Mai

Montag 1 Mai
Trübes Wetter, aber gute Nachrichten von den Kinderchen, denen ich alle zwei Tage geschrieben habe. Besuch von Karl Eckert, der allerlei Unannehmlichkeiten meldet; erstens mußte ich vorigen Sonnabend schon zu Frau Mallinger fahren, um sie zu ersuchen zu singen, nun erfahre ich, daß sie dies doch nicht tut; dann telegraphiert Walter[1] ab. Mühe, den Leuten begreiflich zu machen, daß eigentlich R. mit dem Konzert nichts zu tun hat, da er es am liebsten nicht gebe; R. schreibt nun an Hofrat D., von welchem wir einen höchst entmutigenden Brief hier vorfanden, der König mag eigentlich unser Projekt nicht, er will alles in München für sich haben. R. antwortet sehr ernst, sagend, daß dies sein letzter Plan sei; würde er nicht genehmigt, so gebe er ihn auf und würde er nur noch für seine Angehörigen leben. Er sagt mir, wie ihn das selig mache, von seinen Angehörigen sprechen zu können. An die Kinder denkt R. beinahe immer mit rührendster Zärtlichkeit, er ist glücklich, daß dort im Paradiese die kleinen Wesen unser harren. Alle finden ihn so milde geworden, und finden auch, daß er sehr wohl aussieht. Besuch des Prinzen Georg. Dann macht sich R. auf zu Bismarck, Bancroft (der gestern eine Karte hier abgegeben) und Gräfin Pourtales. Ich fürchte immer, daß er es nicht aushält, gestern schrie er auf, als er ein armes Droschkenpferd erblickte, das vor Elend und Mattigkeit gar nicht langsam mehr gehen konnte, sondern in traurigstem Galopp hin und her wankte; da zeigte er mir den Passus in seinem »Beethoven«, wo der Unterschied, wie der Heilige und der Künstler das Weh des Lebens ertragen, geschildert ist; daran anknüpfend sagt R.: »Nie würde ich in einer großen Stadt leben können.« Um 9 Uhr bei der Exzellenz, bunte Gesellschaft, R. liest seine »Bestimmung der Oper« vor und erregt Interesse. Reichensperger spricht eingehend mit ihm darüber. Jedoch ermüdet kehren wir heim.
Dienstag 2ten
Üble Nacht für R., doch um 10 Uhr in die Probe. R. mit Tusch empfangen; das Orchester dünkt uns besser als früher, und die Leute geben sich Mühe. R. aber gibt Blut seines Herzens und ein Stück Leben hin beim Dirigieren, so bin ich denn traurig, wenn auch entzückt. Ankunft der Kupferstiche; sie befriedigen mich nicht, aber der Kupferstecher berichtet von dem fabelhaften Erfolg des Kaisermarsches in München. R. legt sich zu Bett, ich empfange Besuche. Abends kommt Tausig und spielt uns Bach'sche Choräle vor. Lothar Bucher kam und bat* (*Von hier an einzelne Wörter möglicherweise von Richard Wagner nachgezogen) R. im Namen Bismarck's sich) bei (dem) Fürsten anzumelden.
Mittwoch 3ten (Bußtag)[2]
R. sehr leidend, wieder eine üble Nacht gehabt! Betz probiert Wotan's Abschied, ich gehe dann zu Alwine Frommann, mit welcher der Verkehr mir lieb und wert ist. Um 4 Uhr Diner bei Cäcilie Avenarius, ich dann in das Buß-Konzert mit Ernst Dohm. Bancroft setzt sich zu mir; (schlechte Akustik, Eroica-Symphonie) (trostlos. Alles in Schwarz, weil es eine Trauer-Feier zu Ehren der Gefallenen) ist, dazu (Violinarie von Spohr und ein banales Requiem) für Männerstimmen von Cherubini; Weltunsinn und Stumpfheit! Ich kehre heim und R.** (**Von hier an alles nachgezogen) fährt zum Fürsten, wo er eingeladen ist. Er kommt höchst befriedigt zurück, eine große einfache Natur hat sich ihm dargestellt. Wie R. ihm seine Verehrung bezeigt, sagt Bismarck: »Das einzige, was ein Verdienst genannt werden kann, ist, daß ich ab und zu eine Unterschrift erlangt habe.« Und dann: »Ich habe nur in der Krone das Loch ausfindig gemacht, durch welches der Rauch durch kann.« R. ist ganz entzückt von der ächten Liebenswürdigkeit dieses Naturells, keine Spur von Reticenz, eine leichte Sprache, die herzlichste MitTeilsamkeit, alles Vertrauen und Sympathie einflößend. Aber, sagt R., wir können uns nur gegenseitig beobachten, jeder in seiner Sphäre, mit ihm etwas zu tun haben, ihn für mich zu gewinnen, meine Sache zu unterstützen ihn zu bitten, käme mir nicht bei. Aber diese Begegnung bleibt mir von höchstem Wert.*** (*** Ende von Heft III der Tagebücher)
Donnerstag 4ten
Viele Besuche, unter andrem der von Frau Mallinger, welche meldet, daß soeben Probe von »Mignon«[3] gewesen; große Verstimmung Richard's, der gleich sieht, daß er sein Orchester nicht mehr angreifen darf, wir fahren doch um zwei Uhr in's Opernhaus und er fragt die Musiker, ob sie bereit wären, mit ihm ernstlich zu arbeiten; wenn sie sich ermüdet fühlten, so wollte er lieber sein Unternehmen aufgeben. Einstimmig erklären sie, die Probe machen zu wollen. Große Ermüdung nachher; abends Ankunft Krockows, mit welchen wir den Abend zubringen (auch Eckerts kommen).
Freitag 5ten
Um 10 Uhr zur Generalprobe ins Opernhaus; im Freundeskreis ihr beigewohnt; sie geht gut vonstatten. Beim Fortgehen wendet sich R. noch einmal an die Handwerker zur Bestellung von einer kleinen Estrade für Sänger, Herr v. Hülsen[4] zufällig da, springt in die Kulissen zurück, und ich bemerke eine große Befangenheit bei den Arbeitern. Ich frage Käthchen, ob denn irgend etwas stattgefunden, und sie erzählt mir, daß »der große stattliche Herr« (v. Hülsen) soeben die Leute fürchterlich angefahren hätte und ihnen gesagt, sie hätten Wagner nicht zu gehorchen, der Mann habe hier nichts zu befehlen, er habe nur seinen Taktstock zu führen, und das in der allerhöchsten Wut, der arme bedrängte, unbeachtet gelassene Intendant! Ich Teile R. nichts mit und lasse Kmeister Eckert kommen, um ihm die Beaufsichtigung der Angelegenheit anzuvertrauen. Übermüdung überfällt mich, ich werde zu Bett gebracht, Schwindel, Ohnmacht, weiß Gott was alles verhindern mich, mich anzukleiden; eine viertel Stunde vor dem Konzert, als R. absagen will, meinetwegen, raffe ich mich auf, werfe das Kleid über und fahre mit R. ins Konzert. Festliches Haus, der Hof anwesend, alles geht gut, das Orchester klingt schön (dank der Schallwand, die R. hat ankonstruieren lassen), einstimmiger unendlicher Beifall, Haupteindruck für mich die c moll Symphonie. R. zufrieden, und unsre gute Ministerin strahlend. (Vorher noch eine kleine Hülsen'sche Episode: er verbietet die Bekränzung des Podiums und befiehlt den Logenschließern, keine Leute mit Blumen eintreten zu lassen, Frau v. Schi, erfährt dies, läßt ihn zu Rede stellen, erhält zur Antwort: es sei ein Mißverständnis, und so wurden denn Blumen in Fülle geworfen.) -R. kommt ganz guter Laune heim, da der gute wille des Orchesters ihn gerührt hatte. Vor der Aufführung war noch der erste Geiger zu ihm gekommen, hatte ihn um Nachsicht gebeten, indem er sagte: Sie haben keinen Begriff, wie diese Sachen (die Symphonien) bei uns heruntergespielt werden. -
Sonnabend 6ten
Wir verbringen den Tag zu Bett und sehen einzig die gute Frommann und die Krockow. Abends stehen wir auf, um zu Johanna Jachmann[5] zu gehen. Große Gesellschaft; sie singt das Gebet der Elisabeth, »Blick ich umher«, und den Abendstern. Ihr Mann, der Landrat, gefällt uns recht gut. Wir lernen Gräfin Danckelmann, eine leidenschaftliche Enthusiastin, kennen, Werbungen für Bayreuth.
Sonntag 7ten
Brief von den Kindern; sie sind wohl. Sehnsucht nach ihnen, R. ist immer gerührt, wenn er an sie denkt, auch sagt er mir stets, was nur die Leute denken möchten, daß er mich hätte, wie beruhigt sie über ihn sein müßten. Meine Freundin Frau Dirksen[6] war ganz erstaunt, wie er ihr vorgestern erklärte: Wenn ich krank bliebe, so dächte er nicht daran, das Konzert zu dirigieren. Am Donnerstag abend sagte ich ihm, er solle mir versprechen, daß wir zusammen stürben, worauf er mir erwiderte, wir haben uns geliebt, uns vereinigt, das Schicksal, die Sterne werden weiter für uns sorgen. - Um 12 Uhr Frühstück bei Marie Schleinitz mit Tausig. Der Minister erzählt, der Kaiser habe erklärt, noch nie etwas so Vollendetes gehört zu haben als dieses Konzert, es sei sublime gewesen. Der badische General Beyer hat in der Matinee R. die Faustouvertüre dirigieren sehen und dem Kaiser erzählt, daß er derartiges nie erlebt. - Nach dem Frühstück Feststellung des Comites, worauf ich zu Wesendoncks fahre, um ihn aufzufordern, sich zu beteiligen, und wenig Erfreuliches dort gewahre. Während dem sucht R. mit Tausig den »rührenden Juden« Löser auf, bestellt ihm Cigarren und schenkt ihm dankende Broschüren. Unterwegs erzählt er Tausig, wofür und wodurch er lebe, und von Fidi spricht [er], worauf Tausig ausruft: »Es muß ein herrlicher Junge sein.« - Abends Diner bei Eckerts, recht gemütlich, zu Hause dann einige Freunde.
Montag 8ten
Am frühen Morgen zum Kirchhof gefahren (mit Elisabeth Krockow), wo ich das Grab Daniel's aufsuche. Tiefernste Stimmung; er ist ein Opfer der Leichtfertigkeit des Vaters, der Mutter und der gleichgültigen Grausamkeit der Fürstin Wittgenstein gewesen; ich war damals zu jung und unerfahren, um energisch aufzutreten und einzugreifen. Viel Weh im Herzen an diesem Grabe; wo weilst du, wo wanderst du, wo leidet oder ruht dein reiner Geist, in meiner Seele lebst du fort, sollten die Kinder, Siegfried vielleicht, dein Wesen aufgenommen? - Mit Elisabeth, die ihn gut gekannt, von ihm gesprochen! Dann fort von Berlin wie im Traum, alles gleichgültig dem, der den Tod geschaut. Um 5 Uhr in Leipzig angekommen und freundlich bei Brockhausens aufgenommen, bei welchen (Querstraße 15) wir einen reizenden Abend zubringen. Ottilie und Hermann unvergleichliche Naturen.
Dienstag 9ten
Heute würde Daniel 32 Jahre!... Auch Großmama[7] war an diesem Tag geboren. - Wir wandern, R. und ich, durch die Stadt, um Einkäufe zu machen für die Kinderchen, die mir liebe Briefe schreiben. Hofrat Düfflipp schreibt nun auch; der König will 25 000 Thaler für die Unternehmung geben, sonst aber nichts damit zu tun haben, er sei durch die Unfehlbarkeitsbewegung verstimmt und habe so viel vor, daß seine Fonds gänzlich in Anspruch genommen sind. - Abends Gesellschaft von jungen Professoren, welcher R. »Nicht kapituliert« vorlas. Ein Schwager Schure's, Neßler, ein Musiker, der R. zufällig auf der Straße getroffen, meldet, daß Schure nichts mehr mit der Politik zu tun haben will! Die Commune hat hierfür gesorgt!
Mittwoch 10ten
Hermann[8] meldet, daß der Friede nun in Frankfurt ratifiziert sei. Bucher hat mir also richtig geschrieben, indem er abreiste, wir werden der Welt den Frieden zurückbringen. R. schreibt Briefe, dann zeigt er mir den »Weißen und rothen Löwen« und wir besuchen die Wohnung, wo er geboren, auch das Haus von Jeannettchen Thome sehe ich. R. ist sehr müde und geht früh zu Bett, ich bleibe noch mit der lieben guten Familie. (Am Nachmittag in das Rosental gefahren).
Donnerstag 11ten
Zum Augenarzt Ceccius meiner Augen wegen, er findet, das Übel sei nervöser Art; dann Einkäufe für die Kinder. Abends Gesellschaft bei Brockhausens, Pr. Ebers,[9] der Ägyptologe, und Pr. Czermak, mit welchem R. über seine Broschüre über die Farben, die er uns nachTribschen zugeschickt, spricht, indem er ihm vorwirft, zu leichtfertig von Schopenhauer gesprochen zu haben, dem er doch den prophetischen Blick zuerkennt. Ich erfahre an diesem Abend durch Clemens Br., daß Pr. Nietzsche seinen Homer, den er mir gewidmet hatte, mit demselben Gedicht nun auch seiner Schwester gewidmet hat. Ich muß zuerst darüber lachen, dann aber, mit R. darüber sprechend, hier einen bedenklichen Zug, wie eine Sucht des Verrats, gleichsam um sich gegen einen großen Eindruck zu rächen, erkennen.
Freitag 12ten
Pr. Czermak's Auditorium besucht, das der mit einer tödlichen Krankheit behaftete Mann erbaut, auch sein Haus und dabei seine jüdische Frau gesehen, an allem wenig Vergnügen. Das Liebste immer der Verkehr mit der Familie; Hermann reizend durch Charakter und Geist, Ottilie originell und gut, mit R. dezidierte Naturellähnlichkeit zeigend. Nachmittags Pr. Ebers mit ägyptischen Bildern uns einen Vortrag haltend; er ist auch Jude und seine Rede seicht und fließend. Familienabend mit Diskussion zwischen R. und Hermann über die Schönheit, die R. für auf ewig aus der Welt verschwunden erklärt, nachdem Hermann, die Größe unsrer Zeit optimistisch betonend, durchaus erwartet, daß unsre Zeit auch zur Schönheit gelangen wird.
Sonnabend 13ten
Herzlicher Abschied von den Lieben, bei welchen wir uns so wohl gefühlt haben. Ich habe wieder für R. gepackt, und er sagt, es sei ihm wie ein Traum, daß ich ihn ausschelte über seine Unordnung, er fühle sich so wohl dabei, daß alle Leute sich wunderten, wie er aussähe. Das Billet nach Darmstadt genommen, Freude des Zusammenseins im Coupe; wir besprechen vergangene Zeiten, R. sagt, er wolle gar nicht an sie denken, da wären wir getrennt gewesen, ein wüster wilder Traum! Freude an Thüringen, aber wehmütige Empfindungen im Vorbeifahren an Weimar, der Vater ist da, ich sehe ihn nicht. Um 8 Uhr in Frankfurt; spazieren gegangen, an Schopenhauer gedacht, auch an den Tag (August 1863*) (*Richtig 1862 s. Anm.[10]), wo ich R. mich willig zeigte, auf einen Schiebekarren mich zu setzen, wenn er mich fahren wollte, wie er es vorschlug auf dem Schwanplatz. Um 10 Uhr in Darmstadt in der Traube angekommen, Punsch getrunken und zu Bett gelegt.
Sonntag 14ter**
(*Irrtümlich »15ter« datiert)
Gut geschlafen, heitres Erwachen, um 10Uhr der Maschinist Brandt,[11] mit welchem R. die Einrichtung der zukünftigen Bühne bespricht. Während dem schreibe ich an Richter, der uns aus Wiendas Gerücht gemeldet, daß die Tantiemen für Lohengrin und Tannhäuser nun doch durchgesetzt seien; Gott weiß ob dies wahr, Richter hatte ich beauftragt, dem Vater das Benehmen des Fürsten H.*** (***Hohenlohe) zu melden. Nach Tisch im Schloßgarten promeniert, dann zur Eisenbahn nach Heidelberg gefahren. Herrlicher Abend, die Ruine bei Sonnenuntergangs Pracht gesehen, im Garten spaziert, auf der Terrasse zu Abend gespeist, in der Dunkelheit durch die belaubten Gartengänge heimgewandert in herrlicher Stimmung. R. war schon hier, ich frage ihn, warum er mir nie etwas davon erzählt? Es seien so trübe Zeiten für ihn gewesen, mit Minna sei er hier gewandert, ich könne mir denken, wie zerstreut und gleichgültig er alles betrachtet. In unsrer Straße angekommen wollen wir noch die Neckar-Brücke besuchen, als mich ein lautes Gelächter, vom Platze her kommend, an das Kasperl-Theater gemahnt, das ich im Vorbeigehen am Tage bemerkt hatte; ich frage R., ob wir es uns nicht ansehen wollten, und da er darauf einging, hatten wir das herrlichste Abendvergnügen. Bis um 10 Uhr und darüber standen wir gefesselt da und nahmen von den einzigen Einfällen einen förmlichen Trost mit; der deutsche Volkswitz lebt noch. Besonders ergötzlich war die Wechselwirkung des Publikums (meist Buben) und des Kasperl, sie redeten miteinander, und die kleinsten Kinder mischten sich in die Handlung. Richard gab der sammelnden Frau einen Gulden, und das mag wohl den Mann begeistert haben, denn er war unerschöpflich, bis endlich Kasperle im Heroldsmantel meldete: »Jetzt wird nicht mehr geguckt; warum? weil die Lichter werden ausgespuckt.« Uns zur Ruhe begebend kommen wir darüber ein, daß dieser Abend mit dem Spaziergang und dem Kasperl der schönste Moment unsrer Reise gewesen ist.
Montag 15ten
Kleine Einkäufe gemacht, vergebens versucht, Kas-perl's Herr zu sehen, seine »Nichte«, die bei der Bude sitzt, sagt uns, er sei zu Haus; sei er denn von hier; »nein, von weit her«. Wir wandern noch einmal zum Schloß; Vogelgesang und Blütenpracht. Um 1 Uhr Abschied von Heidelberg genommen. In der Eisenbahn Graf Dunken[12] begegnet. Um 8 Uhr in Basel, wo wir im Hotel einen hübschen Abend mit Pr. Nietzsche und unsrem Neffen Friedrich Brockhaus verleben.
Dienstag 16ten
Nach Hause! Große Ungeduld anzukommen, trübes Wetter, gegen 2 Uhr endlich da! Loulou und Boni weinend vor Freude, die Kleinen ruhiger, Fidi prachtvoll, dick und breit, alle wohl. Kindertisch und dann Kinderbescherung; den ganzen Nachmittag und Abend gespielt. Zur Nacht sagt mit R.: »Bleibe mir gut, du Spenderin.« Einziges Wonnegefühl, in seiner Welt wieder zu sein.
Mittwoch 17ten
Es regnet; Brief von Judith M. Sie sind in Orleans, ihr Mann ward von der Commune zu Tode verurTeilt, versteckt und entschlüpft! Wiederum mit den Kindern gearbeitet; später ihnen ihre Anzüge probiert, die sie zu R.'s Geburtstag anhaben sollen. Besuch des guten Grafen B., der uns bewillkommt. Abends lesen wir die Kriegespredigten von Clemens, sie sind nicht sehr gehaltvoll. Früh zu Bette, da uns noch viel Müdigkeit in den Gliedern steckt.
Donnerstag 18ten
R. meldet, daß Bismarck wahrscheinlich noch Lord Protector von Frankreich wird, denn die Commune will ihn als Friedensfürst anerkennen. Mit den Kindern zum Jahrmarkt; Affenkomödie angesehen; R. auch dabei. Freude an den Kleinen. Abends geplaudert.
Freitag 19ten
Das Gedicht endlich angekommen, im Garten mit den Kindern gelernt. R. schreibt an Fr. von Schleinitz. Emil Heckel[13] aus Mannheim meldet sich auf die grüne Broschüre. Nachmittags zur Gräfin B., R. auch. Wir ärgern uns, wie wir durch den Jahrmarkt kommen, da auf den Buden der Krieg vom fr. Standpunkt aus gemalt ist, Mac Mahon seine Truppen theatralisch anfeuernd. Abends in Friedrich's des Großen Erzählung der Schlacht von Torgau nachgesucht, ob er wirklich Ziethen so schlecht bespricht, und wirklich, er tut es; was uns kränkt.
Sonnabend 20ten
Immer gelernt, R. an den König geschrieben, indem er glaubt, daß es ein großes Opfer gewesen sei, das er gebracht, den Siegfried nicht zu fordern. Wir probieren unser Gedicht. Der Mutter schreibe ich auch. Nachmittags Spaziergang mit R.; Freude an der Heimkehr, schöne Beleuchtung, alles warm, doch keine Sonne, große wohltätige Ruhe, hier ist unser Traumasyl. Niemals uns trennen, in dieser Vereinigung alles uns recht.
Sonntag 21ten
Klavierstunde den beiden Kindern. Musiklehrer Federlein meldet sich auch und sendet seine Arbeit (über die Walküre). Richard jetzt spazieren, ich bleibe zu Hause, schreibe an Claire und probiere immer mit den Kindern. Abends die Schlacht von Torgau in Carlyle nachgelesen und uns darin überzeugt, daß wir uns durch die populäre Annahme, Ziethen habe die Schlacht gerettet, und die sagenhafte Umarmung hatten irre führen lassen; mit Recht schilt ihn Friedrich, und er tut es ungemein königlich und vornehm, denn Ziethen hat ihm die ganze Sache verdorben, so hat der große Mann immer Recht und muß man ihm glauben, denn er kennt keinen Neid. Heute vor acht Tagen waren wir in Darmstadt, zu Mittag besprach ich mit R. die Sonderbarkeit meiner Empfindungen, indem mich alle Aufführungen (5te Symphonie, Tristan, Meistersinger), so vollendet sie seien, bis zu einem gewissen Grad kalt lassen. Die Extase wird mir, wenn R. über Beethoven zu mir spricht, wenn er mir sein erstes Konzept mitTeilt; in den Zustand des Publikums kann ich nicht geraten, es ist mir eher, als ob die Sache sich von mir trennte, wenn sie nach außen erscheint. R. sagt, ganz dieselbe Empfindung habe er, und er wisse, daß wir unser Nibelungentheater mit einer kalten Freude, beobachtend, betrachtend, erleben werden, »für uns brauchen wir es nicht, unsere Freuden liegen in der Idee«. -
Montag 22te
Die Nacht durchwacht in Gedanken an R.; wie das Leben mir nicht denkbar ohne ihn, wie ich nur zu wenig ihn beglücken kann, wie ich ihm jedes Schmerzensatom ersparen möchte. Vorige Nacht erschien mir Hans mit grauem Haar und Bart und weinend, das ergriff mich sehr, allein ich fühle es, R. mußte ich mich widmen, Gott gebe nur, daß ich es zu seinem vollkommensten Wohle tue! Um 4 Uhr auf, um den Salon herzurichten; die Statuetten[14] aufgestellt wie in einem Hain, um R.'s Büste; später die Kinder kostümiert, Loulou Senta, Boni Elisabeth, Eva Isolde, jede vor ihrem »Mann«, gegen 8 Uhr sind wir in Ordnung (ich Sieglinde mitFidi auf dem Arm am Fuß der Büstensäule). Wir machen unsre Sache gut, und R. ist zufrieden, ja ergriffen, er sagt: ich als Sieglinde habe ihn an unsre Rückkehr von Italien gemahnt. Alle Kinder machen ihren Namen Ehre, und R. lobt die Kostüme. Freundliches Frühstück mit den Kindern und schönstes Wetter für unsren schönsten Tag! (Brief von Richter, Düfflipp, Meysenbug). Nachmittag Besuch von Gräfin Bassenheim, mit ihr, R., den Kindern allen, ausgefahren nach Winkel. Bei der Heimkehr Pr. Nietzsche zu Hause gefunden. Wir führen unsren Geburtstagsgruß noch einmal auf. R. sagt: Es ergriffe ihn immer zu tief, mich als Sieglinde zusehen. Pr. N. erzählt, er beabsichtige die Gründung eines Blattes, unter R.'s Auspicien, für in zwei Jahren, bis dahin wolle er alles vorbereiten.
Dienstag 23ten
Süß geschlafen, am Morgen noch Geburtstagsgrüße vom König, vom Kupferstecher Lindner (sehr originell!) und vielen aus Berlin, Wien etc. Das Wetter ist herrlich, ich arbeite mit den Kindern im Garten. Wie schön dieses Land und dieses Heim; wie schwer würde uns der Abschied fallen, wenn die Bevölkerung nicht so arg wäre. Vorgestern abend kam R. ganz erregt heim; wie er über den Am Rhyn'schen Hügel kommt, schreit ihm unser böser Milchmann zwei gräßliche französische Schimpfwörter nach; diese Feigheit, dann die Nuance des Französischen, die Bosheit, alles hat uns tief empört; dabei standen die Bauern da, die uns gut sind, und keiner sagte etwas. - Nachmittags Brief von Marie Schleinitz, der Vater tritt dem Comite bei und wünscht einige Zeilen von mir und ein Rendez-vous an neutralem Ort! — Abends Besprechung von zwei Briefen, die Bismarck und Moltke wirklich an Oskar von Redwitz[15] über sein »deutsches Lied« geschrieben haben! R. sagt, die ästhetische Seite dieser großen Leute ist furchtbar. Der Brief Moltke's zeichnet sich aber dadurch aus, daß er den Vergleich mit den Helden vergangener Zeiten deshalb nicht akzeptiert, weil diese sich im Unglück immer bewährt hätten, während die deutschen Krieger nur Glück gehabt hätten.
Mittwoch 24ten
R. ordnet seine Schriften, die er chronologisch herausgeben will, da er nicht als Dichter oder Schriftsteller will erfaßt werden. Ich unterrichte die Kinder. Nachmittags Besuch von Professor Nietzsche, Richard begleitet ihn zum Bahnhof. Kummer über den Tod eines Kanarienvogels, den die Kinder begraben, wobei Loldi die Rede hält: »Nun fliegst du nicht mehr und mußt in die garstige Erde, wir werden dich nicht wiedersehen«, u.s.w.
Donnerstag 25ten
Brief von Tausig, der das Circular schickt. R. ruft mir zu, daß Paris brennt, der Louvre in Flammen ist, was mir einen Schmerzensschrei entreißt, von welchem R.sagt, daß ihn kaum 20 Menschen in Frankreich mitschreien würden. Ich schreibe an Marie Schleinitz, ihr erklärend, warum ich dem Vater nicht schreibe und ihn einzig hier sehen will. Ich besprach wiederum mein früheres Leben mit großer Bitterkeit mit R., er sagte, in Bezug auf das seinige habe er die Empfindung von Röckel über seine 13 Jahre Zuchthaus, ein großer Zeitverlust, sonst gar keine Erinnerung. - Am Morgen besprachen wir die Musik, »es ist das Element, in das sich alles taucht, das Flüssige, darum ist es so töricht, von einer klassischen Musik zu sprechen. Kann man denn Bach nachahmen, wie man Goethe's oder Lessing's Stil mit Glück nachahmen kann. Die Bach'sche, die Mozart'sche Individualität hatsich in die Musik getaucht«. R. sehr unwohl, auch die Kinder wieder mit Husten behaftet. - Schöner Abend, der mich beseligt.
Freitag 26ten
Brief von der Mutter, wie es nun einmal die Franzosen nicht lassen können, sich zu bewundern, findet sie »beaucoup de vie dans nos folies et nos ruines!«[16] R. sagt, ich solle ihr schreiben, das Üble wäre für beide Teile, daß man nach dem Scheine gegangen sei, wir hatten die Franzosen lange für etwas Besondres gehalten, und sie beurteilen uns nach unserer eckigen Tournure und verachten uns (die Mutter schreibt nämlich, daß Claire die Deutschen schmähe). -In der A.A.Z. einen Aufsatz von Karl Gutzkow,[17] welcher sich nicht schämt, die Meistersinger von Nürnberg mit der »Mme Bovary« von Flaubert und einem Bild von Makart zu vergleichen! - Die Kinder nicht viel arbeiten lassen; denn sie sind wieder unwohl, der Keuchhusten beginnt von neuem, es ist trostlos. Auf der Terrasse beim Kaffee sitzend spricht R. wieder von Beethoven er habe ihn in seiner Novelle hager dargestellt, er scheine es aber nicht gewesen zu sein, eher untersetzt. Er müsse doch einen hinreißenden Eindruck haben machen können, eine so komplette Originalität. »Mit dieser ungestillten Sehnsucht, einen wahrhaft verehrten Mann gesehen und gekannt zu haben, werde ich wohl die Welt verlassen, einen, der mir etwas gibt. In den Kinderjahren träumte ich, mit Shakespeare gewesen zu sein mich mit ihm unterhalten zu haben; so drückte sich meine Sehnsucht aus.« - Alles brennt in Paris.
Samstag 27ten
Regenwetter, für mich Kampfer und Pfeffer für die Wintersachen. R. schreibt sein Vorwort »Ohrfeige an Gutzkow«, ich sage, G. sei es nicht wert, vor den Gesammelten Schriften zu kommen »er wird auch nicht hinkommen, dies ist das Flugblatt für den Verleger« Mittag Ankunft unsres Neffen Fritz Brockhaus, der uns durch seine Geistes- und Herzensbildung sehr angenehm ist. Pr. Nietzsche kommt nicht die Ereignisse in Paris haben ihn zu sehr erschüttert.
Sonntag 28ten
Schöner Tag wieder; ich schreibe an Bon Schack[18] mit Versendung von Broschüren. Zu Mittag Ankunft von Pr. Nietzsche (mit Schwester), welchen Richard telegraphisch (Lindhorst unterzeichnet) zitiert hat. R. spricht nun heftig über den Brand und seine Bedeutung »wenn ihr nicht fähig seid, wieder Bilder zu malen, so seid ihr nicht wert, sie zu besitzen«. Pr. N. sagt, daß für den Gelehrten die ganze Existenz aufhöre bei solchen Ereignissen. Von Bakunin gesprochen, ob dieser mit ansteckt?... Nach Tisch nach Winkel in zwei Wagen gefahren. Schönster Abend im Mondschein in der Einsiedelei. - (Ein Hänfling, den wir freigelassen hatten, ist wiedergekehrt und will im Käfig bleiben, er geht aus und ein und macht uns große Freude).
Montag 29ten
Ein Klavierlehrer aus Wien stellt einen Teil seines Einkommens R. zur Verfügung, für das Kunstwerk der Zukunft; es ist tief rührend. Spaziergang ohne R. mit der übrigen Gesellschaft, zum Bauern. Bei Tisch kommt das Gespräch auf Mommsen,[19] und [es] wird von Fritz zitiert, daß er Sulla einen Landjunker nennt, wie er Cicero als Feuilletonisten bezeichnet; Fritz meint dabei, es gäbe wohl Analogie in den Zuständen und Personen, was R. durchaus leugnet; er sagt, das sei eben der Unterschied, bei uns ist es ein Feuilletonist, dort ist es Cicero; wir kommen dann durch das römische Patriziat auf den deutschen Adel und die »deutsche Libertät«, die R. ungeheuer rühmt, sie sei die einzige bestimmte Freiheit, von welcher man ganz bestimmt wußte, was sie garantierte, nämlich Freiheiten, die andre allgemeine Freiheit, von der wisse man vor der Hand nicht, was sie wäre. - Nach Tisch Gespräch über Aischylos, >er sei trunken gewesene lautet der mißverstandne Spruch, und Schauspieler, wie auch Sophokles eine Zeitlang. Und die Tragödie sei ganz entschieden aus der Improvisation entstanden. Dies alles von Pr. Nietzsche mitgeTeilt, mit dem Spruch Sophokles' über Aischylos: >Er tue das Rechte ohne es zu wissen<, was R. mit dem Spruch Schopenhauer's über den Musiker [vergleicht]: Er spräche die höchste Weisheit in einer Sprache, die seine Vernunft nicht versteht. - Die Freunde gehen; R. ist sehr angegriffen, ich dagegen schwimme in Wohlgefühl bei der schönen Sonne, »Salamander« nennt mich R. und freut sich, als ich ihm sage, welche Dankesempfindung ein schöner Sommertag in mir erweckt. Aber sein Unwohlsein erschrickt mich und zerstört das Glück. Auch ist er zerstreut, ängstlich befrage ich ihn und erfahre, daß er Sorgen von allerlei Art hat, erstens seine Verpflichtungen in Wien, die nicht getilgt sind, dann die große Wein-Rechnung, beim Verleger Kahnt eine alte Schuld, dazu keine Einnahmen. Dann Herr Fritzsch, dem er eine Komposition versprochen hat, dem er die Trauermusik von Weber's Grablegung geben möchte, wüßte er nur, wo sie hernehmen; dann seine Gesammelten Werke; schließlich Lieder von ihm, die plötzlich ohne seine Erlaubnis herausgegeben worden sind! Dies alles käme ihm durch den Sinn, und eigentlich sollte er nur an seine Nibelungen denken. - Ich bin doch froh, daß er mir dies alles sagt; ist [doch] das unbedingte Mit-leiden mein einziger Halt.
Dienstag 30ten
Der Louvre ist gerettet. - R. legt sich in Decken ein, um den hartnäckigen Katarrh los zu werden. Es bekommt ihm gut, heiter bemerkt er beim Frühstück, wie wohl ich aussehe. Er sagt: »Du bist schöner als früher: früher sah dein Gesicht ernst und streng aus, jetzt hast du in den Augen den Strahl der Freude, den ich auf so wenigen Gesichten gefunden; dein Vater hat Wohlwollen, Güte, Herzlichkeit, die Freude hat er nicht, und das ist das Göttlichste auf dem Menschenantlitz. Auf der Bühne habe ich es nur einmal gesehen, bei der Schröder-Devrient.« Er arbeitet, ich unterrichte die Kinder; schreibe der Mutter mitleidvoll, unter dem zwitschernden Dialog zweier Amseln. Brief aus Paris, wieder Nuitter, der in der ersten Minute geschrieben; er meint, die Franzosen hätten der Welt eine große Weisheitslektion gegeben; »so«, sagt R., »kommen sie sich immer vor wie der Heiland, der für die Welt leidet! Immer das göttliche Volk, das alles durchmachen muß für die andren«. Große Freude an einer Rede Bismarck's im Reichstag, R. sagt, es sei unermeßlich, daß Bismarck jetzt ruhig sagen dürfte, die Preußen seien das Verhaßte, die Deutschen dagegen würden geliebt. Brief von Marie Schleinitz, welche versteht, daß ich nur hier den Vater sehen will, mich aber bittet ihm zu schreiben, da er sie autorisiert habe, mir zu sagen, daß er einen solchen Brief wünsche. Ich spreche mit R. darüber; Hans fällt uns ein, wie werden seine Empfindungen bei einer derartigen Versöhnung sein - ich fürchte sehr bitter. Abends in Carlyle's »Friedrich dem Großen«, mit großer Freude (Zeit nach Kolin). Wie hat Moltke recht, daß im Unglück die Großen zeigen, was sie sind.
Mittwoch 31ten
Wiederum ein Wiener, der sich und seine Kräfte für das Kunstwerk der Zukunft anbietet. Auch der König schreibt vom Hochkopf aus, und sehr freundlich. Zum Wald gewandert mit den Kindern; R. spediert während dem seine Gesammelten Schriften (die Judenbroschüre wird nicht darin aufgenommen), d. h. schickt das Verzeichnis an Fritzsch. Bei Tisch singt R. ein Thema aus Beethoven (das zweite des ersten Satzes der f moll Sonate)[20] und sagt: »So etwas hat keiner vor ihm noch nach ihm gehabt; es ist das Erhabene, wie es behaglich wird; wie es festgehalten ist und man darin schwebt.« Beim Kaffee auf der Terrasse-entzückt R. der Anblick eines kleinen Segelbootes, auf dem See gleitend; »was ist einem dagegen das Dampfschiff? Weg wendet man den Blick; unsre ganze moderne Welt liegt darin; nun ja, es hat seinen Nutzen, nur muß man nicht mehr Motive erwarten für den Bildenden Künstler«. Ich schreibe an Marie Schleinitz, daß ich erwarte, daß mein Vater sich mir meldet, ich ihm aber nicht schreiben könne. Abends in Carlyle's »Friedrich dem Großen«