Die neue Physik der Meta-Politik

Eine Anatomie der letzten Zuflucht

Im Konzert der kosmischen Werte hat nur das
Phantastische die Chance der Wahrheit.
Pierre Teilhard de Chardin

Die Welt ist ganz in Ordnung. Sie muß nicht konsequent sein.
Charlotte Perkins Gilman

Lady, ich denk mir keine Sachen aus.
Die lüg'n. Lügen ist nicht wahr.
Aber die Wahrheit könnten wir uns ausdenken,
wenn wir wissen wie.
Und das ist die Wahrheit.
Lily Tomlin in der Rolle der»Edith Ann«

Drei geschichtliche Entwicklungen haben, so heißt es, mehr als alle anderen das Selbst-Verständnis von MANN erschüttert. Die Astronomie des Kopernikus veränderte die kosmozentrische Auffassung, nach der MANN das Zentrum des Universums war. Darwin's Ursprung der Arten durch natürliche Auslese veränderte die biozentrische Auffassung, nach der MANN das Zentrum aller Lebewesen war. Und mit dem Aufkommen der Wissenschaft der Anthropologie veränderte sich die ethnozentrische Auffassung, nach der MANN das Zentrum einer und der einzig möglichen vorausbestimmten Kultur war.
Diese drei Entwicklungen haben wahrscheinlich am entscheidensten dazu beigetragen, das, was sich MANN nennt, ins Wanken« zu bringen — «zumindest in der Vergangenheit. Diese Aufzählung ist jedoch unvollständig, soll sie auch für die Gegenwart gelten und in die Zukunft wiesen. In diesem Fall sind noch zwei weitere Entwicklungen mit einzubeziehen, deren unmittelbare und vor allem potentielle Auswirkungen den oben angeführten Bewusstseinsveränderungen entsprechen, sie wahrscheinlich sogar übertreffen. Da ist einmal der Feminismus als Herausforderung an die androzentrische Auffassung, mit der MANN sich als das Zentrum der Menschheit fühlt, und zum anderen die moderne Physik, die die gesamte Realitätsvorstellung von MANN in Frage stellt.
Seit fast zwei Jahrzehnten schreibe, rede und organisiere ich nun für die Idee und die Politik des Feminismus um der Frauen willen, mit Schwerpunkt auf den Rechten der Frau: Recht auf Freiheit, Zugang  zum  öffentlichen Leben, Selbstbestimmung und Befähigung durch Bildung — als ganz einfach eine Sache der Gerechtigkeit.  Und wären dies die einzigen Gründe und Ziele der Bewegung und des Bewußtseins, das sich Feminismus nennt so wäre das schon mehr als genug. Es wäre vielleicht gar nicht nötig, sich vorzustellen oder gar auszusprechen, welche Kreise dieser eine kleine ins Wasser geworfene Stein ziehen mag, der nach so langer Zeit die kreative Energie von über der Hälfte der Menschheit freisetzt. Auch haben wir es durchaus nicht nötig, uns dafür zu entschuldigen, daß sich der Feminismus «nur« mit Frauen beschäftigt. Oder uns zu rechtfertigen mit der »ach-bitte-darf-ich«-Begründung, daß er auch für Männer gut sei und würdet-ihr-ihn-uns-deshalb-bitte-gestatten? Letztendlich  wird er auch für Männer gut sein. Doch selbst dann, wenn er sich auf Dauer für die Männer als so ungemütlich erweisen sollte, wie er es anscheinend für den Augenblick ist, so wären die Bedürfnisse und Forderungen von Frauen nicht minder gerechtfertigt.
Die Tatsache also, daß ich den Feminismus in einen «größeren Zusammenhang« stelle, ist weder eine Entschuldigung noch eine Rechtfertigung. Ich will einfach ein für allemal klarstellen, daß Feminismus tatsächlich der größere Zusammenhang ist.
Das eigentliche Potential des Feminismus besteht nicht nur in jenen Aspekten der Vision, wie sie Frauen (und wenige Männer) heute und gestern, individuell und kollektiv, entworfen haben sondern viel mehr noch in der Kettenreaktion von Ereignissen, die schon durch den winzigsten feministischen Fortschritt ausgelöst wird. Den Ablauf dieser Kettenreaktion können wir — Frauen und Männer —, die wir uns durch den Schmerz und die Verwirrungen der Gegenwart zu jener Vision vortasten, noch nicht voraussagen. Wir können uns die Ergebnisse und die Ergebnisse der Ergebnisse nur ansatzweise vorstellen. Wir können sie gerade erst erahnen, erfühlen, wie die Fata Morgana einer Realität von bisher unvorstellbarer Festlichkeit, wie von keinerlei Behinderung getrübte Revoluzinationen*, (* Wortverbindung von Revolution und Halluzination, A.d.Ü.) wie die Blütenblätter eines Wüstenkaktus, die sich, wie in einer Zeitrafferaufnahme, langsam vor uns öffnen.
Wir sehen, ahnen, fühlen, daß es bei Feminismus nicht nur um Frauen geht (was, wie gesagt, bereits Motivation genug wäre), auch nicht nur um Frauen und Männer, auch nicht nur um Frauen und Männer und politische/emotionale/geistige/wirtschaftliche/soziale/sexuelle/intellektuelle/ökologische Revolution, auch nicht nur um all das plus einer Revolution aller fühlenden Wesen auf diesem Planeten. Es geht um all das und um viel mehr.
Auf diesem Planeten, zu diesem historischen Zeitpunkt, ist Feminismus der DNS/RNS-Ruf nach Überleben und nach dem nächsten Schritt in der Evolution. Und dies noch übergreifend ist Feminismus in seiner metaphysischen und metafeministischen Dynamik die Helix menschlicher Hoffnung auf Kommunikation mit allem, was in dem weiten witzigen Mysterium des Universums vor uns liegt.
Ich stütze meine Aussage, daß Feminismus der Schlüssel zu unserem Überleben und zu unserer Veränderung ist, nicht auf Theorie, sondern auf Tatsachen:

  • Frauen in den Bereich des «Anderen« zu verweisen ist die älteste Unterdrückung, die unsere Spezies kennt. Sie ist das Muster, die Schablone, nach der alle sonstige Unterdrückung verläuft. Und bis diese Spaltung nicht geheilt ist oder wenn sie nicht geheilt wird — kleben wir nur weiterhin Heftpflaster auf unsere tödlichste Wunde.
  • Frauen sind die Mehrheit der Menschheit. Das bedeutet, daß uns eine Vielzahl von Strategien zur Verfügung steht, wie sie unterdrückte Minderheiten nicht haben. Sie müssen häufig zu verzweifelten oder gewalttätigen Aktionen greifen, um überhaupt bemerkt zu werden.
  • Das Leiden der Frauen ist das Leiden der menschlichen Spezies und umgekehrt. Nach Zahl und Flächenverteilung stellen Frauen die Armen der Welt, die Hungernden der Welt, die Flüchtlinge der Welt, die Analphabeten der Welt. (Vgl. Kapitel VII.)
  • Frauen sind in diesem Leiden (in der Kategorie des Anderen) über die Schranken von Alter, Rasse, Klasse, Nationalität, Kultur, Sexualgewohnheit und ethnischer Prägung hinweg vereint. Eine Prostituierte in Hongkong und eine Matrone in Grosse Point*, (* Vorort der Superreichen in Detroit, im Volksmund auch Fat Point genannt A d Ü) sie werden beide geschlagen, weil sie Frauen sind. Und eine sechzigjährige Nonne wird in England vergewaltigt und ein siebenjähriges Mädchen wird im Jemen in die Ehe verkauft, weil beide weiblichen Geschlechts sind. Und weil beide Frauen sind stirbt eine indonesische Bäuerin im Kindbett und eine brasilianische Gesellschaftsdame bei einer  illegalen  Abtreibung nach Metzger-Art. Weil beide weibliche menschliche Wesen sind, wird eine Jugendliche in Kenia der physischen und eine Krankenschwester in der Schweiz der psychischen Klitoridektomie unterzogen. Das taktische Potential für einen Zusammenschluß über alle von MANN geschaffenen Barrieren wie Rasse oder Nationalität hinweg ist nur in einer Hinsicht eingeschränkt: wieweit nämlich alle Frauen bereit sind, die Gleichheit unserer Lebensbedingungen zu erkennen, eine wache Sensibilität für die Vielfältigkeit von Prioritäten zu entwickeln und sich der Aufgabe zu widmen, diese Barrieren aufzudecken und niederzureißen.
  • Die physische Realität jeder Frau unterliegt ständigem Wandel: sie verändert sich durch das Einsetzen der Menarche, danach etwa vierzig Jahre lang alle 28 Tage, dann die Menopause — und dazwischen die Möglichkeiten von Schwangerschaft, Geburt, Nachgeburt und Stillen. Diese existentiell erfahrbare Realität führt bei den meisten Frauen unausweichlich zu einer weniger rigiden seelischen Haltung gegenüber physischer Existenz in jeder Form, einschließlich der politischen und strategischen.
  • In allen Kulturen wurden den Frauen (im Stereotyp FRAU) die positiven Werte des Humanismus zugeordnet: Pazifismus Lebensfürsorge, Umweltbewußtsein und Achtung vor dem Leben. Diese Werte wurden zwar (1) von MANN stets als amüsant und irrelevant angesehen und (2) von Frauen nicht als eigentlich «weiblich« empfunden — dennoch sind es objektiv positive Werte. Sie sind Frauen zwangsläufig vertrauter als den Männern. Dies beeinflußt unseren auf Veränderung zielenden strategischen Ansatz und könnte uns — zumindest vorübergehend — einen gewissen ethischen Imperativ verleihen, der sich als nützlich erweisen könnte.
  • In allen Kulturen und zu allen Zeiten scheinen Frauen eine «spirituelle Dimension« unserer Leben entwickelt zu haben. Das konnte ein Code für weltliche Rebellion, oder eine Flucht aus unserem jeweiligen Leiden, oder ein durchgängiger religiöser Strang der Verbindung zu kosmischen Mysterien sein. Diese Tendenz zeigte sich immer wieder in den politischen Bewegungen der Frauen, einschließlich der jetzigen feministischen Welle.[1] In ihrer oberflächlichsten Ausprägung kann sie zu unausgegore-nem Aberglauben und Flucht aus der politischen Realität führen, doch ihr eigentliches Wesen ist politische Veränderung; eine so tiefe Veränderung, wie sie von religiösen und kulturellen Revolutionen ausging, die nicht nur die gesellschaftspolitischen und ökonomischen Strukturen einer Gesellschaft veränderten, sondern langfristig auch das Bewußtsein.
  • Und schließlich: es wird geschehen weil es geschieht.

Auch wird der Feminismus nicht mehr nur von Frauen für die entscheidende Kraft zum Überleben, zur Evolution und Veränderung auf diesem Planeten gehalten. Zu den jüngsten männlichen Konvertiten gehören sogar jene hartgesottenen Wissenschaftler, die gewohnt sind, die Zeichen der Zeit zu erkennen und zu analysieren.
Der Physiker Fritjof Capra sieht drei Veränderungen unmittelbar bevorstehen, die die Grundlagen unseres Lebens erschüttern werden: «der langsame und widerwillige, jedoch unvermeidliche Verfall des Patriarchats«, das nahe Ende des Zeitalters der fossilen Brennstoffe und ein «Paradigmen-Wechsel«, ein tiefgreifender Wandel im Denken, in der Wahrnehmung und in den Werten, die eine besondere Sicht der Wirklichkeit bewirken. Er meint, das Ende des Patriarchats sei die erste und vielleicht tiefgreifendste Veränderung, denn das Patriarchat «hat unsere grundlegenden Ideen über das Wesen des Menschen und über unsere Beziehungen zum Universum beeinflußt ... seine Lehren wurden so universal akzeptiert, daß sie Naturgesetzen gleichkamen«. Und Capra folgert: «Die feministische Bewegung ist eine der stärksten kulturellen Zeitströmungen und wird sich tiefgreifend auf unsere weitere Evolution auswirken.« Capra sieht auch den Wert der Wissenschaft nicht als Selbstzweck, sondern im politischen Kontext:

»Physiker (können) den wissenschaftlichen Hintergrund für den Wandel der Verhaltensweisen und Wertbegriffe liefern, den unsere Gesellschaft so dringend benötigt. In einer von der Naturwissenschaft beherrschten Kultur wird es sehr viel einfacher sein, unsere gesellschaftlichen Institutionen davon  zu  überzeugen, daß fundamentale Veränderungen notwendig sind, wenn wir unsere Argumente wissenschaftlich begründen. Genau das können Physiker jetzt tun. Die moderne Physik kann den anderen Wissenschaften zeigen, daß wissenschaftliches Denken nicht zwangsläufig reduktionistisch und mechanistisch sein muß, daß ganzheitliche und ökologische Anschauungen ebenfalls wissenschaftlich einwandfrei sind ... daß ein solches Weltbild nicht nur wissenschaftlich ist, sondern in Übereinstimmung steht mit den fortgeschrittensten wissenschaftlichen Theorien über die physikalische Wirklichkeit.«[2] (Hervorhebungen R. M.)

Ich bin keine Physikerin. Ich bin Dichterin, feministische Schriftstellerin, Theoretikerin und Aktivistin. Als Dichterin verstehe ich die lebensrettende Bedeutung von kühnem und ernstem Spiel. Als feministische Aktivistin sehe ich die Dringlichkeit, die Botschaft in immer neuer, verbindenderer und immer weiter reichender Form zu vermitteln und zu verbreiten. Als Schriftstellerin ist mir die Macht der Worte vertraut, ihr Eigenleben und ihre Energie, die Art, wie logos eine/n Schriftsteller/in als Werkzeug seines Segens benutzen kann, auch wenn diese/r Schriftsteller/in meint, er/sie benutze den Logos als Werkzeug. Was wäre, wenn wir den hilfreichen Rahmen, den einige der neuen Physiker der Menschheit anbieten, mit unserer Politik, unserer lebendigen Sprache verbänden? Was dann?

DIE PHYSIK DES FEMINISMUS
Wir müssen erst einmal mehr über den Zusammenhang, die Strukturen, die Grundlage und den Hintergrund der Physik wissen, — ein paar grundlegende wissenschaftliche Fakten. Dieser Überblick ist notwendigerweise begrenzt, gibt nur eine Übersicht. Einiges wird einigen Leser/inne/n vertraut, für andere überraschend sein. Trotz Platzmangel und dem spärlichen Wissen einer Nicht-Physikerin werde ich nach besten Kräften einen kurzen Abriß versuchen.
Bis zum zwanzigsten Jahrhundert war die Naturwissenschaft hauptsächlich von der durch das aristotelische «warum?« vorgegebenen Denkrichtung bestimmt und weniger von Galileis »wie?«. Im Kielwasser von Newtons damals revolutionärer Entdeckung der Schwerkraft (mit der der Grundstock für die Relativitätstheorie gelegt war) saß die nach-Newtonsche Naturwissenschaft mit einem mechanistischen Weltbild in der Klemme. Sie sah das Universum als eine große Uhr, an der ein allwissender gottähnlicher Uhrmacher jede einzelne Feder und jedes Rädchen an ihrem festen Ort für einen bestimmten Zweck konstruiert hatte und am Laufen hielt. Die mechanische Erklärung (das «warum?«) sah den Kosmos als eine Reihe von Teilen oder Bausteinen, die in unendlich viel unterschiedlichen Arten zu kombinieren, jedoch mit Sicherheit letztlich auf einen einzigen Baustein oder ein Rädchen zurückzuführen waren, — beispielsweise das Atom. Da ein Atom etwa hundertmal kleiner als eine Nadelspitze ist, schien es sich hier um den kleinsten Baustein der Materie zu handeln.
Genau rechtzeitig zu Beginn unseres Jahrhunderts, im Jahre 1900, stellte Max Planck seine Quantentheorie auf. Er kam durch mathematische Abstraktion zu einer Gleichung, die darstellte, wie sich die Menge der von erhitzten Körpern abgegebenen Strahlungsenergie mit der Wellenlänge und der Temperatur verändert. Das Bemerkenswerte an dieser Gleichung war, daß sie Planck zu der Annahme zwang, Strahlungsenergie werde nicht in einem gleichmäßigen Fluß abgegeben, sondern in einzelnen Teilchen, die Planck Quanten nannte.
1905 wendet der sechsundzwanzigjährige Albert Einstein die Quantentheorie über die Grenzen der Thermodynamik hinaus an: Einstein behauptete, daß alle Formen von Strahlungsenergie, einschließlich Wärme, Röntgenstrahlen und  dem  Licht selbst, aus getrennten und unzusammenhängenden Quanten bestehen und sich in dieser Form im Raum bewegen. Diese neue Auffassung von der elektromagnetischen Strahlung wurde zur Grundlage der Quantentheorie, der Theorie atomarer Phänomene. Außerdem führte er die Entdeckung von Michelson-Morley (daß die Lichtgeschwindigkeit unabhängig von der Erdbewegung konstant ist) und das Relativitätsprinzip des Galilei (alle sich gleichförmig bewegenden Systeme unterliegen den gleichen Gesetzen  der Mechanik) einen Riesenschritt weiter: die Gesetze des Lichts und anderer elektromagnetischer Erscheinungen — im übrigen alle Phänomene der Natur und alle ihre Gesetze — sind die gleichen für alle Systeme, die sich gleichförmig relativ zueinander bewegen. (Sogar «Gleichzeitigkeit« ist relativ. Einstein sagte: «Jeder bestimmte Bezugskörper hat seine Eigenzeit; wenn bei einer Aussage über Zeit nicht gesagt wird, in welchem Bezugssystem sie gemessen wird, dann hat die Zeitangabe über ein Ereignis keinerlei Aussagekraft.« Ein häufig zitiertes Beispiel: wenn wir in einem Flugzeug sitzen und der Steward zwei Minuten braucht, um die Strecke von der Bordküche zu unserem Platz zurückzulegen, dann sind das für uns und für ihn zwei Minuten. Nehmen wir nun an, das Flugzeug fliegt mit einer Geschwindigkeit von 400 Meilen pro Stunde. Könnte nun jemand vom Erdboden aus das Flugzeug beobachten und sehen, wie der Steward im Flugzeug diese Strecke zurücklegt, dann würde der Gang von zwei Minuten zu einem schnellen Vorbeihuschen werden.)
Damit wurde die Vorstellung einer absoluten Zeit zusammen mit der Vorstellung eines absoluten Raumes fallengelassen. Da Bewegung nur als eine Veränderung der Lage in Relation zu einem anderen Körper wahrgenommen werden kann, und da die Bewegung in Raum und Zeit stattfindet, sind also Raum und Zeit eine Einheit und allem anderen gegenüber relativ. (Wenn wir auf einem Lichtstrahl reiten könnten, dann hätten wir keinerlei Gefühl von Bewegung und die Zeit selbst stünde still. Wir würden nicht altern, da uns bislang nichts Schnelleres im Universum bekannt ist, als das Licht.* (* Das Tachyon allerdings ist ein angenommenes Teilchen, das sich schneller als Licht bewegen kann (könnte? wird? sich tatsächlich bewegt?). Ich hege besonders freundschaftliche Gefühle gegenüber diesem hypothetischen Teilchen von Materie.)
Bei seiner Suche nach einer einheitlichen Grundlage der Physik, die ihn sein Leben lang begleiten sollte, schuf Einstein schließlich einen gemeinsamen Rahmen für Elektrodynamik und Mechanik.
Dessen verblüffendster Aspekt war Einsteins Erkenntnis, daß, da die Masse eines Körpers bei Bewegung zunimmt und die Bewegung selbst eine Form von Energie ist (kinetischer Energie), folglich die Zunahme der Masse in dem sich bewegenden Körper von der Zunahme der Energie abhängig ist. Das heißt: Energie hat Masse. Diese Erkenntnis über die Relation zwischen Energie und Masse — daß nämlich auch ein ruhendes Objekt nur gespeicherte Energie ist, und daß, wenn das Objekt zerstört wird (wie beim Verbrennen von Holz oder bei der Kernreaktion) Energie freigesetzt wird, daß Masse also lediglich eine Form von Energie ist — wurde in der inzwischen berühmten Gleichung E = mc2 ausgedrückt. Energie ist gleich Masse mal Lichtgeschwindigkeit im Quadrat. Raum und Zeit sind also, so hatte sich herausgestellt, ein und dasselbe. Und Materie und Energie hatten sich als ein und dasselbe herausgestellt.
Dieser Rahmen, den Einstein 1905 entwarf, war seine Spezielle Relativitätstheorie. Heute, achtzig Jahre später, taumelt die  Naturwissenschaft  noch  immer unter dem Schlag dieser Theorie und ihrer Konsequenzen.
1915 erweiterte Einstein seine Theorie um Ernst Machs Trägheitsprinzip, das »Mach-Prinzip« (alle Trägheitsfelder können explizit auf die Wirkung kosmischer Massen zurückgeführt werden). Einstein, der, wie immer, weiter dachte, legte die Allgemeine Relativitätstheorie vor, in die er nun auch die Schwerkraft aufgenommen hatte — die gegenseitige Anziehungskraft aller Massekörper und die Wirkung, die dies wiederum auf die Krümmung von Zeit und Raum hat (so wie ein fester Körper Wasser verdrängt).* (* Zuletzt stellte (als einer von vielen in über fünfzig Jahren) der Solarphysiker Henry A. Hill von der Universität von Arizona Einsteins Allgemeine Relativitätstheorie in Frage. Er hatte in einer Untersuchung herausgefunden, wie verschieden berechnete Merkmale der Sonne die Umlaufbahn des Merkurs auf eine von Einstein nicht vorausgesehene Weise beeinflußten. Ob sich diese Theorie nun als richtig oder falsch erweisen wird - diese jüngste Kontroverse wird wahrscheinlich wiederum ein Anstoß für ein erneutes Oberdenken von Einsteins Theorien sein und eine Möglichkeit, sie noch weiterzuentwickeln.) Damit war die Vorstellung einer absoluten Bewegung und eines absoluten Raumes auf immer dahin. Die Welt, in der wir dreidimensional leben, ist in Wirklichkeit ein vierdimensionales Raum-Zeit-Kontinuum.
Die Quanten-Physik hat die beiden grundlegenden Voraussetzungen der klassischen Naturwissenschaft — Kausalität und Determinismus — zerschlagen und damit das innere, mikroskopische Universum zugänglich gemacht. Die Relativitätstheorie hatte alle früheren Voraussetzungen für Raum, Zeit, Bewegung und Schwerkraft zerschlagen und damit das äußere makroskopische Universum eröffnet. Nichts würde wieder so sein wie vorher. Die Schockwellen folgten schnell und dicht aufeinander (und, natürlich, in Partikeln):
1925 kam die Vorstellung, daß sich Teilchen manchmal wie Wellen verhielten und vice versa, durch die Arbeiten von de Broglie, Schrödinger, Born und Jordan, Heisenberg und Bohr zu ihrem Höhepunkt in der Erkenntnis, daß ein Teilchen eine Welle sein konnte und umgekehrt (genau wie eine U-Bahn-Benutzerin zur Stoßzeit sowohl ein Individuum mit eigenem Ziel und zugleich, wenn sich die Wagentür öffnet und sie inmitten der Menge der anderen Fahrgäste entläßt, eine Welle ist).
1927 legte Heisenberg seine heute berühmte Erkenntnis über physikalische Gesetze, die Theorie der Unschärferelation, vor. Er stellte fest, daß es prinzipiell unmöglich sei, den Ort und die Geschwindigkeit eines Elektrons zur gleichen Zeit festzustellen; je genauer man den Ort bestimmen kann, desto größer wird die Unsicherheit in bezug auf die Geschwindigkeit und umgekehrt. Die Unschärferelation folgt dem Gedankengang in zwei Aussprüchen von Einstein, die wirklich schöne Aphorismen sind: «Man könnte sagen, das ewige Mysterium der Welt ist ihre Verständlichkeit« und «die Theorie entscheidet darüber, was wir entdecken können«. Der Determinismus hatte, zusammen mit dem absoluten Raum, der absoluten Zeit, Bewegung und Schwerkraft und all den anderen «Konstanten«, den Raum verlassen.
Dies wiederum gab den Anstoß zu Niels Bohrs neuer Philosophie der Komplementarität. Sie lautet etwa folgendermaßen: wenn es auch nicht möglich ist, die Geschwindigkeit und den Ort eines Elektrons zur gleichen Zeit zu bestimmen, so ist doch jedes von beidem für sich notwendig, um ein vollständiges Bild der Realität des Atoms zu gewinnen — genau wie das «Teilchenbild« und das «Wellenbild« komplementäre Beschreibungen der gleichen Realität sind, auch wenn sie nicht gleichzeitig gemessen werden können. Mit anderen Worten: Auch wenn die Methoden auf das entweder/oder beschränkt sind, so kann die Vorstellung doch beide umfassen und einen Blick aufs Ganze erhaschen.* (* Ironischerweise lehnte Einstein sowohl die Heisenberg'sche Unschärferelation («Gott würfelt nicht mit der Welt«) als auch Bohrs Komplimentaritäts-Philosophie ab. Bis zu seinem Lebensende suchte Einstein eine deterministische Ursache, die alle Widersprüche, die er selbst entdeckt hatte, vereinen würden. Es gab eine Reihe außergewöhnlicher Debatten zwischen Einstein und Bohr. Obgleich diese Diskussionen 1927 in Belgien stattfanden, wurden sie als die Kopenhagener Debatten bekannt. Bohr war Däne und seine Meinung schien die Oberhand zu gewinnen. Die beiden Positionen lauteten - verkürzt —: die Realität wird durch die Qualität meiner Beobachtung verändert oder gar erst geschaffen, sagte Bohr, - Realität bleibt Realität, sie folgt ihren eigenen Gesetzen, auch wenn sich diese Gesetze bisher unserer Erkenntnis entziehen, sagte Einstein. »Es war wie ein Dialog zwischen der rechten und der linken Hälfte des kosmischen Gehirns«, meinte der Physiker Fred Alan Wolf. («Taking the Quantum Leap«, New York 1981). In den letzten fünfzig Jahren war die sogenannte Kopenhagener Richtung in der modernen Physik vorherrschend. Die aristotelische Weltsicht des späten Einstein - ein mechanistisches, deterministisches, kausales Universum -, wurde als anachronistisch angesehen. Doch bleibt die Debatte angesichts immer neuer «unsystematischer Systeme nach wie vor ständig im Fluß.)
Aus dieser Theorie entstand eine ganz neue holistische Richtung in der Physik.
Weitere Entwicklungen folgten schnell aufeinander. Ich werde hier willkürlich in der Zeit hin- und herspringen, denn (1) ist Zeit relativ, (2) was ein Teilchen kann, kann ich auch, und (3) habe ich eine Schwäche für Formen, die Ausdruck des Inhalts sind. Wie beispielsweise John A. Wheelers, Princeton, (der köstliche Sachen sagt wie «es existiert kein Gesetz außer dem Gesetz, daß kein Gesetz existiert«) Erfindung der Schwarzen Löcher für energiehaltige Pockennarben im fernen Universum — vermutlich ausgebrannte Sterne die aufgrund ihrer enormen Schwerkraft zusammengefallen sind und nun Raumzeit und Licht in sich aufsaugen. Wheeler nimmt an, daß ein Schwarzes Loch in unserem Universum sich als Weißes Loch herausstellen kann, das Energie in ein anderes Universum explodiert, und daß die Geburt eines Sterns in unserem Universum möglicherweise spiegelbildlich aus dem Schwarzen Loch eines anderen Universums erfolgt. Wheeler glaubt auch, daß die Bühne, auf der sich das Universum (sein Raum) bewegt, selbst eine größere Bühne darstellt — ein Superraum.
Dann R. P. Feynman, dessen Diagramme nachwiesen, daß Teilchen zur Zeitumkehr gebracht werden können, wenn auch nur für einen kurzen Augenblick. Dann Erwin Schrödinger mit seinem philosophischen/physikalischen Paradoxon (genannt «Schrödingers Katze«). Damit wird Wahrnehmung als ALLES postuliert. Es zeigt, daß «bewiesen« werden kann, daß eine (hypotethische) Katze in einer (theoretischen) Kiste lebendig und tot zugleich ist — bis zu dem Augenblick, wo man in die Kiste schaut und die Situation wahrnimmt* (* Dieses Experiment hat mich immer aufgeregt, auch hypothetisch. Ich wünschte, Schrödinger hätte es mit einer Schlange oder einem Blutegel durchgeführt. Aber eine Katze — du meine Güte!) Dann J. S. Bell, der das Bell-Theorem formulierte: wenn zwei Teilchen zueinander in Beziehung stehen und dann in unterschiedliche Richtungen auseinanderfliegen, beeinflußt alles, was dem einen Teilchen zustößt, auch immer noch das andere Teilchen, ganz gleich wie weit sie auseinander sind. Es ist, als bestünde eine telepathische Verbindung zwischen ihnen oder eine «Quantum-Verknüpftheit von entfernten Systemen«. Und dann Wolfgang Pauli, der das Pauli-Prinzip entwickelte: in einem Atom können keine zwei Elektronen in bezug auf ihren Zustand völlig übereinstimmen. Die Anwesenheit eines Elektrons mit einem bestimmten Satz von Eigenschaften oder «Quanten-Zahlen« schließt die Anwesenheit eines anderen Elektrons im gleichen Zustand aus. Eine mathematische Präzision, die zeigt, daß das Universum wirklich einen Sinn fürs Detail hat. (Pauli arbeitete auch mit Jung an dem berühmten Aufsatz «Synchronizität: ein akausales verbindendes Prinzip« zusammen, mit dem Jung den Terminus »Syn-Chronizität« prägte.)
Zu den jüngsten Entwicklungen auf dem Gebiet der Theorie gehört David Böhms Gedanke, daß es im Universum eine «implizite« Ordnung gibt, ein kosmisches Gewebe von Zusammenhängen auf einer tieferen «nicht-manifesten« Ebene, das eine «ungebrochene Ganzheit« darstellt. Dann gibt es Geoffry Chews S-Matrix-Theorie, auch als  «Bootstrap-Ansatz« bekannt. (Bootstrap — Schnürsenkel — weil hier alle Eigenschaften der Teilchen und ihre Wechselwirkungen ausschließlich aus der Notwendigkeit der Gesamtübereinstimmung abgeleitet werden). Die S-Matrix-Theorie postuliert also äußerst radikal, daß es im Universum keinerlei fundamentale Einheiten gibt — keine fundamentalen Gesetze,  Prinzipien, Bausteine, Gleichungen, Konstanten. Das Universum wird vielmehr als dynamisches Netz oder Gewebe untereinander verbundener Geschehnisse betrachtet; alle ergeben sich aus den Eigenschaften der anderen Teile, und die folgerichtige Gesamtübereinstimmung ihrer Wechselbeziehungen determiniert die Struktur des ganzen Gewebes. «Jedes Teilchen wirkt an der Schaffung anderer Teilchen mit, die es wiederum ihrerseits erschaffen.«[3]  Das ist, wenn man darüber nachdenkt, äußerst verblüffend, besonders weil laut Chew «der Bootstrap-Ansatz, logisch zu Ende gedacht, impliziert, daß neben anderen Aspekten der Natur die Existenz von Bewußtsein notwendig für die Folgerichtigkeit des Ganzen (ist).«[4] (Hervorhebungen R.M.) Der Physiker Eugene Wigner stellt ebenfalls fest, das «es ohne Berücksichtigung von Bewußtsein nicht möglich gewesen (wäre), die Gesetze (der Quantentheorie) in letzter Folgerichtigkeit zu formulieren«.[5] Und Capra fügt hinzu, «die ausdrückliche Einbeziehung menschlichen Bewußtseins könnte zu einem entscheidenden Aspekt zukünftiger Theorien über die Materie werden«[6]

Wenn Euch jetzt vor Aufregung der Kopf schwirrt, keine Sorge, mir schwirrt er auch. Genauso geht es den Physikerköpfen und jedem Elektron, Planeten, Sonnensystem, jeder Galaxie und, vermutlich, dem Universum. Doch ist ein längerer Aufenthalt in der sich ausweitenden Landschaft der Neuen Physik, wofür die ständig wachsende Zahl von auch für Laien verständlich geschriebenen Büchern (siehe Bibliographie) die Eintrittskarte liefern, noch viel aufregender als unsere touristische Stippvisite. Es zeichnet sich eine Reihe von — stets vorläufigen — Schlußfolgerungen ab: die Physik hat entdeckt, daß die Grenze zur Metaphysik durchlässig ist; so wie die Magie von gestern die Medizin von heute ist, ist die Philosophie von gestern die Naturwissenschaft von heute. Oder um es mit Sir James Jeans zu sagen: «Das Universum erscheint mehr und mehr wie ein großer Gedanke statt einer großen Maschine.«
Daß alles Energie ist, daß sich alles bewegt, daß alles irgendwie für sich und getrennt und zugleich auf anderes bezogen, mit anderem verknüpft existiert, — das sind doch wohl äußerst entscheidende wissenschaftliche Tatsachen, die die Politik ruhig einmal zur Kenntnis nehmen könnte. Und, wie Arthur Koestler schrieb: «Das kosmische Modell des neunzehnten Jahrhunderts ist zerstört, und da der Begriff der Materie selbst entmaterialisiert wurde, kann der Materialismus nicht mehr den Anspruch erheben, eine wissenschaftliche Philosophie zu sein. «[7]
Noch kann, so möchte ich hinzufügen, der Materialismus länger den Anspruch erheben, eine politische Philosophie zu sein.
Die Quantenphysik ist ebenso wie der Feminismus eine Kritik der «zweiten Generation« an der alten Ordnung. Beide gehen noch weiter als die Revolutionen der «ersten Generation« gegen die vorherrschende Theorie des Determinismus.
Doch wie weit können wir gehen? Neugier und Begehren, techne und poesis fordern uns auf, das Werkzeug der Metapher zu benutzen, um das Wesen der Freiheit in seine Atome zu zerlegen. Indem wir also zunächst die klassische Physik und dann die Quantenphysik (und zwar weniger in präziser chronologischer Reihenfolge als in sichtbar-machender Entfaltung) als unsere Metapher wählen, können wir einen Quantensprung wagen und einen Blick auf die politische Evolution werfen.

DIE VERGANGENHEIT

Mechanische (klassische) Physik Der Stoff des
Universum besteht aus „Bausteinen".

Mechanische (traditionelle) Politik
Der Stoff der Gesellschaft besteht
aus „Bausteinen": zwei Geschlechter,
Rassen, Klassen, die Familie, Klans,
Stämme, Nationen, etc.
 
Der »Grund«Baustein ist das Atom Die »Grund«einheit
ist das Individuum.

Bausteine können in verschieder Weise
zusammengesetzt sein,sind aber auch
auseinanderzunehmen.

 

Materie und Material werden als real betrachtet.

Die entsprechenden Variablen sind die
Gesellschaftssysteme: die Herrschaft
der Häuptlinge, die Kriegerklasse,, die institutionelle
Monarchie, Feudalismus, der Aufstieg der Bourgeoisie.

Materialismus — und dialektischer Materialismus —
werden als realistische Systeme der Analyse betrachtet,
besonders nach der Industriellen „Revolution".

DIE GEGENWART

 
Quantenmechanik
Energie scheint zu fließen, besteht
jedoch aus Diskontinuität.
Die Anfänge der Quantenpolitik
Die Idee des Fortschritts bricht zusammen,
die „Bausteine" behindern die Flüssigkeit des Systems
(sozialistische und antikoloniale Revolution);
es beginnt eine Diskontinuität in den „Normen"
(Familienstrukturen verändern sich, sexuelle Vorlieben
werden offen ausgesprochen).
Die Spezielle Relativitätstheorie Die spezielle Theorie des Feminismus

Sieht Masse/Energie als eines, Raum/ Zeit
ebenfalls als eines und als relativ.
Damit ist die Vorstellung von
„Materie" am Ende. Die Theorie ist
insofern begrenzt, als sie Bewegung
noch nicht miteinbezieht.

Das Konzept, daß Teilchen Wellen und Wellen Teilchen sind.

 

Das Unschärfeprinzip
Wir können ein „Wavicle" entweder
als Welle oder als Partikel beobachten, doch nicht beides zur gleichen
Zeit. Wir können seinen Ort oder
seine Geschwindigkeit messen, doch nicht beides
zur gleichen Zeit.

Die Komplementaritäts-Tbeorie

Es ist nicht erforderlich, daß wir Welle und Partikel zur gleichen Zeit beobachten; wir können das Ganze aus seinen Teilen vorstellen oder ihre Komplementarität annehmen. Die Möglichkeit der Durchlässigkeit und gegenseitigen Durchdringung
von Partikeln wird erforscht. Es ist nicht mehr nötig,
ein System des Zusammenhangs vorauszusetzen,
um mit getrennten Teilen arbeiten und sie
erforschen zu können.

 

Spaltung: die Atomspaltung
Das Ende der Vorstellung von den »Grund«bausteinen
der Materie Die Erforschung subatomarer
und sub-subatomarer Teilchen beginnt.

Fusion: die thermonukleare Verschmelzung
von Atomkernen wird riskiert.

Die Wasserstoffbombe wird geschaffen
mit der Möglichkeit, durch künstlich
hergestellte Fusion Energie zu gewinnen,
trotz der damit verbundenen unvorstellbar
großen Gefahren.

Sieht, daß in Relation zur (männlichen)
Minderheit der Menschen, die Mehrheit
der Menschen (weiblich) unter gemeinsamen
Voraussetzungen lebt. Das ist der Anfang
vom Ende des Materialismus. Die Theorie ist
noch auf die innerfeministische
Bewegung begrenzt, hat noch nicht den
gesamten betroffenen Personenkreis erreicht.
Die feministische Betonung des »Prozesses«.
Die Wege/Mittel werden wichtiger als die Ziele/Zwecke. Freiheit wird als ein Zustand erahnt, der statisch und dynamisch zugleich ist.
Das Polaritätsprinzip
In der (fundamentalistischen) feministischen
Theorie zeigt sich entweder/oder-Denken: radikal
oder reformistisch, Aktivistin oder Denkerin, lesbisch oder heterosexuell, ökonomische Analyse oder kulturell/spiritueller Ansatz, die Rasse oder das Geschlecht hat die Priorität, Arbeit innerhalb des Systems oder außerhalb, und so weiter ad nauseam.
Pragmatische doch zerbrechliche Koalitionen
Trotz gegenseitigem Mißtrauen und Zynismus stellen
sich Bündnisse unter Frauen her: farbige Frauen und
weiße Frauen im Dialog, das internationale Netzwerk
wächst, es wird Verbindung gesucht zu Aktivistinnen
an der Umwelt-, der Universitäts-, Wirtschafts-, Alters-,
Kultur-»Front« und vielen anderen »Fronten« die
Entfremdung zwischen lesbischen und heterosexuellen
Frauen läßt nach und eine echte bisexuelle Haltung entsteht; einige Feministinnen versuchen verschämt,
sogar Frauen, die der rechte Flügel oder andere
Fundamentalisten fest im Griff haben, zu verstehen
und zu ihnen vorudringen.
Die Zersplitterung des Individuums
Femistinnen und Nicht-Feministinnen, Frauen und Männer, spüren das gleiche: chronische Ängste,
die auf die Ankunft des jüngsten Gerichts ausgerichtete politische Taktik und verstärkten Terrorismus, psychologischen Reduktionismus verbunden mit einer verzweifelten Suche nach dem »Selbst«,
Ausgebranntsein.

Fusion der Alten Ordnungen wird riskiert.

Ein Bündnis zwischen den »Arbeitern« und dem
Staatskapitalismus wird erzwungen (der zur
Zeit existierende »Kommunismus«);
ein Bündnis zwischen dem »Verbraucher« und den
Mega-Wirtschafts-konzernen wird erzwungen
(der zur Zeit existierende »Kapitalismus«);
viele Versuche werden gemacht, alte
Verhaltensweisen als neue auszugeben,
ungeachtet der unvorstellbar großen Gefahren,
die in diesem Vorgehen liegen.

DIE ZUKUNFT

 

Allgemeine Relativitätstheorie
Die Entdeckung, daß die
Anziehungskraft zwischen festen Körpern auch relativ ist.

 

 

 

 

 

Das Konzept vom Teilnehmenden
Beobachter.

Im Experiment verändert sich das,
was beobachtet wird, allein durch
die Tatsache der Beobachtung; alle
Dinge stehen in Wechselwirkung.

 

 

 

 

 

 

 

 

Quantenfeldtheorie
Die Theorie will Quantenmechanik und Relativität
verbinden, sie besagt, daß Partikel tatsächlich
Felder sind, die miteinander »an bestimmten
Orten und zu bestimmten Zeiten« in Wechselwir-
kung stehen; das Konzept, daß der Raum keineswegs leer ist.

Laufende Bemühungen um eine Vereinigte
Feldtheorie

Dazu gehören die verschiedenen Konzepte
der »versteckten Variablen« und der »verborgenen
Ordnung«;die Yang-Mills Eichfeldtheorie der
symmetrischen doch unstabilen Wechsel-
wirkungen; Böhms »implizites Universum«
— ein kosmisches Netz von Verknüpfungen ;
Chews S-Matrix-Theorie und »hootstrapping«-
Teilchen, die sich gegenseitig in Mustern von
»Selbst-Übereinstimmung involvieren«. Es
wird die Möglichkeit geprüft, daß die Materie
keine grundlegenden Bestandteile hat, keine
grundlegenden Prinzipien oder Gesetze, außer
möglicherweise denen des Bewußtseins.

 

 

 

Die laufende Entdeckung von sub-
subatomaren Teilchen

Bisher wurden fast dreihundert solcher Teilchen
entdeckt, dazu gehören Protonen (und ihre mög-
lichen Zerfallsprodukte), Leptonen, Gluonen,
Baryonen, Mesonen und Hadronen, die als Quarks
bezeichnet werden (die Größe eines Quark wird
als etwa zehnmillionenmal kleiner als ein Atom
angenommen), oder Quarks mit Charme (weil sie nur ihrer eigenen Unberechenbarkeit zu folgen
scheinen), oder rote, weiße und blaue Quarks,
oder »Psi-Partikel«, oder Partikel, die lediglich
als »Resonanzen« bezeichnet werden, die
»eine Tendenz zu existieren« haben - sie sind
postulierbar, doch nachweisbar nur durch die Lichtspuren, die ihre nichtbewegliche Bewe-
gung bei der Beobachtung in Blasenkammern hinterläßt.

Allgemeine Theorie des Feminismus
Die Theorie beginnt, sich über die ungenauen
Grenzen dessen, was bisher als die
Frauenbewegung angesehen wurde,
hinauszubewegen; die feministische
Vision erreicht das Bewußtsein aller
Menschen und diese wiederum wirken -
jeweils relativ zu ihrer jeweiligen
persönlichen Situation - auf den
Feminismus zurück. Wir entdecken,
daß Feminismus ebenso zu den
Freiheitskämpfen in der Dritten Welt
gehört wie zu der Neuen Weltwirtschafts-
ordnung;daß Feminismus von entscheidender
Bedeutung bei der Lösung von durch Bevölke-
rungswachstum. Hunger, Krieg, Analpha-
betentum, Krankheit, Nationalismus,
Umweltzerstörung etc. hervorgerufenen
Krisen ist; daß Feminismus seine Auswir-
kungen auf alle Vorstellungen in
Sexualitäts-, Alters-, sozioökonomischen,
kulturell/spirituellen und wissenschaftlich/ästhetischen
Fragen hat. Der Nationalismus und andere
traditionelle politische Systeme beginnen
zu zerbröckeln und stürzen unter der
Anziehungskraft zwischen Individuen und
Gruppen, die in ihnen leben und diese
Verbindungen herstellen.
Das Ende der »Ausnahme«.

Der globale Anfangssatz: »Ich bin zwar
keine Feministin, aber…« Das ist die unausweichliche
(eingestandene) Erkenntnis unter Frauen und die unausweichliche (noch uneingestandene) Erkennt-
nis unter Männern, daß die vom Feminismus erkannte
Situation die ihre ist. Das ist zugleich ihre
(eingestandene und uneingestandene) Sehnsucht
nach den Veränderungen, für die der Feminismus
steht.
Metafeministische Synchronizitäten
Metafeminismus will den Zusammenbruch der globalen
Systeme mit der Energie der feministischen Vision
als einer entscheidenden Lösung für Veränderung
verknüpfen. Die Erkenntnis dämmert, daß diese
Synthese genau das ist, was die Spezies seit
Jahrtausenden erahnt, ersehnt und gefürchtet hat.
Metafeminismus als Brücke zur Metapolitik
Alle grundlegenden Gesetze, Kategorien, alles
Kategorisieren und alle Verhaltens-»Normen«
erweisen sich als illusorisch. Mit den
Grundsätzlichkeiten verschwindet auch der
Fundamentalismus. Das Bewußtsein wird aus
einem neuen Bewußtsein heraus neu erfunden.
Zwischen dem Individuum und dem Kollektiv/
der Spezies/dem Lebendigen/der Bewegung des
Universums stellt sich ein Gleichgewicht her;
zwischen dem Einzigartigen und dem Allge-
meinen wird kein Widerspruch mehr gesehen;
Unterschiede und Ähnlichkeiten befinden sich
in einem rühmenswerten Gleichgewicht, jedes
in Selbstübereinstimmung und zugleich gegen-
seitig involviert.
Mikro- und makrokosmische Revo-und Evolution in einer vertikalen Krümmung
Alle Facetten des Bewußtseins blühen, neue
Formen der Intelligenz entwickeln sich und
schaffen wiederum weitere neue Formen.
Exzentrische und eklektische, agnostische,
akrostische Lösungen alter Probleme werden
mit »quark«igen genialen Strategien umge-
setzt. Freiheit ist nun wirklich sowohl
nachweisbar als auch postulierbar-,
Freiheit, die »eine Tendenz zu existieren«
hat und von deren Existenz wir — wegen der
Geschwindigkeit und der Energie, mit der
sie sich bewegt -, nur durch die von ihr
hinterlassenen Lichtspuren wissen können.

   
   
   
   
 

INZWISCHEN: ZURÜCK ZU «DAS PERSÖNLICHE UND DAS POLITISCHE«
Ja, sagt ihr, das ist ja alles schön und gut und sehr eindrucksvoll und kosmisch — aber mir ist nicht ganz klar, wie mir ein flüchtiger Eindruck von der impliziten Ordnung oder von der Tendenz gewisser Resonanzen «zu existieren« dabei helfen kann, daß Hermann endlich seine Socken aufhebt, und Mr. Smithjones mich bei der Arbeit nicht mehr in den Hintern kneift, ich nachts allein auf der Straße weniger nervös bin, ein angemessenes Gehalt bekomme, einen Babysitter finde. Ich sehe nicht, wie das die Kriegsmaschinerie abschaffen oder oder oder ... eben einfach eine ganz gewöhnliche alte feministische Revolution bewerkstelligen kann.
Ich verstehe euer Argument. Aber wir haben ja gerade erst angefangen zu begreifen, welch weitreichende Implikationen unsere Politik hat. Und mögen diese Implikationen auch am verblüffendsten erscheinen, wenn sie uns einen Weg in die Zukunft, in die Unendlichkeit weisen, so beziehen sie sich doch zugleich auch direkt auf die Gegenwart. (Zeit/Raum ist das gleiche und abhängig vom Beobachter, erinnert ihr euch?)
Zunächst einmal wird die Tatsache, daß sich jede von uns der zentralen Bedeutung der feministischen Vision als solcher voll bewußt wird, enorme Auswirkungen darauf haben, wie jede/r sich verhält, wie wir unser persönliches Leben führen und unsere politischen Strategien gestalten. Wir betteln nicht mehr um Rechte: die Zukunft der Intelligenz selbst steht auf dem Spiel. Unsere Politik richtet sich nicht mehr jeweils nur auf ein einziges Ziel: (also nicht mehr auf das Recht der Gebärfreiheit verzichten, damit der ERA (Verfassungszusatz der Gleichberechtigung) nicht gefährdet wird, oder auf den ERA verzichten, weil er nicht radikal genug sein könnte, oder alles fallenlassen und auf dem Gebiet der Wirtschaftsanalysen arbeiten oder des Gewalt-gegen-Frauen-Problems oder am Internationalen Netzwerk) : Berührt nicht auch das Elektron auf seiner Umlaufbahn alles zur gleichen Zeit? Keine Opferhaltung mehr (in der wir uns von Kummer und Schmerz angesichts unserer Situation als Frauen lähmen lassen, in Hoffnungslosigkeit, Zynismus, Depression, Ausgebranntsein oder gar Verrat an der Sache verfallen): daß wir das Bild jeweils nur als Welle oder als Teilchen sehen können heißt doch noch lange nicht, daß es nicht immer beides zugleich ist und sich dazu noch in dynamischer Bewegung befindet. Keine Politik der einzig wahren Linie mehr, niemals mehr: daß sich die eine von uns auf Geschwindigkeit konzentriert und die andere auf den festen Ort, heißt doch noch lange nicht, daß wir uns nicht gegenseitig brauchen, um das ganze Bild zusammenzusetzen (Unschärferelation), und daß eben gerade die Unterschiedlichkeit unserer Lebensbedingungen nicht letztendlich zu einer stärkeren Gemeinsamkeit führt (Komplementaritätstheorie).
Wenn wir wirklich die volle Bedeutung dessen, wofür wir kämpfen, begreifen, dann wird uns das allein bereits die Strategien liefern und uns die Kraft und die Ausdauer geben, die wir brauchen, um zu gewinnen. Verhalte dich wie eine, die die Welt retten wird. Denn genau das wirst du tun.
Auf einer noch einfacheren Ebene können wir unseren Rahmen der Physik des Feminismus auf das, was manchmal scherzhaft das tägliche Leben genannt wird, anwenden. Da sind besonders drei Bereiche entscheidend für unser unmittelbares Überleben als Frauen und als Feministinnen — und übrigens auch als Männer. Einmal ist da das Problem der gezügelten Gefühlskräfte. Ein zweites ist die Art und Weise, wie wir unsere persönlichen Beziehungen leben, die jede/r von uns (außer Solipsisten) braucht, wenn sie/er lange genug überleben will, um ihr/sein Partikel/Selbst durch das Feld des magnetischen Austausches zu steuern. Und drittens ist da der Widerspruch, der im menschlichen Mangel an und in der Sehnsucht nach Verbundenheit liegt — mit allen Gefahren, die damit verknüpft sind.
Nennen wir unseren Rahmen die F-Matrix-Theorie, mit der Gleichung F = et2 oder: Feminismus ist gleich Egalite/Ermächtigung/Evolution mal Transformationsgeschwindigkeit im Quadrat. Und nun wollen wir F = et2 auf diese drei Bereiche des täglichen Lebens anwenden:

  1. Die gezügelten Gefühlskräfte. Hier geht es nicht einfach um «Repression«. Ich spreche von der Weigerung von MANN, die verborgene Variable in Männern (Liebe) und von der Weigerung von FRAU, die verborgene Variable in Frauen (Wut) wahrhaben zu wollen.* (*Dies sind die Umkehrungen von Gewalt und Romantik, die ich in Kapitel IV untersucht habe.) Jede gute Bewußtseinserweiterungs-Gruppe gestattet (unter anderem) einer Frau ihre Wut rauszulassen. Das leistet schließlich auch jede gute Freundin oder Therapeutin. Die Frauenbewegung tat das bis etwa 1976 — bis wir anfingen uns Sorgen über die «Entfremdung« zu machen und versuchten, uns anzupassen (an wen?), versuchten, die Intensität unserer eigenen Botschaft zu verwässern. Es konnte nicht überraschen, daß sich daraufhin viele Frauen von der Frauenbewegung leicht gelangweilt fühlten und viele Feministinnen eine Neigung zu Schlaganfällen entwickelten, weil sich unsere Wut wieder einmal innerlich aufstaute. Es konnte ebensowenig überraschen, daß (einige) Männer, die — zunächst sehr sehr unbeholfen — versuchten, «das Lieben zu praktizieren«, frontal mit unserer lächelnd unterdrückten Wut kollidierten, verwirrt wurden und — in vielen Fällen äußerst träge — aufgaben. (Schließlich hatten sie bei diesem Experiment ganz konkrete Privilegien zu verlieren, und das Licht des aufgeklärten Eigeninteresses, das wir in ihnen zu entzünden hofften, dürfte wohl erst in einigen Dekaden — oder Jahrtausenden — zu leuchten beginnen.)
    Und jetzt müssen wir wieder ganz von vorn und endgültig das Atom unserer von MANN und FRAU bestimmten Gefühle spalten und die ungeheure Energie von Wut und Liebe freisetzen. Ich frage noch einmal: wenn Frauen sich nicht selbst und sich nicht gegenseitig gestatten, wütend, kühn und wagemutig zu sein, wer sonst sollte es tun? Männer haben es da wirklich leichter: wenn Männer sich nicht selbst und sich nicht gegenseitig gestatten, zu lieben (und einige versuchen es) — Frauen werden es ganz bestimmt tun. Doch die Gefühle von richtigen Frauen und richtigen Männern müssen aus der Schale von MANN und FRAU abgespalten werden — und diesmal muß diese Spaltung fortgesetzt werden.
  2. Die Art und Weise, Beziehungen zu leben. Das ist sehr komplex. Doch vielleicht ist die Relativitätstheorie hilfreich, um eine Annäherung zu versuchen (das ist nicht unter Fremden zu empfehlen, sondern kann nur innerhalb von Beziehungen funktionieren, unter Partnern, Liebenden, Freunden, Kollegen etc.): Wie wäre es, wenn wir eine Frau so behandelten wie einen Mann — und umgekehrt? Ehe ich unter dem Gewicht der feministisch-fundamentalistischen Steine, die wegen einer solchen Ketzerei auf mich geschleudert werden, meinen Geist aufgebe, laßt mich erklären.
    Nehmen wir beispielsweise an, du (eine Frau) lebst mit einer anderen Frau zusammen, mit einer Geliebten oder einfach nur mit einer Mitbewohnerin. Nehmen wir an, daß sie manchmal ihre schmutzigen Stiefel auf den Tisch legt, daß sie überall die Asche herumstreut, grundsätzlich zu jeder Verabredung zu spät kommt oder einen Schmutzrand in der Badewanne hinterläßt. (Frauen sollen, da sie menschlich sind, tatsächlich schon derartige Dinge getan haben. Und ich habe hier bewußt die kleineren Übel gewählt. Ihr könnt die größeren ergänzen.) Stell dir nur für einen Augenblick vor, wie du solches Verhalten beurteilen würdest, wäre sie ein Mann. Automatisch kommt sofort die feministische Analyse in Gang: dieser schlampige, rücksichtslose, vom Männlichkeitswahn besessene Kerl, der absichtlich seine Macht über dich ausspielt. Bei einem Mann würdest du ein solches Verhalten vermutlich nicht dulden (jedenfalls hoffe ich das), doch viele Frauen akzeptieren es bei anderen Frauen — bei Geliebten und Freundinnen. Und das ist einfach totaler Quatsch, meine ich (die ich das auch häufig mitgemacht habe). Warum sollten wir den Standard unserer Umgangsformen bei Frauen niedriger ansetzen?
    Wenn wir uns andererseits von einem Mann Haltungen oder Handlungen gefallen lassen, die wir einer anderen Frau nie durchgehen lassen würden ... aha. Die einzige Möglichkeit, dieses sehr reale Machtbeben zu überwinden, ist, so meine ich, ein Quantensprung heraus aus diesem Quatsch (in dem ich selbst oft genug mitgebebt habe). Und dann klarmachen, daß für dich ein solches Benehmen bei einer Frau unerträglich und bei einem Mann genauso wenig erträglich ist.
    Wie wäre es also, in anderen Worten, wenn wir den Schritt wagten, ein nachrevolutionäres Bewußtsein bereits in diesen vorrevolutionären Zeiten zu leben — zumindest in persönlichen Beziehungen. Anderswo, in der Welt da draußen, wäre eine solche Taktik äußerst fragwürdig: es darauf ankommen lassen und unbedingt morgens früh um drei allein spazieren gehen erweckt vielleicht einen nachrevolutionären Anschein, wird aber wahrscheinlich in einem vorrevolutionären Krankenhaus enden. Dennoch ist es möglich, die Opferhaltung hinter sich zu lassen, zumindest in den persönlichen Beziehungen — und zwar nicht, indem wir den anderen Menschen verändern, sondern indem wir uns selbst ändern. Ich selbst bin der einzige Mensch, bei dem ich letztendlich wirklich die Macht habe, Veränderungen herbeizuführen. Solche Veränderungen im eigenen Selbst sind möglich und können, wie die miteinander in Wechselwirkung stehenden Felder, eine erstaunliche Wirkung auf die ausüben, die wir nicht direkt verändern können. Es ist dein Leben — und das einzige, dessen du wirklich gewiß bist. Kurz, wenn du die Geschwindigkeit deines Selbst-Lichts als Konstante entwickelst, dann kannst du bestimmen, auf welche Weise du es auf die, mit denen du umgehst, scheinen läßt, damit sie dir gegenüber relativ erscheinen, so wie du ihnen gegenüber, und sie sich zueinander relativ verhalten. Damit bleibst du bei dir und wirst doppelt angenehm belohnt: erstens verleiht dir das ein Gleichgewicht, eine Perspektive und ein klein wenig Macht, und zweitens ist es fair.
  3. Der menschliche Mangel an und die Sehnsucht nach Beziehung — und all die damit verbundenen Gefahren, Leiden und Ausflüchte. In diesem Falle steht F = et2 für einen ermutigenden Kurs, bei dem die von MANN und FRAU entwickelten Vorstellungen einer Verschmelzung in einer Beziehung verworfen werden, und statt dessen ein ausgewogeneres «Modell« ins Auge gefaßt wird: die Symbiose. Ich benutze diesen Terminus nicht im Freudschen Sinne (als negative Beschreibung von Tendenzen zu übermäßiger Abhängigkeit innerhalb einer mitmenschlichen Beziehung), sondern vielmehr in seiner ursprünglichen und wertfreien Bedeutung, wie sie im allgemeinen in der Biologie verwendet wird. Dort ist die zunächst wachsame, später sorgfältig entwickelte Interdependenz gemeint, das Geben-und-Nehmen, wie es viele Lebensformen entwickelt haben um zu überleben. Die Yucca-Pflanze könnte ohne das eine bestimmte Insekt, das ihre Bestäubung vornimmt, nicht existieren, — und dies Insekt wiederum könnte nicht überleben, hätte es nicht die Yucca-Pflanze als Nahrungsspender und Versteck für seine Eier. Ein bestimmter Krebs und eine bestimmte Seeanemone erkennen jeweils an der Zeichnung des anderen, daß sie füreinander Überleben bedeuten. Lewis Thomas eindrucksvolles Beispiel der Medusenqualle und ihrer Symbiotin, der Schnecke — die sogar auf virtuose Weise in ihrer Symbiose die Rollen vertauschen — ist ein besonders ermutigendes «Modell«.[8] «Liebe ist komplexer als Theorie«, schrieb ich einst in einem Gedicht, lange ehe ich überhaupt so weit war zu wissen, daß ich das wußte. (Das wird wahrscheinlich das Traum-Selbst geschrieben haben.) Douglas Hofstadter hatte vielleicht etwas ähnliches im Sinn, als er den Mathematiker Gödel abwandelte: «Die Tatsache, daß die Wahrheit in jedem gegebenen formalen System über SATZ-heit hinausgeht, nennt man die «Unvollständigkeit« dieses Systems.[9] Warum läßt auch nur eine von uns zu, daß MANN oder FRAU den lebensspendenden Prozeß der Symbiose verzerren und statt dessen von Verschmelzung sprechen? Warum läßt auch nur eine von uns zu, daß als Reaktion auf diese Verzerrung die «linientreue« fundamantalistische Politik verkündet, wir hätten kein Recht wenigstens auch nur zu versuchen zu lieben, zu verknüpfen, Querverbindungen und enge Zusammenhänge herzustellen wo wir es wollen — wenn wir uns dabei besser, stärker, kraftvoller fühlen und wenn wir dabei niemandes Existenz schmälern oder schädigen? Wie die Wicca-Leute sagen »Tu was du willst, und schade niemandem.«

Die alte Kühnheit dieser unserer Welle des Feminismus bestand darin, daß es Frauen wagten, unseren Schmerz zu benennen. Heute brauchen wir eine neue Kühnheit — eine, mit der wir die hochgradig ambivalente Vertrautheit unserer Opfersituation hinter uns lassen (dabei jedoch die uns umgebenden Gefahren mit wachstem Bewußtsein wahrnehmen). Diese neue Kühnheit würde es auch wagen, die äußerste radikale Politik zu bestätigen, die sich im Universum selbst reflektiert und zugleich dessen Reflex ist: die radikale Integration. Integration des Selbst in das Selbst (wörtlich: Integrität), und gegenseitige Integration und Integration unserer Vision und allen Lebens. Dazu gehörte auch das Wagnis, auch in einem vorrevolutionären Kontext aus jener nachrevolutionären Integrität heraus zu handeln.
Den Mut, den Feministinnen vor zwei Jahrzehnten aufbringen mußten, um die bereits existierende Aufspaltung der Welt in Männer und Frauen, die Trennung, die Qual zu benennen — und diese Aufspaltung mit allen anderen Spaltungen —, Rasse, Alter, Nationalität undsoweiter —, in Beziehung zu setzen, dieser Mut müßte heute ins Quadrat gesetzt werden (Transformationsgeschwindigkeit), damit wir die bereits existierende «implizite« Integration benennen können, die uns alle verbindet, umgibt, umfaßt. Dieser Mut müßte der Aufgabe angemessen sein. Er müßte es ablehnen, die Integrität des Selbst oder die Integrität des Feminismus zugunsten irgendeines illusorischen «zweiten« Stadiums, wie Betty Friedan vorschlug, zu opfern. Ein zweites Stadium, das die Politik von Sexus und Herrschaft hinter sich läßt (und zwar immer noch ungelöst) klingt alarmierend nach der alten erzwungenen Verschmelzung. Nein, der Weg, den ich meine — der Weg der radikalen Integration — opfert nichts außer falschen Kategorien und abgenutzten Strategien. Er hat das Potential, (verbitternden) Haß in (energiespendende) Wut zu verwandeln, und die Energie dieser Wut mit der noch größeren Energie der Liebe zu verbinden. Dieser Ansatz setzt voraus, daß die Macht bereits da ist und darauf wartet, von kühnen Händen ergriffen zu werden. Und er weist Wege, wie sie diese Hände, wenn sie die Macht einmal berührt haben, angemessen, würdevoll und gut gebrauchen.

DIE LUCY-DELPHIN-ALLIANZ
Während ich diese Worte niederschreibe bleiben uns nur noch sechs Monate, in denen der ERA von drei weiteren Staaten ratifiziert werden muß, damit er in die Verfassung der Vereinigten Staaten aufgenommen werden kann. Im Augenblick sieht es so aus, daß der Verfassungszusatz dank des Geldes und der Mobilisierung einer rechtsgerichteten amerikanischen Minorität nicht durchgehen wird. Jene Feministinnen, die sich in dieser Frage als ihre Priorität besonders stark engagiert haben schwören, daß die fünfzig Jahre Arbeit, die es brauchte, um den ERA bis zu diesem Stadium zu bringen, noch einmal durchlebt werden müssen.
Während ich dies schreibe, hat die Reagan-Verwaltung Budget-Kürzungen in Milliardenhöhe angekündigt, und zwar bei den Lebensmittelbeihilfen, der Sozialhilfe, der beruflichen Fortbildung, der Bildung, dem öffentlichen Verkehrssystem, dem Umweltschutz, dem Gesundheitswesen, der Stadtsanierung, den älteren Mitbürgern, und den Künsten - während sie zugleich Budget-Erhöhungen auf dem Verteidigungssektor ankündigt, und das in einem Land, das sich bereits mit dreißigtausend Kernwaffen in seinen Arsenalen schmückt.
Während ich dies schreibe, nimmt der Entwurf eines sogenannten Gesetzes zum Schutze menschlichen Lebens in aller Stille seinen Weg durch die Hallen des US-Kongresses. Mit diesem Gesetz wird weibliches menschliches Leben den »Rechten« einer Gruppe fötaler Zellen nachgeordnet. (Die unermeßliche Ignoranz der Fundamentalisten verblüfft mich immer wieder. Ihre «Achtung vor dem Leben« unterscheidet sich grundsätzlich von der der Natur. Sie läßt an einem Eichbaum hunderte von Eicheln reifen, weil sie nur zu genau weiß, daß nur einige wenige eine minimale Chance haben, selbst Eichen zu werden. Und weil sie ebensogut weiß, daß dies für das Gleichgewicht des Lebens auf Erden notwendig ist, weil es hier sonst nichts als Eichen gäbe. Der unendliche Überfluß der Natur gründet sich auf eine in höchstem Grade unsentimentale Haltung dem Leben gegenüber, ganz im Gegensatz zur Haltung der Gebär-Fundamentalisten. Diese strömt den Dunst einer Bierkeller-Sentimentalität aus, die echte Gefühle ausschließt und immer eng mit faschistischem Denken verknüpft ist.)
Während ich dies schreibe, sprechen sogenannte Staatsmänner (sie!) allen Ernstes und schwülstig von einem Dritten Weltkrieg und schätzen in aller Ruhe die Megatode.
Während ich dies schreibe, organisieren und energetisieren Feministinnen in aller Welt sich und andere. Und die Feministinnen in den Vereinigten Staaten, obgleich erschöpft, deprimiert und ausgebrannt, sind wütend und Wollen es Nochmal Versuchen. Man sagt uns ständig, und das seit 1969, »die Frauenbewegung ist tot« — eine aus Wunschdenken geborene Feststellung, die sich als selbsterfüllende Prophezeiung auszugeben versucht. Man sagt uns, daß eine als «Neue Klasse« bezeichnete Gruppe von Intellektuellen und Bürokraten an die Macht kommt. Wenn ich etwas über diese Leute und ihre Politik lese, dann klingt das merkwürdigerweise genau wie die «Alte Klasse«. Sie alle sind mit abstrakter Rhetorik, selektivem Hören und Penissen ausgestattet. Einzelne feministische Aktivistinnen und Denkerinnen sprechen häufig mit einer Art bitterem Galgenhumor über ihr persönliches Leben. Das ist die Nachwirkung der Jahre, die sie damit verbracht haben, eine der zahlreichen spezifischen «Greuel« zu erforschen, ans Licht zu bringen und Gegenmaßnahmen zu organisieren. Das kann Gewalt gegen Frauen sein oder sexuelle Versklavung oder Pornographie, oder Entwicklung in der Fortpflanzungstechnologie, oder Frauen in den Gefängnissen oder in Nervenheilanstalten. Diese Feministinnen, die manchmal eine breitere Perspektive (mit den sie begleitenden erfreulicheren Aussichten) geopfert haben, um dringend notwendige Arbeit auf einem begrenzten Gebiet zu tun, sind vorübergehend «Unfallopfer«, bis sie wieder ein wenig Perspektive zurückgewinnen und ein bißchen politische Hühnerbrühe es ihnen möglich macht, sich im Bett aufzusetzen und nach einiger Zeit wieder ein paar zögernde Schritte zu tun. Dennoch bleiben sie heroisch bei ihrer Sache. Andere wiederum, die an die verschiedenen, heute vergessenen Verhaltensvorschriften irgendeiner vergangenen Phase glaubten und ihr ganzes Leben für irgendeine versprochene aber nie erfolgte Anerkennung durch ein Zentral-Komitee umkrempelten, taumeln nun umher und versuchen, dieses Leben wieder in Form zu bringen. Eine geht mit siebenunddreißig nochmal aufs College, nachdem sie mit zwanzig ihre Ausbildung abbrach, weil man ihr gesagt hatte, höhere Bildung sei elitär; einer wird klar, daß ihr Ex-Ehemann trotz allem der netteste Mann war, den sie je gekannt hat; eine andere wiederum beschließt nach Jahren politisch reiner doch unbezahlter Projektarbeit, daß sie jetzt gern ein vernünftiges Gehalt verdienen und ein paar Bücher, Pflanzen und Kleider kaufen würde. Gleichzeitig stellen andere fest «Omeingott, ich war ja doch gar nicht richtig antimonogam«, oder «Omeingott, ich hasse Wohngemeinschaften, hätte ich doch nie meinen Freund verlassen!«
Die uneingestandene Misogynie in der Frauenbewegung ist immer noch unsere größte Schwäche — nicht, weil es diese Misogynie gibt, sondern weil sie uneingestanden ist. Sie gleicht dem versteckten Antisemitismus einiger Juden, oder dem hellere-dunklere-Hauttönung-Vorurteil, das in der Bewegung der Schwarzen so viel Kummer und Schmerz verursacht hat. Wir alle kennen die Ursachen: die horizontale Feindseligkeit, die von jenen, die da teilen-und-herrschen, unter den Unterdrückten gefördert wird; die Selbstverachtung, die auf andere projiziert wird. Das ist eine alte Geschichte — doch immer noch skandalös.
Die Misogynie kann sich geläufiger politischer Phrasen bedienen, um ihren Frauenhaß zu kaschieren: sie kann eine Frau als «nicht authentisch« bezeichnen, oder als «männeridentifiziert«, oder als «Plastik«, oder «Lesbe«, oder «konventionell«, oder «individualistisch«, oder «besessen«, oder nur (geringschätzig) «liberal« oder (geringschätzig) «radikal«. Stets werden die Unterschiede stärker betont als die Gemeinsamkeiten — das ist ein Erkennungsmerkmal für Misogynie. Ein weiterer Indikator ist, ob eine Frau mehr als ein Viertel ihres Gesprächs darauf verwendet, andere sogenannte Schwestern «durchzuhecheln«. Ein bißchen menschliche Übellaunigkeit, klar, doch wenn sie ein Viertel überschreitet ist Vorsicht geboten. Die diversen Verkleidungen, hinter denen sich diese Misogynie versteckt, sind natürlich heuchlerische Masken für die alten menschlichen Gefühle von Angst, Verwirrung, Angst, Eifersucht, Angst, Sehnsucht, Angst, Arroganz, Angst, Ignoranz — und Angst.
Vor einem halben Jahr erlebte ich, wie eine weiße Frau gegen eine Vorschlagsliste von Sprecherinnen auf einer antipornographischen Veranstaltung Einspruch erhob, weil, wie sie behauptete, keine schwarzen Frauen dabei seien. Es stellte sich heraus, daß mehr als die Hälfte der Namen auf der Liste Namen von farbigen Frauen waren — schwarz, lateinamerikanisch, und asio-amerikanisch — doch zufälligerweise trugen diese Frauen keine unmittelbar ethnisch zu identifizierende Namen, die ihren Vorurteilen einen Anhalt gegeben hätten, noch waren es farbige »Star«-Feministinnen, die oft auf derartigen Veranstaltungen sprachen, — und so machte sie in all ihrer Ignoranz und Arroganz ihrem Ärger Luft. Vor zwei Wochen las ich in einer feministischen Zeitschrift wütende Leserbriefe zu einem dort veröffentlichten Interview mit einer bekannten Wissenschaftlerin, die sich selbst als Feministin bezeichnete und, zu ihrer Haltung gegenüber dem Separatismus der Lesben befragt, sagte, daß sie sich allen Frauen verbunden fühle, sich mit allen Frauen identifiziere, jedoch nicht mit irgendeiner speziellen Gruppe. Die Briefe, die sie als homophobisch angriffen, kamen eindeutig von Frauen, die nicht eine Sekunde darüber nachgedacht hatten, ob diese Wissenschaftlerin nicht selbst lesbisch sein könnte. Sie ist es, jedoch (noch?) nicht offen, denn ihre Lebensumstände, Ehe, Kinder, Job üben auf sie einen Druck aus, der anderen lesbischen Frauen wohlbekannt sein sollte. Keine von ihnen ist, wie Athene, in voller Rüstung dem Haupt des Zeus entsprungen. In solchen Augenblicken voller Ironie jammere ich laut vor mich hin, «Wo bleibt denn unser Erbarmen miteinander? Wo unser Mitgefühl, wo unser Respekt vor der Individualität? Wo bleibt die Menschenliebe, die wir so oft und gern im Munde führen?«
Gewiß ist es verständlich, daß uns Erbarmen, Mitgefühl und Menschenliebe verdächtig sind, denn sie sind ja Eigenschaften von FRAU, die den Frauen seit Äonen aufgezwungen wurden. Dennoch sind es für sich genommen vorzügliche Eigenschaften. Es wäre hübsch, wenn auch MANN sie sich aneignete, und wenn Frauen sie mehr gegenüber anderen Frauen praktizierten, statt sie immer wie die sprichwörtlichen Perlen vor die Männer zu werfen.
Schließlich kann sich ein Partikel mit anderen Partikel verbinden und sich dann wieder vollständig herstellen, ohne im mindesten an Integrität einzubüßen. Ein jedes Spinnennetz ist so einzigartig und unterscheidet sich wie ein Fingerabdruck von allen anderen. Von den Elefanten hört man, daß sie ihre Toten betrauern und begraben. Delphine leisten sich gegenseitig Hebammendienste, pflegen ihre Kranken und Sterbenden, es kam vor, daß sie sich freiwillig um andere Delphine, die sich in Thunfischnetzen verfangen hatten, gekümmert haben, auch wenn das zum Abschlachten aller führen konnte. Walfische, die in Gruppen zu dritt oder viert reisen, singen sich gegenseitig zu, nicht nur, um ihre Position bekanntzugeben, sondern auch, wie es scheint, um sich gegenseitig bei Laune zu halten. Und es kam vor, daß sich ein gesunder Wal einem kranken und gestrandeten Wal zugesellte — möglicherweise eine mitfühlende wenn auch selbstmörderische Geste der Freundschaft. Sicher könnte doch die Menschheit, könnten die Frauen, könnten wenigstens Feministinnen sich der Individualität und der Nächstenliebe eines Partikels, einer Spinne, eines Delphins annähern?
Das Sprichwort «Vor der Morgendämmerung ist die Dunkelheit am tiefsten« wurde von Kafka weit eleganter umschrieben, als er sagte, daß sich Gnade, Transzendenz und Erlösung «nicht im letzten, sondern im allerletzten Moment« ereignen. Dieser Augenblick in der Geschichte ist ein — vielleicht der — Wendepunkt. Die durch einen solchen Druck erzeugte Panik ist wie die Panik in einem brennenden Raum voller Menschen, die keinen Ausweg wissen. Feministinnen sind da keine Ausnahme. Wir fürchten, daß uns «Ordnung« und «Führungspersönlichkeiten« und «Befehlsstrukturen« fehlen — und vergessen, daß diese scheinbare «Unordnung« immer unsere Stärke war. Es ist eine natürliche Unordnung, wie Erosion. Es ist die implizite Unordnung des Universums selbst — und auf diese Weise geschieht Veränderung. Nach Ellen DuBois' Beschreibung der Anfänge der Frauenbewegung im neunzehnten Jahrhundert, waren die Energien der Frauen «ungeprüft, implizit, und vor allem unorganisiert«.[10] (Hervorhebung R. M.)
Ich bin bestimmt nicht der Ansicht, daß wir nun unsere politische oder persönliche Vision nicht mehr überprüfen sollten, oder daß wir uns auf die faule Haut legen sollten, weil doch alles implizit ist, oder daß wir unseren Mangel an Organisation, wo er existieren sollte, nun als Errungenschaft feiern und ausdehnen. Ich meine nur, wir sollten die treibende Kraft für all unser Untersuchen und Organisieren ein bißchen positiver sehen. Nennt sie wie ihr wollt: Gerechtigkeit, der Durst der DNS die Dinge zu vervollkommnen oder F = et2.
Ich meine, wir sollten uns in unseren Augenblicken der Verzweiflung von der ruhigen Dringlichkeit Elizabeth Cady Stantons trösten lassen: «Wenn ich Verhaltensregeln für Reformer aufstellen sollte ... so würde ich an erster Stelle aufführen: >Tu alles was du kannst — ganz gleich was — damit die Menschen über deine Reform nachdenken. Und wenn die Reform gut ist, wird sie sich dann auch zum richtigen Zeitpunkt verwirklichen<.«
Haben wir alle, jede/r von uns, Frauen und Männer, «alles getan was wir konnten«, um persönlich und politisch an dieser Gleichung zu arbeiten, die die Geheimnisse unserer individuellen und kollektiven Universen erschließen kann? Ich glaube nicht. Wie viele von uns besitzen denn überhaupt nur die Grundinformationen über das, was in diesem Lande in diesem Augenblick geschieht? Zum Beispiel:

  • Die Aktionen des Rechten Flügels für eine Verfassungsändernde Versammlung bedarf der Unterstützung von zwei Drittel aller Bundesstaaten; in einem Drittel ist sie bereits angenommen worden. Eines der angegebenen Ziele ist es, einen Verfassungszusatz «das Leben beginnt mit der Empfängnis« durchzubringen (womit in den Vereinigten Staaten auf alle Zeiten das gesetzlich verbriefte Recht der Frau auf Kontrolle über ihre eigene Reproduktion abgeschafft wäre). Eines der meist nicht offen erwähnten, dennoch manchmal zugegebenen Ziele ist es, auf einem solchen Konvent die Bill of Rights (die ersten zehn Verfassungszusätze, die sich auf die Menschenrechte beziehen, A. d. Ü.) «zu überprüfen und zu revidieren«. (Thomas Paine rotiert im Grabe.)
  • Der «Gottvater« der «Neuen Rechten«, Richard A. Viguerie, sammelte über 7 Millionen Dollar zur Unterstützung des Wahlkampfes des Erzkonservativen Jesse Helms. Die Computer des Genies Viguerie enthalten 15 Millionen Namen. Er brüstet sich damit, daß er «zu jeder beliebigen Frage das Land mit Briefen überschütten kann« (und das tut er auch). Von seinem Hauptquartier in Virginia aus dirigiert er Gruppen vom Conservative Caucus bis zum Ku Klux Klan, dazu Hunderte von religiös-fundamentalistischen politischen Gruppen und «Recht-auf-Leben«-Organisationen. Und Ronald Reagan ist ihm zu liberal. Seine Computer seien so raffiniert, prahlt Viguerie, daß sie bei Bittbriefen um Spenden sogar handschriftliche Korrekturen einfügen (damit der Empfänger glaubt, eine Gruppe nicht-professioneller, idealistischer Freiwilliger habe die Briefe getippt) und Briefmarken — nicht Freistempler — ein wenig unregelmäßig auf die Umschläge dieser Briefe kleben (damit es so aussieht, als seien sie von den gleichen Freiwilligen frankiert worden). Allein Viguerie sollte Feministinnen dazu anregen, so schnell wie möglich ins zwanzigste Jahrhundert und ins Computer-Zeitalter einzutreten — nur um Schritt zu halten, vom Überholen gar nicht zu reden. Solange es Typen wie ihn gibt, können wir uns eine antitechnologische Haltung gar nicht leisten.
  • Der Entwurf für das sogenannte Familienschutz-Gesetz, das (während ich dies schreibe), im Kongreß ansteht, machte es, wenn er angenommen würde, einem homosexuellen Menschen, der stolz und offen zu seiner sexuellen Vorliebe steht, unmöglich, an öffentlichen Schulen zu unterrichten. (Soviel zu Sokrates und Platon.) Außerdem könnten jeder Schule die finanziellen Mittel entzogen werden, die nachweislich zweimal innerhalb von zehn Jahren Schulbücher verwendet hat, in denen Frauen in «untraditionellen Rollen« — also nicht als Ehefrau, Mutter, Krankenschwester etc. — dargestellt werden. (So viel zu Marie Curie, Indira Gandhi, Valentina Tereschkowa und Althea Gibson.) Mit dem Gesetz würden außerdem die Bundesmittel für die Häuser für geschlagene Frauen gestrichen (denn sie sind ja vor den Familienpflichten davongerannt), sowie für die Zufluchtsstätten für mißhandelte Kinder (Einbruch in die Rechte und die Privatsphäre der Familie), und es würde die körperliche Züchtigung in den Schulen erlauben («Man darf die Peitsche nicht aus der Hand geben«)- Feministinnen meinen, das Familienschutz-Gesetz sollte korrekterweise Patriarchenschutz-Gesetz heißen.
  • Unter die Geldonkel der Anti-ERA und Anti-Gebärfreiheit-Aktionen reihen sich einige große Versicherungsfirmen. Gewisse «liberale Themen« erweisen sich als radikal, wie wir anläßlich des ERA lernen mußten, als uns schmerzlich die wirtschaftlichen Gründe für die Opposition des Rechten Flügels bewußt wurden. Wir hätten wissen müssen, daß, wie Emerson sagte, «Jede Reform ... nur eine Maske (ist), hinter der sich eine noch viel schrecklichere Reform verbirgt, die sich nur noch nicht zu erkennen zu geben wagt.«
  • Phyllis Schlafly ist seit langem die Alibi-Frau für die Jungs von der Birch-Society, die Jungen Amerikaner für Freiheit, das Manion-Forum und die Amerikanische Konservative Union — die alle Verbindungen zu Schlaflys Adler-Forum haben (das eine der größten Anti-ERA-Organisationen ist).
  • Jedesmal, wenn wir «ihre« Terminologie benutzen, spielen wir ihnen in die Hände. Denn es sind Feministinnen, die die »Familie erhalten« — indem wir zulassen, daß sie sich neu definiert und damit wiederbelebt. Es sind Feministinnen, die sich echte Gedanken um Moral und Ethik machen. Es sind Feministinnen, die wirklich eine Politik der Liebe vertreten. Laßt uns die Worte zurückholen!* (* Vgl. Koestlers Essay «Die Holarchie« in Janus, wo er «Worte als Atome« analysiert, und Lewis Thomas' Lobgesang auf die Sprache als lebendem Organismus, bei dem die Worte die Zellen sind. (Essay «Lebende Sprache« in «Das Leben überlebt«.)
  • Jedesmal, wenn wir, ihr oder ich, es für unter unserer Würde halten, einen Brief zu schreiben (an einen Abgeordneten, eine Werbefirma, eine Zeitung, eine/n Stadtverordnete/n), werden fünf Briefe tatsächlich geschrieben — aber unter dem entgegengesetzten Standpunkt. Postkarten-Konserven nennt man das. Die Rechte hat ihre direkten Drähte im ganzen Land, sie verteilen Adressen und geben detaillierte Anweisungen, wer an welchem Tag angeschrieben werden soll. Warum können wir nicht wenigstens einen Stoß Postkarten neben dem Fernseher liegen haben und sie während der Werbeeinblendungen bekritzeln?
  • Gesetze und Gesetzeszusätze werden ständig durch die staatlichen Gesetzgebungen und den Kongreß geschmuggelt. Wißt ihr, wie man davon erfährt? Könnt ihr es euch noch leisten, nichts davon zu wissen?

Als Minimalforderung sollte jede von uns pro Woche zehn Briefe oder Postkarten schreiben (an gewählte Volksvertreter, Werbeträger, an wen auch immer — in denen wir loben, verurteilen, stupsen und nörgeln) — das funktioniert. Wir müssen auch wieder einmal die Möglichkeit zu Koalitionen überprüfen — wenn auch immer mit einem wachsamen Auge auf die Möglichkeit, vereinnahmt zu werden. (Wir wollen ja Symbiose, nicht Verschmelzung.) Wir müssen auch wieder wählen — nicht aus Verzweiflung aufgeben. Lernt Lobbyistinnen zu sein. Bringt jungen Frauen die Tricks und Taktiken, die ihr kennt, bei; gebt eure Erfahrung weiter. Denkt wieder einmal an Konfrontations-Taktiken in direkter Aktion. Abonniert und unterstützt die «inländischen« feministischen Medien (sie sind vielleicht nicht perfekt, doch es sind die unseren) und besonders die internationalen feministischen Medien. Lernt eine Fremdsprache des globalen Feminismus, oder frischt eine bereits gelernte wieder auf. Lernt und lehrt einer anderen Frau die Geheimnisse eines technischen Gebrauchsgegenstandes (irgendeinen: Auto, Rechenmaschine, Textverarbeiter etc.). Sprecht mit Frauen — in der Schule, bei der Arbeit, im Waschsalon. Sie haben nicht die feministischen Gedanken satt — nur den feministischen Jargon. Sprecht über Gefühle, über Pornographie, Familie, Schmerz, über Liebe, über Vergewaltigung und Schläge und sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz, auf der Straße, an der Uni. Gebt den Männern, die sich als unsere Verbündeten bezeichnen, Hausarbeit zu tun: Briefeschreiben, Kinderhüten, Tippen. Spendet einen Dollar pro Woche für irgendeine feministische Sache — oder, wenn ihr könnt, den Zehnten (die Mormonen machen das!). Beschwert euch. Fragt. Macht Schwierigkeiten. Findet heraus, wer auf allen Ebenen eure politischen Volksvertreter sind. Unterstützt politische Kandidaten. Überlegt euch, ob ihr nicht selbst kandidieren wollt. Lernt, wie es «drinnen« funktioniert; wie es «draußen« funktioniert wissen wir, da wurden wir hineingeboren. Um zu überleben und zu gewinnen, müssen wir beides wissen.
Warum lehnen wir nicht überhaupt die patriarchale Vorstellung von der Einteilung in drinnen und draußen ganz und gar ab? Das ist genauso eine Beschränkung wie die Idiotie nationaler Grenzen. Wenn es in Wirklichkeit gar keine Materie gibt, warum sollen wir dann Haarspaltereien um «innerhalb des Systems« oder «außerhalb des Systems« betreiben? Wir müssen Lobbyistinnen sein und marschieren, bei Nacht zuschlagen und am Tage streiken, Briefe und Bücher schreiben, die Farbsprühdose und den Malerpinsel schwingen.
Die Neue Rechte hat sich auf die Feministische Bewegung konzentriert, weil sie weiß — auch wenn wir es vorübergehend vergessen — eine wie tiefgreifende Kraft zur gesellschaftlichen Veränderung der Feminismus ist. Wir können es uns nicht länger leisten, das zu vergessen.
Wir können es uns nicht mehr leisten, so rein, oder so ängstlich, oder verzweifelt zu sein, daß wir uns nicht aller Dinge, deren wir habhaft werden können, bedienen: wissenschaftliches Wissen, Selbstverteidigung, Netzwerke, Humor, Computer, Kunst, die Weisheit unserer Träume und den Schwung unserer Neugier und unseres Begehrens, die holographischen Tiefen unserer frei gewählten Beziehungen, die Lebenskraft des Spiels, das verlorene Kind in jeder von uns, die werdende alte Frau (oder der alte Mann) in jeder/m von uns, unseren eigenen Tod, uns gegenseitig, die Welt.
Das ist so ermüdend, sagst du? Dann ruh dich ein bißchen aus. Wir — die wir nur diese dringliche Minisekunde haben — haben die Ewigkeit. Krümme die Zeit auf dich zu. Uns — denen nur dies winzige Stückchen Raum zur Verfügung steht, in dem wir agieren — steht der ganze Raum zur Verfügung, vollgepackt mit Energie, wie er ist. Krümme den Raum auf dich zu. Wir — deren jede von uns in der «Einsamkeit des Selbst« hockt und fürchtet, von niemandem je wirklich verstanden zu werden — sind einmalige Integritäten, die nichtsdestoweniger durchlässig sind, austauschbar, kombinierbar und viele — das Feld selbst. Krümme dieses Bewußtsein auf dich zu, hülle dich in seine Wärme ein.
Ich selbst denke gern an Lucy. Sicher habt ihr schon von Lucy gehört; sie ist die älteste bekannte Ahnin unserer Spezies. Sie lebte dort, wo heute der Afar-Bezirk von Äthiopien ist. Als sie starb, war sie Ende zwanzig; sie war nur knapp 1,20 m groß (ihr könnt euch vorstellen, warum ich sie besonders gern habe). Vielleicht litt sie ein wenig an Arthritis der Wirbelsäule, doch scheint sie einen friedlichen Tod gestorben zu sein, am Ufer des Flusses, der heute Awash heißt. Dort lagen ihre Knochen ungestört fast dreieinhalb Millionen Jahre, bis sie 1974 von Donald Johanson vom Naturgeschichtlichen Museum von Cleveland entdeckt wurden.[11] Und das waren nicht etwa nur ein paar Knochen. Sie war, um Johanson zu zitieren, «das älteste, vollständigste, best-erhaltene Skelett eines aufrechtgehenden Vorläufers des Menschen, das je gefunden worden ist.« Lucy bekam die Katalog-Nummer AL 288-1 und wurde schließlich als Austalopithecus afarensis bezeichnet. Einige nannten sie das «missing link« (das fehlende Verbindungsstück). Mit der Zeit fand das Team noch mehr Angehörige von Lucys Familie oder Sippe oder Volk — etwa dreizehn Personen, die den Spitznamen »The First Family« bekamen. Mit der Entdeckung von Lucy wurden die Schätzungen von der Existenz von Vorläufern des Menschen auf Erden noch einmal um etwa eine Million Jahre zurückdatiert.
Ich denke gern über Lucy nach. Sie hatte einen recht kleinen Schädel, doch äußerst «moderne« Beine und Hände. Vermutlich zog sie herum, stellte hier und da ein paar Handwerkszeuge her, sammelte und legte Vorräte an und war dabei in der Lage, ihr Baby in den Armen zu halten wie es später ihre menschlichen Nachfahren tun würden. Sie wird sich auch auf irgendeine Weise mit ihren Leuten verständigt haben. Ich wette, sie hatten ihre Art, Rhythmen wenn nicht gar «Musik« zu machen, und Freudenbewegungen wenn nicht gar zu «tanzen«, oder zu trauern, wenn einer von ihnen die Beute eines wilden Tieres wurde oder davonzog oder starb. Ich stelle mir vor, wie sie dort lag, am Ufer des Flusses, den es noch nicht gab; wie sie dort lag in der Wüste oder auf dem Veldt unter dem riesigen von Horizont zu Horizont reichenden Himmelsbogen, dem dunklen Nachthimmel, von den zweihundert Milliarden Sternen der Milchstraße belebt, die nur eine Galaxie in einem galaktischen Haufen ist, der wieder nur einer der galaktischen Haufen unserer lokalen Gruppe ist ... Ich stelle mir vor, wie Lucy dort lag, ihren hübschen kleinen Kopf auf ihren Arm gestützt, und zu all dieser Herrlichkeit hinauf starrte. Und versuchte, das durchzudenken. Versuchte zu denken. Versuchte.
Und Raum und Zeit schnurren zusammen vor dem plötzlichen Ansturm von Liebe, der mich überfällt. Liebe zu diesem winzigen wackligen Tier auf ihrem Wege, nicht FRAU zu werden, sondern Frau. Dieses Geschöpf, das sich irgendwie an die Aufgabe der Intelligenz macht, dieses nicht unterzukriegende, einmalige, absurde Wesen, und die unmögliche, hoffnungslose, undenkbare Aufgabe, die sie sich selbst gestellt hat: menschlich zu werden.
F = et2 . Wenn sie es konnte, kann ich es auch.

BEIDE/UND (REGINA OHLSEN GEWIDMET - MIT ACHTUNGSVOLLEN
ENTSCHULDIGUNGEN AN KIERKEGAARD)

»Durch unsere Natur vergewaltigen wir die Wahrscheinlichkeit«, schrieb Lewis Thomas. «Das systematisch tun zu können, und mit so wilden Variationen an Formen ...; daß wir in den mehreren Milliarden Jahren unseres Daseins das Unterfangen erfolgreich durchgehalten haben, ohne wieder in Zufälligkeit zurückzufallen, war fast eine mathematische Unmöglichkeit.«[12]

Thomas, Biologe und Arzt, sieht die Erde als eine einzige Zelle.
James Lovelock, der englische Biophysiker/Chemiker, und Lynn Margulis, die amerikanische Mikrobiologin, sehen die Erde als einen einzigen lebenden Organismus, eine Einheit, die sie Gaia nennen (nach der griechischen Göttin der Erde). Sie sehen sie als ein homöostatisches System der Selbsterneuerung mit der (möglicherweise bewußten) Fähigkeit, den Planeten für die Bedingungen von Leben geeignet zu machen und zu erhalten. Sie weisen auch daraufhin, wie sehr wir der Wahrscheinlichkeit zuwiderhandeln: die Erde hat «zu viel« Ammoniak, «zu viel« Wasserstoff, Stickstoff, Stickoxyde, Kohlenmonoxyde. Computer-Modelle von der Erdatmosphäre in Abwesenheit von Leben lassen darauf schließen, daß ihre Zusammensetzung etwa zwischen der unserer nächsten Nachbarn, Mars und Venus, liegt.13 Dennoch ist sie chemisch und thermodynamisch äußerst günstig aus den Fugen geraten — günstig im Sinne von Leben-ermöglichen. Lovelock stellt die These auf, daß es der Anwesenheit von Leben zunächst gelungen sei, die Atmosphäre in dieses günstige Ungleichgewicht zu treiben — und es dann beizubehalten.
David Böhm sieht das gesamte Universum als ein mögliches Wellenteil, das in einem Meer kosmischer Energie spontan hochgepulst ist.
Arthur Koestler, eine berühmte politische und literarische Persönlichkeit mit einer freundlichen Besessenheit für Naturwissenschaft sowohl als Tatsache wie auch als Metapher, sieht nicht die Zelle oder den Organismus Gaia, sondern die »Holarchie«, und jenseits dessen — jenseits der dualistischen Tendenzen lebender Dinge, sich als einzelne Ganzheiten und zugleich als Teile in der Hierarchie der Existenz zu verhalten — sieht er noch das «Holon«, eine Janus-Maske von Getrenntheit, Einheit und Integration.[14]
Die Dichterin Muriel Rukeyser schrieb: «Das Universum besteht aus Geschichten, nicht aus Atomen.«
Mit das hübscheste an der Relativitätstheorie ist, daß sie beweist, wie genau viele verschiedene Leute aus verschiedenen Perspektiven alle verschiedene Wahrheiten über die gleiche Wahrheit zu verschiedenen (oder den gleichen) Zeitpunkten sagen können, ähnlich einem subtilen System verrutschter Reime in einem Sonett. Ein «Relativitäts-Bewußtsein« schließt auch Ethnozentrizität, Egozentrizität und fast alle anderen Arten von -zentrizität aus. Es ist, gelinde gesagt, die grundlegend entgegengesetzte Perspektive zum Fundamentalismus, zum Entweder/ Oder-Denken.
Natürlich waren die wirklich guten Entweder/Oder-Denker, wie Kierkegaard, durchaus keine Fundamentalisten. Sie fühlten sich nur deshalb zur Dialektik hingezogen, weil sie das elektromagnetische Versprechen enthielt, daß am anderen Ende irgendeine Synthese herauskommen würde. Eine Synthese, die dann wiederum zur neuen These wird, die eine neue Antithese hervorruft, was die Suche nach einer noch neueren Synthese notwendig macht. Dieser Prozeß ist auf beruhigende Weise beunruhigend. Er verheißt auf beruhigende Weise «Kategorien« — das heißt ein Gerüst oder System, um eine diffuse Realität zu erklären — doch sind diese Kategorien keineswegs festgelegt, sondern befinden sich in dynamischer Bewegung. Diese Qualität der inherenten Relativität verleiht dem dialektischen Prozeß seine Wahrscheinlichkeit — genauso, wie man eher geneigt ist, einem Menschen mit einem Sinn für Ironie zu trauen, als einem, dem diese Fähigkeit völlig abgeht.
Die Ironie in Sören Kierkegaards Entweder/Oder ist natürlich überall und nirgends zugleich, dort, wo er sie beabsichtigte und dort, wo er sie nicht beabsichtigte. (Darin liegt ja gerade das Wesen der Ironie, daß sie immer dann auftaucht, wenn man es am wenigsten erwartet.)
Das bringt mich darauf, daß ich für einen Moment vom Thema abschweifen und ein kurzes Bekenntnis meiner persönlichen Gefühle für Kierkegaard ablegen sollte. Obgleich ich bereits eine Kakophonie aus Entsetzensschreien, Hohngelächter und vor allem einem drohenden konfusionsgeladenen Schweigen aus bestimmten Richtungen erschallen höre, muß ich es sagen: ich liebe Kierkegaard. Sogar sehr. Und wenn meine Leserin bisher noch nicht begriffen hat, daß zumindest diese Feministin (wie viele andere) Intelligenz anerkennen wird, wo immer sie sich findet, und sich nicht in irgendein Ghetto intellektuellen Separatismus einsperren läßt, dann sollte sie noch einmal zu Kapitel I zurückgehen, wo ich Herbert Marcuse und Kurt Waldheim zitiere — und Kierkegaard ist so viel interessanter als die beiden. Auf jeden Fall mag ich Kierkegaard. Für mich ist er ein entzückender, lustiger, bewegender, weiser Schriftsteller; selbst seine Fehler sind interessant. Ich glaube nicht, daß ich ihn gern persönlich kennengelernt hätte. Wie so viele andere Seelen, auf die wir in der Abgeschiedenheit der Buchseiten treffen, scheint er im, wie sie es nennen, wirklichen Leben keineswegs ein so fröhlicher Mensch gewesen zu sein. Er war offenbar ein wenig mürrisch und verdrossen und hatte noch ein paar andere grüblerische Eigenschaften, wie sie einem Dänen anstehen. Dennoch, sein philosophisches Werk steht bei mir an zentraler Stelle (natürlich eine relativ zentrale Stelle in dem Mandala, dessen Zentrum überall ist), nicht nur wegen seines brillanten Inhalts — ihn auszulegen würde ein ganzes Buch füllen —, sondern auch, weil im Zentrum von Kierkegaards Werk wiederum eine Frau steht. Sie hieß Regina Olsen. Es wird euch nicht überraschen, daß wir wenig über Regina Olsen erfahren. Eigentlich nur, daß sie und Kierkegaard sich offenbar sehr liebten, sich verlobten und die Verlobung dann in die Brüche ging — durch ihn oder durch sie, oder dadurch, daß er sie dazu brachte, die Verlobung zu lösen, oder umgekehrt. (Immerhin waren beide Dänen und wir schrieben noch das neunzehnte Jahrhundert.) So sehr ich mich auch mühe — und wie viele andere Frauen habe ich große Geschicklichkeit im Zwischen-den-Zeilen-Lesen entwickelt —, ich habe außer ein paar nichtssagenden biographischen Daten keine wirklichen Informationen über Regina Olsen finden können. Dennoch hat Kierkegaard selbst zugegeben — und Kritiker und spätere Schüler bestätigen das —, daß die Beziehung zu Regina Olsen und später der Bruch mit ihr die beiden Faktoren waren, die ihn «fast mit einem Schlag in den vollen Besitz seiner ästhetischen und literarischen Fähigkeiten« brachten.[15] Das einzige, was wir zwischen den Zeilen erfahren, ist, daß Regina Olsen keine Niete war.
Doch zurück zur Ironie und zu Entweder/Oder. Es ist das erste von Kierkegaards größeren Werken und brachte ihm den Ruf eines bedeutenden Schriftstellers ein. Wie ihr vielleicht wißt, besteht das Buch eigentlich aus zwei Büchern, beide vom Standpunkt einer Pseudonymen Person her geschrieben. Entweder wird wahrscheinlich am meisten wegen des Kapitels «Tagebuch eines Verführers« gelesen, doch ist der ganze Band eine Erklärung und Verteidigung der ästhetischen Lebenseinstellung. Oder ist eine Antwort auf den jungen, intellektuellen Ästheten-Wüstling von Band Eins aus dem Munde eines nüchtern denkenden, älteren Freundes («Gerichtsrat Wilhelm«), der die ethische Lebenseinstellung erklärt und vertritt. (Viele Leser neigen dazu, ehrfürchtig in Oder herumzublättern, während sie Entweder gierig verschlingen. Das ist so ähnlich wie mit Dantes «Inferno«, das am beliebtesten ist, gefolgt vom «Purgatorio«, während sein großes «Paradiso« mit Ehrfurcht und — Langeweile betrachtet wird.) Natürlich finden sich all die saftigen Stellen in Entweder, denn es verteidigt die Jagd nach Schönheit, Flüchtigkeit, Tragik, Kunst, dem Erotischen, Musik, Sinnlichkeit, Lyrik, Verzweiflung und Phantasie. (Es enthält auch, im Teil Schattenbild, ein tolles Essay, in dem das Wesen des Tragischen als die Erfahrung betrogener Frauen am Beispiel der Marie Beaumarchais in Goethes Clavigo, der Donna Elvira in Mozarts Don Giovanni und das Gretchen im Faust analysiert wird.) Alles, was das alte, grundlegende, ethische Oder als Thema zu bieten hat, ist die Ehe.
Daß diese Ironie Absicht ist, muß nicht extra gesagt werden. Die unbeabsichtigte Ironie ist, daß Kierkegaard den zweiten Teil (der sich für die Bindung einsetzt) zuerst geschrieben hat, als er immer noch in den Versuch verwickelt war, Regina Olsen zu überzeugen, daß sie ihn überzeugen sollte, daß er sie überzeuge die Verlobung zu lösen. Der erste Teil wurde dann direkt nach dem Skandal der auseinandergegangenen Verlobung geschrieben, als er von Kopenhagen nach Berlin geflüchtet war. Vielleicht hat er in dem (früher geschriebenen) zweiten Buch versucht, sich selbst von den komplexen Wundern zu überzeugen, die sich bei einer engen Bindung entfalten. Vielleicht hat er in dem (später geschriebenen) ersten Buch versucht, zu rechtfertigen oder zumindest zu verstehen, warum er verlieren wollte, was er eindeutig als verloren empfand. «Der Wunsch, nur Beobachter sein zu wollen«, bemerkt der Gerichtsrat gegenüber seinem jungen Freund, dem bindungslosen Ästheten, «hat etwas Trügerisches«.
Es wäre ziemlich anmaßend, wollte ich hier meine Leser/Innen mit einer ausführlichen Erklärung oder Kritik an Entweder/ Oder überfallen. Weder/noch bin ich in irgendeinem engeren Sinne eine Kierkegaard-Forscherin, ich konnte also nur ein paar Gedankensplitter von jemandem, der Kierkegaards Werk liebt und davon beeinflußt wurde, von mir geben. Uns genügt jedoch hier die Feststellung, daß es sowohl bei Entweder als auch bei Oder wirklich um Freiheit geht — Versuche, sie zu entdecken, zu definieren, zu erfassen. Eine weitere Ironie besteht darin, daß Kierkegaard gerade bei diesem Buch nie bis zur Synthese kam. Er, der sich die Lebensentwicklung eines Menschen in drei dialektischen Stufen — die ästhetische, die ethische und die religiöse — vorstellte, berührt das Religiöse nur kurz in dem Sermon «Ultimatum« am Ende von Oder. In späteren Büchern hat er dann diese Stufe ausführlicher behandelt.
Wie dem auch sei, schon seit langem wollte ich mal eine Art Antwort im Namen von Regina Olsen schreiben. Ich habe das schon einige Male in Gedichtform versucht, doch Gedichte, die vorgeben, aus dem Munde historischer Frauen zu kommen — der dann, schutzlos, das Dogma der modernen Dichterin verkünden muß — irritieren mich immer ein wenig. Im schlimmsten Falle scheinen sie makaber, im besten opportunistisch, meistens jedoch überheblich. So ist eigentlich dieses ganze, in Prosa geschriebene Buch in gewissem Sinne eine Antwort, nicht von, sondern im Namen von Regina Olsen an Sören Kierkegaard. Es ist meine Stimme und meine Verantwortung, und kein einziges Wort geht auf das Konto von Regina Olsen. Dennoch stelle ich mir gern vor, daß ihr vielleicht das Kapitel «Der Pfahl im Herzen« als Antwort zu Entweder, und «Die Perle der Leidenschaft« als Versuch einer über Oder hinausreichenden Synthese gefallen hätte. Sie war offenbar ein Beides/Und-Mensch, denn sie war der Grund, daß Kierkegaard sich die Freiheit als chaotische Leidenschaft vorstellen konnte, die vorgab, eine Form zu haben, die sie in Wirklichkeit nicht hatte. Und daß er zugleich Freiheit nur in der Form existieren sah, als Form selbst, die nur, weil sie Form war, Formlosigkeit vorstellen und vorgeben konnte.
Eine Zelle. Ein Gaianischer Organismus. Ein Holon. Beides/ Und — und dann noch einiges. Wie inständig haben wir alle — Männer und Frauen — gehofft, wir könnten uns durch dieses Leben stehlen ohne uns voll jener «Tendenz zu existieren«, die der Freiheit eigen ist, aussetzen zu müssen. Wie wünschten wir uns, «nur Beobachter zu sein«. Und jetzt stehen sogar Wissenschaftler vor der Tatsache, daß sie Teilnehmende und nicht nur Beobachter sind — indem die Netzhaut im Auge des Forschers das Photon, das auf ihr landet, ebenso beeinflußt, wie das Photon die Retina. Die Metaphysik hat sich wieder mit der Physik verbunden; objektive Daten brechen ins Bewußtsein ein. Die Neurologin und Biochemikerin Candace Pert sagte, früher habe sie das Gehirn nach Newtonschen Kategorien betrachtet — nur ineinandergreifende Rädchen — heute sehe sie es in den Kategorien der Quantenmechanik — ein ständig vibrierendes und oszillierendes Energiefeld. Die feste Erde, auf der wir stehen, ist nur eine Haut von Festigkeit, die sich wellend über die rastlose Bewegung ihrer tektonischen Schollen legt, die wiederum von einer größeren Energie im Inneren bewegt werden. Und all die aufgereihten schimmernden Perlen wirbeln in Indras Netz eines lebenden Feldes.

Und in dieser ganzen Zeit gingen wir voll Furcht und Schrecken nur auf einem einzigen Strang dieses Netzes — ein Drahtseil, das am einen Ende von den Händen von MANN, am anderen von den Händen von FRAU straff gehalten wurde. Und jede von uns bewahrte das öffentliche Geheimnis, daß das da unter unseren Füßen niemals fester, tragfähiger Grund war, und jede/r von uns glaubte, daß auf der einen Seite nur Entweder, und auf der anderen nur Oder lag:

In der Moral gibt es, wie überall sonst auch, zwei gegensätzliche Tendenzen. Die erste lautet: «Alles ist von unendlicher Bedeutung.« Die zweite lautet: «Das ist zweifellos wahr. Dennoch verlangt der gesunde Menschenverstand, daß wir nicht alle Dinge als dermaßen bedeutsam behandeln können. Wir brauchen Unterscheidung, wir brauchen ein mehr-oder-weniger, wir brauchen Indifferenz.« Der Streit ist stets heftig. Der rigorose Standpunkt ist um des Heiligen und Unverletzlichen willen notwendig;der lockere Standpunkt, um den Verstand nicht zu verlieren. Ihre Vereinigung ist nicht unmöglich, aber schwierig; denn kaum ist ein Standpunkt nur fünf Minuten an der Macht, beginnt er sich von schlechten und unedlen Motiven zu nähren. Strenge, Stolz, Ressentiment im einen Fall, im anderen Nachgiebigkeit, Unaufrichtigkeit, Vetternwirtschaft.

Das schrieb Charles Williams in The Descent of the Dove.[16] Er hätte ebensogut von «radikalen« und «liberalen« Feministinnen reden können. Ja, ja — es ist die Theorie, die entscheidet, was wir wahrnehmen können. Dennoch hält das Universum um — und in — uns diese Verbindung von Rigorosität und Lockerheit seit fünf-Minuten-Ewigkeiten aus. Beide/Und stellen genau die Energiespannung dar, die alles andere erst möglich macht.
Die römisch-katholische Kirche — deren psychologische Schläue ihrem politischen Sadismus entspricht — kennt den Begriff der «helfenden Gnade«. Diese Art von Gnade unterscheidet sich von der «heiligmachenden Gnade« (an die man zielbewußt über jene patentierten Sakramente kommt), indem sie offenbar unangerufen kommt, wie ein Geschenk, ein kleiner gra-tis-Lupfer für den Geist. Sie kommt und geht, und es bleibt dem Empfänger überlassen, wie er sich ihrer bedienen oder sie sogar zu längerem Verweilen einladen will. (Ihr seht, Dichter sind unzuverlässige Metaphern-Abhängige. Sobald ich auch nur den Zipfel einer guten Metapher erblicke, verfolge ich sie schamlos überall — folge ihr in die Quantenphysik, ja sogar in die katholische Theologie. Immerhin hat mich der Feminismus als die geeignetste Metapher für eine metapolitische Vision, die uns vielleicht alle retten kann, zur Frauenbewegung gebracht. Wir können nie sicher sein, wohin uns solche Metaphern führen. Wir können ihnen nur in Liebe folgen, ihren Weg an den Energie-Resonanzen, die sie hinterlassen, erahnen.)
Helfende Gnade ist zugegebenermaßen eine liebenswürdige Metapher. Und sie scheint so fest gegründet, wenn wir uns die Zeit nehmen, uns umzuschauen. Gabelblitze, Blattadern, Flußarme, und die Adern in einer menschlichen Lunge zeigen alle das gleiche verästelte Muster. Und die Spirale umzirkelt sich selbst und noch den kleinsten Virus, den emporsprießenden Geigenhals-Farn, den tanzenden Strudel ablaufenden Wassers im Spülbecken, den Wirbel der größten Galaxis.[17]
Durch die Oberfläche der Dinge hindurchschauen — eine mikroskopische Sicht entwickeln — würde bedeuten, daß wir durch den Zweiweg-Spiegel hindurchgehen und der Idee der Freiheit begegnen. Wann war es noch, daß der Ton unserer Haut eine Rolle spielte — wir können kaum mehr so weit zurückblicken, uns erinnern, es ist so lange her. Haben wir wirklich irgendwann einmal zugelassen, daß Menschen starben vor Hunger oder Durst, an Verwundungen, an Zorn, an Einsamkeit? Hatten wir wirklich Rache- oder Eifersuchtsgefühle, fühlten wir Haß oder Furcht? Sollte es wirklich möglich gewesen sein, daß wir jemals Neugier und Begehren unterdrückt haben, daß wir Mangel und Sehnsucht verspürten, daß wir Intelligenz in welcher Form auch immer ignorierten, daß wir die Existenz der Liebe verleugneten und entstellten?
Durch die Dichte von Raum/Zeit hindurchfühlen — eine makrokosmische Sicht entwickeln — würde bedeuten, daß uns klar wird, wie vergeblich der Versuch ist, Freiheit zu sezieren. Wir würden nicht ihre Anatomie, sondern ihre lebendige Physiologie entdecken. Wir würden nicht als Beobachter, sondern als Teilnehmende wechselnde Formen studieren, die sich viel zu schnell verändern, um seziert werden zu können. Wann war es noch, daß die Form der Form eine Rolle spielte, außer als Metapher für die Unbefangenheit der Formlosigkeit, ihren kosmischen Witz. Wir können kaum mehr sagen, wann uns das aufging, es ist so lange her. Haben wir uns je gegenseitig — unsere eigenen Angehörigen — hinter Gefängnismauern eingesperrt, oder in bakterienverseuchten Slums, in Irrenanstalten, Konzentrations-, Straf- oder Flüchtlingslager, Altersheime? Sollten wir wirklich einmal Angst vor Menschen gehabt haben, die mit Menschen mit gleichgeformten Genitalien zusammen lachten, in Liebe und Lust? Ist es möglich, daß wir die Form der Kegelblume in Tennessee für immer aus allem Raum und aller Zeit ausgelöscht haben? Ihre wilden lilagetönten ordinären Unkrautblüten, deren Blütenblätter ihre thermodynamische Explosion aus einem amethystfarbenen Kern herausschleuderten? War ein solcher Alptraum wirklich jemals möglich?
Mikrokosmische Vision und makrokosmische Sensibilität warten darauf, in Gebrauch genommen zu werden. Warten geduldig im genetischen Hologramm unserer DNS. Anfangen, sie zu gebrauchen und eine bessere Realität zu erträumen, könnte bedeuten, daß wir und das Universum zu Bewußtsein kommen — und deutliche Zeichen einer Tendenz zu existieren zeigen.
Und damit würde die Metapher unserer Gleichung F = et2 metamorphosiert in Freiheit ist gleich Energie mal Transformationsgeschwindigkeit im Quadrat.