Zur Judenfrage

Bettina war seit ihrer frühen Jugend mit Juden und dem jüdischen Getto in Frankfurt vertraut. Sie hat sich, wie aus dem Auszug der Korrespondenz mit ihrem Bruder Clemens Brentano zu entnehmen ist, früh für die Juden und die »niederen Stände« eingesetzt und sich für die Geschichte der Juden interessiert. Zur Zeit der Niederschrift der »Klosterbeere« (1808) hatten die Juden gerade ein Jahr zuvor durch Napoleon das Bürgerrecht bekommen, das ihnen, als Napoleon geschlagen wurde, teilweise wieder genommen wurde. Der jungdeutsche jüdische Dichter Ludwig Börne zum Beispiel, der das Bürgerrecht gekauft hatte, führte einen Prozeß (und gewann ihn), als ihm das Bürgerrecht wieder abgesprochen wurde. Hannah Arendt hat in ihrem Buch über Rahel Varnhagen die Situation der Juden in Deutschland zu dieser Zeit ausführlich analysiert, auch die Probleme der Integration, die Rahel im besonderen betrafen. In der Situation von Rahel (die mit Bettina befreundet war), befanden sich sehr viele intellektuelle Jüdinnen (auch eine so privilegierte wie die Tochter des berühmten Moses Mendelssohn, Dorothea, die später Friedrich Schlegel heiratete und als »Lucinde« berühmt wurde): Sie wurden vom »Volk,« diskriminiert, selbst wenn sie reich waren und einen berühmten Salon führten wie Rahel. Was für Berlin galt, galt für Frankfurt noch schärfer:

  • »Juden konnten damals in Berlin aufwachsen wie Kinder wilder Völkerstämme. Auch Rahel hat nichts gelernt, nicht ihre eigene Geschichte, nicht die des anderen Volkes. Gelderwerb und Studium des Gesetzes waren die Lebenszentren des Gettos gewesen. Reichtum und Bildung halfen seine Tore sprengen: generalprivilegierte Münzjuden und Moses Mendelssohn. Juden des neunzehnten Jahrhunderts haben sich beider Dinge zu bemächtigen gewußt. (Hannah Arendt: 15)

»Die Klosterbeere« spricht nicht von den privilegierten, sondern von den armen Juden, die im Schmutz des engen Frankfurter Gettos zusammengedrängt lebten. Es gab Städte, die gar keine Juden aufnahmen (wie Nürnberg oder Augsburg), und die anderen (wie Frankfurt oder Berlin) nahmen sie nur mit Beschränkungen auf: die Juden unterstanden strengen Verordnungen. Die Judengasse, von der Bettina in der » Klosterbeere« spricht, durfte von Juden nur durch Tore an beiden Enden betreten oder verlassen werden, und zwar tagsüber. Nachts waren beide Tore verschlossen. Die Juden die neu ins Getto zogen, mußten den Besitz von 1000 Gulden nachweisen und 70 Gulden Gebühren bezahlen. Ihre Aufenthaltsgenehmigung mußten sie alle drei Jahre erneuern, sie hatten also einen Stand, der schlechter war als der eines Gastarbeiters heute. Im Getto wurde damit für die armen Juden der Klassenunterschied durch den Rassenunterschied verstärkt, die anfangs nicht einmal ihre kleinen Läden außerhalb des Gettos aufstellen durften. Mit Berufung auf die Aufklärung, zu der der jüdische Gelehrte Moses Mendelssohn gehört, haben Juden versucht, ihr Judentum loszuwerden (d. h. die jüdische Religion), um in die bürgerliche »vernünftige« Gesellschaft einzugehen. Der Jude David Friedländer verfaßt 1799 das »Sendschreiben jüdischer Hausväter«, in dem zur gesellschaftlichen Integration durch die Taufe aufgefordert wird - mit Berufung auf Vernunft und Aufklärung. Aber diese Berufung nützt im 19. Jahrhundert auch Friedländer nichts mehr, man kommt nur aus dem Getto heraus, wenn man sich als »vereinzelter Einzelner« verhält, sich, d. h. seine Geschichte, verleugnet und auch seinen jüdischen Namen auslöscht durch Heirat, wie das viele Jüdinnen (auch Rahel) versuchten. Bettina dagegen, und das entspricht konsequent ihrer Geschichtsphilosophie, verhält sich in der Tradition Herders, und damit gegen das Auslöschen der eigenen Herkunft aus Einsicht in die Macht der Geschichte:

  • »Herder«, stellt Hannah Arendt fest, »identifiziert als erster in Deutschland ausdrücklich die jetzigen, gegenwärtigen Juden mit ihrer Geschichte und mit dem Alten Testament, das heißt, er bemüht sich, ihre Geschichte so zu verstehen, wie sie sie selbst einst deuteten ... Er macht aufmerksam auf ihr eigentümliches Lebensgefühl, das sich an das Vergangene hält, In der Gegenwart das Vergangene festzuhalten sucht... Nicht ihre individuelle Gleichheit mit allen anderen Menschen wird zugestanden, sondern ihre kollektive, geschichtliche Fremdheit betont. Dabei wird auf Assimilation keineswegs verzichtet, sie wird sogar radikaler gefordert.« (Arendt: 37f.)

In dem Gespräch mit dem »Primas« vertritt Bettina eine ähnliche Position wie Herder und entlarvt die Stellungnahme des »Primas« als das, was man heute »repressive Toleranz« nennen würde. In ihren geschichtsphilosophischen Ansichten ist sie spürbar selbst vom jüdischen Denken mitgeprägt, wie auch andere Romantiker.

Das Judenmädchen »Veilchen«.

Aus der Korrespondenz der Geschwister Arnim [1]

Bettina
Wie früh Bettina ein Empfinden für auch subtile Diskriminierung hatte, zeigt die Korrespondenz mit ihrem Bruder (aus dem Briefroman »Frühlingskranz«), wo sie diesen zurechtweist in seinem Standesdünkel, sowohl die Juden wie »die niederen Stände« betreffend. Es geht um das Judenmädchen, bei dem Bettitia sticken lernt, sie nennt es »Veilchen« und liest ihr aus Clemens' Briefen dessen (und Goethes) Gedichte vor und lernt sie auswendig mit ihr. Die Reaktion von Clemens zeigt, wie verinnerlicht »Standesgrenzen« damals waren - nicht, daß sie heute abgebaut wären, sie sind nur verwischter. Bettina geht über diese Standesschranken hinweg und kämpft auf allen Ebenen gegen die Vorurteile, die sie ermöglichen.

Im September 1802 schreibt Clemens Brentano an seine Schwester:

»So habe ich jetzt zum Beispiel wieder gehört, daß Du dem Mädchen, was Dich sticken lehrt, Briefe von mir und Dir vorliest, und was hindert dies Mädchen, sie mag ein gutes Geschöpf sein oder nicht, das, was sie gehört, herumzutragen? - Was Du selbst nicht verbirgst, wird sie auch nicht verschweigen und hat es wohl nicht verschwiegen, sonst wüßte ich's nicht. So wie Du zu ihr mit Deiner Vertraulichkeit hinabsteigst, steigt sie wieder hinab, und sofort ist der Weg sehr kurz, daß unser ganzer Umgang ein Gassenhauer wird. Das ist nun eine sehr verdrießliche Sache, das macht Dich und mich den Leuten lächerlich und mit Recht, und uns beiden macht es die Leute beschwerlich, denen Du es so wenig wie ich verdenken darfst, über das zu lachen und zu spotten, was mit solchen Prätentionen im Kote gefunden wird. Sehr ungeschickt und ebenso töricht aber wäre es, wenn Du dem Mädchen das verweisen wolltest oder nur ein Wort darüber verlörst; denn das Mädchen hat gar nichts verbrochen, sondern bloß Dir selber sollst Du es verweisen und das recht tüchtig. Diese ganze Geschichte kann zwar sehr zufällig und nicht so bedeutend sein, als sie hier auf dem Papier Dir wiedergegeben ist, auch hast Du vielleicht Dein Vertrauen seitdem beschränkt, von dessen Mitteilung zu der niedrigsten Klasse kein großer Schritt ist, sie selbst mag sein wie sie will, sie darum zu verwerfen, wäre unmenschlich, aber überhaupt in eine vertraute Freundschaft mit ihr zu geraten, ist sehr töricht. Du siehst nun, ob die Brüder und Anverwandten keine Ursache haben, mit Dir und mir unzufrieden zu sein, wenn sie solche Dinge von uns erfahren sollten; ich glaube, sie haben keine Ursache, unsern Umgang zu ehren, wenn Offenbacher Juden sich über ihn unterhalten. Werde nicht traurig über diese Geschichte, sondern nehme Dich in acht mit Deinem Vertrauen. Es kommt am Ende der Verdruß auf mich und mit Recht, warum habe ich Dich nichts Besseres gelehrt.« (Bettina 1: 141f.)

Bettinas Antwort (im Dezember 1802 von Frankfurt):

»Nun will ich Dir noch vom Veilchen erzählen, Du sagst von ihr, >sie mag ein gutes Geschöpf sein, zu der ich hinabsteige mit meiner Vertraulichkeit!< - Wer bin ich denn, daß ich mich herablasse, wenn ich mich zu einem guten Gechöpf vertraulich werde? - Bin ich ein Engel? Nun, die fliegen ja den guten Menschen nach und bewachen sie auf Schritt und Tritt, aber ich glaube nicht, daß ich ein Engel bin, ich glaub vielmehr, daß ich zu ihr hinansteige, statt herab! - Sie ist diesen ganzen Sommer in Wiesbaden mit ihrem Großvater, sie weiß, der alte Mann muß sterben mit seiner Krankheit, er ist schon zwischen siebzig und achtzig Jahre, aber sie hat ihn hingeführt, seine Enkel hat sie ausgetan bei befreundeten Juden für ein Kostgeld, so hoch sie es zu erschwingen vermag. Die Hoffnung, daß die Bäder ihm nutzen, macht den alten Mann geduldig in seinen Schmerzen; so denkt sie ihn leise den Lebenspfad fortzugeleiten, so pflegt sie ihn! Er ist mein Großvater, sagt sie, mein Vater war sein Liebling, er hat gar sehr viel an ihm getan! - Und so wischte sie sich den Schlaf aus den Augen am Abend, denn sie war früh aufgestanden; - also, da las ich ihr als vor aus den Büchern, die ich von Dir hatte, manches schöne Lied von Goethe hat sie auswendig gelernt während dem Sticken, und ich fädelte ihr die Nadeln ein. Es waren die liebsten Zeiten mir. Als sie wegging, hab ich ihr versprochen, nach den Kindern zu sehen; und ich bin deswegen mit ihr im Briefwechsel, so lasse ich ihr Stickmuster bei dem Goldarbeiter Fitik machen, wenn sie neue Aufträge hat, schicke ihr die Seide und das Gold und geb ihr meine Ansicht, es ist mir immer das größte Pläsier, wenn ein Auftrag bei ihr einläuft, wobei meine Erfindung von ihr in Anspruch genommen wird, mein liebstes ist Stahlflitter und Perlen, und letzt haben wir eine grune Sammetrobe in solchen Stahlgirlanden angeordnet mit einem Netz von goldnen Raupen darüber, und das soll so wunderschön gewesen sein, schreibt sie, daß man nicht glaubt, in Paris könne es besser gemacht sein. - Meinst Du, so was hätte keinen Reiz für mich? Wohl freue ich mich über einen solchen Brief. Und wie manche Stunde in der Nacht habe ich in Erfindungen geschwelgt. Du siehst, lieber Clemens, die Gegend ist anders, als Du sie gedacht hast, da ist kein Steg, der hinab in die Gemeinheit führt. Wir befinden uns innerhalb der Grenzen des einfachsten Verkehres, und Deine Furcht, daß Dein Umgang mit mir ein Gassenhauer werde, und daß man ihn belache und sich darüber ärgere, im Kote zu finden, was mit so hohen Prätentionen auftrete, ist dem inneren Wesen nach ungegründet. - Du schreibst, >in eine vertraute Freundschaft mit ihr zu geraten, ist töricht.< Clemens, was war es, wenn ich auch dadurch mich abhalten ließ, der Veilchen die kleinen Gefälligkeiten zu erzeigen, weil Offenbacher Juden von mir sprechen?« (Bettina 1:147f.)

Dann geht Clemens nur noch einmal darauf ein:

»Deine Verhältnisse mit dem Stickermädchen berühr ich nicht ferner. - Es ist einmal traurig, daß oft das Einfachste, wenn es ungewöhnlich ist, eine Laufbahn der Gefahr wird, aber ich kenne auch Deinen Eigensinn und Heroismus, - um Dich nicht zu beleidigen, - dem Trotz zu bieten, wenn Du etwas für Recht hältst, kenne ich.« (Bettina 1:150)

Bettina von Arnim: Die Klosterbeere.

Zum Andenken an die Frankfurter Judengasse [2]

... In dieser heißen Sommerzeit nehm ich oft durch die Judengasse meinen Weg zum Treibhaus, dort die Blumen zu betrachten. Nun gehe ich nicht mehr gleichgültig schüchtern an des weisen Nathan Brüdern vorüber, ich betrachte mit Verwunderung die engen dunklen Häuser; alles wimmelt, kein Plätzchen zum Alleinsein, zum Besinnen. Manch schönes Kinderauge und feingebildete Nasen und blasse Mädchenwaiigen füllen die engen Fensterräume, Luft zu schöpfen, und die Väter in den Haustüren fallen die Vorübergehenden an mit ihrem Schacher. Ein Volksstrom wogt in der Straße, da laufen so viele Kinder herum in Lumpen, die lernen Geld erwerben, und die Alten, Tag und Nacht sind eifrig, sie in Wohlstand zu bringen, das wehrt man ihnen und schimpft sie lästig. Wie wunderlich ist's, daß alles sich zankt um den Platz auf Erden, ja, wie schauerlich ist dies! - So grausam ist der Dornenweg, auf dem die Menschheit sich ein Eigentum der Sorge erwirbt - und neiden's einander! - Vom Höchsten bis zum Niedrigsten ist alles eifersüchtig um den Zankapfel des Lebens. - Dort im Treibhaus, wo jedem Pflänzchen sein Platz gegönnt ist und sein Name bewahrt, die Heimat so viel möglich ihm zu ersetzen; und wie da alles in ruhigem Gedeihen zwischen edlen Nachbarblüten dem Licht die Kelche öffnet - und der Gärtner, wenn die Sonne sinkt, durch die ausgehobnen Fenster ergießt reichlichen Abendtau voll tausend Perlen über sie, der sie erfrischt. Da wird mir selber so dumpf, da wird das Herz mir ganz schwer, ich muß mich verachten, daß mir nichts fehlt am Lebensgenuß, da fühl ich mich beschämt durch die Judenkinder, die so begierig das bißchen frische Luft trinken, was ihnen abends über die Giebel ihrer qualmenden Wohnungen zuströmt; dann kränkt mich aller Lebensglanz wie Spott auf meinen unmündigen Willen, dann schwör ich der vornehmen Welt ab, die ihre Ahnen zu zählen so viel Not hat, bloß um das Volk verachten zu können, und dem Geist ist wie dem Auge von oben herab Berg und Tal eine Ebene. - Auf dem Heimweg vom Treibhaus nehm ich einen großen Strauß mit von allen Blumen, Rosenknospen und Orangenblüten, Granaten, Balsamnelken und Ranunkel und Myrten; der ganze Orient duftet aus ihren Kelchen, die teile ich den judenkindern aus. Viele Händchen strecken sich mir entgegen, sie werfen die Bettelsäcke ab, die reinen Blumen zu erfassen sie sahen nicht nach der Münze, zwischen den Blumen auf meinem Schoß. - Sind sie nicht dieselben, von denen Christus sagt: »Lasset sie zu mir kommen«? - Und die jungen Mädchen kamen auch herab und steckten ihre Sträußchen in den Busen und sagten voll Vergnügen: »Ach, das ist was Rares.«
Dem Prinias hab ich's erzählt von unsern Reden über die Juden; und daß du gesagt hast, der Schutz des Unterdrückten sei ein Kleinod in des Helden Krone, aber da seien keine Helden der Vernunft, denen die Weisheit des Nathaii sich warm ans Herz lege. Er meint, ihn treffe dieser Tadel iilcht, des Nathan Weisheit leuchte ihm ein, und das Elend der Juden sei ihm nicht gleichgültig, aber ob sie ihre Freiheit nicht mißbrauchen und die christliche Ungerechtigkeit, so wie sie Luft haben, mit jüdischer Keckheit ausparieren. Es war neben dem Konzertsaal, wo der Primas das sagte, die einfallenden Pauken steigerten meinen Mut. »Schlechter als ihre Unterdrücker sind die Juden nicht,« sagte ich, »wem aber Macht gegeben ist, wie kann der es verantworten, wenn er ihre Schnellkraft fürchtet? Sie wird keinen Unfug anrichten, wenn sie als Lebenstrieb sich aufrichtet in dem Stamm, dem die bittre Not, die von der Religion der Milde über ihn verhängt ward, nicht hat können das Mark verzehren, um so leichter wird er gesund werden, als durch die offne Wunde der Balsam rascher ins Blut dringt und es reinigt und heilt.« Sollten wir beide die Menschheit regieren, der Primas die Christen und ich die Juden, wir wollten sehen, wer besser fertig würde.
Primas: »Nun, wie wollten Sie es machen mit den Juden?«
»Ich wollte erst menschlich mit ihnen reden, das ist bisher nicht geschehen; ein Hund versteht unsern Willen, weil wir aufrichtig sind mit ihm; unser Wille richtet aber den Juden nicht auf wie den Hund; ich wollte ihren Zustand ihnen vorhalten, eine Moralphilosophie ihnen darüber lesen und alle Mittel ergreifen, sie in ihrem sittlichen Wert zu heben; das kann nur durch Ehrgefühl geschehen und durch die Wissenschaft, die gedeiht in dem Bedrückten, denn sie ist sein Trost!« -
Primas: »Wie wollten Sie das anfangen?« -
»Die Juden haben Ihnen einen goldnen Becher gebracht voll Goldstücke; Sie haben sie damit fortgejagt; das hätte ich nicht getan!« -
Primas: »Das war eine gute Übersetzung des Hebräischen ins Deutsche und die erste Lektion in der Moralphilosophie, die Sie zur Grundlage ihrer Bildung machen wollen.«
»Nein, das war eine mißverstandne Übersetzung; es war Mißdeutung und Verletzung ihres Ehrgefühls, das man schonen muß in jedem, am meisten im Gekränkten. Bestechung gilt nichts vor dem Fürsten, so kann er auch keine Absicht dahinein übersetzen!« -
Primas: »Wie übersetzen Sie denn ein so groteskes Benehmen?«
»So deutlich, daß es auch dem muß einleuchten, der seiner eignen Absicht noch nicht bewußt ist. Die Juden wollten mit diesem Geschenk sagen: >Du geistlicher Fürst, der als Hirt die christliche Herde weidet, o nehm uns mit auf ihre fetten Triften, laß uns neben ihnen gedeihen, verbiete uns nicht, das Salz deiner Weisheit zu lecken, das du ihnen streust, und wir geben dir willig unsere Wolle hin, die andere uns mutwillig ausrupfen und uns mit Schmach bedecken<.«
Primas: »Mit Schmach würde es mich bedecken, hätte ich ihr Geschenk angenommen!« -
»Kann man auch groß sein für sich, ohne diese Größe auf andre anzuwenden? und die eigne Gesinnung auf allseitige Wirkung zu berechnen? - Heute im Treibhaus hab ich das überlegt. Wie da der Gärtner ein scharfes Gewissen hat; wie er jedes Stäubchen abwischt von seinen ausländischen Pflanzen, wie er ihre Keimchen unter Glasglocken hält, von verwelkten Blättern befreit, tind die Wucherkelme, die nennt er Räuber und bricht sie gleich aus. Und die gefüllten Blumen verwahrt er gegen das Aufplatzen mit einem papiernen Kragen, wie hier der Stadtpfarrer ihn trägt. - Das erinnert mich auch, daß einem geistlichen Fürsten das Heil aller noch näher liegen muß als andern. - Das frische Wasser läßt der Gärtner seinen Pflanzen zufließen, und das Sonnenlicht spart er ihnen zur rechten Zeit auf. - Und die Juden emporbringen nach so langem Darben, da müssen sie auch vorsichtig und zärtlich behandelt werden wie die ausländischen Pflanzen und genährt mit dem, was die Seele groß macht, und muß ihnen keine Laufbahn verschlossen bleiben als nur, die sie erniedrigen kann. - Ich würde das Geschenk der Juden verwendet haben zum Beginn ihrer Veredlung, ich würde ihre Kinder zur Wissenschaft anleiten, nicht zum Schacher, ich würde ihnen die Bildung geben, die ihre Ansprüche an Geselligkeit geltend macht, ich würde sie reiten, fechten, tanzen lernen lassen, Naturwissenschaft, Philosophie, Geschichte, alles was sie über den Stand erhebt, in dem ihre Seelen herabgewürdigt, voll Schmach, einen schlechten Eindruck uns machten, und das erste aller Erziehungselemente niüßte sein die Musik!«
Primas: »Finden Sie so viel musikalischen Schmelz im Auern und Seufzen am langen Tag, ließen sich vielleicht mit etwas ökonomischem Genie Opern-Arien draus machen?« -
»Vielleicht liegt im Operngesang weit mehr falsches Getön als im Seufzen und Auern am langen Tag . Die Musik bringt die Skala der Seele auf die reinste Temperatur, die durch christliches Herabspannen ganz tonlos geworden und verstimmt ist. Musik geht nicht allein aus Geist und Gemüt hervor, weit mehr noch befruchtet sie die Sinne und befähigt sie zu dem, was der Geist noch nicht faßt. Sie ist die Wiedergeburt für die geistige Natur.«
Primas: »Wenn ich diese musikalische Wiedergeburt auch befördere und obenein sie reiten, tanzen, fechten lernen lasse - Naturwissenschaft, Philosophie, Geschichte - alles, was Sie wollen -, was würde dann daraus werden? - Der Jude ließe sich doch nicht verleugnen?« -
»Was ist denn da zu verleugnen? - Auch im Juden liegt die Offenbarung seiner Eigentümlichkeiten; es ist nicht die Rede, diese auszurotten, vielmehr sie wiederzugeben in lichteren Farben. Die Bildung des Juden hängt ab davon, seine ursprüngliche Schönheit geltend zu machen, seine Seele spiegelt zum eignen Verständnis sich in der ihm eingebornen Natur. Was unter der Sonne lebt, hat gleiche Ansprüche; tränken sich die Scharen der Halme auf dem Feld mit ihrem Licht, um Körner zu gewinnen, so soll auch durch der Sonne Geist alles sich befruchten mit großen Gedanken! Sie sollen im Juden so gut gedeihen wie in andern Menschen, und wie in den Halmen das Korn gedeiht! Der Jude wäscht die Hände nach dem Gesetz, er schöpft von der Welle des allumfassenden Ozean, sich zu reinigen vom Staub; der Christ, sich von Sünden frei zu waschen, schöpft aus dem Gnadenmeer! Ist Gebrauch und Gesetz nicht sinnliches Ahnen geistiger Bedürfnisse, sind sie nicht Schranken, inner denen eine geistige Sittlichkeit sich bewegt? - Der Jude, der bei der Heimkehr am Vorsabbat auf der Hausschwelle die Verachtung abschüttelt von den Tagen des Erwerbs und eingeht zu den Seinen als Priester, der den Segen herabfleht auf ihr Gesamtgebet, zum Gott seiner Väter aufatmend vom Druck, der auf ihm und seinem Volk lastet, dessen Gebet sollte nicht ins All der Schöpfung einklingen? und das Christentum ist so sehr verstimmt, daß es mit den Mißtönen der Verfolgung diese Harmonie mit dem Weltall stört?«
Primas: »Ich will mit keinem Mißton eingreifen in diese philosophisch-melodische Ansicht; ich will nicht rügen den Egoismus der jüdischen Religion, den politischen Kitzel als Grundlage ihres Charakters, der sich in tausend unbequemen Fehlern Luft macht, und ihre Eroberungssucht, die nie Pietät aufkommen ließ gegen andre Völker; ich frage nur, was würde aus einem so vollkommen gebildeten Judentum, aus diesen zweideutigen Anlagen hervorgehn für die Christenheit, für die ich als Primas doch einstehen muß?«
»Wenn Egoismus selbst in ihrer Religion sich offenbart, so muß die Beraubung ihrer einfachen Menschenrechte ihnen doppelt marternd sein; - liegt politischer Kitzel in ihrem Charakter, so ist's nicht zu verargen, daß sie mit ihm sich Luft zu schaffen suchen, und ihre Eroberungssucht kann nur denen ein Vorwurf sein, die sie so hart in Fesseln schlugen, aber verantwortlich ist's, diesen natürlichen Trieben kein Feld zu gewähren. - Der Vogel kann nicht in der Luft sich immer halten, er muß sich niederlassen! - Der Charakter muß eine Basis haben, auf der er sich ruhe! Das Feld der Freiheit ist die Basis aller. Was aber aus jenem gebildeten Judentum hervorgehe für die Christenheit, ist der Begriff, daß sie mit dem Christenhimmel nicht auch die irdische Welt gepachtet habe und die Hölle für Ketzer, Heiden und Juden allein übrigbleibe! Die Juden würden, trotz ihrem Festhalten an dem Glauben ihrer Väter, einen viel freieren Überblick über Anfang und Ende gewinnen, eben weil ihre Bedrückung ihnen ihr Anrecht an die Freiheit um so fühlbarer macht. - So würde der Christ auch des Juden freie Bildung Fülle freier Anschauung gewinnen, eine Entwicklung würde die andere steigern und endlich durch den goldnen Frieden sich ins goldne Zeitalter verwandeln, wo Jude und Christ gemeinsam fühlen, Gott sei unter ihnen!«
Primas: »Sie würden also die Juden nicht bekehren wollen?«
»Nein, aber sie bewegen, die Wahrheit zu erkennen!«
Primas: »Ist denn das Christentum nicht die Wahrheit?«
»Für den Primas, aber nicht für den Rabbi!«
Primas: »Was ist denn für den Juden die Wahrheit?«
»Daß Christus ein Jude war, das würde ich ihnen lehren beherzigen. «
Primas: »Glauben Sie denn nicht, daß Christus Gottmensch ist?« -
»Ja, durch seine Beharrlichkeit in der Liebe. - Wir aber verachten den Juden, den er liebte! - Wir nennen uns Christen und sind doch nicht bekehrt, den Juden wollte ich bekehren, daß er, wie Christus, seinen Verfolger lieben lerne.« ... »Ein ganzer Menschenstrom aus der Menschheit Schoß ausgestoßen, sich durch die Finsternisse wühlend des Fluchs, bei dem Christengott zu seinem Untergang verschworen, bloß weil er diesen als seinen Heiland nicht anerkennen will. So wurde denn die Stimme der Natur durchs Christentum verzaubert?«
Primas: »Was durch Gewohnheit sich so einwurzelt, daß kein Gewissen mehr darüber erwacht, erscheint auch nicht mehr unerhört, selbst dem Volk nicht, auf dem der Fluch ewiger Landesverweisung liegt; ja, es wurde ihm ebenso empfindlich auffallen, wollte man den Kreis seiner Satzungen, in den es gegen das Christentum sich verschanzt hat, durchbrechen, um es mit den Christen zu verbinden, als es uns empfindlich fallen würde, über den herabgewürdigten Gegenstand unserer Verfolgung nicht mehr verfügen zu können! - Wo bleibt die Erhabenheit des Christentums, wenn es den Abgrund des Judentums nicht mehr zu seinen Füßen hat? - Wo bleibt der Religionseifer, wenn wir nicht gegen den Teufel mit Deklamation, gegen die Ketzer mit Wut und gegen die Juden mit Despotie können losgehen? Wo bleibt die Kirchengeschichte? - Wo die Rellgionsphilosophie, ohne die Spiele verborgner religiöser Leidenschaften, die in ihrer Mannigfaltigkeit nirgend hinlänglich Genugtuung finden? - Das harte Herz, der Hochmut, die Herrschsucht, der Haß, die Verfolgung, die das naturentsproßne Religionsfundament, dies weite Geisterreich der Triebe und Neigungen, hart ankämpfen, um ein anderes, ihrer Gewalt unterworfnes ihr unterzuschieben. Die eleusinischen Geheimnisse, dunkler Furcht und Hoffnungen, die sich heuchlerisch über sie herwerfen und die Freiheitsidee ihnen aus der Brust rotten und mit erlogner Erhabenheit das platteste Geschöpf der Konvention aus ihnen machen!«
»Und welcher christliche Herkules wird die Welt von diesem Alp befreien?«
Primas: »Sinn für alles, nur nicht fürs Mittelmäßige - das ist der Herd, wo der Held, den Sie christlich nennen, Wunder tun müßte! Die Juden hatten, wie die Bybel lehrt, ein göttliches Patent zur Vertilgung aller Völker und zur Eroberung ihrer Länder. Die Christen haben die Seligkeit sich allein zugesichert. Dies ausschließende Recht auf das zukünftige Leben ist die Basis einer sündlichen Politik, die alles an sich reißt und auf ihrem Besitztum ruht wie ein feuerspeiender Drache! - hätten wir Spezialkarten des Himmels, so würde es Streitigkeiten unter den christlichen Machthabern schon hier auf Erden setzen; so müssen sie es abwarten, bis sie oben ankommen. Auf Streit - ja auf den heftigsten - können wir uns gefaßt machen, denn alles rüstet sich noch im Lebensausgang als Streiter Christi, und alles hält sich verloren, was nicht gewappnet gegen Teufel, Ketzer und Juden anlangt bei der Himmelsfeste, die ein doppelter Laufgraben umgibt: Fegfeuer und Höllenabrund, um hineinzustürzen, was sie in ihren heiligen Reichen nicht dulden! - Die Juden haben unvorsichtig ihre Verheißungen in das Irdische verlegt, deswegen haben die Christen auch gleich Besitztum, Kultur und Wissenschaft ihnen abgeschnitten, wie man dem Feind die Munition abschneidet, die Christen haben dagegen ihre Ansprüche ins Unerreichbare verlegt und sich so gegen allen Unbill verschanzt. - Obschon nun die Juden ihre Verheißungen bis zum Weltuntergang hinausschoben, der dann natürlich auch ihren Welterlöser mit verschlingt, weil ihr Messias sich in unerreichbarer Ferne hält und keine Anstalten macht, herbeizukommen, so hat die Not sie zu parasitischen Pflanzen gemacht an dem Stamm der menschlichen Gesellschaft; mag der, vom Sturm erschüttert, allem moralischen Ungemach unterworfen, wanken, sie saugen an seinen Wurzeln sich fest und sind nicht mehr ohne beider Untergang zu trennen.« »Ach, was kann an diesem kranken Stamm ihnen noch zugut kommen? selbst Christus würde schwerlich die Hunde noch auftreiben, alle die Wunden und Quetschungen heil zu lecken, die sie bloß in unserer Frankfurter Judengasse durch ihre Schacherwut bei den Christen davontragen, in dem engen Raum ihres Schwarmloches, in welchem tausend zerlumpter Männer und Weiber und nackter Kinder sich um den Platz streiten, den Fuß darauf zu setzen. Im Grab ist mehr Erdenraum. Welch Gedräng in dieser engen Gasse, welch lauwarmer Pestdampf der Unreinlichkeit dieser Gruppen magerer, halbverwester Israelskinder, wachend und schlafend auf den Stufen der Haustüre liegend! wer hat Mut, durch dies Gewimmel sich zu drängen, wo man auf dunkler Wendeltreppe hier und dort in die Haushaltungslöcher guckt, bis hinauf zum Dach, wo die Falltür sich öffnet, wo die Sonne durchs Giebelfenster den erschacherten Pomp der Christenheit bestrahlt, wo der Jude mit blitzendem Mienenspiel, mit fixen Fingern und laufender Zunge um des zufälligen Gewinstes eines Kreuzers halber sich unzähligen Spottreden aussetzt; auf der Straße verhöhnt ihn der Pöbel, er klettert zwanzigmal alle Treppen hinan und wird ebenso oft wieder hinabgeworfen, elendmüde stolpert er abends ins trostlose Familiennest, wirft sich und seine Bürde hin, alt und jung umringt ihn, hat er ein paar Batzen erganft, so hat er mehr um dieser Allerweltsünde gelitten, sich zerlaufen und abgehetzt, als ein geistlicher Fürst für die Sünden der Welt je Ablaß erteilte!« Primas: »Und Christen wie Juden arbeiten im Laboratorium der Goldmacherkunst, da geht im Rauch auf, was die Menschheit veredelt, was Zuversicht gibt in ihren höheren Beruf! Der Christ vergräbt unter Ehrfurcht gebietender Scheinheiligkeit sein Gold wie der gehöhnte Jude unter dem Kotlager des Schachers, von dem er einst wird auferstehen, seinen goldnen Fuß den Christen in den Nacken zu setzen! An den siebentausend Juden hier in dem engen Schmutzwinkel kann man das Ideal ihrer Volkswirtschaftslehre studieren! Ganze Taschen in zerlumpter Kleidung ist ihr politischer Standpunkt, ihr Vorrecht! - Ihren Gott diesen früheren Gott als der der Christenheit -, der die Juden in seinen besonderen Schutz nahm, selbst ihnen Gesetze gab - Jahrtausende lang sie väterlich erzog - vor jeder Gefahr sie warnte, selbst durchs rote Meer sie geleitete und endlich das Palladium der Menschheit, die Erkenntnis seiner Einheit, ihnen anvertraute, aus dessen Schoß der erste als göttlich anerkannte Gesetzgeber hervorging, hat man seines Tempels beraubt und in diesen Schmutzwinkel mit verbannt; dies bezeichnet seine sittliche Niederlage! - Dieses Vätervolk der Christen, dessen Religion die Mutter der ihrigen war: von dem Augenblick, als sie die Macht in Händen hatten, bloß auf den Grund hin, daß es dem Gott seiner Geschichte anhing, ist mit Gewalt und List seiner Freiheit, seiner Gerechtsame der Natur und Moral beraubt; - das bezeichnet sein energieloses Sklaventum! ihm ist das Recht auf Landbesitz, der Gebrauch seiner Vermögenskräfte untersagt, mit Gewalt und List ist ihm sein politisches Entwicklungsvermögen weggestohlen und von der Stufe, auf der es vor jahrtausenden stand, tief herabgestoßen und solchergestalt in einem unentfliehbaren Kerker des Verderbnisses festgehalten, wo es durch Mangel an Teilnahme, Mangel allgemeiner Veredlungsmittel in die schauderhafteste Sklaverei geriet, das bezeichnet sein Todesurteil!
»Der Mensch springt zum Himmel auf, aber ihn zu erkämpfen verhindert der Stolz und die Eigensucht; - er macht die Gestirne sich untertan und die Geister der Natur, die Götter und die Götzen, und dann gibt er ihnen die Oberherrschaft über sich nur darum, daß sie um sein Schicksal sich sollen kümmern!«
Primas: »Und er glaubt an Wunder, daß die Gottheit am Webstuhl sitze, seinen Lebenslauf ihm anzufertigen, so macht sein Aberglaube ihn zum Sklaven seiner eignen Phantasie, aber sonderbar genug wendet sich die Theorie derselben auf Gewalttätigkeit, Betrügerei und Raub an!«
»Und noch sonderbarer kann man des Nächsten Magd, Ochs, Esel und alles, was sein ist, nicht stehlen, ohne dafür gehangen zu werden! hingegen einer ganzen Nation Haus, Hof, Acker, Wald und Wiese und alle Ochsen und alle Esel und allen Besitz rauben, das kann man! und beraubt man gar die ganze Menschheit, so kann man dafür als Genie vergöttert werden!« -
Primas: »Nur die Begeisterung in ihrer Selbstvergessenheit kann zu Unsterblichem befähigen, vor dem die erworbne Moral, die auf hölzernen Beinen steht, die vernünftelnde Weltklugheit, die ein Trabant des verschleierten Despotismus ist, durch leichtes dramatisches Herabstürzen ihrer Opfer ihre Trauerspiele bemäntelt! - Vieles der Art hat die Zeit begraben: nach Jahrtausenden, wo andere Sprachen, andere Glaubenslehren über ihren entschwundenen Bewohnern wieder aufkeimen, wird diese Zerstörerin dem patriarchalischen Genius keinen Platz auf Erden gönnen, seine Herden nach ihrem Bedürfnis zu weiden und ihre Entwicklung als heilige Schuld zu übernehmen. - Die Sprache der Hirten wird kurzgefaßt bleiben, in allgemeinen Ausdrücken über die Triften unterhandeln und die fetten für die magern eintauschen, und die Herde wird müssen stumm dabei bleiben. Und ob nun die Völker den großen politischen Kreis durchlaufen als Sklaven oder als ihre Unterdrücker, so sind sie beide gleich fern der Wahrheit und dem Recht. -
Was ist Wahrheit? Warum antwortete Christus nicht auf diese bittere Spottfrage des Pilatus?« »Christus wollte den Schreckensgott des Alten Testaments verwandeln in den Vater der Menschen, er wollte die freie Kultur eines idealischen Sinnes in sie legen. Das war seine Wahrheit!« Primas: »Ja, das war seine Kraft der Magie, und darüber sprach Pilatus dem Christus Hohn, daß er meine, durch einen erhabnen Traum die schlechte Wirklichkeit zu überwiegen, weil ihm aus dieser göttlichen Phantasie in dieser Verschmelzung mit der sinnlichen Welt die Schäferstunde idealischer Erzeugungen aufging, in denen er zuerst göttlich sich fühlte. Pilatus meinte, wo der nachsichtige, humane Geist waltet, da wächst das Unterste bald über das Oberste? und das wollte er rügen in seiner Frage: »Was ist Wahrheit?« -
Und so möchte Pilatus heute noch die Frage tun, wie bald würden die wurmstichigen, rachitischen., galligen, salamandrischen Judenseelen despotisch über die milzsüchtigen, schlaffen, hypochondrischen, schweratmenden Christenseelen herfallen, wär keine tückische Priesteropposition gegen sie! - und die an den Juden Ärgernis nehmenden Christen sind um nichts besser als die um des Gewinstes willen sich aller Schmach unterziehenden Juden, und die Herren der Welt, diese nervenlosen, empfindsamen Idioten, unheilbar, mondsüchtig, schwermütig und ganz unsinnig, hassen und verfolgen jedes menschliche Prinzip, sie treten auf gegen die erhabensten, kühnsten Entwicklungen aller Seelenkräfte und halten sich durch den Reiz der Freiheit, den sie beleben sollten im Volk, weit mehr gefährdet als durch ihre sklavische Leidenschaften. - Was soll den Juden Kunst und Wissenschaft, in denen die Christen mit ihren prahlenden Fortschritten als Menschen so weit unter sich selbst sind, da sie der einzig wichtigen und gemeinsamen Wissenschaft, der Gesamtwirkung, gänzlich entbehren! Das Glück aller ist das meine, auf aller Dasein ist das meine gegründet! - Das ist Weisheit, die zum Ziele führt! « »Das ist Fürstentugend, die am Mißverständnis scheitert!«
Primas: »Und Volkstugend! Aber es sind noch mehr Klippen, an denen so wunderbare Eigenschaften scheitern! - Der Nationalstolz - der Vergleich mit andern, die es schlimmer noch machen, die beschwichtigen das politische Gewissen der Fürsten. - Als ob das Volk eine Schuld an sie zu bezahlen habe, weil sie es nicht so schlimm behandeln wie der Nachbarstaat, weil sie die Gesetzbücher gegenseitig verglichen und alles hervorhoben, was einen liberaleren Schein hatte, und unterdrückten die Fürsprache der Vernunft für reine Naturgesetze, für die einzelnen und für die Nationen! - Wer könnte klare Verstandesbegriffe dahineinlegen, daß Freiheit darin bestehe, unter dem Schutz der Gesetze zu stehen? - Als ob der Unterdrückte frei werde durch ungerechte Gesetze! Auch der einzelne hat Rechte Nationen gegenüber, die nur gemeinsam-widerrechtlicher Gewalt gemeinsam können abgerungen werden. Naturrecht! Einzige Straße der Menschheitsverklärung, Berge gesetzlichen und sittlichen Unrechts haben sie verschüttet und Zwietracht durch Gegensatz der Leidenschaften künstlich erzeugt. Das Gesetz, was nicht wie die Sonne alle erleuchtet, ruht nicht auf dem Gleichgewicht aller; ist nicht Naturgesetz. Nationen verschwistern wie die Glieder eines Leibes, das ist Volksschule; Geist und Heldenkraft erzeugen in Volk, für sich aber die Eiiifachheit des Kindes bewahren und frei wandeln zwischen politischen Rechthaberii und spitzfindigen Widersachern der gesunden Vernunft, das ist deutsche Fürstenwürde. Wir sehen ja, daß die, welche öffentlich dem Teufel widersachen, dennoch heimlich in seinen Klauen sich befinden. Die Taufe, diese magnetisch-kirchliche Kraft, hat keine Wirkung auf die Fürsten; hätte je ein Fürst dies Symbol menschlicher Berührung mit göttlichen Kräften in sich betätigt! ja, nur dies einzige erste kirchliche Gelübde: Ich iiidersache dem Tetifel und gelobe mich dem heiligen Geist! Hätte er es als Stufe betreten himmlischer Erleuchtung über irdische Zweifel und Aberglauben, dann wahrlich hätte er die Taufe empfangen für alle Juden, und in ihm wären alle dein Christentuml nämlich der Menschheitseinpfindung in ihm, verschwistert; so wie die Fürsten mit Christus das Ehrenrecht auch teilen, Bruder zu sein der ins Elend Verstoßenen. Solange die Geschlechter mit immer erneuter Einfalt und Vertrauen in ihre Fürsten dem Schoß der Natur entsteigen, so lange sind es auch die geistigen Blutbande mit dem Volke, auf welche das Ideal der Menschheit in dem Fürsten sich gründet. So lange beruht auch alles auf ihm, was das Volk bedarf, und verbürgt ihn dafür, alle Zwangsgesetze zu lösen der Priester und Kirchenväter; alle gewaltsame Knoten der Politik zu zerhauen, um die in jedem einzelnen wiedergeborene Freiheit dem elenden übelgebildeten Staatskörper aufs neue wiederzugeben. Ein solcher nur ist begabt mit unsterblichem Einfluß auf die Menschheit, er wird wiederkehren nach kurzer Rast des Schlafes, den wir Tod nennen, denn der Geist der Wahrheit in ihm wird nicht gebrochen durch Tod, er überwindet ihn mit der Macht, seinen Willen zu verkörpern in dem Volkswilleii, der nun nicht mehr im Märtyrtum der Geschichte als qualvolles Rätsel sich ihm entgegenwirft. Das Unausgesprochene aussprechen, das Unermessene erreichen, Zukunft ahnend neue Keime erwecken aus der Verwesung: das ist eines Fürsten Vorbehalt. Denn was könnte doch die Völker bewegen, zu huldigen einem, der nicht Ursprung ist ihres eigenen Ideals? - Er muß endlich diesem Schöpfungsherd entsteigen und die Menschheit in sich emporrichten zum Göttlichen. So ist es mit den Fürsten: eine Idee, zwar selbständig in sich, aber noch nicht verwirklicht, erzeugt sie die ersten Typen des Werdens in dem läuternden Feuer der Geschichte, widerstrahlend in Gefühl und Geist der Nationen, in dem Stolz auf ihre Fürsteii. Das ist erster organischer Herrscherberuf. Was kümmerte uns Vergangenheit, wäre sie nicht Organ unserer Zukunft! Reflex des Werdens in uns, dem der Geist in Träumen die Lockungen des eigenen Ideals vorspiegelt! - Wenn nun die Fürsten, weil sie das Gute einmal träumten, dafür die Menschheit als undankbar zur Rechenschaft ziehen wollen und Rechtfertigung und Vorwürfe darum dem Geschick aufladeii, daß es nicht von ihnen erreicht worden; wenn sie für die höchsten Fürstenrechte, denen die Völker vertrauten, andre wollen verantwortlich machen und so ihrer Gelöbnisse sich entbinden? Wenn sie also ihre edlen Anrechte zinslich veräußern und dennoch einen Gehalt eingeborner fürstlicher Geltung in sich annehmen und sonst verdienstlos alles andern sich begeben: dann geht es abwärts, eine Stufe niedriger noch, als ihre stumme Herde links und rechts treiben oder stille stehen heißen! Vergeudung königlicher Rechte ist Verschütten des heiligen Chrisam, der die Fürstenhäupter salbt, ist Entmannen der Fürstenwürde, der das Volk nun nicht mehr traut und sich erhebt über die blutigen Stufen des Richterstuhls, von dem die balsamischen Öle nicht niederfließen auf verbitterte Herzen, ihre Wunden zu heilen.
Gewalt soll nicht Rache üben, denn weil sie vernichtend ist, so ist sie teuflisch! - Welcher ist tiefer verletzt, als der die Schuld trägt? Welcher bedarf mehr des Schutzes? Und der ihn beleidigen wollte, dem soll er seinen Mantel öffnen und nicht ihn preisgeben seinen Verfolgern! zum Wahrzeichen, daß die Würde des Menschen in dem Fürsten unantastbar sei, denn es ist ein gefährliches Spiel um sie im Fürsten, der Vorbild ihr sein soll und den Purpur schützend breiten über sein Volk; und die Rache soll austilgen aus Menschenschonung, und erhabener Heilbringer dem Volk, allem zuvorkommende Rettung soll sein zuerst im eigenen Busen. Kein Gnadeflehen umsonst, aber jedem Verdienst sich erneuerndes Dankgefühl! - Alles nur Liebe zur Pflicht gegen das Volk, jede Schuld auf sich nehmend, jedes Verbrechen als eigne Schuld anerkennend, weil er ihm nicht durch Weisheit zuvorkam. Und hebt den Schuldigen an sein alles Übel vergütendes Herz, ihn zu schützen gegen die Wiederkehr und gegen die Rache an ihm; - und hebt ihn von Stufe zu Stufe zu sich hinauf, denn er ist der Bruder von dem Sohne des Menschen, denn aus dem Irrtum selbst erblüht ihm die Wahrheit und vereinigt die Vernunft mit dem alten und neuen Testament! - Denn der Himmel unterzeichnet kein Urteil für sklavische Unterwerfung unter geistliche und politische Tyrannei, und die Vorsehung mischt sich nicht in die Geschichte, die uns schon lange müßte groß gemacht haben und unsern Geist befreien von dem, was man absichtlich ihm aufladet! Hätten wir Erleuchtung, die den freien Blick aufs Ganze richte, und philosophischen - nicht theologischen - Sinn für die Weltereignisse! Dann würden auch die Machthaber keiner Staatskrücken mehr bedürfen.«

                                                                                 Bettina

Texttyp

Kulturkritik