Die sexuelle Revolution

Jeder Wechsel in den Beziehungen zwischen
den Geschlechtern wird von blutigen
Ereignissen begleitet.
J.J. Bachofen

Das Bedürfnis zu bestrafen

Der Mann wurde von der Vorstellung seiner Unterlegenheit während des langen Zeitraums weiblicher Überlegenheit so stark beeinflußt, daß er in seinem Unterbewußtsein eine immerwährende Abneigung gegen die Frauen aufbaute. Seit es dem Mann erlaubt war, die Königin zu vertreten, und seit er gezwungen war, falsche Brüste und weibliche Kleider zu tragen, um seine Autorität auszuüben, fürchtete er die Frau, zürnte ihr und haßte sie. Sein Haß hat zu einer planmäßigen, von Gesetz und Brauch gebilligten, grausamen Verhaltensweise gegenüber den Frauen geführt, einer Grausamkeit, die er nicht einmal in Gedanken seinem eigenen Geschlecht zufügen würde. »Die Strenge des patriarchalen Systems weist auf ein anderes hin, das bekämpft und unterdrückt werden mußte«, sagt hierzu Bachofen.[1]
In ihrer neuentdeckten körperlichen Überlegenheit nach der patriarchalen Revolution war das Verhalten der Männer verständlich. Sie versuchten, alle Spuren ihrer früheren untergeordneten Stellung auszulöschen und »es den Frauen teilweise zurückzuzahlen«. Das Bemühen, ihre ursprüngliche Unterwürfigkeit zu verheimlichen, geschah nicht nur in der Form, die Geschichte neu zu schreiben und alle Berichte zu zerstören, die nicht aus männlicher Sicht neu dargelegt werden konnten, sondern man griff auch zum körperlichen Mißbrauch als der Regel der zwischengeschlechtlichen Beziehungen. Das bittere Bedürfnis, sich an ihren früheren Gebieterinnen zu rächen, führte zu dem sexuellen Sadismus, der in diesen letzten Jahrhunderten des Mannes Beziehungen zu den Frauen gekennzeichnet hat und sogar von männlichen Psychologen als »natürlich« und »normal« angesehen wurde.
Nach dem patriarchalen Gesetz ist der sexuelle Mißbrauch eines Mannes ein viel schwereres Verbrechen als der einer Frau. Noch im Jahre 1969 wurde in Frankreich eine junge Frau verurteilt, weil sie einen jungen Mann »verführt« hatte. Doch wie viele Männer sind je in der neueren Geschichte vor Gericht gestellt, geschweige denn verurteilt worden, weil sie eine junge Frau verführt haben? »Die Milde, mit der der Verführer eines Mädchens gerichtet wird, steht in schroffem Gegensatz zu der moralischen Verdammung seines unfreiwilligen Opfers« und zu »der Härte, mit der ähnliche Angriffe auf Jungen bestraft werden«, schreibt Edward Westermarck.[2] »Ist die Verführung eines männlichen Jugendlichen mit viel schrecklicheren Folgen für das Opfer belastet als für ein Mädchen«, fragt er, »um den gewaltigen Unterschied in der Behandlung des Verführers zu rechtfertigen?«[3]) In Europa wurde bis vor kurzem der Verführer eines Jungen gehenkt, während die Verführung eines Mädchens als reizende kleine Sünde betrachtet wurde, deren man sich öffentlich brüstete, »selbst wenn das Verhalten des Verführers dem Mädchen einen lebenslangen (um nicht zu sagen tödlichen) Schaden zugefügt hat«.[4] Der Unterschied besteht natürlich im Geschlecht. Im jüdisch-christlichen Glauben ist der männliche Körper der Tempel Gottes, während der weibliche ein Gegenstand ist, geschaffen zur Ausnutzung durch den Mann. Als das aufgeklärte französische Volk zu Beginn dieses Jahrhunderts Vergewaltigung zu einem Kapitalverbrechen erklärte, wurde das Gesetz von dem Engländer Anthony Ludovici als »ausgesprochen unmenschlich« bezeichnet.[5] Er ging über die Unmenschlichkeit der Vergewaltigung und deren Folgen achtlos hinweg. Denn wozu war die Frau schließlich geschaffen?
»Unsere ganze moderne Zivilisation ist männlich«, schreibt Georg Simmel: »Der Staat, die Gesetze, die Moral und die Religion sind Einrichtungen, vom Mann und für den Mann geschaffen.«[6] »Die Sexualmoral«, fügt Margaret Sanger hinzu, »ist von männlichen Vertretern festgelegt worden, die versucht haben, die Frauen in Knechtschaft zu halten« und sie ausschließlich als Mittel für die männliche Laune zu gebrauchen. Deshalb »wurde jeder Versuch von Seiten der Frauen, für sich zu leben, von diesen selbstsüchtigen Vertretern als unmoralisch angegriffen«.[7]
»Solange körperliche Liebe des Mannes bevorzugte Entspannung ist«, bemerkt Mary Wollstonecraft, »wird er versuchen, die Frau zu knechten (...). Doch wie bedacht sind die Männer darauf, die Frauen zu entwürdigen, das Geschlecht, von dem sie angeblich behaupten, das größte Vergnügen ihres Lebens zu erhalten.«[8] »Hinter dem Nachdruck, mit dem der Mann auf seiner Überlegenheit besteht, liegt ein uralter Neid gegenüber der Frau«, sagt Erik Erikson.[9] »Die Erkenntnis, daß das Dogma von der weiblichen Minderwertigkeit seinen Ursprung in einer unbewußten männlichen Tendenz, die Frauen zu beneiden, hat, konnte uns erst dämmern, nachdem Zweifel an seiner Wahrheit (von der weiblichen Minderwertigkeit) entstanden waren. Hinter der Überzeugung von der weiblichen Minderwertigkeit steht ein mächtiger (...) Drang (...), Frauen zu entwürdigen.«[10]
»Doch der Mann hat sehr offensichtliche, strategische Gründe dafür, seine Furcht und seinen Neid zu verbergen, denn er versucht auch mit allen Mitteln, sie sogar vor sich selbst zu leugnen. (...) In der Herabsetzung der Frauen, die Männer so oft in ihren Reden und in ihrem Benehmen kundtun, wird Erleichterung gesucht und gefunden (...).« »Diese Form der Beschwichtigung seiner Furcht hat einen zusätzlichen besonderen Vorteil: sie trägt dazu bei, sein Ego zu stärken, das durch das Eingeständnis der Angst vor Frauen weitaus mehr bedroht wird als durch Angst vor Männern.«[11] Er nimmt auch zu dem ungeheuerlichen männlichen Mythos vom weiblichen Masochismus (s. Kap. 21) und zu dem selbstbeschwichtigenden Gerücht vom weiblichen »Penis-Neid« Zuflucht.

Penisneid gegen Gebärneid

Sigmund Freud ist sowohl für den Irrtum des »Penisneides« als auch für den Begriff selbst verantwortlich. Für ein paar Jahrzehnte wurde seine Theorie vom »Kastrationskomplex«, unter dem alle Frauen angeblich leiden sollten, von Psychologen wie von Laien für bare Münze genommen. Aber bald entstanden Meinungsverschiedenheiten. Solch berühmte nach-freudsche Psychologen wie Horney, Jung, Fromm, Reik, Harold Kelman und Gregory Zilboorg fanden, als sie die Frauen selbst studierten, was Freud nicht getan hatte, daß der Penisneid ein Ergebnis von Freuds Einbildungskraft war. »Ganz im Gegensatz zu Freuds Annahme gibt es bessere Gründe dafür, einen Gebärneid bei den Männern zu vermuten«, als einen Penisneid bei den Frauen, schreibt Fromm.[12]
In seinem Buch über Freud bemerkt Fromm: »Freuds Vorurteile gegenüber den Frauen sind alle die (...) eines Mannes, der aus Furcht vor den Frauen herrschen muß.« Aus dem starken und zwingenden Bedürfnis heraus, »die Frauen in eine minderwertigere Stellung zu bringen (...), betrachtete er sie als kastrierte Männer, die stets eifersüchtig auf die Männer sind« und besonders eifersüchtig auf den Penis, der für Freud das Zeichen der männlichen Überlegenheit war.[13]) Über Freuds Annahme, die Frauen seien nichts anderes als kastrierte Männer, bemerkt Erik Erikson, daß Freud die matriarchalen Grundlagen der Geschichte nicht verstehen konnte, und ihm »der ganze Nährboden des Matriarchats im Mann entging«.[14]
»Freud wurde in einer traditionell jüdischen Familie erzogen«, sagt Harold Kelman, »in der der Mann Herr und Meister war und die Frau als niederes Wesen angesehen wurde«, nur Trabantin des Mannes, ausschließlich geschaffen, um zu dienen und zu gehorchen.[15] Seine Vorstellung vom Penisneid war deshalb nicht auf Untersuchungen begründet, sondern nur auf seiner Annahme, daß kein vernünftiges Geschöpf damit zufrieden sein konnte, eine Frau zu sein, und daß deshalb jede vernünftige Frau wünschen mußte, ein Mann zu sein. Und da für Freud der Penis den Mann ausmachte, mußte jede Frau verständlicherweise wünschen, einen Penis zu haben. Freud behauptete, daß der Penisneid in allen kleinen Mädchen in sehr jungem Alter erweckt würde und das Kind für sein restliches Leben lähme und am Gedeihen hindere.
Bevor wir zu den wissenschaftlichen Tatsachen dieser Behauptung kommen, wollen wir erst fragen, wie viele gut erzogene Mädchen überhaupt des menschlichen Penis gewahr sind. Einige Frauen hatten vor ihrer Hochzeitsnacht nie das außerordentliche Vorrecht, einen Penis zu sehen, obwohl für die Mädchen, die kleine Brüder haben, diese Gelegenheit eher kommt. Doch welcher normale Mensch könnte auf die armen kleinen Dinger von Jungen eifersüchtig sein? Simone de Beauvoir berichtet, daß sie beim ersten Anblick des Penis eines Knaben ein schwaches Gefühl der Übelkeit bekam, als ob sie etwas leicht Ekliges gesehen habe, »wie eine Geschwulst oder eine Warze«. Andere Frauen haben stärkere Abscheu ausgedrückt, indem sie den Anblick sogar mit einer ungestalten Verformung verglichen.
Diese weibliche Abscheu erhärtet Reiks Schlußfolgerungen aus seinen Studien weiblicher Psychologie, daß es nämlich im Gegensatz zu dem Glauben, Mädchen fühlten sich beraubt, wenn sie das Knabenglied entdecken, »gute psychologische Beweise gibt, daß der Anblick zum ersten Ausdruck weiblicher Eitelkeit führt«] Das kleine Mädchen fühlt, daß sein Körper ästhetischer ist als der des Knaben, [16] und daß ihre eigene Ausstattung viel weniger abstoßend ist, wenn auch vielleicht beim Picknick nicht so bequem. Horney hebt diesen Punkt hervor, wenn sie sagt, daß »der Nachteil auf Seiten der Frau nur auf der prägenitalen Ebene (beim Urinieren) besteht. Auf der genitalen Ebene ist es für die Frau nur von Vorteil, keinen Penis zu haben«, denn ihre sexuelle Tätigkeit ist nicht von der Laune eines Organs abhängig, das sie nicht kontrollieren kann. »Die Frau ist zum Koitus und seinen Freuden genauso fähig wie der Mann.«[17]
Gregory Zilboorg schreibt, daß der Gebärneid des Mannes viel älter und tieferliegend sei als der Penisneid der Frauen. [18]
Der psychologische Kern der Furcht der Männer vor den Frauen liegt in der Tatsache, daß »der Mann während des Koitus seinen Penis in den Körper der Frau einführen muß und ihr Samen gibt und dies als Übertragung seiner Lebenskraft auf die Frau auslegt, ähnlich seiner Erfahrung, daß die Erektion nach dem Geschlechtsverkehr aufhört, als Beweis dafür, daß ihn die Frau geschwächt hat«.[19]
Der Penis ist der einzige Muskel, den der Mann nicht beugen, und auch die einzige Extremität, die er nicht kontrollieren kann. Sei der männliche Wille auch noch so stark, der Penis hebt und senkt sich wie er will. Der Mann kann ihm nicht befehlen. Dieses überaus wichtige und hochgeschätzte Organ, so bedeutsam für sein Vergnügen und seine Selbsteinschätzung, ist ein Ding getrennt von ihm, mit einem geheimnisvollen eigenen Willen und Leben. Diese Tatsache, der Besitz eines äußeren anatomischen Teils, der in keiner Weise mit seinem Gehirn verbunden zu sein scheint, ist an sich schon eine verwirrende und erniedrigende Erscheinung. Doch noch schlimmer: es beeinträchtigt die Würde des Besitzers, weil es scheinbar jenem minderwertigen Ding - der Frau - gehorcht. Beim Anblick oder bloßen Gedanken an eine Frau richtet es sich schon auf. Die Hilflosigkeit des Mannes, seinen am meisten geschätzten Besitz, seinen Penis, zu kontrollieren, erzürnt ihn so sehr, daß er das Geschlecht bestrafen will, das solche Macht über »sein Eigentum« ausübt.
Die  Frau  besitzt  kein  solches  herausforderndes Anhängsel. Ihre Klitoris, die so oft mit einem verkümmerten Penis verglichen wird, ist ein geheimnisvolles kleines Ding, das sie offensichtlich nur zu ihrem eigenen Vergnügen besitzt. Im Gegensatz zum Penis uriniert es weder, noch zeugt es. Es ist ein vollkommen frei ins Haus gelieferter Zusatz, der keine Unannehmlichkeit oder Erniedrigung verursacht. Der Mann ist darüber verstimmt, daß die Frau von ihrem »Penis«, der nur einem Zweck dienenden Klitoris, unabhängig, er aber von seinem mehreren Zwecken dienenden Penis abhängig ist. Es scheint ihm, die Natur habe sich, als sie ihn erschuf, aus wirtschaftlichen Gründen sehr knausrig verhalten, ganz im Gegensatz zur verschwenderischen Großzügigkeit bei der Erschaffung der Frau.
In zivilisierten Gesellschaften nimmt heute dieser Klitoris- oder Gebärneid subtile Formen an. Des Mannes ständiges Bedürfnis, die Frau zu verunglimpfen, sie zu erniedrigen, ihr gleiche Rechte zu verweigern und ihre Leistungen zu schmälern, all das ist Ausdruck seiner angeborenen Mißgunst und Furcht. In früheren Zeiten und in heute noch primitiven Gesellschaften, wo sich die instinktive Furcht und Scheu noch nicht in Haß aus Furcht verwandelt haben, versuchten die Männer, das gefürchtete Objekt nachzuahmen. »Das Hauptmotiv der (männlichen) Einführungskulte« unter primitiven Stämmen, schreibt Margaret Mead, »besteht darin, daß der Mann vielleicht unnötig ist«. So »hat der Mann einen Weg gefunden, seine grundlegende Minderwertigkeit dadurch auszugleichen«, daß er die Aufgaben der Frau nachahmt.[20]
Die Männer durchlaufen alle Abschnitte der Geburt und der Monatsblutung und verstümmeln den Penis auf die verschiedenste Weise, nur um ihn der weiblichen Vulva anzugleichen. In einem vorangegangenen Kapitel haben wir kurz Beispiele für den männlichen Neid gegenüber der Frau aufgeführt. In der Geschichte oder Sage kennen wir keinen vergleichbaren Beweis für den Penisneid, keine heiligen Rituale, die auf der Nachahmung männlicher Aufgaben durch die Frauen beruhen, keinen Fall, in dem Frauen versuchten, ihre Genitalien zu verstümmeln, um sie denen des Mannes anzugleichen, und keine spielerische Darstellung, bei der die Frauen vorgaben, Samenfluß zu erzeugen, was mit der nachgeahmten Blutung zu vergleichen wäre.
Der Geschlechtsneid ist eine ausschließlich männliche Erscheinung.

Weibliche Beschneidung

Der Gebärneid des heutigen Mannes drückt sich am stärksten in seinem Ärger über die sexuelle Lust der Frau aus. Der berühmte Streit zwischen Zeus und Hera, wer von beiden beim Geschlechtsverkehr größere Lust gewinne, wurde vom alten Tiresias gelöst, der für den besten Richter gehalten wurde, da er sowohl Mann wie Frau war. Er stimmte unverzüglich mit Zeus darin überein, daß die Frau ein zehnmal größeres Vergnügen habe als der Mann. Die Männer lehnen die Vorstellung vom Vergnügen der Frau an der Sexualität ab, denn sie weist sie auf den verräterischen Gedanken hin, daß vielleicht der Mann geschaffen wurde zur Freude der Frau, und nicht die Frau zur Bequemlichkeit des Mannes, wie es sein Ego ihm vorschreibt. Dieser nagende Zweifel hat den Mann bewegt, »in einer Art Rache die Frau für so viele Jahrhunderte zu versklaven«.[21]
Die einfache Tatsache bestand und besteht darin, daß der dem Männlichen verhaftete Mann erzürnt ist, selbst Sexualität mit der Frau teilen zu müssen. Und so entstand der Zwiespalt des patriarchalen Mannes, der die Frau als reines Sexobjekt betrachtet, ihr aber trotzdem jedes sexuelle Vergnügen vorenthalten will. Es ist bezeichnend, daß matriarchale Völker die Frau »erfreuen«, während patriarchale sie »reiten«!
Vor langer Zeit, in den späten Jahren der patriarchalen Revolution, fand ein extremer Patriarch eine Methode, die sexuelle Lust der Frau, nicht aber die des Mannes, zu verringern. Wenn die Klitoris, wie Aristoteles sagte, der Sitz der weiblichen Lust war, dann weg mit ihr! Die Klitorektomie oder weibliche Beschneidung wird der Überlieferung nach Gyges, dem Lydier, zugeschrieben. Da jedoch Lydien zu Gyges Zeiten noch von Frauen beherrscht wurde (er eroberte den Thron, indem er den Königsgemahl ermorderte und die Königin auf ihr Drängen hin heiratete, wie Herodot uns mitteilt) ist dies sehr unwahrscheinlich. Es trifft sicherlich eher die islamische Legende zu, daß Hagar, Abrahams Geliebte und Ismaels Mutter, das erste Opfer der weiblichen Beschneidung war. Möglicherweise war das eine semitische Neuerung, da die Araber ihre begeistertsten Anhänger wurden und noch sind. »Sohn einer unbeschnittenen Mutter« ist das schlimmste Schimpfwort, mit dem ein Araber einen anderen belegen kann.
Die »Gründe«, die  von den Arabern für die weibliche Beschneidung angegeben werden, sind so zahlreich wie jene, die die Alten für die männliche Beschneidung anführten. Der Hauptgrund bezieht sich auf die weibliche Keuschheit. Unbeschnittene Frauen, sagen die Araber, sind sexuell übererregbar und neigen deshalb zur Untreue und Unkeuschheit. Sir Richard Burton, der im 19. Jahrhundert die Araber gut kannte, sagt jedoch, daß die Entfernung der Klitoris und der Schamlippen die Frauen viel lüsterner machte, daß sie aber dadurch um so schwerer zu befriedigen waren. »Die sittliche Auswirkung der weiblichen Beschneidung ist seltsam«, schreibt Burton. »Während sie die Hitze der Leidenschaft verringert, verstärkt sie die Zügellosigkeit und erzeugt eine gedankliche Ausschweifung, die weit schlimmer ist als körperliche Unkeuschheit.«[22]
Geruchsbildung zu verhindern, wird als weiterer Grund angeführt. In manchen Gegenden glaubt man, der Orgasmus der Frau verhindere eine Empfängnis, da die Hitze der Leidenschaft den Samen zerstöre. »Sie verbrennt den empfangenen Samen und trocknet ihn sozusagen auf«, schreibt Davenport, »und wenn zufällig doch ein Kind empfangen wird, so ist es mißgebildet und bleibt keine 9 Monate im Mutterleib.«[23]
Eine andere wunderliche Begründung ist die, daß bei den Frauen Ägyptens, Arabiens, Abessiniens und der angrenzenden Gebiete die Klitoris so groß werde, daß sie den Geschlechtsverkehr behindere. »Wegen des Klimas oder aus anderen Gründen herrscht bei ihnen im allgemeinen ein bestimmtes Mißverhältnis vor,« schreibt Davenport, indem er einen gewissen Bruce in seinen Reisen in Abessinien zitiert. »Wenn die Klitoris unbeschnitten wachsen kann,« fährt er fort, »wird sie so lang wie ein Gänsehals,« und die Männer haben versucht, dieser Deformierung durch Amputation des Überflüssigen abzuhelfen.«[24] Als die christlichen Missionare den Kopten die Beschneidung ihrer Töchter verboten, berichtet Davenport, »gehorchten die Bekehrten. Doch die Folge war, daß mit Heranwachsen der Töchter die Männer feststellten, daß sie durch Heirat einer koptischen Frau äußerst nachteiligen Unannehmlichkeiten ausgesetzt waren, und sie heirateten deshalb ungläubige Frauen, die frei von solchen Behinderungen waren und fielen mit ihnen in die Häresie zurück.«[25] »Die Missionare sahen deshalb keine Möglichkeit, ihre Gemeinden jemals zu vergrößern und brachten ihren Fall vor das Kardinalskollegium in Rom. Die Angelegenheit wurde als eilig angesehen und man sandte Leute aus, die einen Bericht über den Stand der Dinge abfassen sollten. Nach Rom zurückgekehrt, erklärten sie, daß sich die Hitze oder andere Ursachen verändernd auf die Klitoris der Frau auswirkten und so den Zweck der Ehe behinderten. Nach dem das Kollegium diesen Bericht erhalten hatte, gab es Anweisungen, daß diese Unzulänglichkeiten, da sie dem Zweck der Ehe im Wege standen, unter allen Umständen beseitigt werden müßten. Seit der Zeit sind Katholikinnen wie auch Koptinnen und andere Ägypterinnen immer wieder beschnitten worden.«[26]
Die Überentwicklung der Klitoris ist jedoch nicht auf die Frauen Ägyptens und Arabiens beschränkt, wie ein 1789 aus Paris berichteter Fall zu beweisen scheint: »Als ein Mann in seiner Hochzeitsnacht seine nackte Braut liebevoll streichelte, war er sehr überrascht, als er ein Glied fühlte, das so steif war wie sein eigenes männliches. In äußerster Verwirrung stürzte er aus dem Bett, in der Meinung, entweder behext zu sein, oder an der Nase herumgeführt zu werden, indem man ihm in sein Hochzeitsbett an Stelle seiner geliebten Braut einen Mann gelegt habe. Kaum hatte er Licht gemacht, als er sein Weib erkannte, die ihn freundlich einlud, ins Bett zurückzukehren (...). Als er jedoch die Genitalien seiner Frau betrachtete, bot sich ihm ein Penis, so lang und so steif wie sein eigener. Die Frau antwortete auf entsprechende Fragen so taktvoll wie es unter diesen Umständen möglich war, daß sie angenommen habe, alle Frauen seien in diesen Teilen so wie sie gebaut. Erneut lud sie ihn ein, zu Bett zu kommen, und, nachdem er seine Überraschung und Verwirrung überwunden hatte, setzte er seine Liebesbemühungen fort, jedoch mit dem Ergebnis, daß seine Geschlechtsorgane ihren Dienst verweigerten. Zu seiner weiteren Überraschung legte ihn seine erst vor kurzem angetraute Frau unter sich, und durch einen seltsamen Gestaltwandel wurde der Mann sozusagen eine Frau, während die Frau die Rolle eines Angehörigen des männlichen Geschlechts spielte (...). Davenport läßt sich über das Ende dieser erniedrigenden Erfahrung einer Hochzeitsnacht nicht weiter aus. Er zitiert nur so viel aus den Annales Medicales et Physiologique (1789).[27]
Die weibliche Beschneidung soll angeblich auch verhindern, »daß sich Frauen gegenseitig mißbrauchen«.[28] T. Bell schreibt: »Sie (die Klitoris) nimmt manchmal eine erstaunliche Größe an, und wir haben Beweismaterial über Frauen mit einer großen Klitoris, die junge Mädchen verführt haben (...). Um solche unnatürlichen Verbindungen zu verhindern, gibt es bei den Asiaten und besonders bei den Arabern den Brauch, die Klitoris zu beseitigen.«[29]
All das sind interessante, aber nicht überzeugende Gründe. Der wahre Grund für die Verstümmelung der weiblichen Vulva sind der männliche Neid und Sadismus, die die Frauen zu bestrafen suchen, nur weil sie Frauen sind. Die Operation wird an arabischen Mädchen in der Pubertät ausgeführt, wobei die Klitoris und die großen Schamlippen mit einem scharfen Rasiermesser bis zum Schambein herausgeschnitten werden. Das ist eine viel gefährlichere, schmerzlichere und blutigere Operation als die männliche Beschneidung, und sie dient keinem anderen Zweck, als dem Mädchen das volle Maß zukünftiger sexueller Freuden zu verweigern.
Daß die Operation nur eine patriarchale Art der Rache für die weibliche sexuelle Überlegenheit ist, läßt die Tatsache vermuten, daß sie nur dort ausgeführt wird, wo kompromißloser Patriarchalismus am längsten geherrscht hat, nämlich in den semitischen Ländern. Die Juden leugneten vor der Gründung des heutigen Staates Israel, daß sie sie an ihren Töchtern ausführten, doch es gibt Beweise für das Gegenteil. Richard Burton sagt, die Juden hätten an dem Ritus bis in die Tage des Rabbi Gershom (1000 n. Chr.) festgehalten, der ihn als Skandal bezeichnet habe. Burton fährt fort: »Ich glaube, sie ist bei einigen entlegenen Stämmen immer noch die Regel. Der Ritus ist eine passende Ergänzung zur männlichen Beschneidung, da er die Erregbarkeit der Geschlechtsteile angleicht, indem er sie bei beiden gleichermaßen herabsetzt: Eine unbeschnittene Frau hat den Orgasmus viel früher und öfter als ein beschnittener Mann, und häufiger Geschlechtsverkehr würde ihre Gesundheit schädigen.«[30] Das war der Supermann Sir Richard, der für alle patriarchalen Männer sprach. Er macht sich über die Gesundheit der Frau überhaupt keine Gedanken, sondern nur über die Ungerechtigkeit ihrer größeren Sexualität und Lust. Er selbst gibt zu, daß die beschnittenen Frauen aus seiner Bekanntschaft des Orgasmus kaum fähig waren, nach ihm, da er unerreichbar war, aber deswegen um so mehr verlangten.
Sir Richard Burton gibt eine lebendige Augenzeugenbeschreibung von dem Ergebnis der Beschneidung an arabischen Frauen: »Den Prostituierten Adens waren die Schamlippen und   die  Klitoris  vollständig  herausgeschnitten,  und  die  Haut zeigte Narben und Spuren von groben Nadelstichen.«[31]
Vom Nähen wurde Gebrauch gemacht, um die Keuschheit junger Mädchen und unverheirateter Frauen zu erhalten. Nachdem die Operateurin die Klitoris und die Schamlippen herausgeschnitten hat,« näht sie die Teile mit einer Packnadel und Schafszwirn zu, wobei sie noch eine Blechröhre für den Urin einfügt. Vor der Hochzeit stärkt sich der Bräutigam einen Monat lang mit Rindfleisch, Honig und Milch, denn wenn er die Braut mit seiner natürlichen Waffe öffnen kann, ist er ein großer Held. Wenn er es nicht schafft, versucht er mit den Fingern einzudringen, und als letztes Mittel zieht er sein Messer und schneidet damit die Genitalien auf. Die Schmerzen müssen für die Braut sehr groß sein.«[32] Man kann nicht umhin, anzunehmen, daß die letzte Bemerkung die eigentliche Begründung für die rohe Art der weiblichen Beschneidung ist, wie sie in einigen Gebieten des Orients gehandhabt wird: männlicher Sadismus verbunden mit Geschlechtsneid.[33]
Der italienische Anthropologe Mantegazza sagt, daß die weibliche Beschneidung in Ägypten angewandt wird, weil »die ägyptischen Männer sich nicht um die gefühlsmäßige Anteilnahme der Frauen beim Geschlechtsakt kümmern. In den Frauen bleibt deshalb ein Verlangen nach einer Lust bestehen, das stets unbefriedigt bleiben muß (...). Eine egoistischere Form der Perversion kann man sich kaum vorstellen, wenn man daran denkt, daß Liebe als eine Freude für beide gedacht ist, und daß die Unterdrückung der Lust des Partners während des Aktes grausam und barbarisch ist und eine Art angenehmer Verfeinerung, die mit Wucherraten bezahlt werden muß.«[34]