Die Vorurteile bestehen fort

Im allgemeinen benutzen die Männer ihre Vernunft dazu,
ihre überkommenen Vorurteile gegen die Frauen zu rechtfertigen,
anstatt sie zu erkennen und auszurotten.
Mary Wollstonecraft

Einige männliche Mythen über die Frauen

Der überkommene Glaube an die Unterlegenheit der Frauen ist eine Lehre, die in den letzten paar Jahrhunderten von Gesetz, Religion, Staat und Erziehung gemeinsam so nachdrücklich vertreten wurde, daß ihre Widerlegung durch Geschichte, Archäologie, Anthropologie und Psychologie ohne außerordentliche Maßnahmen seitens der Behörden kaum möglich sein wird.
1965 erklärte Präsident John F. Kennedys Ausschuß über die Stellung der Frauen: »Das Ausmaß der negativen Haltung unter den Männern bezüglich der Fähigkeit der Frauen verdeutlicht die Notwendigkeit, die Ursachen solcher Haltungen und Ansichten zu untersuchen und positive Maßnahmen zu ergreifen, um das Vorurteil dort abzubauen, wo es besteht.«[1]
Doch erst müssen wir versuchen, die vielen Mythen und Lügen darzulegen, die sich die Männer ausgedacht haben, um ihre Unterdrückung der Frauen zu rechtfertigen.
»Was das Wesen der Frau angeht, so haben die Männer ganz bestimmte Theorien: Von Natur aus sei sie schwach und gefühlsbestimmt, wolle abhängig sein, sei begrenzt in ihrer Fähigkeit zu arbeiten und sogar masochistisch.«[2]
Die Männer rechtfertigen ihre Mißhandlung der Frauen mit der Selbsttäuschung, diese seien im allgemeinen mit ihrer Stellung zufrieden und nur einige wenige unnatürliche fühlten sich »in der modernen Gesellschaft beraubt und gefangen«. »Daher äußert sich nur ein kleiner Kreis von Frauen zu diesem Thema, die wahrlich nicht typisch sind«, meint Odenwald.[3] Schwer zu sagen, wie der gute Doktor dazu kommt, typisches und untypisches bei Frauen zu unterscheiden. Doch es ist, wie Bertrand Russell bemerkt, wohlbekannt, daß »Frauen, solange sie unterworfen sind, es nicht wagen, ihre Gefühle offen zu zeigen, sondern nur jene, die dem Manne angenehm sind«.[4] Vor allem dann, wenn die befragende Person männlich ist; und es läßt sich schwer vorstellen, daß irgendeine Frau bereit wäre, einem Mann wie Dr. Odenwald eine aufrichtige Antwort zu geben.

Der Mythos vom Masochismus

Die Männer wollen, daß sich die Frauen in ihrer Unterwerfung ruhig verhalten, und ob sie glücklich sind oder nicht, hat nicht viel zu bedeuten. Doch die Männer glauben tatsächlich, daß es den Frauen gefällt, mißbraucht zu werden, daß sie von Natur aus masochistisch sind. Freud verewigte diesen Mythos, um damit seine eigene sadistische Behandlung seiner lange leidenden Frau zu rechtfertigen. Von zarter besaiteten Männern, die in ihrem Unterbewußtsein von der Grausamkeit gegen die Frauen beunruhigt waren, wurde der Mythos dankbar aufgenommen und vertreten. Zu glauben, daß die Frauen »es lieben«, erleichtert die Schwere der Schuld.
Daher rühren also solch alberne Bemerkungen wie von Havelock Ellis »Die Frauen ergötzen sich an körperlichem Schmerz, wenn er ihnen von einem Liebhaber zugefügt wird«,[5] oder die von Edward Westermarck »Die meisten Frauen genießen männliche Gewalt, auch wenn sie gegen sie selbst gerichtet ist«[6] oder die zur Zeit im Fernsehen gezeigte abstoßende Werbung für ein männliches Schönheitsmittel: »Ich liebe Männer, selbst wenn sie unfreundlich zu mir sind!«
Die Männer, nicht die Frauen, haben den Kult der brutalen Männlichkeit gefördert. Und weil sie Muskeln und Körperkraft bewundern, nehmen sie an, das gelte auch für Frauen. Doch das ist offensichtlich eine falsche Vorstellung. Eine Meinungsumfrage nach der anderen unter Mädchen und Frauen ergibt, daß sie sanfte und kluge Männer muskelstarken und männlichen vorziehen.
Frauen scheinen zu wissen, daß »vollkommene Männlichkeit kaum von Dummheit zu unterscheiden ist«, wie H.L. Mencken bemerkt.[7]
Die Verehrung von Muskelprotzen ist eine männliche, nicht eine  weibliche  Schwäche.  Bilder von einem »Mr. Atlas« oder »Mr. Universum« schmücken fast ausnahmslos die Stuben von Männern oder Jungen. Die normale Frau findet sie abstoßend. Den harten Kinohelden, den angeblich die Frauen ins Herz schließen, schauen sich meistens männliche Besucher an. Die Vorstellung, daß Frauen von aggressiver und übertriebener Männlichkeit angezogen werden, ist nur einer der Mythen, die sich im Bewußtsein der Männer und damit auch im sozialen Verhalten unausrottbar festgesetzt haben.
Die Männer bewundern die männliche Muskelkraft nicht nur um ihrer selbst willen, sondern weil sie ihnen die Herrschaft über die an Körperkraft schwächere Frau verleiht. Die Mehrheit der männlichen Ärzte empfiehlt die christliche oder »Missionars«stellung beim Geschlechtsverkehr, bei der der Mann obenauf liegt, weil ihrer Meinung nach hier »die Frau eingeschlossen und sein Gefangener ist und nicht entkommen kann«. Angeborener Sadismus des Mannes und angeborener Masochismus der Frau werden somit befriedigt.[8]
»Daß sich die Ehefrauen ihren Männern unterwarfen, war natürlich die Folge des instinktiven männlichen Wunsches, Macht auszuüben.«[9] Diese vor fast vierzig Jahren geäußerte Bemerkung soll nur verdeutlichen, wieviel wir im letzten halben Jahrhundert über die Vorgeschichte und frühe Gesellschaft gelernt haben. Denn das männliche Streben nach Macht ist in der menschlichen Entwicklung eine sehr späte Erscheinung, und weder männlicher Machtmißbrauch noch weibliche Unterwürfigkeit ist eine angeborene, geschlechtlich gebundene Eigenart. Beides war das Ergebnis einer zielbewußten Lehre im Abendland. Und der Lehrer, der mit Rute und Scheiterhaufen Gehorsam erzwang, war die christliche Kirche.

Der Sex-Mythos

An die Stelle der im 19. Jahrhundert fälschlicherweise vertretenen Auffassung, die Frau entbehre jeglicher sexueller Gefühle, tritt jetzt im 20. Jahrhundert der ältere, aber ebenso falsche Glaube an die zügellose Sexualität der Frau, die Meinung, jede Frau sei »in ihrem Innersten ein Wüstling«. »Die Mädchen werden meistenteils in all ihren häßlichen Künsten der Koketterie bestärkt und kommen mehr mit Eifer denn mit Abscheu den gräßlichen Gelüsten  und schrecklichen Begierden  der Männer nach.«[10] Hier zeigt sich beispielhaft der Wunsch als Vater des Gedankens. Denn die Vorstellung, daß die Frauen sexuell genauso begierlich seien wie die Männer, kann deren eigene übersteigerte Sexualität entschuldigen und ihre maßlosen sexuellen Wünsche rechtfertigen.
Es gehört zu den vielen Widersprüchen männlicher Logik, daß die meisten Männer glauben, die Frauen seien von ihnen in allen anderen Bereichen grundverschieden, ihnen aber in sexueller Hinsicht gleich. Doch das ist der einzige Bereich, in dem sich die Geschlechter tatsächlich unterscheiden. Die Männer denken die Frauen antworteten auf dieselben erotischen Reize wie sie; doch nichts ist verkehrter als dies.
Die weibliche Sexualität ist sehr eng mit Liebe und Zärtlichkeit verbunden, und sanfte Worte erregen viel eher ihre Wünsche als ein steifer Penis. Sein nackter Körper ist dem Mann bei der Unterwerfung seiner sexuellen Beute viel eher ein Hindernis als eine Hilfe, denn, so meint Reik, »die Frauen besitzen keine sexuelle Neugier für Männer«. »In der Sprache finden wir kein weibliches Wort für voyeur.«[11]
Simone de Beauvoir schreibt, daß normale Frauen mehr sinnlichen Genuß gewinnen, wenn sie den zarten, weichen Körper eines Kindes oder einer anderen Frau liebkosen, als wenn sie über den rauhen und eckigen Körper eines Mannes streichen. Denn »der ungeschlachte Mann mit seinen harten Muskeln, seiner rauhen und behaarten Haut (...) erscheint ihr nicht begehrenswert; er wirkt sogar abstoßend (...). Schlimmer noch, der Mann reitet sie, als würde er ein Tier durch Gebiß und Zügel unterwerfen. (...) Sie fühlt, sie ist nur ein Werkzeug: Einzig und allein der andere besitzt Freiheit.«[12]
Die weibliche Liebe ist stets mehr oder weniger mütterlich und nie, im Gegensatz zu der des Mannes, ausschließlich sexuell.
Die Frau kann auch nie völlige sexuelle Befriedigung erreichen ohne wenigstens die Illusion zu haben, von ihrem Partner wiedergeliebt zu werden, was für den Mann sicherlich nicht zutrifft, da es andernfalls keine Vergewaltigung gäbe.

»Hysterie« und ähnliche Mythen

Der Mythos  von  der geistigen Unterlegenheit der Frau ist durch statistische Beweise widerlegt worden; aber an die weibliche Schwachheit, Abhängigkeit, Gefühlsseligkeit und Furchtsamkeit wird in Amerika von der Mehrheit beider Geschlechter immer noch geglaubt.
In patriarchalen Zeiten haben die Männer den Frauen immer diese Wesenseigenschaften zugeschrieben. Als es sich nun herausstellte, daß solche Frauen selten oder überhaupt nicht vorhanden waren, galten die Beschreibungen unterschiedslos für alle. Alle Frauen waren daher von Natur aus als schwach, emotional, ängstlich und abhängig zu betrachten. Von der Frau, die sich zwar bei schönem Wetter wie ein Weinstock anklammern soll, erwartet der Mann jedoch seltsamerweise, daß sie bei Sturm plötzlich eine feste Eiche wird: Sie soll die Lasten tragen, des Mannes Haltung bewahren und die Festungen halten, die er verlassen hat. Der Mann ist nur Herr bei schönem Wetter und Sonnenschein.
Gefühlsseligkeit — Hysterie — halten die Männer für eine rein weibliche Wesensart. »Es ist« jedoch »heute allgemein bekannt, daß das Verhältnis zwischen Männern und Frauen, die an Hysterie oder an von dieser herrührenden Geisteskrankheiten leiden, sieben zu eins ist.«[13] Darüber hinaus kommen Geistesschwächen jeder Art bei Männern zweimal so häufig vor wie bei Frauen, Schizophrenie ist dreimal und die verschiedenen Krankheiten der Persönlichkeit, des Verhaltens und des Verstandes sind viermal so häufig.[14]
Trotzdem berichten die Zeitungen immer noch, daß die Frauen bei Notfällen »kreischen«. Leonard Woolf bemerkt, daß Frauen, ob sie nun kreischen oder nicht, sich in gefährlichen Lagen viel eher zum Handeln entschließen, während Männer in einen Zustand der Starre zu verfallen scheinen.[15] »Wenn alle Männer den Kopf verlieren,« schreibt Stendhal »dann ist der Augenblick gekommen, wo die Frauen ihre unbestreitbare Überlegenheit beweisen.«[16] Die Frau war auf zivilem Gebiet in die Kriege der letzten sechzig Jahre verwickelt und hat dabei ein für allemal den Mythos von ihrer Unzulänglichkeit bei Notfällen zerstört: »Die uralte Behauptung, die Frauen seien empfindlicher als die Männer, ist durch die beiden Weltkriege endgültig widerlegt worden. Sie haben Blockaden, Bombenangriffe und Konzentrationslager viel besser überstanden. Psychiatrische Fälle unter solchen Umständen waren überwiegend auf Männer beschränkt (...) (im Verhältnis 70:1). Im biologischen und im Gefühlsbereich sind die Frauen stärker als die Männer.«[17]
Mit der überlegenen Gefühlsstärke der Frauen geht eine größere natürliche Fähigkeit zum Heldenmut einher, wie man sie nur äußerst selten bei Männern findet. Das Wort »Heroe«, Held war schließlich ursprünglich weiblich — hera, was sprachwissenschaftlich belegt ist; [18] und die ursprünglichen Heroen der Menschheit waren »heras«, Heroinnen, was durch die Namen und Bezeichnungen alter Orte und sogar Kontinente zu Tage tritt. Herodot erklärt, daß Asien, Europa und Lybien (Afrika) in alten Zeiten nach großen Frauen benannt wurden.Lybien »nach einer Frau die dort lebte«, Europa nach Europa, der Vorfahrin der Kreter; Asien nach der Frau des dort ansässigen Prometheus.[19] All diese Frauen waren wahrscheinlich große Krieger-Königinnen — heras, Heroinnen — der Zeit, als Frauen dabei waren, die Menschheit einer wahren Kultur entgegenzuführen.
Die Zeitungen von heute sind voll von heldenhaften Taten von Frauen, das heißt, nur die ersten Ausgaben. Bei der zweiten wurde bereits der Name der Frau durch den eines Mannes ersetzt. Bei der Entstehung von Nachrichten und, wie Bachofen hervorhebt, auch von Mythen, tritt anstelle des Namens der Heldin ein männlicher, während ein männlicher Schurke einen weiblichen Namen erhält.[20] Oder, wenn der Name bleibt hat man die Tat der Heldin zu einem zwar glücklichen, aber doch grotesken Zufall herabgesetzt.
Kürzlich wurde über Florida ein Luftpirat von einer Stewardess entwaffnet. Die ersten Ausgaben der Zeitungen rechneten ausschließlich ihr diese mutige Tat als großes Verdienst an. Bei der zweiten Ausgabe jedoch wurde mit ihr bereits auch der Pilot rühmend erwähnt, während in den Wod?e»ausgaben der Held nur noch der Pilot war.
»Von heldenhaften Taten von Frauen ist in Büchern oder in Zeitschriften selten etwas zu lesen.«[21] Die mit Vorurteilen von weiblicher Furchtsamkeit behafteten männlichen Herausgeber schieben diese Geschichten beiseite, da sie nicht von Mut, sondern von irgend etwas anderem zeugten. Bei der Verleihung von Heldenmedaillen lassen männliche Richter Namen von Mädchen von vornherein außer acht und berücksichtigen nur solche von Jungen. Die Carnegie-Stiftung verleiht alljährlich Tapferkeitsauszeichnungen an Zivilpersonen, die sich durch selbstlosen Mut hervorgetan haben. Wenn man die Jahreslisten durchsieht, fällt einem sofort auf, daß die Namen von Männern oder Jungen bei weitem überwiegen. Das Übergewicht der männlichen Empfänger von Auszeichnungen entspricht  nicht dem überwiegenden Anteil von Frauen, die in den ersten Ausgaben der Lokalzeitungen als Heldinnen erscheinen.
Alles läuft darauf hinaus, daß in den Augen der männlichen Richter nur Jungen Helden sind, Mädchen hingegen nicht. Wenn ein Mädchen eine Heldentat vollbringt, so ist das eine Anomalie, eine groteske Geschichte. Man kann nur fragen: Wie oft muß sich eine Ausnahme wiederholen, bevor sie aufhört, eine solche zu sein? Odenwald gesteht in seinem wunderlichen, frauenfeindlichen Buch zu, daß »Frauen in der Vergangenheit auf Barrikaden gestanden und wörtlich wie bildlich ihre Männer auf ihren Rücken getragen haben.
In diesem Falle waren sich aber alle einig, daß sie Ausnahmen darstellten. Wenn sie sich jedoch heute allgemein so verhalten, so fragen immer mehr Leute.,Nun, warum eigentlich nicht?' Sie meinen damit, man sollte nicht so genau unterscheiden.«[22] Mit anderen Worten: Frauen haben nicht das Recht, tapfer zu sein. Das ist der Bereich des Mannes. Und sicherlich ist es der Gipfel der Unweiblichkeit, wenn Frauen in den Bereich des Mannes eindringen. Die Frauen müssen vortäuschen, Feiglinge zu sein, damit im Gegensatz dazu der Mann mutiger erscheint.
So sind die Männer von Odenwalds Schlag. Aber vielleicht zollen sie völlig unbewußt und unabsichtlich den Frauen Tribut, indem sie einschließen, daß mutig zu sein einem Mann schwerer fällt als einer Frau. Man muß sich damit abfinden, daß Frauen insgesamt gesehen tatsächlich mutiger sind als Männer, sowohl moralisch als auch körperlich. »Gelegentlich habe ich Frauen gesehen, die den tapfersten Mann übertrafen«, schreibt Stendhal.[23]
Männer sind tapfer, wenn das Auge der Kamera oder des befehlshabenden Offiziers auf ihnen ruht, wenn ihre Zukunft auf dem Spiel steht oder wenn es sehr wahrscheinlich ist, daß sie doch noch mit dem Leben davonkommen. Frauen sind instinktiv mutig. Denn zum Mut gehören Selbstvergessenheit, starkes Mitgefühl und eine hohe Wertschätzung des Lebens anderer, alles weibliche Tugenden, die bei Männern selten zu finden sind.
Es ist nicht allgemein bekannt, daß mit der Ehrenmedaille, die der Kongreß verleiht, bei ihrer Stiftung nach dem Bürgerkrieg auch Frauen ausgezeichnet werden konnten, und daß sie einer von ihnen, Dr. Mary Walker, wegen Heldenmuts während dieses Krieges zugesprochen wurde.
Mary Walker war Sanitätsoffizier in der Unions-Armee, und ein Abschnitt ihrer Erwähnung wegen Tapferkeit lautet folgendermaßen:  »Oft ging sie im Geschoßhagel hinaus, um Verwundete zu  retten, wenn sich kein männlicher  Arzt mehr traute aus Furcht, gefangengenommen zu werden.«[24] 1907 wurde ihr Orden bestätigt.  Doch  1917 beschloß ein neuer Kongreß, ihre Auszeichnung einzuziehen  und ihren Namen von der Liste der Helden zu streichen! Man entschuldigte sich damit, Dr. Walker sei ein Nichtkombattant gewesen und daß künftig nur noch tatsächliche Soldaten für den Orden in Betracht kämen. Doch viele andere Nichtkombattanten — männliche Ärzte, Sanitäter Chirurgen und Pfarrer — aus dem  Bürgerkrieg, dem SpanischAmerikanischen und aus dem Grenzkrieg mit Mexiko konnten ihre Medaille behalten. Als man diese Diskrepanz dem Kongreß vorhielt, war dessen Antwort, Dr. Walker sei eine Vertragsärztin gewesen, und Vertragsärzte könnten bei Ordensverleihungen nicht berücksichtigt werden. Doch, schreibt Joseph Schott, hat der Kongreß 1915 an John O. Skinner, einen Vertragsarzt, eine Medaille verliehen und diese nicht zurückgezogen.[25]
In Wahrheit wurde Dr. Walker wegen ihres Geschlechts und wegen ihrer Teilnahme an der  Frauenrechtsbewegung  diskriminiert. Diese Entscheidung des Kongresses, welche Gründe er  auch  immer dafür gehabt haben mag, legte jedoch ein für allemal  fest, daß die Ehrenmedaille nur noch an Männer verliehen werden konnte und daß sich Frauen gar nicht mehr um sie zu bewerben brauchten. Bis heute hat das auch keine getan. Keine einzige, nicht einmal eine jener außerordentlich tapferen Krankenschwestern von Corregidor, wurde zum Beispiel für die Medaille überhaupt nur vorgeschlagen. Doch männliche Ärzte, Sanitäter und Pfarrer werden  immer noch  damit geehrt. Erst vor kurzem erhielten zwei Pfarrer in Vietnam diesen Orden. Sie  waren  bestimmt  nicht  mehr  »Kombattanten«  als Mary Walker.
Dr. Walker wurde, wie vor ihr Hypatia und die Päpstin Johanna, von höchster Stelle für ihren Mut verleumdet, verspottet und verachtet. Und ebenso wie diese steinigte man sie tatsächlich, und zwar in den Straßen Washingtons, wegen ihrer »Anmaßung«, gegen die hinterhältige Aberkennung der Auszeichnung zu protestieren. Sie starb 1917, ein Opfer des männlichen Mythos von der Unfähigkeit der Frau, Heldentaten zu vollbringen.

Das Bild der Frau

Männer und Frauen stehen auf den entgegengesetzten Seiten eines Einwegfensters (wenn es gestattet ist, ein Bild von Ernest Bornemann zu übernehmen). Auf der Spiegelseite befindet sich der Mann und sieht nur sein eigenes sich brüstendes und gestikulierendes Selbst, ohne Kenntnis davon, daß etwas auf der anderen Seite ist. Auf der durchsichtigen Seite jedoch steht die Frau, und sie kann deutlich sehen, wie der Mann sich verhält. Sich selbst aber kann sie nicht wahrnehmen.
Es ist deshalb vielleicht nicht sehr verwunderlich, mit welcher Langmut und mit wie wenig Bitterkeit die Frauen ihr Bild betrachten, wie es täglich und stündlich in allen Kommunikationsmitteln von den Zeitungen bis zum Fernsehen entstellt dargeboten wird. Bemerkenswert ist jedoch die Empfindungslosigkeit der Männer, die dieses Bild schaffen und verbreiten, »ein Bild, das die Verachtung für die Frauen von Seiten der Gesellschaft und die weibliche Selbstverachtung verewigen«.[26] Der mangelnden Rücksichtnahme auf Gefühl und Würde der Hälfte der amerikanischen Öffentlichkeit von Seiten der Männer des Rundfunks, der Schriftsteller, Unterhaltungsstars und Zeitungsleute kommt nur die unfaßliche Gefühllosigkeit von Erwachsenen gleich, die öffentlich und im Beisein kleiner Mädchen Eltern bedauern, wenn sie noch ein Mädchen bekommen haben, sie aber zu einem Jungen beglückwünschen.
»Das entstellte Bild der Frauen ist, so wie es heute überwiegend in den Massenmedien dargestellt wird«[27] beleidigend und entwürdigend, ob nun absichtlich oder nicht. Virginia Knauer, die Beraterin des Präsidenten in Verbraucherangelegenheiten, wurde kürzlich bei einem Fernsehinterview als »eine 55 Jahre alte Großmutter« vorgestellt und dann vom männlichen Berichterstatter gefragt, »ob irgend jemand im Weißen Haus auf sie höre«! Man denke nur, an Stelle Virginia Knauers hätte Henry Kissinger oder irgendein anderer männlicher Berater gestanden. Hätte man auch ihn als 5 5-jährigen Großvater vorgestellt und dann rüde gefragt, ob irgendjemand im Weißen Haus auf ihn höre? Warum ist die Großelternschaft nur bei Frauen mitteilenswert und interessant? Und warum glauben männliche Berichterstatter, weibliche Beamte mit weniger Achtung behandeln zu können? Als Betty Furness die erste Beraterin in Verbraucherangelegenheiten  wurde,  tat  der   Nachrichtenkommentator diese Ernennung als >Fensterdekoration< ab. Warum?
Offensichtlich läuft jede Frau, die sich einem männlichen Reporter zu einem Interview stellt, Gefahr, daß man sie würdelos behandelt, wenn man nicht gar ihre Beweggründe anzweifelt. Selbst die Senatorin Margaret Smith kann sich den gönnerhaften Spötteleien, den versteckten Beleidigungen und der angedeuteten Verachtung einiger männlicher Interviewer nicht entziehen. Warum nennen sie sie z.B. fast immer nur ,»Mrs.« Smith, während alle männlichen Senatoren korrekt mit »Herr Senator« angesprochen werden?
Die Rundfunknachrichten lassen selten eine Gelegenheit aus, Frauen zu erniedrigen und zu demütigen, sei es nun ein weiblicher Jockey oder eine hochgestellte ausländische Besucherin. Sendungen des Werbefernsehens und Unterhaltungsprogramme übertreffen den Rundfunk sogar noch an Widerwärtigkeit. In Werbestreifen sind die Frauen ausnahmslos entweder Sexobjekte, oder sie beten den Sex eines sich herablassenden Mannes an. Die Ehefrau in solchen Sendungen ist, wie z.B. die »gute kleine Maxwell-Hausfrau«, stets ein kriecherischer, vom Ehemann beherrschter, hirnloser Trottel. Das Abscheulichste auf diesem Gebiet ist eine Werbung für ein Mittel gegen Körpergeruch: die verstörte kleine Frau, die doch nur ihrem Mann klarmachen will, daß er unter Körpergeruch leidet, lächelt albern, windet sich, kichert furchtsam und versichert winselnd: »Ich bin doch deine Frau. Ich liebe dich doch. Ich will dir doch nur helfen!« Hat sie Angst, daß er ausholt, um ihr eine runterzuhauen? Es scheint so. Aber vielleicht mildern Unterwürfigkeit, Erniedrigung und Entwürdigung den Schlag etwas.
In Unterhaltungssendungen und Fernsehfilmen ist die Frau dem Mann stets untergeordnet. Nie wird sie als ernstzunehmende Partnerin oder Brotverdienerin gezeigt. Das Fernsehen zielt darauf ab, die Frau herabzusetzen«.[26] Wer ein Fernsehskript verfaßt, muß zwar Albinos, Kretins und Mongoloide mit Achtung behandeln, nicht aber die amerikanische Frau. Ungestraft darf sie als stupide, habgierig, selbstsüchtig, unmenschlich, flatterhaft, unzuverlässig, unwissend, aufreizend und lächerlich dargestellt werden. Niemand begehrt dagegen auf. Man erwartet, daß die Frauen das wie brave Kerle hinnehmen — oder wie Außenseiter, deren Gefühle nicht maßgebend sind.
Frauen werden in den angeblich von der Zukunft handelnden Fortsetzungsserien, wenn überhaupt, dann nur als Gesinde gezeigt, das Sklavendienste für den alles bedeutenden Mann verrichtet. In der Reihe Im Weltraum verloren, die immer wieder von neuem gesendet und immer wieder von neuen Kindergenerationen angesehen wird, ist der mythische Unterschied zwischen Mädchen und jungen bis zur Lächerlichkeit übertrieben.
In Film und Fernsehen ist die Sekretärin die Dienerin ihres Chefs, die er braucht, um ihm Kaffee zu kochen, seine Pillen zu verabreichen, seine persönlichen Einkäufe zu erledigen, seine Kleider auszubürsten und sogar, um seine Krawatte glattzuziehen und ihm den Hut aufzusetzen. Dabei verehrt sie ihn unterwürfig und nimmt selbst die herablassendste und rücksichtsloseste Behandlung hin. Daß dies tatsächlich heute in Amerika die Aufgaben und Pflichten einer Sekretärin sind, und daß sie sogar dazu in den Handelsschulen erzogen wird, beweisen die enttäuschten britischen Sekretärinnen, die kürzlich unser Land verließen. Sie waren empört, daß sie für die maßgeblichen Herren gleichzeitig auch noch Dienerin und Kindermädchen spielen sollten.
Noch verheerender als das Bild einer idiotischen Dienerin wirkte sich auf die weibliche Selbstachtung und Würde die stereotype Darstellung der jungen Frau als »Sex-Mieze« oder »Betthäschen« aus, im Vergleich zum »Haustier« und »Spielzeug« des 19. Jahrhunderts eine noch weitere Degradierung. Die Männer glauben anscheinend, es gefällt den Frauen, wenn man sie als Sexobjekte betrachtet, daß sie es gern haben, wenn man ihnen zuzwinkert, nach ihnen grapscht und ihnen pfeift oder sie zwickt und tätschelt. Zu viele Frauen geben vor, sich geschmeichelt zu fühlen, wenn ein Lastwagenfahrer ihnen nachpfeift. Aber das ist, wie so viele Vorspiegelungen der Frauen, eine bewußte Lüge, um die zustimmende Aufmerksamkeit des allmächtigen Mannes auf sich zu ziehen, und es entspricht nicht den echten Empfindungen von neunzig Prozent der Mädchen oder Frauen.
Bereits vor rund 200 Jahren drückte Mary Wollstonecraft ähnliche Abscheu vor der Verzeichnung der Frauen als Sexobjekt aus: »Die verderbliche Absicht jener Bücher, deren Verfasser heimtückisch das (weibliche) Geschlecht herabwürdigen, während sie die persönlichen Reize der Frauen loben, kann nicht nachdrücklich genug angeprangert werden.«[29]
Bereits 1965 erkannte der Ausschuß des Präsidenten zur Untersuchung der Stellung der Frauen die schädlichen Auswirkungen solcher frauenfeindlichen Propaganda und empfahl, daß die Rundfunkund Fernsehanstalten »die gegenwärtigen stereotypen Darstellungen abändern« sollten, so daß sie mehr der Wirklichkeit entsprächen. Heute, sechs Jahre später, werden die Angriffe nicht nur fortgesetzt, sondern sogar noch verstärkt.
Man braucht sich nicht zu wundern, daß die durchschnittliche amerikanische Frau, der die Vergangenheit nicht vertraut und die nicht in der Lage ist zu erkennen, wie sehr der Mann seit alters her seinem krankhaften Zwang unterworfen ist, sie zu bestrafen, daß diese Frau ihr Abbild so übernimmt, wie man es ihr bietet. Sie schließt daraus, daß etwas Wahres daran sein muß und daß ihr zu Recht der Platz auf der untersten Stufe zukommt. »Es ist offensichtlich, daß diese männlichen Ideologien nicht nur bewirken sollen, daß sich die Frau mit ihrer untergeordneten Stellung abfindet, wenn man sie ihr als unabänderlich darstellt, sondern auch, daß in ihr die Überzeugung erweckt wird, diese Rolle sei (...) ein erstrebenswertes Ziel.«[30]
Die Männer haben durch erfolgreiche Gehirnwäsche den Glauben der Frauen an ihre eigene Unfähigkeit so gefestigt, daß bei einer kürzlichen Meinungsumfrage unter Collegemädchen die Mehrzahl von ihnen angab, die Männer seien in allen Berufen besser.[31] 1963 ermittelte ein Meinungsforschungsinstitut, daß zwar 58 % der Männer, aber nur 21 % der Frauen zum Präsidenten auch eine Frau wählen würden. 1968 schrieb Theodore Sorensen: »Frauen geben weiblichen Kandidaten nicht nur nicht den Vorzug, es ist sogar anzunehmen, daß sie sie für öffentliche Ämter ablehnen.«[32]
Dieser offensichtliche Mangel an Vertrauen in ihre eigenen Geschlechtsgenossinnen ist auf den Umstand zurückzuführen, daß sie dauernd den gängigen Fernsehdarstellungen über ihr Geschlecht und den Vorbehalten und dem mangelnden Respekt ausgesetzt sind, die prominenten Frauen von männlichen Kommentatoren und Journalisten entgegengebracht werden. Ihre antifeministische Haltung ist nicht aus ihrer Überzeugung heraus entstanden, sondern durch Indoktrinierung: zu Hause, in den Schulen, in der Kirche und in den Massenmedien bringt man ihnen immer noch bei, daß sie zum schwächeren Geschlecht gehören.
»Einige Frauen sind teils aus echter, von der männlichen Gesellschaft bestärkter Überzeugung, teils aus Opportunismus bereit, die sehr zweifelhafte Überlegenheit der Männer zu bestätigen«[33] schreibt Lolli. Und Montagu sagt: »Ich bin nicht  sicher,  daß alle  Frauen die Wahrheit (von der Unterlegenheit des männlichen Geschlechts) kennen. Es ist Zeit, daß sie sie erfahren (...) Offensichtlich besteht (hierüber) eine Verschwörung des Schweigens«, wobei Frauen gewöhnlich die ersten sind, die die männliche Überlegenheit verteidigen, weil sie vielleicht fühlen, »man sollte den Mann in seinem Wahn belassen, da es möglicherweise nicht gut für ihn wäre, die Wahrheit zu erfahren.«[34]
Aber die meisten Frauen bekümmern sich nicht so sehr um die Männer, wenn sie den gegenwärtigen Zustand verteidigen. Vielmehr bemühen sie sich in ergreifender Weise um Selbstachtung, Rechtfertigung und Selbstvergebung. Nach 1500 Jahren Unterdrückung ist es für die Frau beinahe unerträglich zu erfahren, daß sie von den ihr Unterlegenen getäuscht und versklavt worden ist, daß der Herr geringer ist als der Sklave. Es wäre ihr unerträglich, mit Sicherheit erkennen zu müssen und offen zuzugeben, daß die langen Jahrhunderte des Mißbrauchs, der Grausamkeit und der Verachtung, die sie unter ihren Herren erleiden mußte, das Ergebnis eines unnötigen Fehlurteils waren, zu erkennen, daß sie viel mehr Unheil erleiden mußte, als sie in jener Zeit dachte, da sie sich noch mit dem von der Kirche genährten Glauben tröstete, sie sei tatsächlich unterlegen, Gott habe sie aus der Rippe Adams geschaffen, um des Mannes Sklavin zu sein, daß ihre Knechtschaft vorherbestimmt, richtig, gerecht und Gottes Wille und vor allem unabänderlich sei.
Die angeborene Logik der Frau, ihr einzigartiges Gefühl für Ausgeglichenheit, Ordnung und Vernunft widersetzen sich der schrecklichen Erkenntnis, daß Gerechtigkeit ein leeres Wort gewesen und daß sie für nahezu zwei Jahrtausende gezwungen worden ist, falsche Götter anzubeten und sich vor deren leeren Heiligtümern hinzuwerfen.