Die Strenge des patriarchalischen Systems
weist auf ein älteres hin, das bekämpft
und unterdrückt werden mußte.
J. J. Bachofen
Die Zeitalter des Stiers und des Widders
In Indien gab es im 18. Jahrhundert einen Megalith in Form eines riesigen Stiers, eine Reminiszenz an den geheimnisvollen Umgang der gynaikokratischen Frauen mit Stein vor langer Zeit. Richard Payne Knight, ein Indienreisender des 18. Jahrhunderts, gibt die Eindrücke wieder, die er beim Anblick dieses Stier-Megalithen in Tanjore gegen Ende des Jahrhunderts hatte:
Das Standbild stellt einen liegenden Stier dar, der mit großer Sorgfalt aus einem Granitblock gehauen ist. Er muß auf dem Landweg aus einer Entfernung von Hunderten von Meilen herbeigeschafft worden sein, und das trotz eines Gewichtes von mehr als hundert Tonnen, selbst in behauenem Zustand. Auch unter dem Aufwand größter Ausdauer und Arbeitsamkeit, wie sie den Bewohnern dieses Landes eigen sind, hätte dieses Standbild wohl kaum errichtet werden können, wenn sie nicht über sehr viel umfassendere Kenntnisse der Mechanik verfügt hätten, als das heutzutage der Fall ist.[1]
Der Stier und der Phallus, jene Sinnbilder der Fortpflanzung, sind untrügliche Zeichen für das Vorhandensein gynaikokratischer Gesellschaftsformen. Denn selbst wenn in alten Zeiten die Männer nichts über die männliche Rolle bei der Fortpflanzung wußten, so offensichtlich doch die Frauen. Sie behielten aber ihr Geheimnis für sich, um unabhängig zu bleiben. Malinowski und A.M. Hocart berichten, daß bei den Trobriandern die Männer keinen Zusammenhang zwischen dem Geschlechtsverkehr und der Befruchtung herstellten, wohl aber die Frauen, die ihr Wissen vor den Männern geheim hielten, um ihre Unabhängigkeit zu wahren. ([2]
Daß man das größte bisher entdeckte Bildnis eines Stiers in Indien- fand, ist seltsam, denn nach dem Mythos und der Überlieferung war Indien das erste kultivierte Land, das vom Mutterzum Vaterrecht überging. Der Stier von Tanjore muß also sehr alt gewesen sein und in die Zeit vor Rama zurückreichen.
Fabre d'Olivet berichtet uns, daß Rama, der abtrünnige Arier, Indien 3 000 Jahre vor unserer Zeit von der Frauenherrschaft und Göttinnenverehrung zur Vaterherrschaft und Gottesverehrung bekehrt hat.[3] Vor Rama wurden alle Frauen als göttliche Wesen betrachtet, in deren Gebiet Recht und Gerechtigkeit, Religion, Philosophie, Dichtkunst, Musik und alle höheren Bereiche des Lebens fielen. Rama, der erste patriarchale Held, lehnte sich gegen Macht und Ansehen der Frauen auf und, da er sie in seinem Heimatland, irgendwo in Anatolien oder im südlichen Europa, nicht beseitigen konnte, verließ er es und wanderte nach Indien aus.
Vielleicht kam Rama aus Thrakien, dem geheimnisvollen Mittelpunkt einer sehr alten Kultur, von wo Orpheus später die lange Zeit in Vergessenheit geratene Kunde von der Vielheit der Welten und einem Universum mit der Sonne als Mittelpunkt bringen sollte und wo Philip von Mazedonien im 5. Jahrhundert v. Chr. auf Zeugnisse einer hochentwickelten vergessenen Technologie stoßen sollte, die den Fähigkeiten der Griechen auf diesem Gebiet weit überlegen war. Wenn es zutrifft, daß Rama sich als einer der ersten gegen die ursprünglich existierende Gynaikokratie aufgelehnt hat und deshalb aus seiner Heimat vertrieben worden ist, läßt sich der Rama-Mythos Indiens wie Europas erklären. Nach der europäischen Sage versuchte Rama die alten (druidischen) Priesterinnenschulen abzuschaffen und eine männliche Priesterschaft einzuführen. Den Widder setzteer hierfür als Symbol und machte ihn zum Sammelpunkt seiner männlichen Anhänger. Die Ramiten bekriegten schließlich das Volk des Stieres, das Volk der Frauenherrschaft, wurden jedoch geschlagen. Da führte Rama sein Volk aus Europa nach Indien.
In der ganzen Alten Welt wurde der Widder das Zeichen für die Vaterherrschaft, genauso wie der Stier das der Mutterherrschaft war.
Es ist interessant, daß das astrologische Zeitalter des Stiers historisch mit den letzten zweitausend Jahren des Matriarchats zusammenfällt - 4000 v. Chr. bis 2000 v. Chr., während das Zeitalter des Widders unmittelbar vor der christlichen Ära liegt, die Zeit der patriarchalen Revolution. Das Christentum fällt in das Zeitalter der Fische, in den zweitausend Jahre andauernden Zeitabschnitt, aus dem wir gerade hervorgehen, und es ist deshalb nicht verwunderlich, daß der Fisch das Symbol der Christen wurde.
Der Fisch war aber auch das Symbol der Großen Göttin Tiamat und ihrer Städte Ur und Ninive. Können wir hieraus schließen, daß ein früheres Fische-Zeitalter vor 26 000 oder 52 000 oder sogar 104 000 Jahren Schauplatz der Entstehung einer Zivilisation unter dieser Göttin war? Und daß in einem ebenso weit zurückliegenden Stier-Zeitalter Atlantis seine Blütezeit erlebte? Denn Piaton sagt, daß der Stier in Atlantis heilig war und daß die Bewohner von Atlantis einen Stiertanz ähnlich dem ausführten, der auf Kreta zelebriert wurde, wo ebenfalls der Stier verehrt wurde. Weiterhin war Piaton zufolge Poseidonia, die Hauptstadt von Atlantis, nach dem göttlichen Sohn Potnias, der Großen Göttin Kretas, benannt. Und natürlich war Kreta auch die letzte überlebende Weltmacht des gynaikokratischen Stier-Zeitalters.
Der Widder symbolisierte die patriarchale unstete Gesellschaft der Hirten und Jäger, der Ausgestoßenen der kultivierten Reiche der Königinnen. Nicht zufällig also findet sich häufig im Alten Testament das Hirtengleichnis, wird das »Goldene Kalb« so sehr mit dem Bann belegt, da es ja die weibliche Gewalt darstellte, gegen die die nomadischen Völker Krieg führten. Selbst im Neuen Testamen wird das Widdergleichnis fortgesetzt, denn Jesus wird der Hirte genannt und seine Anhänger sind die Schafe.
Die Ramiten, die nomadischen Schafhirten, waren es, wie wir gesehen haben, die die Ackerbaugemeinschaften im Nahen Osten überwältigten und so in das erste geschichtliche dunkle Zeitalter hineinführten. Und es waren die Hirtenkönige, die Hyksos, die die hochentwickelte Kultur des alten gynaikokratischen Ägypten zerstörten. Es war der Hirtenkönig David, der schließlich die geistig höher stehenden Philister unterwarf. Und der Herdenbesitzer Abel war der eigentliche Held in den Augen der semitischen Autoren der Schöpfungsgeschichte, während Kain, der ansässige Siedler und Ackerbauer, der Verbrecher war.
In einer seltsamen Gleichnisumkehrung lassen es die Verfasser der Schöpfungsgeschichte zu, daß der Hirtenheld vom verbrecherischen Bauern erschlagen wird, - in vollkommenem Gegensatz zu den Tatsachen. Denn geschichtlich war es so, daß die unkultivierten Schafhirten, die Abels, die kultivierten Ackerbauern, die Kains, erschlugen.
Kain und Abel
Die biblische Geschichte von Kain und Abel spiegelt den Umschwung von der vorhergehenden Zeit des Friedens und der Gewaltlosigkeit zur Barbarei des patriarchalen Zeitalters wider. Unter der Göttin, schreibt Bachofen, »war eine besondere Schuld mit der körperlichen Verletzung irgendeines lebenden Wesens verbunden«, ganz gleich, ob Mensch oder Tier. [6] Indem er Abels Fleischopfer »von den Erstlingen seiner Herde und von ihrem Fett«, annahm und Kains »Früchte des Feldes« zurückwies, verkündete der neue männliche Gott sein Gesetz: Von nun an war die Eintracht zwischen Mensch und Tier dahin, und an seine Stelle traten Totschlag und Gewalttätigkeit.
Diese Erzählung kann die entstellte Fassung eines älteren sumerischen Berichts sein, in der die Göttin Kains Gabe annahm und Abels Blutgier mit dem Tode bestrafte. Das Kainsmal kann ursprünglich ein Zeichen der göttlichen Gunst gewesen sein, das andeutete, daß die Göttin das alte, Ackerbau betreibende und Pflanzen essende Geschlecht den neuen, in Abel dargestellten, Fleisch fressenden Banden vorzog. Andererseits kann der Mythos von den Semiten erfunden worden sein, um die Vernichtung der kultivierten Kainiten (d.h. der Sumerer) durch das nomadische Hirtenvolk der Abeliten, sprich Semiten, zu rechtfertigen. Ohne Zweifel ist im semitischen Bericht Abel der Held. Obwohl von Gott begünstigt, wird er von Kain, seinem älteren Bruder, erschlagen. Auch die Sumerer waren älter als die semitischen Völker. Wenn der ursprüngliche sumerische Gleichnisbericht je gefunden werden sollte, so wird er wahrscheinlich Kain als den Helden und Abel als den Verbrecher herausstellen. Und daß es einen älteren Bericht gab, kann angesichts der Tatsache, daß die Verfasser der Schöpfungsgeschichte in ihrer verdrehten Zusammenstellung alter babylonischer Sagen sonst nichts Weiteres erfunden haben, kaum bezweifelt werden.
Der Mythos ergibt in der uns überlieferten Form keinen Sinn. Flavius Josephus versucht, ihn zu erklären, verdreht die Dinge jedoch nur noch mehr, wenn er sagt, daß Gott sich durch Abels Gabe, die aus dem bestand, was natürlich und in Übereinstimmung mit sich selbst gewachsen war, mehr geehrt gefühlt habe als durch eine Gabe, die dem Boden mit Gewalt abgerungen worden war.[7] Das Wort »Gewalt« ist wohl völlig fehl am Platze, denn es hört sich an, als wäre das Bestellen des Bodens ein gewalttätigerer Akt als die Tötung eines unschuldigen Lammes. Louis Ginzberg schreibt, daß nach alter Tradition das Kainszeichen Lepra war, wahrscheinlich ein späterer Versuch der Juden, Kain in einem gefährlichen Maße unrein erscheinen zu lassen und außerdem die Erhöhung Abels zu rechtfertigen.
Nach der Ermordung Abels »wandelte und verschlechterte sich die Erde«, schreibt Ginzberg, »und Bäume und Pflanzen weigerten sich, Früchte zu tragen«.[8] Das ist vielleicht ein Hinweis auf die »Umwandlung« des Menschen vom friedlichen Ackerbauern zum Raubtier.[9] Wenn es eine weltweite Dürre gegeben hat, wie die Legende vermuten läßt, und Velikovsky in seinem Buch Earth in Upheaval [10] behauptet, kann es sein, daß der Mensch gezwungen war zu töten, um zu überleben. »Nach dem Ende der großen Regenzeit«, schreibt Eisler, »wurde der Mensch durch den Hunger aggressiv, lernte in Gemeinschaft Jagen und verschlang die gefangene, noch lebende Beute.«[11] Diese Theorie stimmt mit der alten babylonischsemitischen Sage überein, daß Gott dem Menschen erst zu Zeiten Noahs, nachdem die Erde durch,die Flut entvölkert war, erlaubte, die mit ihm lebenden Tiere zu essen.[12] Mit dem Übergang vom friedlichen Ackerbau zu Raub und Mord kann die Auflehnung des Menschen gegen eine dies ablehnende Göttin und die Einsetzung eines den Mord gestattenden, blutdürstigen männlichen Gottes einhergegangen sein.
Auf jeden Fall muß »der primitive, friedliche Sammler, wie er von Piaton und anderen Philosophen des Altertums beschrieben wird, (muß) eine drastische Veränderung in seiner Ernährung und Lebensweise durchgemacht haben - einen Umschwung, wie er in der umfangreichen Überlieferung der Menschheit als Sündenfall oder Erbsünde mit dauernden verheerenden Folgen in Erinnerung geblieben ist.«[13]
Das Töten und der Verzehr von Tieren durch den Menschen ist eine Erscheinung jüngeren Datums und fällt in die Zeit der patriarchalen Revolution. Der griechische Mythos besagt, daß sich der Mensch erst im Bronzezeitalter, eine Epoche, in die die Erinnerung der Menschheit fast zurückreicht, gegen das Matriarchat auflehnte und begann, Fleisch zu essen. Sowohl Lukretius wie Piaton berichten uns, daß sich der Mensch in frühen Zeiten von Wurzeln, Beeren, Eicheln, Getreide und Früchten ernährte, und Porphyrios sagt, daß unsere Vorfahren nur Früchte und Gemüse opferten.[14]
Kain und Abel verkörpern den Krieg zwischen Stier und Widder, und ihre Auseinandersetzung ist in der Bibel das erste Ereignis, das nach der Schöpfung berichtet wird.
Gewalttätigkeit kennzeichnete die patriarchale Revolution. »Wenn man alte Stätten untersucht, findet man immer wieder Beweise für die Zerstörung einst friedlicher Stadtstaaten.«[15] Auf dem Gelände der alten Stadt Ur im heutigen Irak wurde als ältestes, bis 1927 ausgegrabenes Gebäude der Göttinnentempel entdeckt. Er war von vier kupfernen Stieren bewacht gewesen, die offensichtlich das Ziel des hereinbrechenden ramitischen Sturms waren. Denn die Stierbildnisse waren auf einen Haufen am Fuße der Mauern geworfen worden, die dann untergraben und eingerissen worden waren, um so die beleidigenden Stierwahrzeichen der Göttin zu zerschlagen und zu zermalmen.[16]
Die Gegenrevolution
Gelegentlich werden archäologische Beweise für eine Gegenrevolution gefunden, in der der Stier sich sozusagen gegen den Widder wendet und zurückschlägt. Sir Leonard Woolley beschreibt ein solches Ereignis in dem langen Kampf des Stieres gegen den Widder in seinem Bericht von der alten Stadt Alalakh. Denn in dieser lange Zeit begrabenen Stadt Anatoliens, die in einem Zeitraum von 1300 Jahren häufig den Besitzer wechselte, folgen in den verschiedenen archäologischen Schichten Stier- und Widderbildnisse so aufeinander, daß sie anzeigen, wann Matriarchat und wann Patriarchat die Macht ausübte. Die oberste und jüngste Schicht, die der Zeit um 1200 v. Chr. entspricht, zeigte, daß die Patriarchen die letzte Schlacht gewonnen hatten: »Eine stark entstellte Kalksteinfigur einer sitzenden Göttin«, schreibt Woolley, fand man, hinabgeworfen in den Vorhof des Tempels, »zwischen den Resten eines zertrümmerten Stierbildnisses.« In derselben Schicht kam auch ein gemeißelter Widderkopf zum Vorschein, »der einzige ganz erhaltene Gegenstand (...) der weiße Kalksteinkopf eines Widders«.[17]
Alalakh, in der Nähe des heutigen Atchana in der Türkei, wurde zwischen 1936 und 1949 ausgegraben. Die Archäologen fanden Beweise, daß die Stadt ein außerordentlich alter Stadt-Staat gewesen war, der zum ersten Mal im 3. Jahrtausend von einfallenden Nomaden erobert worden sein muß. Doch nach vielen Jahren patriarchaler Herrschaft, während der die Heiligtümer der Göttin in solche für den Gott umgewandelt und Stierköpfe durch Widderköpfe ersetzt worden waren, kam es im 19. Jahrhundert v.Chr. zu einem gewaltsamen Aufstand der matriarchalen Einwohner. Der Tempel der neuen Götter wurde bis auf die Grundmauern niedergerissen und der Palast des patriarchalen Königs durch Feuer zerstört.
»Dieser vorsätzliche Bruch mit allem, was mit dem verhaßten Königreich der Eroberer zusammenhing«[18], vermittelt uns ein klares Bild einer taurischen Gegenrevolution, in der der entehrende Gott der Eroberer gewaltsam durch die alte Göttin ersetzt und der Platz des niedergebrannten Königspalastes für die Gegenrevolutionäre ein Ort des Abscheus und der Verwüstung wird.
Es ist eine geschichtliche Tatsache, daß im 18. Jahrhundert v. Chr. in Ägypten eine Gegenrevolution stattfand, bei der die patriarchalen Hirtenkönige, die Hyksos, vertrieben und die alte matriarchale Lebensweise wieder eingeführt wurde. Herodot berichtete im 5. Jahrhundert, 1 200 Jahre nach der Vertreibung der ramitischen Hyksos, daß sich im Ägypten seiner Tage die Frauen mit dem Handel beschäftigten und für die Familie sorgten, »während die Männer zu Hause am Webstuhl sitzen«. Und er fügt hinzu, daß »in Ägypten nicht die Söhne, wohl aber die Töchter die Eltern unterstützen müssen.«[19] Noch im 1. Jahrhundert mußten die ägyptischen Mädchen als Erben des Familienbesitzes ihre Brüder mit Aussteuer versorgen, damit sie Frauen fanden. Deshalb muß die ägyptische Gegenrevolution ohne Zweifel ein voller Erfolg gewesen sein.
Im fernen indo-europäischen Indien jedoch war das Ergebnis der von Rama selbst geführten Revolution für die Patriarchen erfolgreicher. Rama griff sozusagen von innen her an, indem er zuerst die Hand der Erbprinzessin Sita gewann, sie dann beherrschte und mißhandelte und schließlich ihre Herrschaftsstellung an sich riß.
Die niederträchtige Behandlung Sitas durch Rama, wie sie in der Ramayana berichtet wird,[20] Sitas geduldige Ausdauer, ihre standhafte Treue unter seiner Grausamkeit sind offensichtlich Versuche späterer Überarbeiter der Ramayana, die Frauen einzuschüchtern und sie Fügsamkeit zu lehren, genauso wie der Pentateuch die eindeutige Absicht seiner Verfasser verrät, die Frauen herabzusetzen und zu entwürdigen. Die Lehre beider Werke besteht darin, dem weiblichen Geschlecht einzuprägen, daß alle Frauen, selbst Gottköniginnen wie Sita, Mißbrauch und Ungerechtigkeit demütig als ihr Schicksal hinzunehmen hätten.
Rousseaus Vorstellungen von Platz und Bestimmung der Frau, wie er sie in seinem Emile ausdrückt, erinnern an die legendäre Behandlung Sitas durch Rama vor 5000 Jahren: »Geschaffen, um dem Mann zu gehorchen, muß die Frau lernen, Ungerechtigkeit zu erdulden und die Tyrannei eines grausamen Gatten ohne Klagen zu ertragen (...). Fügsamkeit von Seiten der Frau wird oft einen Gatten zur Vernunft bringen, wenn er nicht ganz und gar verroht ist.«[21]
Mit anderen Worten, Frauen sollen selbst einem Rohling gegenüber fügsame Opfer sein. Doch derselbe Rousseau sagt in seinem Gesellschaftsvertrag von der Sklaverei und der Unsittlichkeit erzwungenen Gehorsams: »Gewalt ist körperliche Macht, und ich vermag nicht zu erkennen, welche Sittlichkeit aus ihren Wirkungen entstehen kann (...). Kein Mensch hat ein natürliches Recht über seine Mitmenschen, und Gewalt schafft Recht für niemanden.«[22]
Offensichtlich ist in Rousseaus Philosophie »die Frau kein menschliches Wesen«, sondern nur der Mann. (23)
Rama starb in Indien vor 5000 Jahren, und seiner Herrschaft folgten Jahrhunderte des Krieges zwischen dem matriarchalen Volk des Stieres, den Kourava, und den patriarchalen Ramiten, den Pandavas. Erst mit Krishna (Vishnu) gewannen die Ramiten endgültig, und Indien richtete sich auf ein ungemildertes, echtes Patriarchat ein.
Die indische Religion verbannte jedoch nicht vollständig die Frauen aus ihrer Hierarchie, wie es die jüdische und die christliche mit ihrem einen Gott und ihrer rein männlichen Dreifältigkeit getan hat. Denn zur Dreieinigkeit des Hinduglaubens gehören Vater, Mutter und Sohn; und die jungfräuliche Mutter Krishnas, Devaki, ist die zweite Person in der Dreieinigkeit. Sie wird verehrt als »Göttin des Logos, Mutter der Götter, als die Eine mit der Schöpfung«. Das Gebet an Devaki lautet: »Du bist der Verstand, die Mutter der Wissenschaft, die Mutter des Mutes; das Firmament und die Sterne sind deine Kinder; aus dir entspringt alles, was ist. Du bist auf die Erde herabgekommen zur Erlösung der Welt.«[24]
Babylon und die Juden
Das Hirten-Nomadentum kam nachweislich nach der Epoche des Ackerbaus und bezeichnete einen entscheidenden kulturellen Niedergang in der Geschichte der Menschheit (...). Die Zeit des Hirten-Nomadentums war, wie die Kinder Israels, die ihr angehören, deutlich veranschaulichen, eine kriegerische und zerstörerische.[25]
Im 19. Jahrhundert war man fest davon überzeugt, »daß die Menschen erst Hirten waren, bevor sie sich zu Ackerbauern entwickelten«, wie ein Kustos des Britischen Museums vor hundert Jahren schrieb.[26] Aber diese Theorie wird von heutigen Gelehrten nicht mehr anerkannt, und diejenigen, die an den ständigen Fortschritt der Menschheit glauben, mußten ihre Vorstellungen ändern. Denn seßhafte gynaikokratische Gemeinschaften, die Ackerbau betrieben, gingen der nomadischen Hirtenstufe voraus und wurden vielmehr von halbwilden Nomaden zerstört.
Bis vor kurzem nahm man an, nahezu alle alten Kulturen des Nahen Ostens seien semitisch gewesen. Selbst die Mythology of All Races (1916 herausgegeben, 1964 neu aufgelegt) enthält in ihrem semitischen Band sumerische Mythen. Neuere Forschungen haben jedoch eindeutig bewiesen, daß sie alle entweder zur indoeuropäischen oder zu einer vor-indo-europäischen Familie gehörten, wie z.B. die sumerische, durch die hethitische, die iranische, jonische, minoische, ugaritische, phönizische Kultur, usw. Die alten Ägypter gehörten wie die alten Nubier (Äthiopier) und die vor-griechischen Pelasger zu einer hellhäutigen Mittelmeerrasse, die sicherlich nicht semitisch war, wie ihre Wandgemälde deutlich zeigen.
Die semitischen Völker des Altertums waren auf die Arabische Halbinsel beschränkt, von wo wahrscheinlich die späteren Hebräer kamen. Die Semiten erreichten nie eine eigene Kultur, (es sei denn, die große maurisch-islamische Kultur des 8. bis 13. Jahrhunderts kann als semitisch betrachtet werden.). Die heutigen Wüstenaraber entsprechen genau dem alten semitischen Vorbild umherstreifender Halbwilder. Die mohammedanischen Araber verehren heute noch die alte Göttin des semitischen Arabiens in Form eines schwarzen Steines, der in der Kaaba von Mekka als Heiligtum aufbewahrt wird. »Bis zum heutigen Tag,« schreibt Reik, »kommen die Pilger nach Mekka, um das alte Bildnis der Großen Arabischen Göttin zu küssen.«[27]
Die Hebräer nahmen ein bißchen Kultur bei ihrem langen Aufenthalt im zivilisierten Ägypten auf; und später waren sie schlau genug, die Kultur Kanaans zu übernehmen, aber zu ihr, die bereits bestand, haben sie nichts beigetragen. (28) Die Babylonische Gefangenschaft war ein weiterer zivilisierender Abschnitt im Leben der Hebräer, und in dieser Zeit, dem 6. Jahrhundert v. Chr., wurde das Alte Testament, auf sumerischbabylonische Geschichte oder Sage gründend, erdacht und teilweise aufgeschrieben, jedoch nicht ohne gewaltige Verdrehungen und Verballhornungen.
Doch es waren diese kulturlosen und halb zivilisierten Menschen, die zuerst die Kultur im alten Osten zerstört haben, indem sie die Stadt-Staaten vernichteten und dann die alte Göttin absetzten und männlichen Ehrgeiz in der Gestalt von Jahwe einführten. »Von Geschichtsforschern wurde seit langem behauptet und bewiesen, daß die hebräischen Stämme wie ihre Nachbarn (...) eine Göttin (...) verehrten, und daß nur die strenge Herrschaft des Jahwismus den alten Kult unterdrückte, von dem im Alten Testament immer noch Spuren vorhanden sind«, schreibt Reik.[29]
Während ihrer Gefangenschaft in Babylon hörten die Juden die Sage von Tiamat und den Schöpfungsbericht, wie er in der Enuma Elisch stand. In der ältesten hochentwickelten Kultur, die bisher entdeckt wurde, in der sumerischen, ist die Schöpferin des Universums Tiamat, die später zu Ishtar wurde. Die Juden entschlossen sich, diesen Mythos in ihre eigene Literatur aufzunehmen, mit dem einen Unterschied jedoch, daß Tiamat einen Gott und ihre eigene alte Göttin Jahu, oder 'Anat, vollständig beseitigt werden mußte.
Und so begannen die jüdischen Priester bei ihrer Rückkehr aus Babylon die alten Wahrheiten zu verfälschen. Sie nahmen Zeilen der Enuma Elisch: »Am Anfang brachte Tiamat Himmel und Erde hervor (...). Tiamat, die Mutter der Götter, die Schöpferin von allem«,[30] überarbeiteten sie entsprechend ihrer patriarchalen Auffassung und brachten folgendes heraus: »Am Anfang schuf Gott die Himmel und die Erde«, usw., eine enge Anlehnung zwar an den ursprünglichen Bericht, jedoch wie ungeheuer verschieden.
»Die ersten vier Kapitel der Schöpfungsgeschichte,« schreibt Graves, »sind ein sehr spätes literarisches Produkt.« [31] Die Schöpfungslegende mit der Geschichte von Adam und Eva »wurde erst gegen Ende des 5. Jahrhunderts v. Chr. von einem Priester in Jerusalem verfaßt, nachdem er aus dem Exil zurückgekehrt war, und geht teilweise auf einen etwas früher entstandenen Bericht zurück, der von einem jüdischen Propheten niedergeschrieben worden war,« wobei sowohl der Priester wie der Prophet von der Enuma Elisch abgeschrieben haben. Diese beiden unterschiedlichen Berichte wurden in das endgültige Buch der Schöpfungsgeschichte aufgenommen, was zu allgemeiner Verwirrung führte. In der einen Geschichte von der Erschaffung Evas wurde sie zur gleichen Zeit wie Adam erschaffen.- »Er erschuf Mann und Frau.« In der späteren Geschichte erschafft Gott Adam, dann die Tiere und am Ende, auf einen weiteren Einfall hin, macht er die Frau aus Adams Rippe!
Adam und Eva
»Eine Geschichte wie der Bericht in der Genesis von Evas Erschaffung aus der Rippe Adams, ist in ihrer Wunderlichkeit Teil einer grotesken Phantasie, eine monotheistische Maskerade,« schreibt Reik.[32] Die ursprüngliche Bedeutung des Mythos von Adam und Eva wurde völlig verkehrt; Eva wurde nicht aus Adams Rippe geboren, sondern Adam aus Evas. »Die Überlieferung, daß Adam Eva geboren hat, ist eine Umkehrung der ursprünglichen Fassung, nach der Adam aus der (...) großen Erdgöttin geboren wurde.«[33]
»Wenn man das Alte Testament liest, muß man bedenken, daß die Juden, als sie sich entschlossen, ihre eigene alte Göttinnenreligion nicht mehr anzuerkennen und einen männlichen Monotheismus anzunehmen, alle die Göttin betreffenden volkstümlichen Mythen neu fassen mußten, was keine leichte Aufgabe war.«[34]
Alle Schöpfungsmythen, einschließlich des ursprünglichen hebräischen, weisen die früheste soziale Stufe nach, »die uneingeschränkten Matriarchate«,[35] in denen eine Göttin den Schöpfungsakt vollzieht. Jahwe selbst war von der Göttin 'Anat, der Mutter allen Lebens, geschaffen worden, und das war Eva (hebräisch Hawwah, »Mutter aller Arten«). Eva schuf dann Adam, und er wurde ihr Gemahl, genauso wie in allen früheren Religionen die Göttin ihren Sohn zur Herrschaft erhob und er dann mit ihrer Zustimmung regierte. So stand Adam zu Eva im selben Verhältnis wie Marduk zu seiner Mutter Tiamat.[36]
Dies stimmt mit allen anderen Schöpfungsmythen überein, in denen die Göttin einen Sohn gebiert, der dann später ihr Gatte wird, wie bei den Mythen von Marduk, Zeus, Tammuz, Osiris, Attis, Adonis, Poseidon und vielen anderen. Selbst im eigentlichen christlichen Mythos wird dieses Motiv getreulich fortgesetzt, indem Maria Jesus gebiert, der sowohl Gott der Vater als auch der Heilige Geist ist, mit anderen Worten: Maria heiratet den Gott, bevor sie ihn erschafft.
Das Paradies in der Schöpfungsgeschichte stellt das verlorene Goldene Zeitalter der Großen Göttin Eva dar. »Jehova gab es im ursprünglichen Mythos nicht. Die Mutter allen Lebens (Eva) ist es, die (Adam erschafft und dann) ihn aus den fruchtbaren Gebieten vertreibt, weil er einige ihrer Vorrechte an sich gerissen hat.«[37]
»Eva macht Dreiviertel des Wesens Gottes aus«, schreibt Schure, »denn der Name Gottes ist zusammengesetzt aus der Vorsilbe Jod (j) und dem Wort Eva. Einmal im Jahr sprach der Hohepriester den heiligen Namen aus, indem er ihn buchstabierte: Jod, he, vau, he.«[38] Das »E-Vo-E« der Bacchantinnen und der Ruf der Mänaden könnten eine Echo dieses alten Eva-Kultes sein, der ungezählte Jahrtausende vor Jahwe bestanden hat. »Die Geschichte von der Erschaffung Evas aus Adams Rippe ist in ihrer Pervertierung nur noch mit dem nach Homer entstandenen Mythos von der Geburt Athenes aus dem Kopf des Zeus vergleichbar (...). Eine Groteske, die Harrison als den verzweifelten theologischen Versuch bezeichnet, Athene ihrer matriarchalen Stellung zu berauben«[39] und sie aus ihrer uralten Position als Haupt der Unsterblichen und Schöpferin des griechischen Volkes zu vertreiben. »Alle Mythen besagen, daß das Weibliche, nicht das Männliche, Spenderin allen Lebens ist.«[40]
In der Bibel ist »der natürliche Lauf der Dinge, daß Frauen Männer gebären, ins Gegenteil verkehrt,« schreibt Erich Fromm. »Eva wird aus Adams Rippe geboren. (...) Gott erschafft die Welt. Die Schöpfungskräfte der Frauen sind nicht notwendig. Doch die beabsichtigte Beseitigung aller matriarchalen Erinnerungen ist unvollständig.«[41] Trotz der in der Geschichte enthaltenen frauenverachtenden Absicht »sehen wir in Eva die Frau, die dem Mann überlegen ist. Sie ergreift die Initiative und fragt Adam vorher nicht um Rat.«[42] Obendrein übernimmt sie großzügig die Verantwortung für die Schwäche ihres Mannes und erweist sich als die Stärkere der beiden, im Gegensatz zur Absicht des Mythos, der die Frau herabwürdigen und sie z« °;ner hinterhältigen Unruhestifterin machen soll. Es ist interessant, daß nach der Legende der Juden Eva in reiferen Jahren gesagt haben soll: »Ich versprach ihm, daß ich ihn vor Gott schützen würde. Und so gab er mir die Schuld, als wir aus dem Garten Eden vertrieben wurden,«[43] was mit Sicherheit auf die Erwartung an die Frau hinweist, die Beschützerin zu sein - die Stärkere der beiden und das Bindeglied zu Gott.
Die in der hebräischen Geschichte von Adam und Eva festzustellende Verdrehung bezweckte zweierlei: erstens sollte die Tradition eines weiblichen Schöpfers und zweitens die ursprüngliche Überlegenheit des weiblichen Geschlechts geleugnet werden. Es ist bezeichnend, daß sich nur die Juden bemühten, die weibliche Schöpfung zu leugnen. Selbst nachdem das Patriarchat die Überlieferung von der weiblichen Überlegenheit erfolgreich unterdrückt hatte, hielt sich der Glaube an die Schöpferin immer noch in der ganzen Welt. In Griechenland, Rom, Ägypten, Syrien und sogar Indien wurde die Schöpfung der Welt und der Menschen bis tief ins christliche Zeitalter hinein weiterhin der Großen Göttin in Form der Rhea, Bona Dea, Isis, Tiamat und Devaki zugeschrieben.
Die »jüdische Kultur, so wie sie sich im Alten Testament ausdrückt, ist ausgesprochen patriarchalisch«, schreibt Karen Horney.« Nur wenn wir uns dieser Tatsache bewußt sind, können wir die männliche Bevorzugung in der Geschichte von Adam und Eva erkennen.« Zuallererst, fährt Horney fort, wird der Frau die Fähigkeit zu gebären abgestritten und dann herabgesetzt. Danach erscheint Eva, indem sie Adam versucht, als die sexuelle Verführerin, die den Mann ins Unheil stürzt. »Ich glaube, daß diese zwei Elemente, von denen das erste aus (des Mannes) Groll und das zweite aus (seiner) Angst entstanden ist, die Beziehungen zwischen den Geschlechtern seit frühesten Zeiten geschädigt haben.«[44]
Daß die Geschichte gerade zu einem solchen Zweck erfunden worden ist, läßt sich kaum abstreiten. Angeregt von der »patriarchalen Bosheit«, wie es Jane Harrison nennt,[45] hat der grausame Mythos von Evas Schuld seinen Zweck erreicht. Die christliche Kirche bediente sich seiner zwei Jahrtausende lang, um die Frauen zu züchtigen, und diese nahmen ihn ihrerseits als Beweis für ihre Unwürdigkeit. Dieser ungeheure Betrug wurde von Männern mit der klaren Absicht begangen, die Frauen in eine unterwürfige, bußfertige, schuldbeladene Position zu versetzen.
Es ist Zeit, daß die Kirche die Frauen von Evas »Sünde« losspricht, wie sie auch die Juden von ihrem »Verbrechen« freigesprochen hat. Beide Fälle waren bewußte Lügen der Kirche, um ihre eigenen Ziele zu erreichen: einmal, um die Frauen unterdrückt zu halten, und zweitens, um den frühen Christen, die keine sein wollten, einen Sündenbock zu geben, an dem sie ihre Wut gegen die Kirche auslassen konnten.
Zeus und Athene
Genauso wie die Juden Palästinas ihre alte Göttin von der Trägerin und Spenderin des Lebens zu einer reinen Empfängerin umgewandelt haben, die aus einem Knochen des Mannes geboren wurde, so haben auch die Dorier die Rolle der alten frühgriechischen Schöpfergöttin Athene verändert. Im vorhellenischen Mythos ebenso wie in den Erinnerungen von Hesiod und Piaton hatte Athene das Volk der Griechen aus Hellen, dem Sohn (ursprünglich der Tochter) des ersten Paares Pyrrha und Deukalion geschaffen. Aus den vier Söhnen Hellens, Ion, Achäos, Äolos und Doros, waren die vier Stämme der historischen Griechen entsprungen: die Ionier, Äolier, Dorier und Achäer.
Athene blieb die oberste Gottheit der drei älteren Stämme, bis die Dorier, die Jüngsten und am wenigsten Kultivierten der Familie, am Anfang des ersten Jahrtausend v. Chr. in Griechenland einfielen. Irgendwo auf ihrer zwei tausendjährigen Wanderung durch die wilden Gegenden Europas hatten sie eine Gottesreligion kennengelernt und Zeus als ihre Gottheit angenommen. Nachdem sie ihre älteren Brüder unterworfen hatten, suchten sie diesen ihren neuen Gott aufzudrängen, wobei sie die Große Göttin in den Gestalten der Themis (Gerechtigkeit), Metis (Verstand), Hera (Mut) und Athene (Weisheit) beseitigen mußten. Die Dorier verheirateten deshalb die ersten drei Göttinnen mit Zeus, wodurch diese auf zweitrangige Rollen als bloße Gattinnen des neuen Gottes verwiesen wurden. Doch bei Athene war das Problem schwieriger. Sie war die ewige heilige Jungfrau, und ihre Verehrer hätten es nicht zugelassen, daß sie eine Frau des Zeus würde. Und so entschieden die Dorier, daß sie seine Tochter werden mußte. Also begattete er seine Frau Metis. Als er vom Delphischen Orakel gewarnt wurde, daß das Kind in Metis' Bauch ihm die Welt entreißen würde (daß die Göttin den Gott entthronen würde), verschlang er Metis.
Metis blieb in Zeus' Bauch und »gab ihm Wissen«,[46] während das Kind Athene, das darauf bestand, auch notfalls aus einem Bauch in einem Bauch geboren zu werden, aus dem Kopf ihres Vaters entsprang. Dieses Wunder, das genauso absurd ist wie die Geburt Evas aus Adams Rippe, spiegelt das Bemühen einer patriarchalen Gesellschaft wider, die Bedeutung der Frauen selbst auf dem Gebiet der Fortpflanzung herabzusetzen. »Der unverschämte Mythos von Athenes Geburt aus dem Kopf des Zeus spricht lediglich von der übermäßigen Betonung einer neuen patriarchalen gesellschaftlichen Struktur,« schreibt Harrison.[47]
Trotz Zeus' Vorsichtsmaßnahmen blieb Athene die erste Gottheit Athens, und die ionischen Griechen verehrten sie stets mit größerer Zuneigung und Liebe als Zeus.[48]
In der orphischen Religion war Metis die Schöpferin des Alls. Sie hatte Zeus geboren, der wie Christus seit Anbeginn der Zeit existierte. Als Zeus seine Frau und Mutter Metis verschlang, zerstörte er die Welt der »Menschen, die nicht von unserer Art sind«, die Menschen des Goldenen und Silbernen Zeitalters, und erschuf die Welt von neuem mit Metis' Verstand, »da er den Körper aller Dinge in der Höhle seines Bauches hatte«.[49] Zeus' neue Welt war eine Männerwelt. Nach dem Triumph über seine Mutter wurde diese zu Phanes: Sie war nicht mehr ausschließlich weiblich, sondern »von beiden Geschlechtern«, und nach und nach überwog ihr männliches Wesen.[50]
In dieser Beziehung war Orpheus der Hl. Paulus des Altertums: ein Misogynist: »der Feind des gesamten weiblichen Geschlechtes«. [51] Seine Frauenfeindlichkeit rührte daher, daß ihn Eurydike zurückgewiesen hatte, wie auch Paulus' Abneigung gegenüber den Frauen durch die Zurückweisung seitens der Tochter eines Rabbis entstanden sein soll. Nach Konon, der im ersten Jahrhundert unserer Zeit schrieb, war es Eurydikes hochmütiges Verhalten, daß sie sich nämlich entschloß, getrennt von ihm in ihrer Unterwelt zu leben, das Orpheus in einen Frauenhasser verwandelte. Wie Paulus nach ihm, schloß er die Frauen von der Teilnahme an seiner neuen männlichen Religion aus, »und aus diesem Grund«, sagt Konon, »griffen die über diese Zurücksetzung erzürnten Frauen nach Waffen, erschlugen die Männer, die sie zu überwältigen suchten, rissen Orpheus jedes einzelne Glied aus und warfen die zerstückelten Reste ins Meer«.[52]
Die Zeusverehrung war nach Auffassung der thrakischen Frauen aber nicht Orpheus' größtes Verbrechen. Nach A.J. Symonds [53] war er ein eifriger Verfechter der männlichen Liebe und der erste, der die dorische Gewohnheit der Knabenliebe förderte, die später im klassischen Griechenland die anerkannte Form der Liebe wurde.
Symonds schreibt, daß die griechische Knabenliebe ein Brauch war, den die Dorier bei ihrem Einfall mitgebracht hatten. Er meint, er sei in vorgeschichtlicher Zeit im zentralen Südeuropa entstanden, als die Dorier eine Horde jener plündernder Wilden waren, jener erwachsenen Männer, die aus den matriarchalen Stämmen verstoßen und dazu verdammt waren, heimat- und frauenlos durch die Wälder Ureuropas zu wandern.[54]
Da Homer nirgendwo auf Homosexualität hinweist, müssen wir folgern, daß unter den vordorischen Griechen, von denen Homer mit solcher Glaubwürdigkeit schreibt, die Knabenliebe nicht üblich war. Piaton berichtet von den Ioniern seiner eigenen Zeit, daß sie die »Knabenliebe als Schande ansahen«, was den homosexuellen Piaton sehr wunderte. In Homers Schilderung der Freundschaft zwischen Achilles und Patroklus findet sich kein Hinweis auf körperliche Zuneigung. Doch die späteren Griechen sollten die Liebe des Achilles zu Patroklus dazu benutzen, ihre offene Knabenliebe, die später »Griechische Liebe« genannt wurde, zu rechtfertigen, ja sogar von der Religion her zu billigen.
Als die große kretische Kultur nach dem dunklen Zeitalter, das der dorischen Invasion gefolgt war, in Athen wieder auflebte, war sie sehr stark dorisch geprägt, was sich vor allem in der neuen Haltung gegenüber den Frauen ausdrückte. Verschwunden war die Große Göttin der Minoer und Mykener, und verschwunden war die weibliche Vorherrschaft. Im hellenischen Griechenland wurde die Knabenliebe zum Ideal romantischer Liebe. »Das neue Patriarchat verwandelte die griechische Gesellschaft in ein Spiel, dem man ohne Frauen nachgehen konnte«, und wie in Indien Rama die einst herrschenden Frauen an den Herd verwies, so wurde in Griechenland »die bisher geistig überlegene griechische Frau zu einer unbezahlten Arbeiterin und Kindsgebärerin überall dort herabgewürdigt, wo Zeus die herrschende Gottheit war«.[55]
Als die Römer Griechenland eroberten, übernahmen sie, soweit sie nur konnten, die griechische Kultur, aber sie setzten die Griechische Liebe nicht als rechtsmäßige Einrichtung fort, wie es die Athener getan hatten. Trotzdem ist nicht zu leugnen, daß in den letzten Tagen der Republik und während des Kaiserreiches Homosexualität öffentlich geübt wurde.[56]
Die frühen christlichen Kirchenväter waren über das Vorherrschen der Knabenliebe im Römischen Reich fast genauso entsetzt wie über die Freiheit und Würde der römischen Frauen. Aber die Kirche war bei der Beseitigung der Päderastie weitaus nicht so erfolgreich wie bei der Entwürdigung der Frauen.
»Nichts ist alltäglicher bei den Mönchen und Pfaffen als die Päderastie,« schrieb Robert Burton im frühen 17. Jahrhundert. »In jedem von ihnen (den englischen Klöstern) war die Zahl der Jeunesse doree, der Lustknaben und Jüngelchen, der Päderasten, Homosexuellen und Ganymeds, usw. so groß, daß es ein neues Gomorra hätte schaffen können.« [57]