Goegg-Pouchoulin und Flora Tristan. Diese mutigen frauen beeindruckten mich so, dass ich nicht anders konnte, als material zu sammeln und über sie zu schreiben: artikel und eine radiohörfolge über Marie Goegg und eine biografie über Flora Tristan. Die Studien im ausland lenkten mich etwas vom kummer ab.

In Cambridge lernte ich eine engländerin kennen, die kurz vorher einen verlag gegründet hatte, um nur bücher zum thema FRAU herauszugeben. Als erstes hatte sie die prozessakten von Marie Stopes veröffentlicht, dann eine biografie über Caroline Haslett.
>The Bloomer Girls< waren im druck und ein buch über den prozess gegen das buch >The Well of Loneliness< der autorin Radcliffe Hall in Vorbereitung.   Sollte ich nicht einen ähnlichen verlag gründen? Eine solche tätigkeit könnten mir weder chefjuristen noch bundesrichter verweigern! Und die frauen in der Schweiz (ach, so meinte ich damals) würden froh sein, literatur zu finden, an welche sich andere Verleger nicht wagten. Vielleicht würden sich damit die helvetischen laufgitter etwas schneller öffnen lassen! Dies lag in der luft, allerdings weniger, um die frauen herauszulassen, als weil gewisse parteipolitiker in internationale Organisationen einsteigen wollten, in denen auf menschenrechte gepocht wurde. So erklärte Stadtpräsident Bringolf öffentlich einmal in Thayngen: weil er in Strassburg ausgelacht worden sei, habe er nun seine eierschalen abgelegt und empfehle das auch den andern männern!
Ala (flügel), die ausgewählte bezeichnung für meinen verlag, trug mich nicht gleich in die höhe. Tief unten musste ich bald die illusionen begraben. Nur wenig frauen interessierten sich für meine nachforschungen und mein erstes buch. Darum pilgerte ich, wie andere Verleger, nach Frankfurt, um an der messe zu sehen, ob ich in der buchschwemme schwimmen lerne oder untergehe. Im ersten jahr bekam ich in der belletristikhalle einen stand neben dem neu gegründeten Normal verlag (anonyme porno texte, ohne bilder). Eine an der wand montierte und violett von innen beleuchtete aktfigur zog noch an, was nicht sonst für diese sexkost herbeigeströmt war. Bald wurde der verlagsgründer, ein bekannter autor, für rundfunk und fernsehen interviewt und für die presse geknipst.
Meine >Amelia Bloomer<, mit züchtig in pluderhosen versteckten beinen und auch sonst zugeknöpft vom hals bis zu den handgelenken, wurde hinter dem andrang von männern aller alter bei der verlockenden plastikmaid weder gesehen noch beachtet. Der elegant in Wildleder gekleidete normalverlagsgründer war mir sehr gut gesinnt. Kollegial schlug er sogar den interviewern vor, auch mich zu beachtens »da auch sie eine mutige idee für eine neue art literatur aufnahm.»Aber die massenmedienteams drehten sich nicht einmal um. Sie zogen mit den apparaten, scheinwerfern und kabelbündeln ab zu den auf sie wartenden grossverlegern mit prominenten autoren. Ala hatte keine solchen am stand und auch zu keinen galaempfängen geladen!

Verlegerinnen gab es kaum oder nur mit büchern für kochkunst und kinder. Erst 1974 kam aus Paris die verlegerinnengruppe >les femmes< mit schon etwa einem dutzend bücher. Für die nächste messe meldeten sich weitere: >Virago< aus London und einige aus der BRD. Gründerinnen von frauenbuchläden tauchten auf. Was lange fehlte, bahnt sich jetzt an: initiative von frauen für die notwendige kette von autorin, verlegerin, buchhändlerin und leserinnen, wie auch brücken von land zu land für den bücheraustausch.
Mary Wollstonecrafts Vindication wäre vermutlich nie geschrieben, verlegt und so verbreitet worden, hätte die autorin nicht selber (als erste frau in diesem beruf) in einem verlag arbeiten können, dank der aufgeschlossenheit Johnsons. Durch ihn konnte sie Salzmanns Schriften ins englische übertragen und Salzmann gab dann die >Vindication< heraus. Salzmann war daran persönlich interessiert   (seine töchter unterrichteten, wohl als erste, in der knabenanstalt), auch war er ein förderer einfacher kost und kleidung sowie körperlicher ertüchtigung der kinder. Salzmann hatte einen eigenen verlag mit einer druckerei in der anstalt selbst. Die mehrseitige liste der »pränumeranten« im ersten band der >Rettung der Rechte des Weibes< zeigt, dass Salzmann einen grossen Interessentenkreis hatte, z.b.: »Herr Oberjägermeister von Beaulieu in Hannover, Frau Erbgräfin Caroline von Isenburg-Meerholz, Herr Gmelin, Doct. Med. und erster Stadtphysic., die verwittwete (sie) Frau Juliane von Schaumburg-Lippe, Herr Senator Schaumkessel in Heilbronn, Frau Rittmeister von Schwerzel in Willinghausen usw.«

Wäre in jener zeit im Kt. Zürich eine frau an einem manuskript wie die >Vindication< ertappt worden, z.b. Emerentia Neeracher in Stäfa, die herren von Zürich hätten sie vermutlich sofort in den Wellenberg werfen, köpfen oder des landes verweisen lassen. Ich bekam bald zu spüren, dass eine verlegerin, vor allem von frauen (männer sind in der regel kollegialer), als etwas beinahe so »unmögliches« gilt wie eine architektin. »Aber so etwas können Sie doch nicht als frau«, sagte mir eine buchhändlerin in Bern, als ich meine bücher vorlegte, »dazu müssen Sie männer anstellen.« Wie oft hatten mich früher frauen belehren wollen: »Lassen Sie Ihre projekte von einem mann machen und den behörden einreichen!«
Es ist deprimierend, wie heute noch viele frauen meinen, eine frau könne nur hinter einer männlichen vorschiebefigur tätig sein (und müsse diese noch finanzieren)! Was am fernsehen nicht propagiert wurde, trauen sie der geschlechtsgenossin noch nicht zu! Vorurteil, minderwertigkeits-oder Freudscher komplex? Warum keine anerkennung oder schwesterliche Unterstützung? Während der »willkür in kettenreaktion« sah ich, wie solidarisch die männer (vor allem parteipolitiker) sind. Nur drei von hunderten wagten, ein wort für mich einzulegen (bevor sie zum schweigen gebracht wurden). Gleichzeitig entdeckte ich, dass frauen Solidarität kaum kennen. Viele wandten sich ab von mir. Andere fanden, eine frau müsse alles demütig tragen. Nur ganz wenige versuchten, mir etwas beizustehen. Verschiedene frauen wirkten bei den aktionen noch mit, aus Schadenfreude und um sich beliebt zu machen! Die gemahlinnen der vielen räte, richter usw. schwiegen anerkennend; sie profitierten ja vom geld, das ihre gatten dabei verdienten, vom glanz der westenreinigung und der beförderung.
Meine mutter hatte oft gesagt: »Gute freunde in der not gehen hundert auf ein lot«. Ich füge bei: »Gute freundinnen in der not sind noch hundertmal rarer.«
Ich schneide dieses betrübliche thema hier an, weil es seit Mary Wollstonecraft kaum berührt wurde. Die frauen wissen im allgemeinen noch viel zu wenig, dass es nie allein die macht des patriarchats ist, das uns das leben erschwert.
Ein solides fundament des männlichkeitswahns wird aus servilen und zu allem willigen frauen (weil sie gefallen und profitieren wollen) gebildet, welche andere frauen stets nur als zu bekämpfende rivalinnen betrachten, als opfer, die kleinlich und unsolidarisch beiseite geschoben und herzlos im stich gelassen werden müssen.
Ich bin mir bewusst, dass die folgenden paar beispiele bei der weiblichkeitswahn-frauenwelt kaum freude auslösen werden:

Als ich die grundmotive der kollektivaktionen gegen mich noch nicht erfasst hatte, fand am obergericht in Zürich ein hexenprozess (teufelsaustreibung) statt. Ich verfolgte die Verhandlungen über die mir ebenfalls unverständliche aktion gegen ein wehrloses mädchen so oft ich konnte. Es fiel mir auf, dass keine einzige der frauen sich gegen die grausamkeiten eingesetzt hatte. Die gattinnen der täter mussten geahnt, wenn nicht gar gewusst haben, was die »teufelsaustreiber« planten oder taten. Sie alle schwiegen, als hätten sie das opfer als junge rivalin betrachtet, es daher bewusst im stich gelassen oder ihm die hiebe gar noch gegönnt!
Erst während diesen Verhandlungen wurde mir bewusst, warum die sadistischen taten gegen wehrlose frauen (als hexen bezeichnet) nicht nur stattgefunden, sondern jahrhundertelang fortdauern konnten, bis endlich ein paar menschen (es waren meistens männer) dagegen protestierten. Die frauen selber (gemahlinnen der richter, folterer und henkersknechte) schwiegen und profitierten von den greueltaten der männer oder animierten sie noch dazu, wie z.b. Elsbeth Tschudi-Elmer, als ihr mann, arzt, kläger und richter in einer person, die tüchtige Anna Göldi (die sein kind geheilt hatte!) gefoltert und beiseite geschafft haben wollte.
Vor Jahren hatten mich die Soroptimists (sorores optimae, die besten Schwestern) eingeladen, dem klub beizutreten. Die idee des in Amerika gegründeten klubs ist gut: zusammenschluss berufstätiger frauen. Nach der Baschungschen aktion teilte mir die klubpräsidentin Iris Herbst aus dem Grand Hotel in Pontresina in einem eingeschriebenen brief mit, ich sei, ohne grundangabe, ausgestossen. Später hörte ich, ein klubmitglied habe den ausschluss verlangt, das selber von der korruption im bausektor profitierte (bau ohne baugesuch, um baugesetze zu umgehen, dazu animiert vom baureferenten, protegiert vom gemeinderat, vom chefjuristen und dem gericht). Alle damen hatten das verhalten des mitglieds und die von ihm verlangte ausstossung gebilligt! Jetzt bin ich froh, dass ich dem elitären klub nicht mehr angehöre. Damals tat mir das vorgehen weh: unter Soroptimists hatte ich mir etwas besseres vorgestellt.
Jahrelang war ich mitglied des Frauenstimmrechts Vereins. Ich war überzeugt, dass mitwirkung notwendig sei (damals noch belächelt oder gar verpönt, auch von den »besten Schwestern«). Mir missfiel zwar die Vereinsbezeichnung wie auch, dass fast nur von »Stimmrecht« geredet wurde, kaum von »Wahlrecht« oder  gar von den »Menschenrechten« (gleichberechtigung, recht auf arbeit und berufsausübung, recht auf unparteiische gerichte usw.) und nie im verein selber, was geschehe, wenn das sogenannte »geschenk der männer« endlich komme. Seit der beschämenden »geschenksverweigerung« von 1959, gab es in Zürich jedes jahr einen fackelumzug vom Stadthaus auf den Lindenhof, wo die feuerchen, sofern sie nicht schon unterwegs ihr leben ausgehaucht hatten, hingeworfen wurden, wie illusionen, die kaum Zukunft hatten.
Ein paar mitglieder fanden, der wie eine trauerprozession wirkende umzug sollte attraktiver sein. Eine kunstgewerblerin anerbot sich, aus gips eine Helvetia zu machen. Sie sollte auf einem wagen mitgeführt werden, mit einem tuch um den mund, begleitet von Wimpeln (mit Sprüchen der menschenrechtsgegner darauf) und mit laternen (z.b.mit abstimmungsergebnissen der gemeinden). Ich anerbot mich, dem hohen vorstand die idee zu unterbreiten. Obwohl der verein nicht unvermögend war (legate, basarerträge), wusste ich, wie knauserig reiche damen sein können. Ich hatte mir ausgedacht, wie man mit wenig geld nette laternen machen könnte. Zur demonstration nahm ich gleich einen geeigneten drahtkorb aus einer altmetallhandlung mit und kaufte unterwegs in einem laden einen besenstiel. Die körbe würden mit papier überzogen, bemalt, innen mit einer kerze oder lampe beleuchtet und mit draht am stiel befestigt.
Die damen hielten ihre Sitzungen im restaurant Enge ab. Sie sahen mit bösen minen auf mich, als ich nach langer Wartezeit im treppenhaus endlich eintreten durfte. Kaum hatte ich die idee mit der Helvetia, den Wimpeln und den laternen vorgebracht, hiess es schon: »Was kostet das?« Ich sagte, die Helvetia wenig, der rumpf sei schon von einem fest her vorhanden, und die laternen minim, ein korb fünfzig rappen, ein besenstiel einen franken und das pa.. »Nein«, fiel mir Fanny Messmer scharf ins wort, »ein besenstiel kostet nicht so viel, nur fünfzig rappen!« Der vorstand sah mich strafend an, wie eine entlarvte hunderprozentige betrügerin. Dabei war der besenstiel nigelnagelneu und der kassabon noch in meinem sack. Als ich nach der debatte um den besenstiel fortfuhr, unterbrach mich Lilian Uchtenhagen vorwurfsvoll, als hätte ich etwas unsittliches propagiert: »Nein, so etwas kommt nie in frage. Der umzug ist eine sehr ernste sache und muss es bleiben, sonst verlangt mein mann sofort meinen austritt aus dem verein.«
Auch Lydia Benz war ihrer meinung. Da es in der Enge keinen platz für humor gab, zog ich mit meinem korb und besenstiel wieder dahin, woher ich gekommen war. Nie durfte eine Helvetia mit an den umzug auf den Lindenhof. Nie mussten folglich die damen Benz und Uchtenhagen ihre gatten bitten, für sie den Vereinsaustritt zu verlangen. Alle damen wussten, wie es mir ergangen und daher kaum ums lachen war. Nie hätte mich eine für eine berufliche arbeit beigezogen: ihre bauten gaben sie nur männern. Von bundesrichter Schoch sagten sie mir, zu seiner wahl hätten sie ihm ein glückwunschtelegramm geschickt.
Eine der frühern, mir gut gesinnten präsidentinnen bat mich, für den Marsch nach Bern am 1. märz 1969 ein plakat zu machen. Ich zeichnete eine stehende Helvetia mit einem roten verband um den mund. Bei der demonstration vor dem bundeshaus fehlten die meisten der damen, die sich dann später, als der weg endlich freigekämpft worden war, plötzlich für hohe sessel interessierten!
»Feminin«, erzählen sie nun, »stiegen wir kometenhaft empor.«
Lydia Benz wurde beauftragt, zwei ausstellungen für 1975 (jahr der frau) zu leiten, eine im frühjahr in der landesbibliothek in Bern, eine im herbst (zusammen mit Susanna Woodtli und dem sozialarchiv) im Stadthaus Zürich. Meine bücher wurden nicht zugelassen, weder für die Vitrinen noch für das gedruckte Verzeichnis.
Dabei hatte ich schon anfangs jahr bilder, bücher und im lauf der zeit gesammelte dokumente für die ausstellung angeboten. Die abweisung im Sozialarchiv lautete: »Im Stadthaus darf nichts aus dem ausland gezeigt werden, etwas über Suffragetten schon gar nicht!« Als ich im Spätsommer bei der durchsicht der kopien von Mary Wollstonecrafts text entdeckte, dass ein paar Seiten fehlten, eilte ich in die bibliothek, wo ich erfuhr, >Die Rettung der Rechte des Weibes< sei nicht mehr da. Ich reiste nach Bern, um den text dort zu ergänzen. Später hörte ich, Mary Wollstonecraft sei für die ausstellung im Stadthaus reserviert.
Es freute mich, dass nun doch »ausländisches« zugelassen werde. Sofort liess ich die ausstellungsleitung über meine neuausgabe orientieren und bot erneut mein bildmaterial an. Aber die damen blieben hart. (Eine verlegerin scheint schlimmer zu sein  als eine Suffragette. Statt meiner >Flora Tristan< wurde eine französische biografie aus Paris in die vitrine gelegt)
Man könne nichts mehr machen, schrieb mir sogar eine stadträtin. Um so gerührter war ich, als ich später erfuhr, ein belesener und aufgeschlossener buchhändler (nicht etwa von mir »angestellt«), habe den ausschluss meiner bücher nicht in Ordnung gefunden, die vitrine öffnen und meine biografie hineinlegen lassen. Und das im internationalen jahr der frauen!

Bei der durchsicht der literatur über Mary Wollstonecraft las ich empört, wie Gert Schiff in seiner Füsslimonografie die junge zeitgenossin des malers beschreibt: verrächtlich, unkorrekt, mit unbelegten behauptungen. Zum porträt von Opie z.b. sagter (s.164):

  • »Allein Idealität, gepaart mit Masslosigkeit des Fühlens, Denkens, Wollens, ist eine unverträgliche Mischung; eine hektische Juno muss in Männern Abwehrreflexe hervorrufen.«

Rügte kein vorstand der vielen sein buch finanzierenden Institutionen diese misogynie (Schweiz. Nationalfonds zur Förderung der wissenschaftlichen Forschung, Bundesfeierspende, Stiftung >Pro Helvetia<, Kanton und Stadt Zürich, Geisteswissenschaftliche Gesellschaft usw.) ?
William Godwin mahnte schon 1798 in seiner Denkschrift auf Maria Wollstonecraft Godwin, der Vertheidigerin der Rechte des Weibes: 

»Nur selten tritt der Fall ein, dass eine Person dieser Art den Weg des Lebens durchwandelt, ohne der Gegenstand unbedachtsamer Nachreden, vielleicht gar boshafter Verleumdungen zu seyn.«

Ueber die >Vindication< schrieb Godwin im gleichen buch:

»Die Vertheidigung der Rechte des Weibes ist ohne Zweifel ein sehr ungleichartiges Werk, das in Hinsicht auf Methode und Anordnung seiner Theile offenbare Mängel hat. Prüft man dasselbe nach den längst hergebrachten, verjährten Regeln der schriftstellerischen Kunst;  so kann es schwerlich seinen Anspruch auf eine Stelle unter den menschlichen Produkten des ersten Ranges geltend machen. Betrachten wir hingegen die Wichtigkeit der darin enthaltenen Grundsätze und den Glanz des daraus hervorleuchtenden Genies; so kommt es mir eben nicht sehr unwahrscheinlich vor, dass man dasselbe ebenso lange lesen werde, als die Englische Sprache fortdauert.
Die Erscheinung dieses Buches macht für den Gegenstand, den es behandelt, Epoche, und vielleicht wird es sich erst in der Zukunft recht deutlich zeigen, dass Maria Wollstonecraft der Sache ihres Geschlechts wesentlichere Dienste geleistet hat, als alle übrigen Schriftsteller, seyen es männliche oder weibliche, die sich jemals von dem eifer beseelt fühlten,  sich der unterdrückten und gekränkten Schönheit anzunehmen.
Der Tadel des billigen Kunstrichters in Hinsicht auf die Mängel dieser Schrift wird sich gewiss in Erstaunen verwandeln, wenn ich ihm sage, dass ein Werk von diesem unschätzbaren Werthe, sowie es der Welt vor Augen liegt, in dem Verlaufe von nicht mehr als sechs Wochen angefangen, fortgesetzt und beendigt wurde.«

              

       

Verschiedene anmerkungen von CG.Salzmann ( auch ein paar unwichtige der autorin) werden in dieser neuausgabe des alten textes weggelassen. Salzmann war mit mehreren vorschlägen der weit erfahreneren und an die zukunft ihres geschlechts denkenden Mary Wollstonecraft nicht einverstanden, so fand er die koedukation sei kaum möglich und konnte sich nicht vorstellen, dass auch mädchen auf einen beruf vorbereitet werden sollten. Er schien der meinung gewesen zu sein, jedes mädchen warte nur auf einen »ernährer und herrscher«. Sog. »dauerschwangerschaften« und grosse kinder- und frauensterblichkeit galten fast als selbstverständlich, man sehe nur einmal die sterberegister in alten pfarrbüchern an...
Mit Rousseaus Chimären (sog. »Gebote der Natur«) befasst sich Mary Wollstonecraft ausführlich (kap. 3 & 5). Mohammeds Gebote Gottes«, wie sie Lady Montague (1689-1762) in ihren Briefen aus der Türkei beschrieb, seien hier zitiert:

»Es ist noch übrig, Ihnen zu sagen, dass die Tugenden, die Mohammed von den Weibern fordert, wenn sie sich den Genuss künftiger Glückseligkeit verdienen wollen, nicht darinne bestehen, der Welt unnützlich zu werden, sondern sich so viel als möglich zu befleissigen, kleine Muselmänner zur Welt zu bringen. Jungfrauen, welche ledig sterben, und Wittwen, die nicht wieder heirathen, folglich in einer Todsünde sterben, sind aus dem Paradiese ausgeschlossen. Denn da die Weiber, spricht er, nicht im Stande sind, Staatsgeschäfte zu verwalten, noch die Beschwerlichkeiten des Kriegs zu ertragen, so hat ihnen Gott nicht befohlen, die Welt zu beherrschen oder zu verbessern, sondern hat ihnen ein Amt anvertraut, das nicht weniger Ehre verdient, nämlich das menschliche Geschlecht zu vervielfältigen; und diejenigen, die es aus Bosheit oder Faulheit nicht zu ihrem Geschäffte machen, Kinder zu erzeugen, oder mit ihnen schwanger zu gehen, erfüllen nicht die Pflicht ihres Berufs, und lehnen sich wider die Gebote Gottes auf.«

Die texte von Mary Wollstonecraft sind in vereinfachter rechtschreibung wiedergegeben (nur satzanfang und namen mit grossen buchstaben, f statt ph), diejenigen Salzmanns oder anderer zitierter personen nach alter oder jetzt üblicher orthografie. b. r.