Achim

Es sind zumeist Philosophen, Künstler, Maler, Kunstsachverständige, mit denen sich Bettina auf rasch ablaufende, intensive Beziehungen einläßt. Sie will lernen. Sie ist voll intellektueller Neugier, dabei unangepaßt und immer noch der Kobold Bettina aus der Kindheit. Aber dieses Mädchen, diese junge Frau lebt durchaus nicht nur mit dem Kopf in den Wolken. Sie kann fürsorglich sein, mütterlich. Das beweist sie im Umgang mit den kleinen Kindern der Savignys. Das schlägt auch durch in ihrem Verhältnis zu dem achtzehnjährigen Ludwig Grimm. Der Junge, der erst vor kurzem seine Mutter verloren hat, ist liebebedürftig, ausgelassen einmal, dann wieder verstört und verzweifelt. Seine beiden älteren Brüder Jacob und Wilhelm sind nicht mit ihm zurecht gekommen. Achim hat ihn einmal auf eine Wanderung durch den Odenwald mitgenommen und ihn dazu angeregt, zu zeichnen. Immer wieder ist bei dem Jungen die Melancholie durchgeschlagen. Arbeit, eine gründliche Ausbildung als Maler und Graphiker, würde ihm vielleicht wieder einen Halt geben. Aber den beiden älteren Brüdern fehlt es an Geld. Nachdem Achim, die Savignys, Clemens und Bettina sich darüber verständigt haben, für die Ausbildungskosten aufzukommen, wird eine Lehrstelle beim Münchner Kupferstecher Karl Hess gefunden.
Ludwig Grimm schließt sich in München eng an Bettina an. So manchen Abend sitzen sie bei den Moys zusammen. Während sie für ihn und für sich in einem alten Kamin Schokolade köchelt, zeichnet er ein Porträt von ihr.
Ein etwas kompakt wirkendes Mädchen mit ungewöhnlich eindringlichen Augen, einer großen Nase, Korkenzieherlocken, die ihr bis auf die Schultern fallen, einem spöttischen Mund: so sitzt sie in einem Stuhl, einen Band der Novellensammlung Wintergarten von Achim von Arnim vor der Brust - so hat Ludwig Grimm sie gezeichnet*.(*Die Zeichung von Ludwig Grimm ist auf dem Einband abgebildet)
Es scheint Windstille zu herrschen in diesen Wochen und Monaten. Was man aus Briefen und Bildern entnehmen kann, wirkt wie eine altdeutsche Idylle, bis plötzlich Auguste heimlich in München auftaucht und ihrer Schwägerin ausrichten läßt, sie sei aus keinem anderen Grund in die Stadt gekommen als dem, sich hier zu vergiften. Darüber schreibt Bettina an Achim

Ich ging mit meinem Mädchen zu ihr, sie tat, als wollte sie sich - aber mit der größten Kaltblütigkeit - vergiften, ich mußte bei einer Viertelstunde mit ihr ringen, bis ich ihr die Flasche nahm; allein die Gewalt, die ich mir [hatte] antun müssen, zog mir Krämpfe zu, meine Kleider waren mit Gift überschüttet und ich war in dem elendsten Zustand meines Lebens. Wieviel, wie ungeheur viel Bosheit dies elende Wesen in diesem Augenblick gegen mich blicken ließ, ist nicht zu begreifen. Indessen bereitete sie sich doch ganz, als würde sie in einer halben Stunde sterben, sie legte sich ins Bett, hatte Ohnmächten, Schlaf und Convulsionen**, (**Krämpfe) gab vor, für 2 Gulden Opium genommen zu haben. Ich mußte den Arzt holen, sie sollte Gegenmittel nehmen, sie weigerte sich, sie begehrte einen Priester, weil sie gleich sterben müsse. Die Ärzte zeigen es der geheimen Polizei an, sie sollte augenblicklich gezwungen werden, indessen war die Zeit vergangen und keine Wirkung zu spüren. Die Polizei drohte ihr mit dem Narrenhaus, das machte sie etwas stutzig. Sie zog ihre Klauen ein und ging nach einem dreitägigen Aufenthalt wieder nach Landshut. Man hat von dieser Aufführung einen Bericht an die Familie gemacht und hofft, daß dieses beide trennen wird. Die Ärzte und Pfarrer und alles, was zu ihr kam, hat sie künstlich mit Schmeicheleien und Lügen auf ihre Seite gebracht, man gibt Clemens eher Unrecht wie ihr und das kränkt mich doch am meisten.

Achim antwortet auf diesen Bericht, er hoffe, die Verwandtschaft werde sich nun endlich überzeugen lassen, daß eine Trennung das einzig Richtige sei. Im übrigen meint er:

Es ist doch unendlich dumm, wer sich in jetziger Zeit das Leben nimmt, da doch so viel Gelegenheit ist, drum zu kommen.

Aus den zahlreichen Briefen Bettinas aus München und später aus Landshut an Achim ist unverkennbar herauszulesen, daß sie bei allen Beschäftigungen und Eroberungen nicht sehr glücklich ist. Unterdessen ist Achim nach Abschluß seiner Herausgebertätigkeit in Heidelberg vorübergehend in Frankfurt gewesen. Es ist letztlich die Krankheit der Großmutter, die ihn nach Berlin zurückzwingt. Als er noch in Heidelberg sitzt, hat sie bitter an ihn geschrieben:

Ihr erwerbet nichts, lebet mit Kosten...obgleich ihr wohl feil in Eurem Eigentum leben könntet, warum wohnet ihr nicht wenigstens auf euren Gütern? lernet darauf die Landwirtschaft um nach etlichen Jahren euch selbst, wie andere Edelleute damit beschäftigen zu können.

Achim bemüht sich in Berlin um eine Anstellung im Staatsdienst. Humboldt, der seine Empfehlung auf den Posten des preußischen Botschafters in Rom erwägt, schreibt dann aber an seine Frau:

  • Allein er [von Arnim] hat so grobe Streitigkeiten mit Voß und Jacobi und geht in solcher Pelzmütze und mit solchem Backenbart herum und ist so verrufen, daß nicht daran zu denken ist.

Auch Achim ist in und mit Berlin alles andere als glücklich. Er findet die glanzvollen Bälle im Hinblick auf die Not des Landes unpassend. Seinen Werdegang empfindet er als verfehlt: »Statt des Buches hätte ich das Schwert nehmen müssen!« Auch wenn er bei einer Liebhaber-Aufführung mitspielt, auch wenn die Mädchen schluchzen: »Ach, im Arm ihn, Arnim!« - das kann ihn nicht recht froh machen.
Das verzweifelte Aufbegehren eines einzelnen preußischen Offiziers gegen Napoleon beschäftigt ihn stark.

  • Schill hat ohne Wissen des Königs oder irgendeines Menschen einen Kriegszug unternommen ... er musterte seine Husaren und Jäger vor dem Tor, sagte ihnen, er wolle Deutschland einen freien Dienst tun, er ritte in den Krieg, wer mit ihm ziehen wolle, könnte ihm folgen, er fordere keinen dazu auf. Bei diesen Worten wendete er sein Pferd und ritt seinen Weg, alle aber mit Jubelgeschrei hinter ihm. Dies war spät abends, denn er hatte bis 10 exerziert. Am Morgen ward es erst in der Stadt kund, die übrigen Soldaten waren im Aufruhr, daß er sie zurückgelassen. Der Gouverneur nahm ernstliche Maßregeln, ließ andere Reiterei und Artillerie einrücken, dessen ungeachtet schlugen sich bei Tage einzelne Reiter durch die Tore. Nachts gingen darauf 250 Infantristen mit Gewehr und Munition durch ein eröffnetes Tor, viele andere ziehen ihm nach aus allen Ständen. Der Gouverneur ließ unmittelbar Todesstrafe auf diese Abenteurer setzen, vielleicht, daß die Maßregel mehr fruchtet...

In dem Brief vom 4. Juni 1809 meldet er »sehr traurig, abgespannt und tiefgekränkt« an Bettina: »Schill soll tot sein, wenigstens schwer verwundet...«
Den gefangenen Rebellen hat Napoleon standrechtlich erschießen lassen.

Heute, als ich im Garten dem Raupenfraß gramvoll zusah... da ließ sich im Hof ein blinder Mann mit einer Violine und seine Frau zur Zither mit einem Kriegslied auf Schill vernehmen, das nun alles nicht mehr paßte.

Am 10. März 1810 stirbt Achim von Arnims Großmutter, Frau von Labes. Bei der Testamentseröffnung stellt sich heraus, daß die noch auf dem Totenbett recht energische Alte festgelegt hat, daß alle Güter bis in die Generation ihrer Urenkel in Familienbesitz bleiben müssen. Das führt bei Achim, wie er es ausdrückt, »zu dem Entschluß, das Meinige zu tun, um rechtmäßige Kinder zu haben.« Zum ersten Mal ist in einem Brief an Bettina von Heiraten die Rede, und zwar in einer Art und Weise, die nun auch erklärt, warum zuvor dieses Thema nie erwähnt worden ist.

Ich hätte Dich in das Haus meiner Großmutter geführt, das ewig voll Qual, Streit und Unruhe kaum mir, der ich seit meiner Jugend daran gewöhnt, eine Stunde erträglich war. Hättest Du Dich nur einmal in der Art, wie Du es häufig tust, über den Tisch ausgestreckt, sie hätte es Dir nie vergessen oder verziehen.

Aber auch Zweifel an sich selbst haben eine Rolle gespielt:

Paßte ich in irgendeine bürgerliche Ordnung und könnte eine Frau ernähren, so könnten wir uns wie andere ehrliche Leute dreimal aufbieten lassen, Gäste laden, kochen und backen und heiraten. Ungeachtet wir einander noch nie vom Heiraten vorerzählt, womit andere sonst anfangen, so meine ich doch, daß Dir so wenig wie mir der Gedanke sehr fremdartig ist, wenn ich es gleich mit großer Bewunderung* (*Verwunderung) vor mir geschrieben sehe ... Ich habe neulich in der Bibel alle Stellen nachgelesen, die vom Heiraten handeln. Es ist alles im wunderlichsten Widerspruch. Bald wird es geraten, bald abgeraten. Ich meine, daß da den Menschen viel zur Ergänzung überlassen [ist].

Es ist diesem Brief anzumerken, wie vorsichtig, unsicher, gewissenhaft und auch durch Zurückweisung verletzbar Achim ist. Er schreibt weiter:

Novizen müssen ein ganzes Probejahr probieren, ehe sie mit einem so guten Mann wie Christus verlobt werden. Da meine ich nun, es wäre eine durchaus zweckmäßige Einrichtung, wenn die Menschen einander erst zur Probe heiraten, wie sie sich miteinander vertrügen, z. B. auf vier, acht, sechzehn Wochen; weise den Vorschlag nicht so von der Hand, in besseren Zeiten könnten wir einmal ernstlich daran denken. Wer weiß, wenn Du mich jetzt wiedersähest, ob Du mich noch leiden könntest, vielleicht habe ich mich sehr verändert.

Nun, Bettina kann ihn leiden und lieben. Das ist nicht die Frage. Die Frage ist, ob er der Mann ist, mit dem sie ein Leben lang zusammen sein möchte, zusammen sein kann. Ob es diesen Mann überhaupt gibt.
Nicht nur die beiden Betroffenen selbst sind in diesem Punkt skeptisch. Auch Clemens, der nach einem Aufenthalt in Landshut zu dem Freund nach Berlin übersiedelt ist, hat da gewisse Zweifel. Er weiß, daß sich Bettina kurz zuvor in Max Prokop von Freiberg-Eisenberg verliebt hat.
Unter den Studenten Savignys gibt es zahlreiche junge Männer, die Bettina gefallen, mit denen sie flirtet. Aber das Verhältnis, das sich zu Achim hergestellt hat, ist ernsthafter, in so vielen Stürmen und Nöten erprobt.
In diesen Monaten kämpft sie mit den letzten Zweifeln. Es gibt Tage, da ist sie entschlossen, sich nie zu binden und einzig und allein für die Musik zu leben. Aber dann kommen wieder diese Briefe aus Berlin, bei denen sie denkt, sie müsse verrückt sein, wenn sie diesen Achim von Arnim nicht heiratet.
Achim an Bettina:

Du sprichst von Altwerden. In Deinen Augen flammt ein Wunderlicht, das Dich immer jung erhält; mich aber ergreift eine Ungeduld, ein Mißbehagen, ein Überdruß, daß ich in diesem Notstall von Stadt jenes liebe Feuer entbehre, und daß ich es oft so nachlässig verträumt habe ...

Bettina an Achim:

Apropos über die Rosenblätter, die Du verloren zu haben glaubst. Lieber Achim, wie rührt mich Dein Suchen nach denselben! Ich fühle mich strafbar wie einer, der einem Blinden etwas hinwegnimmt, um ihn zu necken, und läßt ihn dennoch hin und herdanach suchen. Denn stell Dir vor: der Schußbardel Bettine hat denselben Brief zugemacht und auf die Post geschickt, ohne die darin gemeldeten Blätter mitzuschicken.

Ein Seufzer Achims, weil Bettina nicht auf das als Geburtstagsgeschenk übersandte erste Exemplar seiner Sammlung Wintergarten eingeht, die, mit einer Widmung für Bettina, 1809 erscheint:

...die Prinzessin von Weimar hat nur ordinäres Papier bekommen und hat mir doch schon freundlich gedankt...

Bettina an Achim:

Schon seit acht Wochen habe ich einen rauhen Hals, Schnupfen und Husten usw. kann ihn gar nicht loswerden. Dies macht mich so ungeduldig, so traurig, daß ich gern den ganzen Tag schlafen möchte, um nur nicht daran denken zu müssen. Sollte ich nicht zu Dir kommen, Arnim. Ich meine oft, wenn die Kriegszustände es zugäben, es wäre so arg nicht. Clemens brächte mich nach Berlin, ich wohnte bei dem Onkel Carl, und Du kämst alle Tage zu mir... Oder ich könnte auch nach Weimar kommen, wo Goethe mir ein Logis in seinem Haus angeboten hat und Du kämest auch dahin...

Achim an Bettina:

Mit Deinem Briefe voll Reisepläne hattest Du alle Geigen angestrichen, die am Himmel hängen ... Was wollten wir nun, wenn wir beisammen wären? Die Sterne zählen und Abschied nehmen? Oder wollen wir versuchen, wie lange wir miteinander uns vertragen, wie viel oder wie wenig wir einander sein können in Rast und Ruhe?

Bettina an Achim:

Ich bin einsam, bei Nacht wie bei Tage. Der Arnim schreibt mir nicht, läßt nichts von sich hören, meint wohl, es war gut so; ich muß mir andere Sitten angewöhnen, ich muß stumm werden wie die Kinder und muß in eine Ecke sehen, nicht fühlend, was um mich her geschieht; denn wenn ich auch Gespräche halte, es antwortet mir keiner...

Achim an Bettina:

Ich will von etwas anderm... reden, um mir die Grillen zu verjagen, von Goethes Wahlverwandtschaften... Diese Langeweile des unbeschäftigten, unbetätigten Glücks, die Goethe in derersten Hälfte des ersten Bandes so trefflich darstellt, hat er mit vieler Beobachtung in das Haus eines gebildeten Landedelmannes unserer Zeit einquartiert. Ich habe manche der Art kennengelernt, und alle leiden an einer ganz eigentümlichen Hypochondrie ... nirgends finden sich mehr Ehescheidungen als unter diesen Klassen... Lächerlich bleibt mir eine Geschichte eines Vetters von mir, der sich wegen täglicher Zänkerei von seiner Frau scheiden läßt. Über ihre drei Kinder waren beide einig. Sie wurden ihm überlassen; aber ein artiges Hündchen, das beiden gemeinschaftlich, verzögerte die Scheidung ein halbes Jahr, keines von beiden wollte sich davon trennen. Endlich starb das ehelich Tier, und sie wurden beide vergnügt geschieden...

Bettina an Achim:

...es haben daher zwei, die sich lieben, nicht Unrecht, wenn sie sich himmlisch und Engel nennen.

Achim an Bettina:

...mir aber wünsche ich zum neuen Jahr nichts, als daß ich Dich wiederseh und daß ich Dir nicht abschmecken geworden*...(**Dir noch gefalle)

Bettina an Achim:

Ich kann zu gewissen Stunden einer heftigen Melancholie nicht widerstehen; ich denke hundertmal: wer wird kommen, mich von der Last zu erlösen. Ich kann mir vieles möglich denken, vorzüglich aber, daß Du in einer solchen Stunde mich überraschest...

(26) Savigny hat einen Ruf an die neu gegründete Universität Berlin erhalten. Am 2. Mai 1810 reist das Ehepaar mit den Kindern und Bettina von Landshut ab. Zunächst geht es nach Wien zu einem Besuch bei Franz Brentano und seiner Frau Antonie. In ihrem Salon verkehrt Beethoven, der zu dieser Zeit gerade seine Egmont-Ouvertüre beendet hat. In einem Brief an Alois Bihler schildert Bettina am 9. Juli, nur wenige Wochen nach der Begegnung, ihr erstes Zusammentreffen:

...niemand wollte mich zu ihm bringen, selbst, die sich seine besten Freunde nannten, nicht, und zwar aus Furcht vor seiner Melancholie, die ihn so befängt, daß er sich um nichts interessiert und den Fremden eher Grobheiten als Höflichkeiten erzeigt... Seine Wohnung ist ganz merkwürdig, im ersten Zimmer zwei bis drei Flügel, alle ohne Beine auf der Erde liegend, Koffer, worin seine Sachen, ein Stuhl mit drei Beinen, im zweiten Zimmer sein Bett, welches Winters wie Sommers aus einem Strohsack und dünner Decke besteht... hier warteten wir eine gute halbe Stunde ... endlich kam er... Ich hatte nun viel gehört, wie behutsam man mit ihm sein müsse, um ihn nicht scheel zu machen; ich hatte aber sein edles Wesen auf eine ganz andere Art berechnet und nicht geirrt. In einer Viertelstunde war er mir so gut geworden, daß er nicht von mir lassen konnte, sondern immer neben mir herging, auch mit uns nach Haus ging und zur größten Verwunderung seiner Bekannten den ganzen Tag dablieb. Dieser Mensch hat einen sogenannten Stolz, daß er weder dem Kaiser noch den Herzögen, die ihm eine Pension umsonst geben, zu Gefallen spielt, und in ganz Wien ist es das Seltenste, ihn zu hören. Auf meine Bitte, daß er spielen möchte, antwortete er: »Nun, warum soll ich denn spielen?« - »Weil ich mein Leben gern mit dem Herrlichsten erfüllen will und weil Ihr Spiel eine Epoche für dieses Leben sein wird«, sagte ich. Er... setzte sich neben das Klavier... und spielte leise mit einer Hand, als wolle er suchen, den Widerwillen zu überwinden, sich hören zu lassen. Plötzlich hatte er alle Umgebung vergessen, und seine Seele war ausgedehnt in einem Weltmeer von Harmonien. Ich habe diesen Mann unendlich liebgewonnen ...

An dem Tag, an dem Bettina abreist, kommt Beethoven noch einmal in das Haus ihrer Verwandten. Er schenkt ihr alle Lieder nach Gedichten von Goethe, die er komponiert hat. Er bittet sie, ihm wenigstens einmal alle Monate zu schreiben, weil er außer ihr keinen Freund habe.
Bettinas Berichte über die Stunden mit Beethoven - ein andermal hat er sie auf eine Orchesterprobe mitgenommen -, klingen bei allem Überschwang doch realistisch. Die beiden dürften sich tatsächlich nach ein paar Momenten der Unsicherheit verstanden haben. Beethoven hat gewiß sehr rasch gemerkt: da ist auch jemand, der die Zwangsjacke der Konventionen nicht gelten lassen will. Er wird auch gespürt haben, daß er mit Bettina nicht eine von den jungen Damen der Gesellschaft trifft, die im Künstler nur ein exotisches Wesen sehen. Beethoven leidet zu dieser Zeit schon unter Gehörschwäche. Bei komplizierteren Dialogen mußte sie ihre Antworten auf Zettel schreiben. Ein Brief Beethovens an Bettina belegt, daß hier, anders als bei Goethe, die Begeisterung wechselseitig gewesen ist:

  • Liebe Bettine, liebstes Mädchen, die Kunst - wer versteht die? Mit wem kann man sich bereden über diese große Göttin? Wie lieb sind mir die wenigen Tage, wo wir zusammen schwatzten oder vielmehr korrespondierten; ich habe die kleinen Zettel alle aufbewahrt, auf denen Ihre geistreichen, lieben, liebsten Antworten stehen. So habe ich meinen schlechten Ohren doch zu verdanken, daß der beste Teil dieser flüchtigen Gespräche aufgeschrieben ist. Seit Sie weg sind, habe ich verdrießliche Stunden gehabt, Schattenstunden, in denen man nichts tun kann; ich bin wohl an drei Stunden in der Schön-brunner Allee herumgelaufen, als Sie weg waren, und auf der Bastei; aber kein Engel ist mir da begegnet, der mich gebannt hätte, wie Du Engel, - verzeihen Sie, liebste Bettine, diese Abweichung von der Tonart; solche Intervalle muß ich haben, um meinem Herzen Luft zu machen...

Die nächste Station der Reise ist das Gut Bukowan, der böhmische Landsitz, der den Geschwistern gemeinsam gehört und von Christian verwaltet wird. Clemens und Achim kommen von Berlin hierher. Achim ist entschlossen, Bettina endlich um ihr Ja-Wort zur Eheschließung zu bitten, fährt aber nach vier Wochen wieder ab, ohne daß die entscheidende Aussprache stattgefunden hat. Armer Achim. Sein Zögern wird diesmal kaum von eigenen Bedenken und Schüchternheit bedingt gewesen sein. Er spürt sehr gut, wie dieses Treffen mit Beethoven Bettina besetzt, wie es wieder ihren Traum genährt hat, sich ganz der Musik zu widmen. Diese Träume müssen erst verzogen sein, ehe sie offen für ihn ist. Achim beweist in seiner Zurückhaltung in Bukowan ein Verständnis, das um so bewunderungswürdiger ist, wenn man bedenkt, mit welchen Hoffnungen er diese Reise angetreten hat. Mit Clemens und Achim geht Savigny zur Wohnungssuche nach Berlin, während die beiden Schwestern vorerst in Bukowan zurückbleiben. Am 10. Juli 1810 schreibt Achim in Berlin den entscheidenden Werbungsbrief:

...gestern stand ich wohl drei Stunden an meinem Stehpulte, an welcher ich Deiner so oft und in verschiedener Zeit gedacht. Savigny war zu Humboldt gegangen, und Clemens las im anderen Zimmer neu angekommene Bücher. Aber in dieser Stille, die rings mir wiederkehrte, wurde immer lauter in mir ein Widerspruch, eine Unbestimmtheit, wie Du es eigentlich mit mir meintest, den Deine Freundlichkeit in den letzten Tagen nur beschwichtigt, nicht unterdrückt hatte...

Es ist ein Meisterwerk von einem Brief, der da entsteht, ein Brief, der neben allem anderen zeigt, was Briefkultur der Romantik bedeutet, wie sich das Briefeschreiben zu einer Kunst gesteigert hat, und an diesem ist gerade die Mischung aus Kunstfertigkeit und Liebesintensität das Wunderbare.
Achim holt weit aus. Er beschwört noch einmal alle die Augenblicke der Vergangenheit, begründet sein eigenes Schwanken, erklärt, wie sich seine materielle Situation durch den Tod der Großmutter verändert hat. Er spricht von seiner Entschlossenheit, jetzt Kinder zu haben. Was dann kommt, muß wörtlich wiedergegeben werden, weil es so schön ist, so poetisch, von einer Freiheit und Intimität, einer Zärtlichkeit und Bestimmtheit, wie sie für Achim von Arnim typisch sind:

Da brauchte es nicht langer Zweifel, ich wußte niemand auf der Welt, von der ich so gern ein Ebenbild besessen hätte, da kein Maler Dich mir ordentlich dargestellt hatte, und auch keine, mit der ich auch ohne diese Verdopplung so gern mich erfreut, gestritten, gewacht und geschlafen hätte, als Dich...

Die Antwort darauf ist ein nicht minder schöner Brief Bettinas aus Bukowan, wohin Savigny, der in Berlin eine Wohnung gefunden hat, nun zurückkehrt, um seine Familie und Bettina abzuholen.
Bettina schreibt:

...wir wollen uns fassen und nicht loslassen... Liebes Kind meines Herzens, warum soll ich nicht Dein sein? warum, wenn Du an mich verlangst, soll ich Dir nicht geben? (...) Sei von mir geliebt, sei mein, sei getrost.

(27) Anfang August 1810 reist Savigny mit seiner Frau, den Kindern und Bettina über Prag nach Berlin. Sie machen halt in Teplitz bei Goethe, der sich dort zur Nachkur aufhält. Es sind mehrere bekannte Persönlichkeiten bei ihm: Zelter, der Liederkomponist und Leiter der Berliner Liederakademie, der Altertumsforscher August Wolf, der Philosoph Johann Gottlieb Fichte. Aber Bettina müßte nicht Bettina sein, würde sie es nicht verstehen, ihre Sonderrolle unter den Gästen klar zu machen. Schon gleich zu Anfang stürmt sie mit der für sie typischen Unbekümmertheit in das Zimmer, in dem Goethe wohnt. Der meint, irgendeine Frauensperson habe sich womöglich in der Tür geirrt. Erst dann erkennt er, daß er Bettina vor sich hat. Später, gegen Abend eines heißen Tages, gelingt es ihr, endlich einmal mit Goethe allein zu sein. Es ist der Abend vor ihrer Weiterreise. Goethe sitzt am Fenster. Sie hat ihre Arme um seinen Hals gelegt und betrachtet ihn unverwandt. »Ist es dir nicht heiß?« fragt er ganz beiläufig, wie man eben etwas fragt, nur um etwas zu sagen, wenn das Schweigen zu lange dauert. »Ja doch«, sagt sie.
»Dann mach doch den Busen frei, daß ihm der Abendwind zugute komme.« Sie sagt nichts.
Er öffnet die Knöpfe ihres Kleides, er beugt sich vor, küßt ihre Brüste, hebt den Kopf, sieht sie an und sagt: »Das Abendrot hat sich auf deinen Wangen eingebrannt.«
»Kein Wunder«, sagt sie, »wo mir die Sonne untergeht im eigenen Busen.«
Er schaut sie lange an. »Wie ist das«, fragt er dann, »hat dich denn noch nie jemand so berührt?«
»Nein«, sagt sie, »es ist mir fremd, daß du mich berührst.« Er küßt wieder und wieder ihre Hand. Es wird ihr bang. Sie denkt: Er soll mich loslassen. - Nein, warum eigentlich, es ist doch angenehm. Sie fürchtet sich. Es ist ihr aber auch ganz leicht und heiter.
Ihre Frisur ist durcheinandergeraten. Er schüttelt den Kopf, als müsse er etwas abschütteln von sich, ordnet ihr Haar spielerisch. »Du bist wie ein Gewitter«, sagt er, »Regen dein Haar, deine Lippen Wetterleuchten, deine Augen Donner.« Sie findet ihre Stimme wieder und sagt: »Und du bist wie Zeus. Du brauchst nur die Brauen zu heben und der Olymp erzittert.« »Ach«, sagt er, macht eine Pause und sagt dann gelassen, »ich möchte, daß du mir etwas versprichst.«
»Ja?«
»Wenn du dich auskleidest und die Sterne sehen dir dabei zu...«
»Ja doch... sprich weiter.«
»...willst du dann daran denken, daß ich diesen Augenblick eben nie vergessen werde... daß es etwas Unsterbliches ist, was ich mit dir erlebt habe?«
»Ja.«
Er lehnt sich mit der Stirn an sie. »Verzeih mir's«, sagt er und legt beide Hände wieder auf ihre Brüste. Sie aber greift über ihn hinweg, reißt etwas Weinlaub ab, schlägt ihm damit auf die Hände
und sagt: »Ich will auch, daß du daran denkst. Ich könnt mich nicht wehren. Ich hätte keine Macht, dir zu widerstehen. Erinnere dich daran, was ich dir gesagt habe: ich hab keine Macht, dir zu widerstehen... diesen Worten, diesem Blick und der Schönheit, die auf deinem Gesicht liegt. Und doch habe ich mich gewehrt.«
»Komm«, sagt er, »ich will deine Brüste wieder zudecken.« Aber er tut nichts dergleichen, sondern küßt sie nur wieder. »Warum sollte das Strafe verdienen? Soll man nicht das Schöne umfassen?
Dies ist die Aufgabe des Dichters.«
»Sag mir, wie ist das«, fragt sie, »umfaßt Gott in seiner Liebe die Welt oder die Welt mit ihrer Liebe Gott?«
»Gott umfaßt die Welt... freilich. Und ich bin ein Gott, der spürt, wie ihn seine Welt empfindet, wenn er sie umfaßt.«
»Nein, es ist anders. Die Welt vergaß Gott. Das ist ihre Sünde. Sie will den, der sie umfaßt, strafen. Sie leugnet, daß es der Gott ist, der sich zu ihr herabläßt.« Sie ist jetzt sehr erregt. Sie hofft, daß er begreift, wie in dieser Scherzrede die Wahrheit ausgesprochen wird. Die Wahrheit dessen, was zwischen ihm und ihr ist, was nicht mit Worten beschrieben werden kann, aber dennoch vorhanden ist. Er zieht sie heran, läßt sie auf seinen Knien sitzen, legt seinen Kopf auf die Stelle, an der ihre Herzschläge zu hören sind. Sein Finger spielt mit ihrem Ohr. Ihre Stirnen lehnen aneinander. Sie spürt, wie ihm die Schweißtropfen über die Stirn rinnen. Sie küßt die Schweißtropfen fort. Seine Zungenspitze liegt zwischen den Lippen. Sie beißt vorsichtig mit den Zähnen zu. Er lehnt sich zurück. »Weib«, sagt er, »Weib, wenn du wüßtest, wie süß du bist! Dann erst könntest du begreifen, wie streng die Fesseln sind, die deine Unschuld mir anlegt, daß ich's nicht vermag, sie zu zerreißen.«
Irgendwann trennen sie sich.
Als sie später daran denkt, ist ihr alles zuwider. Es sind nicht weniger als fünf Versionen erhalten, in denen sie schildert, was bei der Begegnung in Teplitz geschehen ist. Am Ende hat sie wohl selbst kaum noch zu unterscheiden gewußt, was Wirklichkeit war und was ihre Erfindung. Aber gewiß ist ihr an diesem Abend immer wieder durch den Kopf gegangen: »Ach, läge ich doch diese Nacht bei dir!« Hat sie es ausgesprochen, und hat er geantwortet: »Ja, willst du denn kommen?«
»Oh, ich will.«
Ist das wirklich gesagt worden, oder war das nur ein Gespräch ihrer Wünsche?
Sie weiß es nicht. Es hat so oder so seine Wirklichkeit.
Und wirklich ist, daß sie zu den anderen gegangen ist, noch ganz schwebend. Savigny hat zu ihr gesagt: »Aber Bettina, dir tränen ja Pauken und Trompeten aus den Augen. Wo kommst du her? Was hast du vor?« »Ach nichts«, sagt sie, immer noch umgeben von Träumen und Wundern.
Sie geht dann bald auf ihr Zimmer, zieht ihre Oberkleider aus, legt einen Pelz mit silbergrauem Kragen an, der ihr gut steht. Sie schleicht sich in den Garten. Da hat am Mittag die Katze gelegen zwischen den Nelken und Astern. Sie hat mit der Katze spielen wollen, aber die Wirtin hat's nicht erlaubt. Jetzt legt sie sich gleich der Katze mitten ins Asternbeet. Über ihr nicken die Blumen, und noch weiter oben ist sein Fenster. Da liegt er gewiß, und es muß so sein, daß er jetzt an sie denkt. Kühl wird es. Sie pflückt Nelken und paßt auf, daß der Tau daran hängen bleibt.
Sie geht hinauf, steht vor seiner Tür und denkt: Gewiß schläft er, gewiß glaubt er nicht mehr, daß ich komme. Ob ich hineingeh? Vielleicht ist er im Schlaf gar nicht schön anzusehen, nicht so schön wie vor ein paar Stunden. Schließlich geht sie rückwärts ins Zimmer, sieht nicht zu ihm hin, nimmt sich nur ein Kissen vom Stuhl, legt es auf den Erdboden, mummelt sich in den Pelz. Den Blumenstrauß im Arm, so schläft sie ein.
Ein Posthorn weckt sie. Da schleicht sie aus der Tür. Denn das ist der Wagen, mit dem sie reisen. Den Strauß läßt sie auf der Schwelle. Als sie vor der Tür ist, ruft er sie an: »Bettina?«
»Goethe ... ich hab heute nacht bei dir geschlafen.«
»Ich weiß«, sagt er, »ich habe die ganze Zeit auf dich hingesehen. Aber nun komm nicht wieder herein. Sonst sind du und ich verloren.«

(28) Am 4. Dezember 1810 ist ein schauerliches Wetter. Regen, Schnee und Eis durcheinander. Achim von Arnim ist Bettina bis Bärwalde entgegengekommen. Sie hat sich zuvor noch einige Zeit in Dresden aufgehalten.
In Bärwalde hält sie Verlobung mit Achim unter freiem Himmel um halb neun Uhr abends in einem Hof, in dem hohe Bäume stehen. Und der Wind schüttet Regen auf sie herab. Die offizielle Verlobung feiern sie am Weihnachtsabend mit den Savignys und Freunden der Familie. Auch Zelter ist dabei. Achim hat Bettina einen Ring geschenkt, einen Chrysopras. In ihn eingeschnitten sind zwei Hände, die einander drücken. Er hat in Erinnerung an den 4. Dezember für Bettina ein Sonett geschrieben, das mit den Zeilen endet:

Wir schieden schon - da drückt sich Hand in Hand, -
Wir beide ziehn im Glückstopf gleiches Los.
Uns eint auf freier Straß' ein freies Band.
Daß ich die Hand nun nimmer lasse los
Das macht des Steines Sinnbild dir bekannt.
Der Ring sei nicht zu klein und nicht zu groß.

Goethes Glückwunsch zur Verlobung trifft am 11. Januar 1811 in Berlin ein. Er lautet:

»Möge Dir es recht Wohlergehen und alles, was Du gelobest und Dir gelobt wird, Glück und Segen bringen.«

An seine Frau hat er nach Bettinas Abreise aus Teplitz geschrieben:

Bettine ist gestern fort. Sie war wirklich hübscher und liebenswürdiger wie sonst. Aber gegen andere Menschen sehr unartig... am Ende geht es doch wohl auf eine Heirat mit Arnim aus...

(29) In Berlin wohnt Bettina bei den Savignys am Montbijouplatz 1 in der Nähe eines schönen Parks, in dem man Ballspiele machen und im Sommer Erdbeeren pflücken kann. Das ist ziemlich weit entfernt von der Mauerstraße, in der Achim zwei Zimmer bei der Familie Pistor gemietet hat. Seit 18. September 1809 ist Clemens bei ihm auf Besuch.
Unter diesen Umständen sind intime Zusammenkünfte der Liebenden und Verlobten nicht gerade einfach zu bewerkstelligen. Nirgends ist man allein, aber fast jeden Abend im Winter 1810/ 1811 kommen Achim und Clemens zu den Savignys herüber. In einem Billet für Achim schreibt Bettina: »Komm alle Abende Deines Lebens so gern zu mir wie diese Winterabende.« Die politische Situation ist immer noch bedrückend. Napoleon hat inzwischen noch Oldenburg, Ostfriesland und die Hansestädte seinem Kaiserreich einverleibt. Österreich hat mit dem Friedensschluß von Schönbrunn etwa 110000 Quadratkilometer seines Territoriums abtreten müssen. 1811 erklärt es den Staatsbankrott. Im Frühjahr jenes Jahres 1811 entschließen sich Bettina und Achim zu heiraten - heimlich.
Warum heimlich? - Darüber sind nur Vermutungen möglich.
Die Ankündigung der Brüder Grimm, an ihrer Hochzeit als Störche verkleidet zu erscheinen, wird sie nicht geschreckt haben. Es könnte dagegen eine Rolle gespielt haben, daß, wegen der angespannten politischen Situation, Verwandtenreisen über längere Entfernungen schwierig zu bewerkstelligen sind. Wenn man die einen Verwandten dabei hat und die anderen nicht, sind letztere bestimmt beleidigt. Und warten ... warum? Bettina und Achim haben lange genug gewartet.
Da sie kirchlich heiraten wollen, ist eine völlige Geheimhaltung ausgeschlossen. Das Aufgebot in einer katholischen und in einer evangelischen Kirche findet jedoch statt, ohne daß Clemens Brentano oder das Ehepaar Savigny davon Kenntnis erhalten.
Am 10. März 1811 läuft die vorgeschriebene Aufgebotszeit ab. Am 11. März holt Achim Bettina bei den Savignys ab. Sie ist für einen Werktag ungewöhnlich festlich gekleidet. Auch das erregt weiter kein Aufsehen, wird vielleicht sogar nicht einmal bemerkt. In dem Haushalt des Universitätslehrers, in dem Bettina standesgemäß ihre eigene Kammer Jungfer hat, herrscht immer viel Geschäftigkeit: durch die kleinen Kinder, durch die Studenten, durch andere Gäste.
In einem Wagen fährt das Brautpaar zur Wohnung des Pfarrers Schmidt, einem alten Freund der Familie von Arnim, zu dessen Amtsjubiläum, kurze Zeit zuvor, Bettina noch ein Gedicht verfaßt hat. Sie werden dort in die Bibliothek geführt. Die Frau Pfarrer, die Achim schon als Kind gekannt hat, erzählt von der Jugend des Bräutigams und wie ernst er schon als Kind gewesen sei. Sie holt ein »zierliches Krönchen« herbei, »grüne Seide, kraus über Draht gesponnen, Nachahmung lebendiger Myrthe, wie es damals Mode ist.«
»Du siehst aus«, sagt Achim zu Bettina, »wie eine Fürstin aus älterer Zeit.«
»Wohl wie eine Person aus dem Wintergarten?« erwidert Bettina, »jetzt sag mir doch, welche?«
»Nicht jetzt sag ich's dir. Könnt sein, daß du mich dann doch nicht nimmst?«
Der alte Prediger macht keine langen Worte. Dann tauschen die beiden die Ringe und sprechen ihr Ja-Wort. Zur Mittagszeit ist Bettina wieder in der Wohnung der Savignys. Achim geht zurück in die Mauerstraße und holt Clemens wie gewöhnlich zum Mittagessen ab, das sie in einer Imbißstube einnehmen.
Kein Wort fällt darüber, daß Bettina und Achim geheiratet haben. Am Abend ist Achim wie gewöhnlich bei den Savignys. Als die Zeit kommt, zu der er gewöhnlich aufbricht, geht er besonders lautstark, als trüge er Hufeisen an den Füßen, die Stiegen hinunter. Unten läßt er die Haustür geräuschvoll ins Schloß fallen. Kurz darauf öffnet ihm Bettinas Kammerzofe, nun leise, wieder die Tür. Jetzt, er hat die Schuhe ausgezogen und ist in Strümpfen, folgt er der Jungfer auf Zehenspitzen in Bettinas Zimmer. Ehe das Licht verlöscht, sieht er noch die Rosenstöcke und Jasminsträuße, die Bettina überall hat aufstellen lassen.
Am anderen Morgen nimmt das Leben wieder seinen gewohnten Gang. Im Haus Savigny weiß immer noch niemand etwas von der Eheschließung. Es vergehen fünf Tage. Bettina und Achim bewahren ihr Geheimnis. Am sechsten Tag, während des Frühstücks, sagt Bettina spöttisch zu Savigny:
»Du solltest jetzt etwas respektvoller zu mir reden, seitdem ich eine verheiratete Frau bin. So gebietet es doch auch das Gesetz, mit dem du dich auskennst ... oder?«
»Ich bitte dich, Bettina, was soll nun wieder dieser dumme Scherz. Wenn du im Traum gern schon verheiratet wärest, so kannst du's für dich behalten und mußt nicht vor uns dein Traumspiel für Wirklichkeit ausgeben.« »Es hat aber Wirklichkeit. Sei versichert.« »Ach, dieses Mädchen! Was werde ich froh sein, wenn nicht ich es mehr bin, der dir deine Launen verweisen muß.« »Du brauchst sie mir schon jetzt nicht mehr verweisen, denn ein anderer ist mein Herr und Meister, sofern ich es mir überhaupt gefallen lasse, einen Herrn und Meister zu haben.« »Nun aber ein Ende damit!« ruft Savigny ungehalten. »Wie wäre es, wenn du auf den Abend den Achim fragtest?« »Damit ich anbrenne und du mit deinen Irr-Reden, die doch nur darauf zielen, triumphierst!«
Am Abend, als sie alle wieder zusammensitzen, hat Savigny die Unterhaltung nach dem Frühstück längst vergessen. Aber Bettina erinnert ihn daran. »Du hattest eine Frage an Arnim, Schwager?« »Verzeiht mir, Arnim. Aber Ihr wißt selbst, daß das Mädchen manchmal sich Streiche ausdenkt ...« »... die eine rechte Plage sind«, fällt ihm Achim ins Wort. »In der Frage, ob Weiber oder Männer die größere Plage seien, sind die Männer selbst denn doch wohl Partei«, ruft Bettina. »Die Frauen etwa nicht?« erwidert Savigny. »Verzeiht, daß ich die Aussage verweigern möchte«, sagt Armin, »Meine Frau möcht's mir heimzahlen, wenn ich das ganze Geschlecht beschuldige, und da ja nun wohl Gerichtstag ist, will ich auch gleich bekennen, daß dieser Streich der heimlichen
Trauung wenigstens zur Hälfte auf meine Kosten geht, ja, selbst
die Anstiftung dazu mir angerechnet werden muß.«
»Dann wär's also wahr?« ruft Savigny und wird ganz bleich.
»Es ist wahr, daß wir Mann und Frau geworden sind«, sagt Achim ruhig.
Gundula rennt zu der Schwester hin und fällt ihr um den Hals.
Savigny ist zurückhaltender. Für ihn müssen die Dinge immer in
rechter Ordnung und Würde geschehen.
»Wie seid ihr nur darauf gekommen?« sagt er.
»Wir wollten eben so heiraten, wie man im Märchen Hochzeit
macht«, sagt Bettina.
»Ich wünsche euch Glück«, erwidert Savigny ernst, »ich wünsche
euch Glück von ganzem Herzen. Ich wünsche euch Glück für euer
gemeinsames Leben. Es wird gewiß nicht immer sich nur als
Märchen träumen lassen.«
»Vielleicht aber doch eine Weile«, gibt Bettina zurück.

(30) Sie haben sich. Hurra! Das war eine lange Geschichte, aber ich kann es nicht ändern, daß die beiden sich so lange nicht entscheiden wollten, so viele Umwege gingen, ehe sie sich als Eheleute in die Arme schlössen.
Und es gibt da noch manches, was in meiner Geschichte von Bettina und Achim noch über ihre Heirat hinaus weitererzählt werden müßte.
Beispielsweise jene Szene zwischen der inzwischen schon schwangeren und somit besonders reizbaren Bettina und Goethes Frau, Christiane.
Beide Frauen, einander ohnehin nicht grün, im Sommer 1811 in dem Haus am Frauenplan, in einem Saal, in dem Gemälde ausgestellt sind. Bettina bricht vor einem schlechten Bild von Heinrich Meyer in spöttisches Lachen aus, ohne zu ahnen, daß dieser Maler Goethe viel bedeutet und seiner Frau noch mehr. Christiane nimmt den Maler in Schutz. Bettina darauf: Ob sich Christiane neuerdings zu einer Expertin in Malerei ausbilde? Christiane, die viel an Eifersucht auf die Jüngere heruntergeschluckt hat und als Frau aus der Unterschicht mit den Vornehmen ohnehin ihre Probleme hat, reagiert handfest. Sie versetzt Bettina eine Ohrfeige. Der fällt die Brille von der Nase. Christiane zieht triumphierend ab. Achim von Arnim, der in einem Nebenzimmer Bilder angeschaut hat, wird erst jetzt aufmerksam. Er findet seine Frau zitternd, umdrängt von anderen Besuchern, die sie zu beruhigen trachten, und Bettina kreischt: »Die Blutwurst ist toll geworden. Sie hat mich gebissen.«
Ein ebenso böses wie treffendes Wort. Die Umstehenden hören es mit Schadenfreude. Christiane ist dick geworden in den letzten Jahren.
Ihre Stellung in der Weimarer Gesellschaft ist ohnehin alles andere als glücklich. Also gibt es viele Leute, denen dieser Satz gefallen wird, die ihn sich merken, ihn herumtragen, ihn demütigend benutzen.
Achim von Arnim dürfte dieses Gezeter ganz und gar nicht gefallen haben. Der Brief, den er an Goethe schreibt, charakterisiert ihn und seine Vorstellung von Bettina sehr treffend und zeigt, wie Achim in einer delikaten Situation mit bewunderungswürdiger Souveränität reagiert.
Ehe man diesen Brief liest, muß man sich noch einmal das Verhältnis der Menschen, die in den Vorfall verwickelt sind, verdeutlichen: Goethe, der Magnetberg, der Übergeliebte, den Bettina selbst dann nicht ganz aufgibt, als sie beschlossen hat, Achim zu heiraten. Christiane, die Frau aus der Unterschicht, der »Bettschatz«, eine der vielen Frauen in Goethes Leben, aber schließlich auch die, die er, als die Stürme des Krieges auch in Weimar bliesen, dann doch geheiratet hat. Achim, für den Goethe zu den großen Vorbildern seiner Jugend gehört, der für ihn der Literaturpapst Deutschlands ist, der das Wunderhorn gelobt hat, sonst aber mit seinen Novellen und Romanen wenig anzufangen weiß.
Das alles will mitbedacht sein, wie es Achim bedacht haben wird, als er die Feder ansetzt und schließlich schreibt:

Empfangen Euer Exzellenz bei meiner für morgen bestimmten Abreise den innigsten Dank für alle Zeichen der Güte gegen mich und meine Frau. Es bedarf keiner Versicherung, wie leid es mir getan, daß die öffentlichen Schimpfreden, welche die Frau Geheim-rätin über meine Frau ergossen, und die Folgen derselben auf die Gesundheit meiner Frau und auf das Stadtgespräch eine Trennung des Umgangs in den letzten Tagen notwendig machten. E.E. könnten mir vielleicht heimlich den Vorwurf machen, daß ich durch zweckmäßige Beruhigung zur rechten Zeit die fatale Szene auf der Ausstellung hätte hindern sollen, ich kann mich dagegen leicht rechtfertigen. Frau von Pogwisch ist mein Zeuge, daß ich bis zum lärmenden Auszug der Frau Geheimrätin aus dem Zimmer nichts vernommen ...weil ich im Nebenzimmer stand. Meine Frau fand ich darauf bleich und zitternd wieder zwischen einer Menge Unbekannter, die sich teilnehmend um sie bemühten und sie ausfragten. Es war also nichts zu machen, als meine Frau eilig aus der neugierigen Menge Unbekannter herauszuführen ... Es tat mir leid, daß meine Frau nicht früher meiner Warnung gefolgt war, dem heimlichen Groll der Frau Geheimrätin aus dem Weg zu gehen, den ich schon mehrmals deutlich bemerkt hatte; ich hoffe indessen die beste Wirkung auf ihre künftige Klugheit, sie hat nämlich eine ungemeine Bequemlichkeit in der Verteilung ihres natürlichen Wohlwollens, ohne zu beachten, ob es den Begünstigten nicht mehr hinderlich als ersprießlich ist. ... Indem Sie ihren Briefen und Sendungen Interesse schenkten, macht sie sich ein Bild unwandelbarer Liebe für Sie, das ihr gleichsam von Geschlecht zu Geschlecht als eine Forderung des Gemüts und der Pflicht zugewachsen und angeboren wäre. In E.E. war es vielleicht nur eine vorübergehende Rührung über etwas Vergangenes, eine Verwunderung über die eigne (sehr schätzbare) Natur meiner Frau und wurde hier bei dem kleinsten Hindernis aufgegeben. Nehmen E.E. diese Bemerkung als keinen Vorwurf, kein Mensch kann verpflichtet sein, eine Freundschaft zu heucheln. Im Gegenteil hat Ihr durchaus offenes Benehmen ohne zu beleidigen das Falsche und Halbwahre in der Gesinnung meiner Frau ausgelöscht. An ihrem Mißverstehen ist nichts zu tadeln, aber viel zu loben, es kommt aus dem Herrlichsten und Besten, aber Wahrheit geht über jedes Mißverstehen. Gern drückte ich E.E. noch die verehrte Hand, aber ich möchte Ihnen nicht lästig sein ... und empfehle mich mit unwandelbarer Hochachtung und Ergebenheit...

Gern würde ich noch von ihrer Ehe, ihren Kindern erzählen, davon, wie Bettina zu Achims Lebzeiten auf eigene künstlerische Produktion weitgehend verzichtete und bemüht war, Spielraum für ihn zu schaffen, damit er neben seiner Tätigkeit als Landwirt zum Schreiben kam.
Gern würde ich davon erzählen, wie sie nach dem Tod ihres Mannes durch ihr politisches und soziales Engagement in heftige Konflikte mit einem Menschen geriet, der ihr in ihrer Jugend so nahe gewesen war: Friedrich Karl von Savigny. Gern würde ich von Bettina als sozialhistorischer Schriftstellerin erzählen, als Verlegerin, als Vorkämpferin für Pressefreiheit und als Anwältin der notleidenden schlesischen Weber, der in Unfreiheit gehaltenen Ungarn und Polen.
Wenn ich nicht weitererzählen kann, obwohl es mich verlockt, so tröste ich mich damit, daß es im Unterschied zu den Jahren der Freundschaft und der Brautzeit über die Ehejahre ein jedem zugängliches, gut lesbares Dokument gibt, Texte, in denen sich Bettina und Achim über ihr Glück, aber auch über ihre Schwierigkeiten offen und anschaulich aussprechen: die beiden Bände Achim und Bettina in ihren Briefen.
Aber ich kann nun doch nicht schließen, ohne den Leser wenigstens mit einer Szene auf das Eheleben neugierig gemacht zu haben.
Von Weimar sind die jungen Eheleute über Kassel nach Frankfurt gereist. Von dort unternimmt Achim eine Reise nach Heidelberg und Straßburg. Unterdessen berichtet Bettina, die bei den Verwandten im »Haus zum Goldenen Kopf« logiert, daß Achims alte Liebe, Auguste Schwinck, in Frankfurt angekommen sei und im »Englischen Hof« wohne.
Achim antwortet aus Heidelberg, er finde es besser, Auguste nicht wiederzusehen:

...nicht als ich fürchtete, meine Liebe zu Dir könne dadurch gefährdet oder gekränkt werden, aber warum sollte ich mir wünschen,... mit meinem Glück in Dir und an Dir und was ich durch Dich habe, vor ihr zu prahlen, da sie unglücklich ist und einer ungewissen Zukunft entgegensieht, das wäre grausam, und doch würde ich mich dessen schwer in Deiner Nähe enthalten können. Willst Du ihr etwas Liebes tun, es steht bei Dir, würde mich aber freuen...

Und dann schließt dieser Brief mit einem Vers von acht Zeilen, mit einem Liebesgedicht, einem der schönsten der deutschen Romantik, ungewöhnlich allein schon dadurch, daß es die Liebe eines Ehemanns zu seiner Ehefrau zum Thema hat. Es bildet Intimität ab, ohne Peinlichkeit. Sehnsucht und Geborgenheit überblenden sich in ihm. Es beschwört Ferne und Nähe, Annäherung samt der ewigen Fremdheit, selbst noch unter Liebenden. Es ist ein Gedicht, das einen ganzen Roman enthält:

Mit jedem Druck der Feder
Drück ich Dich an mein Herz,
Bald tragen mich flüchtge Räder
Wieder zu Lust und Scherz.
Ich öffne leise die Türe,
Und weil es so dunkel ist,
Dir Leib und Schenkel berühre,
Ob Du dieselbe bist.