November

Dienstag 1
Abscheulich nimmt es sich aus, daß Gambetta Bazaine und seine Armeen schmäht, nachdem diese so furchtbar gekämpft und gelitten und nur der eisernen Notwendigkeit gewichen sind. Unsre Truppen aber, wie glänzend haben diese sich inmitten der prüfendsten Umstände bewährt! - R. empört über die Elsässer, sagt: »Sie sind unfähig, die Wahrheit in sich aufzunehmen, durch die fr. Erziehung sind sie gebrochen; und auf die Fähigkeit, die Wahrheit trotz Abneigung in sich aufzunehmen, kommt es an. Wie ist es mir mit der Schopenhauer'schen Philosophie ergangen; ich, der ich durchaus Grieche, Optimist war? Doch habe ich mich ergeben der schweren Erkenntnis und bin zehnfach gestärkt aus dieser Ergebung hervorgegangen.« - R. schenkt mir eine goldne Feder, mit welcher ich nun schreibe. Nachmittag Besuch des jungen Gr. B. mit seiner Mutter; er erzählt von der geheimgehaltenen Panik, welche ein bayrisches Corps in Bitsch ergriffen und es bis Germersheim fliehend gebracht! Vom jüdischen Gottesdienst vor Metz (Betmäntel und Pickelhauben) erzählt er auch und von der schlechten Organisation der Krankenpflege. Auch sieht er schwarz wie so mancher, in Bezug auf die deutsche Einheit. - Abends »Triumph der Empfindsamkeit« von Goethe.[1] Der Prinz erinnert uns an unsren k. Herrn. Die Scene der Proserpina,der Genuß der Granatkerne, der durch den Genuß erfolgte unmittelbare Rückfall in die Hölle, dieses Bild, von Schopenhauer besonders angeführt, bringt mich auf die Betrachtung der Welt, des Lebens und Todes, auf das Schicksal des Einzelnen dann, und in Tränen begebe ich mich zur Ruhe.
Mittwoch 2ten
Totentag. Paris wird bombardiert, wer nicht hören will muß fühlen, kann man da populär sagen. - Ich setze ein Totengebet auf für die Kinder. Gestern sagte R. bei Gelegenheit der Choräle, die unsre Soldaten nach den Schlachten singen; wenn mich einer früg, gibt es denn einen Gott?, würde ich erwidern: Hörst du ihn denn nicht? In diesem Augenblick, wo diese Tausenden von Menschen ihn singen, da lebt Gott, da ist er. Sich ihn vorstellen als einer, der zusieht und gut oder schlecht findet, das ist töricht; selber ist er, aber in gewissen Augenblicken der Völker wie des Einzelnen, da ist er, da wird er wach. - Brief von der Mutter, welche, vom Jura vertrieben, ein Asyl sucht, Besprechung mit R., ob ich es ihr anbieten darf, ihretwegen, denn die Einsamkeit, unsre deutsche Gesinnung und der ganze Zuschnitt unsres Lebens würden ihr nicht behagen. R. hat einen Brief von Herrn van der Straeten[2] mit einem Aufsatz über die Weimarischen Vorstellungen, welchen das ultramontane Ministerium nicht im Brüssler Moniteur aufnehmen wollte, nachdem das vorherige liberale den Verfasser nach Weimar geschickt hatte. Brief aus Mannheim vom Theaterdirektor, meldend, daß der Fl. Holländer einen Erfolg wie keine andre Oper dort errungen habe, dazu viel Freundliches. »Was kann ich dafür«, sagt R., »daß dieses Kompliment 30 Jahre zu spät kommt.« Die rote Gardine wird um mein Bild gemacht. Eva erhält zum ersten, wahrscheinlich zum letzten Male die Rute, wegen unaustilgbarem Schmutz.
Donnerstag 3ten
Die Franzosen erklären, selbst wenn Paris eingenommen wird, keinen Frieden schließen zu wollen; es zeigt sich, wie R. sagt, daß sie gar kein Staat mehr sind, daß kein Glied für das andere fühlt, und von dem jesuitischen Geist wieder ein ganzes Land zersetzt worden ist. Gedanke an die Konversion meiner Kinder zum Protestantismus, weil ich sie religiös christlich erziehen will und es mir unmöglich ist, die jesuitischen Lehren aufzunehmen. Kindertisch; erste englische Stunde für Lou-lou; Besuch eines Konsuls,der sich als Weinreisender entpuppt, nachdem R. ihm vorpolitisiert hat, was, wie R. sagt, nur ihm passieren kann. Schreibe an die Mutter und an Schure. - Abends spielt uns Richter aus Siegfried.
Freitag 4ten
Gerüchte vom Waffenstillstand, die uns keine Freude machen; R. wünscht das Bombardement. Sehr gute Aufsätze von Ludwig Bamberger (Material zur Volkspsychologie).[3] Kinderstudien; ich suche Bücher für Weihnachten aus und werde von der Darstellung von indischer Religion tief ergriffen. Abends »Der Weber von Segovia«.
Samstag 5ten
Gal Moltke soll krank sein, der Waffenstillstand ist so gut wie gewährt, das betrübt uns alles. R. arbeitet ohne Lust an seiner Partitur, »es ist alles, was ich seit zwei Jahren erfahren, doch zu trostlos, wenn ich denke, daß die Leute in München, wenn sie in Verlegenheit sind, die Walküre auf den Zettel bringen. Das alles ginge wohl noch an, aber der König, der König, wer kann sich ein solches Wesen erklären, wer es begreifen-einzig würde ein dramatischer Dichter ihn wiedergeben können, unerklärlich wie er ist, deswegen, sage ich, ist die dramatische Dichtung die einzig wirklich lebenvolle«. Ich bringe mit R. Loulou zur englischen Stunde, sie wird mir sehr gelobt, und wir erkennen an ihr die glänzenden geistigen Gaben ihres Vaters. Abends Musik, Richter spielt uns die B dur Symphonie vor; [4]mich stimmt die Musik immer zur Andacht, zur Erkenntnis des Lebens und meiner selbst; wie eine Büßübung ist sie mir, die ganze Schuld des Daseins bringt sie mir, aber erlösend, vor. Zu Bett gedachte ich Hans, und daß ich ihm so viel Leid antun mußte; weinend, betend schlief ich ein. - R. sprach bei Tisch den Wunsch aus, ein Quartett zu Bilden (Richter die Bratsche, die drei andren aus Zürich kommen lassen), ich habe meine ökonomischen Bedenken, doch lasse ich sie nicht laut werden.
Sonntag 6ten
Brief von Marie M., mein Vater will nicht nach Weimar, aus französischen Sympathien, damit ist nun die Kluft vollends unausfüllbar. Von Napoleon's Wiedereinsetzung spricht sie als wahrscheinlich! -Ich schreibe an Frau Schure. Kindern Märchen vorgelesen. R. bringt einen Brief von der Mutter, welche mir einen Brief an den Kronprinzen von Preußen mitgibt, welcher den Zweck hat, Elsaß Frankreich zu erhalten!!! - R. sagt, daß die franz. Regierung in Luftballons ein Stoff für aristophanische Lustspiele wäre; solch eine Regierung, in der Luft in doppeltem Sinne, müßte einem Lustspieldichter herrliche Einfälle bieten. - Abends »Othello«;[5] jede Seite eigentlich eine Erfahrung.
Montag 7ten
Stets grauer Himmel, das drückt auf R.'s Befinden, er zwingt sich aber zur Arbeit. (Gestern abend Ankunft von der Braunschweiger Wurst!) Nach Tisch Spazierfahrt mit den Kindern, Loldi im braunseidenen Mantel mit Kragen, »der Marquis aus dem Postillon von Lonjumeau«.[6] - Abends die drei letzten Akte von »Othello« in namenloser Ergriffenheit, ich sage zu R., daß ich niemals die Stücke eigentlich kennen werde, weil ich viel zu tief erschüttert bin, um das einzelne mir genau einzuprägen. R. kommt wieder auf seine Theorie zurück, >daß Shakespeare durchaus nicht der Literatur angehört und gar nicht z. B. mit einem Dichter und Künstler wie Calderon zu vergleichen sei; durch Sh. könne man sich selbst eine Erscheinung wie Homer einigermaßen erklären, wie Sh. zu den geBildeten Literaten, mag Homer zu den Priestern ungefähr sich verhalten haben<. Ich füge in Gedanken hinzu: und wie Richard zu unsren heutigen Literaten und Poeten, die ihn gar nicht klassifizieren können. - (Den Trauring auf dem Weg nach Hergeschwyl verloren!)* (*Neben der Tageseintragung am Rand eingefügt.)
Dienstag 8ten
Waffenstillstand oder nicht, das ist jetzt die Frage. R. sagt, die Republik habe keine andre Stütze als zu sagen: kein Stein, kein Zoll; könnt ihr das, erwidert das Volk, dann ist es gut; von dem Moment an, wo sie mit dem Feind sich verständigen würden, käme eine ganz andre Reaktion; deshalb sind die jetzigen Regierenden wie die Besessenen. -Vorgestern sendete ein Flamländer eine wütend germanische Hermannsrede, die uns Vergnügen macht; R. sagt, um ein Haar wäre Deutschland daran gewesen, unter dem franz. Einfluß so ein Land zu werden wie Belgien, alle Kultur französisch, und nur das niedere Volk deutsch gesinnt. Wie in Spanien auch das Nationaltheater augenblicklich verschwindet, wie der fr. Einfluß sich geltend macht. - Fidi ungezogen gegen seinen Papa! Gegen Mittag kommt R. und ruft mich, er wolle mir etwas vorlesen; es hat ihm keine Ruhe gelassen, er hat »Die Kapitulation«,[7] einen Schwank im aristophanischen Stil entworfen, Richter soll die Musik dazu machen, dann sollen's die kleinen Theater geben. Er glaubt zuerst, es würde mich kränken oder bekümmern, daß er die Instrumentation deshalb aufgegeben, doch alles ist mir recht, das ihn erheitert und freundlich anregt. Auch macht er eine Seite Partitur noch am Abend. - Bei Tisch wollen wir auf das Unternehmen trinken, R. sagt zu Jakob: Die Frau Baronin wünscht von dem Marcobrunner - ich lache R. aus, daß er noch den alten Titel gebraucht, »ach! ich glaube es immer [noch] nicht, daß du mir gegeben bist, ich glaube immer, du bist mir nur geliehen, du seist das Mädchen aus der Feenwelt, das bald verschwinden wird«. - Ich will ausfahren, den verlorenen Ring zu suchen; verschlafe aber am Nachmittag die Zeit; die Kinder zu mir gerufen, alle fünf und willy Stocker dazu, die vier kleinen springen und kriechen auf der Erde herum (der Froschteich, sagt R.), den zwei großen lese ich Märchen vor; endlich verbleibt mir Lusch allein, der ich römische Geschichte vorlese. »Wir sind eigentlich im Paradies«, sagt mir R. Rosen blühen noch in unsrem Garten; wie ich gestern aufwachte, fand ich auf meinem Schoß drei schöne Rosen mit Knospen, die R. während meines Schlafes mir hingelegt hatte. - Abends zweiter Teil von dem »Weber von Segovia«.
Mittwoch 9ten
Todesanzeige eines Freundes, Mosonyi aus Pest.[8] - R. beginnt die Ausarbeitung seiner Posse, doch ist er nicht ganz dabei, er ist unwohl. Meinen Ring auf der Fahrstraße gesucht, ihn nicht gefunden. - Graf. B. besucht. Abends Geschichte Frankreichs von Ranke begonnen. - Der Waffenstillstand ist von den Franzosen verworfen!
Donnerstag 10ten
Schiller's Geburtstag. Mir sind all diese Novembertage schwer durchzuleben, immer steht mir meine Trennung von Hans vor dem Gemüte; das eigene Leiden mildert mit der Zeit, ja es kann in frommer Entsagung ganz verschwinden, das dem andren Zugefügte lastet immer schwerer, so ist mir, als ob ich unter dem Druck einst sterben könnte. - Der h. Krieg, eine illustrierte Zeitung, macht uns viel Freude durch die guten Portraits der verschiedenen an dem jetzigen Krieg Beteiligten. »Moltke sieht aus wie ein ausgegrabener alter Stein«, sagt R.; die Franzosen (Gramont, Benedetti etc.) alle widerwärtig. - Gestern kam ein Brief von Hans Herrig an R., er meldete, daß wiederum einmal die Journalisten
auf R. Jagd gemacht hätten; dann erzählt er, daß in der Vorstellung von Lohengrin eine alte Dame ihrer Nachbarin gesagt hätte: »Ja der Lohengrin, den hat W. schon vor langer Zeit geschrieben, damals war er noch nicht so entartet.« - Spaziergang mit den Kindern, seit langer Zeit wieder einmal die Berge gesehen. In Paris spielen sie wieder Oper, um die Meisterwerke Rossini's und Meyerbeer's dem Publikum nicht vorzuenthalten!!
Freitag 11ten
In der Zeitung steht, daß in Paris an den Mauern angeschlagen worden ist, daß in München Republik ausgerufen worden ist, R. Wagner's Haus gestürmt, er selbst erschlagen. Mit solchem Unsinn erheitern sich die Leute! R. dichtet - zwar mit Widerwillen - an »Die Kapitulation«. Übles Wetter, wir gehen nicht aus. Vieles wird von uns durchfgesprochen. Von mir ist jede Leidenschaftlichkeit der Liebe gewichen, bei R. waltet sie noch; er sagt mir, wie ich mit Beklemmung immer dieses gewahre, daß gerade das ihm die große Sicherheit und Ruhe gegeben, daß die Natur unsren Bund gesegnet; von da an sei ihm ein neues Leben begonnen, wie in einem Gespenster-Abgrund habe er auf sein vorhergegangenes Leben geblickt. -
Samstag 12ten
Im Bade gestern überlegte ich mir, wie ich Lulu ermuntern sollte, sich ganz ihrem Vater zu widmen, gönne mir der Himmel, dieses zu vollbringen! Mit jedem Opfer, das man bringt, wirft man einen Teil der Bürde des Lebens von sich und wandelt freier, der Eigenwille und die Eigenliebe sind der schwere Ballast, die den Seelenflug hemmen! - Üble Nachricht; die Bayern sind von den Franzosen aus Orleans zurückgeschlagen. Sehr gedrückte Stimmung hierdurch, R. sagt: Man taumelt von Weltverachtung zur tiefsten Teilnahme für sie hin. Brief meiner Mutter und Pr. Nietzsche's. Bei mir andauernde innerliche, beschauliche Stimmung; ich glaube, ich wäre jetzt für das Kloster reif. Mit den Kindern spazieren gegangen. Weihnachtsbesorgungen.
Sonntag 13ten
Schreibe an Marie M. Nichts von Belang; die deutsche Frage scheint durch Bayern gehemmt zu werden. Die Mutter schreibt mir einen langen Brief, aus welchem zu ersehen ist, daß ein französisch gedrillter Kopf nicht aus dieser Phantasie sich befreien kann! Richter geht in »Fra Diavolo«,[9] wobei R. über Auber und Rossini zu sprechen kam, er-sterem entschieden den Vorzug der Erfindung, des Witzes, der Freiheit vor der Konvention, letzterem aber mehr Empfindung (Beispiel: der letzte Akt von Othello), mehr Fluß der Melodie zusprach. - Am Nachmittag, wie sie die Siesta hatten, kommt Jakob herein und meldet, eine Frau habe meinen Trauring - und zwar auf dem Exerzierplatz, wo ich gar nicht gewesen - gefunden und gebracht. Welch ein seltsames Glück! Muß ich nicht dankend erkennen, daß die Gottheit mir günstig und gütig! Alte Fehler, die ich begangen, mir mit einem Schleier verhüllt, hat sie mich sanft und fest zu dem Ziel geführt, an welchem ich erkenne, was des Weibes Pflicht und Glück ist. Und selbst in kleinen Einzelfällen muß ich die gütige Hand erkennen! Ich erzähle R., wie ich neulich auf der Hergesch-wyler Chaussee den Ring gesucht, ich mechanisch das kleine Gebet meiner suchenden Jugend an den h. Antonius von Padua gebetet hätte. O du Aufklärung! ruft R. aus. Aber glücklich sein ist göttlich! R. umarmt mich in Liebe und ruft mir zu: »Du ewiges Preislied meines Lebens.« Er wiederholt, daß er sich sein Leben gar nicht vorstellen könnte ohne mich, er weiß gar nicht, was aus ihm geworden, »gewiß die bedenklichste Art Sonderling«. - Wir fahren abends in Ranke fort, wobei R. bemerkt, daß wir große Geschichtsforscher hätten, doch keine Geschichtsschreiber, die sich mit den französischen und englischen, was Kunst der Darstellung betrifft, messen könnten.
Montag 14ten
R. immer etwas unwohl; wie ich zu ihm komme in seine Arbeitsstube, um ihn zu fragen, wie es ihm geht, sagt er nur, er habe nachts darüber gedacht, daß wir uns gefunden und verbunden hätten, »ein wahres Wunder ist es, und ich weiß nicht, wie dies in der schrecklichen Welt möglich war« - freudeweinend erwidere ich ihm, daß ich dadurch immer tiefer und inniger religiös werde, es ist mir unmöglich, nicht zu danken, unmöglich auch meinen Unwert nicht zu empfinden, unmöglich die Leiden zu vergessen, die ich hervorgerufen, unmöglich das überströmende Herz nicht in die Andacht zu ergießen. Nachmittags besucht mich Alfred Meißner, ein alter Bekannter. Ich habe es überwunden, daß er einstens eine Unterredung mit mir in München in einer Zeitung als Feuilleton wiedergegeben hat, und freute mich, ihn wieder zu sehen; allein wie R. eintrat, begann der unglückliche Literat von der Aufführung des Rheingoldes in München, von dem vortrefflichen Libretto, von dem Unrecht R.'s, sich diese Sachen nicht anzusehen, von herrlichen Dekorationen zu sprechen! Ich war wie auf Kohlen, R. entfernte sich lächelnd, und ich bat nun den guten Herrn, nur um Gottes willen gar nicht über diese Dinge zu reden. - Abends in Ranke gelesen. - Pr. Nietzsche sendet den »Beethoven« zurück, indem er bemerkt, daß wohl wenige R. würden folgen können.
Dienstag 15ten
Endlich wieder Sonnenschein, dazu russisch-türkischer Konflikt![10] Der Tag ist für mich ein ernster; heute vor zwei Jahren nahm ich Abschied auf ewig von Hans. R. sagt, von dieser Hedschra datiert sich meine Religion, ich bete von ganzem Herzen. Nachts rief Fidi, mir war's halb im Traum, als hörte ich die klagende Stimme Hans'! - (Lusch Photographien).
Mittwoch 16ten
R. wird mit seinem Gedicht fertig, mich dünkt es ausgezeichnet. Richter soll nun die Musik dazu machen. Alfred M. mit seiner 17jährigen Frau zu Tisch, beide gutartig und freundlich, wie er aber auf das Münchner Rheingold zu sprechen kommt, wird R. ernst und erklärt ihm, was dies für ihn zu bedeuten habe! - Bayern macht dem Nordbund Schwierigkeiten, R. bedauert, daß Bismarck so wenig Phantasie habe und nichts anderes den Verbündeten zu bieten wisse als unbedingten Eintritt in die preußische Schöpfung. Abends Brief von der Mutter, sie kommt nicht, wir sind ihr zu deutsch. - In Ranke weiter gelesen, in Calvin[11] und Luther so recht den Unterschied zwischen Deutscher und Franzose empfunden, beim letzteren wird alles formell und ledern heftig, wie R. sagt. (Loldi soll nach Dr. Meißner's Ausspruch eine Schönheit ersten Ranges werden!!).
Donnerstag 17ten
Dr. wille schickt die Biographie zurück. R. gedenkt des ersten Morgens vor zwei Jahren, »wie das rührend war!« sagt er, »ja, das ist es, was Leuten wie wille an meinem Leben imponiert, du bist der Punkt auf's i, die Glorie meines Lebens, das, worum sie mich beneiden«. Ich gedachte gestern, wie ich ankam, zitternd mit den zwei Kindern, kaum mehr fähig ein Wort zu sagen; das Tor der Welt hatte ich für immer hinter mir zugeworfen, von ihm hatte ich mich auf ewig getrennt. Durch eine musikalische Zeitung erfahren wir, daß unser Freund, der Intendant des Hannoverschen Theaters, R. v. Bronsart, als Freiwilliger in [den] Krieg gezogen ist und nun das Eiserne Kreuz erhalten hat. Das rührt uns sehr, dies ist das ächte preußische Wesen, Gott gebe, daß es nicht durch Bigotterie und Militärhochmut verdrängt werde. Briefe geschrieben, abends Ranke. R. erhielt einen Brief von einem fr. Gefangenen aus Erfurt (Mercier), der sich in der Harmonielehre vervollkommnen will. R. lacht, indem er das Kommandanten-Siegel - eine grobe, sehr wohlfeile, mit preußischer Sparsamkeit gewählte Oblate - erbricht: »Ja die Musik hat es allen angetan, es ist eine zersetzende erhebende Wirkung, wie die des Christentums bei seinem Erscheinen.« -
Freitag 18ten*
(* Von Cosima fälschlich »19ten« datiert, fehlerhaft bis einschließlich Montag 21ten.)
Ankunft des Goldrahmens für den »vornehmen Besuch«, er ist schön und macht R. viel Vergnügen. Abends Besuch des Meißner'schen Ehepaars; es entspinnt sich leider ä propos von Heine ein Gespräch über Lyrik; Alfred M. behauptete, einige Gedichte von H. seien ewig wie die Sterne, und erzählte, »Ich grolle nicht« im Konzert in Zürich mit großer Freude gehört zu haben, worauf R. sagt: »Aber stellen Sie sich nur vor, was das heißt, solche bittere innigste Empfindungen vor einem Konzertpublikum mit Bouquet in der Hand vorgetragen zu hören, und die Leute dazu vergnügt lächeln. Durch solche ästhetische Verwahrlosung wird unser Publikum so stumpf, es merkt gar nicht mehr auf das, was man sagt.« Das Gespräch geht im allgemeinen auf die Lyrik über, die R. am liebsten ungedruckt wüßte. Eine Art Verstimmung entsteht aus dem Gespräch, und wieder einmal erkennt R., daß er nicht mit Leuten verkehren kann.
Sonnabend 19ten
Arbeit mit den Kindern wie immer, mit R. spazieren, mit ihm abends gelesen. Brief von Freund Schure, welcher einen wütend französischen Aufsatz von sich schickt! R. ist empört darüber und sagt, ich sollte ihn fragen, ob Polen, Irland und andere Nationen jemals untreu geworden wären wie die Elsässer an Deutschland. - Ich bin nicht ganz wohl, Kopfschmerzen trüben mir Wachen und Schlafen, sie bringen die Empfindung der Wehmut des Lebens über mich.
Sonntag 20ten
Ein Freund von Richter schreibt, daß nach der Schlacht bei Sedan die Militärmusik beim Erscheinen des Königs von Preußen das Gebet aus Lohengrin gespielt hat! - Dazu, daß der König von Bayern mit einem Frl. Scheffsky[12] (Sängerin) ein Verhältnis habe, R. glaubt nicht recht daran. Ein dänischer Dekorationsmaler schreibt an R., huldigt ihm als Komponist, Dichter und » allseits Theatermann«. Ich schreibe der Mutter und Schure. Fidi als Eisbär im Flauschmantel immer bei mir, wehmütige Empfindung des Lebens; seine Arbeit tun, darauf kommt es hier an. Von Hans las ich in der Zeitung, daß er in Florenz Konzerte dirigiere. -Abends liest R. im Kladderadatsch-Kalender, was zu eigner Betrachtung über den Berliner Witz führt. - (Brief von M. Meysenbug.)
Montag 21ten
Garibaldi hat 800 Preußen gefangen! Doch verändert sich die Stimmung in Paris merklich, dieselben Leute (About u. a.), [13]die am frechsten waren, raten zur Nachgiebigkeit. Tresckow und der Herzog von Schwerin haben die Loire-Armee zurückgeschlagen, man erwartet einen Kampf - hoffentlich dann auch definitive Aktion. - Ich übe seit langer Zeit zum ersten Male wieder Klavier, weil R. Sonaten mit Violine (Beethoven) zu hören wünscht. Richter komponiert an der »Kapitulation«. Sorge um Grane, den unser böser Knecht schlecht verpflegt und der schon einige Mal scheu geworden ist.
Dienstag 22ten
Nichts außer ein wunderschöner Morgen, den ich im Garten mit den Kindern zubringe. R. instrumentiert. Den Kindern mache ich großes Vergnügen, indem ich ihnen erzähle, daß ein Handelsschiff »Hans Bülow« von den Franzosen gekapert worden ist. — R. war gestern abend traurig, er behauptete, ich sei »anders als sonst«, heute aber ist er wieder heiter und meint, das dürfe mich doch nicht verstimmen, daß er so unbedingt von mir abhängig sei. Mich erhebt bei jeder traurigen Betrachtung des Lebens der Gedanke, daß ich ihm notwendig sein durfte, daß er wirklich meiner bedurfte, um hinreichend auszuhalten. Nachmittag Klavierübung, abends liest R. die Novelle von Hoffmann[14] »Die Brautschau«.
Mittwoch 23ten
Wiederum im Garten am Morgen; von der Höhe der Einsiedelei lächelt mich unsere Halbinsel stets freundlich traulich an; in dies Haus, das alles birgt, was ich liebe, heimkommen, ist eine göttliche Empfindung. Ich freue mich unseres stillen, so erfüllten Lebens! - Am Morgen beim Frühstück sagte mir R.: »Du bleibst ewig eine Jungfrau, das ist dein Alter, wie jeder Mensch ein Alter hat, wo er ganz das ist, was er sein soll«, ich lache und meine, ich wäre dann eine alte Jungfer. - R. skizziert für den 2ten Akt der Götterdämmerung, will es aber nicht bemerkt haben. »Sonst verliert er die Laune.« Ich bemerke es an seiner aufgeregten Stimmung. Gegen mich jedoch ist er stets von namenloser Güte. -Richter als Stromkarl mit der Geige bei den Kindern; großer Jubel. Abends wird die Novelle von Hoffmann ohne sonderliches Vergnügen daran ausgelesen. - Nachmittags Sonate von Beethoven (96) mit Richter; R. sagt, daß ich beim Klavierspiel ein zu ernstes Gesicht mache, daß meine Augen braun werden und ich so von der Sache erfüllt bin, daß er sich vor mir fürchtet! Ich bedaure beinahe, gespielt zu haben, besorgt, daß es ihm nicht ganz recht sein dürfte, trotzdem er es gewünscht hat.
Donnerstag 24ten
Hl. Katharina, der Tag der Jungfrauen; herrliches Wetter, Rosenblühen und Sonnenstrahlen. R. ruft mir am Morgen zu, er habe Fidi als Jüngling recht lebhaft vor sich gesehen, »wenn er nicht nach irgend einer Seite excediert, so muß er mit seinem dicken Kopf und seinem wuchtigen Wesen ein ganz ungeheurer Kerl werden. Er soll dann die Sachen, die ich nicht habe machen können, zu Stande bringen«. - Der Kindheit gestern gedenkend (wie Richter mit seiner Geige oben mich an Jozy den Zigeuner gemahnte, den der Vater adoptiert hatte und der uns Kindern stets vorfiedelte), meinte ich, das Glück des Lebens verhält sich zu der Kindheit Glück wie die Erlösung zum Paradies. - R. komponiert. Abends Brief des Pr.'s N.*, (Nietzsche) der sich für Sonnabend ankündigt und furchtbar schwarzsichtig ist in Bezug auf Deutschland. Ein Brief Carlyle's[15] in der Zeitung macht uns viel Freude, er bezeichnet eben die gestikulierenden Franzosen als das, was sie sind. Abends in Goethe gelesen: »Shakespeare und kein Ende« und über »Die Tochter der Luft«. Sein Vergleich zwischen Sh. und Calderon, der eine die frische Traube, der andere der präparierte Wein, gefällt mir sehr.
Freitag 25ten
Mäusenacht, sie schrecken mich von meinem Bett. - R. sagt immer, er habe es zu gut, sei zu glücklich mit mir und den Kindern - o Himmel! - An Malwide M.** (** Malwida von Meysenbug) geschrieben. Mit R. wiederum die religiöse Frage für die Kinder besprochen, ich bin vor allem dafür, daß die Heiterkeit ihnen ungetrübt bleibe. - Bei Tisch entsinnt sich R., daß, wie er einst geklagt habe (über sein körperliches Befinden), der Vater die Nibelungen vorgenommen, ihn darauf angesehen habe und gesagt: »Der jammert über Unterleibsleiden und schreibt solche Geschichten.« Daran knüpft R. die Bemerkung, daß gewiß der originellste, genialste Mensch, der ihm vorgekommen, der Vater sei, und nach ihm Hans, weil dieser Feuer habe. »So denkt man sich im engsten Kreis herum - und dieser Kreis ist ziemlich gesprengt. Denn wenn die Frauen eintreten, die werfen alles untereinander - was bis dahin gut ging, so drückte sich Herwegh aus über mein Nibelungengedicht!« - Nach Tisch spiele ich mit Richter. Abends bringt die Musik R. zu folgender Bemerkung: »Die Wiederholung! An ihr sieht man den totalen Unterschied zwischen Musik und Poesie, ein Motiv kann wiederholt werden, weil es eine Persönlichkeit ist, keine Rede, dagegen in der Poesie ist die Wiederholung lächerlich, außer wenn es Refrain ist und musikalisch wirken soll.« - In Ranke gelesen. Ich bemerkte, wie sonderbar, daß kein Franzose sich Coligny[16] zum romantischen Helden gewählt habe. »Es sind eben alles Juden«, erwidert R., »sie kennen nichts als das Alte Testament, das nennen sie Sanskrit treiben.«
Samstag 26ten
R. meldet am Morgen, daß die Kapitulation von Paris für die nächste Woche erwartet wird. - Wie ich R. einiges aus der Zeitung melde, sagt er mir: »Du bist so traut; so stolz und vornehm du bist, bist du mir so vertraut; du bist die einzige vertraute Seele, alles so fremd. Mein Leben wäre mir gar nicht mehr möglich gewesen ohne dich. Wenn du hm hm gemacht und dich zurückgezogen, ich hätte dich nie gelassen, wäre immer um dich gepoppelt, wie Turgenjew um Mme Viardot, das wäre ein schöner Zustand gewesen!« — Über Siegfried's dritten Akt sprechend, sagt er: »Die Werbung Siegfried's ist doch schön, und das Ausrufen >heil dir Mutten, siehst du, das ist Religion, wo der Mensch, sich selbst vergessend, sein Glück auf das ganze Weltall überträgt.« - Zu Shakespeare übergehend sagt er, »daß wir sicher wissen, daß Sh. gelebt hat, ist uns eine Beweis für Homer's Existenz«. Nachmittags Ankunft von Pr. Nietzsche. Musik (ich und Richter), abends liest Richard »Nicht kapituliert« vor.
Sonntag 27ten
»Mir ist auf der Welt nichts lieber als die Stube, wo ich bin, denn mir wohnt aneinander meine schöne Nachbarin«, singt R. am Morgen; dann tritt er zu mir und sagt: »Da liegt eine Melodie im Bett, eine recht große, du bist meine Melodie.« Frühstück mit Richter und dem Pr.; ich in großer Sorge; die Loire-Armee wird als sehr bedeutend (120 000) geschildert, und sie soll gut geführt sein. Pr. Nietzsche erzählt, daß sie in Basel, seine deutschen Kollegen und er, in äußerster Besorgnis seien! - Wir machen einen Spaziergang mit den Kindern. Dann Musik; nachmittags Besuch des Grafen B. Abends Siegfried erster Akt! Richter hat Enthüllungs-Artikel über Bon Perfall erhalten, die ihn freuen.
Montag 28ten
Man erwartet die größte Schlacht in diesem Krieg. Es ist eigentlich kein froher Gedanke möglich, der Himmel sei mit den Unsrigen. R. ist nicht wohl, woran das naß-kalte Wetter schuld ist. Ich wate zur Gräfin Bassenheim hin. Abends in Ranke das Kapitel der Bartholomäus-Nacht gelesen. Es offenbart sich uns, daß seit Katharina von Medici[17] eigentlich in Frankreich nur immer Fraktionen geherrscht und untereinander sich bekämpft haben. - Brief von Hedwig Schröder aus Berlin.
Dienstag 29
Brief von der Mutter, die meinen Besuch wünscht, mir graut aber vor jeder Entfernung von Tribschen. R., dem ich das anvertraue, meldet, daß er nicht daran denke, irgend etwas ohne mich zu unternehmen. Zahnschmerzen, Klavierübungen, Nachricht von zwei Siegen in Amiens und über Garibaldi. Abends Absendung von »Nicht kapituliert« an den Sänger Betz (mit Empfehlungsbrief von R.)* (* Am Rande eingefügt) (Frau Pohl ist gestorben).
30ten Mittwoch
R. erzählt seinem »guten Mirakel« seinen Traum: »Ich kam mit Minna in Constantinopel an und war von der Schönheit des Ortes so überwältigt, daß ich ausrief, von so etwas macht man sich doch keinen Begriff, wenn man es nicht gesehen hat. Nun ging ich durch sonderbare Winkelstraßen, wo ich vermeinte, die Orte zu erkennen, wo die Christen bei der Verfolgung sich versteckt [ge]halten; an allerlei Seltsames - Menagerien etc. - kam ich vorbei, plötzlich gewahrt ich, daß ich Minna verloren hatte, da kam Rus mir entgegen, ich mit ihm suchend durch ein Gewirr von Straßen, bis ich bemerkte, daß er am Bein verwundet ist, >Herr Jesus<, ruf ich aus, nehme das schwere riesige Tier unter den Arm und komme so keuchend an ein Wirtshaus; da frage ich nach einem Wagen und einem Gasthofe, die Wirtin nennt mir eins, Sporchelt und Hausschild, aber indem sie es nennt, fährt sie erschrocken zusammen, indem sie bemerkt, daß ein Mann gehört hat, daß sie die Adresse gab. >Aha!< denke ich, >das sind alles Halunken<, und ziehe fort. Der Anblick der Stadt versetzt mich wieder in Entzücken, und in diesem Entzücken muß ich tiefer eingeschlafen sein, denn wie ich mich in einem Wagen wiederfinde, von einem türkischen Kutscher geführt, sag ich: >Die haben dich im Schlaf in [den] Wagen gebrachte Doch fehlte mir Rus, endlich finde ich ihn unter dem Bänkchen des Wagens. Nun aber fehlt mir mein Hut, den ich hinter mir bergab-gleichsam wie ein Hündchen mir folgend - rollen sehe; mein Kutscher will nicht halten, und in dieser Aufregung wach ich auf.« Wir lachen über die Lebendigkejt, mit welcher er im Traum Bosporus, das goldne Hörn (das aber da ein Gebirg war) usw. gesehen, alles Dinge, die er in Wirklichkeit gar nicht kennt! — Fidi der Olympier, so nennt ihn R., der meint, er würde etwas Ungeheures werden und uns viel Not machen! - Lauter Unfreundliches zum unfreundlichen Wetter. Die Notiz, daß Grane krank ist, dann Juden und Weinreisende; wir sind nicht wohl. (Unpolitischer Brief von Schure, dem mein Wort, daß nichts das jammervolle Schicksal Deutschlands beleuchte als der Abfall von Elsaß, verglichen zu der Treue, mit welcher Polen, Ungarn, Irländer an ihrem Stamm festhalten, scheint einigen Eindruck gemacht zu haben.) Abends Ranke. (Siegreiches Gefecht gegen das Gros der Loire-Armee.)