Donnerstag 1ten Juli
Gleiche schlaflose gedankenschwere Nacht! Am Morgen so schwach, daß ich R. zu mir herauf bitte und ihm meine Sorgen mitteile; er redet mir schön und beruhigend zu; er hat gewiß recht! Ich will hoffen. Beim Frühstück sprach R. über die unabsehbare Wohltat, die eine wirkliche Fusion der Franzosen und der Deutschen würde hervorbringen, nur allerdings müßten die Franzosen nicht das Deutsche durch Heine,[1] Meyerbeer und Kaulbach kennen lernen. - Siegfried muß ganz im Dunklen gehalten werden. Der Kummer ist groß. - Die Freude des Tages war heute die Ankunft des Portraits Beethoven's, welches R. hat kopieren lassen (nach dem von Härtel besessenen Original). Wie einen Freund und Wohltäter empfangen wir den Großen, und R. sagt, wir haben Freuden, die keine andren haben, wir führen ein Leben wie wenige. - Früher brachten mich alle seine erhabenen Eindrücke zu R., jetzt, wo wir vereint sind, jetzt bringen sie mir den Gedanken meiner Schuld. Wir sprachen abends wieder über Goethe und Schiller, die Pnnzessin im »Tasso« und die Königin in »Don Carlos«. Von je ist mir die Königin das Ideal der Weiblichkeit gewesen, die Prinzeß nur eine reizende Form des weiblichen Wesens. Noch einmal auf das Portrait Beethoven's zurückkommend sagt mir R, »Ich verdanke dir auch diese Freude, ohne dich wäre ich niemals dazu gekommen, an so etwas zu denken, ich wäre aufgeregt geblieben und verrückt.« Er findet, daß ich noch traurig bin, und nur an die Wesen, deren Existenz von dir abhängt, die nichts ohne sind, es sind sechs - und wir sind glucklich hier.« Ja das sind wir, denn wir leben in der Liebe - nur der Gedanke an Hans und der Blick in die Zukunft der Kinder erfüllt mich mit Gram. - R. schreibt an den König. -
der Augenarzt kommt und findet Siegfried nicht übler. Ich besuche die Kinder im Garten und gebe Lusch ihre Klavierstunde. Für micn »Ödipus« gelesen. Abends Eckermann.
2ten Freitag
Gleiche Nacht. Gerne will ich meine Nächte den Sorgen und den Leiden übergeben, wenn ich nur meine Tage dem Geliebten und den Kindern widmen kann. Sehr früh aufgestanden; mit Lusch Klavier geübt. Mit R. gefrühstückt. Der Arzt bei mir, beruhigt mich wegen Siegfried; inmitten des Besuches kommt R. herauf und meldet sich als »Prinz«; in der Liberté steht ein Feuilleton von Herrn Villiers de l'Isle Adam,[2] gewidmet: à Richard Wagner, Prince de la musique profonde. Während die Kinder arbeiten, lese ich »Oedipus«; bei Tisch Gespräche hierüber mit R. »Warum Teiresias das Rätsel der Sphynx nicht lösen konnte? Es zeigt, daß der große Mensch noch mehr als der Seher ist Warum aber all dies Furchtbare auf Oedipus gewälzt? Daran sollen wir erkennen, was das Leben ist und daß das Glück nur ein Wähnen ist. Hinunter zu den Kindern im Garten, Vögel, Rosen und Kirschen R sagt dabei zu mir, daß er mir es mit größter Ruhe gestehen müßte ich sei für ihn die Offenbarung des Göttlichen. Mit welchem Gefühle höre ich das, ich, die ich jammervoll empfinde, wie wenig ich bin. - Not mit Babli, dr Wärterin Siegfried's, die den Kleinen immer an das Licht bringt Abends wieder Eckermann mit R., viel Vergnügen daran. (An Pr. Nietzsche geschrieben und ihm den elenden Aufsatz von Lübke über die Msinger zurückgeschickt.)
3ten Samstag
Regentag, und R. hätte zu seiner Arbeit gern Sonne weil er umarbeiten muß (die letzten Worte Wotan's an Erda, die ihm zu »idyllisch« ausgefallen). Die zwei Ärzte kommen und finden alles in besserem Zustand, Siegfried's Auge bessert sich. Den Tag mit den Kindern - R. bleibt zu Hause in guter heiterer Stimmung, abends erzählt er mir: »Wie glücklich fühlte ich mich, als ich heute so recht empfand, was ich unter deinem Schutze genieße! Ich nahm einen Band Droysen [3] und las den Tod des Pyrrhus, dann schlug ich das Kapitel Schopenhauer's über die Musik auf und fand, daß, wenn ich jemals meine beabsichtigten Schriften ausführen werde, ich an dieses Kapitel anzuknüpfen habe. Du liest nie das Rechte« - fügte er hinzu -, »du solltest diese Geschichte des Hellenismus lesen, in welcher wir es gewahr werden, wie dieses einzige Volk in seiner Auflösung gleichsam zum heroischen Zeitalter zurückkehrt; die Züge, die darin vorkommen, könnten im Homer stehen. Alles darin so drastisch, so leidenschaftlich, so heftig. Und Sparta lebt noch einmal auf!« Gegen den Vorwurf, das nicht zu lesen, was er mir empfiehlt, mußte ich mich dadurch rechtfertigen, daß, seitdem ich Kinder habe, ich eigentlich gar nicht mehr zum Lesen komme und heute, als ich im »Oedipus« las, ich mir es förmlich vorwarf, daß ich nicht lieber noch einmal nach den Kleinen nachsah. Er liest mir den Tod Pyrrhus' vor. Abends verplaudern wir die Zeit, er freut sich immer des Beethoven-Bildes: »So sah der Arme aus, der uns die Sprache wiedergegeben, die die Menschen gesprochen, bevor sie Begriffe hatten; diese Vogelsprache wiederzugewinnen erschuf der Mensch die göttlichste Kunst. Darum aber auch ist solch ein Musiker wie er ein Wesen, für welches es gar keinen Platz in der Gesellschaft gibt.« Seine andere Freude waren die Kinder, denen er vorgespielt und die um ihn gespielt haben (Lulu sehr ernst bereits von der Musik fasziniert). Ich erzähle ihm, wie mich die Stelle im »Oedipus« erschüttert hat, wo Oe. seinen Töchtern sagt, sie würden nicht gefreit werden, die Schmach würde auf ihnen lasten. »Oder auch anders«, erwidert R. »Seitdem du mir einen Sohn geboren hast, weiß ich, daß ich leben und ein hohes Alter erreichen muß. Daß ich dich gewonnen habe, zeigt mir, daß das Schicksal noch etwas Außerordentliches mit mir vor hat.« Ich sage ihm dann, daß ich es mir vorgenommen habe, nicht eher aus meiner Zurückgezogenheit herauszugehen, als bis es notwendig sein wird, die Kinder einiges kennen zu lassen. »Da werden wir uns selbst der Welt erfreuen«, sagte er. Glücklich seid ihr jetzt, meine Kinder, Gott segne euer ferneres Leben! Was ich eurem Vater nicht sein konnte, werdet ihr ihm sein, Lulu und Boni; dies ist mein Trost und meine Hoffnung.
Sonntag 4ten Juli
Gute Nacht, von fernen Reisen mit R. geträumt, ihm Raphael'sche Zeichnungen gezeigt, G. Sand [4] begegnet, die mir meine Handlung vorwirft, ich ihr demütig zuhöre und nur sage, schwer ist, was ich getan, doch nicht schlecht in meinem Herzen. »Kasperltheater« für die Kinder gespielt, dann zu R. herunter und dieses geschrieben, während er komponiert; es offenbart sich mir dabei so recht das Wesen der Musik, wie er es mir erklärte; es ist mir, als erschließe sich etwas in meiner Seele, was sonst immer gefangen gehalten, und versinke mein Geist in einem Traumzustande; die Realität verschwindet gänzlich, und es waltet nur die Liebe. »Diesen Kuß der ganzen Welt«, »Seid umschlungen, Millionen«, konnte nur die Musik wirklich ausdrücken, die Empfindung gehört nicht in das Reich der Worte. Wie R. mir vorgespielt hat, was er gemacht, tritt Richter zu unsrer Verwunderung herein. Trübe Nachrichten aus München, der Intendant ein Feigling, die übrigen Leute so roh, daß es nicht zu beschreiben. Richter, der gute, weint, indem er der guten Zeiten auf Tribschen [ge]denkt. Ich weine auch und bitte R., etwas aus Tristan zu spielen. Tiefste Ergriffenheit, Tränen - Wohltat. R. geht dann mit Richter aus, ich schreibe an die Köchin in München, die mir geschrieben (Hans schweigt). Und an Mathilde. Bei Tisch hat nur Lulu heute einen großen Schmerz verursacht, es war mir, als ob sie meine augenblickliche Verlegenheit benutzte, um frech gegen mich zu sein! Am Teetisch mit Richter die Erbärmlichkeit der deutschen Kapellmeister besprochen, der große Münchner Lachner übersieht Fehler im »Figaro« (unter andern)! - Von Mannheim erzählt Richter, daß die Juden bei der 4ten Vorstellung die MSinger ausgepfiffen hätten, bei der 5ten aber hätte sich das Publikum nicht überrumpeln lassen und habe den lebhaftesten freundlichsten Anteil genommen; wie ein paar Leute Israels zu zischen begonnen, sei ein Dr. Werther aufgestanden, habe »hepp hepp« gerufen, wobei die Zischer hinausgingen. Mit R. spät abends noch unser Leid ausgeklagt; wie heilig das Band der Ehe und wie vorsichtig und ehrfurchtsvoll dieses geknüpft werden sollte, fühle ich an meinem unaussprechlichen Leiden. R. immer gütig liebevoll bekümmert um mich, mir immer beweisend, daß die ganze Welt nicht für ihn existiert, daß ich ihm alles bin.
Montag 5ten
Träume, daß ich mit R. in eine Judengesellschaft geraten bin, und daß ich dann mit Hans als Bettler ging und mir Steine geworfen wurden. R. kommt herauf. Ich zeige ihm den am Morgen empfangenen hübschen Brief von Claire; das bringt uns auf die Frage der Scheidung. Ich sage R., daß ich vorhabe, Hans zu schreiben, ob er es wünsche, daß ich mich zu ihm begebe, alles hier aufgebe, nur die vier Kinder mitnehme, ob er wirklich die Kraft hätte bei dem Aufsehen, welches unser Verhältnis gemacht, sich wohlzufühlen, wenn nicht, daß er die Scheidung wenn auch nur um seinetwillen zu betreiben [einwillige]. R. sagt, hierzu müsse er schweigen. Er verläßt mich und schreibt Düffl. wegen Hans' Lage. Stille Stimmung. Nach Tisch im Kahn mit den Kindern. Zur Gräfin Bassenheim, diese zu Hause getroffen. Abends mit Richter. Spät an Claire geschrieben.
Dienstag 6ten
Gewitterluft; R. unwohl, kann nicht arbeiten, ich gedrückt. Schweres Gespräch mit R. über das, was ich ihm gestern gesagt. Ich suche ihm verständlich zu machen, wie - in meinem Sinn - die Aufopferung unseres Glücks, ja unseres Lebens doch niemals unsere Liebe berühren könnte. Er fühlt sich tief gekränkt, doch müssen wir uns wie immer lächelnd weinend gestehen, daß nur das Übermaß unserer Liebe uns so empfindlich stimmt. Mit den Kindern gespielt, wenig Arbeit wegen der Schwüle. Abends spielen R. und Richter vierhändig Mozart's C dur Symphonie, wobei R. ganz außer sich über die fehlerhaften Arrangements gerät: »Das sind nun die Deutschen, jeden Augenblick führen sie Mozart im Munde, und solche Ausgaben liefern sie.« Beim Anhören des Andante kam mir Beethoven in [den] Sinn, und mir war es, als ob man ihm hätte sagen können: »Weh, weh, du hast sie zerstört, die schöne Welt«; in seinem Busen aber hat er sie wieder aufgebaut. Das holde selige Götterspiel hat aufgehört, und statt der paradiesischen Empfindungen haben wir das Leben mit seinem furchtbarsten Schmerz und die aus ihm quellende Erlösung. Zum Paradies geht es nicht wieder zurück, wohl aber zum Himmel, und Mendelssohn, der sich vielleicht geschmeichelt hat, den ersten Zustand wieder herzustellen, ist einfach kindisch. Die Musik-Schöpfung wird mit Beethoven Mensch, Mozart ist das Stein-, Pflanzen- und Tierreich, das unschuldige, naive, in Freud und Leid unbewußte; zu dem Ganzen verhält sich Wagner wie die Offenbarung, die Religion. In dieser Schöpfungs-Geschichte verhält sich der alte Bach ungefähr wie das ganze Planeten-System, bevor es sich von der Sonne getrennt hatte. In solchen Verhältnissen ist aber für die Mücke Mendelssohn kein Feld zum Großtun. - Gute Nacht, meine Kinder, gute Nacht Hans, gute gute Nacht mein Richard! Heute kam mir die Vorstellung der Metempsychose [5] recht an, ich fühlte die Notwendigkeit der Buße, es war mir eine Art Trost, mir zu sagen, daß ich das Leiden, das ich verursacht, noch anders als durch Mitempfinden und Betrauern einst werde büßen müssen, und doch kann keine Buße schwerer lasten als die Erkenntnis einer Schuld und die Ohnmacht, sie zu tilgen.
7ten Mittwoch
Arbeit überall, ich die kindliche, R. seine großartige, zu Mittag ruft er mir zu: >Er habe es gefunden<, nämlich den Schluß von Wotan und Erda. Nach Tisch, wie ich ihm die Hand reiche, sagt er mir, die leiseste meiner Berührung sei ihm wohltätig, es gebe kein so sympathisches Wesen, darum wolle aber auch keiner von mir lassen! - Zu Frau Am Rhyn, welche mich dann auch hierher begleitet. Die Kinder lustig mit den Am Rhyn'schen Kindern. Abends bringt mir R. einen Brief von Mathilde, diese hat durch Hornstein [6] von meinem 5ten Kinde gehört und begreife nicht, daß ich ihr nichts davon gesagt!!! R. sehr böse gegen sie, wirft mir vor, daß ich zu schwach gegen alle Menschen sei. Ich antworte ihr ruhig und kurz spät abends. Freilich ist mir damit wieder eine große Sorge eingejagt, da Von Hornstein gerade in München lebt!
8ten Donnerstag
Mit Richter am Morgen die Münchner Einrichtungsangelegenheit geordnet, er übernimmt die Oberaufsicht der Verpackung. Beim Frühstück eine etwaige mögliche Regelung von Hans' Stellung besprochen, die Musikintendanz müßte ihm gefallen, er nicht mehr solche elende Menschen wie Perfall[7] zum Chef haben. Dann mit den Kindern, R. an seine Arbeit; wie ich zu ihm komme, sagt er mir scherzend: »Ich liebe nur meine Feinde, meine Freunde hasse ich, das geht noch über das Christentum hinaus!« An Anna in München geschrieben. Mittags einen Brief des Dr. Lang; er fordert wiederum R. auf, für die Ndeutsche Zeitung zu schreiben. Nach Tisch wollte R. aus seinen Skizzen etwas vorspielen, kam jedoch nicht in die Stimmung. Ich schlug vor, seinen Entwurf zum Parzival zu lesen, und tat es unter Tränen-Unterbrechungen. Ich empfand es innig, wie läuternd und veredelnd das Erhabene auf uns wirkt! R. ward die Sache völlig neu, und mit großer Ergriffenheit hörte er zu. Wir wurden durch den Besuch des Augenarztes unterbrochen, großes Glück über seine Freude über die Besserung des Übels; wie blitzartig hat das Schicksal mir wieder erleuchtet, an welchem Abgrund wir immer blindlings stehen. R. geht in erregter schöner Stimmung mit Richter aus, Loldi und Eva kommen uns entgegen, die älteren schaukeln sich, »sei gesegnet«, ruft er mir zu! Ich fühle es, ich bin es, o meine Kinder, wenn wir noch zusammen viel Leid zu tragen haben, tragt es mutig mit mir, und wenn euch das Schicksal darum härter zu behandeln scheint, weil eure Mutter mit der Welt brach, so freut euch stolz, daß ihr für sie büßen könnt die eine Schuld. - Zu den Kindern noch, Lulu's Klavierübung bewacht, dann um 8 R. und Richter entgegen. Abends von R.* (*Hier: Hans Richter) Abschied genommen, er wird seine Entlassung verlangen, wenn Hans wirklich geht. Spät sorgende Gedanken um Hans. R. sagte mir, er habe heute sich so glücklich empfunden. Ich denke mit Hoffnung an spätere Zeiten, wo die Kinder herangewachsen sein werden und manches vielleicht gut machen können, wenn nur nicht herbe Schläge dazwischen fallen. Gute Nacht, du erhabenes gutes großes Wesen, das ich liebe, dem ich diene, gute Nacht meine Kinder, gute Nacht Hans, dem ich so viel Leid antat, mir träumt von Welten, in denen wir uns alle vereinigen und lieben werden!
9ten Freitag* (» Irrtümlich »>6ten« datiert)
Schwüle. R. unwohl. Beim Frühstück bekommt er Seroff's[8] (des russischen R. Wagner's!) Karte, er läßt ihn zu Tisch bitten. S.** (** Stern, dazu Fußnote im Tagebuch: (»Seroff ist in Folge seiner russischen National-Oper zum wirklichen Staatsrat gemacht worden und hat den Titel Exzellenz, worüber R. viel mit ihm scherzt.«) hat Tristan und die MSinger in München soeben gesehen und ist ganz berauscht davon und auch mit der Aufführung sehr zufrieden. Bevor ich da bin, erzählt ihm R. ein wenig, wie es uns gegangen und warum er nicht das Rheingold sich ansehen wird; wie meiner hierbei erwähnt wird, ruft Seroff aus »quelle femme heroique«; wie mir R. dies mitteilt, bin ich ganz erstaunt, so habe ich mich an den Gedanken gewöhnt, nur geschmäht zu werden. - Die Kinder alle wohl, Siegfried schön; R. freute sich heute beim Komponieren, wie ihm Eva seine Dose brachte, »eine unbeschreibliche Anmut und Lieblichkeit des Daseins ergießt sich über einen bei einer solchen Kinder-Erscheinung«. Viel an Hans mit Sorge gedacht; dann mit R. besprochen, wie ich am besten mein kleines Einkommen für die Kinder bei Seite tue. Am Morgen zwei neu bestellte Bücher (Venedigs Kunstschätze und die Sammlungen Wiens) mit R. angesehen. Beethoven ist nun auch eingerahmt und hängt. Abends Grimmsche Märchen den Kindern vorgelesen. In der Dunkelheit noch mit R. im Garten gewandelt. Stiller Sternensegen. Wie ich erfahre (durch Grimm), daß ach wach, o weh heißt, ergibt sich es mir, wie das Weh und das Wache verwandt sind. Mir ist es so bang um's Herz, ich fürchte zu leben und will nicht sterben! Wenn ich Vorsichtsmaßregeln für die Kinder treffe, sage ich mir gleich: »Alles wird mir das Schicksal durchkreuzen.« »Oedipus auf Kolonos« heute begonnen.
Samstag 10ten*** (*** Datierungen von Samstag (»9ten«) und Sonntag (»10ten«) im Tagebuch falsch
R. hatte eine üble Nacht, doch sagt er am Morgen: »Gott wie bin ich selig, trotz alles Unwohlseins.« Mit den Kindern gearbeitet, dann einen Brief Mathilden's erhalten und ihn sogleich erwidert. Sie will wissen, was sie den Leuten in Bezug auf mich zu antworten hat! Ich: »Die Wahrheit!« R. arbeitet viel und ist heitrer guter Laune, wenn auch angegriffen. Nach Tisch zur Gräfin B. mit den Kindern. Ich erzähle ihr von der Person in Weggis, die unsren Knecht bestochen hat, um etwas zu erfahren, dagegen teilt sie mir ihre Münchner Erfahrungen mit. Abends R. meine Sorge um die Zukunft der Kinder und meine Absichten mitgeteilt, er beruhigt mich und schließt damit: »Wenn ich dir nur den Himmel voller Geigen hängen könnte.« So erlebe ich denn hier die vollkommene Idee des Glückes! - Ein Wort der Loldi, das ich R. sage, bringt ihn darauf, daß ich die Scheidung von Hans fordern soll - ich kann aber jetzt nichts von Hans fordern; ich habe Kraft zu leiden, doch keine mehr zu kränken. - »Wer nie sein Brot mit Tränen aß,[9] wer nie die kummervollen Nächte auf seinem Bette weinend saß, der kennt euch nicht, ihr himmlischen Mächte!« Ich möchte dahin gelangt sein, wo die Kinder Hans erfreuen könnten und ich bewiesen hätte, wie ich es gemeint habe. Ergebenheit —
Sonntag 11ten
R. brachte gestern eine Zeitung (dramaturgische Blätter?) mit, in welcher ein Aufsatz über »Das Judentum in der Musik« steht. Heute früh erzählt mir R., er habe es gelesen und zum ersten Mal habe er es erfahren, daß von einer jüdisch-germanischen Kultur im Gegensatz zu der christlich-germanischen gesprochen würde; »diese Frechheit, man sieht, man hat mit den Leuten zu tun, die gar nicht wissen, worum es sich handelt«. - Seroff erzählte neulich, bei einem Wasserfall in Finnland habe er auf dem Felsen Verse eingeschrieben gefunden, »Richard Wagner« unterzeichnet. Nun ist R. niemals da gewesen. Trotz der Schwüle geht R. an die Arbeit. Ich mit den zwei Kleinsten Erdbeeren und Himbeeren gepflückt, die älteren zur Kirche. - Während des Vormittags kommt R. zu mir herauf, >um zu sehen, ob ich noch da sek, »ich glaube immer, du läufst fort«, dann wieder zu seiner Arbeit. Die Kinder spielen, dann große Tafel, Depesche Tichatschek's,[10] zu dessen Geburtstag R. ihm einige musikalische Zitate zugesendet hatte. Kinder-Schokolade, ich mit R. ein Beet-hoven'sches Quartett gespielt, nachher mit ihm spazieren gegangen. Meinen Gram um Hans - niemals ausgesprochen - errät R., und er wird darüber traurig. Er gedenkt der Scenen, denen er beigewohnt, wo Hans mich geschlagen, und sagt, er sei entsetzt gewesen über die gleichgültige Ruhe, mit welcher ich dies ertragen hätte. Schmerzlichste Empfindung. — Zu Haus vor Mattigkeit auf dem Sofa eingeschlafen. Um Mitternacht zu Bett.
Montag 12ten
R. kommt mit einem Brief herauf, Judith Mendes meldet ihren Besuch an. An mich Brief von Claire, gut und liebevoll. Arbeit mit den Kindern. R. hat geträumt, daß er mit mir flöge. Depesche des Münchner Intendanten, welcher anfragt, ob es R. genehm ist, daß er ihm den Dekorationsmaler zuschickt. Trotz großen Unwohlseins arbeitet R. an seinem »Buffo-Duett« (Wotan und Siegfried). Am gestrigen Abend erzählte mir R., wie er seine Columbus-Ouvertüre[11] geschrieben hatte, wollte er eine Napoleon-Ouv. machen, er wollte seinen Helden bis zum Russischen Feldzug im Glanzpunkt, von da ab in der Decadence darstellen, für die Spitze der Pyramide brauchte er einen Tam-Tam-Schlag; über die Zulässigkeit desselben in der Musik geriet er in Zweifel und betrug jemand. Da er sich nicht entschließen konnte, den Tam-Tam anzuwenden, so gab er das Ganze auf. Ironisch habe es ihn berührt, als er in Paris bei der Berlioz'schen Symphonie für die Juli-Gefallenen die häufige, sehr logisch sich bis zum Entsetzlichen gestaltende Anwendung des Tamtams antraf; da er als ganz junger Mensch sich nicht zu einem Schlage habe entschließen können. Energisch soll die Musik sein, wir haben die Pauke, die Trompete, doch der Tam-Tam ist Barbarei, hier kommt auch alles auf die Sophrosyne der Griechen an; der Tamtam-Schlag nimmt der Musik alle Idealität. - Nachmittags, wie wir uns ausruhen wollen, kommen Seroffs mit ihrem Knaben, da dieser nur Russisch versteht, meint Loldi: »Der weiß ja gar nichts.« R. sagt zum Vater a propos vom Jungen: »Kein Musiker direkt Staatsrat, la mort sans phrase.« Der Besuch war uns insofern etwas lästig, als er den Lauf unseres gewohnten Lebens unterbrach. Mme Ser. sagte zu mir, sie hätte sich gar nicht vorgestellt, daß ich so ganz meinen Kindern lebte. Abends lange noch mit den Kleinen unter der blühenden Linde. Später Raphael'sche Blätter angesehen. R. sehr angegriffen
Dienstag 13ten
Lulu's Klavier-Übungen bewacht, dann R., welcher mir beim Frühstück sagt, er möchte dem Siegfried ein Haus und eine Rente von 1500 Thalern hinterlassen können, damit er niemals für Geld arbeiten müßte und daher unfrei sein. Begnügsam aber müsse er sein. (In seinem Testament will R. aufsetzen, daß, falls Siegfr. für Geld arbeitet, er die Rente verliert.)* (*Am Rand eingefügt) Dann spricht er mit mir über Wolfram von Esch., Gottfried von Straß.,[12] die er große Künstler, zu großer Meisterschaft gelangt, nennt. R. arbeitet, ich mit den Kindern studierend, spielend, badend. An Claire geschrieben, ihr auseinandergesetzt, warum ich die Scheidung wünsche. Nach Tisch mit R. Klavier gespielt (Quartett von Beethoven). Er erhält einen Brief von einer englischen Dame, welche ihm die englische Übersetzung vom »Judentum in der Musik« zugeschickt und um die Erlaubnis ersucht, es herauszugeben. Große Überraschung. Dann nimmt R. das Motett von Bach vor »Als Christus zum Jordan kam« - es ergreift uns tief, »der Hauptzug ist es, den Leuten gemütlich zu machen, die Andacht recht freundlich nah an das Herz zu bringen, und diesen Zug schmückt weiter der Künstler mit seinem Können aus«. Wir kommen auf R.'s Lieblingsidee der Schule und den damit zusammenhängenden Aufführungen aller solcher Dinge. »Vielleicht komme ich noch dazu, denn ich fang ja erst das Leben an.« Abends das Kapitel von Schopenhauer über die Musik; so viel ich dem folgen kann, scheint er mir das Wesen der göttlichen Kunst wunderbar ergründet zu haben. - Ein Wort Schop. über Giord. Bruno und sein Martyrium erfüllt uns mit Entsetzen, indem wir das Schicksal dieses Wahrheitsgetreuen bedenken, der der rohen pfäffischen Gewalt preisgegeben ward. »Gern täten sie noch verbrennen«, sagt R., »aber es geht nicht.«
Mittwoch 14.
Mit solchen Kopfschmerzen aufgestanden, daß ich Loulou's Übungen nicht bewachen konnte. Nach und nach besser. R. hat einen hübschen Brief von Chandon[13] und dazu eine Sendung Wein. Nach Tisch der Dekorationsmaler aus München, Rheingoldskizzen! R. ärgerte sich heute scherzend über den Sommer, daß er schon da wäre: »Ich will furchtbar lange leben.« - Lulu diktierte mir den Brief an ihren Vater, es wurde mir dabei das Herz so schwer! Im Paradies ist die Schlange verborgen, in meinem Herzen lagert sie, und das Glück ist da, ringsum so glänzend und schön. Laßt uns beten!... Indem ich über mein Schicksal nachsinne, ist es mir, als ob es mich tiefstes Weh und höchstes Glück habe erkennen lassen wollen; mein armes Herz faßt beides! Vereinigung mit dem Geliebten, Glück ohne Schranken - Gram um das verursachte Leid, Weh ohne Trost! - Wie R. auf seinem Spaziergang ist und die Kinder zu Bett sind, überlasse ich mich meinen Gedanken, weinend singe ich auf eignem Thema: »Wer nie sein Brot mit Tränen aß«, es dämmert, in der Nähe höre ich Siegfried schlucken! Der Arzt war heute da und sah leider den Punkt deutlicher als neulich; R. kommt heim, ich wische die Tränen ab, die Freude kehrt mir mit ihm zurück! Wir sprechen über die Novellen von Gottfr. Keller, wie viel bedeutender als die Auerbach'schen sie sind, von Tieck sagt R., es habe ihm die schmerzliche Konzision gefehlt, die die großen Dichter kennzeichnet. Nach dem Abendessen lese ich R. die Aufsätze von Seroff über Berlioz, sie sind sehr gut. Indem ich dieses niederschreibe, habe ich ein Gefühl der Bangigkeit, das wie Agonie mir vorkommt. - Wie kindisch sprach nur der Vater von »Gewissensbissen«, wie könnte ich diese empfinden? Aber Mitleiden, das ist es, das mein Herz erdrückt, ich weiß auch, wie Parzival leidet und wie er Amfortas sucht. Ob ich noch eine ungemischte Freude haben kann?
Donnerstag 15ten
Am Morgen mit den Kindern, und zugleich einen Brief an die Übersetzerin der Judenbroschüre aufgesetzt. R. lacht, findet ihn gut und sagt, er könne gar nichts mehr, er wäre nur noch eine Komponier-Maschine. Nachmittags-Partie auf den Sonnenberg mit den Kindern, Seroff besucht. Heimgekommen finde ich R. traurig, es tat ihm leid, daß Eva zurückgeblieben, auch fühlt er sich mißmutig, wenn ich fort bin. »Nur keinen Wechsel« - sagt er. Abends sagt er mir: »Gute Nacht, träume von Paradiesen«, ich: »Ich wüßte, was mein Himmel wäre: dieses unser Leben zu führen, ohne ein früheres gehabt zu haben.« R.: »Ich bin losgelöst von allem, nicht ein Wesen hat Anspruch auf mich - außer du; denke ich dich fort, so ist es aus.«
Freitag 16ten
In Frankreich revolutionieren sie[14] wieder einmal. Dagegen eröffnet der König von Bayern wiederum nicht die Ausstellung. Man sieht, es geht darauf hin, den jungen König weg zu bringen. Mit großer Betrübnis bedachte gestern abend R. der bevorstehenden Aufführung des Rheingoldes - wiederum eine Unmasse Geld ausgegeben und ein klägliches, ja lächerliches Resultat! Doch will R. sich nicht darum bekümmern - wie seltsam das Schicksal, das gerade diesen unfähigen König so begeistert für R.'s Werke macht, wie seltsam schrecklich! Der Morgen gehört Siegfried, Unwillen über die alberne Eigensinnigkeit seiner Wärterin und Sorge um sein Auge. Zu Mittag große Mattigkeit. Nachmittag doch mit den Kindern gespielt. Abends die Familie Mendes (der Herr Villiers ist auch dabei). Sie ist sehr merkwürdig, so ungezogen, daß es mich förmlich verlegen macht, dabei gutmütig und schrecklich enthusiastisch. Sie zwingt förmlich Rieh., aus der Walküre und aus Tristan zu spielen und singen Wie sie fort sind, sagt R. zu mir: »Es gibt keine Frauen mehr in Frankreich, überlege dir das! Gott, was bist du für ein Wesen«, fügt er hinzu Er hatte bemerkt, daß ich bei Anhörung seiner Vorträge geweint hatte' »Ja für uns ist das unser eigenes Leben, wir staken darin, es ist Blut von unserem Herzen - die andren unterhalten sich damit, wir leben es.« Spät zu Bett.
Samstag 17ten
»Gott Lusch, was hast du für eine Mutter«, ruft R. am frühen Morgen aus, als er mich ihre Übungen beaufsichtigend bei der Kleinen findet. Nachher korrigiert er meinen Brief an die Übersetzerin - »Wie wir doch wirklich zusammen arbeiten«, sagt er. Boni macht mir durch ihren Trotz viel Kummer; ich muß sie strafen. Nachmittags Mendes ich muß sie unterhalten. Wie seltsam kommt mir die geräuschvolle Begeisterung vor! Die Frau spricht alles aus, was ich im tiefsten Herzen glaube; daß sie es aussprechen kann, macht sie mir fremd. Er ist fein gebildet und beide durchaus gutartig. Sie erzählen, daß der Verleger R.'s, Schott, am Tag der ersten Aufführung von Rienzi die übersetzte Judenbroschüre in Paris anzeigte, der erschrockene Pasdeloup stürzt hin und kauft nach seiner Meinung alles auf. Tags darauf bietet ihm Schott zum selben Preis tausend Exemplare, die er noch vorrätig habe, an! Vom Verleger, wer kann das glauben? Und wer war wieder dahinter! Die letzte Aufführung von Rienzi soll unglaublich von Blumenspenden und Enthusiasmus gewesen sein! R. spielt Wotan's Abschied von Brünnhilde und mehreres aus Lohengrin. Um elf Uhr sagen sie uns, daß sie seit gestern nicht zu Mittag gegessen haben. Wir haben nichts zu Haus, heitere Stimmung. Von der Wellenbewegung im Rheingold sagt R., >es sei gleichsam das Wiegenlied der Welt.
Sonntag 18ten
R. spät aufgestanden, ist müde von gestern. Doch arbeitet er. Die Kinder zur Kirche. Ich mit den jüngsten, R. sendet mir, was er von seinen Skizzen fertig hat. Bad mit den Kleinen, dann von zwei bis zehn Mendes, sie gibt mir einen Fächer, den ein Chinese (Akademiker) für sie geschrieben hat und der in den Augen der Chinesen
100 000 fcs. wert ist, ich mußte ihr dagegen ein Blatt von R. geben, was freilich für mich einen anderen Wert hat, es fiel mir schwer, wenn ich es auch der merkwürdigen Frau gönnte. R. betrachtet sie und ihren Mann als eine wirkliche Bereicherung unseres Lebens, und sie sind gewiß ein außerordentliches, edles Paar. Leider scheinen sie beide kränklich zu sein.
Montag 19ten
Am Morgen Brief von Hans an seine Tochter, er geht wahrscheinlich mit seiner Mutter nach Italien. Schwermütige Stimmung, mögen ihn die Götter beschützen! Mit den Kindern. Nachmittags zum Hünendenkmal mit den Freunden. Dann heim, wieder musiziert R. aus seinen Werken. Judith M. erzählt nur aus ihrem Leben, seltsamen schrecklichen Blick in die Pariser Verhältnisse getan.
Dienstag 20ten
Mit den Kindern; spät abends erst Mendes', die zum Schützen-Fest in Zug waren. R. spielte mir gerade das letzte, was er gemacht hat, als sie hereintraten. Am Morgen hatte ich in den Büchern des jungen Villiers gelesen, wenig Erbauliches, viel Monstruosität.
Mittwoch 21ten
Immer Kinder; Kummer, weil sie nicht wohl sind, Siegfried, Eva und Boni; abends Mendes, Musik und Garten. Es sind ausgezeichnete Menschen, allein das französische Element bremst immer etwas. R. bereits etwas müde. Er schreibt an Esser aus Wien einen freundlichen Brief, weil ich ihm gesagt, daß dieser krank sei, dann an Schott, um ihm wegen der Judenbroschüre-Affaire die Wahrheit zu sagen.
Donnerstag 22ten
Um vier Uhr auf, nach Beckenried im Wagen, mit den Freunden und Loulou von da mit Dampfschiff nach Brunnen, und auf dem Axenstein, schöner Tag, herrlicher Mondschein-Abend, die Nacht in der Pension auf der Mauer zugebracht. R. trotz großer Ermüdung heiter. Ich in Gedanken, die Zukunft der Kinder schwebt mir vor Augen, das unselige Familienleben Judith's läßt es mich recht empfinden, was ich den Kindern bin und was ich ihnen werde sein können. Mir ist es, als ob ich solch Weh habe erleiden müssen, um die Erkenntnis für sie zu gewinnen. Nicht einen Augenblick erleichtere ich aber mein Herz von dem Schmerz, der es bedrängt, ich fürchte förmlich, es im Gefühl eines höchsten Glückes weniger zu empfinden. Bis zu meinem Tode will ich büßen. —
Freitag 23ten
Um 4 Uhr auf mit Lusch, herrlicher Sonnenaufgang, um 8 Uhr Kahnfahrt zum Grütli, um 11 Uhr Rückfahrt. Zu Hause die Kinder wohl. Brief von Weißheimer[15] an R., der üble Eindruck dieses schlechten Schreibens bringt eine kleine Verstimmung hervor. Brief Clairen's an mich in Geschäftsangelegenheiten. Früh zu Bett nach einem Bade mit Lusch. Brief Schure's, welcher die Übersetzung beginnt.
Samstag 24ten
Während ich am Morgen Lulu eine Klavierstunde gebe, kommt R. herauf; er teilt mir mit, daß Pr. Braun[16] gestorben ist; ich bin sehr davon erschüttert, er und seine Frau waren in München die freundlichsten gegen mich und waren beide ausgezeichnete Wesen. R. ist auch davon ergriffen und sagt, daß, wenn ich nicht da wäre, die ihn erhielt zwischen Erde und Himmel, er würde gar nicht mehr existieren können. Er sagte gestern, daß er nicht einen Augenblick außer Augen verliere, wie ich ihn glücklich gemacht habe. Sein ganzes vergangenes Leben habe er nur in der Erinnerung als eine Müdigkeit. An Rosalie Braun geschrieben und den Brief R. gezeigt mit der Frage, ob er mir wohl eine Impertinenz zuführen kann. R.: »Desto besser, dann bist du belehrt; es ist wie mit dem Geld, um welches man betrogen wird, das ist ein unmittelbarer Gewinn.« Nachmittags Seroffs und Mendes' bis spät abends. R. spielt und singt aus den MSingern und Siegfried. Der Tod Braun's bringt R. einen heftigen Ausfall gegen die deutschen Fürsten, die nichts unterstützen, kein Talent, keine Begabung, alles acht Deutsche verkommen lassen.
Sonntag 25ten
Mit Freuden Lulu's Fortschritte im Klavierspiel beobachtet; R. unterbricht unsere Übungen; Gespräch über Mendes; außerordentliche Menschen, sie eine Natur, er ein fein gebildeter Mensch, leider ist das französische Wesen wie eine Schranke, sie nennen Shakespeare und V. Hugo[17] zugleich; »das poetische Anschauen fehlt den Franzosen«, sagt R., »entweder gehen sie zur Tirade mit aufgeblasenem Vortrag, oder sie sind von einer erschreckenden Trockenheit. Durchaus unbegabt nach der Seite der Kunst, konnte ihnen die übermütige Idee ihrer Superiorität nun durch die üblen Zustände ihrer Nachbarn ankommen. Sie sehen sich überall nachgeahmt und mußten sich daher als das eigentliche Muster betrachten. Einzig wird die Musik vielleicht ihren Horizont erweitern können«. R. ist sehr empört darüber, daß der neu geborene sächsische Prinz gerade jetzt den Papst zum Paten erhalten hat, »während es eine Gutmütigkeit des Volkes ist, seiner Regentenfamilie den Katholizismus zu gestatten«. - Zu Mittag Mendes, nach Tisch liest uns Herr Villiers sein Stück; derselbe Mensch, dem wir kein Talent zugetraut hatten, findet in der Wirklichkeit die Anregung zu einem guten Stück, das er mit fabelhaftem Talent vorlas. »Es sind wenigstens Zustände dort« - sagt R. - »so schlecht sie sind, können sie ein Bild abgeben - wir Deutschen haben selbst keine Zustände.« Bei Tisch erklärte R., wie anders man in der Symphonie als im musikalischen Drama verfahren müsse, wo alles außer den Dummheiten erlaubt sei, weil die Aktion alles erkläre. Beethoven habe die große Heiterkeit nur einmal in der Symphonie verlassen, und da habe
er sich auch mit unendlicher Kunst das Wort vorbehalten gehabt. Abschied von den vortrefflichen Freunden; wie sie mich einladen, mit R. nach Paris zu kommen, zum Lohengrin, und mich drängen, erkläre ich ihnen, daß ich Opfer zu bringen hätte, um einem Wesen zu beweisen, wie ernst ich es mit einem Leben gemeint, welches mir die traurige Not verhängt hatte, ihn zu schmerzen. Ergriffenes Schweigen. Schmerzliche Gedanken an Hans und sein Schicksal, schweres Einschlafen. - (Beim Dessert Vorstellung der Kinder, welche sehr hübsch und artig gefunden werden.) Am Morgen Brief Richter's, welcher seine Entlassung verlangt hat, er wird ersucht zu bleiben, R. antwortet ihm, auf der Entlassung zu bestehen.
Montag 26ten
Kostüme vom Rheingold angekommen, sehr dumm und phantasielos. Brief vom düpierten Kapellmeister Esser, sehr glücklich, daß R. ihm freundlich geschrieben. R. sagt mir, es sei ihm die Vorstellung gekommen, daß er zu dem Zustande des Glückes gekommen sei, wo er nur noch zu konservieren wünsche; er verlange nichts hinzu, keine Veränderung, nur die Dauer. Lulu und Boni schreiben ihrem Vater, diktieren mir zuerst. Regen. Nach Tisch schreibt R. nach München, die Kostüme sind so gut wie nicht entworfen. Ein wenig im Garten. Eva unwohl. Abends mit den drei Älteren R. entgegen gegangen. Er hat einen drolligen Brief von Seroff erhalten; dessen Frau scheint eine Wut gegen Judith gefaßt zu haben; kurz, er hält sich lange über die Unberechtigung der Franzosen [auf], den Werken R.'s zuzuhören, während seine Frau, oh seine Frau! Viel Heiterkeit hierüber.
Dienstag 27ten
Schrecklicher Traum, daß R.'s Kopf in Flammen geraten durch sein unvorsichtiges Umdrehen einer Gasflamme, darauf ein zweiter, sanfterer, jedoch wehmütiger Traum über R. Am Morgen stets nach dem Herzen gegriffen. R. kommt herauf und sagt, er habe eine üble Nacht gehabt und heftige Herzensstiche gehabt! Um 5 Uhr hat er an Seroff geschrieben: >Die ihn so störenden Franzosen seien nun fort, und die Musik könne jetzt so ernst und kopfhängerisch vor sich gehen, als es seiner Frau recht sein könne.< - Mit Freude gedenken wir unsrer neu gewonnenen Freunde, namentlich ihrer. Dann lacht R. darüber, daß wir uns stets so gut verstehen, »oh, wie werden wir glücklich sein - was ist Goethe's glückliches Alter gegen das meinige?« Dann sagt er, die Kunst käme ihm zuweilen förmlich bedenklich vor und als ob er vielleicht in diesem höchsten Genuß des Schauens einen unerkannten Gram um sich habe. Große Freude an den Kindern. Loulou den Orbis Pictus[18] gezeigt, während Boni
abschreibt. Schauerliche Geschichte einer in Krakau eingesperrten und dadurch zum Wahnsinn gebrachten Nonne. - Eva leidend an den Zähnen. R. an seine Arbeit, nachmittags Grimm's Märchen. Dann mit Lusch R. entgegen. Unterwegs Begegnung Am Rhyn's, welcher mitteilt, in der Luzerner Zeitung habe gestanden, der K. v. Bayern sei auf Tribschen, in Bern habe ihn alles gefragt, und der Luzerner Polizeidirektor habe ihm in der Eisenbahn gesagt: >Er habe eine Spürnase, er wisse, der König sei auf Tribschen.< - R. ärgerlich hierüber. - Da ich überrascht bin, keine Antwort von M. M.* (Mathilde Maier) zu haben, frage ich R., ob er einen Brief unterschlagen habe; da erfahre ich, daß ein förmlicher Briefwechsel stattgefunden hat, auch gibt mir R. unrecht, daß ich ihr nicht die Geburt Siegfried's gemeldet habe. Leider kränkt mich dies tief; wie schwer ist doch der Eigenwille gebrochen; wann ist der Mensch gänzlich seiner entäußert? - Neulich sagte mir R., es sei zwischen uns doch anders geworden, ich sei nur noch ernst freundlich gestimmt. Und doch ist nichts verändert, als daß ich keine Freude will außer der, ihn glücklich und gesund und meine Kinder gedeihen zu sehen. Vor Jahren, als das Geschenk seiner Liebe mir wurde, erfaßte mich ein Taumel; wie auferstanden begrüßt ich das Licht, vergaß alles, was ich wußte, und glaubte an ein Glück auf Erden, glaubte daran und verlangte es. Nun weiß ich wiederum alles, und darum will ich gern nur wie ein Schatten wandeln - doch hat es mich gekränkt heute, so schwach ist man, während doch alles Leiden mir willkommen sein sollte! - An Claire vormittags geschrieben, ihr 1000 fcs geschickt, um sie für Loulou anzulegen. Eva abends etwas wohler.
Mittwoch 28ten
Kinderunterricht; Raphael'sche Bilder ihnen gezeigt. Eva immer leidend. Nachmittags zur Klavierstunde Loulou geführt. Gräfin Bassenheim manches mitgeteilt (vor unsrem Arzt wie vor einem Spion gewarnt, weil seine Verwandten in München lebten). Oberst Am Rhyn meldet, daß R. das Gerücht der Anwesenheit des Königs von Bayern nicht dementieren könne, weil dies im klerikalen Blatt gestanden habe! - R. heute wenig gesehen. Brief von Judith aus München. Ich antworte gleich.
Donnerstag 29ten
Eva leidend. Boni zum Zahnarzt, R. bei der Arbeit; Lusch mit Raphael beschäftigt. Siegfried wohl (nur immer das weiße Pünktchen!), Loldi pflückt Johannisbeeren. Nachmittags Besuch des Augenarztes, ein wackrer Mann. Abends den Kindern die Laterna Magica gezeigt und nach dem Tee mit R. Klavier gespielt. -
Freitag 30ten
Wie ich eingeschlafen war, kam R. zu mir und gab mir viele Küsse; ich weiß selbst noch nicht recht, ob dies erlebt oder geträumt war. Ich habe einer jeden persönlichen Freude entsagt, gewähre es mir Gott, daß der Geliebte und die Kinder durch meine stille Gegenwart glücklich seien. Beim Frühstück lese ich R. von der Humboldt-Feier,[19] er sagt scherzend: Ich würde es erleben, daß sein Standbild bei seinem 100jährigen Geburtstage aufgestellt würde! Ich: »Siegfried mag dem beiwohnen, ich nicht.« »Ah doch, du würdest dabei empfinden, daß du in einem großen Meere geschwommen hast.« Mir ist jeder Gedanke [an] einen Triumph, Erfolg beinahe unerträglich. - Dann frug ich R., ob er meine, daß ein jeder Knabe eine wilde wüste Jugendzeit haben müsse, er meint: »Ja, schon um der heilsamen Sehnsucht willen, wieder zu sich zu kommen. Dies ist mir an Mendelssohn von je bedenklich erschienen, daß er nie außer sich geraten ist. Freilich braucht diese Periode nicht so kleinlich wie bei mir auszufallen, und kann sie schön veredelt werden, wie z.B. durch Kriegszustände, an denen man teilnimmt (1813), oder durch Reisen, mit persönlichen Strapazen verbunden, nach Norwegen oder so wo hin.« Im Garten besucht mich R. und sagt: »Ein Glück fehlt zu meinem Glück, daß du glücklich seist.« - »Jeanne d'Arc's Leben« ausgelesen, nachher in Gedanken versunken, wie ich den Kindern die Einfalt und die Reinheit werde wahren können. Einfalt und Reinheit, diese unerfindlichen Gewährer des Friedens? - Nachmittag Besuch der Gr. Bassenheim; Depesche von Frau Laussot. — (Spät abends). Könnte ich meine Kinder das erkennen lassen, was ich nun so schmerzlich erkannt habe, daß der Mensch nur groß im Ertragen sein kann. Nichts vermag er als dulden; nur dadurch auch kann er beglücken. Wehe dem, der in das Schicksal eingreifen will und auf seine Kraft bauend etwas lenken und besser machen will. Mit welchem Hohn erwidert ihm das Schicksal, und wie schmerzlich ist dieser Hohn! Was auch über euch kommen wird, Kinder, tragt es still und stumm, glaubt nur nicht, daß ihr etwas andres könnt. Nichts können wir; und wer nicht zu ertragen versteht bis zum Tode, der vergibt noch das einzige, was er hat. Mit blutendem Herzen und weinenden Augen sagt euch das die Mutter, hört auf sie, Kinder, hört auf sie. - (Gewitter bei Nacht).
Samstag 31ten
Wehmütige Nacht, wehmütige Morgenstimmung. Lusch's Übungen zerstreuen schwere Gedanken. R. kommt hinzu und meldet, daß Hans durch Dr. Hallwachs[20] mich hat ersuchen lassen, einen gerichtlichen Akt zu unterzeichnen, nach welchem wir uns scheiden lassen. Mir erscheint es gut, daß es so geschieht. Nur erschrickt mich der Gedanke, daß vielleicht Hans durch Roheiten dazu gebracht worden ist. R. scheint durch diese Mitteilung glücklich, somit ist mir auch wohl, wenn auch sehr ernst. - Besuch des Professor Nietzsche; ein wohlgebildeter und angenehmer Mensch. Nach Tisch zur Gr. B. wegen der Klavierstunde; ein Moment der Expansion, kummervolle Betrachtung des Lebens. Zu Hause Seroffs angetroffen. Großer Regen. Eva immer zu Bett, der Arzt unbesorgt. Tobendes Gewitter und schwere Gedanken.