Im Unterschied zu den meisten Romantikern, die nach einer oft revolutionären Frühphase im Alter reaktionär und katholisch wurden (wie Friedrich Schlegel, wie der Bruder Clemens Brentano, der in der Nähe einer stigmatisierten Nonne hauste) hat sich Bettina politisch immer mehr radikalisiert. Ihre explizit politischen Schriften verstand sie als Verlängerung ihrer politisch-gesellschaftlichen Tätigkeit, die meist in der Hilfe für politische Gefangene und in Bedrängnis Geratene bestand, für Völker und Individuen, so für die Unterstützung Hoffmanns von Fallersleben, für die Befreiung Gottfried Kinkels und Friedrich Wilhelm Schloeffels (vgl. Armenbuch, gegen polizeiliche Bevormundung und Zensur, für den nationalen Befreiungskampf des polnischen Volkes).
Ihr Aufruf »An die aufgelöste preußische Nationalversammlung« 1848 setzt sich prinzipiell mit Fragen des Rechtsstaats auseinander, die über die Sache der Polen hinaus aktuell sind: »Unsere Feinde haben nie gesäumt, alle Lücken zu füllen mit zweideutigen Reden, die auf nichts Gütevolles Menschliches deuten ... Staatsmänner! Richter, die Gesetze haben müssen und sie selbst machen, um der Verlegenheit zu entgehen, selbst zu wissen, was sie tun, die Todesstrafe einsetzen und danach ihr Urteil fällen, um gesetzlich zu sein, selbst wenn es unmenschlich wäre. Aber nie hat einer von ihnen begriffen, wessen er durch eine Hinrichtung sich schuldig macht ... Wer Äußerstes leidet, der kommt zum Äußersten! - Seht, es stehen die Scharfrichter an der Spitze der Legionen und legen Hand an und würgen die Freiheit, wie sie lange schon an uns sich eingeübt haben. Und nennen sie (die Polen) uns ein zerrissenes kampfverwildertes Volk!« (Bettina 3:428) Bettina wirkte direkt politisch mit solchen Aufrufen, Briefen an den König (zur Freilassung politischer Gefangener), Aufstellungen zum Armenwesen: neben dem Armenbuch und der darin zitierten Liste des Fabrikanten Schloeffel gibt es im Anhang zum ersten Band des Königbuches eine Liste der im sogenannten Vogtland vor dem Hamburger Tor in der Berliner Vorstadt lebenden Armen, die Grunholzer aufstellte. Eben dort besuchte Bettina 1831 bei Ausbruch der Cholera die Todkranken, half ihnen und sorgte für ärztlichen Beistand. Herbert Scurla weist im Vergleich mit dem Salon der Rahel Varnhagen auf den politisch-öffentlichen Charakter des Arnimschen Salons hin:
- »Bettina hat die gesellschaftliche Entwicklung des Berliner Salons vorangetrieben, indem sie Gedanken, die im Kreise der Freunde erörtert wurden, in die öffentlichkeit hinaustrug. Ihr Salon war nicht mehr Refugium sich selbst betrachtender und einander austauschender Individualisten und nicht mehr romantische Oase in einer intellektuellen Wüste. Er war, wie schon Rahels zweiter SaIon, Forum des förderlichen und fördernden, nach gesellschaftlicher Wirkungsmöglichkeit suchenden Gespräches. Bettina ließ, was Rahel nicht vermochte, dem fortschrittlichen Wort im Salon den öffentlichen Appell an das Gewissen und die Tat folgen ... in den letzten Jahren des Vormärz und vollends um und nach 1848 hatten ihr Salon, ihre soziale Tätigkeit als »Rettungsmaschine« gegenüber Menschen in Not und Elend, ihre bewußt agitatorische, die Mächtigen vorsätzliche beunruhigende und herausfordernde Publizistik eine betont politische Note.« (Scurla: 421 f.)
Das »Armenbuch« gehört dabei bereits zu den Projekten, die sie nicht mehr veröffentlichen konnte ohne Gefahr zu laufen, als Verschwörerin verurteilt zu werden. Das »Armenbuch« Bettinas, das von der Öffentlichkeit mit großer Spannung erwartet worden war, ist nie erschienen. Der Weberaufstand von 1844 hatte den Verdacht der Verschwörung Bettinas mit den Webern so sehr verstärkt, daß sie es sich nicht leisten konnte, die vorgesehene Statistik über die Armut der schlesischen Weber mit ihren Kommentaren zu veröffentlichen. Am 15. Mai 1844 hatte Bettina einen von ihr unterzeichneten Aufruf in allen großen Zeitungen Deutschlands abdrucken lassen, in dem sie davon sprach, daß sie in einem ausführlichen Werk die Ergebnisse ihrer Forschungen über die Zustände der Armen veröffentlichen wolle und daß sie um Mitteilungen über das Armenwesen in anderen Teilen Deutschlands bitte. Die Zuschriften legte sie zu dem umfangreichen Material, das sie als die »Armenpapiere« sammelte, unter denen sich ein Brief (18. Juni 1844) über den Weberaufstand befindet, den sie in einer Abschrift an Alexander von Humboldt schickte. Ein Teil des Armenbuchs ist als Beantwortung einer offiziellen, von der Potsdamer Regierung 1842 ausgeschriebenen Preisfrage zu verstehen: Was die Ursachen der Verarmung seien, falls die Klage über ihre Zunahme berechtigt sei, und wie man sie steuern könne. Ähnlich wie im Anhang zum Königsbuch, wo eine detaillierte Schilderung der Zustände der Armenkolonie im Berliner Vogtland gegeben wird, die von dem Schweizer Heinrich Grunholzer stammt, wollte sie auch im Armenbuch eine genaue Aufstellung des Lebens- und Arbeitszusammenhangs der Armen protokollieren. Der progressive Fabrikant Friedrich Wilhelm Schloeffel, der sich für die Verbesserung der Zustände unter den schlesischen Webern einsetzte, stellte für Bettina eine Liste mit statistischen Angaben über die Verhältnisse von 92 Armen zusammen und schickte sie Bettina am 22. März 1844 zu. Da Schloeffel außerdem engagierte Vorträge über die zunehmende Verarmung hielt und sich gegen die Bedrängung der Bürger durch Zensur, Verhaftung und Hausdurchsuchung wandte (auch Bettinas Briefe wurden geöffnet und versiegelte Post aus dem Ausland von der Polizei erbrochen), wurde er im März 1845 verhaftet und blieb bis zum Ende des Jahres in Untersuchungshaft (dann wurde er wegen Mangel an Beweisen freigesprochen) - er wurde verdächtigt, das Haupt einer »kommunistischen Verschwörung« zu sein. In einem Brief an Friedrich Wilhelm IV. vom 18. Juli 1845 beteuerte Bettina die Unschuld Schloeffels und bat um seine sofortige Freilassung (in dieser Weise setzte sie sich für viele Gefangene ein).
Das Armenbuch sollte in seinem Kern aus empirisch-statistischem Material über die Zustände der Armen bestehen, dazu gibt es vier ausführliche Fassungen eines geplanten Nachworts (das zu einem kleinen Teil hier abgedruckt ist), aber nichts von diesem geplanten Buch wagte Bettina nach dem Weberaufstand zu veröffentlichen. In einem Brief vom 22. Juni 1844 an Alexander von Humboldt schreibt sie die Gründe: »So manche Hülfsquelle, so manches notwendig zu Erwägende sollte in mein Armenbuch kommen, ich lasse es jetzt nicht weiter drucken. Ich sende Ihnen hier ein paar Bogen aus dem selben, nicht zum Lesen, sondern zum Einsehen, was diese Leute dort gelitten, ehe es soweit kam; die Frucht verkam vor Mangel an Nahrung im Mutterleib, die Kinder wurden als Skelette geboren! Diese Register ihres häuslichen Jammerstandes sind nur ein échantillon unter hunderten; nicht gewählt, zufällig herausgenommen. Dergleichen Listen sind so viele, daß eine dicke Postille nicht die Hälfte davon umfassen würde« (Briefe aus dem Nachlaß Varnhagens: 374f.). Das schreibt Bettina eine Woche, nachdem die ersten »Aufrührer« des Weberaufstands bestraft worden sind, und man von Aufwieglern »Im politischen Sinn« (ein nicht unaktuelles Thema!) und »unbesonnenen Schriftstellern« spricht, und der Minister Graf von Arnim Bettina als eine Rädelsführerin des Aufstands bezeichnet, die die Leute aufgehetzt und ihnen Hoffnungen gemacht habe. - Bettina gibt das »Armenbuch« nicht heraus; es ist seither nur in Teilen in der inzwischen nicht mehr existierenden »Sammlung Insel« erschienen. In der großen fünfbändigen Gesamtausgabe fehlt es; Bettina bleibt im Kopf der meisten Leser immer noch die exzentrische »Romantikerin«.
»Wer zum Beispiel Mut hat, das Geld zu verachten, der wird bald auch Weisheit haben zu erkennen,
welch fürchterlicher Wahnsinn aus diesem grausamen Vorurteil hervorschießt,
und wie Reichtum und Macht so sehr arm sind.«
Bettina an Günderode
Auszüge aus dem Armenbuch[1]
... Wer ist des Staates Untertan? Der Arme ists! - Nicht der Reiche auch? - Nein, denn seine Basis ist Selbstbesitz, und seine Überzeugung, daß er nur sich angehöre! - Den Armen fesseln die Schwäche, die gebundnen Kräfte an seine Stelle. - Die Unersättlichkeit, der Hochrnut, die Usurpation fesseln den Reichen an die seine. Sollten die gerechten Ansprüche des Armen anerkannt werden, dann wird er mit unzerreißbaren Banden der Blutsverwandtschaft am Vaterlandsboden hängen, der seine Kräfte der Selbsterhaltung weckt und nährt, denn die Armen sind ein gemeinsam Volk, aber die reichen sind nicht ein gemeinsam Volk, da ist jeder für sich, und nur dann sind sie gemeinsam, wenn sie eine Beute teilen auf Kosten des Volkes. Dem Armen kommt es nicht drauf an, ob Saturn regiere oder Mars oder Jupiter, aus dessen Haupt die geharnischte Minerva sprang; er fügt sich dem regierenden Planeten, der am unerreichbaren Himmel über ihm aufgeht, wie er der Witterung sich fügen muß. Stürme, Überschwemmung, Dürre, alles fällt auf des Armen Haupt, sie stählen seinen Mut, wenn er fühlt, daß er auf seine Kräfte sich verlassen darf. Giebts Pest und Hungersnot, er arbeitet sich durch, er ist der Ausdauer gewohnt. Giebts Krieg, so ist er der schützende Wall, er läßt sich berauben seiner Mühen und Fähigkeiten zu Gunsten der Reichen. Sein Wille ist unterjocht, die Rechtspflege ist ihm mit Dornen verhakt, er kann sich nicht erwehren ihrer Willkür, die Aegide der Gesetze hält ihm ihr grauenhaftes Antlitz entgegen, vor dem die Unschuld wie die Schuld sich entsetzt; seine Menschenrechte sind dem Staat Illusionen, seine Hoffnungen sind erschöpft, längst erstorben, er lebt aus mechanischem Naturtrieb, nicht aus Geist und Bewußtsein. Seine Anlagen sind erstickt, was sich durcharbeitet an Verstand und Begriff, das wird von jener Aegide gleich versteinert! Doch soll der Mensch nicht allein sich selbst emporschwingen, sondern somit der ganzen Menschheit emporhelfen. Dazu liegen die Keime in ihm, er hat es bewiesen an seinem Vaterland, er hat seinem Herrscher sich gelobt, wollte er nicht sich fügen, wollte er murren, er würde zum Richtplatz geführt. Daß er aber die Vaterlandsgeschicke trägt mit seltner Ausdauer, daß er dies undankbare Vaterland schützt, aus Gefahren es rettet, daß er sein Leben, seine Gesundheit dem gemeinen Besten hingab, ohne eigennützige Sorge der Zukunft, wer von denen, die des Vaterlandes Krisen miterlebten, wird es leugnen. Die Dotationen der Dankbarkeit fielen nicht dem Armen zu. Beraubt des Unentbehrlichen stürzt er ins Elend.
Aus dem plaunischen Grund wollte ein mitleidiger Vizepräsident die Armen letzt herübernehmen, um an der Eisenbahii zu arbeiten, zwischen Leipzig und Hof, sie hatten die Wegsteuer nicht, die 3 Meilen herüber mußten sie transportiert werden, sie konnten keinen Spaten in die Erde bringen. Der Vizepräsident wollte sie ausfüttern, aber die Aktionärs fragten: Herr Vizepräsident, wo bleiben unsre Aktien? - so wurden sie wieder hinübertransportiert ins Elend. ja, wie kann auch so ein Ritter vom Eisernen Kreuz den Spaten in die Erde bringen, dessen Spinnfinger so dünn sind, daß der Knochen wie am Gerippe sich zeigt, was nicht ohne Schauder anzusehen ist, sagte mir der Fürst Karulath [2] der eben mit mir über das schlesische Elend sprach. - Wie ist das doch? - Der Arm, der mit dem Säbel die Vaterlandsgeschicke wenden half, der hat einen so dünnen Spinnfinger, alle Kraft verschwunden und kein Brot! Ritter vom Eisernen Kreuz, du stehst so elend da! - Du bist Ritter, du bist kein Eximierter [3] Der Verwalter des Dominiums kann dich züchtigen, wenn du mit deinem Spinnfinger nicht das Schutzgeld mehr erspinnen kannst! - Wie heißest du? - »Ach unserer sind viele; wir heißen alle, Arme Leute! - Menschen des Elends. Unsre Blüte war, als wir für das Vaterland dienten und durften für unsern König das Leben aufs Spiel setzen und für seine Nachkommen und konnten jubeln, wenn der feindliche Kugelregen durch unsre Glieder fuhr, und die er wegriß, die riefen noch im Tode Victoria.« Hier zu Waldenburg in der Kauffialie sitzen die armen Leute mit ihrem Gespinst, da kommt der Kaufherr, aus Mitleid hat er sie herbestellt, er heißt Kramsdard; er möchte gerne es ihnen abnehmen, aber der unhaltbare, tingleiche Faden glebt keine brauchbare Leinewand. Wie kommt es, daß Ihr so schlecht arbeitet. Das ist die Liederlichkeit und der Müßiggang, hättet Ihr eben so gut gearbeitet wie sonst, so konnte Euere Ware nicht so herabkommen. Er kann Euer Gespinst nicht brauchen, er will es nicht. Da jammert Ihr, da flehet Ihr, die Angst, ohne Mittel nach Hause zu kommen, wo so viel Verschmachtende auf Euch harren. Aus Mitleid will er es denn abnehmen. Da habt Ihr einen viel zu hohen Preis aus Mitleid! Nur, da all Eure Arbeit Mist ist. - Die Leute schreien auf, sie wollen die Arbeit nicht hergeben für gar kein Verdienst. Sie müssen wohl, ein Zeichen in der Leinwand von der Hand des ersten Bieters weist die Käufer auf das erste Gebot an. Sie bleiben alle dabei. Also all Eure Arbeit vor anbrechendem Tag und spät in die Nacht und Eure Glieder abgezehrt und konntet Euren Hunger nicht stillen. Es hat den Pfennig zum Öl auf die Lampe Euch nicht eingetragen! - Eure Glieder sind vertrocknet aus Mangel, und man wirft Euch Liederlichkeit und Müßiggang vor; nein! man überlegt nicht, daß ein vertrocknetes Glied untauglich ist zu guter Arbeit! Daß der geschwächte Arm des Kriegers mit dem Eisernen Kreuz den Faden nicht mehr gleich und haltbar drehen kann aus Hungersschwäche, aus Nervenreiz des abgezehrten Fingers. Das fällt Euch nicht ein, Ihr mitleidigen Käufer! Aber was macht Ihr mit diesen Arbeiten der Not und des Mangels? Düngt Ihr Euer Feld damit? - Jawohl, ein Feld, wo Millionen drauf anwachsen.
Der mitleidige Mann, der mir dies erzählte, setzte hinzu, »ich möchte den Jammer nicht noch einmal mitansehen, als Kramsdart sein Gebot tat und alles die Hände rang und laut jammerte, noch herzzerreißender, als da er ihnen erst es abgeschlagen hatte. jetzt wars ausgesprochen mit dem Gebot, keine Hülfe mehr für die Zukunft, als nur langsamer verschmachten, der Vater mit den Kindern. - Ein Freund der Armen tritt in die Hütte, wie der eben das Brot austeilt, die Kinder umringen ihn, sie haben den kleinen Teil schon verzehrt, sie langen nach dem andern Teil, aber das Brot ist ja schon zur Hälfte verzehrt, er darf nichts mehr geben, sonst haben sie morgen nichts, sie weinen, der Reiz des Hungers ist so groß, sie wollen gern morgen fasten, wenn er ihnen nur heute das andre auch noch giebt. Der Vater kann nicht, er darf nicht, denn wenn sie morgen nichts zu essen haben, so können sie nicht arbeiten. Das Weifen und Spulen und Weben zehrt ab. Er wird zornig, daß er ihnen versagen muß und daß es ihm das Herz zerreißt! - Aber der Freund der Armen sagt: gebt ihnen das Brot noch, ich will Euch für morgen ein anderes kaufen. Da weinen sie alle und essen das Brot unter Tränen bis auf den letzten Bissen! - Was ist, daß sie weinen mußten, um der Mildtat willen? - Ach, das Mitgefühl hatte sie angesteckt, sie mußten darum weinen, daß einer Mitleid mit ihnen hatte. Diese Menschen alle, Gott hat ihnen kein geistig Organ versagt. Was man mit den Sinnen ergreifen kann, als Nahrung der Geistesentwicklung, dazu sind sie geeignet! Sie sind nicht schwach von Sinnen, sie hören, fühlen und sehen wohl. Und doch sind sie so dumpf, so unwissend, sie lassen sich ängstigen! Ach die Hungerwüsten des Leibes erzeugen Verwesung des Geistes und böse Giftpflanzen der Unsittlichkeit. Wo die Hoffnung ausgerottet ist, da kann keine Tugend mehr aufkommen! Unbesiegliches Geschick erst ickt den Mut. So verwesen Anlagen, Begriffe und Energle. Und alle höheren Geisteskräfte, die aus dem Selbstgefühl entsprießen und aus der Geistesmacht? - Wo bleiben diese? Nämlich der Enthusiasmus und seine Offenbarungen, ungehemmt vom Gesetz! Der Instinkt, diese frei schwebende Magnetnadel, ein sicherer Kompaß! Aber gehemmt vom Gesetz muß sie falsch zeigen, boussole affolée, betörter Wegweiser! Also Ihr Armen, Euer Begriffsvermögen, Eure Anlagen sind ein Ort der Verwesung! - Blödsinnigkeit, das ist Geistesverwesung, Blendwerk. Dies macht Euch zu Sklaven der Lüge und Heuchelei!
- (Diese Fassung bricht hier ab. Den Schluß entnehmen wir der zweiten Fassung.)
Der Reiche weiß nichts vom Armen, er hängt vom Äußern abl aber nicht vom Vaterland. Alles Äußere hängt mit ihm selber zusammen, sein feiner Rock darf seine feine Seele nicht kompromittieren, er fühlt sich selbst durch den Rock ausgezeichnet und erhaben über die schuftige Menge. Sein Streben ist Auszeichnung, selbst unter seinesgleichen, seines Pferdes Rasse muß mit seiner Rasse akkordieren, selbst durch den Reitknecht muß seine feinere Komplexion hindurchleuchten, und jeder geringste Deut seines äußern Lebens muß alles er selber sein. Blicke und Gebärden sind die Demonstrationen seiner gemachten Standesgesetze; Treue, Tapferkeit, Ehrfurcht, Diensteifer sind Gewandstücke seiner Luxusnatur, in denen er seine Seele als die ihm selber gefällige Person darstellt. Seine Taten sind Repräsentation ihm beliebiger Helden- und Tugendszenen, die seiner Karriere Relief geben. - Das ist die Gebildtheit des Reichen. Sie entspringt aus dem Luxus, nicht aus dem Bedürfnis des Geistesleben! Treibt aus diesem die Wurzel der Vaterlandstugenden? - Oder der Selbsterkenntnis der Erhöhung und Vorbereitung des Unsterblichen? Den Reichen stürzt sein eignes Geisteselend in den Abgrund. Wie steht der Arme dieser Rockseele gegenüber? Wie aber jene Autoritäten, die den Staat bilden mit ihrer Obersicht und Einsicht, im Berechnen des Zufälligen und Notwendigen sich tüchtig machen, in des Regenten Willen und Neigung die eigne Absicht geschickt einzufädlen, mit der sie den Grundriß legen zur Geschichte unserer Tage, die dem Zeitgeist die Schwingen bricht und nach Abschätzung dessen, was sein soll und nicht sein soll, ihn erlahmt mit Füßen tritt. So prangt (er) vor der Welt, eine Nation zu züglen. Dies Staatsphänomen, das durch künstliche Prärogative des Herrschers Vertrauen gefangen hält zum Nachteil der Volksentwicklung, das, um seiner Repräsentationsscheinheiligkeit Spuren einzuprägen, die fruchtbaren Keime, welche die Natur in deinen Schoß gelegt hat, o Vaterland, alle unterrajolt, und durch vorwegnehmende Anmaßung des Begriffs die Stufen der Geschichtsannalen hinanzusteigen beliebt, gegen die himmlischen Konstellationen Krieg führend, mit seinem wettermachenden Hexenstab irreleitende Nebel erzeugt und Temperaturen, die dem jungen Hoffnungsgrün die Wurzeln abfaulen, und es schmeichelt (ihm) die dürre Haide, ein furchtbar stummes Bild seiner eisernen Gewalt, aber seiner Geistesohnmacht. - Wer könnte je Zweifel wecken in diesen stockenden Begriffen? Was könnte ein solcher Eigendünkel in sich unterdrücken oder verdammen, als etwa diesen Zweifel selbst? Ja, dieser Dünkel erstickt wirklich jene Zweifel in sich, jene Keime des ursprünglichen Gewissens, das unaustilgbar in des Menschen Busen haftet, um immer aufs Neue der Unsterblichkeit Bahn zu brechen. Er erstickt als Brut des Teufels, was seiner Willkür sich in den Weg legt; nämlich die Weisheit der Unschuld, die unermüdet und rachelos dem Elend die verschütteten Lebenswege wieder aufgräbt, die erwurgt er. Wer ist nun aber der, von dem dies Phänomen der Staatsverwaltung die Frage beantwortet erwartet, die zwar irrtümlich als eine untergeordnete betrachtet wird? - Die aber die einzige ist, welche ihm zu schaffen macht und die er nicht mit seinem christlichen Mantel zu decken vermag. Der Arme wird nicht gefragt, denn der ist der Verbrecher dieser Verlegenheit, und er kann sein eigen Urteil nicht fällen. - Den Reichen geht es nichts an, denn er ist durch eine ungeheure Kluft vom Armen geschieden, die er nicht ausgefüllt wünscht. Er würde grade lieber mit Sack und Pack sein Vaterland verleugnen, als daß der Arme ihm gegenüber dieselben Rechte der menschlichen Gesellschaft in Anspruch nehme. So wären wir den Reichen los, vielleicht wäre es das Beste, wenn man den Reichen bei seinem Tode lieber gleich mit seiner ganzen Habe in den Sarg legte, wie den Bärnhäuter.[4] Vielleicht entdeckte man außer dem gesuchten gepriesnen Reichtum edlere Quellen der Selbsthülfe, wäre der Reichtum uns aus dem Wege geschafft . . .
»Arbeit«[5]
Arbeit! Armut unter dem Schutz der Arbeiter!
Ausbreitung der Macht, welche in den Arbeitskräften liegt, die schwere Frage der einreißenden Armut allein aufzulösen durch Veredlung der Arbeiter in ihrer Uneigennützigkeit, Selbstverleugnung, ihr Mut, die Zukunft durch eigne Kräfte zu bewältigen, hebt dies Vermächtnis des Elends, was sich mit jedem Tag vermehrt. Kraft, Heldencharakter zu entwickeln in dem Besitzlosen. jeden Besitzenden verzehrt der eigne Besitz. Der, dessen Kräfte des Geistes alle in Tätigkeit sind, duldet nicht den Besitz, in sich. Seine Wirksamkeit ist sein Besitz, je ausgebreiteter, je mehr verwebt diese sich in Allgemeines oder in Fremdes, je mehr auch fühlt er seine Wirksamkeit außer sich, je mehr fühlt er sich dem Allgemeinen angeeignet, je größer sein Besitztum. Also in der um- und eingreifenden Wirksamkeit liegt Besitz. In der Fühlbarkeit der eignen Wirkung im Gesamtbetrieb, im Gesamtbedürfnis liegt der Reichtum, der Besitz des Arbeiters! Was ist Kraft, wenn sie nicht wirkend ist? Wir hatten alles verloren durch die Beschränkung der menschlichen Kraft! - und ließens denen entgelten, die wir ihrer Vermögenheit, uns alles zu erwerben, durch falsche Gesetze beraubten? Verbrecher, ihre Behandlungl ihre Pflege, ihre Wiederherstellung gehört teilweise den Arbeitern! ist er natürlich unterworfen.[6] Organisierung der Schulen gehört denen, die derselben bedürfen. Staatsökonomie! - Nämlich Verbrauch der Stoffe und Anwendung derselben! - Korn und Nahrungs-Stoffe, Kleidungs-Stoffe gehört in den Kreis, der ihn verarbeitet! - er hat zu sorgen, daß das Unwesentliche im Luxus des guten [7] Lebensgenusses, nämlich dem Gutleben, untergeordnet bleibe, dessen Wirksamkeit näher in die Natur des Menschen eingreift, welches als würdig dem Nützlichen vorgehtl sowie das Nützliche wieder dem Angenehmen vorgehen muß! Auch dies gehört in die Rubrik des Arbeiter-Weltbürgers, sein Geist muß für das Gesetz geschärft werden, was unmittelbar seinem eignen Gewissen entspringt!