Dieses Buch ist das Ergebnis der Verbindung zweier Gedankengänge: erstens, daß es sich bei der frühesten uns bekannten Kultur lediglich um das Wiederaufleben einer älteren Kultur handelt, an die damals nur eine verschwommene Erinnerung bestand, heute jedoch total in Vergessenheit geraten ist; und zweitens, daß die antreibende und wiederbelebende Kraft dieser sogenannten Kultur die Frau war. Diese beiden ursprünglich voneinander getrennten Gedankengänge, denen unabhängig voneinander eine eigene Beweisführung zugrunde liegt, fließen schließlich zusammen und münden in einer Überzeugung, die nun endlich zum Ausdruck gebracht werden soll.
Es geht hier einerseits um die Überzeugung, die inzwischen von einer wachsenden »kognitiven Minderheit«[1] geteilt wird, daß den frühesten überlieferten Gesellschaften irgendetwas vorausgegangen sein muß, das die vielen allgemein auftretenden Widersprüchlichkeiten - wie es der sowjetische Ethnologe M.M. Agrest nannte - erklärt. Diese unerklärlichen Anomalien, wie das Aufblitzen eines Goldzahns im Munde eines Säuglings, rüttelt an der eigenen Selbstgefälligkeit über die intellektuelle Überlegenheit des heutigen Menschen und erschüttert den alten Glauben an die technische Unwissenheit unserer frühesten Vorfahren.
So drängte sich immer wieder der Gedanke auf, daß der heutige Mensch ein Wiederholer war - daß jede Entdeckung, die er machte, und jede Erfindung, die er entwickelte, schon vorher in einer vergessenen früheren Kultur vor zehntausenden oder sogar hundertausenden von Jahren entdeckt worden war.
Der zweite Gedankengang bestand darin, daß in alten Zeiten, und zwar bis weit in die geschichtliche Ära hinein, Frauen eine dominierende Rolle gespielt haben. Die Überlieferung, die sich bei allen frühen Völkern findet, aber von späteren Historikern und Mythen-Auslegern vertuscht wurde, daß es nämlich die Frau war, die den Keim der verlorenen Kultur bewahrt und zur zweiten Blüte gebracht hatte, war allzu beständig, um sich ignorieren zu lassen. Das Primat der Göttinnen über Götter, der Königinnen über Könige, der großen Matriarchinnen, die den Mann erst gezähmt und dann umerzogen haben, all das weist auf das Bestehen einer einst gynaikokratischen Welt hin. Je weiter wir die Geschichte des Menschen zurückverfolgen, desto bedeutender wird die Gestalt der Frau. Wenn aber die Götter und Göttinnen von heute die Helden und Heldinnen von gestern sind, dann waren die Göttinnen historischer Zeiten auch zweifellos eine Widerspiegelung der Erinnerung an die herrschende Hierarchie einer früheren Kultur.
Die Existenz einer solchen Kultur würde, wie keine andere Theorie, die Allgemeingültigkeit gewisser Bräuche, Riten und Tabus erklären, die zu historischen Zeiten nicht hätten verbreitet werden können. Es würde die Ähnlichkeit aller in der Welt bestehenden Schöpfungsmythen erklären, und die offensichtliche Verwandtschaft der mythischen Götter und Helden aller Völker belegen. Es würde die weltweite Überlieferung von den wunderbaren Fremden erklären, das Vorhandensein der alten Landkarten, den ansonsten unverständlichen Ursprung der Sprache, die ungewöhnlichen Goldminen von Thrakien und Kransnoyarsk, die nicht einzuordnende optische Linse des alten Ninive und die »gewirkten Golfäden«, die in einer vor Jahrtausenden entstandenen Gesteinsablagerung gefunden wurden. Es würde das sumerische Siegel erklären, das die wahre Struktur des Kosmos darstellt, die Genauigkeit der alten Kalender und Sonnenuhren, die über die ganze Welt verstreuten megalithischen Gebäude und Monumente, die Sieben Weisen des alten Griechenlands mit ihrer offensichtlichen Kenntnis wissenschaftlicher Tatsachen, die später angezweifelt und vergessen wurden, und die Legenden von Hermes Trismegistus, Thot und anderen Zauberern des Altertums. Und es würde die allgemeine Überlieferung von einer großen Katastrophe begründen, die einst die Welt in einem Inferno von Flammen und Fluten versenkte.
»Mit Zufall«, schrieb Sylvain Bailly, »lassen sich solch wunderbare Übereinstimmungen nicht erklären. Sie müssen alle einen gemeinsamen Ursprung haben.«[2]
Mit dem Anfang der Geschichtsschreibung erblicken wir das Finale des langen Schauspiels der Vorgeschichte, das Schauspiel der großen, verlorenen Kultur, die den Ursprung all dieser »wunderbaren Übereinstimmungen« bildete. Der Vorhang der überlieferten Geschichte hebt sich über dem - so scheint es - tragischen letzten Akt eines sich lang hinziehenden Dramas. Auf der Bühne erscheint die Frau, gesichert und fest auf ihrem uralten Thron, die Heldin des Spiels. Um sie herum führen ihre unermüdlichen Untertanen ihre jahrhundertealten Rollen aus. Friede, Gerechtigkeit, Fortschritt, Gleichheit spielen ihren Part mit geübter Perfektion.
Hinter den Kulissen aber hören wir ein schwaches Rumoren - das Rumoren der Unzufriedenen, die eifersüchtigen Klagen der neuen Männer, die mit ihrer zweitrangigen Stellung in der Gesellschaft nicht mehr zufrieden sind. Vielleicht von einem Vertrauten der Königin angeführt, stürmen die aufbegehrenden Männer auf die Bühne, stürzen den königlichen Thron und nehmen die Königin gefangen. Ihr Vertrauter begibt sich in die Mitte der Bühne. Er erhebt sein blutiges Schwert über den Köpfen der Hofleute. Die Untertanen der Königin - Demokratie, Friede, Gerechtigkeit und alle anderen - stürzen davon. Und der Mann bleibt zum ersten Mal in der Geschichte als triumphierender Sieger auf der Bühne zurück, wenn der Vorhang fällt. Der Statusverfall der Frau verlief gleichzeitig mit dem dunklen Zeitalter, das dieser patriarchalen Revolution folgte und sich langsam vom Nahen Osten aus nach Westen zu bewegte und Westeuropa erst im 5. Jahrhundert n. Chr. erreichte. In Europa und auf den Britischen Inseln bewahrten die Kelten, die letzten Überlebenden der großen Weltkultur, die Tradition der weiblichen Vorherrschaft bis zum Untergang Roms, als aus den nordöstlichen Wäldern Welle auf Welle germanischer Barbaren über das Land nach Süden fegte und auf den Ansturm orientalischen Christentums traf, das sich aus dem Mittelmeerraum nach Norden ausbreitete. Zwischen diesen beiden Mühlsteinen des »Maskulinismus« wurden die Kelten am Ende zerrieben. Aber sogar noch in der Niederlage war es ihnen möglich, die erstickende Flamme der Kultur zu erhalten, denn »noch während sie von den Barbaren aufgerieben wurden, kultivierten sie diese (...). Die Kelten hielten den einfallenden Wilden stand, bis diese fast keine Wilden mehr waren.«[3])
Aber trotz der Kelten behauptete sich am Ende das teutonisch-semitische Patriarchat in Europa. Die keltische Kultur geriet in Vergessenheit, die keltische Göttinnenreligion verschwand aus der Öffentlichkeit, keltische Bräuche und keltischer Glaube degenerierten zu »heidnischem« Aberglauben und keltischer Feminismus wurde von den patriarchalen Eroberern als Sünde verdammt. Die Unerbittlichkeit, mit der der westliche Mann bisher an der Frau Vergeltung geübt hat, bestätigt nur ihre frühere Herrschaft, eine Herrschaft, die auszumerzen und zu vergessen der Mann sich genötigt sah. Was war »diese dunkle Notwendigkeit, diese erbitterte Misogynie (Frauenhaß)«, die »den Mann zwang, das verhaßte Geschlecht zu stürzen«[4], was war es anderes, als eine Art Rache - eine Entschädigung für seine frühere Knechtschaft, verbunden mit der Angst, daß die Frau irgendwann einmal ihre Macht wiedererlangen könnte. »Ist es nicht erstaunlich,« fragt Karen Horney, »daß die im Mann unterschwellige Angst vor Frauen und ein Unbehagen ihnen gegenüber so wenig beachtet wird (...)« und daß sein Haß sogar von seinen Opfern, den Frauen selber, übersehen wird.[5]
Es ist jedoch die Angst und das Unbehagen des Mannes dem verhaßten Geschlecht gegenüber, die das Los der Frau so grausam hat werden lassen in dieser schönen, neuen, männlichen Welt. Aus seiner Angst vor Frauen, aus der manischen Unsicherheit heraus, hat der Mann die Gesellschaft nach seinem eigenen Muster der Verwirrung und Zerstrittenheit [6] neu geformt und eine Welt geschaffen, in der die Frau die Außenseiterin ist. Er hat die Geschichte neu geschrieben mit dem bewußten Ziel, die großen Frauen der Vergangenheit zu ignorieren, unscheinbar und lächerlich zu machen, genau wie die heutigen Historiker und Journalisten sich bemühen, die Errungenschaften der modernen Frau zu ignorieren, unscheinbar und lächerlich zu machen. Er hat die Frau zu einem Objekt seiner niedrigsten körperlichen Bedürfnisse gemacht [7] und hat Gott nach seinem eigenen Bildnis neu geschaffen, - »einen Gott, der Frauen nicht liebt«.[8] Und das Schlimmste ist, er hat versucht, die Frau in ein gehirnloses Scheinbild ihrer selbst zu verwandeln, in einen Roboter, der sich bescheiden in den Glauben an die eigene Minderwertigkeit ergeben hat.
Der Mythos der weiblichen Minderwertigkeit hat sich so lange behauptet, daß die Frauen selber nur schwerlich glauben können, daß ihr eigenes Geschlecht einst und über einen langen Zeitraum hinweg das überlegene und herrschende Geschlecht war. Um in ihnen ihre ureigene Würde und ihren Stolz wieder zu erwecken, muß den Frauen ihre eigene Geschichte gelehrt werden, so wie den schwarzen Amerikanern die ihre gelehrt wird.
Wir müssen die zweitausend Jahre währende Propaganda über die Minderwertigkeit der Frau als ungerechtfertigt zurückweisen. Der Papst hat vor kurzem das jahrhundertealte Brandmal der Juden als »Mörder Christi« beseitigt, und die Vereinigten Staaten haben mit Hilfe der Gesetzgebung versucht, dem schwarzen Amerikaner das Brandmal zu nehmen. Aber wer hat für die Frau gesprochen? Wer ist vorgetreten und hat »Gottes Fluch« von Eva genommen?
Die Zeit ist offensichtlich gekommen, die Frau in den Geschichtsbüchern wieder erscheinen zu lassen und - wie Mary Wollstonecraft vor 200 Jahren schrieb - sie wieder in die menschliche Gattung miteinzubeziehen. Ihr Beitrag zur Zivilisation war größer als der des Mannes, und der Mann hat sie lange genug ignoriert.
Die Geschichtsschreibung beginnt mit einer patriarchalen Revolution. Laßt sie uns mit der matriarchalen Gegenrevotion fortsetzen; das ist die einzige Hoffnung für das Überleben der menschlichen Gattung.