Man ist gegenwärtig geneigt, die Erziehung als eine spezielle Leistung der Mutter anzusehen; der Anteil des Vaters tritt daneben stark in den Hintergrund — so stark, daß es fast den Anschein hat, als wollten die Frauen kraft ihrer physischen und ethischen Leistungen nach dieser Richtung die Nachkommenschaft wieder ganz in matriarchalische Gewalt bekommen. Es könnte also wohl sein, daß die Erziehung, die eine viel dauerndere, intensivere, umfassendere Beanspruchung der weiblichen Persönlichkeit bedeutet als die physischen Aufgaben der Mutterschaft, die Frauen unbedingt für den größten Teil ihres Lebens an die Familie binden und die Ausübung eines anderen Berufes neben den Mutterpflichten ausschließen müsse. Die Erfahrung des täglichen Lebens lehrt zwar, daß es Frauen gibt, die neben einer Schar von Kindern Zeit und Interesse für anderweitige Betätigungen ihrer Persönlichkeit übrig behalten, und solche, denen ein einziges Kind so viel zu schaffen macht, daß sie für die übrige Welt verloren sind — woraus hervorgeht, daß auch hier die individuelle Anlage das entscheidende Moment ist. Dennoch macht sich die Neigung geltend, die Aufgaben der Erziehung so hoch einzuschätzen, daß sie den sozialen Wert aller anderen menschlichen Leistungen überragt.
Den äußersten Ausdruck für diese Vorstellungen findet man bei Ellen Key: »Es bedarf ungeheurer Kräfte, um einem einzigen Kinde gerecht zu werden. Das bedeutet durchaus nicht, dem Kinde jede seiner Stunden zu geben. Aber es bedeutet, daß unsere Seele von dem Kinde erfüllt sei, so wie der Mann der Wissenschaft von seinen Forschungen, der Künstler von seinem Werke erfüllt ist«; — denn das ist die erhabene Aufgabe: »das neue Geschlecht zu erziehen, das einmal die Gesellschaft bilden wird, in der der vollendete Mensch — der >Übermensch< — von einer noch fernen Morgenröte bestrahlt werden wird«. (Das Jahrhundert des Kindes.)
Hier treffen zwei moderne Anschauungen aufeinander, die völlig entgegengesetzt und unvereinbar sind: die Vorstellungen über den entscheidenden Einfluß der Erziehung im Leben des Einzelnen, und die Vorstellungen von einem neuen, höheren Geschlecht, vom »Übermenschen«.
Nietzsche, der Vater des modernen Übermenschen, hat — vielleicht nicht ohne Absicht — die genaueren Umrisse dieser Gestalt ziemlich dunkel gelassen; da er aber irgendwo sagt, am Ziel aller Entwicklung stehe »das souveräne Individuum, das nur sich selbst gleiche«, kann man zunächst darunter nichts anderes verstehen als den Menschen, der die Impulse seines Handelns aus sich selbst schöpft und, unabhängig von den Einflüssen seiner Umgebung, sich zur selbstherrlichen Persönlichkeit entfaltet — den Menschen, der sein eigenes Werk ist.
Gegenüber Individualitäten mit solchen Anlagen hat die Erziehung sehr wenig zu sagen. Damit ein Mensch ganz er selbst werde, muß er vor allem die Einflüsse seiner Umgebung und seiner Erziehung überwinden. Der besten wie der schlechtesten — außer man will unter einer guten Erziehung nur die Beibringung guter Manieren, einer automatisierten Beherrschung der äußeren Formen verstehen.
Und was sollte denn die Erziehung viel anderes vermögen? Schon die ganz allgemein gefaßte Formel, daß die Erziehung die guten Anlagen entwickeln, die schlechten unterdrücken soll, ist eine unzulängliche. Denn bei der Ungewißheit, was in einer seelischen Konstitution als gut oder böse anzusprechen ist, da doch jedes Individuum die Fehler seiner Vorzüge besitzt — von generellen moralischen Bewertungen ganz abgesehen — geschieht es nur zu leicht, daß die pädagogische Auswahl zwischen Gut und Böse die Spreu nicht immer vom Weizen unterscheidet. Überdies setzt alle Erziehung, die mehr sein will, als eine Erziehung zu äußeren Formen, bei dem Erzieher eine umfassende Intuition der zu erziehenden Individualität voraus; und eine solche Intuition kann nur in einer überlegenen Persönlichkeit entstehen. Die Eltern, die eine solche Intuition von ihren Kindern gewinnen sollen, dürften keine sie geistig überragende Nachkommenschaft haben. Keine »neuen Menschen« dürften es sein; denn wie in aller Welt sollen gewöhnliche Menschen ungewöhnliche erziehen? Aller Wahrscheinlichkeit nach werden gewöhnliche Eltern freilich gewöhnliche Kinder haben. Wenn Durchschnittsmenschen zusammenheiraten, so ist vorauszusehen, daß die Kinder aus dieser Ehe auch wieder Durchschnittsmenschen sein werden, trotz aller Erziehungsbefleißigung. Sollte es aber der Zufall wollen, daß der wundersame, unberechenbare Fremdling, das Genie, darunter auftritt, so wird es für seine Erzeuger das beste sein, sie lassen ihn seine eigenen Wege gehen, ohne ihn durch ihre pädagogischen Künste zu bedrängen.
Erziehung im aktiven Sinne ist der Ausdruck für eine Art des Seins; man erzieht mit dem, was man ist, nicht mit dem, was man weiß. Alle pädagogischen Kenntnisse und Absichten werden aus einer ungeeigneten Persönlichkeit keinen guten Erzieher machen. Die Herausforderung, daß wir uns vorher selber erziehen müssen, um erziehen zu können, hilft diesem Übelstande nicht ab. Denn sie setzt eine bestimmte Fähigkeit voraus, die nicht jeder hat — eben die Fähigkeit, sich selber zu erziehen. Und wenn es möglich ist, sich selber zu erziehen, dann können die Eltern diese Aufgabe um so eher den Kindern überlassen. Hat ein Mensch, der sich selber zu erziehen vermochte, nicht entschieden vor dem etwas voraus, der diese Arbeit an sich durch andere verrichten ließ —?
Am meisten werden der Erziehung, der guten wie der schlechten, die Durchschnittsmenschen zugänglich sein, und unter diesen besonders die schwachen und unselbständigen Individuen, die den suggestiven Einflüssen der herrschenden Normen leicht erliegen.
Der Nutzen der Erziehung, ihr Sinn und Zweck kann also niemals die Heranbildung eines »neuen« Geschlechtes, oder gar des
»Übermenschen« sein, sondern höchstens der Schutz und die Führung der minder Widerstandsfähigen, der minder Selbständigen.
Aber auch diesen gegenüber ist die Parallele, in welche die Erziehung eines Kindes mit der Schaffung eines Werkes gesetzt wird, nicht aufrecht zu erhalten. Namentlich die Frauen lieben es, sich mit dieser Parallele über den Verzicht auf geistige Leistungen hinwegzutrösten, den ihnen die Mutterschaft auferlegt. Man weiß ja: die Frauen sollen nichts selber sein und leisten, sie sollen vielmehr ihre Söhne zu dem »heranbilden«, was ihnen selbst zu werden versagt ist.
Unter allen verlogenen Direktiven, an denen die bürgerliche Ethik reich ist, gibt es kaum eine schlimmere als diese. Denn sie verführt geradewegs zu jenem Mißbrauch, der als zielbewußte Pädagogik berüchtigt ist, und sie bereitet jenen naiven Seelen unter den Frauen, die auf sie ihre Lebensziele bauen, die bittersten Enttäuschungen. Trotz aller Erziehungskünste — wer kann daran zweifeln? — bleibt ein Mensch das, als was er geboren wurde; ein kleines Ich wird auch durch inbrünstige mütterliche Hingebung nicht in ein großes, ein Durchschnittskopf nicht in ein Genie verwandelt. Die Frau, die sich die Ausübung eines Talentes in der Erwartung versagt, es bei ihren Söhnen »heranbilden« zu können, wird in neunundneunzig von hundert Fällen um ihren Lebensinhalt geprellt sein. Lebet doch euer eigenes Leben, liebe Mütter, und erspart dafür euren Kindern die Belastung mit all den Hoffnungen und Wünschen, die sie als eine Verpflichtung, es im Leben euch statt sich selber recht zu machen, mit sich schleppen müssen!
Nicht in der Regel, sondern viel eher im Ausnahmsfalle gleichen die Kinder soweit den Eltern, daß ein völliges Verständnis zwischen ihnen herrschen kann. Jede Generation entwickelt sich in einem gewissen Gegensatz zur früheren; die Elterngeneration verbraucht die geistigen Güter, deren Träger sie war, die Kindergeneration muß sich neue schaffen — darin besteht ihre geistige Lebensfunktion, und wenn sie sich darauf beschränken sollte, die überlieferten Ideale einer guten Erziehung lebenslänglich zu behalten, so würde sie sich ihres besten Rechtes begeben.
Auch biologisch ist das Kind gewöhnlich nicht das Ebenbild und die Fortsetzung der Eltern. So wenig wie die kulturgeschichtliche Entwicklung vollzieht sich die biologische in einer geraden Linie. Mutter und Vater sind bloße Durchgangsglieder — das Kind kommt aus einer viel größeren Ferne her; es ist mindestens im gleichen Maße das Kind unbekannter Ahnen als das der beiden Individuen, die sich zu seiner Erzeugung zusammengefunden haben.
Die Vorstellung der Eltern, daß sie selbst in ihren Kindern wieder aufleben werden, gehört zu den Illusionen, durch welche die Natur dem Individual-Bewußtsein die Ansprüche der Gattung annehmbar macht. Wenn schon das Triebleben von solchen trügerischen Vorspiegelungen begleitet ist, sollte doch das Gebiet der Vernunfterkenntnis davon frei bleiben. Mit der Vorstellung, daß das Kind das »Werk« der Eltern und im besonderen der erziehenden Mutter sei, wird eine solche irreführende Illusion auch dort erweckt. Wer die Mutterschaft als Äquivalent der geistigen Produktivität betrachtet, verkennt, daß ein Werk der Ausdruck, die Leistung einer Persönlichkeit ist, das Kind aber nicht. Es gibt allerdings eine beiden Fällen gemeinsame Vorstellung, mit denen das Individuum gleichsam die großen persönlichen Mühen und Opfer, die es um des Werkes willen auf sich nimmt, vor sich selber erklärt. Das ist die Vorstellung, in der Nachwelt fortzuleben, sein eigenes Dasein über eine unverhältnismäßig verlängerte Zeit auszudehnen. Darüber hinaus wird der Vergleich aber nur durch eine mißbräuchliche Interpretation der Erziehungstätigkeit möglich.
Das Verhältnis der Eltern zu ihren Kindern ist im tiefsten Grunde irrational, weil es auf dem Triebleben beruht. Soll es durch Vernunftgründe gerechtfertigt und erklärt werden, so kann es nur aus dem Naturbegriff geschehen, das heißt, aus der Stellung, die der Mensch als Naturwesen einnimmt; der Persönlichkeitsbegriff mit samt dem ganzen Komplex von Empfindungen und Strebungen, die zu ihm gehören, läßt sich dafür nicht gebrauchen. Soweit eine Frau Persönlichkeit ist, wird sie über die Mutterschaft hinaus Ansprüche selbständiger Betätigung an das Leben stellen und der Konflikt, in den sie dadurch mit ihren Aufgaben als Naturwesen gerät, wird nicht aus der Welt geschafft, indem man eine willkürliche Verwechslung der Gebiete vornimmt und der Persönlichkeit überträgt, was doch der Gattung angehört.
Diese Verwechslung wird einem Manne schwerlich passieren, obwohl der primitive Mann, dessen Lebensarbeit in der Erhaltung einer zahlreichen Nachkommenschaft besteht, gewiß stärker unter die Ansprüche der Gattung gebeugt wird als etwa eine reiche Frau, die zwei oder drei Kinder zu erziehen hat. Gesetzt aber, diese Verwechslung sei eine intellektuelle Lizenz zugunsten einer möglichst gesteigerten Ausbildung der Mutterschaftsgefühle — es gibt für die Kinder und ihre persönliche Entwicklung nichts schlechteres, als die Neigung der Mütter, ihre Kinder als ihr Werk zu betrachten und in die Erziehung ihre ganze Lebensaufgabe zu setzen. Namentlich im modernen Großstadtleben, in welchem der Haushalt an die Frau so geringfügige Ansprüche stellt, werden die Übertreibungen der Mutterschaft häufig geradezu eine Gefahr für die heranwachsenden Kinder — um so mehr, als es in den kleinen Familien nicht zugeht wie früher in den großen, wo schon die Anzahl der Kinder eine Verteilung der mütterlichen Kraft auf so viele Individuen bedingte, daß das einzelne nicht zu sehr durch Erziehungsmaßregeln gestört und belastet werden konnte. Das unablässige Behüten, Betreuen, Fürsorgen, wie es die Mütter treiben, deren einzige Beschäftigung in der Erziehung besteht, und die von dem Ehrgeiz beseelt sind, in ihrem Kinde ein vollendetes »Werk« der Nachwelt zu hinterlassen, schafft nur unbrauchbare Menschen, denen erst die Strenge des Lebens außerhalb der häuslich-mütterlichen Sphäre nachhelfen muß, wenn sie die Folgen der genossenen Erziehung abstreifen sollen.
Und dann muß man doch einmal fragen: welcher erwachsene Mensch fühlt sich gerne als das Werk seiner Erziehung? Diese Vorstellung kann für niemanden etwas Beglückendes haben. Sie ist auch keineswegs geeignet, die kindliche Dankbarkeit zu fördern; sie erzeugt im Gegenteil nur allzu leicht in den Kindern die Neigung, für alles, was das Leben ihnen vorenthielt, sogar für ihre persönlichen Mängel, den Eltern eine Verantwortung aufzubürden. Dankbarkeit gegenüber den Eltern kann sich im Grunde nur unter den Voraussetzungen erhalten, daß jeder sein eigenes Werk ist, und daß er den Eltern eine Entschädigung für die ihnen verursachte Müh und Plage schuldet. Denn eigentlich waren sie nur das Mittel, dessen er sich zur Erlangung seiner Existenz bediente — ein Gedanke, den Schopenhauer philosophisch-phantastisch in seiner »Metaphysik der Liebe« ausgeführt hat. Aber ohne alle metaphysischen Hintergründe, rein aus dem Wesen der Gattung, sind die Eltern als Durchgangsglieder aufzufassen, gleichsam als der Boden, auf dem der neue Mensch als ein Werk der Natur wächst. Wäre man wirklich in irgend einem Sinne das Werk seiner Eltern, dann hätte man auf alle Fälle so vielen Grund zur Unzufriedenheit über die Stümperei, die dabei unterlaufen ist, daß das Gefühl der Dankbarkeit gar nicht aufkommen könnte.
Andererseits würde kein besonnener und gewissenhafter Mensch unter dieser Voraussetzung die ungeheure Verantwortung auf sich nehmen, ein neues Wesen in die Welt zu setzen und aufzuziehen. Das Gefühl der Verantwortlichkeit gegenüber der eigenen Nachkommenschaft als eine persönliche Pflicht zu bestärken, mag vielleicht bei kranken, mit hereditären oder erworbenen Defekten belasteten Individuen den Nutzen haben, daß sie auf Nachkommenschaft ganz verzichten. Dennoch erscheint bei der Ausbreitung erblich übertragbarer Schädlichkeiten und Mängel, bei der Unsicherheit über die der Heredität entgegenwirkenden regenerativen Kräfte, in denen die Vitalität einer Rasse besteht, dieser Weg sehr fragwürdig. Statt das Bewußtsein des Kulturmenschen mit einer so tiefen Depression zu beladen, müßte alles soziale Bemühen darauf ausgehen, die Übelstände selbst, welchen die Einzelnen erliegen, zu beseitigen und die Einflüsse zu bekämpfen, die in Gestalt sozialer Verhältnisse die Degeneration fördern.
Und hier mündet auch das Problem der Erziehung. Weit mehr als die umfassendsten Vorkehrungen einer individualisierenden Erziehung wirken die äußeren Lebensverhältnisse bestimmend auf den heranwachsenden Menschen. Aber dieser Einsicht, die sehr
unbequem ist, verschließen sich gerade die Mütter am hartnäckigsten. Sonst müßte doch jede Frau, die es ernst nimmt mit dem Schicksal ihrer Kinder, über die Ohnmacht verzweifeln, mit der sie beispielsweise ihren fünfzehn-sechzehnjährigen Söhnen gegenüber steht, sobald ihnen die Welt in der scheußlichen Gestalt, welche die sexuellen Dinge unter der ausschließlichen Männerherrschaft angenommen haben, entgegentritt. An diesem Beispiel mögen die Frauen, die auf dem Nurmutter-Standpunkt verharren, einsehen lernen, daß sie diesen Standpunkt noch lange nicht zu verlassen brauchen, um die Verpflichtung zu fühlen, an der sozialen Arbeit teilzunehmen.
Sieht man aber die Gleichgültigkeit und den Stumpfsinn, mit welchem Frauen, die ihr ganzes Leben der Erziehung widmen, an den Zuständen vorübergehen, in die ihre männlichen Kinder, kaum erwachsen, hineingestoßen werden, dann fragt man sich wohl, ob der ganze Erziehungschauvinismus nicht bloß dazu dient, dem Frauenleben mehr Wert und Inhalt vorzuspiegeln als ihm auf der gegenwärtigen Stufe der Zivilisation in Wahrheit zukommt.
Allerdings könnte es scheinen, als bewege man sich in einem Zirkel, wenn man die Einflüsse der Erziehung hintansetzt, um alles Gewicht auf die sozialen Lebensumstände zu legen. Neue Einrichtungen können nur durch Menschen geschaffen werden, denen die alten unerträglich sind, weil sie andere Bedürfnisse und Besinnungen haben. Ist es daher notwendig, daß ihnen von Kindesbeinen an diese Bedürfnisse und Gesinnungen eingepflanzt werden? Aber wer irgend etwas Neues einpflanzen soll, muß selbst schon ein neuer Mensch sein. Und damit steht man wieder am Ausgangspunkt: neue Menschen werden geboren, nicht erzogen, sie sind ein Werk der Natur, nicht ihrer Eltern.
Jede Zeit hat ihren besonderen Aberglauben. Die Vorstellungen über die Macht und den Einfluß der Erziehung sind recht eigentlich der Aberglauben einer Zeit, deren Erkenntnis von dem Sinn der Welt in dem Begriffe der Entwicklung gipfelt. Ein ewiges Werden ohne ein erfülltes Sein, eine Zukunft, die sich beständig in eine nichtige Gegenwart verwandelt, kann aber das menschliche Bedürfnis nach einem Sinn und Zweck des Lebens nicht wirklich befriedigen. Wenn das Leben sich als ein unendlicher Wechsel der Generationen abspielt, bei dem der einzelne nur Durchgangsglied ohne eigenen Inhalt ist, wird auch die Aussicht auf eine unbegrenzte Entwicklung gegenstandslos. Das Sein kann nicht weniger bedeuten als das Werden. Für das männliche Leben gilt dieser Grundsatz — sollte er für das weibliche nicht zu Recht bestehen? Seine Persönlichkeit ganz in die Mütterlichkeit, ganz in die Erziehung zu setzen, wie man es auch jenen Frauen vorschreiben möchte, die noch eines anderen Einsatzes fähig sind, heißt das Gewisse dem Möglichen opfern, das Sein dem Werden. Mit einer solchen Ausdehnung der mütterlichen Liebe aber bringt man — nach dem Worte der Malwida von Meysenbug — »das Opfer seiner selbst, das heißt das, welches man nicht bringen darf«*. (*aus: Mutterschaft. Ein Sammelband für die Probleme des Weibes als Mutter, Hg. von Adele Schreiber, München, Albert Langen o.J.)