Oktober

Freitag 1ten
Brief des Pzen Georg, er schickt noch ein Drama von sich. Siegfried-Wartung: »Aber Fidi«, - sag ich -, »du tätest besser, hier drin zu bleiben.« »Ja, das sagt die Weisheit« - meint R. -, »aber die Naseweisheit ist vor der Weisheit da und will alles kennen lernen, was zu kennen die Weisheit so bereut.« R. ist immer nicht sehr wohl. Abends bringt er einen Brief Pasdeloup's, welcher recht wehmütig klingt. Er ist krank, und die Geschäfte gehen schlecht! Wir besprechen mit R., wie er nach außen hin gar nichts unternehmen kann. Die Welt ist ihm versperrt; alle seine Erfolge beruhen noch immer darauf, daß er Opernkomponist scheint; da er das durchaus nicht ist, so kommen auch daher die Mißverständnisse. Wir besprechen die Möglichkeit einer Reise nach Amerika, falls der König seine Pension entziehen würde. Gott weiß, was uns noch bevorsteht. - Beethoven'sches Quartett vierhändig. Samstag 2ten
In der Zeitung steht, daß der Andrang des Publikums zum Rheingold bereits im Abnehmen sei!! R. am Morgen wehmühtig gestimmt, doch im Verlauf des [Vormittags] wieder so weit zu sich gekommen, daß er mir zu Mittag sagen konnte, »ich habe etwas für dich es ist etwas gekommen«, dabei zeigt er mir den Beginn der Nornenscene. Bei Tisch sagt er mir plötzlich: »Kein Mensch hat mir in dieser Welt Mut bewiesen außer du. Vor dem sollten wenigstens die Leute Respekt haben. Ich muß ihm erwidern, daß ich gar keinen Mut, nur Liebe gehabt hätte. Ach! ich weiß es zu gut, wie gering meine Kraft ist! - Abends Brief von Claire; stets Trauriges von der Mutter. Abends Quartette mit R.
Sonntag 3ten
Üble Nacht, Siegfried alle zwei Stunden wach - mit Freude diese kleine Qual getragen, wie gerne möchte ich leiden um mein Glück zu verdienen und meine Daseins-Schuld zu büßen! Am Morgen Besuch von Gräfin Bassenheim, welche zu meiner Freude durch ihr herzliches Benehmen und ihren Witz R. sehr gefällt. Kindertisch, dann Kinderspiel. Siegfried wieder wohl. Brief an Claire geschrieben. Abends Ankunft des Herrn Schure.
Montag 4ten
Üble Nacht mit Siegfried, und R. immer leidend. Von München kommt nicht der erwartete Brief, so daß wir annehmen daß am Ende der König die Pension zurückzieht. R. spricht mit Schuré über unsere Angelegenheiten und findet ihn vortrefflich gesund. (Botaniker) Nach Tisch spreche ich mit Sch. über die Anomalie der ganzen Erscheinung R's in unsrer Zeit! Er hätte müssen zu Aischylos' Zeiten die Welt beglücken; jetzt glaubt er das unauflösliche Mißverständnis zwischen ihm und der Welt zuweilen durch Erläuterungen zu lösen, und je mehr er spricht um so tiefer wird die Kluft. Das Theater seines Gedankens ist ein Tempel und das jetzige Theater eine Jahrmarktsbude, er redet die Sprache der Priesters, und Krämer sollen ihn verstehen! Ihm mußt ich mein ganzes
Leben weihen, denn ich habe seine Lage erkannt. - Am Morgen spielt er aus dem ersten Akt des Siegfried.
Dienstag 5ter Mittwoch 6ter
Unsrem Besuch gewidmete Tage - am Morgen immer etwas Musik aus Siegfried. Nachmittags Spaziergang abends Lektüre. Bekanntschaft Lichtenberg's[1] gemacht, großes Ergötzen. Von außen Brief Judith's und endlich der erwartete Brief Mrazek's. (Unruhige Nächte mit Siegfried.)
Donnerstag 7ten
Geburt des 2ten Stocker'schen Kindes. Ich stehe Vreneli bei und bin furchtbar ergriffen durch den Anblick eines zur Welt kommenden Wesens. Warum sagt man uns in der Jugend so schlecht was die Welt ist und das Leben? - Brief der Dienerin aus München ich bekomme etwas Geld von dem Verkauf und erfahre, daß Hans unterwegs nach Italien ist. Ich kann den Namen nicht nennen hören, ohne in meinem Herzen zu beben. - Ich schreibe Judith und bin nachher so müde, daß ich mich den ganzen Tag zu Bett legen muß. R. ergreift dies sehr, und er schilt mich, daß ich mich nicht genügend pflege. Ich sollte den Siegfried nachts nicht versorgen - meint er -, ich fühle aber, daß ich dies muß und auch kann. - Unsre Stimmung ist nach außen hin eine vollständige Hoffnungslosigkeit. -
Freitag 8ten
Viel bei Vreneli und dann mit den Kindern. R. instrumentiert eine Seite seines Siegfried's. Nach Tisch macht uns die Ankunft der Vögel, die er für Loulou bestimmt, eine große große Freude. Leider kommt R. sehr verstimmt von seinem Spaziergange heim, und bei Gelegenheit eines Briefes von Claire stellt er mich zur Rechenschaft in einer Art und Weise, die mich bald zur heftigsten Ungeduld bringt, da ich mir bewußt bin, niemals in etwas gegen ihn gefehlt zu haben und seine Ehre eifersüchtiger gewahrt zu haben als meine eigene. Diese meiner Natur so zuwidere Ungeduld greift mich entsetzlich an, und indem ich dies schreibe, zittert und bebt mein ganzer Leib, und ich fühle mich wie aus allen Fugen.
Samstag 9ten
Natürlich sah R. wohl ein, daß er mir Unrecht getan, und ich auch bald, daß seine Gereiztheit nur die Folge des unangenehmen Eindrucks war, welchen Claire's Brief (sie ermahnt mich, bei meinem Ehe-Kontrakt vorsichtig zu sein!) auf ihn gemacht. Ohne Auseinandersetzungen müssen wir uns in die Arme fallen - denn alles, was uns nur im geringsten voneinander trennt, ist Unsinn und Wahn. Er instrumentiert etwas, ich arbeite mit den Kindern und pflege Fidi. Nach Tisch Taufe des kleinen Bernhard Stocker, die Kinder zur Kirche, ich bleibe zu Haus, denn es wäre nicht schicklich, daß ich jetzt die Kirche betrete. Abends liest mir R. aus »Don Quixote«.
Sonntag 10ter
Ruhiger Morgen; wir besprechen friedlich eingehend die Frage, die uns neulich so aufgeregt hatte, und ich schreibe Claire, um sie zu ersuchen, meine kleinen Geschäfte zu besorgen, nämlich die 40 000 Francs, die mir die Mutter schuldig ist, mir zu gewinnen, damit ich sie für die zwei ältesten Kinder in einer Versicherungsanstalt anlegen kann. Kindertisch, mit Taufkuchen. Dann mit R. spazieren gegangen zur kleinen Kapelle; gleichsam Abschied an die Natur, alles ist gelb, der Himmel ist trübe, die Luft aber mild. Wir besprechen Schopenhauer's [2]Wut gegen die Weiberveneration, und R. sagt lachend, er könne es sich recht vorstellen, wie er mit der vollen jugendlichen Wucht und den Problemen, die ihn beschäftigen, das schöngeistige Geschnatter hätte bei seiner Mutter anhören müssen und dabei sich sagen, daß sein Vermögen bei diesen Affereien zugrunde ging und er würde für Geld schreiben müssen. In der Musikalischen Zeitung steht ein Brief Nau's, welcher R. sehr mißfallen hat, er dankt den Schülern der Musikschule und lobt dabei alle Mitlehrer und Perfall u.s.w., trotzdem er hierher wiederholt geschrieben, daß alles gründlich schlecht und erbärmlich sei. Nun in Gottes Namen!
Montag 11ten
Nichts von diesem Tag zu berichten außer Vorbereitungen zu Lulu's Geburtstag. Depesche Herbeck's, daß die MSinger in vollem Gang in München sind.[3] Immer große Müdigkeit, ich schlafe beinahe den ganzen Nachmittag, abends »Don Quixote«.
Dienstag 12ten
Lulu neun Jahre! Große Bescherung; Vögel, Kleid allerlei; sie hat wirklich Freude. Kindergesellschaft, mit Kasperl-Theater (ich!) und Tanz. R. stimmt mich traurig, indem er an kleinen unbedeutenden Vorfällen will gewahrt haben, daß es besser sei, kleine Mädchen nicht mit Knaben zusammen zu bringen. Ich werfe mir beinahe vor, solche Unruhen wie die heutige in sein Haus zu bringen, und will in andrer Weise die künftigen Geburtstage feiern. Es stimmt mich auch wehmütig, daß Hans seinem Kind nicht einen Gruß hat zukommen lassen.
Mittwoch 13ten
Viel Kälte, auch trübe Stimmung, weil Fidi's Ausschlag immer schlimmer wird. Nach Tisch mit Lusch zu Fuß zur Gr. Bassenheim, auch zu Fuß beim Mondschein heimgekommen. Abends »Don Quixote«, welcher uns immer herrlicher dünkt.
Donnerstag 14ten
Großer Regen; am Morgen bereits Kaminfeuer. R. hat einen unendlich artigen Brief Dingelstedt's, der ihm seine Freude über die MSinger ausspricht! »Es ist unglaublich«, meint R., »was solche Menschen alles einstecken - wenn man an die Notiz in der Judenbroschüre denkt!« - Nachmittags Brief Claire's, daß ich wahrscheinlich mein kleines Kapital nicht bekommen werde! Ankunft eines Bildes Beethoven's; Geschenk des Königs von Bayern. R. dadurch sehr übel gestimmt; zuerst das Benehmen, und dann das ununterbringbare Geschenk. Abends »Don Quixote«.
Freitag 15ten
Üble Nacht, da Siegfried alle zwei Stunden erwacht. Brief der Tante Isa[4] an Loulou, der mich mit Wehmut erfüllt, aber doch sehr erfreut, weil Loulou so glücklich darüber ist. Ich lasse sie sogleich die Antwort schreiben. Mit den Kindern beinahe ausschließlich, weil ich die beiden Mädchen in's Theater schicke. Abends bringt R. von seinem Spaziergang ein Autograph von Beethoven, welches ihm der junge Servais verehrt, und ein rührendes Blatt von einem sächsischen ehemaligen Musiker, der jetzt aus Armut Soutachensticker geworden ist, auf diesem Blatt sind mit Epheu und Lorbeer umrankt alle Werke R.'s bis auf »Das Judentum in der Musik«. R. ist hiervon sehr gerührt. Leider hat ein Brief Schure's ihn tief betrübt. Mit Siegfried's Taufe und Legalisation geht es überaus schwer, ja es ist für R. beinahe unmöglich, ihm seinen Namen zu geben. - (Botaniker).
Samstag 16ten
Sehr üble Nacht mit Siegfried, der sehr mit seinem Ausschlag gequält wird. Ich und R. sehr wehmütig gestimmt. Die Kinder zur Stunde. Ich ihnen entgegen. Schöner warmer Mondschein, beinahe südliche Färbung. Abends »Don Quixote«. Wir sehen, wie ungenügend man in der Jugend liest und wie oberflächlich der zweite Teil beurteilt wird. R. sagt, er möchte ein förmliches Zimmer zur Verehrung eines jeden einzelnen solcher Genien wie Cervantes. R. hebt hervor, wie C.'s Genius gerade so schüfe wie die Natur, und daß er und Shakespeare zu den Dichtern gehören, denen man gleich Homer gar nicht die Kunst anmerkt, während z. B. die griechischen Tragöden, Schiller, Calderon, wie Hohepriester aufträten, gleichsam von einem Gedanken aus ihre Gebilde konstruierten. Don Q.'s Gestalt ein Pendant zum Hamlet, was Mischung des Erhabenen mit dem Lächerlichen betrifft. Und alles immer human. Sich selbst hat Cervantes in dieser Gestalt geschildert, er muß der Welt gegenüber sich oftmals so vorgekommen sein, und die herrliche Humanität (wie er z. B. über die Hofritter urteilt) gleicht der Art, wie C. selbst über die gleichzeitigen Dichter spricht. Das Auffallende des zweiten Teiles ist die Entwickelung der Charaktere, Sancho ist anders geworden und doch derselbe geblieben, er hat den Dichter selbst fortgelebt. Alles sieht er, alles beschäftigt ihn, wie D. Q. im Hause des Don Diego eintritt, bemerkt der Dichter, daß ihm die Stille vor allem wohlgefiel. Beim Abendessen besprechen wir Shakespeare's unbekanntes Los, R. glaubt, daß er einen guten Teil seiner Stücke nach seiner Zurückgezogenheit in Stratford geschrieben hat. Über Falconbridge[5] und Edmund, diese Kinder der Liebe; da ich sage, daß beim Edmund es sich nicht zeige, sagt R., »doch«, alle geregelten Verhältnisse gehn zu Grund, hier ist Zerwürfnis zwischen Vater und Tochter, dort zwischen Vater und Sohn, hier zeigt die Natur ihre Macht, indem sie diesen einen energischen Menschen hervorbrachte. - Auf D. Q. zurückkommend sagt R., im »Werther« habe Goethe etwas ähnliches geschaffen, nämlich ein Buch, dem man die Kunst gar nicht ansieht. Wenn Cervantes Künstler sein will, ist er Akademiker und konventionell, sein Genie durchaus unbewußt wie eine Naturkraft. Viel sprach er noch heute in dieser Weise, immer göttlich und einzig.
Sonntag 17ten
Lusch schreibt ihrer Tante; nachher Kindertisch. Übles Wetter, den ganzen Tag Kinderunterhaltung. Ich träumte traurig, daß meine älteren Kinder tiefen Kummer machten, und daß ich Hans wiedersah und er so traurig war. Nie wieder kann ich so werden! (Abends »Don Quixote«.)
Montag 18ten
Wiederum übles Wetter, die Kinder im Garten; R. und ich nur eingedenk unsrer Liebe. Brief des Pr. Nietzsche (sehr hübsch) Nach Tisch der Student, mit welchem wir etwas Geologie anfangen. In der Stadt verfehlen wir R., es läuft der eine nach dem anderen, endlich höre ich das Pfeifen des ersten Themas der 9ten Symphonie.
Dienstag 19ten
Üble Nächte, Siegfried's Ausschlag bekümmert uns sehr. Lulu schreibt dem Großpapa zum Geburtstag. Ich antworte dem Pr Nietzsche. Besuch der Frau Am Rhyn. Nach Tisch sehr unwohl, doch mit den Kindern R. entgegen, welcher in sehr trüber Stimmung von'der Stadt heimkehrt, weil er im Kladderadatsch ein schreckliches Bild über den König [fand], worin Lasterhaftes von diesem angedeutet wird. Ich sehr leidend am Abend, so daß wir selbst nicht fähig sind, »D. Q.« zu lesen (Am Sonntag hat R. Herrn Servais ein Album-Blatt - Schluß-Kanon von Siegfried und Brünnhilde - zugeschickt.)
Mittwoch 20ten
Üble Nacht, große Sorge um Siegfried, dessen Ausschlag immer ärger wird. Mit den Kindern gearbeitet. R. an seiner Partitur. Unsre Geduld wird recht dadurch geprüft, daß wir gar nichts von der Scheidung erfahren, wir kommen überein, dies Gegenwärtige als die höchste Summe des Glückes zu betrachten und nichts von außen mit Ungeduld zu erwarten. R. bittet mich nur, mich nicht so mit der Erziehung und Wartung der Kinder zu ermüden, er weiß, sagt er, daß ich unser Glück durch Aufopferung erkaufen will, allein das beunruhigt und schmerzt ihn Nachmittags mit Lusch zur Klavierstunde bei Gr. B. - Abends »D. Q« die Hochzeit des Camacho. R. über Cervantes: »Gewiß stellt er sich selbst im D. Q. dar und spielte so mit sich und seinem Schicksal.« Brief Judith's
Donnerstag 21ten
Siegfried immer leidend; üble Nacht. Kinder-Morgen; R. instrumentiert, aber, wie er sagt, ohne Freude. Nach Tisch Spaziergang mit den Kindern, Loldi-Not, Kinder-Tee. Abends Siegfried-Not
Freitag 22ten
Vaters Geburtstag; ihm telegraphiert. Erste gute Nacht seit langer Zeit; Fidi von 11 bis 6 geschlafen. R. leider immer etwas unwohl, er arbeitet aber doch und sucht sich mit einem großen Spaziergang zu helfen. Viel Spaß am Abend mit den Kindern, R. trägt sie in der Luft nimmt sie auf den Rücken, wie Heinrich IV.[6] etc. Abends »Don Quixote«« (die Höhle des Montesinos, ganz herrlich). In der Schweiz großes Aufsehen eines Buches des Landammann über das Unterrichts-Buch der Jesuiten im Seminar von Solothurn. Allerdings unglaublich!
Samstag 23ten
R. nicht wohl und Fidi wieder unruhig. Mit Lulu Weltgeschichte und mich dabei über ihre Gelehrigkeit (entschiedene Gaben ihres Vaters) gefreut. Sehr hübscher Brief Marie Muchanoff's, sie erzählt, daß alles in München drunter und drüber gehe, daß Wüllner[7] den »Postillon« nicht dirigieren könne u.s.w. R. sagt scherzend, das sei ihm recht, denn wenn man noch annehmen müßte, daß alles doch gutginge, es zu arg sei. Man redet davon, die Schule zu schließen. Nachmittags mit Lusch zur Gräfin B. wegen der Stunden, spät abends zu Fuß heim, bei großer Dunkelheit. - R. zu Bett, ein wenig trüb zumute, daß ich so lange ausgeblieben. Drei Briefe angekommen, der eine von Esser, einer aus München (anonym), welcher erzählt, daß Hans mit einer Schauspielerin ein Verhältnis gehabt, die er hätte heiraten wollen, dann wie es im Münchner Theater stünde, alles in Unzucht und Unordnung. Dann, in Berlin, zwei Tannhäuservorstellungen haben 200 Thaler eingebracht, »reines Geschenk«, sagt R. — Abends steht R. noch auf, ich bade den Kleinen, wir lesen dann im »Don Quixote«.
Sonntag 24ten
Brief des Prinzen Georg, er bittet um ein Urteil über seine Stücke, sehr peinlich. Schönes Wetter, ich gehe mit den Kindern spazieren (zu Frau Am Rhyn). R. hat einen Brief seines Schwagers Avenarius, bei welchem er wegen Herausgabe seiner Werke angefragt hatte. Dieser rät ihm, dieselben auf eigene Kosten herauszugeben! Nachdem R. hierüber gelacht, meint R., es sei ganz gut, daß ihm Schwierigkeiten gemacht würden, denn er wisse immer noch nicht, unter welcher Form er diese Herausgabe bewerkstelligen solle, was er dabei weglassen sollte, und ob alles nur als Supplement zu der Biographie zu machen wäre, denn Schriftsteller im eigentlichen Sinne des Wortes sei er nie gewesen. Kindertafel. Hernach langer Schlaf, weil gar übermüdet von einer schlaflosen Nacht. Abends Kinderspiele und später »D. Quixote«.
Montag 25ten
R. kommt zum Frühstück mit einem Brief des Königs. Die alten Ausdrücke der Liebe und Begeisterung, dazu die Bitte um Verzeihung wegen seines Benehmens beim Rheingold (»die Sehnsucht war zu groß«). Dazu lesen wir in den Signalen, daß die Walküre im Münchner Hoftheater einstudiert wird; das gibt den Schluß zu dem Brief. Es ist doch schrecklich! Wir kommen aber darüber ein, daß R. von den Nibelungen eigentlich lebt, ihnen verdankt er seine Existenz, deshalb müsse man noch Gott danken, daß ein Wesen wie der König einen so sonderbaren Sparren im Kopf hat und die Dinger durchaus sehen und haben will, freilich ohne jene großartigen Gedanken damit zu verknüpfen. R. sagt: »Umbringen kann er das Werk nicht, ich kann es allein umbringen, wenn ich mit ihm breche und es nicht vollende. Daß er die Sachen jetzt so verdirbt, wird den Eindruck nicht vermindern, wenn sie einmal in meinem Sinn aufgeführt werden, denn Tannhäuser und Lohengrin ist man mir ja noch immer schuldig. Diese große Darstellung aber erfordert einen allgemeinen Kulturzustand, trifft dieser nicht ein, so würden auch die vollkommensten Aufführungen in München nichts nützen. Alles dieses ist Schicksal. Nur dem König auf seine schwärmerischen Versicherungen zu erwidern ist schwierig.« - Wie ich ihn frage, ob er nach Wien zur Aufführung der MSinger gehen wird, sagt er, nein: »Es geht besser so; wenn ich mich in etwas hineinmische, entsteht immer ein dämonischer Zug, der alles aufs Spiel setzt, so wird es einfach eine schlechte Theateraufführung, welche geht, wie alles Schlechte geht.« - Sommersachen eingepackt, Wintersachen herausgenommen, Kälte und leider auch Kinderhusten sind schon da.
25ter
Nachmittags der Student für die Geologie. R. kommt heim mit Briefen. 1. Hallwachs schreibt, daß unsre Angelegenheit wohl sechs Monate in Anspruch nehmen würde. 2. Richter, welcher meldet, daß er nach Brüssel eingeladen worden ist, den Lohengrin zu dirigieren. 3. Schure, welcher einfach sich als treuer guter Freund ausspricht. Ich sagte zu R.' es wäre gut, wenn unsre Freunde Mendes etwas von Schure in seinem Betreff lernten; »ach!«, sagt R., »bei den Franzosen gibt es keine Entwickelung, es gibt nur im besten Fall eine geniale Intuition; denn das ganze Volk ist wie gebrochen unter jesuitischer Herrschaft, und die Erziehung nimmt ihnen jede Freiheit des Geistes«. Er bespricht dann, wie der Protestantismus Frankreich einzig hätte retten können, und wie die schreckliche gemaßregelte Schulung auf jedem Gebiet nur noch Zynismus möglich macht. Abends bespricht er mit mir die Frage des Fortschritts der Menschheit, im Wesen der Sache verändert sich nichts, die Essenz bleibt dieselbe; was an Produktivität uns abgeht und daher unsre Zeit als in Dekadenz begriffen erscheinen läßt, wird ergänzt durch größere Verbreitung der Kultur; freilich verliert die Kunst in dieser Verbreitung viel, sehr viel, allein wer kann berechnen, wie allmählich das Niveau sich hebt. An der Stelle der Renaissance-Künste lebt jetzt die Musik. - Abends »D. Quixote«, leider der Mummenschanz des Teufels, was uns wenig anspricht, da das Absichtliche und pedantisch Ausgeführte förmlich peinlich ist.
26ten Dienstag
Große Pein R.'s in Bezug auf den k. Brief; was da antworten, ernst oder umgehend, oder gänzlich schweigen? Der Tag durch Kinderhusten getrübt. Abends großer Kummer wegen »D. Quixote«. Der Mummenschanz ist unausstehlich, und diese Erscheinung macht uns ganz traurig. Viel Freude dagegen durch einen Brief von Doris Brockhaus,[8] welcher mir meldet, daß ich das Bild des Onkels Adolph Wagner werde wahrscheinlich bekommen können.
Mittwoch 27ten
Bei den Kindern, Boni und Loulou Unterricht gegeben, dabei Prinz Georg die verlangte Rezension aufgesetzt. Richard instrumentiert. Er ist leider immer nicht wohl. Nachmittags Brief von P. Cornelius, er will durchaus von München fort, weil dort offene Feindschaft gegen R. getrieben wird. Abends ins Theater mit Gr. Bassenheim; »Die bösen Zungen« von Laube,[9] ein berühmtes Stück der »Jetzt-Zeit« - Wir sind ganz erschrocken und halten es nicht bis zum Schluß aus. Wie R. sagt, die Leute wissen nichts andres als Zeitungsklatsch, das ist ihnen die ganze Welt!
Donnerstag 28ten
Gute Nacht, Fidi hat acht Stunden hintereinander geschlafen. Gestern noch ein Brief Claire's, welcher mir meldet, daß ich meine Kapitalien nicht bekommen werde, Loulou zu Bett, ich schreibe bei ihr an Marie Muchanoff. Bei Tisch freut sich R. des Hauses und unsrer Abgeschiedenheit, »immer habe ich mir dies gewünscht - und doch auch sagte ich mir immer bei dem Wunsche, was würdest du dann haben, allein würdest du sein wie überall«. Das Wimmern des Kaminfeuers freut ihn, »alles ist in diesem Wimmern enthalten, das Geräusch der Schiffe auf dem Meere, Volksaufstand, Wagengeroll, alles«. Abends spielt R. eine halbe Stunde ganz allein mit Fidi. Viel Freude darüber, daß er wohler wird. Abends mehr Freude an »Don Quixote«; Anweisungen Q.'s an Sancho Pansa wundervoll.
Freitag 29ten
Brief des Dr. Hallwachs; der erste gerichtliche Akt unsrer Scheidung ist unterwegs. Bei den Kindern an Judith Mendes geschrieben. Dicker Schnee draußen, viel Helligkeit innen. R. freut sich sehr des Buches seines Onkels über Erasmus.[10] Welch hübscher warmer Ton herrschte damals in der Literatur, wie jugendlich begeistert - sagt er. Ich lese für mich Cervantes' Leben und bin von dem Schicksal so furchtbar ergriffen, daß ich mich kaum am Abend an dem Werk ergötzen kann, das wieder herrlich ist (Statthalterei und Episode mit der Dulcinea). - Als ich gestern in einem Brief Herminen's mit frommer Tendenz hineinschaute, ward ich recht wehmütig dadurch gestimmt, daß die ewigen christlichen, uns so tief ergreifenden Lehren in die Hände der Ausbeuter gefallen sind. Sie treiben Schacher mit dem Kreuz und verlosen ewig das ungenähte Kleid der einfachen Lehre. Mein durchaus religiöses Gemüt kann die Lehre nicht entbehren und die Art, wie sie gebracht wird, nicht vertragen! - R. liest mir in der A.A.Z. einige sehr vortreffliche Zeilen des Malers Pecht über die nichtswürdige Behandlung Semper's in Sachsen, es freut mich dieser Empörungs-Schrei in der allgemeinen Stumpfheit so sehr, daß ich dem Maler Pecht ein Wort der Anerkennung schreibe, erwarte aber entweder keine oder eine unpassende Antwort. - Großer Schreck über R.'s Fall von der Leiter, wie er seine Bibliothek ordnet. Beim Abendessen besprechen wir manches vom früheren Leben, »wie wäre es wohl geworden, wenn ich damals, wie ich es wünschte, in Berlin mich angesiedelt hätte?« »Wer kann es wissen?« »Ach, es wäre unvermeidlich gewesen, wenn wir nur einige Stunden zusammengewesen wären, daß wir empfunden, daß wir nicht voneinander lassen können«, - sagt R. - Ich bleibe lange auf und überlege bis Mitternacht, womit ich R. zu seinem Geburtstage ein Zeichen dessen zu geben [vermöchte], was er mir, was er der Welt ist. - R. fragt, was ich denn so alleine sinne. - »In acht Monaten wirst du es wissen
Sonnabend 30ten
An Claire bei den Kindern geschrieben; noch an Cervantes' Leben gedacht, immer in Beziehung auf R.'s Schicksal. Vielleicht ist Hans der einzige, der die Empfindung teilt, die mich bewegt, wenn ich bedenke, was solche Wesen der Welt sind und was die Welt solchen Wesen ist. Gewiß will er gern leiden R. zuliebe, doch kann er sich es nicht gestehen und muß alles unausgesprochen bleiben. Wie oft weile ich in Gedanken bei dem Armen! Nachmittags zur Stadt mit zweien der Kinder. Abends »Don Quixote«. (R. sagt mir heute, ich bin nichts mehr als Sorge um dich und unsre kleine Welt).
Sonntag 31ten
Zu Bett, große Schmerzen, Gibbon gelesen. R. zeichnet seine Bemerkung über das Dirigieren[11] auf. Kindertisch, beim Abschied schaut R. Eva lange in das Auge: »Was ist Individualität? Nichts, das sieht man, wenn man in solch Kinder-Gesicht hineinschaut und eine ganze Gattung einem entgegenspricht.« Besuch von Gräfin Bassenheim. - Fidi wohler, dadurch viel Freude. - Ich verbiete R., das Leben Cervantes' zu lesen, weil ich nicht will, daß er von dem Portrait Cervantes' liest, dessen Kupferstich ich zu bekommen suche. - Herrliche Stimmung draußen, Bäume noch grün (die Platane auf der Terrasse), dazu Schnee, Sonne, und auf den Bergen rosige verklärte Färbung. Abends R. unwohl und Fidi wieder mit seinem Ausschlag behaftet.