Alles eindeutig Menschliche ist der Mann.
Die Männer bilden die Art.
Grant Allen
Eine besondere Art von Besitz
Nachdem sie es erreicht hatte, den Verstand der Frau zu versklaven und ihren Körper zu entwürdigen, ging die patriarchale Gesellschaft im 19. Jahrhundert daran, sogar das Selbstverständnis der Frau als menschliches Wesen zu vernichten. Im bisherigen Kampf hatte man sie berücksichtigt, wenn auch nur als gefährliches Element in der Gesellschaft. Doch jetzt wurde ihr schließlich jeglicher menschliche Wert ganz und gar aberkannt.
Wenn auch alle christlichen Jahrhunderte hindurch, einschließlich des frühen 18., die Frauen unbarmherzig verfolgt und zur .Spezialbehandlung grausam ausgesondert wurden, so konnten doch die glücklicheren unter ihnen noch an bestimmten überkommenen Vorrechten festhalten. Alte englische Aufzeichnungen weisen nach, daß es Frauen während des ganzen Mittelalters gestattet war, als Rechtsanwältinnen oder Ärztinnen zu praktizieren. Cäcilia von Oxford hielt man sogar für den hervorragendsten Arzt des 14. Jahrhunderts.
Selbst im finsteren und rückschrittlichen 17. Jahrhundert wurden nicht alle wirtschaftlichen Beiträge der Frauen mißachtet. »Frauen besaßen und leiteten tatsächlich Geschäfte, die eine beträchtliche Menge Geld erforderten«, schreibt Alice Clarke. »Nicht selten verliehen sie Geld. Häufig tauchen Frauennamen im Schiffshandel und in Verträgen auf.«[1] Doch diese weiblichen Unternehmen wurden von den mehr männlichen Elementen der Gesellschaft sehr beargwöhnt, und mit dem Ende des Jahrhunderts waren sie fast alle verschwunden. Sogar im 18. Jahrhundert besaßen jedoch noch viele Frauen in London ihre eigenen Geschäfte wie M.Dorothy George berichtet.[2]
Mit dem Fortschreiten des 18. Jahrhunderts verschwinden in den Urkunden Englands mehr und mehr die wirtschaftlich unabhängigen Frauen, und mit dem 19. Jahrhundert sind sie praktisch nicht mehr vorhanden. In den Vereinigten Staaten, wo selbst noch im 20. Jahrhundert die puritanische Perversion starken Einfluß ausübt, waren solche >Absonderlichkeiten< wie unabhängige Frauen stets außerordentlich selten.
Die Französische und die Amerikanische Revolution wurden gegen Ende des 18. Jahrhunderts im Namen der Freiheit und Gleichheit aller Menschen geführt und gewonnen, und in beiden Kriegen hatten viele tapfere und heldenhafte Frauen auf der Seite der Freiheit gekämpft. Doch als der Staub sich schließlich gelegt und die Sieger sich an den Verhandlungstischen niedergelassen hatten, um die neuen Herrschaftsformen festzulegen, fanden sich die Frauen ausgeschlossen. Keine von ihnen war bei der verfassungsgebenden Versammlung in Philadelphia dabei und keine beim ersten Kontinentalkongreß, und keine Frau durfte teilnehmen, als George Washington zum ersten Präsidenten der Vereinigten Staaten gewählt wurde. Das Schlimmste war, daß man die Frauen überhaupt nicht in die Verfassung mit eingeschlossen hatte und sie in der gefeierten Bill of Rights der persönlichen Freiheiten gar nicht erwähnt wurden. Obwohl die einflußreiche Abigail Adams ihren mächtigen Gatten immer wieder inständig bat, »an die Damen zu denken«, wurden die Damen ganz und gar vergessen. Trotz aller mutigen Unterstützung, die sie im Freiheitskampf geleistet hatten, waren sie immer noch einfach nur eine Habe.
Sie waren eine besondere Art von Eigentum, nicht ganz so wie Häuser oder Lasttiere, aber auch nicht ganz Menschen. Sie konnten an gerichtlichen Prozessen nicht teilnehmen, nicht als Zeugen aussagen, keine Verträge abschließen, kein Eigentum besitzen und weder Güter noch Land kaufen oder verkaufen.
»Alles eindeutig Menschliche ist der Mann!« verkündete im 19. Jahrhundert ein Sprecher für die Menschheit. »Die Männer bilden die Art. Die Frauen sind nur das Geschlecht, das dazu bestimmt ist, sie fortzupflanzen.«[3]
Nicht länger mehr wurde die Frau als gefährlich, bedrohlich oder verderbt angesehen, sondern man beachtete sie überhaupt nicht mehr. Sie gehörte der menschlichen Art nicht mehr an. Wenn sie Glück hatte, nahm sie in der Ordnung der Dinge den Platz eines Haustieres ein. Schon die Namen, die sie bei der Taufe erhielt, kennzeichneten sie als amüsantes und ergötzliches Spielzeug. Sie hieß jetzt Flossie, Kitty oder Mandy, so wie man früher nur Schoßhunde oder Kätzchen gerufen hatte. Aber was brauchte sie denn auch einen Namen?
Psychologen wissen heute, wie wichtig für jedes Kind sein Name ist. Wie muß auf das amerikanische Mädchen der letzten paar Generationen sein einziger, bedeutungsloser Rufname gewirkt haben! Sie mußte einfach bemerken, wie gründlich und bedächtig die Namen für seine Brüder ausgewählt wurden, Namen, von denen man erwartete, daß sie sie ihr ganzes Leben lang mit Stolz trügen. Ihr Name bestätigte sie nur in dem Glauben, daß sie in der Ordnung der Dinge ohne Bedeutung und für die Welt oder das Menschengeschlecht ohne Wert war, mit der Ausnahme, das Zuchttier für Männer zu sein.
Im Gegensatz zum alten Brauch wurde ein Mädchen schon von Kindheit an gelehrt und ermahnt, die Männer, einschließlich des eigenen jüngeren Bruders, als Geschöpfe einer höheren und heiligen Art zu verehren. »Bedenke stets«, fix Der Freund der jungen Dame, »daß Jungen von Natur aus klüger sind als du. Betrachte sie als vernünftige Wesen, die Zugang zu bestimmten Wissensquellen haben, von denen du ausgeschlossen bist, und versuche, allen nur möglichen Nutzen aus ihren besonderen Kenntnissen und Erfahrungen zu gewinnen.«[4] »Schwestern sollten immer gerne ihren Brüdern aufwarten und es als Vorrecht betrachten, sie begleiten zu dürfen (...). Wenn ihr einen Ball oder eine Party versäumt, um euren Brüdern zu Hause den Abend angenehm zu gestalten, so haltet das für ein kleines Opfer.«[5]
Diese frühe Erziehung zur Unterordnung unter alles Männliche sollte in dem kleinen Mädchen die erwünschte Haltung der Frau gegenüber ihrem zukünftigen Gatten entwickeln, eine Art Kniezuckungsunterwürfigkeit, ein Pawlovscher Reflex der Huldigung und Willfährigkeit allem gegenüber, was Hosen trug. Ihre Bestimmung war der Ehestand, und auf diese ehrenwerte Stellung wurde sie beinahe vom Tag ihrer Geburt an unerbittlich vorbereitet, außer auf sexuellem Gebiet. Die Frau des 19. und nahezu der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts hatte neben der Ehe keine weitere achtbare Möglichkeit. Ihr blieb nur übrig, entweder zu heiraten oder für einen Hungerlohn zu arbeiten, eine alte Jungfer zu werden oder eine Prostituierte. Es ist schwer zu entscheiden, was für sie das schlimmste Übel war. Für die Mehrheit der Frauen bedeutete .Arbeit' nur Sklaverei in einer Fabrik oder in einem Ausbeuterbetrieb. Frauen erhielten in den Schuhfabriken Neuenglands für 84 Stunden in der Woche ganze 60 Cents, weniger als einen Cent pro Stunde.[6]
Doch selbst diese jämmerlichen Löhne wurden nicht den Frauen ausbezahlt, sondern, wenn sie unverheiratet waren, ihren Vätern (ein empörend hoher Anteil dieser arbeitenden >Frauen< waren noch Kinder) oder andernfalls ihren Männern. Denn natürlich hatten diese gesetzlichen Anspruch auf jeden Pfennig, den ihre Frauen verdienten.
Hatte sie eine etwas höhere soziale Stellung, so bedeutete Arbeit für eine solche Frau, sich als Erzieherin.Jn einer vornehmen Familie zu verdingen oder den Kindern der Reichen Musik- oder Zeichenstunden zu geben. Aber diese Art der Unabhängigkeit brachte eine deutlicte Herabsetzung der gesellschaftlichen Stellung mit sich.
In der demokratischen, klassenlosen Gesellschaft der Vereinigten Staaten »würden die Damen sie (die Lehrerin) unter keinen Umständen als Gast in ihr Haus einladen, denn man hält sie für jBSBier niederen Schicht zugehörig, da sie versucht hat, sich durch Ausübung ihrer Fähigkeiten unabhängig zu machen«.[7]
Die männliche Gesellschaftsordnung achtete darauf, daß die Arbeit keinen Frauen Anreiz bot, die >ungewohnterweise< nach Freiheit strebten.
Die zweite Möglichkeit, die Prostitution, konnte man kaum als Wahl bezeichnen, da nahezu alle Frauen, die sie ausübten, sie nicht wählten, sondern in sie durch die grausame Rachsucht der Gesellschaft und des Gesetzes hineingestoßen wurden. Man gestattete zwar den Prostituierten, ihre Geschäfte zum Nutzen und Vergnügen der männlichen Bevölkerung zu betreiben, betrachtete sie jedoch als Geächtete. Nach Auffassung der Kirche hatten sie sich selbst exkommuniziert, weshalb sie nicht in geweihter Erde begraben werden durften. Nach dem bürgerlichen Gesetz besaßen sie kein einziges Recht. Die Männer konnten sie mißhandeln, berauben, schlagen und sogar ermorden, ohne bestraft zu werden. Kein Gesetz schützte sie, und ihren Peinigern drohte keine Strafe.
»Frauen, die sich der öffentlichen Prostitution hingegeben haben, sind so verderbt, daß sie vom Gesetz nicht geschützt werden können«, schrieb Montesquieu im vorhergehenden Jahrhundert.[8] Derselben unglaublichen Auffassung war man auch noch im ganzen 19. Jahrhundert. T.Bell wiederholte 1821 in einem Buch Montesquieus Ausspruch und stimmte ihm mit weiteren Ausführungen zu. Er versucht, seinen Lesern die >Gerechtigkeit< und >Logik< des unmenschlichen Verhaltens der Gesellschaft gegenüber den Prostituierten und >gefallenen Frauen< zu erläutern, und indem er Montesquieu anführt, erklärt er: »Uneheliche Kinder tragen nicht viel zur Fortentwicklung der Menschheit bei. Der Vater ist unbekannt, und die Mutter, die verpflichtet ist, das Kind aufzuziehen, begegnet tausend Hindernissen der Scham, der Reue, der Beschränkung ihres Geschlechts und der Strenge des Gesetzes. Daneben fehlen ihr meistens die Mittel.[9]
»Selbst Frauen, die nur leicht gesündigt haben, müssen in die Klasse der Prostituierten fallen«, fährt Dr. Bell mit Genugtuung fort. »Denn in der Welt umhergestoßen, nicht in der Lage, sich selbst zu versorgen, muß sie sich am Leben erhalten, indem sie ganz und gar ihren Anstand und ihre Sittsamkeit aufgibt.«[10] »Wenn der Ehemann der Verbrecher (der Ehebrecher) ist, so schadet das seinem Ruf oder seinem Glück wenig oder gar nicht. Ist aber die Ehefrau die Verbrecherin, so werden sie die Verfolgungen der Welt und ihre Unfähigkeit, sich selbst ehrenhaft zu versorgen, dazu zwingen, sich den Prostituierten anzuschließen. Sie wird zum Zeitvertreib der Gesellschaft, und ihre Kinder, der Mutterliebe beraubt, werden durch die Schande ihrer Mutter ebenfalls stark beeinträchtigt.«[11]
Und dann warnt Bell jeden liebenden oder mitleidvollen Gatten, daß alles nur schlechter wird, wenn er der sündigen Frau vergibt. Er würde dann »zum Gespött aller« werden, und der Einfluß der verderbten Mutter könnten den Schaden für seine Kinder nur noch vergrößern. Stört sie nicht, rät der gute Doktor, und laßt die elende Frau in der Gosse verhungern, wie sie es verdient hat!
Die Journalistin Anne Royall »wurde wie ein räudiger Hund umhergestoßen«, als sie gegen die grausame Ungerechtigkeit protestierte, daß man auf Abwege geratene Frauen entweder in die Prostitution oder in den Hungertod trieb. Als sie 1829 den U.S.Kongreß der »unchristlichen« Gefühllosigkeit gegenüber dem weiblichen Geschlecht beschuldigte, verurteilte sie diese erhabene Gesellschaft doch tatsächlich, im Anacostia-Fluß als »gemeines, böses Weib« getaucht zu werden.[12]
Anne Royall hatte das einzigartige Glück gehabt, mit einem Mann verheiratet gewesen zu sein, der der Meinung war, den Ehefrauen müßte erlaubt werden, das Geld ihres Gatten zu erben. Als er starb, übertrug er deshalb seiner Frau sein Vermögen, soweit es das Gesetz ermöglichte. In den wenigen Jahren, die dieses dazu brauchte, es ihren Händen zu entwinden und dem nächsten männlichen Verwandten ihres verstorbenen Gatten auszuhändigen, hatte sie ihr Vermögen gut genützt. Sie war gereist.
Die Lebensbedingungen, die sie auf ihren — ursprünglich zum Vergnügen unternommenen — Fahrten durch die neuen, jungen Vereinigten Staaten bei >arbeitenden< oder >gefallenen<Frauen vorfand, erschütterten sie tief. Sie schrieb Zeitungsartikel über ihre Reisen und es gelang ihr, über die entsetzlichen Bedingungen, unter denen die überwältigende Mehrzahl der Frauen und Kinder zu arbeiten gezwungen waren, Tatsachen einzuflechten, die der Aufmerksamkeit der Redakteure anfangs entgingen. Die Bezahlung der Sklavenarbeiter in den Fabriken — alles Frauen und Kinder — von einem Penny die Stunde, erregte ihre helle Wut. Aber die Berichte über diesen Mißbrauch fanden keinerlei Aufmerksamkeit. Auch über die Notlage der >gefallenen< Frauen, die den Hunger der Prostitution vorzogen, berichtete sie in ihren Artikeln, doch niemand schenkte dem Beachtung.
Nachdem man ihr das Geld abgenommen und sie so gezwungen hatte, ihre Reisen aufzugeben, zog sie in Washington in eine kleine Hütte, wo sie versuchte, sich mit ihrer Feder wenigstens ein dürftiges Auskommen zu verschaffen. Trotz ihrer Armut nahm sie >gefallene< Frauen auf und teilte mit ihnen das Wenige, das sie hatte. Das wurde schließlich bekannt. Man sperrte sie wegen Beherbergung liederlicher Personen ein! »Was hat unser Erlöser getan?«, fragte sie zu ihrer Verteidigung, und man ließ die Anklage fallen. Aber diese Erfahrung ließ sie nicht verstummen. Hartnäckig fuhr sie fort, ihr kleines Heim und ihre noch geringeren Mittel mit den verlassenen, heimatlosen Frauen zu teilen und über sie und die Sklavenarbeiter in den Ausbeuterbetrieben einen Bericht nach dem anderen zu schreiben. Von der unnachgiebigen Hartherzigkeit der Regierung und des Gesetzes gegenüber hilflosen Frauen und Kindern vollkommen ernüchtert, schwor sie schließlich dem Christentum öffentlich ab, mit der Begründung, daß »die guten Christen, die in Washington regieren, überhaupt keine Verbindung zwischen ihrer Religion und den ringsum bestehenden sozialen Zuständen erkennen«.
Für diese und ähnliche unweiblichen Worte verurteilte man Anne, öffentlich getaucht zu werden, und man ließ hierfür einen Tauchstuhl anfertigen. Im letzten Augenblick jedoch lenkte der Kongreß ein. Die Frau sei schon ziemlich alt, sie sei nicht größer als ein Kind und so »leicht wie eine Feder«. Man fürchtete, das kalte Wasser des Anacostia könnte sie töten und ihren Tod wollte man nicht auf sein Gewissen laden. Sie wurde freigelassen, aber das schreckliche Erlebnis hatte ihren Geist gebrochen. Bis zu ihrem Lebensende veröffentlichte sie nichts mehr in den Zeitungen. Bald war sie vom Volk und vom Kongreß vergessen, und das ganze 19. Jahrhundert über hörte man nichts mehr über sie. Doch seit 1960 werden wieder einige ihrer Bücher gedruckt.
Anne Royall hatte ihren >gefallenen< Schwestern nicht helfen können, und die strenge und unbarmherzige Haltung ihnen gegenüber setzte sich bis weit in unser Jahrhundert hinein fort. Der Geistliche Dr. R.J. Campbell fragte 1907: »Warum verfolgen wir eine Frau, wenn sie ihre Jungfräulichkeit hingibt? Warum diskriminieren wir nur die untreue Ehefrau}« Er folgert, daß die Unkeuschheit der Frau ein Eingriff in die männlichen Besitzrechte ist, weshalb »wir unsere Frauen mit so vielen Strafen und Qualen einschränken, daß, wenn eine sich vergeht, wir sie in die Prostitution jagen und uns dabei noch vormachen, dies sei sittlich gerechtfertigt und christlich (...). In Wirklichkeit ist es der gemeinste, schäbigste und selbstsüchtigste Plan, der von selbstsüchtigen Männern jemals ausgeheckt wurde, um ihr Eigentum, die Frau, weiterhin zu behalten. Er läßt der gewöhnlichen Frau nur eine Art Hobson'sche Wahl: achtbare oder schimpfliche Abhängigkeit vom männlichen Geschlecht.«[13]
Da sie durch »die Bosheit der patriarchalen Gesellschaft« tatsächlich von allen Möglichkeiten eines ehrbaren Daseins ausgeschlossen war, blieb der Frau des 19. und 20. Jahrhunderts, vom gesellschaftlichen Druck gezwungen, keine andere Wahl, als entweder ein unbezahltes Dienstmädchen im Hause irgendeines männlichen Verwandten zu bleiben oder den erstbesten Mann zu heiraten, der bereit war, sie zu unterstützen. Doch der Altjungfernstand war noch weniger verlockend als .Arbeit'. Wie die Prostituierte und die arbeitende Frau wurde die alte Jungfer der Sündenbock der Gesellschaft.
»Die Verachtung, mit der die nicht verheiratete Frau betrachtet worden ist, unterscheidet sich zwar von der, die man ihrer gefallenen Schwester entgegenbringt, doch ist sie deswegen nicht weniger wirklich«, bemerkt Campbell.[14] Während die Prostituierte abstoßend schmutzig war, war die alte Jungfer abstoßend lächerlich.
Am Anfang des Jahrhunderts hatte Jane Austen in ihrer Emma geschrieben: »Eine alleinstehende Frau mit schmalem Einkommen muß zu einer lächerlichen, widerwärtigen alten Jungfer werden, eine rechte Belustigung für Jungen und Mädchen. Doch eine unverheiratete Frau mit Vermögen ist stets angesehen, und sie kann so vernünftig und liebenswürdig sein wie sonst jemand.«[15]
Aber wie viele von den letztgenannten gab es im 19. und 20. Jahrhundert?
Diese unglücklichen Menschen bezeichnete man öffentlich als »überzählige Frauen«, und im Verlauf der Zeit wurden sie zu einem immer größeren Problem. Es gab Strömungen in der männlichen Gesellschaft, diese Frauen »in Institutionen einzuordnen, (...) wo ihre Tätigkeiten, Meinungen, und, falls sie eins besäßen, ihr Vermögen zum Wohle der ganzen Nation weise kontrolliert würden«.[16] Kurz gesagt, man wollte sie zu Verbrecherinnen abstempeln, wegen des Verbrechens, jene schreckliche Absonderlichkeit, jene niemand gehörende, nicht auf den Mann ausgerichtete Frau, ein aus seiner Bahn geworfener Satellit zu sein.
Der eine und einzig achtbare Beruf, den eine Frau ergreifen konnte, war die Ehe, und von Kindheit an wurde sie dazu erzogen, nach diesem gesegneten und ehrenvollen Stand zu streben. Ihre Jugend war ein ununterbrochener Wahnsinn verzweifelter und tödlicher Furcht, daß man sie .überginge' und daß sie gezwungen werde, das Leben bis zum Ende in schmachvoller Ehelosigkeit als überzählige Frau zubringen zu müssen. Und wenn sie das Glück hatte, einen Mann zu finden, erwartete man von ihr, daß sie ewig dankbar sei, ganz gleich, wie schlecht die Ehe später wurde. »Liebe im Herzen der Gattin sollte im wesentlichen aus Dankbarkeit bestehen«, sagt ein weitverbreitetes Buch, das 1847 für junge Damen geschrieben wurde. Ihr Innerstes sollte angefüllt sein mit Dankbarkeit für Gott und den Mann, der sie auserwählt hat, jetzt und in Ewigkeit seine Gattin zu sein.«[17]
Wofür aber sollte sie dankbar sein?
Am Ende des 19. Jahrhunderts schrieb Richter Lucillius Alonzo Emery vom Obersten Gerichtshof des States Maine: »Die ganze Gesetzestheorie bezüglich der Frauen ist sklavisch. Daß die Frau in der Ehe ihren Namen zugunsten des ihres Mannes aufgibt, ist ein Sinnbild für all ihre gesetzlichen Rechte. Die Fackel der Hochzeit dient nur dazu, den Scheiterhaufen zu entzünden, auf dem diese Rechte geopfert werden.«[18]
Der Scheiterhaufen der Ehe
Bis vor kurzem, und in einigen der Vereinigten Staaten auch jetzt noch, besaß eine verheiratete Frau überhaupt keine Rechte. Ledige Frauen und Witwen wurden zwar nicht als Bürger betrachtet, doch zumindest hatten sie das Recht über ihren eigenen Körper; nicht so eine verheiratete Frau. Eine verheiratete Frau .gehörte' ganz und gar ihrem Mann, in derselben Weise, wie ihm seine Kleider, sein Pferd oder sein Hund gehörten: Er konnte sie mit voller Billigung des Gesetzes tätlich angreifen, sie einsperren und sogar verkaufen. In England veräußerte 1815 ein Mann namens John Osborne in Maidstone seine Frau und sein Kind für den Preis von einem Pfund an einen gewissen William Serjeant. »Es war ein ganz gewöhnliches Geschäft, wobei der Verkäufer einen urkundlichen Vertrag abschloß, wovon folgendes eine wörtliche Abschrift ist: >Ich, John Osborne, bin damit einverstanden, mich von meiner Frau Mary Osborne und meinem Kind zu trennen und sie an William Serjeant zu übergeben für den Betrag von einem Pfund, womit ich auf alle meine Ansprüche verzichte. Als Zustimmung setze ich hier unten mein Zeichen. Maidstone, 3. Januar 1815.<[19]
John Ashton berichtet, daß in späteren Jahren eine junge Dame in Smithfield bei einer Versteigerung angeboten wurde. Man hatte sie in einem Halfter ausgestellt und verlangte für sie 80 Guineen. Schließlich erhielt sie ein bekannter Pferdehändler für 50 Guineen und das Pferd, auf dem er saß. Der Mann der Frau war ein wohlhabender Viehhändler aus dem nahen London.
Im 19. Jahrhundert »scheint der Brauch, die Frau zu verkaufen, ziemlich weit verbreitet gewesen zu sein«, schreibt Nina Epton.[20]
Bis 1885, vor weniger als einhundert Jahren, konnte ein Mann in England seine Frau oder seine Tochter immer noch in die Prostitution verkaufen. In diesem Jahre wurde es für ungesetzlich erklärt, ein Mädchen für die Prostitution zu veräußern oder zu entführen, wenn es noch nicht sechzehn Jahre alt war. Danach war es noch immer legal. Auch wurde es erst in den 80er Jahren des letzten Jahrhunderts einer Frau gesetzlich erlaubt, sich von ihrem Gatten zu trennen (nicht sich scheiden zu lassen), wenn er sie gewohnheitsmäßig so sehr schlug, daß »ihr Leben in Gefahr geriet«. 1891 verbot das Gesetz zum ersten Mal einem Mann, seine Frau hinter Schloß und Riegel gefangen zu halten, wie es zum Beispiel ein Gouverneur Yeo jedesmal getan hatte, wenn er auf See ging.[21]
Selbst nach all diesen >Verbesserungen< der Lebensbedingungen konnte eine Ehefrau immer noch nicht ihr eigenes Haus oder ihr Erbe beanspruchen oder das wenige Geld, das sie sich durch Heimarbeit — Nähen, Einmachen oder Waschen — verdiente. Nicht einmal die Kinder ihres eigenen Körpers gehörten ihr. Ganz gleich, wie schlecht oder unwürdig der Mann war, nach dem Gesetz besaß er alle Rechte über sie. Er durfte seine Frau verjagen und öffentlich mit einer anderen zusammenleben. Dennoch blieben die Kinder sein, und die Mutter konnte sie nur sehen oder mit ihnen schriftlich verkehren, wenn und wie es ihm paßte. Eine Frau konnte zwar ein Vermögen erben, durfte aber nicht bestimmen, wie es angelegt wurde. Ihr Gatte konnte es, was oft geschah, zu seinem Vergnügen verschwenden, so daß Frau und Kinder tatsächlich Not litten. Trotzdem zwang ihn kein Gesetz, auch nur über einen Pfennig Rechenschaft abzulegen.
Gerade diese schändliche Tat beging im späten 19. Jahrhundert der Herzog von Queensbury, der Vater von Lord Alfred Douglas, dem Freund Oscar Wildes, an seiner Frau und seinen Kindern. Er jagte seine Gemahlin aus dem herzoglichen Haus, hielt sich eine Reihe von Geliebten, lebte wie ein Sultan vom Geld seiner Frau und weigerte sich, auch nur einen Schilling Unterhalt für seine Familie zu zahlen. Die Herzogin und ihre Kinder lebten in regelrechter Armut, während der Herzog das Vermögen verschleuderte, das seine Frau mit in die Ehe gebracht hatte, und es erhob sich gegen dieses Unrecht von keinem Gericht, noch von irgendeiner anderen offiziellen Stelle in ganz England eine Stimme des Protests. Das Ergebnis war, daß der junge Lord Alfred mit einem sich verzehrenden Haß gegen seinen Vater aufwuchs, und eine leidenschaftliche Liebe und ein großes Schutzbedürfnis für seine Mutter entwickelte.
In diesem Fall durften die Kinder wenigstens bei ihrer Mutter bleiben, eine Vergünstigung, die man dem Prinzen von SachsenCoburg, dem Gemahl der Königin Victoria, verweigerte. Seine Mutter war von ihrem Mann verstoßen worden, und zu seinem beständigen Kummer verbrachte der junge Albert seine Jugend, nicht einmal wissend, wo sie lebte. Als er herangewachsen war, starb sie an Armut. Prinz Albert war, wie Lord Alfred, von diesem traumatischen Erlebnis seiner Kindheit stark beeinflußt worden und wie dieser haßte er seinen Vater sein ganzes Leben und konnte von seiner schönen und bemitleidenswerten Mutter nie sprechen, ohne daß ihm die Tränen in die Augen stiegen.
Doch wenn schon zwei so berühmte und angesehene »Herren« wie ein sächsischer König und ein englischer Herzog trotz ihrer öffentlich bekannten Grausamkeiten gegenüber ihren Frauen unbehelligt davonkamen, wieviel schlimmere Verbrechen konnte ein gewöhnlicher Ehemann begehen, ohne bestraft zu werden. Hierzu schreibt Mill:
»Die Gewalt (der Männer über die Frauen) ist nicht nur guten und ehrenwerten, sondern allen Männern gegeben, auch dem unmenschlichsten und verbrecherischsten (...). Die Ehe ist keine Einrichtung für einige wenige auserwählte Männer. Man verlangt von den Männern als Vorbedingung für die Heirat nicht zu beweisen, daß man ihnen unumschränkte Macht über einen anderen Menschen übertragen kann (...). Selbst der schlimmste Übeltäter kann eine unglückliche Frau haben, der er alles Schändliche antun kann, außer sie zu töten, und selbst dann besteht für ihn keine allzu große Gefahr, gerichtlich belangt zu werden. Wie viele Männer gibt es, die ihre unglückliche Frau auf grausamste Weise foltern, wobei sie der einzige Mensch ist, der ihrer Brutalität nicht entfliehen kann. Selbst der Frauen Abhängigkeit stachelt der Männer gemeine und rohe Natur gegen sie an, wobei die Männer wissen, daß das Gesetz ihnen die Frau als ein Ding ausgeliefert hat, das sie nach ihrem Vergnügen benutzen können (...). Das Gesetz zwingt die Ehefrau, alles vom Mann hinzunehmen (...). Selbst wenn es sein tägliches Vergnügen wäre, sie zu foltern, selbst wenn sie sich vor ihm ekeln müßte, so kann er doch die gemeinste menschliche Erniedrigung von ihr verlangen und erzwingen: gegen ihren Willen das Instrument für eine tierische Funktion zu sein.«[22]
Mills genaue Erkenntnis des Unrechts, das man im späten neunzehnten Jahrhundert den Frauen antat, rief, so wie er sie in seiner Abhandlung Die Hörigkeit der Frau dargelegt hatte, heftigsten Widerspruch bei der herrschenden männlichen Schicht hervor, die ihn geschlossen des Verrats an seinem Geschlecht und seiner Gesellschaft bezichtigte. Eine der wütendsten Reaktionen kam von Anthony Ludovici, einem Engländer, der das Ganze als »eine der erstaunlichsten Äußerungen« verurteilte, »die je über die Lippen eines angeblichen Philosophen kam.«[23] »Die Abhandlung bleibt das unglücklichste Zeugnis von Mills Eigenschaft als Denker.«[24]
»Es ist meine Überzeugung«, verkündet Ludovici, »daß diejenigen, welche wie Mill die Frauen mit dem Glauben erfüllen, ihre Unterlegenheit sei nicht natürlich, sondern »künstlich«, die wahren Feinde des weiblichen Geschlechts sind (...) Wir müssen in England alle Spuren des Frauenrechtlertums beseitigen und es von diesen männerfeindlichen Einflüssen reinigen (...) Da der Feminismus näher an die Wurzel des Lebens reicht, ist er für die Zivilisation und die Menschheit vielleicht sogar noch gefährlicher als die Demokratie selbst.«[25] Diese war vermutlich deswegen gefährlich, weil sie den auserwählten Mann seiner Macht über den Mitmenschen beraubte, während der Feminismus alle Männer ihrer Macht über die Frauen zu berauben drohte. Und nichts anderes als diese Furcht, ihre letzte »Minderheit« zu verlieren, über die sie dominieren können, bringt die Männer dazu, sich »den gerechten Forderungen der Frauen nach wenigstens der kleinsten Erleichterung der ihnen auferlegten Beschränkungen« zu widersetzen, meint Campbell. Nur deswegen, sagt er weiter, haben die Männer in böser Absicht »offen oder insgeheim jeden Versuch der Frauen zurückgewiesen, sich von ihnen zu befreien und für sich zu leben«.[26]
Seltsamerweise hat noch nie jemand bedacht, wie sich diese unumschränkte Macht, die die Männer in den letzten Jahrhunderten über die Frauen ausübten, vielleicht auf den männlichen Charakter ausgewirkt hat. Wenn, wie die heutigen Soziologen sagen, die Sklaverei im Süden für die Sklavenhalter schädlich war, und die absolute Macht, die sie hatten, ihre moralische Verfassung beeinträchtigte, warum hat nicht dieselbe Macht über die Frauen nachteilige Wirkungen auf die Männer gehabt? Warum hat die absolute Gewalt sie nicht ganz und gar verdorben? Oder hat sie es?
»Die Folgen der patriarchalen Ehe sind beklagenswert und sehr unmoralisch«, schrieb August Forel am Ende des 19. Jahrhunderts. »Der Patriarch mißbraucht seine Macht, und der Patriarchismus degeneriert zu grausamer Tyrannei seitens des Familienoberhauptes, das als Gott betrachtet werden will.«[27]
Wenn nach Auffassung der Soziologen schon etwas mehr als 200 Jahre Sklaverei den Charakter der Schwarzen so ungünstig beeinflußten, warum haben sich dann nicht 1500 Jahre Sklaverei ebenso auf die Frauen ausgewirkt? Vielleicht ist die Frau einer vollständigen innerlichen Entwürdigung entgangen, weil sie eine instinktive Kenntnis von und eine intuitive Erinnerung an ihre ursprüngliche und immer noch grundlegende Überlegenheit besitzt. Denn selbst bei den Schwarzen waren es die Frauen, das stärkere Geschlecht, die ihre Würde, ihre Integrität und ihre Selbstachtung schneller zurückgewannen.