Juni

Dienstag 1ten Juni
Wie soll ich diesen Jammertag niederschreiben? Am Morgen arbeitete ich mit den Kindern; es fiel mir wohl auf, daß R. nicht an seinen Siegfried ging und trauriger Stimmung war, ich frug ihn aber nicht. Abends sagte er mir, er habe tags vorher einen Brief von Hans erhalten, er kämpfe mit sich, ob er zu ihm ginge. Der König hat »Tristan« doch befohlen und zwar mit dem Ehepaar Vogl,[1] ein wahrer Hohn! Nun muß Hans die Proben leiten, dies reibt ihn auf, er bittet R., ihm zu seiner Entlassung zu verhelfen. Sein Brief ist jammervoll, ich wünschte, er ginge hin. Dieser erwartet nichts Günstiges von der Begegnung und sträubt sich dagegen. Frühester Abend - wer könnte den Tod noch fürchten, der solche Stunden erlebt.
Mittwoch 2ten Juni
Die h. Blandine,[2] früher ein Festtag für mich! - Loldi sehr unruhig die Nacht; ich weinend und mich bezwingend. R. schreibt an Hans, daß er entschlossen sei, ihn zu besuchen, wenn Hans es wünsche, und indessen nur von ihm erwarte, daß er eher, als das Werk der Schmach einer solchen Darstellung preis[zu]geben, seine Entlassung fordere. - Es ist hübsches Wetter, und somit kann ich die Kinder sich im Garten ergehen lassen und ihnen meine Todesstimmung verbergen. Ich lege mich endlich hin und schlafe ein. R. kommt zu mir und behütet meinen Schlaf; er liest im Buche seines Onkels Wagner und erzählt mir dann bei Tisch daraus. Nie habe ich noch so gekämpft, um meine Stimmung zu verbergen. Nach Tisch mit den Kindern zur Klavierstunde. Ich kann bei der Gräfin B. meine Gedanken kaum zusammenfassen. R. begegnet, wir sprechen nicht mehr über das, was uns erfüllt. Abends etwas gelesen (Ad. Wagner über die drei Teile der Dante'schen Dichtung: Inferno-Plastik, Purgatorium-Malerei, Paradies-Musik). Traurig zu Bett.
Donnerstag 3ten
Traurig auch aufgestanden und unwohl. Dem König geschrieben und ihn gebeten, »Tristan« abzusagen. R. kommt an mein Bett und fragt mich, ob ich denn leben, ob ich zugrunde gehen werde; er ginge mir nach, das müßte ich wissen. Ich stehe auf und fasse mich, Gott hilft, wenn die Not am größten ist, sagt das Sprichwort. (Briefe von Claire an mich, und Math, an R.) (* Mattigkeits-Beklemmung)  (* Ab hier fortgeführt in der Handschrift Richard Wagners.)R. versucht vergebens, sich mit seiner Arbeit zu befassen. Wir saßen im Garten, als die Kinder dort speisten: R. hatte mich durch Loldi rufen lassen. Er klagte über die Nötigungen seiner künstlerischen Bestimmung, dadurch, daß er ihnen gehorche, seine moralischen Anlagen unausgebildet lassen zu müssen: nebenbei könne er nichts tun, oder alles fiele schlecht aus; ganz moralischer Mensch sein heiße über sich ganz aufopfern. - Ich**  (** Wort zuerst begonnen: »Cos«, dann überschrieben) schwieg. Übler Tisch durch Lulu's Gegenwart, allmählich heitere Stimmung. Dann wieder Garten. R. liest Parzival's Geburt aus Wolfram's Gedicht vor.[3] Große Schönheit; sehr ergriffen. - Mit Lullu gearbeitet. - R. in die Stadt; als die Kinder zu Bett gebracht, begegne ich ihm bei der Heimkehr. Beim Abendessen ward mir übel; ich entfernte mich nun in die obere Etage, [um] zum Kindermädchen zu gehen. R., welcher in dieser mir auferlegten Bemühung den Vorwurf für sich erblickte, meiner Bequemlichkeit durch die erneuerte und so sehr verzögerte Wohnungseinrichtung empfindliche Hindernisse bereitet zu haben, verlor ganz den Kopf und erging sich in unmäßigen Ausdrücken seiner Bekümmernis. Er beklagte sich, daß ich seinen täglichen Bitten und Vorstellungen, die für mich endlich wieder hergerichtete Wohnung auch zu beziehen und alles mir bequem zurecht zu legen, fortgesetzt, wie es ihm schiene, unter Ausflüchten, mein Beharren entgegensetzte: er müsse sich hierüber die allertraurigsten Gedanken machen, welche ihn fortwährend einnähmen und wie Todesangst peinigten. Ich gewann über sein Rasen endlich so viel, daß er mich anhörte, als ich ihm den Grund meiner Zögerung, in die mir bestimmte Wohnung herabzuziehen, daraus erklärte, daß die (allerdings früher zwischen uns verabredete) Nähe seines Schlafzimmers an dem meinigen, jetzt, da die älteren Kinder hier seien, mir peinlich wäre. Da dieses sein Schlafzimmer, wie andererseits ebenfalls verabredet war, in der Nähe der erwarteten Entbindung für die nötige Kinderwärterin eingerahmt werden soll, mußte ich zugeben, daß es mir lieb sei, jetzt nicht eher hinunterzuziehen, als bis es zu dieser Einrichtung käme. Diese Aufklärung schien R. sehr zu überraschen und wirklich bitter zu stimmen; er meinte, ich hätte ihm dies längst offen erklären sollen, da er in diesem Betreff über meine Ansichten und Wünsche irregeleitet worden sei. Er ward sehr ruhig, aber, ich glaube, nicht minder betrübt. Wir trennten uns sehr traurig.
Freitag 4ten
Früh. R. stand schon vor 6 Uhr auf und gab Auftrag, daß sein Schlafzimmer wieder in die untere Wohnung verlegt werde.— Wie ich herunterkomme, übergibt mir R. dieses Buch mit den von ihm hineingeschriebenen Seiten. Mir wäre es lieber, er hätte dieses nicht getan. Ich glaube, ich erhielt gestern den Gnadenstoß, und ich stehe vor dem Leben wie vor dem unentwirrbaren Rätsel, über das ich auch nicht mehr sinnen will. Ich beschäftige die Kinder mehr, als daß ich mich mit ihnen abgebe, denn es sieht traurig in mir aus. R. scheint leidend, ich vermeide jede Erwähnung des gestrigen Abends - weil ich nichts darüber sagen kann. Er ist mir wie ein Gottesgericht; und es ist zu tragen. R. beschäftigt sich mit Beethoven und spricht von dessen Tod (im 57. Lebensjahre). Er sagt auch, es sei ihm eine große Sehnsucht angekommen, den Siegfried zu vollenden. Gott gebe ihm Kraft und Heiterkeit dazu. Ich bin den ganzen Tag wie betäubt; einzig widert mich eine Sendung des Dr. Lang sehr an; eine Judenbroschüre, in welcher ein Brief R.'s an Tausig abgedruckt ist. Es ist mir dies aber unangenehm, doch tut es eigentlich nichts zur Sache. In der Stadt mit den Kindern, im Schiff heimgekommen. Ruhiger wehmütiger Abend.
Samstag 5ten
Herrliches Wetter, Sommerbrunst. Der Philologe Prof. Nietzsche meldet sich an, R. wollte ihm absagen, ich meine, es ist besser, daß er kommt. Aus dem Zustand der Betäubung komme ich noch immer nicht heraus, wie ein weites fernes Echo vernehme ich alles, und wie im Nebel zerfließen mir die Dinge. Lange Besprechung mit R.; er glaube, daß ich ihm irgendetwas nachtragen kann, während jede Härte von ihm mich einfach vernichtet. (* Mit Nietzsche den Abend erträglich zugebracht. Gegen 11 Uhr Gute Nacht gesagt. Die Wehen kündigen sich an. Verlasse um Mitternacht das obere Schlafzimmer bei den Kindern und trage, um niemand wecken zu dürfen, meine Betten in 2 Gängen selbst in die untere Schlafstube hinab. (*  (  ) Ab hier wieder in der Handschrift Richard Wagners)
Sonntag 6 Juni
Um 1 Uhr zu Richard hinunter, um ihn zu unterrichten und zunächst zu bestimmen, kein Aufsehen zu machen, keine Abänderung der beschlossenen Tagesordnung eintreten zu lassen u. Nietzsche zum Mittagessen mit den Kindern zu behalten. R. wirft mir seinen Schlafrock um und geleitet mich hinauf zu Bett. Die Krämpfe mehren sich: um 2 Uhr lasse ich Vreneli wecken und nach der Hebamme schicken. Nötige Vorbereitungen, im Nebenzimmer den erwarteten Ankömmling zu empfangen; doch wird die Zeit nicht für so nahe gehalten; ich befürchte die Schwäche, die bereits die Geburt Eva's verzögerte. R. am Bett in großer Sorge. Nach 3 Uhr kommt die Hebamme, um im Nebenzimmer zu warten, da ich niemand sprechen will. Es scheint etwas Ruhe einzutreten. R. will dies benutzen, um durch einige Stunden Schlaf sich für den bevorstehenden Tag zu stärken. Er geht hinab, legt sich zu Bett, wird aber von Unruhe gepeinigt, kleidet sich wieder an. kommt herauf; er stürzt herein und findet mich bereits unter der Behandlung der Amme in den wütendsten Schmerzen. Ich erschrak, da ich ihn plötzlich vor mir stehen sah und ein Gespenst zu erblicken wähnte, wendete mich entsetzt ab und trieb ihn somit aus der Kammer in den offenen Salon daneben; als er von neuem mich jammern hört, stürzt er abermals herein, da die Amme mich für einen Augenblick verlassen hatte; ich faßte seinen Arm, wand mich krampfhaft daran, bedeutete ihm aber, nicht zu sprechen. Die Amme kam zurück, R. entfernte sich wieder in das Nebenzimmer; dort blieb er Ohrenzeuge des Entbindungsvorganges u. hörte den Jammer der gebärenden Mutter an. Da er Vreneli hinzukommen hört und auch einige Worte der Amme vernimmt, wie sie bestürzt ausruft: Ach, Herr Gott im Himmel! glaubt R., etwas Furchtbares sei mir geschehen, eilt auf die Treppe, um es von der davonstürzenden Vreneli zu erfahren: diese aber lacht ihm freudig entgegen: »Ein Sohn ist da!«[4] Ihre Bestürzung hatte nur der Überraschung gegolten, weil so wenig noch vorbereitet war. Jetzt ging R. in den Salon zurück: von der ohnmächtigen Mutter vernahm er wenig mehr, dagegen unterschied er nun deutlich das kräftige Schreien des Knaben. Er starrte in erhabener Bedeutung vor sich hin; da überraschte ihn ein unglaublich schöner Feuerglanz, der an der Orange-Tapete zunächst der Schlafzimmertüre mit nie gesehener Farbenglut sich entzündete und auf die blaue Schatulle mit meinem Portrait sich zurückspiegelte, so daß dieses, von Glas überdeckt und mit einem kleinen Goldrahmen eingefaßt, in überirdischer Pracht sich verklärte. Die Sonne war soeben über den Rigi hervorgetreten und hatte ihre ersten Strahlen hereingeworfen: der glorreichste Sonnentag leuchtete. R. zerfloß in Tränen; da dringt auch mir das Frühgeläute der Sonntagsglocken von Luzern über den See herüber. Er sah nach der Uhr und bemerkte, daß sein Sohn um 4 Uhr des Morgens geboren worden war. - Gegen 6 Uhr konnte R. bei mir vorgelassen werden; er teilte mir seine feierliche Ergriffenheit mit. Ich war heiter und froh gestimmt: das Geschenk, welches uns das Schicksal durch die Geburt eines Sohnes machte, erschien mir sogleich von unermeßlich tröstlichem Werte. Ein Sohn R.'s ist der Erbe und einstige Vertreter des Vaters seiner Kinder; er wird der Schützer und Geleiter seiner Schwestern sein. Wir waren sehr glücklich. Der Knabe ist groß u. stark: sie sagten, er wiege 2 Pfund schwerer als andre neugeborne Knaben. Wir besprachen seinen Namen: Siegfried Richard. R. trieb es, seine Freude dem Hause zu bezeugen: er ließ an die Hausleute ansehnliche Geschenke verteilen. - Von 9 Uhr an gewann ich, die Hand in R.'s Hand, den ersten stärkenden, wenn auch kurzen Schlaf von etwa 2 Stunden. Um Mittag mußte mich R. verlassen, um mit dem Gaste (Nietzsche) u. den Kindern das Mittagsmahl abzuhalten. Ich ward währenddem, den Umständen gemäß, gepflegt.1/2 5 Uhr war R. seiner mühevollen Abhaltung ledig. Wir verbrachten, während die Kinder eine Fahrt auf dem See machten, die Zeit ruhig und hoffnungsvoll. Um 9 Uhr schied R. von mir, um mich der Ruhe zu übergeben u. selbst von seiner Erschöpfung durch den Schlaf sich zu erholen.
Montag, d. 7 Juni
Die Nacht wenig Schlaf, große Schmerzen: erst am Morgen etwas Ruhe. Beim Wiedersehen am Morgen konnte ich dennoch R. nur Zuversichtliches über meinen Zustand mitteilen. Mit Ausnahme der Zeiten, in welchen ich mich der unmittelbaren Pflege der Wöchnerinnen übergeben mußte, brachte Richard den Tag tröstlich an meinem Bett zu. Doch fuhr er um Mittag in die Stadt, um für Jakob (auf den Namen von dessen Sohn Wilhelm) eine schöne Uhr zu kaufen; ich war mit der Anschaffung zufrieden und übergab die Uhr Vreneli, welche sie wieder ihrem Manne zum Tragen zustellen mußte. Das Geschenk wurde mit Rührung aufgenommen. - Wir besprachen das von uns zu wünschende zukünftige Verhältnis des etwa ungefähr 8 Monate älteren Sohnes unsres treuen Hausverwalters zu Siegfried: R. sagte, er wünschte, er hätte jenen Knaben damals sogleich »Kurwenal« nennen lassen; denn etwa wie Kurwenal zu Tristan möchte er, daß Wilh. sich zu Siegfried verhalten solle. - Viel Heiteres, wehmütig Stolzes ward besprochen. Auch die Kinder ließ ich an mein Bett kommen. Die Unruhe der jüngeren strengte mich bald an. Ich litt an diesem Tage sehr viel: die Schmerzen der Nachwehen waren bedeutend stärker als bei Eva's Geburt. Doch ging ich getröstet und vertrauend, wenn auch übermäßig schwach der Nacht entgegen, welche im Ganzen doch so verlief, daß ich die Wärterin nicht ein einziges Mal zu mir herrief, was diese, die zum ersten Mal neben einer Wöchnerin die Nacht ruhig verschlafen konnte, sehr angenehm verwunderte.
Dienstag. 8 Juni
Ich konnte freundlich und heiter R. am Morgen empfangen, welcher dagegen etwas leidend erschien, woran die Gewitterluft hauptsächlich schuld war, welche auch mich den Tag über sehr unruhevoll und schwach machte. Dem Sohn geht es gut: R. lacht über seine starken Fäuste; sein wohlgebildeter Kopf erfreut uns beide. Wir besprechen viel die bedeutende Wende, welche durch ihn in unser Schicksal getreten ist. - Hermine war noch am Abend zuvor zurückgekommen. Die Kinder waren sehr zufrieden, sie wiederzuhaben. Heute ging R. hinab, redete zu ihr, und fand sie ganz nach Wunsch gefaßt, ihren Pflichten, unserem Vertrauen gemäß, treu und ausdauernd nachzukommen. Auch ihr machte R. ein bedeutendes Geschenk, und gab ihr außerdem die Zusicherung, für sie ihr Leben lang sorgen zu wollen, wenn sie sich treu und gut bewähre. Manches Beruhigende kam mir durch R.'s Mitteilungen zu. Nur blieb im ganzen mein Zustand sehr schmerzhaft, und namentlich die Ermüdung und Schwäche waren groß. R. war gegen Abend mit den Kindern länger in der Stadt, um Besorgungen abzumachen. In Betreff der Taufe des Sohnes soll ein Versuch gemacht werden, ob der hiesige protestantische Pfaffe glaubt, ohne Aufsehen bei der katholischen Geistlichkeit zu erregen, den heiligen Akt still in unserer Wohnung vollziehen zu können. Freundlich und mild verlief vom Inneren aus der Tag: Siegfried gedeiht, u. die Mutter will gern u. froh leben. - Gegen 10 Uhr verläßt mich R. in endlich eingetretenem Schlafe. - (Brief von Villot.)[5]
Mittwoch 9 Juni Gute Nacht:
Siegf. etwas unruhig. R. erkundigt sich nach 5 Uhr und findet mich schlafend. Dann tritt er gegen 8 Uhr zu mir und sagt die Strophe, über welche er sich soeben mit sich geeinigt hatte:
Leuchtende Lie-be, lachender Tad
Leuchtende Liebe, lachender Tod[6]
Heiterer, freundlicher Tag.
Aus dem Bett auf der Chaiselongue im Salon. R. speist oben. Die Kinder (mit Ausnahme Eva's) mit Hermine nach dem Selisberg geschickt: Vormittag viel mit ihnen zusammen. 5 Uhr reisen sie. Viel besprochen: Nachrichten durch Claire über Mama u. Charnace (Pasdeloup). Abends Schmerzen: zu lange aus dem Bett. Besorgnis R.'s.

Donnerstag 10 J.
Wenig geschlafen: starke Schmerzen. Nötigung zu unausgesetztem ausgestrecktem Liegen. R. unwohl und trüber Stimmung, durch mein Übelbefinden in Besorgnis gesetzt. Angstvolle Träume von den verreisten Kindern beunruhigen mich. Telegramm ohne Antwort. Besorgte ängstliche Stimmung den Tag über. Besprechungen wegen der Taufe; wegen Hans. Dazwischen liest R. aus »Don Quixote«, zu großer Erquickung. - (Brief eines Dresdner Juden »Ahasverus«. - Erklärung des Pester Musikers Altsohnl [7](Jude), in der N. Freien Presse: R.'s Telegramm: »Eljen Altsohnl.«) - Berliner Vorschuß (100 Tr. d'or) auf die Meistersinger. - Mühvoller Tag. Endlich abends Depesche aus Selisberg: die Kinder abends zuvor um 9 Uhr gut oben angekommen. Einige Beruhigung. Nach einem warmen Bade abends auch R. besser: Hans vielfach besprochen: ernst, doch ohne Aufregung. Viel Schmerz u. Müdigkeit.
Freitag. 11. Juni
Gestärkt durch guten Nachtschlaf (seit langer Zeit der erste!) auch R. wohler. Er erklärt, versuchen zu wollen, ob er die Komposition wieder aufnehmen könne. Taufe beraten; Frage: ob hiesiger Pfarrer? Schure's Schwiegervater oder R. 's Neffe Clemens? Verzögerung dünkt rätlich. (Brief einer Harfespielerin.') Besseres Befinden: der Sohn soll zum ersten Mal im Garten promeniert werden. R. arbeitet am Siegfr. wieder. Ich bespreche mit Vreneli viel die häuslichen Angelegenheiten. Gegen Mittag aus dem Bett in den Salon, auf dem Kanapee. Dort mit R. gespeist. Der Knabe ausgetragen. Eva allein im Haus.-Abends Briefe 1. von Hermine, die Kinder betreffend: beruhigend (Chaillou).[8] Flaxlandan R. - wenig Aussicht auf finanziellen Gewinn aus dem Pariser Erfolg - vorläufig. - »Don Quixote« herrlich! Einen Teil des Nachmittags und Abends damit ausgefüllt. Sanfte »gute Nacht«.
Sonnabend 12. J.
Fortschreitende Genesung. Von R. geträumt, in Mailand (aber am Meere) geheimnisvoll einem Flüchtling helfend und die c moll Symphonie [9]dazu aufführend. - Ruhe, schönes Wetter. Eva artig, spricht alles gut nach. Wohlgefallen an Siegfried's Bildung. - R. an die Arbeit: er will in wenig Tagen mit den Skizzen fertig werden. Heute bis zu: »O kindischer Held.« - Ich schreibe bereits Briefe, an Hermine u.s.w. -Die Schaukel im Garten ist fertig. - Nichts Bedeutendes fällt vor. -Abends »Don Quixote«. 10 Uhr getrennt. -)* (* Ende der Eintragungen Richard Wagners)
Sonntag 13ten   
O Heil dem Tag, der uns umleuchtet, heil der Sonne, die uns bescheint! Wie will ich Ärmste die Gefühle niederschreiben, mit welchen ich dieses Buch wieder in die Hand nehme? ... Als die Frau mir sagte: »Ich gratuliere, es ist ein Knäblein« - mußte ich weinen und lachen und beten. - Erhalte ihn mir, Gottheit, die mir ihn gab, er sei die Stütze seiner Schwestern, der Erbe seines angebeteten Vaters. Nun mein Glück so süß greifbar mir vor Augen liegt, erscheint es mir immer heftiger, körperloser, ich sehe es schweben, sich erheben hoch über alle Nöte und kann nur der Weltseele danken, die uns durch solches Zeichen verkündete, daß sie uns freundlich ist. Prachtvoll leuchtet der Tag, ich schlief die Nacht nicht, befinde mich aber wohl. Ich überlegte einen an Hans zu schreibenden Brief, worin ich ihm mein früheres, mein jetziges und mein künftiges Verhältnis zu ihm (wenn er darauf eingehen will!)* (* An den Rand geschrieben) darlegen will. Gott gebe mir das Richtige, um ihm ein wenig zu helfen. R. arbeitet, ich höre es mit Wonne; wie er zu mir heraufkommt, teilt er mir mit, wie wunderbar es sich fügt, daß sein Jubel-Thema (»sie ist mir alles«) sich zu dem Motiv »Heil der Mutter, die mich gebar« als Begleitung vortrefflich anschmiegt, so daß dieser Jubel im Orchester ununterbrochen bis dahin, wo Siegfried selbst darin einstimmt, erklingt. Morgen wird er wahrscheinlich mit der Skizze fertig! - Wie er heraufkommt, weckt er mich, »die große Zenobia«,[10] der Name sei ihm für mich während der Arbeit eingefallen. Als ich ihn frage, sagt er: Ich sei groß, wahrhaft groß. - Groß kann aber an mir nur die Widerspiegelung seines Wesens sein. Bei Tisch sagt er mir: Das wisse er, daß ich an allen Wesen nur teilnehme, wenn ich sie betrübt und meiner bedürftig sehe, daß, wenn ich ihn aber froh sehe, ich davon erst glücklich bin. So ist es in Wahrheit. Unsren Siegfried betrachtet; wie R. ihn allein sah, erschien ihm das Kind, wie es dereinst sein wird, sinnend und ernst; sehr ergriffen teilt er mir dieses mit: Es sei, als hätte er das Eidolon unsres teuren Knaben gesehen. Gott erhalte ihn uns! - R. erzählt mir, die Mutter habe von dem Pariser Quartett auf Tribschen gehört und angenommen, dies habe der König von Bayern bewerkstelligt, wobei man sich nicht wundern könne, daß er kein Geld mehr habe, um Semper anzustellen, er habe an Wagner genug. Wir lachen sehr über die erbärmliche Absurdität; »auf alles kommen die armen Leute«, - sagt R. - »nur nicht darauf, daß der Enthusiasmus eines liebenden Weibes mir die Freude bereitet hat.« - Bei wunderbarstem Sonnenuntergang, beim Fenster liegend, schreibe ich diese Zeilen. Könnte ich einen Hymnus an die Gottheit singen! R. singt ihn für mich, der meinige ist meine Liebe zu ihm. Mein Siegfried, Krone meines Lebens, zeige du, wie ich deinen Vater geliebt! - Den Tee mit R. getrunken. Um 9 zu Bett. R. liest mir aus »D. Quixote« vor.
14ten Montag
Inmitten von Cardenio's Abenteuer eingeschlafen und bis halb sieben am Morgen nicht aufgewacht. Sogleich den Knaben gesehen. Von R. träumte ich wieder. Als er kam, sagte er mir, er wisse, welches der kleine Vogel sei, von dem ich ihm erzählt, daß er immer um halb vier Uhr morgens ganz allein beim ersten Tagesleuchten zwitschert, er habe ihn auch gehört, es sei Siegfried's Vogel, der ihn angekündigt und nun sich nach ihm erkundige. - R. brachte einen chinesischen Roman, von Mme Mendes ihm zugeschickt (»témoignage d'inexprimable admiration«),[11] und den ich beinahe ausgelesen habe. Um ein Uhr kommt er mit den Skizzen in der Hand, »richtig ausgetragen« steht darauf, er meint,
jetzt ist unser Kind erst geboren. Er ist göttlich wieder, dieser Akt! - Betrübt werde ich nur, wie R. mir sagt, daß er des Knaben Mannheit nicht erleben würde, und beklagt, daß wir uns vor fünfzehn Jahren nicht fanden! - Das Wetter ist heute übel, Föhnluft, und R. davon angegriffen. Depesche von Hermine, die Kinder gesund; abends »Don Quixote«.
15ten Dienstag
R. eine üble Nacht gehabt, was mich sehr betrübt, auch befürchte ich, daß er nicht so bald zur Ausarbeitung seiner Skizzen gehen wird. Brief Herminen's, die Kinder wohl und vergnügt. Eva hier blühend und Siegfried sich entfaltend. Ich stehe ganz auf, bin aber noch sehr schwach. Brief Richter's, Nachricht, daß Hans seine Entlassung aufgrund seiner Gesundheit gefordert hat! R. wußte es bereits. Ich schreibe ausführlich an Hans unter großer Bekümmernis. Letzter Versuch einer Verständigung. - Mit R. in ernster stiller Stimmung. Ob mir noch die Gnade wird, daß Hans zur Ruhe gelangt?... Abends »Don Quixote«, ich schlafe ein und bin sehr ermüdet.
16ten Mittwoch
Große Angegriffenheit nach einer schweren Nacht, ich kann noch nicht viel ertragen. Vreneli erschrickt mich sehr, indem sie mir von einem Briefe des Dienstmädchens in München sagte, welche eiligst nach Herminen's augenblicklichem Aufenthalte frug. Alles Schreckliche stand vor mir, und ich suchte mich nur zu fassen, indem ich dieses Schreckliche als wirklich eingetroffen annahm. R. kam; bevor er zu mir hereintrat, machte er noch etwas zurecht im Salon, was mich zu der scherzhaften Bemerkung veranlaßte, er müsse doch immer etwas mit den Sachen angeben; beinahe betrübte ihn der Scherz, und ich erwähnte ihn nur, weil es die einzige Differenz zwischen R. und mir ausmacht, daß er Freude an Wohlsein und hübschen Dingen hat, während ich beinahe lieber entbehre als genieße. Oft denke ich mir, daß ich einmal werde völlige Not erleiden müssen, um die Eigenschaft zu bewähren, die sich jetzt zuweilen selbst übel ausnimmt. Siegfried wurde uns gebracht; wie will ich ihn sorgsam erziehen! Gewiß haben die Sterne alles bestimmt und er ist bereits, was er sein wird, doch kann die Erziehung das Wachstum begünstigen; ob er eine wuchtige Eiche oder eine hagere Pappel, ist bestimmt, doch ob der Baum schön gehalten, nicht von Parasitenpflanzen beeinträchtigt und von Würmern gequält wird, dafür ist die Pflege da, die Erziehung. Ich will der treue Gärtner sein, der dich begreift und beschützt, mein kleiner Bursch, mein guter Bursch. R. behauptet, es wird ein Genie, weil er mein Sohn ist, und wünsche nur einen Mann. - Da ich sehr schwach bin, bleibe ich zu Bett, R. spielt seinen ganzen dritten Akt durch. Wie schön, daß dieser nun für uns da ist. R. ist traurig, daß ich so angegriffen aussehe, und sagt: Ich litte zuviel. Der Weg des versöhnlichen Auseinandersetzens, den ich mit Hans eingeschlagen, brächte mir viel Leiden, allein ich hätte recht oder vielmehr, ich sei das Recht selbst. Dann besprachen wir das Vervollkommnen der Bibliothek für Siegfried, er will mit ihm wieder lateinisch lernen. Für das Gestalten unsres Glückes - sagt er -, wäre er nicht besorgt, wenn nicht das, wovon wir uns trennen, da wäre. Noch einmal gingen wir alle unsre Münchner Leiden durch - wir, auch wir, haben nicht anders gekonnt! Hernach in Eckermann-Goethe [12] gelesen. R. ging an das Klavier, ein Blick in die französischen Lieder seiner Jugend (die er mir zu Weihnachten abgeschrieben und geschenkt) erfüllt ihn mit heftiger Bitterkeit; er entsann sich, wie er bei Mme Viardot draußen gewartet habe und dann sie gebeten, die Attente zu singen, was sie ihm mit »verklärtem Blicke« verweigerte. Zuviel habe er schon ertragen; nicht einen Mann habe er gefunden; ich frug ihn, ob es mit den Frauen denn besser stünde. »Ja«, sagte er lachend, denn er habe mich.* (* Ursprünglich »sei mir begegnet«, letztes Wort nicht gestrichen) Hierauf machte er sich fertig zum Spaziergang. Als er heraufkam, weinte er, in ihm sei nichts als Preis und Glorie für mich, Wehmut und Bitterkeit über alles andre. Kos' Zustand macht uns wieder viel Kummer, der arme Hund ist wohl geliefert! - R. sagt, er möchte der Viardot ihren Dore'schen »Don Quixote« zurückschicken; die Illustrationen mißfallen uns immer mehr. Aus dem Gedichte von Cervantes hat der Franzose nichts wie Karikatur entnommen; R. meint, daß z. B. Cornelius bei vielem Ungelenken es doch anders verstanden haben würde. Nun sträuben sich die deutschen Katholiken entschieden gegen das Konzil. Es ist wahrscheinlich den Deutschen noch einmal vorbehalten, die Ehre der Menschheit zu retten. Weder Franzosen noch Engländer würden sich noch darum kümmern, entweder würden sie sich einfach ducken oder die ganze Sache ignorieren. - Der Tag war in seiner Witterung trübe, abends erheitert er sich. (Am Mittwoch sollen die Hexen über einen Gewalt haben). Wie es am Morgen regnete, war es mir, als ob gute Geister mit mir weinten. R. gibt seine Kur auf, um seinen dritten Akt auszuarbeiten; mir ist es, als ob er recht daran tue, denn wir haben zu viele Sorgen, um daß er in Ruhe und mit Erfolg sich pflegen könnte; und die Freude an der Arbeit wirkt auch physisch wohltätig.
17ten Donnerstag
R. bekam Angst um mich die Nacht und kam um zwei Uhr herauf; ich aber habe tief geschlafen. Siegfried ist immer wohl und Eva auch; von den Kindern auf dem Selisberg habe ich ebenfalls gute Nachrichten; von der Gottheit bin ich gnädig und gütig behandelt, nur die Welt ist mir feindselig. So kann ich hier Siegfried nicht taufen, allerlei Schwierigkeiten stellen sich dem entgegen, der protestantische Pfarrer hat es Vreneli gesagt, die wir zu ihm geschickt hatten. Da muß man denn mit Geduld Rat schaffen. Heute zum ersten Male hinunter und im Garten, mit R. beim Taubenhaus. Lachender Empfang überall! R. sagte scherzend am Morgen: Was ihm wohl Siegfried noch alles tun würde, da er ihn schon von seiner Schlafstube expropriiert habe? ... Schöne Blumen stehen in meiner Wohnstube, ich seh nichts wie Gutes um mich herum, doch der Kummer lagert im Herzen; ich hoffe, Kinderchen alle, ihr werdet es leichter haben als die Mutter. Solch ein armes armes Wesen wie Hans gibt es gewiß nicht mehr. Er fühlt sich elend, daß ich fort bin, und niemals doch konnte ich ihn beglücken, ja nur erfreuen! Am Abend besprachen wir, R. und ich, das eigentümlich Geheimnisvolle unsrer Verbindung. Wie schüchtern zugleich und überschwenglich die ersten Annäherungen,[13] wie planlos unsere erste Vereinigung, wie schweigsam immer wir nur auf Resignation dachten, und wie die Verhältnisse und die Menschen uns zwangen, zu erkennen, daß unsre Liebe einzig acht war und wir beide uns einzig unentbehrlich wären. - »Der Weltgeist wollte, daß ich einen Sohn von dir bekam, und so hat er alles so gefügt; wir selbst sind ihm gezwungen gefolgt, ohne ihn zu verstehen.« - Abends bin ich sehr sehr matt und angegriffen. Auch erquickt uns »D. Q.« nicht mehr so, die sentimentalen Episoden sind konventionell.
18ten Freitag
Nachts kommt R. wieder in Besorgnis herauf, gerade klingelte ich, um wieder Licht zu haben; es war mir so schlimm zu Mute. Er gab mir die Lampe, und nun sann ich in der Helligkeit weiter. Ich weiß es, daß einzig das vollständige Opfer uns den Frieden erobert, nie werde ich sorglos sein, denn ich werde mich stets um denjenigen grämen, dem ich nicht helfen konnte, der sich eher selbst so wenig helfen kann. Opferte ich nur mich - und selbst ganz nutzlos auf, ich täte es unbedingt, allein - So spannen sich die Gedanken weiter, am Morgen schlief ich müde ein, den Vormittag im Bett mit den Eckermann'schen Gesprächen zugebracht, große Erbauung daraus entnommen. Solch ein großes Wesen wie G. bleibt ein unerschöpflicher Quell des Trostes. Bei Tisch bringt uns der undankbare Trotz eines Knechtes auf ein bedeutendes Gespräch. R. sagt, es gehöre ebensoviel christliche Liebe [dazu], um Gutes zu empfangen als zu erweisen; der niedrig Gestellte sagt sich: Warum kann ich nicht auch diese Gefühle hegen, warum kann ich nicht wohltun. Darin spräche sich die Einheit der ganzen Natur [aus], daß der Arme fühlt: Ich bin ein Leidender wie du, wir sind gleich. Und wiederum dieser bewußtlose Instinkt der Gleichheit macht die unüberwindliche Trennung. Nur der Heilige, der nicht wohltut, sondern sich zum Armen, zum Gefangenen macht, kann diese Trennung aufheben. Das tiefe Verständnis dieses Seelenzustandes habe ihm der Alberich eingegeben. - Heute hat R. sein »Was ist deutsch«[14] wiedergelesen und ist dadurch recht erfreut. Doch welche schwere Verurteilung fällt dabei über den jungen König! - Nach Tisch liest mir R. aus »Antigone« einige Scenen - das ist dann das Unvergleichliche par excel-lence. Der Kopf ist mir aber sehr schwach, es ist mir, als ob ich nicht ganz erwacht wäre aus schwerem Traume, ich fürchte, so bleibt es mein Lebelang. Wie ich gestern bei großer Müdigkeit mich gehen ließ, machte ich mir nachher große Vorwürfe, nichts, kein Leiden und keine Prüfung sollte mich der Pflicht vergeßlich machen, R. die Tage zu verschönen; dies prägte ich mir fest des Nachts ein und soll auch mein Halt sein. Abends Brief Lulu's und Herminen's. Ich schreibe an beide, auch an Richter. Abends bin ich sehr schwach.
19ten Samstag
Ich mußte heute zu Bett bleiben, der Arzt meinte es. R. ist die meiste Zeit bei mir und liest mir vor (Eckermann). Wenn er da ist, ist mir immer wohl, geht er aber, so überkommen mich Betrübnis und Schwäche; alle meine Handlungen erscheinen mir zweifelhaft, ich frage mich, ob ich nicht das Unmögliche gewollt und dadurch und dafür das Unrechte getan, und Tränen sind mein einziger Trost, da ich nicht tätig sein kann. - Die Post bringt einen hübschen Brief Champfleury's mit einem Buche »Les chats«. Sehr glücklich bin ich über die Gespräche Goethe's; in trübsten schwächsten Stunden ist immer der Verkehr mit einem Großen, Weisen, ein unendlicher Trost.
Sonntag 20ten
Da ich in Sorge war, daß keine Antwort von Hans gekommen, sagt mir R., es sei bereits ein Brief gestern angekommen. Er gibt mir ihn, indem er sagt, er sei sehr schön. Tiefe unaussprechliche Erschütterung. Wohl mehr in ihrer Folge als in Folge des Aufstehens werde ich wieder unwohl und muß mich zu Bett legen. Abends die Kinder zurück vom Selisberg, sie sind wohl und munter. Große Freude haben sie an Siegfried, der ihnen gezeigt wird. - Im Geiste nun bei dieser Tristan-Aufführung[15] in München, dieser fürchterlichen! Bei Tisch lächelten R. und ich, daß dieser arme Tristan immer als Giftpilz betrachtet wird; diese Nachtblume voller Anmut. R. meint, die Leute wollten alle das Tragische nicht. Situationen und Gefühle, an denen sich nichts ändern, nichts verbessern ließe, seien ihnen ein Greuel. Viele Tränen heute vergossen. - Bei Gelegenheit eines Ausspruchs von Goethe sagt R., darüber schienen alle
Dichter einig, daß an den Männern gar nichts sei, dagegen reservierten sie sich allenfalls die Frauen.
Montag 21ten
Immer zu Bett und schwach, doch mit den Kindern gearbeitet. Nachts war ich sehr in Sorge, daß Hans möge die Tristan-Aufführung nicht haben ausgehalten, ich ließ an Richter telegraphieren. Die Antwort lautet, Bülow während der Vorstellung aufgelebt, nachher munter, Rufe: »Bülow bleiben«, Erfolg großartig. R. spricht über das Werk und sagt, das Tellurische komme so recht darin zum Ausdruck; es komme ihm vor, als habe er sich in den ganzen Farbentopf hineingeworfen und sei nun triefend herausgekommen. Er habe zu dem größten Reichtum der musikalischen Mittel greifen müssen, weil die Handlung so einfach ist. Dem Musiker allein kam es zu, einen solchen Gegenstand bis zum Äußersten zu ergründen und dabei anmutig zu bleiben. Kindertafel vor meinem Bett. Abends den kleinen ein Grimm'sches Märchen (M = n Pfriem) vorgelesen. Später mit R. Eckermann. Ich überdenke Tag und Nacht meine Erwiderung an Hans; ich will ihm vorschlagen, nach München mit den Kindern zu kommen und mit ihm dort schließen.
Dienstag 22ten
Immer zu Bett und matt, aber doch etwas wohler. R. geht an seine Skizzen; »diese elementarischen Murksereien (Wotan heranbrausend) mag ich gar nicht mehr«, sagt er. Die Kinder alle fünf bei mir, »Cinque Canti« nennt sie R. scherzend. In Bezug auf die beiden ältesten, die keinen Zug von mir haben, sagt er, da sähe man, wie das Weib sich verhalte, wie die Erde zur Sonne, sie sei ganz passiv, und nur, was der Mann hineinlegt, kommt heraus; außer wenn die Erde nun selbst in Affekt, in Enthusiasmus gerate, wenn Tellus in Sol sich verliebt, dann wirkt sie auch mit. Die Orientalen betrachten mit Recht das Weib wie den Acker, in welchen sie den Samen streuen. Mit dem Bilde des Tellurischen und Solarischen habe man ein Gleichnis an der Hand, was einem vieles erklären könne; auch habe man es stets vor sich, es wird immer Tag und Nacht. Nachmittags kommt ein Brief Hans' an R., ein Bericht über die Tristan-Aufführung. Bei dieser Veranlassung wiederholt R., was er mir schon gesagt: »Der König von B. ist durchaus Daimon, ich studiere nach, was er tut, er handelt aus Instinkt; wenn er überlegt, ist er verloren. Ganz bewußtlos gibt ihm sein Daimon ein, daß, wenn er mit mir gegangen wäre, meine Pläne wirklich kühn ausgeführt hätte, er und ich, wir gänzlich zu Grunde gegangen wären. Bei der Schlechtigkeit und Mittelmäßigkeit des Menschen tut er, was möglich ist, um meine Werke der Welt zu erhalten, nur kann ich an diesem Tun nicht viel Freude haben.« — Eine Person war wieder da, um R.'s Beistand zu erbitten in einer unlauteren Münchner Geschichte; Staatsrat Pfistermeister[16] und Adjutant Sauer hätten gemeint, nur R. Wagner habe Einfluß auf den König!! Immer Eckerm. und mit den Kindern Grimmsche Märchen.
Mittwoch 23ten
Zu Bett! R. an seine Skizzen; ich stehe auf, muß aber [mich] bald wieder legen. Wie ich mit der Feder meines Bettes spielte, sagte R., »König Lear«,[17] und da mir die Stelle nicht gegenwärtig war, holte er das Stück und las mir die Scene vor, wo Lear mit seiner toten Tochter im Arm hereinkommt. Furchtbar wirkte diese eine einzige Scene! -»Wenn man bedenkt, wie konventionell noch die Sprache bei den gewissen italienischen und spanischen Dichtern ist, so erschrickt man über die Unmittelbarkeit hier; man sieht doch, Sh. war ein Protestant.« Über Gozzi sagte R., es sei ihm höchst bedeutungsvoll, daß er an das gegebene Schauspielertalent der Italiener angeknüpft habe, wie aber alles in Italien herunter sei, käme daraus hervor, daß überall jetzt das Schauspiel von den großen Theatern verbannt ist und nur die Oper im Flor sei. - Abends bringt R. ein Theaterheft, worin ein hübscher Aufsatz über Hans ist. Ich möchte gern schreiben, bin aber zu müde.
Donnerstag 24ten* (* Irrtümlich »25ten« datiert)
Nachts erwacht und mir den Plan ausgedacht, daß R. in München seine Nibelungen vorlesen und am Schlusse mitteilen sollte, was wir gewollt, warum wir gingen und wie wir gezwungen worden sind, alle unsre Pläne aufzuopfern. Am Morgen unter der solarischen Einwirkung erscheint es mir absurd, ich teilte dies R. mit, und er sagte: Er habe schon daran gedacht, hernach aber, die bloße Vorstellung, vor wem er dies tun wolle, habe ihn abgeschreckt; in Paris wäre so etwas möglich, da machte es Eindruck und wirke nach, in keiner Stadt in Deutschland aber würde er das Publikum für so etwas bringen. Man müsse eben wie ein Planet von weitem wirken durch sein Licht und nicht unmittelbar eingreifen wollen. - Dann fügt er scherzend hinzu, wenn ich gesund würde, wolle er in sein Goethe'sches Alter eintreten, das habe er sich fest vorgenommen, sich auch nicht mehr aufzuregen. Ich solle nur nicht mein Gemüt so affizieren lassen, es sei die größte Weisheit und oft die größte Humanität, die Dinge gehen zu lassen. Dann sagte er lachend: »Das ärgert dich schändlich, daß ich nicht ohne dich glücklich sein kann; du willst mich froh und wohl haben, möchtest aber gern, daß es in irgend einer Weise ohne dein Dazutun sein könnte.« Ich mußte lachen und sagte: »Ganz gewiß, dem ist so.« - Er geht an seine Skizzen, und ich beginne meinen Brief an Hans. R. bemerkt meine Ergriffenheit, wie er zu Tisch kommt, und wirft mir es vor, daß ich geschrieben habe. Aus Liebe zu ihm hätte ich es unterlassen sollen. Wie ich ihm den Brief zu lesen [geben] will, wünscht er ihn nicht zu lesen. Abends bringt R. einen Aufsatz von Cornelius über Genelli, welcher uns beide sehr anekelt; er wirft mit Dante, Homer, der Bibel um sich herum, als ob es nichts wäre, sagt R., und nichts als falsche Urteile kommen dabei heraus, jedoch strikt bei der Sache bleiben, das tut keiner. - Nachmittags Besuch der Gräfin Bassenheim.
Freitag 25ten
Immer üble Nächte mit Überdenken meiner Lage, meiner Pflichten; da mir die persönliche Aufopferung nicht schwer fiel, mußte meine Lebensprüfung wohl darin bestehen, daß ich mit mir zugleich ein anderes Leben, ein höheres aufzuopfern hätte! Ich bin aufgestanden und von R. in [den] Garten getragen worden. Große Schwäche. Wir sprachen vom Lohengrin, er erzählte mir, daß im Jahre 48 Röckel [18]ihm gesagt: »Jetzt brauchen wir so einen Volkshymnus.« »Nun«, - sagte R. - »das Thema hätte ich wohl«, und er sang ihm das Motiv aus dem Marsch des 3ten Aktes des L.* (* Lohengrin) Röckel aber fand es zu künstlich, wobei R. ihm recht gibt und sagt, man merke es der Sache an, daß sie in ein Kunstwerk gehöre. Ich sagte ihm hierauf, daß an dem Marsch und an den Trompetenrufen im zweiten Akte ich seine ganze große Kunst erkannt hätte. Als ich nämlich förmlich erdrückt von dem Schluß der Scene zwischen Lohengrin und Elsa eigentlich gewähnt hätte, ich würde der weiteren Entwicklung gar nicht folgen können, erklang die Posaune, gleichsam das düstere unterirdische Signal, daß er ihr Antwort gibt. Darauf die heiteren Trompeten-Rufe, ich werde gefesselt, und die Kunst der Musik half über die Erschütterung des Dramas. So [hat] im zweiten Akte, wenn Or-trud in Elsa's Wohnung eingezogen und Telramund es ausspricht, daß das Unheil nun im Hause weile, der Morgenruf der Trompeten uns durch einen Naturlaut auf einmal die notwendige Beruhigung zu geben, welche stets die Natur auf das aufgeregte Gemüt ausübt. R. sagt mir darauf, mich hätte die Berliner Akademie ernennen sollen (er hat nämlich die offizielle Nachricht, daß er Mitglied von dem ziemlich zwecklosen Institut). Ein Brief Marie Muchanoff's an mich verlangt die Walküre für Dresden, wo der Intendant Graf Platen sich sehr gut benehme. Ich habe ihr zu antworten, daß die Nibelungen dem König von Bayern angehören, was uns auf das Kapitel des K.'s zurückführt und R. von neuem es sich vorführt, daß ohne den König er und seine Werke gar nicht mehr vorhanden wären. -Ich muß wieder im Laufe des Tages zu Bett, doch bin ich viel mit den Kindern. Bei Tisch sagte mir noch R.: »Du bist mein Abgott, und das ist doch gewiß nicht da gewesen, daß ein Weib einen Menschen wie mich so gänzlich erfüllt hat, ihm so alles gewesen ist.« - Abends die Gespräche Goethe's mit E. mit immer größerer Freude gelesen. »Alles Edle scheint zu schlafen, bis es durch den Widerspruch geweckt wird.« Sehr gefällt es R daß Goethe überall die bedeutende Persönlichkeit in den Vordergrund stellt und durch diese für die Werke Teilnahme gewinnt (wie z. B. bei Mo-liere). Jetzt im Gegenteil sähe man, wie wenig man sich um das hervorragende Individuum kümmere, daran, daß so viele Bücher eingehen (z B Lexikon von Riemer, Deutsche Grammatik von Grimm). Die praktischen Ergebnisse dieser Bücher werden in andren zusammengestellt, und keiner kümmert sich, ob er das Wort eines geistvollen Menschen hört, »alles Eisenbahn-Schablone!« sagt R.
Samstag 26ten
Grübelnde Nacht, immer und immer wieder erwogen - das eine festgehalten, daß R. meine quälenden Gedanken nicht ahnen soll; die einzige Erlösung aus peinigenden, nicht zu beschwichtigenden Sorgen ist ein ernster Vorsatz. Mit diesem schlief ich endlich ein. Am Morgen frühstückte R. mit mir und sagte, er habe viel gestern an Jeanne d'Arc gedacht und wie schade es sei, daß dieser Gegenstand in seiner hohen Naivität für die Kunst verloren sei, weil die Welt, mit welcher die Heldin in Konflikt geraten, zu abscheulich ist. - Ich kann heute leichter aufstehen, und die Beschäftigung des Tages unterdrückt die unruhigen Gedanken. Mit den Kindern im Garten gearbeitet und auch dort gespeist Viel Freude am Erblühen der Kleinen; hier erlebe ich das Gleichnis des größten Glückes; wenn meine Pein um Hans nicht wäre, welches Los könnte wohl dem meinigen verglichen werden, wie selig unschuldig entschwinden die Tage! Kein Lärm der Welt erreicht uns, die Liebe waltet hier allein, dem Gotte sei gedankt, der mir dieses gab, möge er es mir verzeihen, daß ein Wesen um mich leiden mußte! Des Vormittags arbeitet R. immer. Nachmittags schrieb er seinen Brief an die Berliner Akademie welcher, ruhig ernst, durch die Darlegung seiner Stellung die schärfste Kritik der deutschen Zustände ist. Ich bleibe im Garten und schreibe dort an M. Muchanoff. Der Arzt kam, und R. fand Gelegenheit, ihm auseinanderzusetzen, wie jammerschade es sei, daß die Schweiz nichts wüßte als den Pariser Luxus nachzumachen; anstatt daß ein tüchtiger Kopf in Luzern eine Gewerbeschule errichtete, bauen sie ein Hotel nach dem andern und die Frauen laufen lächerlich pariserisch aufgestutzt herum. Auf die Erwiderung, daß doch niemals ein so kleiner Ort mit Paris konkurrieren könnte, erwidert R. heftig: »Es würde etwas anderes, was braucht man denn diesen albernen Luxus, es müßte den Bedürfnissen entsprechend sein, seine Art haben, statt dessen ziehen es die reichen Herren hier vor ein Volk von Prellanten zu haben, die nur auf die drei Monate lauern, wo sie die Fremden neppen können.« - Um sieben Uhr ziehe ich bei R. ein den meine Erscheinung ganz übermütig vergnügt macht. Wir trinken Tee unten, und oben lesen wir weiter in Eck.-Goethe.
Sonntag 27ten
Gleiche Nachtgedanken, aus dem Schlaf wachte ich durch die Erscheinung von Hans im Traume jäh auf. Am Tage hatte ich seinen Brief wieder gelesen, weil ich das Schlimme, das ich - wenn auch willenlos - verschuldet, mir nie vertuschen will und mir im Gegenteil immer tiefer einpräge, um es zu büßen und sühnen wie ich kann. - Am Morgen trat R. mit einem Briefe des Königs (Adresse H.R. W. dem unsterblichen Wort- und Ton-Dichter, meinem großen Freunde) zu mir herein. »Wenn ich mich heiter fühle wie heute, dann singe ich dir einen Hymnus, und doch habe ich geträumt, du liebtest mich nicht mehr und gingst fort.« Ich hatte auch geträumt, daß ich fortgegangen war! Ich lese hernach ihm den Brief vor, der ganz überschwenglich ist. Die Besprechung der Dore'schen Illustrationen (welche wenigstens ein Zeichen der Zeit, während man das nie von einem ähnlichen deutschen Werk sagen könnte) führt uns zu den herrlichen, in Genua gesehenen van Dycks,[19] dann zu zwei großen Kopien von der Gräfin Nako, welche R. bei der Gräfin in Wien gesehen. Hierbei rühmte R. das Haus der Ungarin, des Grafen schönen Typus und Begeisterung für ihn: die schönen [Unleserlich], mit welchen die Gräfin hübsch sprach, »wäre ich in meinem G.'schen* (* Goethe'schen) Alter damals gewesen«, fügte er lächelnd hinzu, »hätte ich es mir dort wohl gefallen lassen, allein unruhig wie ich in Wien war, immer in Sorge, wie ich mit meinem kleinen Vorrat auskommen würde, daher auch anspruchsvoll, konnte ich nichts auf mich freundlich einwirken lassen. Nicht gern gäbe ich Österreich auf« - fuhr R. fort -, »durch die slawischen Stämme besitzt es die uns in Deutschland so fehlende Poesie der Wirklichkeit.« Dann überlegten wir, daß, wenn wir in Paris die Muster-Vorstellungen von T., L., Tr. und I. und den Ms.** (** Tannhäuser, Lohengrin, Tristan und  Isolde  und den Meistersingern) selbst in deutscher Sprache gegeben wie in München, ein ganz andrer Eindruck hervorgerufen worden wäre; jetzt wäre [alles] so gut wie in's Wasser geworfen. »Wenn ich die Nibelungen vollendet«, sagte R. noch, »schreibe ich Theaterstücke, Luther's Hochzeit mit K. v. Bora, Bernhard von Weimar (das müßte ein Lagerstück werden) und auch Barbarossa.« »Und Parzival?« fragte ich -, »der kommt in meinem 80ten Jahre. Die >Sieger< mache ich vielleicht als Stück. ( Und dazu eine Zeitung herausgeben, wo ich alles alles sagte, nicht ein Blatt mir vor den Mund nehme.)*** (*** Dieser Satz von Richard Wagner an den Rand geschrieben) Nur keine Musik mehr, mit meinen zehn Partituren, dächte ich, hätte ich genug getan. Ich bin so stolz zu glauben, daß in Bezug auf musikalischen Reichtum und Erfindung, was Fleiß und Fülle betrifft, sich nicht bald etwas mit Tristan und den Msingern vergleichen läßt.« - Der König sagt, er wolle jetzt beginnen zu regieren] - Siegfried ist heute drei Wochen, er sieht schön aus. R. sagt, er habe seit seiner Geburt, die für mich eine Nötigung zum Leben sei, ein unbegrenztes Vertrauen in das Schicksal. - Gott segne euch, meine Kinder, segnet dereinst meinen Frieden, wenn ich ausgelitten habe. R. hatte der Akademie vorgeschlagen, auf deren etwaiges Verlangen Berichte über den Zustand der dramatischen Kunst in Deutschland ihr zukommen lassen zu wollen. Auf meine Bitte strich R. den Satz aus, indem er sagte: »Du hast recht, alles, was wie Hoffnung aussieht, ist dumm.« Die Kinder zur Stadt mit R., Eis genommen. Ich bin müde und lege mich früh hin.
Montag 28ter
Wollte früh aufstehen, da kam wieder eine starke Blutung, ich mußte liegen zur großen Bestürzung R.'s, der, wohlgemut aufgestanden, sich bald elend befand. Bald aber geht er zu »Tellus und Sol« (Wotan und Erda). »Hätte ich mehr philosophisches Behagen« - sagt er-, »würde ich diesen Urtypus aller Individualisation darstellen; das Loslösen der Planeten von der Sonne ist der Beginn aller Erscheinung.« Ich frug ihn, ob er meinte, daß nach Schopenhauer viel auf philosophischem Gebiete zu entdecken sei, er sagte mir: »Darzustellen* (Fälschlich: »Zu darstellen«) viel, zu entdecken glaube ich nicht.« Dann kam er darauf, daß die Symbole des Christentums dem gebildeten Geiste nicht so entsprechen wie die der indischen Religion, weil letztere das Ergebnis einer höchsten Kultur gewesen sind, während erstere von den ärmsten verwahrlosesten Klassen ausgingen. - Lusch kopiert für den König, ich lese in Goethe's Gelegenheits-Gedichtchen (»Lieben, leiden, lernen«) und R. arbeitet, jedoch ungern: »Wenn ich bedenke, daß ich nie mehr einen Ton von meinen Sachen hören werde und ich >Das Rheingold< so ohne mich gehen lasse, woher soll mir die Lust zur Musik ankommen? Ich tue es rein für dich.« Nachmittags lese ich den »Aias« von Sophokles, mächtiger, sittlich erhebender Eindruck. Lusch ihre Klavierstunde gegeben, abends Eckermann.
Dienstag 29ter
Langes nächtliches Sinnen; die Schuld, ein andres Wesen bedrückt zu haben, läßt sich nicht tilgen, keine Erklärung, keine Gründe wollen da reichen, so habe ich denn eine große Schuld auf meine Seele gelastet, diese will ich büßen, wie ich es nur vermag, den Kindern soll sie zugute kommen und dem Geliebten, gebrochen ist der Eigenwille, gebrochen die Selbstacht, ich erkenne es, daß wir an unserm Schicksal nicht rühren noch rücken dürfen und nur immer tragen und tragen, wie es kommt. Wie in dem Märchen es heißt, daß kleine Geister den Bedrängten hülf reich beistehen, so stehen mir denn meine Kinder bei; sie so zu lieben, wie sie keine Liebe mehr finden, lehrt mich meine Not, und mit Dank ist die Seele der Mutter gegen die Kleinen erfüllt! Für jedes eigene Leid gibt es einen Trost, für das Leid, das wir antun, finden wir für uns selbst keine Beschwichtigung. Immer schwach; doch stehe ich auf. Der Arzt kommt, erfindet es notwendig, den Augenarzt zu konsultieren; großer Schreck, welcher durch den Besuch des Augenarztes in Kummer sich verwandelt. Siegfried hat eine Hornhautentzündung! Der Fall ist bei einem neugeborenen Kind dem Arzt noch nicht vorgekommen. Ich empfinde die Prüfung wie eine Strafe. Tiefe Bekümmernis - ob mein Tod Sühne und Heil brächte?
Mittwoch 30ten
Hans schreibt mir nicht. Nachts wache ich und befrage mich. Meine Einsicht der Furchtbarkeit des Lebens erhält mich in Angst um die Kinder. Schuldig fühle ich mich, seitdem mir Hans gesagt hat, daß er mich nicht entbehren kann. Das - habe ich nicht geglaubt! R. und die Kinder nichts ahnen lassen von meinen Sorgen - - meine Aufgabe. An Claire geschrieben und ihr alles mitgeteilt; bei dieser Gelegenheit auch einen früheren Brief von ihr kennengelernt, worin sie mir schreibt, daß die Leute und auch mein Schwager Ollivier [20] über meine Lage reden. Nachmittags hinuntergetragen. R. hat viel gearbeitet. Abends bringt uns das Gespräch über Schiller auf »Don Carlos«, welchen wir lesen.