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Einleitung zu 1

I.

Mindestens seit Platos »Staat« kennen wir die Idee der Utopie. Der Name selbst entstand 1516 mit der Veröffentlichung von Thomas Morus' »Utopia«: Morus' Wortspiel mit dem griechischen Begriff bezog sich auf »ou topos« mit der Bedeutung: »kein Ort« und »eu topos«, das einen »guten Platz« meint. Je mehr sich die Idee der Utopie entfaltete, desto mehr schloß der Begriff eine Antithese ein. Utopie heute bedeutet sowohl die Vorstellung des Ideals wie auch die Verdrehung der Ordnung. Der Begriff steht ebenso für Wandel wie für Stillstand. Er zeigt gleichermaßen in die Zukunft wie in die Vergangenheit. Und er ist für Frauen und Männer verschieden.
Eine feministische Kritik sexistischer Gesellschaften muß heutzutage auch die Erforschung alternativer Möglichkeiten einschließen. Dieses Buch stellt die sozialen Experimente dar, in denen sich Frauen engagierten — sei es mit Männern oder ohne sie — und es zeigt utopische Visionen von Frauen und Männern. Wir hoffen, daß die hier beschriebenen Utopien neue Visionen und neue Sozialstrukturen ermöglichen, denn die Idee der Utopie verändert sich mit der Suche nach ihr.
Ist die Utopie tot? Dies war jedenfalls die Ansicht der (meist männlichen) Kritiker dieses Jahrhunderts, die auf die großen Dystopien früherer Jahrzehnte hinwiesen: Zamyatins »Wir«; Huxleys »Schöne neue Welt« und Orwells »1984«. Sie deuten auf die großen sozialen Experimente, die fehlschlugen oder zumindest mangelhaft erscheinen, insbesondere in Rußland und China. Und doch gibt es einen Platz, an dem die Idee der Utopie wächst und gedeiht: unter Schriftstellerinnen und Denkerinnen. Dort blüht nicht nur die literarische Gattung »Utopie«, sondern auch eine entsprechende gesellschaftliche Bewegung.
Wie kommt es, daß die jüngsten Bücher über Utopien — zum Beispiel Frank und Fritzie Manuels großes Werk »Utopische Denkweisen in der westlichen Welt« — Feminismus als eine Richtung utopischer Denk- und Handlungsweisen nicht einbeziehen?[1] Es mag daran liegen, daß sie dem Feminismus keine Bedeutung beimessen. Mit Sicherheit jedoch gebührt dem Feminismus ein Platz innerhalb der großen visionären Modelle, schon allein wegen der Betonung neuer Lebensformen für Individuum, Familie und Staat. Nicht zu vergessen die Versuche, die »menschliche Natur« so, wie sie traditionell von Männern definiert wurde, zu verändern. Wenn männliche Utopien — seien sie literarisch oder gesellschaftlich - die Welt verdrehen wollen, dann ist die Erzutopie der Feminismus, der nicht nur die Gesellschaftsordnung ablehnt, sondern das gesamte Patriarchat abschaffen will, was die Franzosen als Name und Gewicht des Vaters bezeichnen.[2]
Es sollte uns nicht verwundern, daß sich die Utopien der Frauen von denen der Männer unterscheiden. Nicht Freiheit, sondern die Flucht vor der Freiheit scheint die Botschaft vieler männlicher Utopien zu sein. Für Männer scheinen Utopien häufig mit der Kontrolle des Individuums zu tun zu haben, das als Gefahr für die Gruppe angesehen wird. Für Frauen hingegen ist die Utopie ein Weg zur Freiheit. Frauen sehen im Individuum keine Gefahr für die Gesellschaft, was daran liegen mag, daß ihnen wenig Eigenständigkeit zugebilligt wird. Männer scheinen die Perfektion durch Regeln und Einschränkungen herstellen zu wollen; Frauen dagegen wollen die Einschränkungen aufheben, waren sie doch lange genug im Gefängnis des Geschlechts eingesperrt.
Männern erscheint Utopia als der ideale Staat; für Frauen hingegen heißt Utopia Überwindung staatlicher Strukturen und Hierarchien, ein Aufheben der traditionellen Trennung von Mensch und Natur, Subjekt und Objekt, Mann und Frau, Eltern und Kind. Im fünften Buch des »Staats« unternimmt Plato den Versuch, die traditionellen Trennungen aufzulösen sowie das Statussystem, das sich auf Besitz, Geschlecht und Elternschaft gründet, zumindest innerhalb seiner herrschenden Klasse abzuschaffen. Doch ging es dabei um das Wohl des Staates. Möglicherweise tun sich Frauen leichter mit der Eingliederung des Individuums in eine Gruppe, haben Frauen doch bereits herkömmlicherweise ihre Bedürfnisse anderen untergeordnet.[3] Utopien von Frauen enthüllen außerdem den neuen Versuch, sich einen eigenen inneren Raum zu verschaffen: Den Freiraum der Phantasie wollen sie ebenso nutzen wie den äußeren, denn auch kulturelle Institutionen waren ja lange genug von Männern dominiert.
Obgleich Utopien im allgemeinen in die Zukunft gerichtet sind, reichen doch einige in die Vergangenheit. Männer kehren dann meist zu einer mystischen Vergangenheit in irgendeinem traumhaften Arkadien zurück. Im Gegensatz dazu ist die Suche der Frauen nach einer Utopie in der Geschichte viel eher die Rückkehr zu einer realen Vergangenheit. Was wir heute Utopie nennen, war einst unsere Realität. Der gegenwärtige Traum von Gleichberechtigung war in vielerlei Hinsicht in vorstaatlichen Gesellschaften existent, von denen einige ja bis in unsere Zeit hineinreichen. (Siehe Teil I.)
Lange Zeit waren die literarischen Gattungen von utopischer Erzählung und Science fiction so unterschiedlich wie die Utopien von Frauen und Männern. In der von Männern geschriebenen Science fiction-Literatur zeigt sich ihr Ziel, Gebrauch und Mißbrauch der Wissenschaft in einem technologischen Kraftakt zu beschreiben. Von Männern verfaßte utopische Romane (die sie heute übrigens kaum noch zu interessieren scheinen) entwerfen eher alternative Sozialstrukturen. Mit der wachsenden Zahl Science fiction schreibender Frauen verwischen sich die Grenzen zwischen den beiden Literaturgattungen immer mehr. Frauen legen in ihrer Science fiction-Literatur größeren Wert auf Charakterisierungen als Männer. Und trotz der Abneigung einiger zeitgenössischer Feministinnen gegenüber der Wissenschaft als Werkzeug männlicher Herrschaft spielt die Technologie sowohl in der Science fiction-Literatur als auch in utopischen Romanen von Frauen eine große Rolle. Doch richtet sich hier Technologie nach den Bedürfnissen der Menschen oder ist auf die Künste ausgerichtet und wird nie zum Selbstzweck.
Eine der Hauptfragen in utopischen Gedankengebäuden und utopischen Gemeinschaften war immer: Was machen wir mit dem Körper? Und so zeigt unser Buch, wie die Versuche, die Fortpflanzung zu kontrollieren und Sexualität auszudrücken oder zu unterdrücken, von dem Zölibat der Shaker über die »Gemeinschaftsheirat« der Oneider bis zum Lesbianismus separatistischer Gruppen reichen. Einige feministische Utopienschrei-berinnen und Theoretikerinnen meinen heute, daß der einzige Weg zur Gleichberechtigung über biologische Steuerungssysteme — wie die Fortpflanzung außerhalb der Gebärmutter — führt. (Siehe Lees und Gearhart, Teil IV.) Andere wiederum glauben an die Abschaffung der Geschlechterhierarchie durch gesellschaftliche und nicht körperliche Veränderungen. Die meisten wollen die Geschlechtsrollen abschaffen-, einige utopische Gesellschaften konnten die Gleichberechtigung in den Unterschieden verwirklichen. (Siehe LeBow, Teil I und Rohrlich, Teil II.)
Ebenso wie literarische Utopien künftige Möglichkeiten vorstellen, zeigen sie auch die Probleme der Gesellschaften, in denen sie entstehen. Die Tatsache, daß so viele feministische Utopien künstliche Fortpflanzungsmethoden in Betracht ziehen, hat mit der unsicheren Kontrolle der Frauen über ihren Körper in der Wirklichkeit zu tun. (Siehe Gearhart, Teil IV.) Die Entscheidung des amerikanischen obersten Gerichtshofes von 1973, die den Frauen ein begrenztes Recht auf Abtreibung garantierte (wieder eingeengt durch die Hyde-Ergänzung), gerät zunehmend unter Beschuß orthodoxer religiöser Institutionen sowie der Neuen Rechten, die — nicht weniger als Feministinnen — erkennen, daß das Persönliche politisch ist und das Recht auf Abtreibung zu Autonomie und sexueller Freiheit beiträgt, diese wiederum eng mit ökonomischer, sozialer und politischer Freiheit zusammenhängen.[4]
Mittlerweile sind wir alle Untertanen einer dystopischen Bedrohung, wie sie in Huxleys »Schöne neue Welt« und Orwells »1984« beschrieben wurde: zentralisierte Staatsstrukturen und der Gebrauch einer Technologie, die mehr kontrolliert und pervertiert als befreit. Und doch sahen Huxley und Orwell das gegenwärtige Patriarchat als Utopie, besonders im Arrangement der Geschlechter. Trotz seiner sozialistischen Grundideen beschreibt Orwell sein Liebespaar Winston Smith und Julia wie ein bürgerliches Ehepaar.[5] Und Huxley befürchtet ebenso wie Orwell die Katastrophe, wenn tradierte Geschlechtsrollen und Familienstrukturen aufgelöst würden.
Vielleicht sind die feministischen utopischen Experimente unserer Zeit (siehe Teil III) und die feministischen utopischen Romane (Teil IV) durch ihre neuen Lebensmöglichkeiten Gegengifte für den Pessimismus von »1984«. »Neue Utopien«, so sagte Northrop Frye vor einiger Zeit, »müssen ihre Form aus der Auflösung und der Veränderung der Gesellschaft entwickeln, bis sie allmählich die Fixpunkte des Lebens ersetzen. Sie sind keine Reißbrett-Städte, die der Dialektik eines Philosophen entspringen; sie entstammen vielmehr Kopf und Bauch, sie haben ihre Wurzeln im Unbewußten wie im Bewußten, in Wäldern und Wüsten genauso wie auf Straßen und in Häusern, im Bett wie auf einem Symposium.«[6] Das klingt schon sehr nach dem Ort einer feministischen Utopie wie beispielsweise Marge Piercys »Woman on the Edge of Time«. Wie ich bereits anderswo erläuterte, ist »Piercys Utopie trotz ihrer Ablehnung von Kernfamilie, lebendiger Mutterschaft, Monogamie und reinem Fortpflanzungssex keine >schöne, neue Welt<, herrschen bei ihr doch große Freude, Farben und Wärme«.[7] Sie verknüpft die Elemente traditioneller Utopien miteinander, betont die Gruppe und Arkadien, das Land persönlicher Freuden. Im allgemeinen bieten weibliche Utopien Platz für Kunst und vielfältige Gefühle, einhergehend mit Gleichberechtigung. Das ist eine Mischung, die männlichen Utopien meist abgeht. Die Aufgabe für die utopische Denkerin besteht darin, eine solche Freiheit und einen solchen Reichtum in der wirklichen Welt zu finden oder zu erfinden.

II.

Unser Hauptinteresse bei der Erforschung utopischer Gesellschaften liegt in deren Bedeutung für Frauen. Daher glauben wir, daß ein hetero/homosozialer Rahmen am ehesten eine Diskussionsgrundlage für die hier vorgestellten Gemeinschaften bietet. Uns geht es um die Stellung der Frau in gemischten und in reinen Frauengemeinschaften. Wie unterscheiden sich die Strukturen heterosozialer Gemeinschaften von denen gleichgeschlechtlicher Gruppen? In unserer Kultur beziehen sich die Worte »homosexuell« und »heterosexuell« lediglich auf das Geschlecht und unsere sexuellen Vorlieben. Indem wir also sozial statt sexuell benutzen, weisen wir auf den Reichtum menschlicher Beziehungen hin und reduzieren sie nicht auf die sexuelle Betätigung, sondern betonen ihre Vollwertigkeit.
Die Hopi und das minoische Kreta (Teil I) sind unsere utopischen Prototypen für Gesellschaften, die patriarchalen, militaristischen Staaten vorausgingen. Diese beiden Kulturen bezeugen die Vielfalt der Beziehungen zwischen den Geschlechtern in egalitären Gesellschaften. Westliche Feministinnen glauben immer, daß Hierarchie untrennbar mit der Differenzierung der Geschlechtsrollen zusammenhänge, doch wie LeBows Artikel über die Hopi zeigt, muß das nicht notgedrungen so sein. Denn ohne den hierarchischen Dualismus schaffen solche Geschlechtsrollen nicht Ungleichheiten in Ökonomie, Politik und Sozialprestige. Im Gegensatz zur Gleichberechtigung im Unterschied bot die minoische Kultur auf Kreta beiden Geschlechtern ein hohes Maß an Autonomie durch androgyne Rollen. Der Begriff An-drogynie weist allerdings auf versteckte weibliche und männliche Prinzipien hin, die so miteinander verbunden zumindest sprachlich dem männlichen Anteil den Vorrang geben. Infolgedessen finden wir in der Sprache bereits das Problem, das wir zu überwinden trachten. (Siehe Gershuny, sowie Thorne, Kramarae und Henley in Teil III.)
Mit dem Aufkommen klassenbezogener Patriarchate wurden Männer und Frauen so getrennt, daß Frauen in jeder Beziehung Männern unterworfen waren, als niedere Klasse eben. (Rohrlich, Teil I.) Doch als sich organische Utopien in Dystopien verwandelten, begannen Frauen und Männer ihren unendlichen Kampf zur Wiedereinrichtung alter Lebensweisen in neuen Formen: in Gemeinschaften außerhalb der herrschenden Kultur, sowohl hetero- als auch homosozial, außerhalb und innerhalb des Patriarchats.
Aller Wahrscheinlichkeit nach wurden die ursprünglichen separatistischen Gesellschaften von Frauen gegründet, die durch ihre Verweigerung, sich zu unterwerfen, dem Patriarchat entflohen und  gleichgeschlechtliche Gemeinschaften aufbauten, die sie mit Waffengewalt verteidigten.
Die geschichtliche Existenz dieser sogenannten Amazonen wird von anerkannten Geschichtsschreibern der Antike wie Herodot, Plinius, Plutarch, Diodorus Siculus und Arrian durchaus akzeptiert (und sie gelten ja auch als Autoritäten, wenn es um andere geschichtliche Tatsachen geht).[1] Auch zeitgenössische Historiker wie Emanuel Kantor zweifeln nicht daran. Das dichterische Ebenbild dieser Gesellschaften ist Monique Wittigs »Die Verschwörung der Balkis« (»Les Guerilleres«).[2] Etwas jüngere Analogien aus dem wirklichen Leben sind die indianischen Peruanerinnen, die im 17. Jahrhundert den spanischen Konquistadoren in die Höhen des unzugänglichen Tafelgebirges der Anden (Puna), weit weg von ihren ursprünglichen Gemeinschaften, entflohen. »In ihrer heftigen Ablehnung der Kolonialideologie, die ihre Unterdrückung nur noch verstärkte«,[3] bildeten diese Frauen ihre eigenen Gemeinschaften, in denen sie die sozialen Beziehungen und die Religion aus der Vor-Inka-Zeit sowie vor dem Kolonialismus miteinander verwoben. Eine der Frauen, die als Hexe und Priesterin der Häresie bezichtigt wurde, bezeugt die beispiellose Unterdrückung: »Das Universum hat das Innere nach außen gekehrt, denn wir werden verfolgt.«[4]
In der gegenwärtigen Kultur der Anden wird die Puna noch immer »als Land der Frauen betrachtet und gilt als ihr Zentrum«.[5] Die Männer der Dorfgemeinschaft fürchten sich vor der Puna und sagen: »Die Frauen werden uns steinigen, wenn ihnen unser Tun mißfällt.«[6] Gleichzeitig erkennen sie an, daß »die Frauen in der Puna so leben wie unsere Vorfahren; sie verteidigen unsere Gebräuche und unsere Kultur«.[7]
Frauen schlössen sich anscheinend dann mit gleichgesinnten Männern zusammen, wenn die Gemeinschaften den gleichen Zugang zu Ressourcen und gleichberechtigte Rollen versprachen, wie es bei einigen frühen christlichen Sekten der Fall war. In »The Gnostic Gospels« weist Pageis darauf hin, daß in vielen Urgemeinschaften der Christen Prophetinnen und Propheten, Priesterinnen und Priester, Heilerinnen und Heiler, Lehrerinnen und Lehrer wirkten, deren Rollen durch das Ziehen eines Loses bei jedem Treffen neu bestimmt wurden, um eben die Errichtung einer Hierarchie zu vermeiden. In einigen ihrer Texte heißt es, daß »Gott, nach dessen Ebenbild wir erschaffen wurden, beides sein muß: Mann und Frau, Vater und Mutter«.[8] Sie lehnen dieses frühe Beispiel des Gebärmutterneids ab, nach dem Eva wie durch einen Trick aus Adams Rippe erschaffen wurde. Den feministischen Kommentatorinnen der »Women's Bible« Jahrhunderte vorausgreifend, erkennen sie Eva als spirituelles Prinzip des Menschen, die Adam aus seiner rein materiellen Kondition erlöst. Sie sehen Weisheit als spezifisch weibliche Eigenschaft mit der Schlange als Symbol göttlicher Weisheit, genau wie bei den Hopi und in der minoischen Kultur auf Kreta.
Das christliche goldene Zeitalter dauerte ungefähr zwei Jahrhunderte, »im ausgehenden zweiten Jahrhundert akzeptierte die orthodoxe Gemeinschaft die Herrschaft der Männer über die Frauen als göttliche Ordnung«.[9] Zu der Zeit »wurden all die von den gnostischen Gruppen verehrten geheimen Texte aus der kanonischen Sammlung entfernt und von denen, die sich selbst orthodoxe Christen nannten, als Irrlehren gebrandmarkt [10] — die Utopie wurde zur Häresie. Wie Pagels ausführt: »Die Gewinner schreiben die Geschichte — so wie sie wollen.«
Die Gnostiker waren das Modell für so manche religiöse Sekte, die mit der protestantischen Reformation im 16. Jahrhundert entstanden. Zu diesen Gruppen, die sich hauptsächlich in den Vorkriegs-USA verbreiteten und in geringerem Maße auch in der Gegenkultur der sechziger und siebziger Jahre, gehören beispielsweise solche Vereinigungen wie die in diesem Buch dargestellten Shaker und Perfektionisten. (Teil II.)
Diese Gemeinschaften ähnelten den frühen Christen darin, daß sie heterosozial waren und gemeinsamen Besitz pflegten; sie unterschieden sich von den Gnostikern durch die Herrschaft der Männer und/oder hierarchische Strukturen sowie einer Sexualität, die als extrem galt.
Shaker und Perfektionisten des 19. Jahrhunderts regulierten die Sexualität zwar völlig verschieden, doch wurden beide als extrem und gefährlich angesehen. Während die Shaker sich dem Zölibat verschrieben, die Ehe als Brutstätte der »Fleischeslust« verteufelten, der Quelle jeglichen Übels auf Erden, praktizierten die Perfektionisten »Gruppenehen« und schafften Eigentumsrechte an Personen und Besitz ab, weil dies zum einen nur ungenügende Befriedigung bot und zum anderen der Solidarität der Gemeinschaft widersprach. Die Shaker, von einer Frau, Ann Lee, gegründet; teilten sich gleichermaßen in die Führung; bei den Perfektionisten, die auf einen Mann, John Humphrey Noyes, zurückgehen, herrschten formal die Männer, doch war die Arbeitsteilung nach Geschlechtern weit weniger starr als bei den Shakern.
Einzigartig unter all den Utopisten, religiösen wie weltlichen, kümmerten sich der Christ Noyes und der Theist Fourier (der Noyes beeinflußt hatte) um die Sexualität der älteren Frauen. Für Noyes lag ein Grund darin, daß Männer sich bei älteren Frauen nicht um die Ejakulation zu sorgen brauchten. Beide Männer schlugen vor, daß Ältere die Jüngeren in die Sexualität einführten. Fourier machte außerdem den Vorschlag, ältere Frauen mit ihrer Erfahrung und Einfühlungskraft sollten als Sex-Beraterinnen dienen, und in Oneida stellten sie ja tatsächlich die Verbindung zwischen Frauen und Männern her, die eine sexuelle Beziehung suchten. Fourier stellte die berühmte Behauptung auf: »Die Erweiterung der Privilegien für Frauen zeigt den sozialen Fortschritt an.«[11]
Die Faktoren, die die Shaker-Frauen für eine aktive Beteiligung an der Kirchenführung frei machten,[12] waren laut Foster zunächst und vor allem das Zölibat, wodurch die Frauen die totale Kontrolle über ihren Körper hatten. Hinzu kam die gemeinsame Erziehung der von neuen Mitgliedern mitgebrachten Kinder sowie der Waisen, die von der Gemeinschaft adoptiert wurden. Das Zölibat war eine effektivere Form der Geburtenkontrolle als das Zurückhalten des Samenergusses, wie es in Oneida praktiziert wurde, wo dann doch einige ungewollte Kinder zur Welt kamen. Die Auflockerung traditioneller Geschlechtsrollen unter den Perfektionisten führte nicht zur Gleichberechtigung der Geschlechter, was vielleicht daran gelegen haben mag, daß die Männer weiterhin Sexualität und Fortpflanzungsmöglichkeiten der Frauen kontrollierten (Noyes entschied, wer Vater werden durfte). Andererseits hat die Aufrechterhaltung traditioneller Geschlechtsrollen bei den Shakern die Gleichberechtigung nicht behindert.
Obgleich viele der zielgerichteten Gemeinschaften im 19. Jahrhundert, insbesondere die sozialistischen, die Gleichberechtigung der Geschlechter verwirklichen wollten, gelang dies nur wenigen. Noch weniger hatten sich auch zur Gleichberechtigung der Rassen verpflichtet und praktizierten ein Zusammenleben verschiedener Rassen. Unseres Wissens gab es nur zwei Gruppen, die beide Ziele auf ihre Fahnen geschrieben hatten: die Shaker und Nashoba (Bensman, Teil II), und beide waren von Frauen gegründet worden. Hing der beträchtliche Erfolg der gemischtrassigen Shakergemeinschaften vielleicht mit dem Zölibat zusammen?
Frauen heutzutage haben eine größere Kontrolle über ihre Fortpflanzung und Sexualität. Zwei kleinere gemischt-geschlechtliche Gemeinschaften, die wir in diesem Buch vorstellen, bieten Frauen einen Ausblick auf Utopia. Sowohl Findhorn in Schottland als auch Twin Oaks in den Vereinigten Staaten (Teil III) schafften die Geschlechtsrollen ab und gaben sich gleichberechtigte Strukturen. Findhorn mit seiner umsorgenden Hege und Pflege für Pflanzen und Tiere und seiner Anwendung nicht-destruktiver Technologien ist als New Age-Gemeinschaft Teil der feministischen/ökologischen Bewegung, die den Planeten erhalten möchte. Doch zeigt das sexuelle Nichtvorhandensein älterer Frauen laut Sheer, daß auch Findhorn der Medienkultur gegenüber nicht immun ist. In Twin Oaks ist »objektiv eine Struktur für die Befreiung vorhanden«, schreibt Weinbaum. Jede Arbeit, von der Kinderbetreuung bis zur Autoreparatur, wird gleich bewertet, und »die Anerkennung der Tatsache, daß Frauenarbeit früher nicht bezahlt wurde und nun berechnet werden muß, ist subversiv und schafft somit Raum für weitere Veränderungen«.
Eine bemerkenswerte heterosoziale Organisation ist CARASA (Comittee for Abortion Rights and Against Sterilization Abuse — Komitee für das Recht auf Abtreibung und gegen den Mißbrauch der Sterilisation), in der Frauen und Männer »verschiedener Alters-, Rassen- und Religionsgruppen«[13] sich zusammenschlössen, um für dieses zentrale Thema der Fortpflanzung einzutreten. Alle CARASA-Mitglieder, sowohl die von der Basis kommenden wie die Akademiker/innen, betonen, daß in einer demokratischen Gesellschaft die Freiheit der Fortpflanzung nicht »nur« ein Frauenthema ist, sondern ebenso wie die Redefreiheit, Religionsfreiheit, Versammlungsfreiheit und Pressefreiheit zu den Grundrechten gehört.
Die gleichgeschlechtlichen Gemeinschaften der frühen Neuzeit beginnen mit den Beginen. Eine Frauenkonferenz im Oktober 1976 in New York gab sich den Titel »Zur Feier der Beginen«. Ironischerweise wählen zeitgenössische Feministinnen bei der Gründung von Frauengemeinschaften, die meist lesbisch und antireligiös sind, häufig die frommen, keuschen Beginen des ausgehenden Mittelalters zu ihrem Vorbild. Doch abgesehen von ihrer Religiosität und ihrem Zölibat entwickelten die Beginen einen freien und unabhängigen Lebensstil, der auch die Klassenschranken unter Frauen aufhob. Das muß die heutige Frauenbewegung erst noch erreichen. Hunderttausende von Frauen schlössen sich im 13. und 14. Jahrhundert in Frankreich, Flandern und Deutschland zu Gemeinschaften zusammen, die mindestens ein halbes Dutzend Generationen überlebten. »Frauen aus allen Teilen der Gesellschaft stärkten sich im persönlichen Kontakt mit den Be-ginen und durch die starken Alternativen, die sie zu einem Leben mit Männern boten.«[14]
Erstaunlich an diesen Gemeinschaften ist ihre Fähigkeit, Bindungen zwischen Frauen aller Schichten zu schaffen, indem sie einander unterstützten. Da die aufblühende Textilindustrie in den neuen Städten hauptsächlich Frauen beschäftigte, waren Frauen aus der Arbeiterklasse bei den Beginen in der Überzahl. Geführt wurden sie meist von älteren Frauen. Größtenteils kontrollierten sie selbst ihren Besitz, lebten zusammen in eigenen Häusern, wählten sich ihre Beschäftigungen und Gefährtinnen und bereisten zusammen andere Städte. Die Kirche beobachtete ihre Unabhängigkeit mit wachsendem Mißtrauen und zwang sie schließlich zu Gelübden als Laienmitgliederinnen der Männerklöster. Dies führte nach 1330 zum Niedergang der Beginengemeinschaften und ihrer Umwandlung in Wohlfahrtseinrichtungen und protektionierte Werkstätten. Dennoch haben sie am Höhepunkt ihrer Bewegung »sich größerer Freiheit und Möglichkeiten zur Lebensgestaltung erfreut als irgendwelche anderen Zeitgenossinnen und -genossen«.[15]
Der Niedergang der Beginen leitete in Europa eine Periode ein, in der das öffentliche Auftreten für Frauen zunehmend eingeschränkt wurde. Nicht zufällig schloß das salische Gesetz von 1328 die Frauen von der Erbfolge der französischen Krone aus — zur gleichen Zeit, als die Beginen ihre Freiheiten verloren. Die Entstehung der modernen europäischen Staaten und der bürgerlichen Gesellschaft brachte besonders für Frauen der Mittelklasse, aber auch des Adels, die Trennung zwischen privatem und öffentlichem Leben. Der vorindustrielle patriarchale Haushalt entwickelte sich zur grundlegenden sozialen Einheit, als die wirtschaftliche, politische und kulturelle Macht der aristokratischen Frauen im Mittelalter im Niedergang begriffen war und die Frauen der Mittelklasse »domestiziert« wurden. Damit einher ging die »Erschaffung des neuen Geschlechts der Hausdame«.[16]
Mit der neuen weltlich-humanistischen Kultur des modernen Europa kam auch »das Hängen oder Verbrennen von einigen 100000 oder mehr Frauen als Hexen«,[17] das zweifelsohne Frauen davon abhielt, sich weiterhin ihrem neu auferlegten Status zu widersetzen — außer für kurze Zeit während der englischen Revolution im 17. Jahrhundert und der französischen im 18. Jahrhundert, als Frauen ein wenig Freiheit zurückgewannen. Ansonsten wurden sie mehr und mehr von Männern getrennt und aus der Öffentlichkeit ausgeschlossen. Mit dem 19. Jahrhundert dann waren die Rollen von Frau und Mann in den westlichen Industriegesellschaften als getrennt und »sich ergänzend« für den öffentlichen und privaten Bereich festgeschrieben. Das bedeutete, daß »die unbezahlte und nicht anerkannte Arbeit« der Frauen im Haus »ihre Abhängigkeit von den Männern« festlegte und sie zu »einer untergeordneten und dienenden Rolle zwang«.[18] Dennoch waren viele Frauen, auch Feministinnen und Sozialistinnen, »voll des Lobes und verteidigten dies sogenannte Reich der Frau« mit seinen Werten der Reinheit, Frömmigkeit und höheren Moral.[19] Sie benutzten es als Strategie zur Verwirklichung eigener Ziele — besonders bei der Gründung gleichgeschlechtlicher Gemeinschaften und Gesellschaften.
Inmitten Hunderter heterosozialer Zweckgemeinschaften im 19. Jahrhundert war das Gemeinwesen der Frauen in Beiton, Texas, ein einzigartiges Beispiel für eine Gemeinschaft von Frauen für Frauen, die auch »geschlagene Frauen sowie die Frauen von Alkoholikern«[20] einschloß. Sie benutzten die Tradition privater Frauen-Netzwerke, die wirtschaftlichen Ideale der zielgerichteten Kommunen, die Prinzipien der Sozialreform und besonders der persönlichen Offenbarung. (Andreadis, Teil II.) Sexualität und Geld ihrer Männer wiesen die Belton-Heiligen, wie sie auch genannt wurden, als »unheilig« zurück. Darin waren sie auch beeinflußt durch die Frauenbewegung ihrer Zeit. Trotz der Drohungen, Verspottungen und Beschimpfungen konnten sich diese Frauen aus der Mittelschicht durch eigene Arbeitskraft von 1868 bis 1918 erhalten.
Die Frauen des späten 19. und frühen 20. Jahrhunderts in den USA dehnten ihre privaten Netzwerke »mit ihrer besonderen und einzigartigen weiblichen Identität« bis in den öffentlichen Bereich aus. Sie gründeten eigene Organisationen, in denen sie politisch für die Frauen tätig werden konnten.[21] Beispiele dafür sind die Allgemeine Vereinigung der Frauenklubs, die für Sozialreformen und Wahlrecht eintrat; der Christliche Abstinenzverband der Frauen, der »zu einer starken Stimmrechtsbewegung wurde, und mit allen Mitteln gegen jegliches Unrecht an Frauen kämpfte«;[22] die Gewerkschaftliche Frauenliga, die wertvolle Dienste bei der Organisierung der Arbeiterinnen leistete. Hinzu kamen noch die Frauen-Hochschulen.
In der Siedlungsbewegung, die Blanche Cook in Teil III beschreibt, lebten und arbeiteten Sozialarbeiterinnen und Erzieherinnen — die erste Generation der Feministinnen des 20. Jahrhunderts — zusammen und bezogen Kraft und emotionalen Rückhalt aus ihren homosozialen lesbischen Gemeinschaften. Sie halfen den Armen, bekämpften korrupte Politiker sowie den US-amerikanischen Imperialismus und setzten sich für das Wahlrecht ein. Wie die Gruppe »Commonwealth der Frau« in Texas wurden sie beschimpft und bedroht.
Damals fanden auch die spanischen Anarchistinnen, daß sie sowohl ihre feministischen als auch anarchistischen Ziele viel besser in einer eigenen Organisation, nämlich Mujeres Libres (Ackelsberg, Teil III) verwirklichen konnten, als in den von Männern bestimmten Anarchistengruppen. Hätte die spanische Republik überlebt, wären es vielleicht diese »befreiten Frauen« gewesen, die die Führung für eine wahrhaft gleichberechtigte und demokratische Regierung gestellt hätten.
Eine separatistische Frauenorganisation, die traditionelle weibliche Kulturformen der Vereinigten Staaten mit der gegenwärtigen Frauenbewegung verbindet, ist der »Frauenfriedensstreik« (Women Strike for Peace/WSP), dem »Frauen aller Rassen, Religionen und politischen Überzeugungen angehören... die sich dem Ziel einer allgemeinen und totalen Abrüstung unter internationaler Kontrolle verschrieben haben«.[23] Als sie wegen des Verdachts kommunistischer Infiltration vor den Untersuchungsausschuß für unamerikanische Aktivitäten geladen wurden, stellten sich diese Frauen in einer Form dar, die »so originell, gewinnend und .feminin' im herkömmlichen Sinne war, daß sie die Sympathie und Unterstützung des größten Teils der nationalen Medien gewannen und ihre Bewegung daraus eher gestärkt als geschwächt hervorging«.[24]
Der Frauenfriedensstreik war ausgesprochen feministisch: Nach Auffassung von WSP funktionierte der traditionelle Geschlechtsrollen-Vertrag längst nicht mehr: Von den herrschenden Männern im Atomzeitalter ist kein Schutz zu erwarten. WSP stellte zudem die private Isoliertheit der Frauen, die ja ein Element der Weiblichkeit sein soll, in Frage, indem sie statt häuslicher Pflichten Weltprobleme und internationale Schwesterschaft thematisierte.
Dennoch »entfremdete der Frauenfriedensstreik die neue Generation der jüngeren Frauen«, die WSP in Friedensfragen bewunderten, die Gruppe aber ablehnten wegen ihrer »Mutterschaftspolitik und ihres Ergebenseins in die Geschlechtsrollenklischees«.[25] WSP spielte eine herausragende Rolle im Kampf gegen die atomare Aufrüstung in den sechziger Jahren, was für die achtziger Jahre die Frauenfriedenscamps in Europa und den USA übernahmen. Ebenso verdienen homosoziale Gemeinschaften größeres Interesse.
Frauen arbeiteten mit Männern in reformistischen und radikalen Bewegungen im 19. und 20. Jahrhundert zusammen, bis sie — wegen der Unterdrückungsmechanismen der Männer - gezwungen waren, ihre eigenen Organisationen zu gründen. Wie Kelly ausführt:
Frauen werden nie vergessen, wie sie in dieser Phase der Frauenbewegung wieder den gleichen Anfangsschwierigkeiten begegneten. Die Frauengruppen entwickelten sich aus den radikalen Bewegungen der sechziger Jahre genauso wie damals 1840 und 1850 aus der Sklavenbefreiungs- sowie Friedensbewegung. Beide Male gründeten Frauen eigene Organisationen, weil die Männer - trotz ihrer Teilnahme an einer Bewegung gegen die Unterdrückung - die Frauen weiterhin durch ihr Verhalten und mit ihren Strukturen unterdrückten.[26]
Seit den späten sechziger Jahren hat diese Generation der jüngeren, aber auch älteren Frauen verschiedene separatistische Gruppen gegründet: Parteigruppierungen, außerparlamentarische Gruppen, Gewerkschafterinnen, Mütterverbände, Wohlfahrtseinrichtungen, die Bewegung »Lohn für Hausarbeit«, Frauenzentren, Frauengruppen in Hochschulen und Universitäten, Selbsthilfe-Kollektive, Künstlerinnenkollektive, Frauengesundheitszentren, Musikerinnen, Fotografinnen, Filmemacherinnen schlössen sich zusammen; Frauenverlage und Frauenzeitschriften entstanden, sowie u. a. Kollektive zur Bekämpfung sexueller Belästigungen am Arbeitsplatz, Notrufstationen gegen Vergewaltigung und, vielleicht als wichtigstes von allen, die Frauenfriedenscamps.
Diese Generation von Feministinnen hat sich aufgemacht, in eigenen Gemeinschaften zu leben, in der Stadt wie auf dem Land; viele haben zuvor in gemischten Kollektiven gelebt und darin irgend etwas vermißt. Die Frauen auf den Bauernhöfen in den USA erfahren wirtschaftliche, politische und zwischenmenschliche Probleme, besonders wenn Zweierbeziehungen mit den Gruppeninteressen kollidieren, was in den meisten zielgerichteten Gemeinschaften vorkommt, seien sie nun homo- oder heterosozial. Die Landkommunen dienen als Rückzugsorte für »ausgebrannte« Frauen (Weinbaum, Teil III) und schaffen Plätze, um nicht-traditionelle Fertigkeiten zu erlernen oder verschiedene Formen psychischen Heilens zu erforschen.
Die Gemeinschaften, die ich 1975 in Kopenhagen in Dänemark besuchte, hatten sowohl lesbische als auch heterosexuelle Mitgliederinnen. Sie waren Studentinnen oder Arbeiterinnen, die hauptsächlich deswegen in Frauenkommunen leben wollten, weil sie es als aktive Mitglieder der Frauenbewegung angenehm und erfreulich fanden, mit gleichgesinnten Frauen zusammenzuleben. Außerdem hatten sie das Gefühl, daß sie in eigenen Kommunen neue Kenntnisse und Kräfte entwickeln konnten und lernten, sich auf sich selbst und andere Frauen zu verlassen. In gemischten Gruppen blieben nach ihrer Ansicht die Geschlechtsrollen »erstaunlich stark«; Frauen schlüpften oft unbewußt in physische und geistige Abhängigkeiten, Männer dominierten, wenn es um Entscheidungen ging und zeigten sich widerwillig in der Erfüllung häuslicher Arbeiten.
Reine Frauen-Utopien sind ein neues Phänomen in der Literatur. Dabei erhebt sich die Frage: »Wieso gibt es keine Utopien, in denen nur Männer vorkommen?« (Gearhart, Teil IV.) In ihrer Analyse von elf utopischen Romanen, die von Frauen geschrieben wurden, bemerkt Gearhart, daß in acht lesbischen Gemeinschaften die Frauen ihre Fortpflanzung selbst kontrollieren, die ja ein spezifisch feministischer Diskussionspunkt ist. Sie verwenden dabei verschiedene Arten der Fortpflanzungskontrolle: Sie benutzen Männer zur Besamung, paaren sich mit Mietmännern, betreiben Parthenogenese und haben eine Form der Eiverschmelzung entwickelt.
Die Hauptkritik an separatistischen Gesellschaften — schreibt Gearhart — liegt darin, daß sie ja niemals wirklich separatistisch sind, »denn vollständige Trennung ist derzeit unmöglich«. Es gibt immer irgendeine Verbindung zu den Männern und ihrem System. Doch nach Kelly:

Wir brauchen sowohl die Trennung als auch das volle soziale Engagement, um uns von den verschiedenen Formen sexueller Unterdrückung zu befreien; die sexuelle Unterdrückung wird nicht ohne die Befreiung von allen Formen der Herrschaft und Unterdrückung überwunden werden.[27]