Januar

Freitag 1ten
Ich beginne mein Jahr mit Kopfschmerzen, ich schreibe in dieses Buch ein und besorge Geschäfte, dazu einige Briefe und Ordnung der Räume, um mein Jahr gut einzuleiten. - Kartenaustausch mit den hiesigen Bekannten. R. hat seine Nöte mit den Herrn Voltz und Batz. - Sehr seltsam ist es mir, daß er nach dem Thema des Scherzos seiner Symphonie sucht, während ich nun gerade mich um diese verlorene Symphonie zu seinem Geburtstag umsehe. - Abends lesen wir den Schluß von der anscheinenden Absichtlichkeit in dem Schicksal des einzelnen, und »Was einer ist«[1]. (Ankunft meiner Perlen, von R. geschenkt.)
Sonnabend 2ten
R. hatte allerlei üble Träume; er bereitet seine Orchesterzusammenstellung. Sehr viel Not mit Batz, welcher sich durchaus als Schelm entpuppt und dabei einen ganz festen Kontrakt hat!... R. geht spazieren und trifft wieder auf ein armes Bauernweib, welchem er ein großes Almosen gibt und mit welchem er sich unterhält. Brief von Frau Schott, die Wagner-Lotterie hat 6000 Mark eingebracht. - Abends in Schopenhauer gelesen, »Was einer ist, hat, vorstellt«.[2] - Am Morgen lange Zeit auf dem Eis mit den Kindern.
Sonntag 3ten
R. sehr gequält durch seine Flechten an den Fingern. - Sehr hübscher Brief von Dr. Standhartner, mit dem Gebot, bei ihnen abzusteigen. R. mißmutig, sehnsüchtig nach Produktivität. Gegen Mittag schon treffe ich ihn an, wie er über der Ouvertüre sinnt. Ich bleibe zu Haus, er geht aus, ich seit Neujahr mit Zahnschmerzen heimgesucht. Abends einige Besuche; F moll Sonate, und wiederum aus den 33 Variationen!
Montag 4ten
Böse Zahnschmerzen. - Hübscher Brief von der Lucca, auch von Kmeister Klughardt. - R. liest mir aus dem Buche von Gfrörer, die Definition von der Gottesvorstellung bei den verschiedenen Völkern, welche wirklich vortrefflich ist. - Die Zahnschmerzen plagen mich so, daß ich zu Gewaltmitteln, Blutegeln, Kelosal u.s.w. greife.
Dienstag 5ten
Den ganzen Tag mit großen Kopfschmerzen zu Bett zugebracht, viel Heiterkeit darüber, daß ich das erste Opfer von Schopenhauer als Erzieher bin; er empfiehlt nämlich 2 Stunden jeden Tag auszugehen, was ich am kalten Tage getan, in Folge dessen ich nun leide. - R. hatte den Brief eines Küfermeisters aus Deidesheim, welcher ihn ersucht, Pate bei seinem Kinde sein zu wollen (er heißt Wagner).*(* Brief dieser Seite beigelegt, s. Anm.[3]) Herbeck für Wien und Niemann für Berlin ersuchen um Tristan und Isolde, R. will es letzterem gewähren unter [der] Bedingung, den Proben beizuwohnen, Ersterem verwehren.
Mittwoch 6ten
R. teilt mir immer viel aus dem Buche Gfrörer's mit, welches ihn unendlich interessiert; z. B. unter andrem die Definition der Dreieinigkeit, welche kurz vor Christus' Geburt aufgestellt worden war - Gott, der Vater, männlich; der h. Geist weiblich; der Heiland die Welt, daraus entstanden; Wille, Vorstellung und Welt, die Trennung der Geschlechter als Entstehung der Welt. - Ich schreibe an Bon Hof mann wegen der Konzerte. Abends der gute Bürgermeister, mit welchem es sich immer vortrefflich sprechen läßt.
Donnerstag 7ten
R. geschäftlich beschäftigt, Vormittag Besuch der schwedischen Damen, welche heute abend hier singen. Wir gehen auch abends ins Konzert und sind im höchsten Grade befriedigt, den tiefen Baß nennt R. die Dalecarlierin, aus der Provinz, aus welcher die Bauern Gustaf Wasa unterstützten. Sie kommen noch abends zu uns und singen ein Schlummerlied (Suf i ro), welches in der Halle sich ganz außerordentlich feierlich und schön ausnimmt, wie ein Segnen des Hauses.
Freitag 8ten
Hansen's Geburtstag! In Boston hat der Lohengrin einen ungeheuren Erfolg gehabt, ich schreibe über die Meere, um zu versuchen, ob die dortige Elsa (Frl. Albany)[4] für die Sieglinde zu erobern wäre. In Luzern der Tannhäuser gegeben, der Kmeister schreibt darüber enthusiastisch. Besuche gemacht. Nachmittags bei Baronin Aufsess, der Witwe des früheren Direktors des germanischen Museums. Abends lesen wir zusammen im Gfrörer'schen Buche das Kapitel von den Engeln und Teufeln. R. suchte in seinen alten musikalischen Blättern nach, er lächelt über ein schwärmerisches Gedicht, welches er darauf findet.
Sonnabend 9ten
Hübscher Brief von Bon Augusz, ein Wort des Vaters enthaltend, dieser erzählt, daß, wie Rubini in Petersburg gefragt wurde, ob er wohl in einem Konzert des Vaters singen würde, [er] erwidert habe, für Liszt würde ich tanzen, wenn er es wünscht, so, meint mein Vater, wäre er geneigt, für Wagner alles zu tun. R. hat die verschiedensten Besorgungen (Conto, Konzert, Orchester, Circular für Sänger etc.), ich besorge die Ausstattung meiner zwei Ältesten, welche ich nun bei meiner Abreise in das Stift geben werde. Ergebnis langer Überlegung, schmerzlicher Einsicht!... Abends sprechen wir mit R. von gewissen französischen Ausdrücken, welche so lächerlich im Deutschen wiedergegeben werden, woraus die ganze Trübseligkeit der früheren deutschen Verhältnisse zu ersehen sei. Er sucht in »Kabale und Liebe« das »Kidebarri« auf, findet es nicht, liest mir aber die Scene, wo der alte Miller aus dem Gefängnis kommt, Luise im Winkel sitzend; zu Tränen werden wir ergriffen, »wenn man denkt«, unterbricht sich R., »daß die ganze jetzige Generation darüber spöttelt«. — Beklagend, daß die Intrigen des Stückes so fehlerhaft seien. Wie R. sich umkleidet, höre ich ihn von oberhalb der Wendeltreppe sprechen: »Ja, mein gutes Weibchen, der geringste Fehler verhindert die Wirkung der größten Züge des Genies -«, hinuntergehend frage ich ihn, was er spräche: »Wie immer zu dir, und jetzt noch über >Kabale und Liebe< -«. Gedenken »Othello's«, des furchtbaren Eindruckes des Traumes von Cassio, durch Jago erzählt. - Später wandelt R. auf den Söller, durch die offene Türe von Fidi's Stube hört er die drei Ältesten langsam und ernst beten, wie ich es sie gelehrt habe, für alle Ihrigen, für den König, für alle Menschen. Das ergreift ihn und freut ihn sehr. - Wir lesen weiter in Gfrörer.
Sonntag 10ten
Am Morgen erzählt mir R., welche sonderbar maliziöse Züge er neulich in einer Autobiographie von Meinardus[5] von Felix Mendelssohn gelesen, wie dieser sich und die umstehenden prüfenden Herren damit unterhalten habe, die vorspielenden Schüler zu karikieren, worunter auch ein Verwachsener gewesen wäre. - Von Detroit in Amerika wiederum ein Patchen - R. erwidert schön, er wünscht dem Kind einen ernsten Glauben. - Zu Mittag Bonin Aufsess, Frau Muncker und Pr. Fries; abends auch mehrere Freunde. Ein wenig viel für R.
Montag 11.ten
R. unwohl, geht um die Mittagszeit zu Bett, er ist erkältet. - Gestern abend nahmen wir die Transkriptionen aus Tristan von Tausig vor, und wir waren erstaunt, sie so wenig gut zu finden. Die Kinder vor und nach Tisch auf dem Eise. R. nicht wohl, wir lesen abends nichts, er begibt sich früh zu Bett.
Dienstag 12ten
R. immer nicht wohl, kann kaum etwas vornehmen, ohne in heftigen Schweiß auszubrechen. Die Kinder auf dem Eise mit mir. - Vieles Überlegen, ob ich die ältesten in die Schule geben soll, wenn ich verreise. An Mathilde Maier geschrieben. - Etwas in Buckle's »Geschichte der Zivilisation«[6] wieder gelesen, R. findet dem wenig Geschmack ab, er fährt in Gfrörer fort. (Kleid probiert unter R.'s Oberaufsicht.)
Mittwoch 13ten
Ankauf des Bildes von Schopenhauer, ein wahres Wunder, welches Lenbach da getan! Er hat Sch., ohne zu wissen, wer er sei, einmal in Frankfurt gesehen; wie ihm später die Photographie des großen Mannes gezeigt wurde, erkannte er das Gesicht, welches ihm aufgefallen, und nun hat er einzig dieses Wesen wiedergegeben. Ähnlichkeit mit R.: Kinn, Verhältnis vom Kopf zum Gesicht, das eine Auge eingedrückt, das andere sehr auf, der wehmütig scharfe Blick, welcher dem Genie zu eigen ist; dabei findet man den ganzen Sch.'schen Charakter darin, die Energie, die Sauberkeit, ja die geschäftliche Ordnung des Kauf
mannssohnes. - Förmlich bedrückt mich die Gabe, wie erwidern?... -
Den Vormittag mit Rechnungs-Durchsicht zugebracht, trauriger Einblick
in die ungeheuren Ausgaben. - R. entwirft ein schönes Circular[7] an die
Sänger. - Nachmittags bin ich zu einer Damengesellschaft gebeten; wäh
rend dessen hat R. eine Konferenz mit Feustel und dem Notar Skutsch.
Feustel will wissen, daß Voltz die ganze Sache an Batz verkauft habe. Wie
R. Feustel erzählt, wie ich zuweilen erstaunt gewesen sei, mit welch ganz
auserlesenen Schelmen er immer zusammen gekommen sei, erwidert ihm
F. mit Tränen in den Augen: Es sei wohl das Los des Genius, daß er ge
mißbraucht und betrogen werde, auf ihn aber könne er sich verlassen; mit
ganzer Treue und allem, was er habe, stehe er ihm zu Gebote!... - R. er
zählt dies mit großer Ergriffenheit; abends, beinahe einschlafend, sagt er
zu mir: »Du hast mich nie verraten, du bist die einzige!«    Einige Gä
ste; d moll Sonate, Es dur etc. und Eroica von Beethoven.
Donnerstag 14ten
R. ist immer noch nicht ganz wohl, er schreibt mehrere Geschäftsbriefe, liest in Gfrörer, sieht die Rechnungen durch. Abends diktiert er mir sein Circular an die Sänger. - Ein statistischer Bericht über die verhältnismäßig unglaublich kleine Zahl der Schulen in London führt R. zu einem langen Exkurs über die Schlechtigkeit, Herzlosigkeit der englischen Zustände. Er hat es in London gesehen, wie die armen Leute von Hof zu Hof von der Polizei verjagt worden sind, ohne daß ihnen irgendein Ort zur Unterkunft angewiesen wurde. Unter diesen Leuten eine Frau mit schönen Zügen.
Freitag 15ten
R. erklärte gestern: Nun er mich bekommen hätte, nach seinem »zerlumpten Leben«, wisse er sicher, er würde unsinnig alt werden, wir beide würden an der Euthanasie sterben auf dem Sofa in seinem Stübchen, welches er dafür eingerichtet habe. »Nein«, ruft er heute früh aus, wie ich zu ihm in den Saal komme, »daß ich dich noch gewonnen habe! Du bist aber die einzige, die für mich taugte, so hoch und kindlich mußte sie sein, jetzt will ich auch unsinnig lange leben.« Der Himmel segne ihn. Er behauptet, unser Glück wäre nie da gewesen und käme nie wieder - ich glaube es, insofern er nie wiederkommen wird! Abends singt er mir »Sei mir gegrüßt« und erklärt es in Bezug auf Empfindung und künstlerischer Durchführung für das schönste Lied von Schubert; es ergreift uns zu Tränen; das ist deutsch; so rein und keusch, innig... R. entsinnt sich, es von seiner Schwester Rosalie gesungen zum ersten Mal gehört zu haben. - In Gfrörer gelesen. Beim zu Bett Gehen singt R. »Spinne Margarethe« aus der »Dame blanche«[8] und sagt: Das ist das Eigentümliche der Franzosen gewesen, eine graziöse Resignation, mit liebenswürdiger Form über das Elend des Daseins lächelnd wehmütig hinwegzugleiten. Im tragischen Pathos sind sie widerwärtig.
Sonnabend 16ten
Schopenhauer wird nun aufgehängt ;R. erzählte mir bei einer früheren Gelegenheit, daß sein verstorbener Freund Hermann Franck[9] ihm gesagt hätte: Entweder wird aus Deutschland etwas oder nicht, wird aber etwas daraus, so wird die Schopenhauer'sche Philosophie an den Universitäten gelehrt werden -. Immer weitere Gaunereien von Herrn Voltz & Batz, ersterer berechnet R. 2 Gulden die Flasche einen Wein, welcher 42 von Feustel bezahlt wird! u.s.w.... Abends beim Major Schäfer Bekanntschaft von Grafen Giech gemacht. R. spricht von der Bedeutung, welche der Adel noch haben könnte für die Kunst und das Leben.
Sonntag 17ten
Lusch zur Patin erwählt von unserem Knecht. Sehr schlimmes Wetter. Besuche. Abends die F moll Sonate, welche R. mit Rubinstein vornimmt. Vieles ihm zu sagen. Ein Herr Hofmann fragt an wegen einer Rundreise mit der Walküre am Klavier!... Brief von Rat Düfflipp, der König schenkt seine Büste in Bronze; kein Wort wegen der Klauseln des Vertrages.
Montag 18ten
R. geplagt mit seiner Erkältung, Zahngeschwür im Anbruch. Besuche, Briefe, abends Lektüre in Gfrörer. Entschluß, Schopenhauer abzuhängen von der Wand, »weil er nicht zu Goethe, Schiller, Beethoven paßt, der Philosoph muß einsam sein, alles, was die andren in Pathos bringt, muß er in Besonnenheit übersetzen«. Daß Beethoven in die Ecke gedrückt wurde, empört R. vollends, »wer ließe sich mit diesem vergleichen, was gleicht einer Melodie, diesem unmittelbaren Geschenk des Himmels?« ... »Ich muß annehmen, daß ich mit einem Genius bin, welcher durch mich etwas will«, sagt R., indem er die Möglichkeit von Verlusten ermaß, welche er nicht würde überstehen können.
Dienstag 19ten
R. nicht wohl, muß sich Blutegel ansetzen lassen, wird vom ungeschickten Wundarzt mit Creasot verkohlt, verbringt einen schlimmen Tag; da er mehrere Tage nicht ausgegangen ist, ist er niedergeschlagen, doch die Kinder erheitern ihn mit Gesang, er singt selbst dreistimmig mit Lusch und Boni »Lobe den Herrn meine Seele«.
Mittwoch 20ten
Aus einem schauerlichen Traum wacht R. auf, ich sei wie[der] von ihm nach einem Zerwürfnis fort und wollte nicht mehr nach Haus, es sei kein Platz da, in einem Hotel mit der Mutter traf er mich, wollte mich heimführen, ich hatte das Gesicht und den Körper voller Beulen, die Augen geschwollen, wie eine Art Pest, welche, wie ihm dünkte, ich mir mit Willen zugezogen; wie er mich sucht, drängen sich die Leute zu ihm, welche den Proben beiwohnen wollen [und] »verehrter Meister« ihn begrüßen; endlich erfaßt er mich, taumelnd werfe ich ihm einen fragenden Blick [zu], sinke zusammen, er wacht auf; unter den Gestalten, welche sich an ihn drängten, war Marr aus Hamburg, welchen er nicht erkannte, weil er so stattlich geworden. - Er schläft am Morgen wieder ein und wacht auf mit dem Bilde des zusammengefahrenen Rus! ... Ich träumte wie sehr häufig von Marie M. Gestern lasen wir von der Eröffnung der Oper in Paris, »Jüdin«, »Hugenotten«, »Tell« — wie elend heruntergekommen die große Nation! - Abends Ball beim Regierungspräsidenten, welcher sowohl als seine Gemahlin äußerst um R. besorgt. Gegen 12 Uhr heim, wir lassen uns noch nieder, R. und ich, und*(*Eintragung bricht ab)
Donnerstag 21ten
Feustel's Geburtstag. R. ein wenig wohler, geht je
doch nicht hin, aus großer Ermüdung; ich bringe die Wünsche und Gaben
mit Eva und Fidi hin. Föhnluft, welche sehr übel auf R. wirkt. Abends
 »Die Römerfahrt der Epigonen« [10] von Samarow.    
Freitag 22ten
R. hatte eine sehr üble Nacht... Um die Mittagszeit Herr Glatz, der künftige Siegfried. Er bringt Nachrichten von Richter, dessen Braut jüdischer Abkunft ist. Nachmittag der Notar Skutsch, es ist wenig Hoffnung vorhanden, von den Herrn auf rechtlichem Wege sich zu befreien, und somit ist es fast schlimmer, als es war. Abends erste Kundgebung von Herrn Glatz - die Richter'sche Methode, wie wir sie erwartet hatten. Welche Not wird R. haben, er muß bis zu den Steinen wetzen, welche er für seine Gebäude braucht.
Sonnabend 23ten
R. hatte wieder eine üble Nacht!... Herr Skutsch fährt nach Leipzig, um dort einen Advokaten zu konsultieren! — Der Sergeant Schlickau unterrichtet weiter, und bedeutende Fortschritte sind schon zu gewahren!... Abends Herr Glatz, ein sehr gebildeter und angenehmer schöner Mann, die Stimme ist mächtig, doch aber die Folgen des genossenen Unterrichts heillos! - Brief von E. Nietzsche,[11] sie will[igt ein] auf meine Bitte, zu meinen Kindern während meiner Abwesenheit zu kommen; eine große Beruhigung.
Sonntag 24ten
R. immer schlaflos oder von wilden Träumen gepeinigt. »Laß mir doch wenigstens Eva«, mit diesen Worten wachte er auf, indem er mich mit den Kindern von sich gehen sah. Vorher hatte er sich als Gegenstand des Hohnes und der Verachtung empfunden! Er speist bei Karl Kolb und kommt recht befriedigt von der Eigentümlichkeit dieser begabten Menschen zurück. Abends kleine Gesellschaft; ein mir interessant dünkender Dr. Bovery wird mir vorgestellt. Herr Glatz versucht zu singen, ist aber erkältet.
Montag 25ten
R. liest viel in Gfrörer, das siebentägige Schweigen vor dem Gericht in den Büchern der jüdischen Mystiker macht ihm großen Eindruck. Ich unterrichte die Kinder und mache einige Besuche. R. besorgt Geschäfte. Sehr schlimmes Wetter, Wind und Schneegestöber. Abends Herr Glatz sanglos. (Viel Kummer durch die älteren Kinder.)
Dienstag 26ten
R. hatte eine bessere Nacht und beginnt das Studium mit Herrn Glatz; hier ist alles zu tun, doch ist er nicht hoffnungslos. Kaffeegesellschaft für mich, für R. der Besuch von Herrn Skutsch, welcher in Leipzig war, um sich Rat zu holen; es kommt heraus, daß an dem Kontrakt mit Voltz und Batz nichts zu ändern ist!... Abends Herr Glatz. Aufsetzen einer ungarischen Glückwunsch-Depesche für Richter.
Mittwoch 27ten
Richter's Hochzeitstag! - Des Morgens sagt mir R.: »Ich bin immer tiefer überzeugt von der Wahrheit des Voltaire'schen Wortes, daß für das Volk die Religion nicht absurd genug sein kann, und daß man das Christentum von seiner jüdischen Grundlage nicht trennen kann. Der Vater im Himmel gehört dazu, und naiv kindlich einfach muß eine Religion bleiben, der liebe Gott, der alles gut gemacht hat, wenn wir es auch nicht verstehen, ist der einzige Trost, die einzige Anleitung zur Resignation für den gemeinen Mann. Freilich, wenn der Glaube erschüttert ist, kann man ihn nicht wieder einimpfen.« R. studiert mit Herrn Glatz, darauf machen wir einen Besuch zusammen. Nach Tisch die drei ältesten Kinder auf dem Eise, R. mit Evchen zu Rollwenzel, ich mit Fidi zum Theater, alles unvorbereitet! Großer Eindruck des Theaters auf mich. - Abends eine Symphonie von Haydn, dann bitte ich um etwas aus Tristan, und wir nehmen von der Vision des Tristan an bis zum Schluß. Unsäglicher Eindruck, zumeist heute von Isolden's Schmerzensausrufen sogleich nach Tristan's Tod, welche von R. unaussprechlich ergreifend gesungen werden.
Donnerstag 28ten
R. nicht sehr wohl, Herr Glatz auch nicht, kein Studium, wohl aber Auseinandersetzungen, und zwar nicht erfreuliche; es gilt dem guten Mann zu beweisen, daß er nichts bei Frau Richter gelernt und nichts lernen wird! R. und ich sehr melancholisch darüber, daß wahrscheinlich eine Hoffnung zunichte ist!... Woher Siegfried?... Ankunft der »Glocken von Straßburg« vom Vater, seltsames Werk; sehr effektvoll gemacht, uns aber so fremd... Abends in Gfrörer's Werk gelesen. Für mich lese ich in Buckle's »Geschichte der Zivilisation«, und so anregend das Buch ist, muß ich über die Seichtigkeit der Anschauungsweise erstaunen.
Freitag 29ten
R. trüb gestimmt durch die Hoffnungslosigkeit über Glatz! »Ich muß wilde Menschen haben«, sagt R., »keine kultivierten Barbaren.« Ich schreibe an Bon Normann um Erkundigung über einen Tenoristen, Herrn Schwab, welcher sich empfohlen hat. - Mit den Kindern lese ich jetzt »Nathan den Weisen« und werde durch vieles wiederum sehr ergriffen, der Ton von Assad, welcher in Saladin's Seele ruht, rührt mich besonders, man verliert den Ton der Toten, allein er kann wieder erweckt werden. Die Wahrheit wie eine Münze ausgezahlt, im Monolog des Nathan, erinnert an das Geschäftmäßige, mit welchem die Juden ihr Verhältnis zu Gott auffaßten. Konferenz über einen zu erbauenden Gasthof - Schwierigkeiten über Schwierigkeiten, doch ist R. immer mit den Leuten seines Verwaltungsrates zufrieden. Abends in Gfrörer's Buch gelesen.
Sonnabend 30ten
R. hat an dem Albumblatt für Frau Schott[12] zu arbeiten. Mehrere Sänger antworten auf das Circular; und sehr freundlich. Er ist immer aber nicht sehr wohl, der Ausschlag an den drei Fingern peinigt ihn sehr. Abends in Gfrörer gelesen. Herr Glatz immer unwohl, wenig Hoffnung für den Siegfried!... Abends das »Urchristentum« von Gfrörer, worunter der eine Spruch der Juden, »ein gutes Auge, einen demütigen Geist und eine begierdelose Seele soll man sich erbitten«, sich mir sehr einprägt.
Sonntag 31
ten Schönes Winterwetter, die Kinder in der Kirche und auf dem Eise, ich mit Vorkehrungen für die Reise beschäftigt. Abends »Nathan den Weisen« den Kindern gelesen und später Gesellschaft. Es dur Quartett, und E dur Sonate.