Dienstag 1ten
R. fühlt sich so unwohl, daß er zu der Einpackung nach der Kaltwasser-Methode seine Zuflucht nimmt. Es bekommt ihm auch gut, und bei Tisch ist er munter gesprächig. Wir haben dieselben freundlichen Gäste, mit welchen ich eine Kahnfahrt vornehme, während R. in der Stadt Besorgungen hat; herrlicher Mondschein abends; spät noch liest R. uns »Die gerechten Kammacher« von G. Keller vor, das Talent darin ist vielleicht noch größer als die Unschönheit des Gegenstandes, und wir müssen viel lachen. - Wenn die Gesellschaft sich trennt und wir allein bleiben, R. und ich, so geschieht es vielleicht noch mit größerer Inbrunst als gewöhnlich, daß wir uns umarmen und wiederfinden. R. sagt mir, wie schön er mich fände, ja daß er sich nichts Schöneres vorstellen könne, und ich Selige sage ihm nichts. Er freut sich, mich sein Haus halten und die Leute bewirten zu sehen, und seine Zufriedenheit ist mein ganzes Glück.
Mittwoch 2ten
Sehr schöner Morgen, mit den Kindern und den Gästen im Wald. - Brief von Clemens Brockhaus an mich, und Richter's - dem es nicht sonderlich geht - an R. - Dasselbe Mittagsmahl wie die vorigen Tage; nachmittags spielt R. aus Siegfried. Abends einiges aus Heinrich Kleist's hinterlassenen Werken (politischer Katechismus).[1]
Donnerstag 3ten
Morgenpromenade mit den Gästen und den Kindern, zur Einsiedelei auf dem Hügel gegenüber. Mittagsmahl wie gestern; fünf Uhr verlassen uns Herr von G. und Pr. Nietzsche. Letzterer sicher der begabteste unsrer jungen Freunde, doch in vielem recht unerfreulich durch eine nicht ganz natürliche Zurückhaltung seines Benehmens. Es ist gleichsam, als ob er sich gegen den überwältigenden Eindruck von Wagner's Persönlichkeit wehrte. Recht gemütlicher Abend mit Fritz Br.; R. ereifert sich gegen den Hutgruß und dessen Ursprung, und wir werden dadurch auf Schopenhauer's Regeln der Weltklugheit[2] geführt, die uns R. vorliest. - Brief von Marie Schleinitz aus Gmünd, sie ist nicht so durch Tausig's Tod erschüttert, als ich erwartet hatte. Ankunft der Klavierauszüge von Siegfried.
Freitag 4ten
Den Kindern Unterricht gegeben. Mittag mit Fritz und Herrn Praeger. R. überarbeitet meine Übersetzung seiner Aufsätze. Zur Stadt im Kahn, den Löwen besucht, Eis genossen, zu Fuß heim. - Brief von Freund Schure, der sich wundert, daß Karl Tausig ihm nicht den Patronatsschein zugeschickt; R. widersteht es, ihn, abtrünnigen Deutschen, als Patron zu haben. Abend verplaudert. Ein Herr aus Wien schreibt R., er möchte doch seinen Operntext von der Braut von Messina komponieren, kurz und bündig. (Fritz erzählt den Kindern »Käthchen von Heilbronn«).
Sonnabend 5ten
Fritz, unser trefflicher Neffe, der uns höchst angenehm gewesen, reist ab. - Ein Zufall, der mich auf den Estrich führt, läßt mich einen Brief von Frau Seroff finden, dieser war von der Magd, die das Bild aus dem Couvert genommen, fallen[ge]lassen [worden]. So sehe ich nach vierzehn Tagen, daß sie mir auch eine Kopie von R.'s Trauerbrief geschickt. Ich danke ihr sofort, schreibe auch an E. Schure und an Ottilie. - Gestern hatte mir R. einen Kummer bereitet; Pr. Nietzsche hat mich um das Idyll gebeten, [um] es durchzulesen; nachdem ich R. gefragt, lieh ich es ihm, bei seinem Fortgang bat ich ihn, es mir zurückzugeben, er vergaß dies; nun frug nach seinem Fortgang R. danach, dieser hatte in der Annahme, ich hätte etwas versäumt, das Werkchen, das unser zerstreuter Freund auf dem Klavier liegen gelassen, verdrossen zu sich genommen; mich schmerzt dies tief, da ich hier durch nichts andres gefehlt als durch die Annahme, Pr. N. habe dies Manuskript an seinen Platz - den er kennt auf meine Bitte zurückgelegt. Bald jedoch ist die kleine Verstimmung überstanden. - Wir bleiben ruhig zu Haus und nehmen wieder abends den Carlyle vor.
Sonntag 6ten
Am Morgen meldet sich der Maschinist Brandt aus Darmstadt, und am Nachmittag kommen Neumanns dazu, es wird ein wenig in Sachen Bayreuth konferiert. Beim Abendessen trinken wir auf die Schlacht bei Wörth. - R. machte uns förmlich schaudern durch die Darstellung eines Zweikampfes (Die Corsischen Brüder), die er in einem Londoner kleinen Theater gesehen.
Montag 7ten
Konferenz den ganzen Tag, wobei der gute Neumann sich als »Tapperfritz« zeigt, der treffliche Brandt aber als tüchtig, intelligent, ernst und erfindungsreich; er ist ganz von der Aufgabe beseelt. Neumanns ziehen ab, nachdem wir unser Haus noch besprochen haben, Brandt bleibt bis zum Abend.
Dienstag 8ten
An Marie Schleinitz geschrieben; R. an Karl Bechstein,[3] um denselben zu ersuchen, an Tausig's Stelle im Ausschuß zu treten. Den Kindern deutsche Geschichten erzählt. Fidi, durch die Fremdenbesuche abgeschreckt, will nicht mehr zu uns und macht mir Kummer. Wie ich ihn in seinen Wagen heben will, fühle ich einen heftigen Schmerz und bin lahm. Bin neugierig, was daraus entsteht.
Mittwoch 9ten
Etwas wohler, kann mit den Kindern arbeiten und übersetzen, Not mit Fidi. R. übersetzt auch, jammert aber, daß er seine Zeit so vertrödeln muß. Abends bei Gräfin Bassenheim, wo eine Gräfin Ugarte, frühere Bekannte R.'s, sich einfindet und mir sehr wohl gefällt. Doch die Ungewohnheit, vom Hause zu gehen, läßt mich diesen Abend empfinden.
Donnerstag 10ten
Alpdrücken nachts und wilde Träume, ich helfe V. Hugo umbringen! - Fidi wieder freundlich. Kindertisch mit Herrn Praeger, Vor- und Nachmittag übersetzt, abends liest R. aus Walther und Huldigunde vor. - Brief [von] R. Pohl und Frau Seroff, letztere, die wir kaum kennen, wünscht uns zu besuchen, erzählt dabei allerlei Geheimnisvolles, man habe ihr Kind ihr genommen, sie gleichsam aus Rußland getrieben u.s.w. - Soll ich ihr antworten? - Tiefer erhabener Eindruck einer indischen Legende (Mutter mit dem toten Kinde, Buddha, die Senfkörner, von dem Hause, wo niemand gestorben!).
Freitag 11ten
Kaiser und König! Letzterer will ersteren auf seiner Durchreise durch Bayern nicht sehen!! Wie wird es mit unsrem jungen Herrn werden? Und sodann mit uns; R. träumt, daß er durch Bismarck seine Nibelungen-Partituren dem Kaiser anbieten ließ und um 4000 Thaler Vorschuß bat, der Kinder wegen! - So bleibt die Sorge immer als Gespenst durch sein armes Schicksal schleichend. Die katholische Bewegung nimmt größere Dimensionen an.[4] - Nachmittags Besuch von den zwei Gräfinnen; R. ist empört, weil Gräfin Ugarte um eine Photographie bittet, er sagt: »Das ist die Art, wie sie den Umgang mit unsereins abmachen.« - Abends liest R. seinen Aufsatz über die Ouvertüre vor. - R. erzählt mir spät abends die Confidencen, die ihm unser armer Gastfreund über seine Häuslichkeit gemacht und die allerdings schauerlicher Art sind!
Samstag 12ten
R. spricht in dünner hoher Stimme, ich frage mit wem, Antwort: »Mit Fidi, er soll Respekt vor mir bekommen, mich für ein altes Weib halten!« - Der König besucht doch den Kaiser! Ich besuche Gräfin Ugarte, die mir sehr wohl gefällt. - R. immer bei seinen Artikeln, mit welchen ich nun fertig bin. Die weiche Luft bekommt ihm nicht gut, er sagt, es sei wie ein schlechtes Buch. - Wie wir abends über italienische Sänger sprechen, die recht eigentlich Rossini's Ruf gegründet, und ich mich wundre, daß es deren gar keine mehr gibt, sagt er: »Ja, sie treiben jetzt Politik und Krieg, Cavour,[5] Garibaldi, letzterer hätte doch entschieden den Oberpriester in der Norma singen müssen.« Hübscher Brief von Pr. Nietzsche. Ich schreibe an Claire.
Sonntag 13ten
R. sagte gestern abend: »Der Grund, weshalb die großen Meister nicht können nachgeahmt werden, ist, daß jeder einen eigentümlichen Weg einschlägt und diesen bis an die äußerste Grenze führt; wäre noch weiter auf dieser Bahn zu wandeln, so wäre der Meister selbst hingekommen.« - Schöner warmer Tag; ich kopiere für den König. Tiefer Schmerz über einen Brief von M. Meysenbug; sie erzählt, daß Hans so von Deutschenhaß erfüllt sei, daß er Deutsch verlernen wolle, und daß er dieses Frühjahr so nervös gewesen, daß seine Freunde ernstlich um ihn besorgt gewesen. - Dies die Wunde, die niemals sich schließen wird; vor einigen Tagen träumte ich, daß ich die Nachricht seines Todes, mit Bleistift auf einen Zettel geschrieben, den Kindern zu melden hatte. O Gott, o Gott! - der ganze Tag ist von diesem Eindruck bemeistert; ich kämpfe dagegen, so viel ich kann. Besonders hilft mir R. durch seine Liebe und durch sein Spielen (Götterdämmerung). Ich schreibe für den König ab; R. spediert an Wesendoncks, Willes, Mendes, seinen Siegfried.
Montag 14ten
Unser armer Gastfreund empfiehlt sich und geht in sein Elend zurück! - Ich bin noch sehr schwach und angegriffen, R. schaut meine Finger an und sagt: »Das sind ja gar keine Finger, das sind Empfindungs-Staubfäden, es könnten ebenso gut Flügel daran sein, wie beim Schmetterling.« Und: »Dein Vater ist doch ein guter Mann, das gescheitste, das er gemacht, das habe ich!« - Dieser Tag endigt übel; wie ich Jakob sagte, meinen Palmbaum [nach] außen zu tragen und gut [zu] pflegen, erwiderte er mit der Behauptung, die Kinder rissen die Blätter ab, ich widersprach, R. bestätigte es, darauf ich: Tun es die Kinder, so sollen sie auch dafür gezüchtigt werden. Dies brachte R. außer sich, und er vergaß sich weit. - Trauriger Abend. Ich fahre mit den Kindern auf dem See. (Richter ist zum K.meister in Pest ernannt).
Dienstag 15ten
Furchtbarer Sturm und trauriger Tag. Gewitterregen und Donner. Brief Richter's, daß er definitiv als Kapellmeister in Pest angestellt ist. Das ist gut. Was nicht gut ist, das ist die wehmütige Stimmung, die mich erfüllt; Glück und Glas!... Kopie für den König. - Nichts von außen, nichts vom Ausschuß namentlich, was uns sehr bedenklich macht.
Mittwoch 16ten
Die Kinder als Buben; es wird ihnen das Haar abgeschnitten. Trübes Wetter; R. verfertigt seine Aufsätze. Abends wieder Carlyle vorgenommen. - Es scheint in der Politik etwas sich vorzubereiten, Bismarck und Beust mit diplomatischem Anhang konferieren in Gastein.
Donnerstag 17ten
Fritz Br.* (* Brockhaus) schickt sein Buch über das Legitimitätsprinzip; Otto Wesendonck dankt für die Sendung. Brief von Herrn v. Gersdorff, Frl. Nietzsche und Bechstein. Besuch des Pianisten Hänlein,[6] welcher meldet, daß in Mannheim bereits 10 Patronatsscheine genommen sind. - Ich schicke Pr. Nietzsche den Siegfried und mache die Kopie für den König. R. ist mit seinen Aufsätzen fertig; er hat nun so viel Material, als für den ersten Band gebraucht; er hat seine Jugendarbeiten neu gemacht, und diese sonderbare Aufgabe machte ihm Spaß; er schriftstellert gern, er sagt, es ginge so leicht, »freilich hat der eigentliche Genius dabei nichts zu sagen. Daß die Italiener so wenig schriftstellerisch tätig gewesen sind, bezeugt eigentlich einen tiefen künstlerischen Instinkt«. Abends liest er mir die Aufsätze vor, wobei ich bei einem Vergleich ihm bemerke, daß der Mond sein Licht nicht von der Erde, sondern von der Sonne erhält, was er nicht glauben will; wir suchen im Lexikon nach, und lachend sehen wir, daß ich recht behalte!
Freitag 18ten
Unser Feldwebel Nolte, vom Kriege heimgekehrt, schreibt R., daß er seine Universitätsstudien aufgegeben und Musiker werden wolle. R. rät ihm entschieden ab, sagt ihm, Musiker müsse man sein, nicht werden; unsern Fidi wollten wir zum Wundarzt erziehen etc. - Wir unternehmen eine Partie nach Stanz, müssen sie aber wegen Gewitter aufgeben; Kinderspiel im Salon, abends Besuch von Gräfin Ugarte, die mir sagt, ich hätte das Äußere von Heldinnen von George Sand!! - R. denkt ohne Freude an seine Komposition, ja mit einer Art von Grauen, was mich tief schmerzt.
Sonnabend 19ten
Vor 14 Jahren wurde ich Hans getraut, es war ein trübes Wetter wie heute. Ernste Gedanken; Gott gebe mir Kraft und lasse mich besser werden, bis ich zur Ruhe komme! Mit den Kindern gearbeitet, dann mit R. eine Fahrt nach Emmenbrück gemacht. Schöne Sonnenuntergangs-Streifen, traulich wehmütige Stimmung. Auf den Feldwebel zurückkommend sagt R.: »Wenn einer ein Buch in die Hand nimmt, so liest er es, oder wenn er ein Bild gewahrt, sieht er es an, aber Musik spielt er, das ist er selbst, deshalb glaubt er gleich Musiker zu sein.«
Sonntag 20ten
Bechstein schickt das Portrait von Tausig; an die Veränderung anknüpfend, die mit unsrem Freund vorgegangen war, sagt R.: »So gibt es deren so viele, die in der Jugend den Eindruck der Genialität machen und die eigentlich die Pubertät des Geistes nie erreichen. Ich entsinne mich«, sagt R. noch, »daß ich damals in Dresden Röckel sagte, daß ich hoffte, bis zum 40. Jahre alle meine Werke geschaffen zu haben, bis dahin, nahm ich an, dauert der Geschlechtstrieb, mit welchem alle Produktivität zusammenhängt; da lachte mich Röckel aus und sagte, derlei könnte ich für Rossini annehmen, bei mir sei es aber etwas ganz anderes.« Dann fügt er melancholisch hinzu: »Nur kommt mit dem Alter die Trauer, das Kaleidoskop des Lebens fesselt einen nicht mehr so, man erwartet kein Wunder mehr; diese Phase muß überstanden werden, damit die Heiterkeit des Alters sich einstelle.« Besuch von Frau von Abaza aus Petersburg, einer kernigen guten deutschen Natur, welche R. viel Freundliches über mich sagt. Dazu ein Wiener Herr vom Wagner-Comite dort. Nachmittags besuche ich Gräfin Ugarte. Sie will für ihre Tochter einen Patronatsschein nehmen. - Abends spielt R. aus »Oberon«, [7]der uns sehr entzückt, »Treue und Glauben weht darin, und darauf kommt es an, ob einer gegen sich wahr ist oder sich etwas vorlügt«. - Wie ich schon zu Bett bin, kommt R. und sagt, er könne es nicht ertragen, mich so gramerfüllt zu sehen. Schönes, Tiefes, Gutes spricht er mir lange zu, er weint bitterlich und ich sanft. Ich wüßte nicht, wie er mir angehöre, wie er mich liebe, das sei das einzige, das ihn betrübe. Ich kann lange nicht einschlafen und bete zu Gott.
Montag 21ten
R. kommt zu mir und sagt, er brauche keine Religion, ich sei ihm die Offenbarung alles Guten und Schönen, sein Märchen sei ich, der Traum, in dem er aufgehe; lächelnd gestehen wir uns, daß es gut ist, wenn ein Schatten zwischen uns tritt, dann fühlen wir tiefer noch und inbrünstiger unser Glück. Marie Schleinitz meldet ihren Besuch an. Brief von Dr. Standhartner (geschäftlich). Gestern hatte ich Briefe von Claire, Käthchen, Hedwig. - Besuch von Marie Schleinitz mit Bon Loen; Besprechung, alles auf kleine Comites zu geben, der Vater und Marie Muchanoff nichts; auch Willes und Wesendoncks gänzlich teilnahmslos. Baron Loen wird für Tausig eintreten. - Ankunft einer Ananas von Herrn von Gersdorff. Abends Schleinitzens, Fürstin Hatzfeld,[8] Baron Loen. - Nachmittags überschüttet R. mich mit Liebe, was alle Sorgen verscheucht; Sorgen freilich sind da; der König soll sehr übel aussehen. Gott weiß, was aus uns wird.
Dienstag 22ten
Viele Briefe geschrieben; R. an Rat Düfflipp; er fährt gegen Mittag nach Luzern, Herrn v. Schl. zu besuch. Nachmittag Besuch von Marie Schl, ein wenig aus Siegfried vorgenommen. Abends in Carlyle gelesen. R. und ich, wir sind müde. Mich ergriff ein Gespräch mit Marie Schl, besonders, was sie vom Vater mir sagt; dieser behauptet nämlich, mir niemals im Leben Kummer verursacht zu haben!!
Mittwoch 23ten
Furchtbarer Sturm, der Blitz schlägt in der Hofkirche in Luzern ein. Arbeit mit den Kindern. R. schreibt in Sachen Bayreuths; ich gehe zur Stadt und will Besuche machen. Unsre Ministerin ist nach Brunnen, sie kommt aber später und bringt den Abend mit uns zu; dritter Akt von Siegfried wird vorgenommen, und wiederum viel vom Vater gesprochen. - Als ich heute im Kahn heimkam, erwartete mich R. am Ufer und empfing mich mit der »frohen Weise«[9] aus Tristan.
Donnerstag 24ten
Wenn andre Frauen kommen, sagt mir R. immer so liebe schöne Dinge, daß ich recht übermütig und stolz werden könnte, wenn mich nicht diese überschwengliche Güte zur tiefsten Demut wies. Ich schreibe der guten Frommann. Zu Mittag und bis um 7 abends Herr und Frau von Schleinitz; sehr angenehmer Besuch. R. und ich, wir wandern dann noch bei herrlichem Mondschein zum entgegengesetzten Ufer. - Schleinitzens erzählen, der König von Bayern habe so verlebt ausgesehen; der Kaiser habe seinen Verstand gerühmt, aber die Herrn der Umgebung hätten gefunden, er sehe aus wie ein Cretin!
Freitag 25ten
Unser Hochzeitstag! R. kommt früh am Morgen zu mir und gratuliert - sich! — Brief von Hofrat Düfflipp, daß er ernstlich daran dächte, um seine Entlassung zu bitten, er tue es dem König wieder einmal nicht recht. Marie Schl, und Caroline Bass schicken Blumen. R. sagt: »Ein hübsches Zusammentreffen, ich muß jetzt Hagen's Hochzeitsruf komponieren, es ist wunderhübsch!« - Ich schreibe an Alwine Frommann, gegen Mittag will ich R. aufsuchen, finde ihn unwohl, er hat sich in seiner Arbeit unterbrechen müssen! Wie ich aber zu Mittag hinunterkomme, empfängt er mich mit einer Melodie, die er für mich für diesen Tag gemacht und die die Kinder mir singen sollen bei feierlichen Gelegenheiten. Nachmittag Fahrt mit den Kindern nach Emmenbrück; Kaffee, Honig, Krapfen und der Titlis in schönster Pracht. Herrlicher Abend. - Nach dem Abendbrot Carlyle.
Sonnabend 26ten
R. hatte eine sehr böse Nacht; bis zum Morgengrauen ist er gewandert, hat einen Heuer lange jodeln hören, dann hat er sich gelegt und vom Vater geträumt, daß dieser ihn geringschätzig, zerstreut behandelte und R. sich sagte: »Warte, du kennst meine letzte Partitur noch nicht, dann wirst du mich schon anders beachten, oder wärst du schon so dumm geworden, dieses nicht mehr zu verstehen!« Ich hatte auch vom Vater geträumt, und wild und wüst. - R. ist immer sehr unwohl und kann nicht arbeiten. Ich schreibe dem Rat Düfflipp und arbeite mit den Kindern. Abends Besuch von Fürstin Hatzfeld und Frau von Schleinitz.
Sonntag 27 R.
schlief besser diese Nacht und hofft arbeiten zu können. Er sagt mir lachend: »Wie verschieden sind die Menschen, ich frug Friedrich nach dem Heuer, der die Nacht so gejodelt, er antwortete, 's ist ein Lump, mich hatte es gerührt, daß zu weit vom Haus er auf der Wiese sein Lager aufgeschlagen und beim jedesmaligen Aufwachen, um die Einsamkeit zu verscheuchen, er laut jodelte.« - Gestern abend eiferte R. wiederum sehr gegen den Geist der jetzigen Öffentlichkeit, der die Frauen entheiligt und entwürdigt. Die Frau, die sich für die Straße putzt, ein Unding, die konventionelle Galanterie der Männer gegen sie die schlechte Tünche der rohesten Gesinnung. Auch ist er für die Ehen, die die Eltern im wahren Interesse der Familie schließen; jetzt will eine jede ganz ihren Roman haben und bildet sich ein, daß dieses Seltenste, worüber Epen gedichtet worden sind, wie Liebe, so das Alltägliche sei, das jedem zukomme. - R. arbeitet etwas. Kindertisch. Nachmittags der Besuch der Fürstin Hatzfeld und von Herrn und Frau v. Schleinitz; sie nehmen Abschied, denn sie gehen nach Engelberg. Abends Carlyle. - In der Zeitung steht, daß Hans im Winter Konzertreisen unternehmen werde, nach der Schweiz, Österreich etc. Der nagende Gram verläßt mich nicht, auch will ich ihn nicht verscheuchen, sondern ihn tragen bis an mein Grab. - Rus ist krank und sehr elend.
Montag 28ten
Schöner Tag mit bereits herbstlicher Luft. Arbeit mit den Kindern; R. komponiert, wobei er mir sagt, daß er durchaus keinen großen Chor bei Hagen's Ruf versammeln wird, sondern einzelne Mannen, die wie aus den nahe gelegenen Gehöften erscheinen. - Brief von Pr. Nietzsche, daß Dr. Liebermeister in Basel sehr zu Eisen und Kalk für Fidi rät. R. macht einen großen Spaziergang, ich fahre ihm entgegen, nachdem ich mit Lusch Bach's Exerzitien für Anfänger vorgenommen habe. - Pr. Nohl sendet wieder ein Buch über Beethoven und rührt uns durch die Mitteilung, daß er in Luzern gewesen, Tribschen von außen betrachtet, durch den »verbotenen Eingang« aber daran gemahnt worden sei, wie ein jeder es vermeiden müsse zu stören. Abends Carlyle.
Dienstag 29ten
Richter schreibt aus Pest; er verstimmt aber R. dadurch, daß er gar nicht für ihn arbeitet und die Partitur des Rheingold noch nicht für Schott hergestellt hat. Um 11 Uhr Bon Loen zur Konferenz, er übernimmt Tausig's Stelle, und R. freut sich seiner und seines Enthusiasmus sehr. Wir sind froh, ihn gefunden zu haben, und denken, daß die Sache nun in bessere Geleise tritt. Wie wir uns zur Siesta hinlegen, meldet Jakob Herrn Bucher, und wirklich ist es unser alter Freund, den wir mit Freuden auf Tribschen aufnehmen. Dann findet sich auch Louis Brassin,[10] der tüchtige deutsche Musiker aus Brüssel, hier ein. Vielerlei gesprochen; Lothar Bucher entsetzt uns durch die Notiz, daß Herzog Ratibor, Herzog von Ujest, Graf Lehndorff, für 100 000 Th. ihren Namen Herrn Strousberg zur Verfügung gestellt haben, der diese Namen unter die rumänischen Papiere gestellt, was die kleinen Kapitalisten verleitet hat, ihr Geld hinzugeben. Die vornehmen Herrn sind, da sie nichts als ihre Namen hergegeben haben, ohne Schaden als den der Ehre weggekommen, die wenig bemittelten Leute aber haben alles verloren.
Mittwoch, 30ten
Immer schöne Tage. R. arbeitet, ich unterrichte. Um 2 Uhr Diner mit Herrn Brassin und Freund Bucher. Dann Spaziergang. R. müde und ärgerlich, daß Herr Brassin ihn beständig mit Theatergeschichten und Aufführungen unterhält. Brief von Mme Ollivier.[11]
Donnerstag 31ten
Unser Freund will den Pilatus besteigen, und zwar bei nicht günstiger Witterung. R. arbeitet, ist aber ermüdet. Die Gespräche des Herrn Brassin haben ihn sehr angegriffen. Kindertisch. Brief der Tante Isa an Loulou, sie wünscht sie zu sehen, was mir immer schwere Gedanken macht. In den Signalen steht ein Artikel von Hans über Karl Tausig; derselbe - ganz und gar wie ich Hans gekannt - macht uns keinen erfreulichen Eindruck. - Nachmittags besuche ich Gräfin Bassenheim; großes Gewitter; wie ich heimkomme, finde ich R. in sehr trüber Stimmung, er habe das Fach seines Lebens gezogen, daß ich gut dabei wegkomme, könne ich mir denken, er käme sich aber vor, als stünde er mit mir und Fidi auf dem Montblanc, in dieser Einöde und Einsamkeit empfinde er sich; und nicht von außen abgefallen sei ihm alles, nein, von innen zerbröckelt; wenn ich das Haus nur auf eine Stunde verließ, da sollte ich sehen, wie trostlos er würde, wie er die Welt verfluche. - Wir lesen in Carlyle. - Mit Jammer erfahre ich bei Gräfin B., daß sie eine Wagner-Woche machen und Rheingold und Walküre wieder aufführen!!! Wahrscheinlich wollen sie Einnahmen machen.