Freitag 1ten
R. ruft mir am Morgen zu: »Du weißt gar nichts; du weißt nicht, wie ich leide, wenn du nicht da bist; bei Bismarck hätte ich schon einen Faden gefunden, meine Sache anzubringen, wärest du da gewesen, denn mit dir alles, ohne dich nichts, so steht es.« Fidi macht uns viele Freude, R. sagt, »er wird der Rechte sein, ich bin so eine Art Siegmund, dem alles schwer wird, er wird das Goethe'sche Welterobernde haben«. - Wie er sich über die Stirn mit der Hand fährt, frage ich ihn, ob er etwas habe: »Die Gedanken juckten mich.« Er arbeitet. Wir erwarten Lothar Bucher zu Tische, er kommt aber nicht; bei Tisch sagt mir R.: »Ich habe wieder über den Mimen, den Dichter u.s.w. nachgedacht und selbst auf den Skizzen etwas darüber notiert. Der Improvisator wie der Mime muß ganz dem Augenblick angehören, an das, was nachkommt, gar nicht denken, ja, es gleichsam nicht kennen. Das Eigentümliche meiner Kunst z. B. ist, daß ich jede Einzelheit als Ganzes betrachte und mir nicht sage, da dies oder jenes nachfolgen wird, mußt du es so und so machen, etwa so und so modulieren, ich denke, das andre wird sich schon finden, anderswie wäre ich verloren; und doch weiß ich, daß ich unbewußt einem Plane gehorche. Das sogenannte Form-Genie hingegen überlegt sich: >Dies und jenes folgt, so muß ich so und so machen<, und macht es mit Leichtigkeit.« Besuch des Grafen Bassenheim, der uns wieder durch die Notiz erschreckt, der König habe sich einen Krönungswagen mit 6 Bildern aus der Bibel und 6 Allegorien auf Louis XIV. im Preise von 20 000 Gulden bestellt. R. sagt, wir würden gewiß eine plötzliche Wahnsinns- oder Todes-Nachricht von dorther erhalten; tiefe Sorge, wir sind ohne Dach und Fach. - R. geht zur Stadt und kommt mit einem Herrn Hey,[1] der ihm durchaus seine Gesangsmethode aufoktroyieren will, heim; er ist sehr aufgeregt über diese törichte Störung. Wie der Gute sich entfernt hat, erzählt mir R., daß er bei dem Papierhändler Eglin eine schauderhafte Scene erlebt; dieser sei von einer unbeschreiblichen Grobheit gewesen und hat R. noch auf der Straße nachgerufen: »Möchten Sie überall das Heimweh bekommen.« - Gott weiß, wer und was die Leute so aufhetzt; seit fünf Jahren kauft R. dort Papier und ist nur zu gut gegen sie; er war nicht zufrieden mit den Papiersorten, und darauf benehmen sie sich so. R. will nicht mehr nach Luzern gehen.
Sonnabend 2ten
Am Morgen sagt mir R.: »Ich habe in der Frühe schon komponiert.« Und was? »Der Hagedorn sticht nun nicht mehr.« Aufgeschrieben? »Ach nein, im Kopfe wird derlei fertig gemacht.« -Beim Frühstück erzählt mir R. noch einmal, wie es ihn gestern gefreut und gerührt habe, daß Fidi ihm eine weite Strecke entgegen gelaufen sei. Er sagt, er habe herrlich ausgesehen. So ist alles von außen Sorge und Ärger, alles Innere Glück und Freude. - R. arbeitet, gen Mittag kommt unser Freund vom Pilatus herunter; gemütliches Mittagessen. Nachmittags der Gesangslehrer Hey, welcher uns meldet, daß der Wagner-Verein in München sich sehr gut entwickele. Herrliche Mondnacht, R. gibt L.B.* (* Lothar Bucher) »Kunst und Politik« für Bismarck mit. - Nachts werden wir durch Rus' Bellen geweckt, »ein verrücktes Weib«, wie Jakob sagt, schlich um Tribschen herum; R. meint, sie hätte vor lauter Verrücktheit stehlen wollen.
Sonntag 3ten
Unser Freund fort; Brief aus Wien, daß Betz in den Meistersingern dort einen wahren Sturmesbeifall erregt hat; es ist R. diese Notiz sehr lieb, jetzt werden endlich die MSinger in Wien wieder gegeben. Brief M. Schleinitz', welchen ich sofort dahin beantworte, daß es uns nicht möglich sein wird, sie in Engelberg zu besuchen. - Es stellt sich heraus (durch den Tierarzt), daß Rus vergiftet worden ist und daß die gestrige Frau davon wußte und, auf dessen Tod spekulierend, einen Diebstahls-Versuch anstellte. Ich hatte Schritte gehört und beim Abend-Spaziergang bemerkt, daß einer sich im Busch versteckte, worüber R. meine Angst auslachte; Rus aber, der zuerst geknurrt, lief augenblicklich zur offnen Salontüre und legte sich da der Quere, als treuer Wächter. - Schwüler Nachmittag, Besuch des Bon Uechtritz aus Meiningen.[2] Abends Carlyle.
Montag 4ten
Ein Bild aus dem Spielsaal in Wiesbaden entsetzt R.; Frauen und Männer sind entsetzlich: »Da soll man an das Kunstwerk der Zukunft denken!« - Gegen Mittag ruft mich R. und spielt mir seinen »Einfall«; Brünnhilde's Empfang durch die Mannen, ihr Erscheinen wird durch das Motiv charakterisiert, welches wir gehört haben, als ihr vor Siegfried bangt, »als das andre über sie kommt«, wie R. sagt. - Große Hitze, ich fahre zur Stadt, um für Loulou's Geburtstag zu sorgen. R. bringt mir einen Brief der Mutter, den ersten seit mehreren Monaten; sie klagt über große Gehirnschwäche, ist aber entzückt von den Zuständen in Frankreich, die Republik sei gesichert!! - Abends Carlyle.
Dienstag 5ten
R. arbeitet »mit der Tinte«; nach Tisch erwidere ich der Mutter; Brief von Marie Muchanoff mit allerlei väterlichen Einwendungen; nicht Bayreuth, ein nationales Theater u.s.w.; R. lacht und sagt: Ja, ja, die Fondation Goethe; dann wird er heftiger und sagt: Das ist der Hochmut; nur nicht den Gedanken eines andren so akzeptieren, wie er gegeben ist, denn man ist zu unruhig, um ihn nur fassen zu können! — Viel unerquickliche Empfindung, die jedoch für mich ganz weggeschwemmt wird durch einen namenlosen Schrecken, den ich empfunden; ich höre deutlich das Klappern eines Vogels auf der Terrasse, R. hört ihn nicht, hört auch nicht das Zirpen der Grille, mit diesem Eindruck beginnt für mich eine Sorge, die keine Freude mir verscheuchen kann; mir ist jedes zarte Hören jetzt verflucht. Sonderbarer Weise aber hört R. ganz deutlich den Brunnen tröpfeln und den sehr fernen Schlag der Wellen. Der barmherzige Gott wird helfen! Bei Tisch sagte R.: »Du wirst sehen, der sterbende Engländer[3] findet sich noch, ich habe in meinem Leben Anhaltspunkte für solche Hoffnung«; ich: Außer dem König von Bayern weiß ich keinen. »Und du.« »Ach! Ich gehöre nicht dahin.« »Da hast du recht; ich stelle mir nur manchmal meinen Ekel vor jeder möglichen Existenz [vor], wenn du nicht geboren worden wärst.« - Abends fällt es mir schwer, R. meine überschwengliche Seelenstimmung zu verbergen.
Mittwoch 6ten
Ich schreibe an Marie M. - R., der meinen Brief liest, sagt, »er paßt an seine Adresse wie mein Tristan für den Kaiser von Brasilien«.[4] R. arbeitet. Große Schwüle, wir beschließen eine Fahrt. Am Morgen sagte mir R., er beabsichtige einen kleinen Aufsatz über Weber, anknüpfend an ein sehr naseweises Wort von diesem über Beethoven's Unklarheit der Form, vor dessen Nachahmung er, Weber, sich wohl hüte. R. will zeigen, daß gerade in diesem Unverständnis Beethoven's die ganze Schwäche Weber's lag, die ihn stets in den Banden einer konventionellen Form, Schablone, hielt. - Wie ich Wagner sage, daß der letzte Ensemble-Satz von Rossini's »Teil« mich angenehm berührt, sagt R.: »Ja, es ist von einer unglaublichen Armut, aber erstens wirkt es dynamisch, und dann tut die Einfachheit dieser Akkordenfolge, inmitten des Opernjuxes, wohl; sie wirkt wie die Natur.« Ich meine, daß in der Oper die Leere durch Sonnenaufgang und Schweizerkostüme [verdeckt wird], während in der Symphonie, in welche mein Vater diese Effekte hat übertragen, die Leere sehr empfindlich ist. - R. sagt: »Beethoven wirkt am meisten durch Ähnliches, durch Kontinuität, nur ist es bei ihm freilich ganz andres.« - Wir fahren aus gegen Abend, und R. bemerkt: »Diese Konturen niederer waldiger Hügel haben mich früher immer sehnsüchtig, wehmütig gestimmt; ich wollte über sie hinaus, dorthin, nach der andren Region.« Ich: »Ja, wo du nicht bist, da ist diese Stimmung.« »Jetzt aber«, sagt R., »will ich zu Haus bleiben, ist mir das Fortgehen grenzenlos verhaßt; ich freue mich der Kinderchen um unser Haus, des vielen Lebens, das um mir ist, nur möchte ich 15 Jahre jünger sein.« - Wie er zum Ausgehen sich aufmachte, blickte er auf das Bild seines Onkels und rief aus: »Wie glücklich ist nun der Onkel, wie wird er fortleben, gewiß wie er es sich nie gedacht hat, und ohne mich, oder vielmehr ohne dich wäre er vollständig verschollen, keiner aus meiner Familie hätte an ihn gedacht.« Unterwegs erzählt er mir, wie er öfters im Alter von 10 bis zwölf Jahren zu einer exaltierten Dame, Frau Schneider, gekommen wäre, da waren wegen Mangel an Raum die Bücher in einer Kammer, »und in dieser Kammer bei diesen Büchern hättest du mich sehen sollen!« - Wir sprechen von Siegfried und Brünnhilde's Liebe, die keine erlösende Welttat vollbringt, keinen Fidi hervorbringt; die Götterdämmerung das Tragischste, dafür aber sieht man vorher das höchste Glück durch die Verbindung zweier vollendeter Wesen. Siegfried weiß nicht, was er verschuldet; als Mann, einzig der Tat zugewendet, erkennt er nichts, er muß fallen, daß Brünnhilde zur höchsten Erkenntnis gelangt. - Wir besprachen dann, daß die deutschen Opern-Komponisten nichts von der Glut der Liebe wissen, die Liebe ist bei ihnen eine gewisse sentimentale Konvention, deren höchster Ausdruck Ottavio in »Don Juan«. Die Franzosen haben mehr Passion. Aber sie ist auch selten dort. - Brief von Karl v. Gersdorff und M. v. Schl. Abends kalter Punsch, Carlyle und herrlicher Mondschein gerade durch unsere Fenstertüre.
Donnerstag 7ten
Der kalte Punsch ist R. nicht bekommen, er ist unwohl, arbeitet aber doch. Kindertisch mit Fidi, der als Mann schon seine Superiorität über die Schwestern geltend macht. Ausfahrt nach Tisch; mit den Kindern. E. Ollivier hat seine Verteidigung geschickt, er beweist, daß Frankreich, nicht die Regierung, den Krieg gewollt hat. Abends Carlyle und Eiskaffee. - Wie ich zu R. trat während seiner Arbeit, sagte er mir, gerade beschäftigte ich mich mit dir und deiner Religion; deine weibliche Würde ist gekränkt worden, da flüchtetest du zur Religion! - Mich ängstigt, daß R. nachts sein Fenster offen läßt, ich bitte ihn es zu schließen, wage aber nicht zu sagen, daß es des Gehörs wegen ist. Er schließt es nicht.
Freitag 8ten
Brief Richter's, der, wie es scheint, seine Proben dort hält, die Arbeiten für R. aber nicht macht, was R. sehr verdrießt. Er arbeitet, trotz der Schwüle, selbst nachmittags nimmt er seine Komposition vor. Ich schreibe an Therese Ollivier unumwunden meine Ansicht über die mir von E.O. zugesendete Broschüre: »Proces historique«. Auch dem kleinen Daniel[5] schreibe ich, mir erscheint es wie eine Schuld gegen Blandine, wenn ich nicht suche mich diesem Kinde* (* Cosima schreibt: »dieses Kindes«) zu nähern und Einfluß über ihn zu gewinnen. Spazierfahrt mit den Kindern. Fidi's Eisensirup bekommt ihm bis jetzt nicht gut, er will nichts essen. Abends Carlyle, der uns viel Vergnügen macht. Wie R. mir gute Nacht sagt, beschließt er den Tag mit dem Scherz: »Es muß doch für eine Frau recht angenehm sein, einen Mann zu haben, der sie so lieb hat.« - Eine Fledermaus erschreckt mich.
Sonnabend 9ten
Schlimmes trübes Wetter plötzlich; R. bekommt einen Mahnbrief von einem Buchdrucker aus München; der saubere Dr. Lang, der von R. längst bezahlt wurde, hat diesem noch nicht die Druckkosten von >E. Devrient und sein Stil< bezahlt; er forderte von R. 60 Gulden, und nun kommt es heraus, daß die Drucker 40 bloß fordern! Wer Pech angreift u.s.w. - Die Fledermaus bewährt sich, R. ist sehr leidend und trüb gestimmt, er sagt, er habe keine Freude an seiner Arbeit, wenn er nur etwas anders könnte, womit er der Welt entspreche; was er tue, sei aber das Unnützeste; kein Mensch verlange es. Der Brief Marie M.'s habe ihn ungeheuer deprimiert; von der einen Seite in die mächtigste Idealität sich vertiefen, und von der andern nichts als Platitüden erfahren. Ein anderes Geschenk der Fledermaus ist ein impertinenter Brief des Verlegers Meser-Müller aus Dresden, welchem R. geschrieben hatte. Abends Carlyle.
Sonntag 10ten
Immer die Fledermaus; Loulou ist plötzlich krank. Heftiges Fieber und Kopfweh; ich rufe den Dr., er befürchtet eine Halsentzündung. Ich verbringe den Tag bei ihr. Wie ich dann zu R. gehe, finde ich ihn schmerzlich leidend am Fuß; ich zittre vor der Gicht; seit zwei Tagen leidet er. - Er ist wehmütig gestimmt, überlegt sich alle Besuche, die wir erwarten, befürchtet eine große Störung in seiner Arbeit und fragt sich, ob er nicht eine Pause eintreten lassen müsse. Wie wir also sprechen, wird Prinz Georg von Preußen gemeldet, dessen Besuch R. wenig erfreut, da die Unterhaltung gar platt und nichtig ausfällt. - Carlyle abends entschädigt uns.
Montag 11ten
(Brief von Pr. Nietzsche). Loulou hat eine bessere Nacht gehabt, die Gefahr ist beseitigt; R. leidet immer an seinem Fuß. - Wie ich noch zu Bett liege und R. kommt, um mir guten Morgen zu wünschen, nimmt R. meine Hände und dehnt sie aus, als ob ich am Kreuze wäre, dabei sagt er: »Ich denke, daß diese abscheuliche Todesart doch der Verbreitung des Christentums gedient hat, einen Gehängten hätte man nicht als Symbol akzeptieren können, hier sah man den Menschen im Leiden, an einem Strick baumelnd wäre es unmöglich gewesen.« Es war eine Frau gestern hier, schön gekleidet und von bescheidenem angenehmen Äußern, sie erklärte, ihr Lebenswunsch sei erfüllt, sie habe R. Wagner's Wohnhaus gesehen. - Nachmittags fahren wir aus, zur Stadt, um für die Kinder Einkäufe zu machen. Wie wir heimfahren, versinkt R. in Melancholie; »wie gut hatte es ein Mensch wie Tizian im Venedig seiner Zeit, welchen Anteil konnte [er] an dem Gemeinwesen nehmen, aber das Gemeinwesen für uns, wie traurig! In Köln Herr Hiller, in Dresden Herr Rietz, in München früher Herr Lachner, das ist Konformität, das ist die Harmonie, die unsereiner nur sporadisch stören kann«. Am Morgen hatten wir nämlich von der illustrirten Zeitung ein Bild vom Bonner Beethoven-Fest unter Hiller, das wahrhaft erschreckend war. Das Ehepaar Joachim besprechend, sagt R.: »Man sollte denken, hier ist ein tüchtiges künstlerisches Paar, hier wird nur gute Musik gepflegt, und doch, was kommt dabei heraus?« Der Loulou viel aus den griechischen Sagen vorgelesen. Brief von Fritz Brockhaus.
Dienstag 12ten
R. hatte wieder eine üble Nacht; sein Fuß ist besser, aber sein Unterleibsleiden nimmt zu! Besuch von Gräfin B. - Prinz Georg wünscht mit uns heute abend bei ihr zusammenzukommen. R. fühlt sich zu unwohl und verstimmt, ersucht mich, allein hin zu gehen, was mir sehr schwerfällt. - Lulu ist etwas besser, doch noch immer zu Bett; Fidi ist auch unwohl. Brief Elisabeth Krockow's aus Gmunden. - Der Abend bei Gräfin [Bassenheim] geht erträglich vorüber; sehr kränkend muß es für R. sein, daß alle seine Verehrer, unter denen sich auch Prinz Georg befindet, förmlich vermeiden, von unsrer Unternehmung zu sprechen! - R. liebt es nicht, wenn ich das Haus verlasse, und war ein wenig verstimmt, wenn auch scherzhaft, als ich heim kam.
Mittwoch 13ten
Loulou noch zu Bett, aber wohler; ich bleibe bei ihr und schreibe Briefe und lese ihr aus den griechischen Sagen vor. Nachmittags einige Besorgungen zu ihrem Geburtstag gemacht. R. ist unwohl und wehmütig. Brief von L. Bucher. - Fidi Albrecht Dürer macht uns viel Freude, nur ist R. traurig, daß er ihn so wenig genießt, er ist sorgenvoll, »man sagt mir, wenn [man] Tribschen sieht, Sie sind glücklich; kann ich aber hier bleiben, und meine neue Niederlassung, mit welchen Krämpfen hängt sie zusammen; ich möchte wünschen, daß ein Arzt mir verböte, je wieder eine Note zu schreiben, und ich irgendwo mit dir meine Rente verzehren könnte. Aber wie vom König erlangen, daß er [auf] diese Sachen verzichtet. Und der König, der so viel, so Unvergleichliches für mich tut, der muß mir Rheingold und Walküre aufführen ohne mich! Man ist in beständigem Affekt, in Aufregung; unser Verhältnis früher, wie hat uns das gegrämt, das hat sich in schönster Weise geglättet, nun aber die Sorge um das Dasein!« So klagt er...
Donnerstag 14ten
Um 4 Uhr nachts kommt R., sich nach meinem Befinden zu erkundigen, denn ich war gestern abend leidend und bin es noch. Dann hat er aber den Schlaf nicht mehr gefunden und ist hinunter gewandert, um Herrn Brandt einen Brief zu schreiben, bittend um den ersten Kostenanschlag zur Grundlegung des Theaters; er würde dann gegen Mitte Oktober, wenn Bon Loen einen günstigen Bericht gibt, den Grundstein legen und eine Rede halten, »dann«, sagt R., »kann die Sache meinetwegen noch Jahre hängen; meine Rede, die dann als Aufruf veröffentlicht werden wird, soll dann schon einen Ausschlag geben«. Mich erfüllt es mit Gram, R. so sorgenvoll zu sehen und so aufgeregt, daß er unmöglich dabei heiter schaffen und gesund sein kann. Er sagte gestern: »Ich bin so im Inneren aufgewühlt, daß so etwas wie Tausig's Tod durch ein Ohr hinein, durch das andere heraus mir geht, und das ist nicht gut.« - Ich will nicht um eine Tageslänge in die Zukunft blicken, so schwindelt mir bei allem. - R. erzählte mir, daß er mich nachts zu sich hätte kommen sehen und mit ganz heller Stimme ihm sagen: »Tichtel«, da er aber auch im Traum sich entsann, daß ich heiser jetzt bin, glaubte er, es sei ein Gespenst, und schrie auf, sich erweckend. Dann träumte er auch, er habe gestohlen und säße im Gefängnis, wir lachten, und ich entsann mich, daß, wie wir von den unmöglichen Dingen redeten, er sagte: »Morden, selbst im Zorn, wäre mir allerdings unmöglich, aber Stehlen, einen reichen Banquier, wenn ich sicher wäre, daß es nicht heraus käme, ich glaube ich tat es, und doch nein, denn ich müßte beständig lügen, woher ich das Geld hätte, das könnte ich nicht.« - Kindertisch. Ich bin leidend und kann nicht ausgehen, R. geht zur Stadt. Vorher spielt er noch aus dem zweiten Akt, der Empfang der Gibichungen, »eine gute Familie«, sagt R., »die mit Liebe und Ehrfurcht von den Mannen begrüßt wird, nicht tobender, gesitteter Empfang«. »Ich kann es aber nicht spielen noch singen; wenn ich mit diesem kleinen Opus fertig bin, dann gedenke ich wie Falstaff mich mit zwei Hemden zu begnügen.« - Er ist in Sorge, daß sein Verleger Fritzsch nichts von sich hören läßt. Ich habe eine andere Sorge, nämlich daß Bon Loen durch seinen Herrn, den Großh. von Weimar, abgehalten wird, an unserer Unternehmung teilzunehmen; der Großh. hat nämlich Marie M. rund abgeschlagen, Patron zu werden! Ich sage aber R. nichts hiervon. — Wie wir gestern heimfuhren, sang R. das Lied von Beethoven: »Herz mein Herz was soll das heißen«, und sagte: »Alles liegt hier in der ersten rhythmischen Bewegung; woran das liegt, daß ein Thema nicht trivial ist, in Treu und Glauben des Komponisten, gewiß nicht im Gesuchten; das Lied kann nie einfach genug sein.« »In diesem Lied ist Jugend«, sagte ich; »ja«, sagt R., »und es ist mehr Goethe als Beethoven«. - Lothar Bucher schickt R., der danach gefragt, den Ursprung des Wortes Talent (wiegen, gewogen). - R. ist nicht wohl und trübgemut, auch sind seine Einnahmen gering, und er sagte mir, er wisse nicht, wovon er reisen wolle, wenn wir reisen müßten nächsten Monat! —
Freitag, 15ten
Ich schreibe dem Banquier Joachim in Berlin wegen Anlegung des Geldes für die Kinder. R. arbeitet und sagt mir, »ich komme jetzt in die musikalische Stimmung, darum bin ich so aufgeregt«. Die Kinder wohler, nur Eva ist schläfrig. Nachmittags Brief von Frau Wesendonck, sie meldet ihre Reise nach München zu Rheingold oder Walküre, erwähnt aber unsre Bayreuther Unternehmung nicht mit einem Worte. R. ist darüber äußerst empört, ersucht mich, gar nicht zu antworten, und klagt, sein ganzes Leben über mit elenden Wesen umgegangen zu sein, »denn«, sagt er, »sie hat alles gewußt; unser ganzer Umgang hat sich um diese Aufführung der Nibelungen gedreht, und nun alles zu ignorieren. Das Schlimme ist es, daß man die Erlebnisse nicht wegwischen kann; man kann aus dem Herzen sich es entfernen, aber im Leben bleiben sie«. Die bloße Erwähnung der Aufführung in München fährt ihm wie ein Dolchstich durch das Herz, »und nun muß ich weiter arbeiten, wie kann ich es nur?« - Sein Kummer macht mich trostlos. Er ahnt, daß alle seine Freunde wieder hinlaufen werden, und keiner an ihn denke! - »Friedrich der Große« zerstreut uns ein wenig.
Sonnabend 16ten
Hermine muß nach Hause reisen, so habe ich denn das Quintett mir gänzlich überlassen; Loldi, die einzige, die Herminen's Abgang empfindet, wird krank; große Not. R. arbeitet, kommt auf den üblen gestrigen Eindruck zurück, »ja Könige und Kaufleute, heißt es in der Bibel, sie hat recht; aber ich erwarte ein Wunder, du wirst sehen, es kommt, wie und wo weiß ich nicht, aber es kommt«. Ich sage ihm, daß ich auch daran glaube; mir ist es das Wunder, daß er arbeitet! Er sagt mir, Frau W. ganz zu ignorieren; es wird mir aber unmöglich, jemanden, der an ihm einstens teilgenommen, zu kränken, und ich sage ihr mit ein paar Worten, was uns diese Münchner Aufführungen sind!... Bei Tisch, ich weiß nicht bei welcher Gelegenheit, sagte mir R., daß in seiner Jugendzeit die furchtbarste Vorstellung für ihn die gewesen sei, von jemandem für immer Abschied zu nehmen, jetzt auch wisse er, Fritz und Kos würde er nicht haben töten lassen können, wenn er Abschied genommen hätte; ich verstehe das; ich habe einst Abschied genommen, und mit dieser Stunde, die mir auch das graue Haar brachte, hat eigentlich für mich die wahre Erkenntnis des Lebens geschlagen; bis dahin war alles, was ich in den
Dichtern gelesen von des Daseins Schuld und Furchtbarkeit, [mir] nur ahnungsvoll aufgegangen; indem ich Hans zum Abschied die Hand reichte, habe ich alles in mir empfunden, und der Täuschungsschleier ward auf ewig zerrissen. Von da ab wurden mir Leben und Tod begreiflich, von da ab habe ich auch nichts mehr gewünscht! - Ich lege Loldi zu Bett und fahre mit den andern Kindern, Fidi ist auch nicht recht wohl. Der Tag ist ziemlich ermüdend, allein ich liebe diese Not, und es tut mir wohl, daß die Kinderchen einzig gern mit mir sind!
Sonntag 17ten
Loldi hat eine schreckliche Nacht gehabt, ich habe sie bei ihr durchwacht; am Morgen aber ist sie etwas wohler; der Arzt aber befürchtet Diphtheritis. Marie Schleinitz schreibt, daß Bülow die Wagneriana in Berlin dirigieren soll, was ich kaum glauben kann. Richter's National-Theater in Pest ist abgebrannt. - Wenn Fidi gefragt wird, was bist du? »Deutser«, antwortet er, und gleich singt er »Heil Kaise«. Ich verlebe diesen Tag in Sorge an Loldi's Bett, verlasse sie nur auf eine Stunde, um die vier andren Kinder spazieren zu fahren. R. geht dann auch, er hat sich entschlossen, den Grundstein in Bayreuth im Oktober zu legen, er denkt ernsthaft und entschlossen daran, und im selben Augenblick erscheint ein Meteor, wie er noch keinen gesehen, ganz horizontal den Himmel durchstreifend; ich habe es nicht gesehen, bedaure es zuerst ein wenig und dann kaum; wenn nur er die günstigen Zeichen sieht! ...
Montag 18ten
Loldi wohler, die Gefahr der Diphtheritis vorbei; ich nun gänzlich Gouvernante und Bonne! Hier baden, hier lehren, hier trösten u.s.w. R. arbeitet heute nicht, weil er in Unruhe über die angekündigte Ankunft unsres Neffen geraten ist. Dieser kommt jedoch nicht. Abends aber die gute freundliche Marie Schleinitz, die uns immer durchaus angenehm ist. R. spricht von seiner beabsichtigten Grundsteinlegung.
Dienstag 19ten
Wie ich den »zwei Großen« ihren Unterricht gebe, kommt ein Wagen an, unser Neffe Clemens ist da, und uns durchaus erfreulich. Freundliches Mittagsmahl; ich nun nach allen Seiten gerissen. Nachmittag zu Marie Schl gefahren; diese ist im höchsten Grade über die Absicht R.'s, den Grundstein nächsten Monat zu legen, erschrocken, sagt, daß die meisten Leute nur dann ihr Geld hergeben wollen, wenn 100 000 Th. gezeichnet sind, u.s.w. Ich kehre mit Wehmut heim! - Familienplauderei, die Kinder alle dabei; plötzlich Besuch des Prinzen Georg. Nicht gar gemütliche Stimmung R.'s! - Dann Marie Schl und ihr Vetter Herr von Loen, freundlicher Abend, dem R. den Stempel des Erhabenen dadurch gibt, daß er das Vorspiel des 3ten Aktes von Tristan uns spielt, nachdem er erzählt, welche Todesarten ihn früher gelockt hätten, unter anderem das Einschlafen im Schneefeld, »jetzt aber«, schließt er, »muß ich sehr lange leben«.
Mittwoch 20ten
Ich muß R. am Morgen die Bedenken Frau v. Schl gegen die Grund[stein]legung mitteilen; R. sehr außer sich; »von diesen Kreisen erwarte ich mir nichts mehr; an andere will ich mich wenden, und denen muß ich zeigen, daß ich Ernst mache«. Mir ist es vor allem schrecklich, ihm irgend ein entmutigendes Wort zu sagen; zwischen ihm und der Welt ist kein Verständnis möglich, es ist nur Kampf, wo er bezwingen oder unterliegen muß. Bei Tisch ist er leidend und verstimmt. Nachmittags viele Besuche, Familie Schleinitz zu dreien, Gräfin B. mit einem Lübecker, Herrn Grammann, der sehr tätig in Sachen Bayreuths sein will und der den Empfangstransparent in Leipzig verfertigt hat. Wie alle sich entfernt haben, kehre ich zu den Kindern zurück; indessen empfängt R. einen Brief von einem Herrn Hugo von Senger[6] aus Genf, der mehrere Patronatsscheine nehmen will für sich und russische Familien. So ist der Tag eigentlich gut bayreuthisch.
Donnerstag 21ten
Immer Kinderwirtschaft; R. arbeitet. Freundliches Mahl mit unserem Neffen. Ich schreibe auch an Tausig's Vater, um das Manuskript von Tristan und Isolde wieder zu erhalten. Nachmittags Besuch des Herrn Grammann, der R. immer sehr wohl gefällt. Schlechtes Wetter, ich spiele den ganzen Nachmittag mit den Kindern. R. spricht viel über Religion und Musik. Abends, wie er heimkehrt, begrüßt er Fidi besonders innig, spricht von seiner Arbeit, welche Rolle die Musik dabei spielt, und sagt: »Für dich, mein Fidi, macht er alle die schönen Sachen, dein armer Papa, dem deine Mutter das Leben erhalten hat.«
Freitag 22ten
Gräfin Krockow bittet um 10 Patronatsscheine, ich weise sie an Bon Loen, der uns aber auch merkwürdig dünkt, da er keinem schreibt, auf R.'s Briefe nicht antwortet u.s.w. Sollten wir wiederum an Weimar scheitern? R. sehr aufgebracht darüber; ich suche ihn zu beruhigen, es gelingt, und er sagt, daß, wenn er nicht unterbrochen wird, er bis zu unsrer Reise nach Bayreuth hofft fertig zu sein. Wie er Fidi betrachtet, sagt er: »Ich habe eine Aufgabe für Fidi, ich will so lange warten, bis er die Vogelstimmen singen kann; eine Vogelstimme: Herr Fidi Wagner.« - Es freut R. immer am Morgen das Stimmchen zu hören. - Nachmittags kommt ein Brief des Bon Loen, der sehr günstig lautet und die Sache als im schönen Werden bezeichnet. Bei Tisch Gespräche über die griechische, für uns dahingeschwundene Welt. Nachmittags mit Clemens ausgefahren. Abends liest uns Clemens aus Jeremias Gotthelf[7] vor, ohne uns sehr damit zu erfreuen, dann aber die Einleitung seiner Arbeit über Prudentius, ein Gedicht dieses Dichters, und endlich ein persisches Gedicht über einen toten Hund, von Goethe übersetzt.
Sonnabend 23ten*
(* An die Seite des Blattes geschrieben: »Ankunft Fritzen's, R. sehr an Kopfschmerzen leidend.«) - Ich hatte eine üble Nacht, Fidi war unruhig. Der Verleger R.'s legt 500 Exemplare noch der Ausgabe zu; was R. freut. Das Album-Blatt für Fürstin M. ist jetzt erschienen; R. sagt, er habe immer geglaubt, es sei von jemanden anders, habe gefragt, ob nicht von Schubert etwa, weil es ihm so bekannt vorgekommen sei, aber keiner habe etwas davon gewußt, und so habe er es als Original angesehen. Ich sage, ich möchte gern die Sonate kennen, die Frau Wesendonck hätte,[8] »daran war nicht viel«, sagt er, »denn das habe ich für sie geschrieben, und immer, wenn ich mich hinsetze, um etwas zu machen, ist [es] kläglich ausgefallen, so auch für Gräfin Pourtales das Blatt; das der Fürstin M. hatte ich in der Mappe«.
Sonntag 24
Schwüle Föhnluft, Spaziergang mit den Neffen und den Kindern. Zu Tisch meldet R. die Nachricht der Alten Katholiken-Versammlung in München. Wichtiges Ereignis, das Programm sagt uns zu. - R. arbeitet und ist sehr von seiner Arbeit eingenommen. Besuch von den Nichten des Ministers von Schleinitz; sie wollen für Bayreuth wirken. Abends liest uns R. »Spiegel das Kätzchen« von G. Keller vor; es mißfällt uns allen, und R. sagt: »Das sind alles Stümper.« Und von Jeremias Gotthelf sagt er: »Diese Arroganz, daß diese Leute für das Volk schreiben wollen, während sie sich vom Volk etwas erzählen lassen sollten.« - Wir hören Kanonenschüsse aus der Ferne, wissen nicht, was es zu bedeuten hat.
Montag 25ten
Die Kanonenschüsse bedeuteten den Untergang eines Dampfschiffes beinahe dicht vor unsrem Hause; zwei Schiffe sind aneinander gekommen, und das kleinste ist in Grund gebohrt worden. Bezeichnend ist es, daß nur die Passagiere sollen ertrunken sein und daß Kapitän und Mannschaft sich gerettet hätten. Besuch des jungen Grafen B., der sich sehr vorteilhaft entwickelt hat, jedoch in Bezug auf München und die Katholikenversammlung sehr schwarzsichtig ist. Die Kinder machen eine Partie mit ihren Onkeln, wir, R. und ich, fahren ihnen entgegen, treffen sie aber nicht. Späte Heimfahrt der Kinder und viel Scherz. - Freund Bucher schickt mir Briefmarken - herrliche - für Loulou. - Zwei Frauen sind beim Dampfschiffunglück umgekommen.
Dienstag 26ten
Regnerische, aber milde Tage. Viel Wascherei mit den Kindern, Studien ein wenig hintan. Brief vom Vater Tausig's, er hat die von mir verlangte Partitur von Tristan und Isolde nicht, sie scheint gestohlen zu sein! - Freundlicher Mittag und Abend mit unsren Neffen; R. singt und spielt den Ruf der Mannen, der dämonisch mächtig wirkt.
Mittwoch 27ten
Herzlicher Abschied von unsren Neffen, die wir so gern hier behalten hätten, da sie durchaus gute und wohlgebildete Menschen sind. - Wir sind etwas müde; ich schreibe aber doch in Sachen Tristan und Isolde's an Frau Tausig u.s.w. - Besuch bei der alten Frau von Schleinitz; abends früh zu Bett; R. den ganzen Tag sehr absorbiert.
Donnerstag 28ten
Ich erfahre heute den Grund der absorbierten Aufgeregtheit R.'s; die Stelle, wo Brünnhilde Siegfried sagt, wie das Schwert zwischen ihnen beiden wonnig gehangen hätte, ging ihm durch den Sinn, heute hat er sie zu seiner Zufriedenheit festgestellt, »es kam hier alles auf Konzision an und daß keine Modulation stattfand«, die Trompete, die hat ihm gefallen. Er sagt mir: »Wüßtest du nur, was ich dir alles sage, wenn du nicht da bist! Du bist meine gute Welt; mit dir und den Kindern habe ich alles, ich will nur konservieren und grenzenlos reich sein, um die Kinder gut versorgen zu können.« - Überraschung durch einen Brief meines Vaters aus Rom!... R. will sich den hl. Cosmas nicht merken; nun gratuliert mir der Vater dazu, und er sagt: »Sieh, das ist katholisch, das trennt uns.« Worüber wir lachen. Kindertisch ein wenig unruhig, da Hermine immer noch abwesend. Herrlicher Mondschein-Abend, wie wir sie nur auf Tribschen erlebt.
Freitag, 29ten
»Ich habe einen griechischen Chor komponiert«, ruft mir am Morgen R. zu, »aber einen Chor, der gleichsam vom Orchester gesungen wird; nach Siegfried's Tod, während des Scenenwechsels, es wird das Siegmund-Thema erklingen, als ob der Chor sagte, er war sein Vater, dann das Schwertmotiv, endlich sein eignes Thema, da geht der Vorhang auf, Gutrune tritt auf, sie glaubt, sein Horn vernommen zu haben; wie könnten jemals Worte den Eindruck machen, den diese ernsten Themen neugebildet hervorrufen werden, dabei drückt die Musik stets die unmittelbare Gegenwart aus.« - Ich teile ihm mit, daß mich nachts meine Antwort auf des Vaters Brief beschäftigt habe, er sagt: »Nimm diesen als ein gutes Zeichen an, und beantworte ihn als solchen.« - Beim Frühstück sprechen wir von einer Stelle im »Faust«, die ich R. hervorgehoben und die uns unendlich ergötzt; Mephisto: »Laß doch das Gespenst machen was es will.« Das Populäre im 2ten »Faust«; wenn man das Gedicht im ganzen liest, übersieht man zu viel das Detail, wie bei der Musik wirkt es aber unbeachtet, nur lohnt es sich darauf, das Einzelne zu betrachten und ergründen. Ich setze meine Antwort an den Vater auf, während R. arbeitet. Bei Tisch zeige ich ihn ihm, er meint, er sei mißverständlich, und ich zerreiße den Brief. Brief von Bon Loen, welcher zwar sehr guten Mutes in Sachen Bayreuths ist, jedoch R. nicht verstanden hat und nichts von der Grundsteinlegung sagt. - Spazierfahrt mit den Kindern bei herrlichem Wetter. Nachricht von Hermine, daß sie mich noch nicht ablöst, was mich ein wenig verdrießt, indem ich kaum den verschiedenartigen Anforderungen nun entsprechen kann.
Sonnabend 30ten
Briefe von Dr. Kafka, der Verein in Wien organisiert sich sehr tüchtig, enthält 50 Mitglieder aus allen Ständen und wünscht nun sehr R. zur Direktion mehrerer Konzerte. Auch ein Brief des Herrn Batka, meldend, daß Dr. Lang das bewußte Geld an Hans Richter bezahlt habe; ein schönes Imbroglio![9] R. muß den Morgen der Korrespondenz widmen und fordert Klarheit, wenn er auch, wie er sagt, ganz gefaßt ist, Unerfreuliches zu erfahren. Ich schreibe dem Vater und schicke ab, nachdem ich den Brief R. gezeigt. - Trübes regnerisches Wetter, die Kinder machen lebende Bilder, wobei Lusch viel Geschick und Erfindung zeigt. Constantin Frantz schickt sein Buch »Das neue Deutschland«, in der Hoffnung, R. zu überzeugen; viel Vortreffliches gewiß darin, aber keine Erkenntnis für die Macht der Tatsachen.