Juni

Donnerstag 1ten
Im Garten mit den Kindern gearbeitet, es ist herrliches Wetter. R. übersieht seine Jugendschriften für die Gesammelten Werke. Ich kopiere die neue erste Scene aus Tannhäuser. Kindertisch, darauf ausgefahren zu Gräfin B. Abends im Garten soupiert, unser Haus entworfen. - Werden wir all' dies zu Stande bringen?? Schure schreibt wieder deutsch!
Freitag 2ten
Die schönen Tage verschwinden bald, heute Kälte und Nässe; dazu Nachrichten von ewigen Morden in Paris. »Gegen Petrolium gibt's nur Napolium«,[1] sagt R. Brief Käthchen's, sie will kommen, mir wieder dienen. Jammerbrief M. Maier's, daß wir bauen wollen, wir werden Schulden machen u.s.w. Kein Spaziergang, abends Carlyle.
Samstag 3ten
Immer kalt. Das Faß Wein des Königs ist angekommen. Auch Briefe, einer vom »Bureau Peters«, der will gern 1000 Thaler geben für eine Ouvertüre. Dann ein Schreiben des Kupferstechers Lindner, welcher selig meldet, daß seine Platte von R.'s Portrait sofort in Berlin für 1400 Gulden gekauft worden ist und ihm, wie er mit größtem Dank berichtet, viele Bestellungen eingebracht hat. Schade, daß das Portrait nicht besser ist. R. freut das, er sagt: Da sieht man doch, was man wert ist. - Die Nachrichten aus Paris sind grauenerregend, ich kann nicht mehr hinsehen.
Sonntag 4ten
Kopie der Pantomime aus Rienzi. R. erhält einen sehr hübschen Brief aus Heidelberg; es meldet sich einer als Patron. Dann auch einen von Herrn Fürstner[2] aus Berlin, er hat dem Pariser Verleger für die 3 Lieder 1400 frcs. bezahlen müssen, während R. nur 500 frcs. vom Pariser Verleger erhalten konnte. R. sehr empört darüber. Zu Hause geblieben wegen beständigem üblen Wetter. Abends »Friedrich der Große« von Carlyle. - Beim Abendessen besprachen wir die Unentbehrlichen und klassifizierten sie so: Homer, Aischylos und Sophokles, das »Symposion«, »Don Quijote«, ganz Shakespeare, und Goethe's »Faust«.
Montag 5ten
Immer nicht schön; Arbeit mit den Kindern, Briefe (an den Verleger Durand).[3] Nachmittags ausgegangen; in den Zeitungen gelesen von R.'s Geburtsfeier in München, wo seine Büste unter unendlichem Jubel bekränzt worden ist. Dann von Hans' Absicht, nach Amerika zu reisen. Trüber Eindruck; werden seine Kinder vorher, werden sie ihn überhaupt wieder sehen. Schwerer in mich gesunkener Abend, »das Schwert im Herzen mit tausend Schmerzen«. - Wie komme ich nur zu all meinem Glück? Betend und bittend gehe ich zur Ruhe!
Dienstag 6ten
Um 4 Uhr morgens wünscht mir R. Fidi's Geburtstag; gegen 8 Uhr Gratulation; Schaukelpferd, die Kinder rings herum! R., sehr glücklich, ruft mir zu: Cosima la Dieudonnee! - Großer Kindertisch. Fidi's Wohl getrunken. Im Übermut macht es R. seinem Freund Heine in Dresden[4] [nach]; wie es mir nicht sonderlich gefällt, sagt R.: »Mein Freund gefällt dir nicht, nun, das ist die Welt, aus welcher Tannhäuser und Lohengrin entsprungen ist.« Wie ich lache, fährt er fort: »Und gerade so ist es mit den Nibelungen und mit Tristan gewesen, nicht um ein Haar anders.« Brief meiner Mutter, den ich gleich beantworte. Nachmittags liest mir R. seine Arbeit über die Reform des Dresdner Theaters; wobei mich namentlich der heiße Wunsch, das Gegebene zu veredeln, bevor er an Umsturz dachte, rührt. Ich rede R. sehr zu, diese Arbeit mit in die Gesammelten Werke aufzunehmen. R. erzählt, daß, wie Herr v. d. Pfordten die Arbeit in die Hände bekam, er sie mit Bemerkungen versah, und unter andrem, wie die Frage der Erhöhung des Kmeisters-Gehalt berührt wird, stand: »Das ist des Pudels Kern« - diese Erbärmlichen! - Abends die' Schlacht von Zorndorf. (»Meine sehen aus wie Grasteufel«!)
Mittwoch 7ten
Kaltes frostiges Wetter, unter welchem ich sehr leide. - Brief Richter's, welcher meldet, daß in Wien sich viele Teilnehmer an der Unternehmung finden werden. - R. sagt, man würde durch die Zeitungen jetzt ganz roh, man lese die entsetzlichsten Dinge wie gar nichts. - Großer Schrecken über Lulu, die im Fallen sich beinahe das Auge ausgestoßen hätte. Vor- und nachmittags mit den Kindern; R. spielt ihnen Volkslieder vor; wie er fertig ist, deutet Loldi auf ihn und ruft aus: »Das ist der Freund, der für uns spielt« - worüber alle viel lachen müssen. Das Schaukelpferd die Wonne des Hauses. Abends liest mir R. seine »Wibelungen«[5] vor, er sagt dabei: Es freut mich zu sehen, daß ich nicht so viel geschwafelt habe, als ich befürchtete. - Gestern dachte R. wieder lebhaft an sein Gedicht über Friedrich den Großen! Zeit nach der Schlacht bei Leuthen. Begegnung in Breslau mit Lessing (dieser wird nicht genannt); Besprechung der Dichtkunst, F. die französische rühmend, der junge Mann dagegen auf die griechische zum größten Zorn Friedrich's weisend. Der Dichter wird dann geworben, begeht einen Fehl, wird von Friedrich freigelassen, der unausgesprochen unheimlichen Respekt vor ihm empfindet, während er, der Dichter, in Begeisterung über Friedrich selbst, den er bei der Tat sieht und beobachtet, ausbricht.
Donnerstag 8ten
Kinderarbeit, dann Kindertisch und später Kinderspiel. Das Wetter ist kalt, man bleibt zu Haus. R. ist nicht wohl. Mir ist das Herz bisweilen recht schwer; die neuliche Notiz von Hans lagert darauf. Abends Schlacht bei Hochkirch; Freude an den herrlichen Preußen; schweigsam heldenmütig.
Freitag 9ten
Brief von E. Ollivier, er meldet mir die Geburt seines zweiten Sohnes an, fragt mich auch, warum ich ihm vorigen Juni raten wollte, das Ministerium aufzugeben. - R. arbeitet an seinen Gesammelten Schriften. Nach Tisch besprechen wir Berlioz' Kunst, und R. sagt: »Wie in Hugo ein grobes Mißverständnis Shakespeare's obwaltet, so in Berlioz ein Mißverständnis Beethoven's; hier und dort wird grelle Beleuchtung des Details zur Hauptsache. Französische Poesie ist aufgeblasene Prosa.« - Er geht dann hinaus, kehrt zurück, spielt das erste Thema der Pastoralsymphonie und sagt: »Das ist Erfindung!« Ich frage ihn, wie er hierauf kommt, da sagt er: »Ich ging hinaus, hörte das Heulen des Windes in den Bäumen und sagte mir, daß man nur Element mit Elementen ist. Da tönte dieses Thema; wie lächerlich ist jedes gesprochene Wort, jede Erklärung, gegen diese unmittelbare Offenbarung.« - Abends Brief von Tausig; das Comite ist jetzt in Weimar, und T. bittet mich, doch an den Vater zu schreiben! Dieser will also einen Brief, ganz gleichgültig welcher Art. Ich kann ihm nicht schreiben, ich muß warten, was kommt. (An Cornelius zur Werbung seines Bruders). Abends Carlyle, mit immer wachsendem Vergnügen.
Sonnabend 10ten
R. trüb gestimmt; ich frage ihn warum; er ist von Wien ersucht, seine Schuld zu erkennen, das tut er nicht gern, um nicht auf Fidi falls unsres Todes eine Bürde zu lasten. Er will an Herbeck schreiben, um nochmals die Tantieme-Geschichte zu besprechen. Mir schneidet es durch's Herz, sehe ich ihn so bekümmert und kann nicht helfen; ich sage: »Wie unschön von der Fürstin Hohenlohe, daß sie hier, in einer so billigen Anforderung, nicht half.« Da bricht R. in Bitterkeit aus und sagt: Er bedaure ein jedes herzliche und begeisterte Wort, das er solchen trügerischen Wesen gesprochen. »Du bist es einzig wert, daß man lebt, aber auch du ganz allein«, ruft er aus in einem Ton, der mir nur bittere Tränen entlockt. Wann wird dieser Fluch von ihm gewendet sein? - Dazu ist es kalt. Gestern bei stürmischem Regen wanderte ich ihm entgegen; wie er mich von der Ferne sah, sang er laut: »Eine feste Burg ist unser Gott.« Immer fester wird in mir der Entschluß, die Kinder protestantisch werden zu lassen. - Die Reformation hat den deutschen Geist gerettet, und meine Kinder sollen ächte Deutsche werden. (Ich entwerfe bereits den Plan zum »Spiel« zu R.'s nächstem Geburtstag! Dies meine Unterhaltung; R.'s Unterhaltung ist der Plan des Hauses in Bayreuth). - Sehr schöner Brief von Ottilie an mich, wahrhaft rührend, von einem gebildeten großen Herzen zeugend. Herr Pecht schreibt mir auch freundlich und schickt seine Shakespeare-Galerie mir zu. R. erhält von Fürstner (Verleger) in Berlin 500 francs für den »Tannenbaum«,[6] was ihm viel Spaß macht. R. schenkt mir einen sehr hübschen Sommerhut; er hat ihn bestellt nach seinem Geschmack, eine große schöne Rose schmückt ihn. - Wir sprechen vom Vater, was kann das für ein Wiedersehen geben, er in seinem geistlichen Gewande, ich, die ich Protestantin werden will, schon deshalb, um mit R. in einem Grabe zu ruhen! - R. erzählt mir, daß, wie er Kind war, er sich Pappenwolken machte und sie an Stühlen fest machte, Versuche anstellte darauf zu schweben und sich schändlich ärgerte, wenn es nicht ging; »so«, - fährt er fort, »geht es mir noch heute, ich bringe die Realität und Idealität nicht zusammen«. Abends Schlacht bei Züllichau. (Er schreibt an Km. Herbeck).
Sonntag 11ten
»Cosima, werde ich noch komponieren können«, ruft mir R. zu am Morgen. Er geht dann an's Klavier und spielt etwas, das wie ich glaube, die Mondscheinscene von Alberich und Hagen einleiten wird. Heute wieder schön; gestern ließ R. noch heizen. - Die Korrektur seiner Biographie, die sich häuft, gibt ihm Ärger; jedoch heitrer Kindertisch. Dann Spaziergang nach der Stadt; wobei Besprechung der Polychromie Semper's,[7] weil ich jetzt dessen Broschüre über diesen Gegenstand lese. Herr von Schack schickt mir einige seiner Bücher, was mich sehr freut; R. sagt scherzend dazu: »Ich verlange so und so viel Ellen Atlas, und er schickt mir Sicherheit.« (Ich hatte nämlich H.v.S. um seine Teilnahme gebeten.) Abends die Schlacht bei Kunersdorf mit einer Teilnahme, als ob sie gestern geschlagen worden wäre; R. sagt: »Das Gesetz der Schwere regiert die Welt, die Erscheinung des Genies kann an diesem nichts ändern, er muß nur suchen, sein Pendel irgendwo anzubringen, daß sein Wirken auch dem Gesetze der Schwere sich unterordnet. So Friedrich der Große mußte seinen preußischen Staat, so, wenn ich mich nennen darf, ich; an der Theaterordnung, an dem gewohnten Schlendrian werden meine Werke nichts ändern, ich muß sehen, daß ich meine Gründung zu Stande bringe.«
Montag 12ten
»Wir werden unser Haus noch bekommen«, ruft mir R. zu, »und da müssen wir unsern türkischen Kaffeetisch darin haben.« Brief von Fr. Neumann, der Maschinist Brandt ist noch nicht bei ihrem Mann gewesen, was uns bedenklich erscheint. Der Nachmittag ist schön - nachdem er mir seine Einleitung zum ersten Bande gelesen hat, schlägt R. eine Partie nach Stanz vor, und gegen 3 Uhr machen wir uns mit den 4 Mädchen auf. Über Winkel hinaus rennt uns ein Karren mit 3 Pferden und betrunkenen Bauern an, Grane wird scheu, springt bei Seite in die Wiese, führt uns wahnsinnig über Gräben und Moor, bis der Wagen bricht und er endlich vom Kutscher ganz verwundet festgehalten wird. Die Kinder in äußerster Angst, doch R. und ich ruhig genug, um sie zum Schweigen und zum Ruhigbleiben zu bestimmen. Kein Unglück außer Grane's allerdings schwerer Verwundung. Der Landammann nimmt es zu Protokoll, zu Fuß begeben wir uns auf die lange Wanderung, R. schlägt den Weg nach Tribschen ein, ich führe die Kinder zum Conditor. Wie ich heimkomme, sagt R.: »Ich liebe dich doch mehr als du mich, ich sah dir lange nach, und du wendetest dich nach mir nicht um, du bist des Zusammenhanges nicht so bedürftig als ich.« (!) - Er erzählt mir dann den Schrecken des Hauses, wie der Wagen von einem Karren geführt heimgekehrt wäre und Friedrich vor nachhaltigem Schrecken gar nicht im Stande gewesen wäre zu sprechen. Dann aber auch Fidi's Freudenblick, wie ihn sein Vater begrüßt hätte, »ich weiß vor Glück gar nicht wohin«, sagt mir der Einzige! - Ich bin von der Erschütterung stumm und danke Gott im stillen. R. sagt: »In meinem Leben ist es mir immer so gegangen mit Andeutungen des Schicksals, hart am Unfall und doch immer mit heiler Haut davon.« - Abends Lektüre, allein ich bin zu müde und muß zu Bett.
Dienstag 13ten
Am Morgen kommt R. zu mir: »Was ist doch das Leben? Man sieht, wie Schopenhauer sagt, das Ganze ist eine Art Kompromiß, um ein Haar schlechter, und es ging gar nicht. Wir fahren gestern aus, auf der besten Chaussee, und laufen Todesgefahr! Es ist grauenhaft, und man begriffe nicht, daß alles sich einer solchen Existenz hingebe, wäre nicht die Täuschung in jedem einzelnen so groß, es müsse ihm besser gehen. In der antiken Welt war es die Freude an der Überwindung der Übel, die sie erfüllte; sie gaben zu, Leben und Welt sind abscheulich, aber ich bin stärker als sie; die stärkste Bejahung des willens.« - Gestern abend wurde noch unser armes Pferd verbuaden, es geschah, während der Wind aus Luzern uns die elendeste Musik irgend eines Vergnügungslokals herüber trug. Das arme Tier leidet, doch sagte der Arzt, es würde bald besser sein; der traurige Anblick des Tieres bringt uns noch auf den Wundarzt; helfen, helfen, dies sei der Beruf unsres Sohnes in dieser furchtbaren Welt. Abends sprachen wir noch über Brahmanismus und Buddhismus; »nicht die Intelligenz, sondern die Güte«, sagt letzterer. Brahmanismus Hochmut der Intelligenz und trotz seiner jetzigen Verknöcherung doch weit über unsere erbärmliche Hierarchie erhaben. - Herr von Schack schreibt sehr freundlich, kann sich aber an der Gründung unsres Theaters nicht beteiligen, weil er seine Mittel der Bildenden Kunst zuwende. - Alpenglühn heute zum ersten Mal gesehen.
Mittwoch 14ten
Grane ist noch sehr leidend, er hat das Fieber. Unterdessen kommt unsere Angelegenheit in schweizerischen Gang. Jakob erfährt in der Stadt, daß der Gemeindeammann von Horw, der das Protokoll aufgesetzt, dem Luzerner Stadtgericht noch nichts angezeigt habe, weil er Konservativer sei, und der Bauer, der ans umgefahren hat, auch ein Konservativer ist. Die Polizei dagegen erklärt, es gehe sie niit an. Mit Hülfe Jakob's geschieht die Anzeige, und es kommen 8 Leute, um den Schaden zu besichtigen; Jakob fragt, ob er ihnen Wein geben solle, denn »ein Pfund Gunst sei mehr wert als ein Centner Ungunst«! Es wird alles schweizerisch besichtigt, und unser Friedrich, der befragt wird, erklärt, daß er gar nichts sagen kann, denn sein Schrecken sei so groß gewesen, daß er auf nichts geachtet habe! Dazu die breitspurigsten Auseinandersetzungen Jakob's; wir sind darauf gefaßt, noch Gerichtskosten zu allen unsren Schäden zu zahlen. - R. ist immer nicht wohl; er liest »Das Kunstwerk der Zukunft«[8] durch und versieht es mit Noten. Nachmittags Besuch des Grafen B., da er lange bleibt, ist R. verstimmt und begreift nicht, daß ich es nicht verstehe, ihn zu entfernen. - »Durch alle Wetter« von Herrn von Schack mit größtem Vergnügen beendigt. - Abends mit R. »Das Kunstwerk der Z.« vorgenommen.
Donnerstag 15ten
R. immer nicht wohl; ich zittre, daß, wenn er sich an die Komposition gemacht haben wird, Gerichtsbelästigungen ihn unterbrechen. - Die Erklärung Döllinger's,[9] von verschiedenen Leuten unterzeichnet, gefällt uns sehr; »den Leuten, welche meinen, es sei hiermit nichts Positives gegeben, hat man zu antworten, daß es schon viel ist, wenn einer sagt, dies dulde ich nicht; einer Lüge sich entgegensetzen und sie zerstören, heißt der Wahrheit dienen«, sagt R. - Kindertisch im Garten; sehr heitre Stimmung dabei; R. sagt: »Ach! Wenn ich mich nur entschließen könnte, das Kunstwerk der Zukunft aufzugeben, wie wohl würde mir sein; ich müßte mich allerdings entschließen, die 2 letzten Werke auch dem König preiszugeben, und dann damit an andren Theatern Geld machen, und das wäre ein etwas starker Zynismus.« - R. ist nicht wohl und seine Stimmung gegen Abend wieder gedrückt, was mich auch traurig macht. - Wir mußten neulich recht lachen, als wir in der Zeitung lasen, daß sämtliche Theaterintendanten eine Versammlung gehalten haben, zum Behuf die Kunst zu fördern! Ob ihnen Bayreuth durch den Kopf spukt?
Freitag 16ten
(Gestern abend hübscher Brief von Malwide M.). Heißer schwüler Tag, Föhn im Anzug, R. dadurch sehr angegriffen. Neben dem Kinderunterricht entwerfe ich einen Brief an Bon Schack über seine Dichtungen. Unerquicklicher Brief von Karl Tausig, die Konferenz in Weimar scheint unergiebig gewesen zu sein. Zu Mittag im Garten entfährt mir der Vers: »Alles Vergängliche ist nur ein Gleichnis«,[10] und das führt das Gespräch auf dieses Drama, »das allerdings auf die Bühne gehörte, aber auf eine Bühne, die man sich nicht vorstellen kann«. »Die Welt der Erscheinung, das ist das Vergängliche; das Unzulängliche, das hier Ereignis wird, das ist das im Leben Angedeutete, das Unanblickliche, das ist das, für dessen Offenbarung die ganze Sache da ist und das jetzt fixiert wird.« »Dabei«, fährt R. fort, »hat alles den Ton eines mittelalterlichen mystischen Spruches, wie von Jakob Böhme; die Färbung des Faust ist durchaus beibehalten.« - Nachmittags lesen wir zusammen die »MitTeilung an die Freunde«. Abends kam die Anfrage des Verlegers Fürstner, ob der »Tannenbaum« nicht Betz gewidmet werden könnte. R. schlägt es auf meinen Wunsch ab; wir lachen dann, daß er so gut für dieses eine Lied bezahlt worden ist; »ich entsinne mich, daß früher in Paris eine Dlle Loisa Puget mir immer genannt wurde, welche für ihre Lieder 500 frcs. erhielt, jetzt habe ich es in meinem 59. Jahre nun auch so weit gebracht«.
Sonnabend 17ten
Wie ich in den Zeitungen die Zerstörung von Paris lese, bemerke ich mit Erstaunen, daß eigentlich alles künstlerisch Wertvolle gerettet ist, »ja«, sagt R., »der Dämon der Menschheit ist zugleich ihr Genius, er drängt nach Erkenntnis, und blind waltend, wie er scheint, verschont er doch, was ihm diese Erkenntnis ermöglicht. Erhaltend wie zerstörend, alles ist bei ihm Tat. Übrigens, daß die Kommunisten wirklich ganz Paris in Brand stecken wollten, ist der eine* (*Verbessert aus: »einzige« grandiose Zug); sie sind mir ekelhaft durch ihr Regierungsspiel gewesen, ihre Heuchelei, ihre galonierte pedantische Organisation, der Franzose weiß es nicht anders; daß sie aber den Ekel vor der Pariser Kultur bis zum Brand empfanden, ist grandios. Nun können die Deutschen sich nichts denken, was ohne diese Zivilisation sei** (**Ursprünglich »außer dieser Zivilisation sein [ ]«); ich habe es mir damals gedacht in meinem >Kunstwerk der Zukunft<. Nichts sah ich in Deutschland erstehen, aber ich sah, daß der Boden, von woher alles Schlechte gekommen, das uns überflutet, schwankt, und nun entwarf ich mir eine neue Welt«. - Am Morgen hatte mir R. zugerufen: »Weißt du, wie die Note der ganzen neueren Musik heißt? Sie heißt Cis, es ist das Cis des ersten Themas der Eroica; wer hatte vor Beethoven, wer hat nach ihm diesen Seufzer in der völligen Ruhe eines Themas ausgestoßen?« - Föhnsturm, größte Hitze durch ihn herbeigeführt. Brief der Mutter; alles dünkt ihr schwarz. Ich kopiere meinen Brief an Bon Schack und sende ihn ab. Abends Friedrich der Große.
Sonntag 18ten
R. hat eine sehr üble Nacht gehabt in Folge des Wetters, das sich gänzlich verändert hat; Regen und Kälte wieder da. Pr. Nietzsche schickt »Siegfried's Tod« [11]zurück, er hat ihn selbst kopiert! Auch seine Abhandlung schickt er mit. R. ordnet seine vier ersten Bände und schreibt die Vorrede zum 3ten und 4ten Band, die er mir nachmittags vorliest. Abends lesen wir seinen Entwurf von »Wieland dem Schmied«, dessen 3ter Akt namentlich mich außerordentlich ergreift. Wir werden plötzlich herausgerufen, die Berge sind beleuchtet, Papst-Jubiläum, die andren meinen Gotthard-Bahn, sehr klug haben die schwarzen Herrn beinahe überall das Truggespinst einer Feier hervorgerufen. Wie Eva die Illumination sieht, ruft sie, »das ist Deutschland«; Fidi im Garten Laertes, auf dem Schaukelpferd der große Kurfürst. (Beginn der Kopie für den König).
19ten Montag
R. sehr guter Laune, wie er alles an Fritzsch spediert hat. Ich schreibe an Pr. N. unsren Dank. Nachmittags frage ich R., ob er sicher weiß, daß wir im Tode nicht getrennt sein werden? »Ja, weil uns keine Sehnsucht bleibt, weil wir in einander ganz befriedigt sind. Wären wir es nicht, müßten wir wiedergeboren werden, dein Herr Vater z. B., der wird wiedergeboren.« Rosentraum, »ich bin so glücklich«, sagt mir R., »wie leicht könnte ich dem Kunstwerk der Zukunft entsagen«. Wir gehen spazieren. Unterwegs sag ich ihm, wie ich mich freue, daß durch ihn Fidi richtige Ansichten über alles erhalten wird, Kunst, Philosophie, Juden, Religion, Politik, so daß ihm sterile Verirrungen erspart werden. Aus Luzern tönt Militärmusik heran, R. sagt: »Diese Blechmusik ist mir die allerunerträglichste, sie ist die weittragende Gemeinheit.« Brief von Alwina Frommann, berichtend von dem Tumult in Berlin (Einzug); alles, was man von dort vernimmt, ist herzerfreuend, die Reden Bismarck's, die Worte des Kaisers, der jetzt immer vom Volk spricht, was früher nie der Fall war.
Dienstag 20ten
R. umarmt mich am Morgen und singt: »Denn mein Erlöser lebt«, - dann erzählt er, er habe gedacht, wenn zufällig nach dem Tode seiner Frau er so eine gute reiche Frau wie Frau Eckert geheiratet habe - alles sei möglich, denn die Männer seien zu tapprig -, wie erbärmlich würde er sich ausnehmen, wie geadelt müsse er nun erscheinen, daß er mich habe! Alles das muß ich immer anhören und kann nichts erwidern. R. sammelt sich zur Komposition; sein erster Akt erfreut ihn und erschreckt ihn zugleich, »soll ich so fortfahren?« Die Scene der Waltraute mit Brünnhilde ist ihm »rein unverständlich«, so vergessen hat er sie; er sagt: »Ich würde bange sein, wenn ich nicht wüßte, daß alles bei mir durch ein sehr enges Tor geht und daß ich nichts schreibe, was mir nicht ganz klar ist. Das allerschwierigste war in dieser Beziehung Tristan's letzter Akt, und ich hatte mich in nichts getäuscht.« In der Musik. Zeitung macht ein Wagnerianer Rienzi sehr schlecht (er ist soeben in Wien aufgeführt worden); R. sagt, »dem Rienzi, der mir sehr unangenehm ist, sollten sie doch das Feuer ansehen; ich war Musikdirektor und schrieb eine große Oper; daß dieser Musikdirektor ihnen hernach solche Nüsse zu knacken gegeben hat, das sollte sie wundern«. - Toller Regen den Tag über. Abends einen herrlichen Regenbogen, ich sage zu R.: »Das ist das Zeichen am Himmel, daß du deine Arbeit wieder beginnst.« - Abends fragt R., ob er das Gedicht vor den Druck des Siegfried geben soll, das er im vorigen Jahr mit der Sendung zum Geburtstag des Königs gemacht? Er liest es dann und findet es eigentlich kalt und unwahr; »was mir die Vollendung des Werkes ermöglicht, ist etwas andres«. Unwillkürlich stimmt mich diese Betrachtung melancholisch, was R. sehr betrübt; er sagt, er könne es nicht ertragen, wenn das, was er sagt, mich nur im mindesten wehmütig stimmen könne. - Am Tage sagte ich ihm, ich glaubte an eine unerhörte Blüte des deutschen Reiches, denn daß das Nibelungenwerk zusammenfällt mit den deutschen Siegen, ist kein Zufall; ob wir es erleben, weiß [ich] nicht, aber Fidi! (An K. Tausig geschrieben).
Mittwoch 21ten
Als ich heute die Beschreibung vom Einzug der Truppen in Berlin las, mußte ich vor Freude und Erhebung weinen. R. bedauert, daß ihm die Trauerfeier nicht anvertraut wurde. - Dann sagte er, er wolle noch für Fidi seine Gedanken über die Katholische Kirche aufsetzen, sie sei die Religion des römischen Reiches gewesen, sie habe das auseinanderfallende Reich zusammengehalten und sei von allen unterjochten Provinzen angenommen, da aber, wo das römische Reich nicht geherrscht habe, sei der Protestantismus entstanden. - »Das Gravelotter Quartett«[12] nennt R. den Kaiser und seine drei Freunde B.R.M.* (* Bismarck, Roon, Moltke) - R. sammelt sich. »Gott weiß, wann ich hinein komme«, sagt er, »du mußt nur gut sein, weißt du, was ich mir gut nenne? Wenn du nicht unwohl und nicht traurig bist, dann werde ich übermütig und mache Musik.« - Wir machen uns Gedanken darüber, daß der Maschinist Brandt nicht antwortet, ob man ihm von München nicht insinuiert hat, mit unsrem Theaterbau sich nicht einzulassen? - Ich arbeite an meiner Kopie für den König und sage R., wir müßten dieses Werk noch vollenden; »ja«, sagt R., »bis zu deiner Ankunft hierher, dann soll es Fidi machen«. »Ach! Ich möchte so gern Behagliches komponieren, und nun muß ich gerade an diese Leidenschaftlichkeit kommen, ich habe mir da eine schöne Suppe eingebrockt.« - Bei Tisch kamen wir auf Gräf Pourtales zu sprechen, R.'s ehemalige Freundin, die gar keine Notiz von seiner Anwesenheit in Berlin genommen. Ich sage R., daß es mir unbegreiflich sei, wie solch eine Frau einem Menschen, der gemein aussieht wie Joachim, einen solchen Einfluß über sich nehmen lassen kann; »ach«, sagt R., »solche Frauen merken, daß sie uns nur durch Taten etwas sind, während Leute wie Joachim sich an die Person, die für sie wichtig ist, [halten], und dieser schmeicheln sie. Außerdem sind die Frauen dem willen unterworfen; dieser dominiert sie, >wo habt ihr denn die Augen<, fragt Hamlet, aber die Augen haben hier nichts zu tun, hier waltet etwas Dunkles; der energische wille, nicht die Intelligenz, nicht die Schönheit, fasziniert das Weib. Vielleicht denkt die Natur, daß hier mehr Schutz zu finden ist für sie und die Brut. Der geistvolle Mann ist leichtsinnig etc.« - Wie ich Ball mit Lusch spiele, wird mir ein Brief von Marie M. [gebracht]; sie beschwört mich, dem Vater [zu] schreiben; er könne seiner Würde wegen nicht beginnen! Bittere Stimmung. Ich schreibe sogleich, doch nicht leidenschaftlich, wie die Freundin es von mir verlangte, sondern gemessen und einfach. R. sagt lachend: »Ich hab's gut ich kann versöhnlich sein, ich habe dich!« - Immer »Friedrich der Große« von Carlyle.
Donnerstag 22ten
Das Wetter will sich zum Besseren wenden, was uns sehr freut. R. spinnt sich ein, immer fragend, »werde ich noch komponieren können«. Kindertisch; in der Zeitung der Einzug der Truppen in Berlin, was uns unbeschreiblich rührt, unsägliches Vertrauen auf Deutschland. Leider ist die Beschreibung von einem Juden (J. Rodenberg[13]); R. sagt, »ja wir alle, wir stecken drin, die Leute sind außerhalb, beobachten und beuten es aus«. - Nachmittags Spaziergang mit den Kindern; während dem kommen Fremde nach Tribschen, betrachten die Aussicht, bewundern Fidi und fragen: »Das ist wohl der kleine Wagner « Hermine erzählt es, und R. hat viel Vergnügen am »kl. Wagner«. R. ist ganz erfüllt von seiner jetzigen Auffassung der katholischen Religion, er zeigt mir die deutschen Länder, »wo sie herrscht, da sind die Römer gewesen, da haben sie ihre Städte gebaut; wo sie nicht hingedrungen sind da, wo Hermann sie zurückschlug, da ist die deutsche Religion entstanden. Alles übrige stirbt auch aus; ich glaube an einen Bund der deutschen Völker (Holland, Norwegen etc.), die lateinischen dagegen können sich nicht vereinen, die Letten sind keine Lateiner, die Spanier sind auch keine, was sie zusammen hielt, war die Kirche mit dem Gedanken der Weltherrschaft«.
Freitag 23ten
Johannistag! Als Gruß aber eine üble Nachricht; Richter schreibt aus Wien, daß die Trauer-Musik bei Meser[14] in Dresden erschienen ist; eine Nichtswürdigkeit sondergleichen; R. wollte sie eben an Fritzsch verkaufen; ohne ein Wort zu sagen bringt ihn der Dresdner Verleger darum. Meine Not ist groß, daß ich R. dies melden muß; damit die gute Stimmung ihm einigermaßen wiederkomme, sage ich ihm, >daß ich Gutes hiervon ahne, indem er wird endlich Meser fassen können<, was ihn auch erheitert, allein ich glaube es nicht, und ich erwarte nur Übelstes - R. telegraphiert an Tichatschek und Meser in dieser Angelegenheit. Er geht aber doch an die Arbeit, und wie wir zu Tische gehen, sagt er mir: »Ich entwerfe jetzt eine große Arie für Hagen, aber nur für Orchester. Was ich für ein Stümper bin, glaubt kein Mensch, ich kann gar nicht transponieren. Das Komponieren ist bei mir auch ein seltsamer Zustand; beim Phantasieren habe ich alles, endlos, nun heißt es fixieren, da kommen einem die physischen Griffe schon in den Weg, wie war es denn, heißt es dann, nicht wie ist es, wie soll es sein, wie war es, und nun suchen, bis man es wiederfindet. Mendelssohn würde die Hände über dem Kopf zusammenschlagen, wenn er mich komponieren sähe.« Wir speisen im Garten, denn ich will gern Tribschen recht genießen, so lange wir es noch bewohnen; dieses Traumleben, werden wir es uns wieder gewinnen? Wie wir bei Tisch, kommt ein Vogel mit herrlichem Gesang, »wie der spricht, wie er ganz bestimmt aufhört«, sagt R., »mir ist das sicher, daß sie sich etwas sagen und sich verstehen«. Wir sagen Jakob, als er kommt, aufmerksam zu sein und uns zu sagen, welcher Vogel dies sei, aber der Vogel, der die ganze Zeit gesungen, hört auf, singt nicht mehr; »Der schlechte Bursche! Ja, ja, sucht nur die Natur zu fassen!« - Hübscher Tag, wir arbeiten nachmittags, um 7 Uhr wandern wir zur Stadt, wo Rus uns viel Not macht.
Sonnabend 24ten
Am Morgen sagt mir R., »wer dich hat, wird sehr arm, denn er verliert alles, er will nichts andres haben als dich!« Er datiert seine Bleistiftskizzen von heute, dem wirklichen Johannistag. Er hat die gestrige Meser'sche Sache halb vergessen. Nur Brandt geht ihm und mir durch den Kopf. - Furchtbares Gewitter und toller Regen; am Morgen unterrichte ich die Kinder, nachmittags kopiere ich für den König. Wir erwarten schlimme Erfahrungen von unsrer Bayreuther Angelegenheit. Jedenfalls wird sie uns zeigen, wie wir stehen. »Früher«, sagt R., »als wir uns entsagt hatten, waren wir auf große Kunsterfolge angewiesen; wir mußten das Opfer, das wir brachten, gleichsam in einer großen Tätigkeit ertränken, deshalb, wenn dieser Zweck nicht erreicht wurde, ich eigentlich im Inneren froh war, ich ahnte, das führt uns zusammen. Jetzt steht es anders; glückt uns diese Unternehmung nicht, nun, wir haben uns, und das Kunstwerk haben wir auch. Schlimm wäre es allerdings, müßte ich, um bestehen zu können, auch die zwei letzten Teile dem Könige preisgeben; ich könnte dies nicht.« - Abends Brief von Pr. Nietzsche.
25ten Sonntag
Brandt schweigt. - Trostloses Wetter; das Schweigen draußen sieht tückisch aus. R. aber arbeitet; er sagt: »Wenn ich nur so darauf hin komponieren könnte, jetzt würde ich viel Geld mir damit machen. Aber ich kann's nicht.« Broschüre des Pr. N.[15] mit großem Interesse gelesen, er ist jedenfalls der bedeutendste unter unsren Freunden. Dann mit den Kindern gespielt und abends die Pläne unsres Hauses gemacht! -
26ten Montag
Beständiges Regenwetter, keine Möglichkeit auszugehen. Viel Spiel und Arbeit mit den Kindern; R. arbeitet doch, nachmittags schreibt er an den Düfflipp; Versendung von 30 Seiten Kopie. Uns ist bange, von keiner Seite vernehmen wir etwas. Das Schweigen des Vaters und Marie Muchanoff's insbesondere mißfällt uns sehr. Abends Carlyle mit Punsch, weil uns gar zu frostig zu Mute ist. (Herr Meser rechtfertigt sich!)
27ten Dienstag
Immer Regen; doch R. arbeitet, das ist meine Sonne! Wie ich es ihm sage, indem ich ihn bei der Arbeit besuche, sagt er: »Und weißt du, was mich leichtsinnig in Bezug auf alles macht? Daß ich dich habe; alle übrigen üblen Erfahrungen treffen doch nicht den nervus rerum; nun kann ich auch konsequent sein. Hätte ich dich in Paris gehabt, ich hätte mich auch nicht auf alle die Geschichten eingelassen. Nur zu spät sind wir zusammen gekommen, ich möchte es noch gerne recht lange haben.« - Üble Empfindungen von des Vaters Benehmen. - R. hat Hagens's Arie komponiert; er sagt: »Du bist mir dabei in deinem Schlafe eingefallen; ich wußte nicht, sollt ich ihn lautlos sprechen lassen oder nicht, da fiel mir dein Traumreden ein, und ich wußte, daß ich Hagen leidenschaftlich sich ausdrücken lassen konnte, was viel besser ist.« - Die musikalische Feier des Einzugs der Truppen erschrickt uns durch ihre Trivialität, Kaiser Wilhelm-Marsch von I. von Bronsart!![16] »Musik, und wär's der Dudelsack, wir haben viel Appetit und wenig Geschmack.« Abends immer Carlyle mit immer größerem Vergnügen. - R. hat eine theoretische Broschüre über die Musik von einem Dr. Carl Fuchs, die ihm sehr wohlgefällt. -
Mittwoch 28ten
Brief Marie Schleinitzen's; sie versteht mein Benehmen, doch berührt sie alles oberflächlich, nach Weltleutenart! - Wir müssen einen Advokat in unsrer Wagenangelegenheit nehmen. Der Dichter Hartmann schickt in etwas tolpatschiger Art seine umgearbeiteten »Propheten« wieder. - R. hatte eine schlechte Nacht, das Wetter drückt zu sehr; mich befielen wehmütige Träume, Hans ging es schlecht und klagte! - Aber R. arbeitet; zu Tisch bespricht er den seltsamen Zustand des sich Sammelns, das aussieht wie eine Zerstreutheit; bald richtet er ein Kissen, bald denkt er an die Politik, aber unterdessen sammelt er sich, und plötzlich ist es da. Nun muß nichts von außen kommen. »Daß es damals beim Aufsetzen des Finale des zweiten Aktes der MSinger so schwer ging, das war, weil du da fort warst. Du willst es mir nicht glauben, sagst, früher hast du doch auch gearbeitet, früher zehrte ich noch von meinem Kapital, jetzt aber bin ich abhängig.« - Nachmittags Brief von Marie Muchanoff, sie schickt meinen Brief mir zurück, hat ihn nicht dem Vater gegeben, weil dieser sich besonnen habe, es zu früh an der Zeit fände!! Wir lächeln. R. bringt die »Lenore« von Holtei[17] der Siebenjährigen-Kriegs-Lieder wegen, die er den Kindern vorsingt. - Abends Carlyle.
29ten Donnerstag
R. hatte eine üble Nacht; es goß wiederum sündflutig. Aber Herr Brandt hat telegraphiert, es scheint alles in Ordnung. Brief von Claire, meine Mutter ist wieder irrsinnig. »Vater und Mutter machen dir keine große Freude«, meint R. - Kindertisch; wieder im Garten, das Wetter ist schön; R. konnte nicht viel arbeiten, abends Spaziergang. Sehr hübscher Brief von Clemens Brockhaus.
30ten Freitag
Brief Judith's, welcher einen schauerlichen Zustand in Paris verkündigt. Ein schamloses grauenhaftes Volk. Ich schreibe an Claire und an Judith. Nehme auch das neue Stück des Herrn Hartmann vor; viel Talent spricht sich darin aus, es ist mir aber unangenehm, und er selbst scheint ein wenig taktlos. Schwüle Hitze, aber ein guter Brief des Maschinisten Brandt, alle unsre Besorgnisse waren unbegründet.