Ohne Kenntnis der Urspünge kann die Geschichtswissenschaft
zu keinem Ergebnis kommen.
J.J. Bachofen
Die Ursprünge
»Als oben die Himmel noch nicht gebildet waren und unten die Erde noch keinen Namen hatte, brachte Tiamat beide hervor (...) Tiamat, die Mutter der Götter, die Schöpferin des Alls.« So lautet der erste festgehaltene Bericht der Schöpfung des Universums und des Menschen.[1]
In allen Mythen auf der ganzen Welt, vom Anfang der Sonne jenseits der fernsten Küsten Asiens bis zu ihrem Untergang westlich der entferntesten Inseln des weiten Pazifik, ist die erste Schöpferin des Alls eine Göttin. Ihre Namen sind so zahlreich und so verschieden wie die Völker, die sie erschuf und die sie anbeteten als den ersten Ursprung. In späteren Mythen wird sie durch einen Gott ersetzt, manchmal absichtlich wie im Falle 'Anats und Jehovas, manchmal durch den willkürlichen Wechsel des Geschlechts, aber nicht des Namens, z.B. bei Ea in Syrien, Siva in Indien und Atea in Polynesien, und manchmal durch eine schrittweise Umwandlung vom Weiblichen zum Männlichen bei Metis Phanes.
In der frühesten griechischen Mythologie ist das Schöpfungsprinzip Metis - ein weibliches Wesen. Sie ist die Schöpferin des Alls, die, wie die phönizisch-karthagische Tanit, wie Tiamat, wie Gaia und wie 'Anat, die Welt ohne einen männlichen Partner erschafft. Ursprünglich war sie ganz und gar weiblich. Zur Zeit des Orpheus war sie zweigeschlechtlich geworden, eine Hermaphrodite, Metis-Phanes, Schöpferin und Erzeuger in einem Körper. Ihre endgültige Umwandlung in den rein männlichen Phanes zur Zeit der Klassik beleuchtet die alte Auffassung von der Entwicklung der Menschheit; denn die ursprüngliche Weiblichkeit aller menschlicher Wesen spiegelt sich wider im Glauben der Alten und wird auch von Piaton in seinem »Gastmahl« ausgedrückt, daß nämlich die menschliche Rasse einmal eingeschlechtlich war - weiblich und männlich verbunden in einem sich selbst fortzeugenden weiblichen Körper.[2] In der orphischen Religion stammt, im Gegensatz zum Irrtum des Hl. Paulus, »der Mann von der Frau« und nicht »die Frau vom Mann« ab.[3] Deshalb ist die moderne Vorstellung, die Frau sei für den Mann geschaffen worden, sehr jungen Ursprungs. Doch vom Hl. Paulus bis Rousseau, der im Emile sagt, der Körper der Frau sei ausdrücklich dazu gemacht, den Mann zu erfreuen, wurde diese Falschmeldung häufig wiederholt. (Im neunzehnten Jahrhundert erzählte ein bekannter anglikanischer Geistlicher seiner Kongregation, die Linien der Beutelmelone seien ausdrücklich dazu geschaffen, damit sie der Mensch bequemer öffnen könne!)
Worauf aber gründet sich die Annahme, der Körper der Frau sei zu des Mannes Annehmlichkeit gemacht worden? Wer sagt denn, daß nicht gerade das Gegenteil die Wahrheit ist, und des Mannes Körper nur deshalb geschaffen wurde, die Frau zu erfreuen? Auf Grund biologischer Erkenntnis scheint die letztere Annahme logischer als die gegenteilige und deren Bekräftigung durch solche Erzfrauengegner wie Paulus und Rousseau.
Die weiblichen Fortpflanzungsorgane sind viel älter als die männlichen und viel höher entwickelt. Selbst bei den niedrigsten Säugetieren sind die Eierstöcke, die Gebärmutter, die Vagina usw. ähnlich denen der Frau, und das zeigt, daß die weiblichen Fortpflanzungsorgane die ersten sind, die von der Natur vervollkommnet wurden. Auf der anderen Seite sind die männlichen Fortpflanzungsorgane, die Hoden und der Penis, unter den Arten und im Verlauf der Evolution so verschieden wie die Gestalt des Fußes vom Huf bis zur Pfote. Offensichtlich entwickelte sich also der Penis, um der Vagina zu entsprechen, und nicht die Vagina, um sich dem Penis anzupassen.
Den Beweis dafür, daß der Penis eine viel spätere Entwicklung als die weibliche Vulva ist, findet man in der Erkenntnis, daß der Mann selbst eine späte Mutation eines ursprünglich weiblichen Geschöpfes war. Denn der Mann ist nur ein unvollkommenes Weib. Genetiker und Physiologen sagen uns, daß das Y-Chromosom, das das männliche Geschlecht bewirkt, ein verformtes weibliches X-Chromosom ist. Alle Frauen haben zwei X-Chromosome, während der Mann ein X-Chromosom von seiner Mutter und ein Y-Chromosom von seinem Vater erhalten hat. Es erscheint sehr logisch, daß dieses kleine und verdrehte Y-Chromosom ein genetischer Irrtum ist, ein Unfall der Natur, und daß es ursprünglich nur ein Geschlecht gegeben hat, nämlich das weibliche.
Ungeschlechtliche Fortpflanzung durch Frauen, die Parthenogenese, ist nicht nur möglich, sondern tritt hin und wieder in der modernen Welt auf, vielleicht als atavistisches Überbleibsel der vormals einzigen Fortpflanzungsmöglichkeit in einer rein weiblichen Welt. Seit der Entdeckung des Beweises für die Parthenogenese durch Jacques Loeb im Jahre 1911 »ist bekannt, daß das männliche Geschlecht zur Fortpflanzung nicht nötig ist, und daß ein einziges physikochemisches Agens im weiblichen Körper genügt, sie hervorzurufen«.[4]
Susan Michelmore beschreibt einen Vogel, bei dem der weibliche einen Eierstock und einen Hoden besitzt, wobei jedes Organ unter verschiedenen Umständen aktiv werden kann«.[5] Diese Erscheinung weist auf die ursprüngliche Beschaffenheit des Menschen hin, nämlich männlich und weiblich in einem weiblichen Körper. Als sich eine Hälfte dieses Wesens löste, traten die beiden Geschlechter in Erscheinung. Die Katastrophe, die die männliche Mutation und das Abbrechen oder Verkrüppeln des X-Chromosoms hervorrief, so daß das verformte Y-Chromosom entstand, ist vielleicht in Piatons Menschheitserinnerung von der Trennung der Geschlechter dargestellt.
Die ersten Männer waren Mutanten, Mißgeburten, hervorgerufen durch einen Genschaden, der vielleicht durch eine Krankheit oder ein Strahlenbombardement von der Sonne verursacht wurde. Die Männlichkeit bleibt ein rezessives Erbmerkmal wie Farbenblindheit oder Bluterkrankheit, die geschlechtsgebunden sind. Der Verdacht, daß das männliche Geschlecht abnormal und das Y-Chromosom eine zufällige Mutation ist, die nichts Gutes für die Menschheit bedeutet, wird nachdrücklich durch die kürzliche Entdeckung von Genetikern unterstützt, daß kongenitale Mörder und Verbrecher nicht nur ein, sondern zwei Y-Chromosome besitzen und damit eine doppelte Menge sozusagen unerwünschter Männlichkeit. Wenn das Y-Chromosom eine Degeneration und Deformation des weiblichen X-Chromosoms ist, dann stellt das männliche Geschlecht eine Degeneration und Deformation des weiblichen dar.
Es ist nicht nur so, daß sich das Y-Chromosom negativ auf die Erbmasse von Männern auswirkt. In Untersuchungen von Curt Stern und Arthur Jensen stellte sich auch heraus, daß das zusätzliche X-Chromosom bei Frauen nicht nur eine geringere Häufigkeit von Geburtsfehlern und angeborenen Krankheiten bewirkt, eine Tatsache, die schon lange bekannt ist, sondern auch die im Vergleich zum Mann überragende physiologische Verfassung und Intelligenz der Frauen.
»Die Frauen sind die Art an sich (...) das starke ursprüngliche Geschlecht und der Mann ist der nachträgliche biologische Einfall«, schrieb ein Wissenschaftler des 19. Jahrhunderts, ein Vorläufer von Ashley Montagu.[6]
In prähistorischen Zeiten »war der Mann ein verachtetes Geschlecht«, schrieb Robert Graves mit typischer gravesischer Voraussicht 1955.[7] Denn spätere archäologische Untersuchungen haben das Ausmaß der »Unterwürfigkeit des Mannes gegenüber den Frauen« enthüllt [8] und auch die zweitrangige Rolle, die Männer in einer der gegenwärtigen historischen Zeit unmittelbar vorausgehenden Periode gespielt haben.
»Der Mann war das schwächere Geschlecht (...) Die Männer konnten mit dem Jagen und Fischen, dem Bewachen und Betreuen der Herden und dem Sammeln von bestimmten Früchten betraut werden, solange sie nicht das matriarchale Gesetz übertraten« oder sich in die Regierungsangelegenheiten einmischten.[9] »Die Frau war das herrschende Geschlecht und der Mann ihr angsterfülltes Opfer.«[10]
»Die Männer besitzen eine Stellung, die nur die natürliche Überlegenheit der Frauen erhöhen konnte (...). Die Frau überragt den Mann, und die körperliche Schönheit, die die Frauen matriarchaler Gesellschaften auszeichnet, spiegelt das Ansehen ihrer Stellung wider.«, schreibt Bachofen. »Schon die Namen der Männer zeugen von der Verachtung, hervorgerufen durch ihre plündernde Lebensweise. Die Schmach, die in all ihren Namen liegt, kennzeichnet den Gegensatz zwischen der herrschenden Frau und dem dienenden Mann.«[11]
Typische von Bachofen genannte Namen, die die Männer damals erhielten, sind: Sintian, was Dieb, Ozolae, was schlechter Geruch, Psoloeis, was schmutzig bedeutet. Was für Namen! Sintian, Ozolae, Psoloeis - Dieb, Stinker, Schmutz! Die Hinz und Kunz von damals.
»Die Männer waren nur die Diener der Frauen«, schreibt Charles Seltman von den prämykenischen Griechen.[12] Und dasselbe galt für die ganze alte Welt. Der Mythos von Herkules und Omphale kennzeichnet das Verhältnis zwischen Mann und Frau der Bronzezeit. Omphale, die große Königin von Lydien, wählt Herkules, den wilden Muskelmann, zu ihrem Sklaven und Sexobjekt. Er wird von ihr als Sklave gehalten, nicht, um ihr als Leibwächter oder Krieger, sondern nur, um als Liebhaber zu dienen. Zwischen den Liebesorgien schickt sie ihn auf gefährliche und entwürdigende Fahrten - zu den »Arbeiten des Herkules«, von denen einige die Tätigkeit kennzeichnen, die den Männern von den Frauen des Altertums abverlangt wurde: entehrend und schmutzig, wie z.B. das Reinigen des Augiasstalles, oder wenn Stück für Stück die Exkremente der riesigen stymphalischen Vögel aufgelesen werden mußten. All ihren Befehlen, diesen erniedrigenden genauso wie jenen nur launischen, wie z.B. das Stehlen des Gürtels der Amazonenkönigin, gehorchte Herkules ohne Murren.
Mit typisch männlicher Schlußfolgerung, wie Graves schreibt, haben Männer diesen Mythos als schreckliches Beispiel der Macht ausgelegt, die ein zügelloses, böses Weib selbst auf den edelsten der Männer ausüben kann. Aber das ist ganz und gar nicht dessen Bedeutung. Tatsächlich enthält dieser Mythos wie die meisten einen geschichtlich wahren Kern. Ohne Zweifel gab es eine Königin von Lydien mit Namen Omphale, und es gab sicher in frühen Zeiten viele Männer, die Herkules oder Herakles hießen. (Der Name selbst bedeutet »Sohn einer berühmten Ahnfrau«, wobei Hera,[13] der Begriff des Heroischen, ursprünglich weiblich war.) Und ebenfalls ohne Zweifel war einer von diesen ein Sklave, der der Königin Omphale gehörte, deren auf ihren Befehl hin ausgeführte Großtaten von späteren patriarchalen Schriftstellern in die wunderbaren Heldentaten des Herkules umgewandelt wurden.
»Herakles wurde (für drei silberne Talente) von Omphale, der Königin von Lydien gekauft, einer Frau mit einem guten Auge für einen Handel; und er diente ihr treu«, schreibt Graves, indem er Appollodorus zitiert.[14]
Die fremdartigen Einführungsriten und sexuellen Gebräuche unter primitiven Völkern, die die europäischen Forscher des sechzehnten bis neunzehnten Jahrhunderts so verwunderten, drücken die weltweite Überlieferung der ursprünglichen und natürlichen Unterlegenheit der Männer aus. Bei allen männlichen Einführungsbräuchen in die Geschlechtsreife, in der Vergangenheit wie in der Gegenwart, bestehen die Riten ausschließlich darin, daß die Männer vorgeben, Frauen zu sein, »als ob Männer nur Männer werden können, indem (...) sie die Funktionen übernehmen, die die Frauen von Natur aus erfüllen«, wie Margaret Mead schreibt.[15]
Diese Riten, einschließlich der Verstümmelung des Penis, der Kastration, der nachgeahmten Geburt, der Menstruation und des Brauches, das männliche Geschlechtsteil aufzuschneiden, damit es der weiblichen Vulva ähnele, sind nahezu universal und gehen zurück bis in die fernste Vorzeit. Daß das Aufschlitzen des Penis ein offener Versuch ist, den Frauen nachzueifern, wird durch die Tatsache bestätigt, daß sich in Australien der Name des aufgeschlitzten Penis von dem Wort Vulva ableitet, und daß jene, die sich der Operation unterzogen haben, als »Besitzer einer Vulva« angesehen werden.[16]
In den Journals of Expedition and Discovery into Central America beschreibt ein Missionar die »mica« (Glimmer), das Aufschlitzen des Penis, mit folgenden Worten: ,,Man findet die Harnröhre von der Spitze des Penis bis zum Hodensack gespalten mit einem Stück geschärften Quarzes. Ich konnte den Grund für diese seltsame Verstümmelung nicht erfahren. Wenn man sie fragt, antworten sie: ,So machten es unsere Vorfahren und deshalb müssen wir dasselbe tun.«[17] In derselben Zeitschrift beschreibt ein Herr Gason die gleiche Operation bei einem Stamm in Australien: »Sie wird ausgeführt, indem der Penis des jungen Mannes auf ein Stück Baumrinde gelegt wird, woraufhin das Glied mit einem Stück Feuerstein gespalten und dann in die Wunde ein anderes Stück Rinde gelegt wird, damit sie sich nicht wieder schließt.«[18]
Ein späterer Australienreisender berichtet, daß »mit einem Stück geschärften Feuersteins ein Einschnitt von der Eichel bis zum Hodensack gemacht und dann ein Rindenstück hinzugefügt wird, um zu verhindern, daß sich der Schnitt wieder schließt. Männer, die sich einer solchen Operation unterzogen haben, müssen im Sitzen urinieren. Indem sie den Penis heben, lassen sie Wasser wie unsere Frauen«.[19] Die Operation wirkt sich offensichtlich nicht auf die Potenz oder Fruchtbarkeit des Mannes aus, denn »bei der Erektion wird das operierte Glied sehr breit und flach. Das haben viele Missionare gesehen, die eingeborene Frauen und Männer überredet haben, sich vor ihnen zu begatten«.[20] Könnte das ein Grund sein für die ursprüngliche Operation in der fernen Vergangenheit, daß nämlich für Frauen der Geschlechtsverkehr mit solch einem verformten Glied anregender war, genauso wie später Moslemfrauen den Coitus mit unbeschnittenen Christen befriedigender fanden als den mit ihren eigenen beschnittenen Männern?[21]
Theodor Reik berichtet, daß die Einführung von Jungen in die Geschlechtsreife ihre Wiedergeburt als Kinder des Vaters und nicht der Mutter kennzeichnen sollte. Die Männer ahmen die Frauen nach und »die ganze Einführungszeremonie vermittelt den Eindruck, daß der Vater wirklich das Kind gebiert (...). Sie tragen die Jungen wie die Frauen Säuglinge tragen, und sie vollführen sogar dieselben Reinigungsriten wie die Frauen nach der Geburt«.[22] Die männliche Mutter zieht einen Rock an und kauert auf dem Gebärstuhl. Während er grunzt und stöhnt und in nachgeahmten Wehen Grimassen schneidet, kriecht der junge Mann, nackt und von roter Farbe glänzend, unter den Rock und wird plötzlich zwischen den Beinen des älteren Mannes ausgestoßen, wobei jeder Freudenrufe ausstößt, d.h. jeder mit Ausnahme der »Mutter«, die von ihrer Anstrengung prompt ohnmächtig wird. Die Griechen hatten einen ähnlichen Brauch, denn in den »Bacchantinnen« läßt Euripides den Gott Zeus zu dem Kind Dionys sagen: »Durchschreite nur des Lebens geheimes Tor, mutterloses Mysterium! Siehe, ich breche meinen eigenen Körper auf um deinetwillen (...). Komm, betritt diesen meinen männlichen Schoß.«[23]
Das Männerkindbett, der Brauch, bei dem sich der Vater während der Niederkunft seiner Frau in sein Bett legt und vom Medizinmann betreut und versorgt wird, ist eine Abwandlung des älteren Ritus, bei dem der Vater die tatsächlichen Vorgänge der Geburt nach vollzieht. »Ganze Gesellschaften«, schreibt Margaret Mead, »haben ihre Zeremonien auf dem Neid auf die weibliche Rolle und dem Wunsch, sie nachzuahmen, aufgebaut.«[24] Manche Kulturen gehen so weit, künstliche männliche Menstruation einzuführen, und selbst in der Menopause finden wir den Versuch, einen ähnlichen männlichen Vorgang auszudrücken. Margaret Mead fährt fort: »Für den Menschen der westlichen Welt, der in einer Gesellschaft aufgewachsen ist, die die Männer überhöht (...) und die Rolle der Frauen abgewertet hat, scheint das alles weit hergeholt.«[25]) Doch weit hergeholt oder nicht, es war und ist immer der unbewußte Wunsch des Mannes gewesen, dasselbe vollbringen zu können wie die Frauen. Dieser ursprüngliche Geschlechtsneid ist die Grundlage der späteren Zwangsvorstellung des Mannes gewesen, »die Rolle der Frauen abzuwerten« und alle weiblichen Dinge zu verkleinern, besonders die weiblichen Funktionen, denen er so sehr nachzueifern wünscht.
Daß diese rituelle Nachahmung der Frauen durch Männer sehr alt ist, darauf weist die oben erwähnte Bemerkung des Eingeborenen hin: »So haben es unsere Vorfahren gemacht (...).« Es ist möglich, daß seine Vorfahren diesen Brauch, ebenso wie vieles andere, von den alten Seefahrern übernommen haben. Doch ist es unwahrscheinlich, daß ein Volk, das so fortentwickelt war wie offensichtlich die alten Seefahrer, solche Bräuche in der Form eingesetzt haben könnte, wie sie später praktiziert wurden. Sie müssen eine Degeneration von etwas vollkommen Verschiedenem sein, etwas, das die Wilden falsch ausgelegt haben. Könnte es sein, daß die »Eingeborenen« nicht eine männliche Nachahmung der Frauen darstellten, sondern die tatsächlichen, natürlichen Funktionen der alten Seefahrer selbst, der Führerinnen der sie besuchenden großen Flotten, der Frauen? Das weibliche Geschlecht der alten Seefahrer, besonders ihrer Kapitäne und Admirale, würde eine Reihe anderer sehr sonderbarer Bräuche und Legenden erklären, die man auf der ganzen Welt findet. Man denke daran, daß es im Mythos die Große Göttin war, die das Schiff erfand, und daß in allen Mythen die Göttin ein Synonym für Gynaikokratie ist: Wo die Göttin herrschte, regierte die Frau.
Wenn die Führer der alten Seefahrer tatsächlich Frauen waren, so würden nicht nur die Einführungsriten der Primitiven erklärt, sondern auch der weltumspannende Glaube, daß die Frau die Kulturbringerin und die Erzieherin des Menschen sei.
Die Frau als Kulturbringerin
In der Erinnerung der Alten stand im Gegensatz zum Kleinmut des Mannes der Frühzeit die erhöhte Stellung, ja sogar Göttlichkeit der Frauen. In der ganzen alten Welt hielt sich die Überlieferung, daß die Frauen die Geheimnisse der Natur besaßen und die einzigen Kanäle waren, durch die die Weisheit und Erkenntnis der Jahrhunderte floß. Dieser Glaube spiegelt sich wider in der Bevorzugung der weiblichen Orakel, der Prophetinnen, Priesterinnen, Wahrsagerinnen, Orakelpriesterinnen, Mänaden, Erinyen, Schamaninnen usw.
»Die Frauen waren die Urheberinnen und Bewahrerinnen aller Kultur (...) und die Quelle der ersten Zivilisation.« [26] Tatsächlich zogen die Frauen den um sich schlagenden und schreienden Mann aus dem Zustand der Wildheit in die Neusteinzeit, wie es Anthropologie und Archäologie erwiesen und Mythos und Überlieferung immer schon behauptet haben.
»Die Frauen organisierten die Heimgruppe, die das Getreide drosch, das Korn zerstampfte, die Wolle kämmte, die Häute trocknete usw. Die Frauen erfanden die Töpferei und das Weben, sie entdeckten, wie Nahrungsmittel durch kühle Lagerung oder Kochen haltbar gemacht werden konnten. Die Frauen erfanden tatsächlich die Industrialisierung«, schreibt Buckminster Füller.[27]
Diese Hausarbeiten zur Ernährung und Pflege, die jetzt von den Männern als Frauenarbeit verachtet werden, waren in der Tat die Arbeit der Frauen, die erste wichtige Arbeit der menschlichen Gesellschaft. »Die Männer konnten mit Jagen und Fischen betraut werden«, sagt Graves,[28] solange sie sich nicht in die wichtige Arbeit der Gemeinschaft einmischten. Die Männer ließen sich diese Herabsetzung gefallen, und zwar nicht aus männlichem Stolz, sondern weil sie glaubten, daß die Frauen eher dazu fähig waren, diese Aufgaben zu erfüllen, die sie erfunden und begonnen hatten.
Die Errungenschaften, die die Neusteinzeit von der Altsteinzeit unterscheiden, sind »das Herstellen von Töpfen, das Weben von Bekleidungsstücken, das Pflanzen und Ernten von Getreide und die Zähmung von Tieren«.[29] »Und die Frau webte und sie erfand die Herstellung irdener Töpfe. Mehr noch, ihr ist das Anpflanzen und Ernten von Getreide zuzuschreiben, denn während ihr Herr und Meister sich vergnügte, sammelte sie Früchte und Nüsse und eßbare Samen, und sie bemerkte bald, daß Samen, die man auf den Misthaufen warf, neue und größere Pflanzen hervorbrachten.«***399.3.3o*** So entdeckte sie den Ackerbau und damit die Kultur, denn »aus dem Ackerbau entwickelte sich eine geordnete Gemeinschaft und ein Mehr an Nahrung und erlaubte den Wenigen (...) nachzudenken, zu pflanzen und eine Kultur aufzubauen.« [31]
»Sie allein schuf in Wirklichkeit die Neusteinzeit«, schreibt MacGowan, »denn sie erfand die Mühlsteine, um das Korn zu mahlen, während ihr Mann immer noch ein Mensch der Altsteinzeit war.«[32] »Vielleicht bemerkte sie, wie sich Mörser und Stößel und Mühlstein abnutzten, während sie ihre Körner zu Mehl zwischen ihnen mahlte, und ihr kam der Gedanke, (...) daß es möglich war, Steine zu Äxten und anderem Werkzeug zu schleifen«; so erfand sie das Handwerk.[33]
Berichtigen wir unsere alte, abgedroschene Vorstellung, die von den Lehrbüchern in unsere Gehirne eingepflanzt wurde, daß der zottelhaarige Höhlenmensch entdeckt habe, daß das Einsalzen von Fischen und das Kochen der Nahrung diese vor dem Verderben bewahrt, daß Ton, den man zu Töpfen formte und auf dem Herd brannte, Flüssigkeiten hielt, daß aus miteinander verwobenem Schilfrohr Körbe, Dächer, Bekleidung und Behälter entstanden, daß Steine, die man zerbrach und zu einer Gestalt schliff, Werkzeuge ergaben. Berichtigen wir die alte Vorstellung, daß es ein zottiger Mann war, der zuerst die Nützlichkeit des Feuers erkannte und darüber nachdachte, es zu erhalten, zu nützen und zu entfachen; daß ein zottelhaariger Mann erkannte, daß mit einem unter seine Last gelegtem Klotz, diese fortgerollt werden konnte, und daß er so das Rad erfand; daß ein haariger Mann entdeckte, daß ein schwimmender Klotz sein Gewicht tragen und ihn über den Fluß bringen konnte, woraus dann die Boote entstanden. Vor allem müssen wir uns von dem widersprüchlichen Bild lösen, daß ein behaarter Höhlenmensch seine Töpfereien und Körbe mit zierlichen Darstellungen ausgestattet und die Wände seines Höhlenhauses mit hervorragenden Nachbildungen der Natur bemalt hat.
Denn es war nicht der Mann, sondern die Frau, die all dies entdeckte und diese Hilfsmittel erfand, die Frau, die ständig darum kämpfte, das Beste aus den Dingen zu machen, für Nahrung zu sorgen und für einen Schutz ihrer Kinder, um ihr »Heim« behaglich für sie zu machen, um ihr Leben zu erleichtern und zu verschönern und um aus der Welt einen angenehmeren und sichereren Platz zu machen, auf dem sie heranwachsen konnten. Während der Mann seinem Steckenpferd beim Jagen und Fischen nachging und seine Treffen in den Männerhäusern abhielt, wurde die wirkliche Arbeit der Welt von der Frau begonnen und fortgeführt. »Die Frau erfand die Arbeit, denn der primitive Mann war nur ein Müßiggänger«, schreibt MacGowan.[34]
»Es war die Frau als Sammlerin und nicht der Mann als Jäger, die die primitive Familie ernährte«, schreibt Irvin DeVore. »Wie auch heute noch, so wurde die Tätigkeit des Mannes allgemein beachtet, und sie machte auch den stärksten Eindruck nach außen hin, aber es war die stille Arbeit der Frau, die die Dinge am laufen hielt (...). Die Frau war die tatsächlich Versorgerin des Haushaltes (...).«[35]
Sogar der gelehrte Jesuit Joseph Götz bestätigt die alte Überlegenheit der Frau: »Alles weist darauf hin, daß die Frau damit begonnen hat, Pflanzen für die Ernährung anzubauen (...). Hier hatte der persönliche Besitz seinen Ursprung (...). Die Frau besitzt die Felder und Behausungen (...). Heiraten binden an den Ort der Frau. Der Mann lebt mit seiner Frau in ihrem Dorf oder er bleibt bei seiner Mutter. Wirtschaft und Gesetz drehen sich um die Frau. Das derart auf sie ausgerichtete Universum ist die pflanzliche Erscheinungsform der Natur, mit der sie sich durch technische Beherrschung verband«, genauso wie mit den meteorologischen und astronomischen Erscheinungen, die das Pflanzenwachstum und das Wohlbefinden der Gemeinschaft beeinflussen.[36]
»Als die Frau mit ihrem Fleiß und ihrem Erfindungsgeist schließlich den Mann befähigt hatte, in Sicherheit in einer von der Frau beherrschten Kultur zu leben«, sagt Briffault, »machte er es sich zur Gewohnheit, ihre Ideen zu übernehmen und handelsfähig zu machen. Das Land selbst jedoch blieb weiterhin im Besitz der Frauen, und in Europa mußte der Mann sogar noch in verhältnismäßig später geschichtlicher Zeit als Bittsteller zur Frau kommen, durch die allein er Landbesitz erwerben konnte.«[37]
Die ältesten Wörter in den Sprachen aller indo-europäischen Völker, Wörter, die zurückgehen in das gynaikokratische Zeitalter vor der Spaltung in Völker, sind solche, die sich auf Frauenarbeit beziehen: die Wörter für Spinnen und Nähen, für das Zerreiben und Mahlen von Getreide, für das Getreide selbst, für den Ackerbau, das Feld und den Pflug, für das Zähmen und Abrichten von Tieren, für den Gebrauch des Feuers beim Kochen und für das Salzen beim Bereiten von Nahrungsmitteln, für die Kunst, mit Ziffern zu zählen, für die Achse, den Karren, das Schiff und das Erz, für das Errichten von Wänden und Häusern, für das Bauen von Booten und das Tragen von Kleidern als Zierde.[38]
Darüber hinaus sprechen Mythos und Überlieferung den Frauen alle Entdeckungen zu, die diese Wörter bezeichnen. Und wir wiederholen: Die Mythologie ist die Erinnerung an wirkliche Vorgänge, die das Menschengeschlecht erlebt hat.
»Wer wird weiterhin fragen, warum all die Qualitäten, die des Mannes Leben verschönern, mit Namen oder Begriffen weiblichen Geschlechts bezeichnet werden?«[39] Warum sind Gerechtigkeit, Frieden, Intelligenz, Weisheit, Aufrichtigkeit, Opferbereitschaft, Freiheit, Gnade, Verstand, Adel, Eintracht, Milde, Güte, Edelmut, Freundlichkeit, Würde, Geist, Seele, Unabhängigkeit, alle, alle weibliche Wörter? »Diese Wahl ist keine freie Erfindung oder ein Zufall, sondern ein Ausdruck historischer Wahrheit (...). Die Übereinstimmung zwischen historischen Tatsachen und sprachlichen Erscheinungen ist offensichtlich.«[40]
Der Logos
»Sowohl im Ackerbau, der von den Frauen erfunden wurde, als auch beim Bau von Mauern, die die Alten mit der matriarchalen Ära identifizierten, erreichten die Frauen eine Vollkommenheit, die spätere Generationen in Erstaunen versetzte.«[41]
»Von den Ufern des Nils bis an die Küsten des Schwarzen Meeres, von Zentralasien bis nach Italien sind Namen und Daten von Frauen verwoben mit der Gründungsgeschichte von Städten, die berühmt wurden.«[42]
Die weltweite Überlieferung, daß Frauen zuerst Städte und Mauern bauten, ist nicht nur Hinweis auf die Tatsache, daß Frauen die ersten Kulturbringerinnen waren, sondern auch darauf, daß die rätselhaften Megalithbauwerke, deren technisches Geheimnis schon in den frühen patriarchalen Zeiten verlorenging, das Werk der matriarchalen Zeit waren.
Die griechische Legende von Amphion, dessen Leier Töne erzeugte, die riesige Steine sich zu Mauern auftürmen ließen,[43] drückte den allgemeinen Glauben unter den primitiven Völkern aus, daß diese gewaltigen Steinbauten, von Gizeh bis nach Avebury, von Indien bis nach Yucatan und Peru mit einer Kraft erbaut wurden, die der Menschheit längst verlorengegangen ist.
Den Spaniern des 16. Jahrhunderts wurde von den Inkas erzählt, daß die alten megalithischen Ruinen von Peru und Kolumbien von einem fernen Volk errichtet worden seien, das, wenn es nur einen Ton anschlug, die gewaltigen Steine sich erheben und an ihren Platz gleiten ließ. Und Herodot berichtet, daß unter den Lydiern die Überlieferung bis in seine Zeit hinein erhalten blieb, die Megalithbauten von Lydien seien von den Frauen der alten Zeit errichtet worden. Selbst die beachtenswerten Bauwerke des historischen Babylon, die zu den Sieben Weltwundern zählten, wurden von den Alten dem Genius zweier Königinnen, Semiramis und Nitokris, zugeschrieben.[44]
Das Alte Testament schreibt die Erfindung von Kulturkünsten Tubal-Kain zu. Doch wer ist das? Kain selbst ist, wie wir in einem späteren Kapitel sehen werden, nur ein Symbol für die alten matriarchalen Stadtstaaten, die von den Hirtennomaden, den Abels, vernichtet wurden.[45] Tubal-Kain gehört in eine spätere Zeit, doch merkwürdigerweise wird auf ihn die Erfindung von kulturellen Kunstfertigkeiten zurückgeführt, die zeitlich noch vor Kain liegen. Die Lösung des Geheimnisses liegt im Namen selbst, in Tubal.
Im Interpreter's Dictionary of the Bible steht unter diesem Wort, daß Tubal (heb. Tub-Hal) »einer, der hervorbringt« bedeutet - ein weibliches Wesen - und so erhält der Name Tubal-Kain eine doppelte weibliche Bedeutung.[46] Das Buch »The Mythology of All Races« sagt uns, daß Tibir das ursprüngliche Wort für Tubal war und in demselben Band finden wir, daß Tibir oder Tibirra ein anderer Name der sumerischen Großen Göttin Tiamat war.[47]
Das sumerische Epos von Tagtug (Tibir) und Dilmun spricht von einer frühen Zeit, »als Tibir noch nichts gegründet hatte«, ein Hinweis, der den Glauben bestärkt, daß Frauen die ersten Gründerinnen waren, das heißt von Mauern und Städten, und somit die ersten Gestalterinnen kultivierter Gemeinschaften der eigentlichen Tubal-Kains.
Ebenso wie die Geschichte von Noah und der Arche dem sumerischen Gilgamesch-Epos und die Schöpfungsgeschichte dem babylonischen Epos Enuma Elisch entlehnt ist, so stammt auch der ganze Kain-Tubal-Kain-Zyklus in der Genesis von dem Epos Tagtug und Dilmun - und Tagtug oder Tibir ist Tubal-Kain.[48]
Hier haben wir ein, wenn auch etwas dünnes Bindeglied zwischen Sumer und der verlorenen Kultur einerseits und den Kelten andererseits. Denn Herodot schreibt, daß die Große Göttin der Kelten in seiner Zeit als Tahiti [49] bekannt war, was eine keltische Veränderung des älteren Namens Tibirra bedeuten könnte, wie Tubal eine hebräische Abwandlung von Tibir.
Athene, einer späteren Verkörperung der Großen Göttin, wurde von den Griechen die Erfindung »der Flöte, der Trompete, der irdenen Töpferwaren, des Pfluges und Rechens, des Ochsen- und Pferdejoches, des Wagens, des Rades, des Schiffes, der Rechenkunst, des Feuers, Webens und Spinnens zugeschrieben.«[50] Mit anderen Worten, die Frau erfand, entdeckte oder übte zuerst Musik, Keramik und Ackerbau aus, zähmte die Tiere, übte als erste Erd- und Wasserbeförderung, Handel, Mathematik, Hauswirtschaft und Industrie aus. - Was Weiteres, irgendwie Nützliches wurde in den Jahrhunderten seit dem Ende der matriarchalen Zeit noch erfunden?
Die göttliche Frau
»Die Frau wurde schon auf Grund ihrer Natur als Teilhaberin an der Göttlichkeit betrachtet.«[51]
»Die Männer hielten sie für göttlich.«[52]
»Frauen wurden als heilig angesehen.«[53]
»Die Frauen gaben durch ihre Intuition den ersten gewaltigen Anstoß für die Kultur des Menschengeschlechtes.«[54]
Doch was ist diese Intuition, die den Frauen anstelle des Verstandes zugeschrieben wird? Lassen wir den unvergleichlichen H.L. Mencken diese Frage beantworten:
All diese Intuition ist nicht mehr und nicht weniger als Intelligenz, eine Intelligenz, die so scharf ist, daß sie zur versteckten Wahrheit durch die stärksten Hüllen falschen Anscheins und falschen Benehmens dringen kann (...). Frauen entscheiden die größeren Lebensfragen genau und schnell, nicht aus Intuition, sondern einfach und allein, weil sie Verstand haben. Sie sehen auf einen Blick, was die Männer nicht einmal mit Taschenlampen und Ferngläsern erkennen können; sie haben den Kern eines Problems schon erfaßt, bevor die Männer aufgehört haben, sich mit reinen Äußerlichkeiten abzugeben (...). Der Mann ist sehr, sehr selten, der genauso intelligent, genauso beständig in seinem Urteil ist und so wenig vom Schein beeindruckt wird wie die durchschnittliche Frau.[55]
Diese Überlegenheit des Intellekts übte einen starken Einfluß auf den primitiven Mann aus. Die Männer konnten nicht anders als glauben, daß die Frau dem Göttlichen näher war als der Mann und daß sie ein besseres Verständnis der Naturgesetze besaß, von Gesetzen, die seine schwächere Auffassungsgabe verblüfften und ihn von der Frau als Vermittlerin zwischen den Menschen und zwischen Mensch und Gottheit abhängig machte.
»Die Frau übt Gerechtigkeit unbewußt, aber vollkommen sicher. Sie ist von Natur aus gerecht und weise. Deshalb trennten sich auf ihren Befehl hin die Schlachtlinien, deshalb war sie die Schiedsrichterin, die einen Streit zwischen Stämmen oder Völkern schlichten konnte (...).«[56]
»Die Frau beherrschte den Mann. Sie war eine fesselnde Zauberin, vor der seine Seele erzitterte (...). Aus ihr entsprangen Dichtung, Musik und alle Künste.«[57]
Als die Höhlenmalereien von Altamira in Spanien vor wenigen hundert Jahren entdeckt wurden, war die Welt erstaunt über ihre Schönheit und künstlerische Vollkommenheit. Sicherlich konnte kein kinnloser, in Häute gekleideter Wilder mit vorspringenden Backenknochen dies erdacht oder geschaffen haben! Man schrieb sie dem Cro-Magnon-Menschen, dem Vorfahren der modernen Europäer zu, und sie wurden von früheren, dem Männlichen verhafteten »Altertumsforschern« als magische Symbole gedeutet, die von Männern gezeichnet wurden, um die Tiere zu veranlassen, sich ihren menschlichen Jägern ruhig zu unterwerfen. Doch in dieser Hypothese gab es viele Lücken: Die Malereien fanden sich in Schlafräumen mit niedrigeren Decken, die schwer zugänglich waren und selten von Männern benutzt wurden; die weibliche Feinheit ihrer Linienführung, der Ausdruck des Mitgefühls für die gejagten Tiere; die karikaturartigen Abbildungen der Jäger, gewiß nicht schmeichelhaft für das männliche Geschlecht - und das Vorhandensein von Abdrücken von Frauen- und Kleinkinderhänden an den Wänden rings um die Gemälde.
»Die Gemälde müssen Kunst um der Kunst willen gewesen sein« und nicht magische Symbole, wie man ursprünglich annahm. »Sie waren an Wände von als Wohnraum benützten Felsenunterkünften gemalt«,[58] um diese zu verschönern, wie man beispielsweise Schonbezüge und neue Vorhänge benützt. Und wann kümmerte sich der Mann je darum, die Räume zu verschönern, in denen er sich selten oder nie aufhielt?
»Die Höhlenkunst ist eine echt weibliche Kunst«, schreibt die Künstlerin Violeta Miqueli;[59] und, weit davon entfernt, ein nur nützliches Mittel zu sein, »hat sie ein einziges Motiv, nämlich die Wertschätzung der Schönheit der Form«, bemerkt Henry Fairfield Osborn.[60] Die an die Höhlenwände gemalten wilden Tiere sind von durchgeistigter Schönheit. Die Anmut der Bewegung und die Feinheit der Linien reichen weit über eine für magische Zwecke dienliche Abbildung hinaus. Die verwundeten Tiere werden mit dem Ausdruck menschlichen Kummers und Erschreckens in ihren Gesichtern dargestellt, und die Sterbenden sind die Verkörperung der Verzweiflung.
Im Gegensatz zu den Tieren werden die männlichen Jäger als Strichfiguren dargestellt, wie ein Kind eine menschliche Gestalt zeichnen könnte (und vielleicht haben Kinder sie gezeichnet). Sie tragen Tiermasken, die viel grausamer aussehen als die Gesichter der gejagten Tiere. (Diese wenig schmeichelhaften Abbildungen von Männern erinnern an die watschelnden, wie Kretins aussehenden Krieger auf der berühmten Kriegervase, die man bei Mykene gefunden hat.[61] Könnte auch diese das Werk weiblicher Künstler sein?)
Am überzeugendsten beweisen die Abdrücke von Frauen- und Kinderhänden rings um das Gemälde, daß diese Höhlenmalereien das Werk von Frauen sind. Wir könnten uns vorstellen, daß eine Frau der Vorzeit, die an einem regnerischen Tag mit ihren Kindern allein war, diese zu unterhalten begann, indem sie ihnen zeigte, wo die Männer waren, nämlich auf der Jagd nach wilden Tieren. Sie hatte Farbe angerührt und ihre gefühlvollen Abbildungen der armen, gejagten Tiere dargestellt und dann den Kindern erlaubt, zu dem Bild das zu malen, was in jenen matriarchalen Tagen als »Papa« herhalten mußte, in einer Zeit, da »die Männer den Frauen nur als Jäger und Fischer dienten«, wie Seltman sagt.[62] Weil sie noch einen Rest Farbe übrig hatte und der Regen die Kinder weiterhin daran hinderte, hinauszugehen und zu spielen, tauchte die Cro-Magnon-Mutter abwesend ihre Hand in die Farbe und drückte sie gegen die Wand. Die Kinder ahmten ihre Handlungsweise nach. Und zwanzigtausend Jahre später entdeckte Senor Don Marcelino de Sautuola, als er mit seiner kleinen Tochter die Höhle von Altamira erforschte, die Handabdrücke, die Tiere und die Strichmännchen. - Und die Welt war erstaunt.
Mythos, Sage und Überlieferung erkennen der Frau die Erfindung der schmückenden Künste zu und Archäologie und Anthropologie bekräftigen die Überlieferung. Ähnlich werden von der Mythologie Musik, Gesang, Dichtkunst und Tanz auf die Frauen der Urzeit zurückgeführt.