September

1ten Mittwoch
Frühstück und alles mit den Kindern, nachmittags Depesche R.'s, er ist wohl, die Lage der Dinge aber unsicher. Ich schreibe ihm abends. - Am Tag nur ein ernstes Wort zu Loulou, da sie mir sagte, sie wolle gern zum Theater und dort singen, ihr mit grellen Farben das Schreckliche dieses Berufes dargestellt.
2ten Donnerstag
Emsiger Morgen mit den Kindern, Botaniker da. Zu Mittag Besuch des Professor Hermann Brockhaus, ein hübsches Plauderstündchen. Briefe Herminens und des Präses der Marienanstalt. Hermine hat den Vater gesehen, welcher mir immer gut ist. Um 4 Uhr Schreck und Freude, R. meldet seine Zurückkunft für den Abend an. Mit den 4 Kindern und den 2 Hunden abgeholt; Rheingold unmöglich, das Wiedererscheinen Richter's an das Pult würde das Signal für die alte Jagd auf uns und den König sein; und außerdies ist die Inscenierung des Werkes so abscheulich, daß der Maschinist drei Monate verlangt, um dies wieder gut zu machen. Die ganze Welt soll aber in München sein. - Judith Mendes läßt mich vor Marie Muchanoff warnen, ich bereue das Vertrauen, das ich letzterer geschenkt. R. wohl, er ist nur froh, wieder hier zu sein!
3ten Freitag
R. telegraphiert an den König, ersucht ihn, die Aufführung abzubestellen, damit dies wenigstens von ihm ausgehe. Nachricht, daß der Sänger Betz[1] von München abgereist ist, um den Wotan unter solchen Umständen nicht zu singen. R. schreibt an Düfflipp. Was wird noch aus alledem werden?... Brief Herminen's, der Vater hat ihr gesagt, Hans sei in Berlin; ich antworte ihr. So ruhig ich all die Nachrichten entgegen nehme, ist mir das Herz doch schwer! Auch beängstigt mich die Warnung vor der Muchanoff, sie hat den Brief von Hans an mich, ich schickte ihr ihn des Vaters wegen, ist sie aber dieser Mitteilung würdig? - Zur Stadt mit den Kindern und R. Abends Gespräch über Bernhard von Weimar und Gustav Adolf, die R. sehr verehrt. - Das Herz ist mir bang wie vor
einem großen Unglück. »Ach über unser Menschenlos!«    
4ten Samstag
Am Morgen Brief des Herrn Schäfer [2](Freund Richter's, bei welchem R. gewohnt hat), Betz, der Sänger des Wotan, ist fort, will unter diesen Umständen nicht singen; das beängstigt die Intendanz weiter nicht, sie gibt die Rolle des Bassisten dem Tenoristen Vogl, irgendein Musikant dirigiert, und damit gut. Zugleich erhielt R. einen Brief seines Bruders Albert Wagner, der am Schluß seines Lebens nichts andres zu schreiben hat als die Empfehlung einer Sängerin! Brief Herminen's (noch einiges über den Vater). Meiner Angst zulieb schreibt R. an Marie Muchanoff und verlangt den Brief Hans' zurück. Nach Tisch bringt mich die Betrachtung des Augenübels [von] Siegfried zu der Überlegung, welch ganz anderes Schicksal einem Menschen moralisch zuerteilt wird, wenn er blind geboren, wie viel reiner muß er eigentlich das Wahre schauen dadurch, daß er das Wirkliche nicht sieht! Eine jede Versuchung und Täuschung muß ihm fern bleiben. - Große Wehmut am Abend, Leben und Welt erschrecken mich immer mehr. Vierhändig mit R. Beethoven'sches Quartett gespielt.
Sonntag 5ten
Die zwei älteren Kinder zur Kirche geschickt, mit den zwei Kleinen den Morgen zugebracht. R. schreibt an Judith und Schäfer und instrumentiert. Kindertafel und nach Tisch Fahrt zum Alpentiermuseum. Abends »Don Quixote« gelesen. Nichts von außen; nur in der A.A.Z. die Notizen, daß eine Intrige gegen Perfall der Grund der Nicht-aufführung des Rheingoldes sei und daß R. bei der Stimmung, die gegen ihn in München herrsche, die Stadt hätte verlassen müssen!!!
Montag 6ten
Siegfried heute 3 Monate! Brief des Dr. Hallwachs im Auftrage Hans', die Klage ist eingeleitet, binnen zwei Monaten werde ich wahrscheinlich geschieden sein. Ernste Stimmung. Botaniker und Kinder. Dann eine gar artige Frau aus Appenzell, welche in ihrer schmucken Tracht mir Stickereien verkauft (Das nußbraune Mädchen![3]). Nach Tisch Brief Marie Muchanoff's, sie schickt mir den Brief von Hans endlich zurück und kommt übermorgen. Peinlicher Eindruck, wir haben mit dieser Welt - sei sie noch so freundlich - nichts zu tun, und mir fällt das ihr geschenkte Vertrauen wie eine doppelte Last auf das Herz zurück. Auch sagt sie, >mein Vater sei gerührt gewesen, daß ich den Wunsch gehabt hätte, ihn zu sehen, wolle aber jetzt kein Aufsehen erregen<, als ob ich dies verlangt oder gewünscht hätte!! R. ist darüber auch verstimmt. Wir fahren zu Bassenheims, um die Ankunft zu melden. Furchtbares Gewitter. R. kehrt allein heim, ich spiele und lese mit den Kindern. Wie ich hinunterkomme, suche ich R., er war eingeschlafen, nachdem er bitterlich geweint hatte, geweint über den König! Nichts hören wir vom Rheingold. Wie kann ich ihn trösten - nur mit ihm weinen kann ich! Unsere Stimmung ist wehmütig, wir spielen vierhändig, das erheitert uns. Am Schluß des Abends nur bringt mich der durch R. gemachte Ankauf eines Wagens für Siegfried auf Besorgnisse um unser Bestehen, da R. gar nicht zu sparen weiß. Dies verstimmt ihn, und er hat recht, ich hätte schweigen sollen, denn nur mit Liebesworten hilft man, nicht aber mit bangen Reden.
Dienstag 7ten
Brief von Judith sehr gut und liebevoll, antworte ihr sogleich. Für R. Brief von Peter Cornelius, welcher nun auch die Musikschule verlassen will, das freut uns, weil wir angenommen hatten, daß P. C.[4] sich gar nichts aus unseren Leiden macht. Richard ergreift die Gelegenheit, an Düfflipp zu schreiben, um unsre ganze Lage darzustellen. - Schöner Herbsttag, der mich mit Ruhe erfüllt, aber leider ist R. nicht wohl, der Brief und vor allem das Gedenken aller unsrer Erlebnisse zerstört ihn förmlich. Der Besuch Marie Muchanoff's ist ihm sehr unangenehm. Er geht spazieren, ich bleibe mit den Kindern daheim, Siegfried's neuer Wagen kommt an, großer Kinderjubel, R. entgegen, er ist unwohl. Sehr ruhiger Abend, er erzählt mir von seinem Onkel Adolph, dessen Andenken ihm sehr teuer ist. Beim Abendessen überfiel ihn großer Unmut über die Elendigkeit der Welt! Könnte er nur morgen wieder an seine Arbeit.
Mittwoch 8ten
Immer noch schöne Sommertage, die Kinder munter im Freien. Besuch der Gräfin Bassenheim am Morgen; R. wohler, schreibt Briefe (an P. C, Schure, Richter). Gar keine Ereignisse heute - Marie Muchanoff nicht gekommen. Zuweilen Hoffnung, daß Hans' Leben sich wird besser gestalten können, dann aber wieder schwermütige Empfindungen. Freude an Siegfried.
9ten Donnerstag
Botanischer Spaziergang, dann Partitur überzogen bei der Wiege, Siegfried in zwei Arten vor mir. Nach Tisch im Garten mit R. und »Fidi«; viel viel über das Kind gesprochen, was soll man ihm wünschen, Ernst, Heiterkeit, poetischen Geist? R. erzählt mir viel von Bernhard von Weimar's Heldentum. - Brief Judith's an R., Rheingold verschoben, soll später für den König allein aufgeführt werden. Ausgefahren mit den Kindern, Gräfin Bassenheim am Bahnhof, auf Marie M. vergeblich wartend, angetroffen. Endlich Brief Marie's, sie kommt morgen, um mich in wichtigen Angelegenheiten zu sprechen. Alberne lästige Einmischung. - Schöner Abend, R. kommt heiter heim, er sagt, daß er immer froh und glücklich zurückkehre, nun er mich im Hause wisse. - Der Kaiser Louis Napoleon [5] scheint sehr krank zu sein, R. meint, es sei die Agonie.
10ten Freitag
Nachdem R. mich ganz heiter gestern abend verlassen hatte, kommt er in trübster Stimmung zu mir am Morgen herein; in der Zeitung steht, daß binnen 14 Tagen das Rheingold nun wirklich aufgeführt wird. Wir hatten aufgeatmet, als wir in der Zeltung gelesen, das »R.« sei »ad calendas graecas« verlegt, und hielten dies für eine letzte Einsicht des Königs, nun ist es doch! Der Gram über das Benehmen des Königs, viel mehr noch als das Preisgeben seines Werkes, macht R. ganz krank. Ich setze einen Brief an den König auf, allein R. wünscht nicht, daß er versendet wird, er habe genug gesagt. Sehr traurige Stimmung. Brief des Professor Nietzsche, welcher meldet, daß alle Zeitungen voll von Schändlichkeiten seien, von einem vollständigen Bruch W.'s mit dem König sprechen etc., er bittet um Nachrichten, die ich ihm dann gebe. Spätnachmittags Ankunft Richter's. In 14 Tagen soll das Rheingold sein, und zwar alle Rollen umgetauscht, der Sänger,[6] mit welchem R. Loge vorgenommen hat, soll Mime singen, das Orchester ist verkleinert etc. etc. Der Intendant bezahlt Zeitungen nach allen Seiten, nun wird tapfer drauf los gelogen Die Orchester-Mitglieder sind außer sich über diese Art und daß sie von dem unfähigsten aller Menschen sollen dirigiert werden. Dabei behalten aber die Elenden recht. Abends bin ich verstimmt über einen Tag, der ohne Kinderstudium vorübergegangen ist. Wir besprechen mit R.  daß er nur zu schweigen hat, daß dem Könige seine Werke gehören und daß wenn dieser sein Spielzeug daraus macht, R. ihn nur gewähren lassen kann, auch hat man ja an nichts eine Stütze.
11ten Samstag
Am Morgen bringt R. gegen seine gestrige Absicht einen Brief an den Kapellmeister[7] heraus, der mich erschrickt; es wäre mir lieber, er hätte ihn nicht abgeschickt, allein er tut ihm wohl, denn das ruhige Ertragen nagt an ihm. Am Beginn des Morgens mit den Kindern gearbeitet, dann aber Zusammentreffen auf Tribschen von Marie Muchanoff, Frl. Holmes (Dichterin, Komponistin etc.) und noch andere. Erstere tut mir weh, indem sie mir so manches von Hans mitteilt! Zu Mittag sehr liebevoller Brief von Gräfin Krockow, der mich auch ergreift, indem er mein Schicksal berührt. Nachmittags die Familie Brockhaus, später Holmes Vater und Tochter, und so bis spät in die Nacht. Sehr untribschnerisch!
12ten Sonntag
Brief Claire's, dazu Brief Düfflipp's, eigentlich die alte Leier, der König soll nicht hinein gemischt werden etc. etc. Richard schreibt noch einen Vorschlag, Eberle [8] als Dirigent und Sänger etc. etc Während dem setze ich mit Richter eine Darstellung der Sachlage auf. Ich werde unterbrochen durch Marie Muchanoff und Gräfin Bassenheim Lebhafte Unterhaltung, jedoch keine Freude. R. ist krank. Kindertisch, etwas still. In Bezug auf die Franzosen sagt R. scherzend: »Wir werden es machen müssen wie Bernhard von Weimar, die deutsche Sache mit französischen Mitteln durchzuführen.« Nach Tisch A.A.Z. mit einem schändlichen Artikel über unsre Sache und uns selbst. Die armen Elenden! Nur ist es so traurig, daß R. gänzlich von seiner schönen Ruhe und Stimmung abgebracht worden ist und daß seine Gesundheit sehr angegriffen ist. Vieles Besprechen unsrer traurigen Angelegenheit. Wie elend sind doch diese Menschen! Kindergutenacht, viel Spaß; sie spielen »Träumen«, wobei sich Boni besonders drollig ausnimmt. Wann kommen wir zu unsrer Tribschner Ruhe zurück?
Montag 13ten
R. kommt herauf und sagt mir, daß er im Sinn habe, auf den gestrigen Artikel der A.A.Z. zu erwidern, er entwirft auch diese Erwiderung[9] am Morgen, während ich mit den Kindern botanisiere und arbeite. Vor Tisch Besuch bei Frl. Holmes; zurückgekehrt liest mir R. sein schönes Schriftstück. Nachher Besuch der Frl. Holmes, später Ankunft von Mendes! Viel Freude wiederum an Judith. Catulle erzählt mir, daß in Folge eines Aufsatzes des Herrn Schelle in der Neuen Freien Presse, worin seine Frau in ungehöriger Weise genannt worden ist, er an diesen Herrn einen Brief geschrieben hat, worin er ihn als feigen und ungezogenen Bengel behandelt, ihm auch zugleich angibt, wo er zu finden sei. Ich sage ihm, daß der saubere Herr sich gewiß nicht stellen wird. (Eine Spinne läuft soeben über mein Buch, Abend labend, möge sie den armen Hans laben!). - R. ist so müde, daß er die Leutchen alle nur einen Augenblick begrüßen kann. Wir trinken dann unseren Tee zu zweien, er und ich, wir sind froh, daß er diesen Aufsatz geschrieben hat. - Hermine ist zurückgekehrt.
Dienstag 14ten
Richter fort nach Paris! -* (* An dieser Stelle gestrichen: »Siegfried-Nacht und Siegfried-Morgen, weil seine Wartefrau fort ist.« Der folgende Satz irrtümlich nicht gestrichen!) Viel Freude daran und Sorge darum. R. fährt zu Marie Muchanoff und zu Mendes. Abends Mendes und Holmes. Judith mir immer sehr lieb. Babli fort.
Mittwoch 15ten
Siegfried die Nacht gewartet mit Freude und Sorge. Schönes Wetter begünstigt die Pflege. Langer Besuch Marie Muchanoff's, durchaus angenehm. Sie erzählt mir, daß die Leute mir Schuld an der Judenbroschüre geben etc. Die guten Leute! Zu Tisch erzählt mir R. mit großem Kummer, daß unser Fritz sich das Bein schrecklich geschunden hat. Abends wiederum Mendes. (Loldi zu Hermine: »Ich war arm, wie du fort warst«).
Donnerstag 16ten
Immer Siegfried-Pflege. - Gestern kam ein italienischer Brief, in Bologna soll Lohengrin aufgeführt werden, und eine italienische Zeitung will dort Propaganda beginnen. - Zu Mittag liest mir R. eine Notiz der A.A.Z., welche sagt, daß R.'s Entgegnung so leidenschaftlich sei, daß sie Bedenken trage, sie abzudrucken. Wir erraten sofort, daß dies auf einen Befehl des Königs abzielt, den Aufsatz zu unterlassen. Große Verstimmung. Was tun? Gar keine Waffe in der Hand. R. ganz niedergeschlagen. Besuch Schotts' (sein Verleger), dann M. Muchanoff; ich lese ihr Parzival's Entwurf vor. Abends Mendes. Beklommene Unterhaltung, endlich dritter Akt von Siegfried.
Freitag 17ter
Guter Tag! Am Morgen eine Depesche, welche meldet, daß der Aufsatz doch abgedruckt worden ist! Er nimmt sich prächtig aus. - Abschiedsbesuch bei Marie Muchanoff; sie ist gut und freundlich. Nachmittags Mendes mit Schotts bis spät am Abend; sie spielen Charaden. Freundliches heiteres Zusammensein, meine Kinder als Friedensboten R. guter Laune. Mit dem Aufsatz ist das letzte Wort nach außen gesprochen.
Samstag 18ter
Müde, weil nachts Siegfried gepflegt. Brief eines Herrn Schäfer, welcher eine recht alberne Erklärung für Richter aufgesetzt hat Leider sind immer die Freunde wenig hülfreich. Ich schreibe an Claire und Rothschild.[10] R. immer mit Bernhard von Weimar beschäftigt. Abends Besuch des Professor Nietzsche, welcher mir das Zügelloseste von den Zeitungen meldet. Unter anderm wird behauptet, die Aufführung des Rheingoldes hänge mit einem Komplott zusammen, dessen Fäden in den Tuilerien zu suchen seien. Mit der ultramontanen Partei habe sich W. alliiert, Beweis hierfür: Frau v. Muchanoff, deren Tochter avancierte Ultramontanin sei u.s.w. - all dieser Unsinn wird in die Welt geschrien, damit ja nicht erkannt werde, wie sich die Intendanz beim Rheingold Blößen gegeben hat.
Sonntag 19ten*
(* Datierungen von Sonntag (»20ten«), Montag (»21ten«) und Dienstag (»22ten«) im Original falsch.)  
Kaffee mit Pr. Nietzsche; leider verdrießt dieser R. sehr durch ein Gelübde, das er getan hat, kein Fleisch und nur Vegetabilien zu essen. R. hält dies für Unsinn, auch für Hochmut, und wie ihm der Pr. sagt, es sei doch von ethischer Wichtigkeit, keine Tiere zu essen u.s.w., antwortet R., unsere ganze Existenz ist ein Kompromiß, den man nur dadurch sühnen kann, daß man etwas Gutes zustande bringe. Das bloße Milchtrinken tut es nicht, dann werdet Asketen. Um etwas Gutes zu tun in unserem Klima, bedürfen wir einer guten Nahrung u.s.w. Da der Pr. Richard recht gibt und doch bei seiner Abstinenz bleibt, wird R. böse. Nachmittags mit den Kindern gespielt, Lotto und Domino. Sehr früh zu Bett, weil recht müde. Von außen allerlei Unsinn, Kapellmeister und Intendanten bieten sich an. Wie es mit unsrer Sache steht, begreift doch keiner.
Montag 20ten
Immer Fidi-Nacht und Fidi-Morgen. Von Hans geträumt, daß er gestorben sei, große Schwermut. Gestern erzählte mir R. einen lieblichen Traum, er ging mit mir über eine Brücke und riet mir, langsam zu gehen, ich war aber unvorsichtig und fiel in das Wasser, machte mich aber nur naß, wobei sich R. sagte, ich werde doch immer Schuhe und Strümpfe mitnehmen, dann hörte er plötzlich das Siegfried-Thema ein wenig variiert auf der Kinder-Trompete, und er freute sich, daß ich es Siegfried gelernt, da wachte er auf, und es war das leise Ningern des Kleinen mit dem ersten Ruf Giölnir's (so nennen wir unsren winzigen Hahn), welcher dieses hervorgebracht hatte. - Botaniker heute früh, ihm zugleich mit seinem Honorar »Wahrheit und Dichtung«[11] von Goethe gegeben. - In der A.A.Z. zwei sehr lächerliche Erklärungen des Baron Perfall und des Herrn Julius Grosse (Autor des neulichen sauberen Aufsatzes). Nachmittags Besuch des Kapellmeisters Herbeck wegen der MSinger, welche nächstens in Wien aufgeführt werden sollen. Er fragt R., ob denn von seiner Erwiderung etwas gestrichen worden wäre, da er sonst die vorausgeschickte Bemerkung der A.A.Z. nicht begreifen könne. R. erzählt ihm, daß sich hier zwei Bosheiten aufgehoben hätten; wie die Redaktion den ruhigen Ton gesehen hätte, hat sie sich einen Befehl erwünscht, den Aufsatz nicht abzudrucken, die anderen vom Kabinett hingegen, froh, daß R. sich hatte hinreißen lassen, haben es drucken lassen - so wird zuweilen die Gerechtigkeit gefördert. Bis zu welchem Grad die Rheingold-Angelegenheit die Leute beschäftigt, beweist, daß das Luzerner Tagblatt zwei Aufsätze darüber bringt - der eine, für welchen die Redaktion sich erklärt, schmählich, der andre erträglich. - An Gräfin Krockow geschrieben.
Dienstag 21ten
Am Morgen Auseinandersetzung mit R. über den einzigen Punkt, über welchen wir verschiedener Meinung bleiben; er hat den Drang, mir durch Verheimlichung[12] manches zu ersparen, ich bin entschieden für Mitteilung alles Guten und Bösen. Meldung des Regisseurs Hallwachs, daß ich bald nach Berlin zitiert werde. Sorge um Siegfried, der anfangs seine Flasche nicht wollte, bald aber Beruhigung. Den ganzen Tag mit den Kindern von früh bis spät - das Wetter ist schlecht. Heitrer Brief Peter Cornelius; es scheint, daß R.'s Erklärung doch allen Schwächlichen eine große Wohltat gewesen ist. Brief Lenbach's an mich. Früh zu Bett, um die Siegfried-Nächte ein wenig einzuholen.
Mittwoch 22.
Nachts war R. zu mir gekommen, hatte sich neben mich gesetzt und mir leise gesagt: »Du bist mein Alles« - ich dachte, ich träumte. Trüber kalter Tag, Kinderarbeiten. Nachmittag Klavierstunde von Loulou, wobei Besuch an Gr. Bassenheim, die ich immer mehr lieb gewinne. Abends R. leider unwohl.
Donnerstag 23ten
Semper's Theater in Dresden vollständig abgebrannt. An Semper's Unstern dabei gedacht. Sein großes Genie förmlich ungebraucht, seine Werke zerstört! - Nach dieser Nachricht erhalten wir zwei Depeschen, welche melden, daß das Rheingold in München aufgeführt, also doch! Immer triumphieren die Schlechten. Einzig tröstet mich das Wort R.'s, »ich habe das Gefühl, daß alles das mir eigentlich nichts antut, das Innere bleibt unberührt -, nur wenn ich mit dir nicht im vollständigsten Einklang stehe, schwankt mir der Boden«. - Die Wehmut der Eindrücke wird durch das Auspacken meiner Münchner Sachen gesteigert. Bis zum Ende bin ich traurig! Abends Brief Claire's, Maman ist wieder dem Wahnsinn verfallen!... Freundlicher Brief Judith's. -
Freitag 24ten
Die A.A.Z. berichtet von einem succes d'estime[13] des Rheingoldes; das Werk wird ganz gemütlich preisgegeben, aber die Ehre der Maschinisten, Kostümiers, Intendanten etc. etc. ist gerettet, auf dem Papier wenigstens. Ich sagte zu R., daß das Semper'sche Theater aus Empörung in Flammen geraten ist. - Auffallender Zug des öffentlichen Lebens: Der Pater Hyacinthe, von den Jesuiten schon längst verfolgt, erhebt einen Protest gegen die ganze römische Wirtschaft. Sehr rührend und bedeutend. R. sagt, der Papst gehört den Jesuiten, weil die ihm das Geld schaffen. Antonelli kann kein Geld schaffen, darum hat er nicht viel mehr zu sagen. - Schöner Brief von Heinrich Porges über das Rheingold. Den ganzen Tag heute rangiert. Große Müdigkeit. Schöner Herbsttag, die Berge erglänzen von Schnee. An Claire und Judith geschrieben. Abends Quartett von Beethoven gespielt. Wie R. heute zu seinem Buchhändler kommt, sagt ihm dieser: »Sie werden wohl schon Ihre Biographie von Nohl erhalten haben, ich habe aber meine Exemplare (4) gleich abgesetzt.« Wir wußten gar nichts von dem Zeug. - Abends große Wehmut über das Leben, wir weinen zusammen sanft, und ich muß noch bitterlich weinen, wo er fort ist.
25ten Samstag
Am frühen Morgen bei herrlichem Sonnenschein an Judith fertig geschrieben. R. kommt und sagt lachend: »Perfall ist nun zum definitiven Intendanten ernannt worden!« So geht es in dieser Welt, glücklich derjenige, der nichts mehr mit ihr zu schaffen hat. Nach Tisch mit Lusch zur Klavierstunde und dann Besorgungen für ihren Geburtstag gemacht. Abends Besuch des Prinzen Georg von Preußen, dem ich R. vorstelle.
26ten Sonntag
Herrlicher Tag; mit Richard zum Sternentanz, so nennen wir das Spielen der Sonne auf dem See. An Marie M. geschrieben, von welcher ich gestern einen Bericht über die Rheingold-Aufführung in München erhalten hatte! Nachmittags Brief des Regisseurs Hallwachs, welcher von Darmstadt beauftragt ist, R. zu fragen, ob er die Aufführung des Rheingoldes anderweitig und unter welchen Bedingungen zugeben würde. R. will dies autorisieren (zur Ehrenrettung seines in München geschändeten Werkes), wenn die Aufführung wirklich mustergiltig sein wird. - Schöner sonniger Nachmittag im Garten. R. schaute in den Baum mit Entzücken und sagte mir, er habe oft in seiner Einsamkeit da hinauf geblickt und mich stets als Blau des Himmels gesehen. Am Morgen hat er mit Aufraffung seiner ganzen Energie wieder eine Partitur-Seite geschrieben. Abends bringt er mir eine N. des Kladderadatsch;[14] es ist das einzige Blatt, welches die Vorkommnisse in München in anständig humorischer Weise dargestellt hat (Rache des Adonai gegen Wotan). Abends Quartett. (Beethoven).
27ten Montag
Herrlicher Tag, schönster Herbstsegen, ich kann mit den Kindern im Garten arbeiten. R. schreibt nach Darmstadt und Kassel (wegen Rienzi). Am Vormittag Besuch des Prinzen Georg; sehr gutartig dürftig! Abends in der Zeitung wieder über das Rheingold, daß es ein prachtvoll ausgestattetes langweiliges Werk sei! Brief Peter Cornelius' Geburt seiner Tochter, und große Deprimiertheit über die Lage in München. Abends langes Gespräch mit R., ob er seine Pension, ohne ein Wort zu sagen, nicht mehr beziehen soll? Oder nur an die Vollendung der Nibelungen denken soll, und »bataille bataille sein lassen«. Ich sage ihm zu tun, was seinem Innersten wohltut, ganz unein[ge]denk jedweder Folgen. Nagender Kummer für R. - soll er nun alle seine Werke so preisgeben? Tiefe Melancholie; er sagt, wenn ich nicht da wäre, es wäre zu Ende mit ihm!! Mein Namenstag[15] war heute, er gab mir Blumen, auch sandte der Vater eine Depesche aus Rom! - Ich kann nur schweigen
28ten Dienstag
Nichts von außen. R. entwirft einen Brief an Düffl., den er wieder verwirft. Immer die Frage, sein oder nicht sein. Ich überziehe die Partitur und arbeite mit den Kindern. Nachmittags Ausfahrt mit ihnen. R. kommt heim, trübe, er hat wieder Tierquälereien gesehen, das empört ihn und bekümmert ihn. »Das schlechteste - mitunter auch das häßlichste Tier ist der Mensch.« Wir lesen ein wenig in den Stücken des
pzen Georg - sehr kindisches Zeug. Quartette von Beethoven, unfaßliche Freude.-
29ten Mittwoch*
(*Im Original fälschlich »Donnerstag«)
Biographie R.'s von Nohl zugeschickt! Lauter Unwichtigkeiten. R. schreibt am Morgen an P. Cornelius, ich an Pr. Nietzsche um das Portrait des Onkels Adolph. Immer Kinderbeschäftigung Bei Tisch bei Gelegenheit eines fürchterlichen Mordes (ein Mann hat eine Familie von 8 Gliedern getötet) Notwendigkeit der Todesstrafe von R. ausgesprochen. Nur müßte sie ganz anders ausgeführt werden. »Nicht mit der gewissen schüchternen Elegance.« - Alle Läden der Stadt geschlossen, die öffentlichen Gebäude mit Trauer umhängt, der verantwortliche Richter den Sünder zum Schafott begleitend, die Exekution geheim; nur müßte die Welt daran erinnert werden, daß ein furchtbares Schicksal sie jetzt trifft, daß ein Mitglied derselben aus dem Leben gestoßen werden muß. Diejenigen, die gegen die Todesstrafe sind, haben keine Anschauung der Dinge, wissen nicht, aus was die Welt besteht. Nachmittags im Garten, R. geht spazieren, ich übe das Quartett. Abends bringt er mir einen Brief von Pr. Nietzsche. Dieser schickt mir eine Zeitung, in welcher Zitate aus einer Korrespondenz R.'s mit einem »liebsten« Freund vorkommen. Wer dieser letztere ist, wird nicht gesagt, und ich kann es nicht erraten. Mich entsetzt aber diese neueste Schamlosigkeit. Ich schreibe abends an Pr. N., um ihn zu ersuchen, durch ein Inserat bekannt zu machen, daß R. von diesem Unfug nichts weiß. R. sage ich nichts von dem. Gestern, als er heim kam, nannte er mich seine Wonne und sagte, ich wisse gar nicht, wie glücklich er sei.
30ten Donnerstag
Nachts beim Einschlafen vergegenwärtigt sich mir meine ganze Liebe zu R. und was ich ihm danke. Am Morgen Botanik, dann andere Arbeit mit den Kindern. R. scheint mir an der Götterdämmerung zu entwerfen. Nachmittags erschrickt mich R. durch die Mitteilung, daß der Kladderadatsch mich nun auch genannt und boshaft gemein mitgenommen hat. (Cosima fan tutte.) Ich hatte ihm behauptet, der Kl. würde sich stillschweigend benehmen, denn Dohm[16] sei ein anständiger Mensch. R. sagt mir, ich könne daran ersehen, wie unmöglich es sei für einen Menschen, anständig zu bleiben, wenn er nur Journalist ist. Abends Quartett. Beim Schlafengehen trübste Gedanken an Hans, tiefe Schwermut. Wenn die Menschen wüßten, wie ich empfinde, würden sie da den Mut haben, mich im Schmutz zu schleifen?