Sonnabend 1ten
Herrliches Frühlingswetter; ich schicke die Kinder bis zur Bürgerreuth spazieren, und ich selbst gehe mit Fidi und dem Arbeiter Meyer, der mir eine Köchin anempfiehlt, spazieren. Hübsche Begegnung mit dem Dekan, welcher sich kindlich über die übersetzte Schrift von Schure freut und meint, wir seien im Siegen gegen unsre Feinde! - R. arbeitet jetzt an dem Aufsatz über die 9te Symphonie[1] und korrigiert das Rheingold. Ich schreibe an den Vater und bereite sonst, so gut es geht, den Geburtstag von R. vor. - Boni ist immer nicht wohl und muß geschont werden, ich führe sie ein wenig aus, doch geht sie nicht gut. - Gegen Abend gehe ich allein aus, höre im Hofgarten bei aufgehendem Mond eine Amsel singen, große Rührung! Gute Vorsätze - tiefes in sich Gehen. Abends kommt Herr Zumpe von der Kopie zu uns; R. spricht von der italienischen Truppe in Dresden und kommt dann auf Rossini und besonders auf die »Gazza ladra«-Ouvertüre zu sprechen, da unser Kopist lächelnd gesteht, daß er sie nicht kennt, ereifert sich R. und sagt: »Mein Bester, über Rossini geht nur Beethoven«, und er beschreibt, wie in dieser Rossini'schen Musik die ganze elegante Gesellschaft mit den schönen italienischen Frauen und ihrem Geplauder sich ausdrückt. »Beethoven musizierte für keine Gesellschaft, außer vielleicht für eine Gesellschaft von Göttern« - er spielt die Gazza ladra-Ouvertüre, dann die A dur Symphonie, welche Herr Z. hier im Dilettanten-Verein zu dirigieren hat. Darauf einiges aus der F dur und aus der Pastorale; nicht zwei Takte sind von diesem himmlischen Wesen angeschlagen, daß wir ganz außer uns geraten, unvergleichliche Macht! Niemals werden Symphonien mehr geschrieben werden. R. sagt: Er muß eine herrliche übermütige Zeit gehabt haben, wie er die 7te entwarf, er hatte wahrscheinlich die Trauer über die Taubheit überwunden und dachte sich wohl: »Nichts kann dich umbringen.« Wer hat ihm dann gedankt, wie er so schaffte?... R. hält die 7te und die 8te als selbst unter seinen Werken für unvergleichlich durch Kühnheit und Originalität; er sagt aber, er würde sich, wenn er sie wieder dirigierte, gar nicht genieren, manches anders zu setzen für das Orchester, das Beeth. nur so geschrieben, weil er es nicht mehr gehört.
Sonntag 2ten
R. arbeitet an seinem Aufsatz, ich bringe den Morgen mit Kinderspielen zu und Briefschreiben! R. arbeitet an seinem Aufsatz weiter. Nachmittags gehen wir zu Fuß nach der Eremitage und freuen uns des hübschen Weges und der Sonntagsspaziergänger, die alle ehrfurchtsvoll grüßen. Gegen 6 Uhr heim, die arme, notwendig zurückgebliebene Boni auf dem Sofa gestreckt wiederfindend; abends beschäftigen wir uns mit den geistlichen Liedern von Luther, von Philipp Wackernagel[2] - leider mit Illustrationen herausgegeben; und sind tief ergriffen von dem Ton dieser Lieder; »dieses furchtbare Mitgefühl mit seinem deutschen Volk ist so groß an ihm, er konnte es nicht dulden zu sehen, wie die Römer das arme deutsche Volk verachteten und plünderten«. Wie ich ihm sage, wieviel lieber ich es hätte, daß die Kinder diese Lieder lernten, während sie Gott weiß welche geistliche Lieder zu lernen haben, darauf erwidert mir R.: »Ach! wie sollen diese strengen inbrünstigen Sachen mit der jetzigen Erziehung passen? Wie geht das mit dem Französischen? Das ist für das Volk gemacht und für die höchst gebildeten, die erkennen können, welche Wohltat in diesen Sachen liegt.« In München wurden gestern die MSinger zum Besten des Bayreuther Theaters gegeben; R. sagt: Wir erleben es noch, du wirst sehen, daß das Haus auf irgendeine Weise nicht voll wird und daß sie dann mit Triumph sagen können, das Publikum interessiere sich nicht für Bayreuth.
Montag 3ten
Trotz des großen Weges gestern hat R. doch nicht gut geschlafen; ich bin darüber sehr betrübt, auch Boni ist nicht wohl; und der Kinder Wesen macht mir Sorge, Gott weiß, wie ich die mir gestellte Aufgabe noch erfüllen werde. Ich denke beständig daran. - Beim Kaffee am Morgen besprechen wir die »Iphigenie« von Goethe, ihr nicht-griechisches Wesen, R. erzählt mir, Onkel Adolph habe ihm gesagt, sie sei griechischer als die Euripideische; »allein«, sagt R., »es fehlt ihr auch die Naivität; der Mangel an Musik und die fr. Konvention machten einen Appell an den Verstand notwendig, eine Art von Erklärungen, diese, um nicht roh und prosaisch auszufallen, haben die Diktion eingegeben. Das habe ich berührt in meiner Vorrede zur Vorlesung der Götterdämmerung« . - R. arbeitet an seinem Aufsatz, ich gehe mit den Kindern zu Feustels, um einiges auf R.'s Geburtstag bezüglich zu regeln oder in Angriff zu nehmen. R. hat mit dem neuen Hause zu schaffen. Abends lesen wir in dem neuen Buch von Menzel,[3] die Umtriebe der Jesuiten, es ist erschrecklich und unbegreiflich, daß ein solches Übel hat in dieser Weise sich einnisten können. R. schreibt alles den üblen Jahren nach 48 zu. - Abends necken wir uns, R. und ich, mit dem Französischen, und so ist denn ein Punkt, der mich tief zu betrüben drohte, zu einem Scherz geworden.
Dienstag 4ten
R. hatte keine gute Nacht! - Wie ich eben sage, wie traurig mich das machte, daß er hier so übel sich befände, ich hätte geglaubt, das Klima in Luzern sei daran viel schuld: »ach«, sagt er, »das Klima ist innerlich, die beständige Sorge bildet die böse Atmosphäre. Erführe ich jetzt, einer wäre gestorben, der mir 50 000 Pfund hinterlassen, ich weiß, ich würde gesund, meine Unternehmung wäre gesichert und ich brauchte nicht beständig mich darum zu kümmern, ich würde frei«. - Abends nehmen wir die Biographie[4] wieder auf, zu meiner größten Freude Zusage von Wilhelmj, zu R.'s Geburtstag zu spielen. Brief eines sich selbst als Juden ausgebenden Münchners, welcher R. bittet, doch auch nach München zu kommen und zu dirigieren. (Ich lese R.'s Aufsatz über die 9te Symphonie.)
Mittwoch 5ten*
(* Von Cosima fälschlich »4ten«, ebenso Donnerstag »5ten« datiert) - Vollständiges Lazarett, Lusch, Loldi, Boni, Eva krank oder leidend, Käthchen unwohl, und keine Köchin! Da heißt es den Kopf aufrecht erhalten. Hausbesorgungen mit Fidi und Eva, dazu viele Briefe empfangen und geschrieben (zum Teil wegen Geburtstag, zum Teil Geschäfte); der alte Weitzmann meldet, daß Löser und Coerper in Berlin sich plötzlich als Millionäre entpuppt haben und 8000 Th. garantieren wollen, wenn R. dort die 9. Symphonie dirigieren wollte! - Sitzung bei Feustel, um Herrn Batz als Agent an die verschiedenen Vereine zu schicken und Ordnung in die Angelegenheit zu bringen. Die vortreffliche Freundin Marie Schl meldet wieder zwei Patrone; sie hat alles zu Stand eigentlich gebracht! Abends kommen viele Bücher, die R. antiquarisch acquiriert hat, sehr interessante Werke, unter andrem Schlegel's Werk über indische Sprache.[5]
Donnerstag 6ten
Wilde Nacht, allerlei Gedanken durcheinander, Gesundheit der Kinder, ihre Geburtstage, Geburtstag von R., Aufenthalt in Berlin, Sommertoilette der Kinder, Patronatsscheine (301 sind bezahlt!), alles kommt mir durch den Sinn, namentlich die verschiedenen Bücher, in die wir gesehen. R. hatte auch eine böse Nacht: Die Nahrung, die wir aus der Sonne holen lassen müssen, bekommt ihm nicht. Seit langem war unser Zustand nicht so arg, ich danke Gott, daß mir Kraft und Heiterkeit verblieben sind. - Nachmittags Herr Batz, der als Agent engagiert wird,
leider aber sich gar wenig durch eingeflochtene mißverstandene Wörter empfiehlt. Wie es geht, lese ich R. die kleine Abhandlung über Meister-und Minne-Gesang vor, was unser Gespräch auf das Mittelalter führt und dessen wunderbar harmonische lebensvolle Gestalt, wo der Ritter nicht lesen noch schreiben konnte, aber ein Dichter war! Renaissance-Pracht, eigentümliche erste gänzliche Befreiung von dem Byzantinismus, ein Kostüm, meint R.
Freitag 7ten
R. wieder eine sehr üble Nacht. Doch wie immer, wenn das Gespräch geistige Dinge berührt, ist er am Morgen, bei meinem Bette frühstückend, lebhaft angeregt. Eine Stelle des ersten Satzes der 9ten Symphonie erfüllt seinen Geist, diese, wo die Steigerung beginnt, um wieder zurück zu fallen, er sieht darin ein Bild des Willens, der einen furchtbaren Anlauf nimmt, um zurück zu sinken in Ohnmacht. Wenn man denkt, was aus der Brunst, die im rechten Fall die Liebesumarmung ist, wird, wie sich das verkörpert, trennt, ein großer Anlauf ist hier genommen, und der Greis ist der Abschluß dieses wütenden Wollens, dieses blinden Verlangens! - Wie ich bemerke, daß keiner wie Beethoven uns das Bild des Wesens der Dinge gegeben, sagt R., vielleicht Bach, und durch die Form der Fuge so merkwürdig, und die Musik scheint selbst wie ein Wesen, das verschiedene Entwicklungen gehabt, bis aus dieser Zauberlaterne das Drama projiziert wird. - Wie wir uns der schönen Einzelheiten in der Darstellung des Evchen durch die Mallinger entsinnen, sagt R.: »Wie das merkwürdig war, das Mädel schien so dumm.« Und ich muß diese Erscheinung des Talentes mit einer Erscheinung des Gedächtnisses vergleichen, oft erscheinen mir im Geiste ferne Lebende ganz deutlich, will ich das Bild mit Bewußtsein festhalten, schwindet es ganz und gar. - Bei den Kindern, Lulu verursacht mir viel Kummer. Törichte Klagen von Graz, eine Gräfin Coudenhove,[6] die sich als patroness des W.Vereins betrachtet, begreift nicht, daß Wagner nicht zum Dirigieren hinkommt. R. sehr ärgerlich hierüber. - Er geht spazieren und kommt heiterer Laune heim; allein die häuslichen Unruhen verstimmen ihn bald, [wir]*(* Für fälschlich: »ich«) helfen uns mit der Biographie, an welcher wir einige Seiten schreiben.
Sonnabend 8ten
R. muß früh fort, Herr Brandt und Herr Brückwald sind da, es wird eine Konferenz gehalten, deren wichtiger Abschluß ist, daß die Aufführung um ein Jahr verspätet wird. - Ich schreibe Marie M., um ihr auseinanderzusetzen, daß die wahren Freunde W.'s nicht auf ihn eindringen müßten, Konzerte zu dirigieren. - Nachmittags und abends Brandt und Brückwald - etwas schwieriges Zusammensein, R. hat die Güte, den Mut, mit welchem ich, â tout et â travers, das Gespräch aufrecht erhalte und durchführe, zu bewundern!
Sonntag 9ten
R. hatte eine bessere Nacht; er steht dann auch früher auf und unterhält sich daran, daß ich in meinem Bett den »Brief an Berlioz«[7] lese. Unser Gespräch führt auf den Jammer hin, daß sich nicht ein Geschäftsmann gefunden mit Blick genug, um R. vorzuschießen auf die sichere Annahme des Wertes von Rienzi, Holländer, Tannhäuser und Lohengrin, um dann seinen Vorschuß davon ab[zu]nehmen, R. in Besitz seiner Werke, die ihn nur Geld gekostet, zu erhalten. R. meint, der Stand sei zu demoralisiert; zu Goethe habe sich Cotta gefunden, zu Schiller Göschen, die zweite Hälfte des 18ten Jahrhunderts habe einen großen Anlauf genommen, aber mit der Restauration sei alles schmählich und immer schmählicher geworden; die Goethe-Feier durch E. Devrient als Narbe auf die Wunden eingeführt, die Schiller-Feier von Juden über den ganzen Erdboden zu Stande gebracht jämmerlich! Wir sprechen über die französischen Ausdrücke im Deutschen, und R. sagt, sie seien für die Ironie gar nicht zu entbehren, wie auch in der Philosophie die Ausdrücke immanent u.s.w. nicht zu entbehren - nur ein tiefer religiöser Glaube könnte hier helfen, wie bei den Indern, die mit den furchtbarsten Dingen spielen konnten, weil sie feste Dogmen waren. - Vom h. römischen Reich, wie alles da im Namen lag. - Rede des Präsidenten Grant, auf eine Sprache und einen Staat rechnend, womit wohl die Kunst
begraben sei!... R. wollte gern an seinen Aufsatz, wurde aber durch den Besuch Feustel's mit einem Augsburger Patron gestört, was ihn sehr verstimmte. - Kindertisch. (Ich schreibe an Clemens und Marie Schleinitz.) Unsinnige törichte Briefe. Die Quatuor-Gesellschaft in Mailand wünscht R. zu einem Konzert, die Schloß-Brauerei in Berlin wünscht zur Einweihung ihres Konzert-Saales eine Komposition, die Society of Fine Art in London schickt Gedichte, dabei schweigt alles über was uns wichtig zu erfahren wäre: Löser, Dannreuther, die Wiener. Mme Lucca hat sich nun darein ergeben, daß wir nach Mailand nicht kommen, und zieht Lohengrin zurück. - R. leidet an seinem Fuß, wir gehen zusammen im Hofgarten spazieren, Frühlingsstimmung (am Morgen hörten wir schon den Finken). - R. durch seine Unternehmung geistesunfrei, beständig daran denkend. Schott schreibt, daß er die Partitur des Rheingoldes in Wien ausstellen möchte, R. schreibt als Widmung darauf: »Im Vertrauen auf den deutschen Geist entworfen, und zum Ruhm seines erhabenen Wohltäters des Königs L. v. B. vollendet.« - Abends gehen wir an die Biographie. Ich sage scherzend zu R., welches Kapital wir Fidi damit hinterlassen, er erhält das Haus (dessen Ausschmückung uns jetzt vielfach beschäftigt), dann 30 Jahre nach unserem Tode unsere Tantiemen, und nach diesen 30 Jahren kann er die Biographie herausgeben; »dann«, sagt R., »schreibt er den Parcival«. Ich schüttle mit dem Kopf, R. fährt fort: »Ja wer will so etwas bestimmen, der muß sich von uns absondern ganz und gar, wenn nicht dem Grade nach, doch nach der Art, wie ich mich von den Meinigen absonderte; Eindrücke werden ihn bestimmen natürlich, wenn ich nicht die Eindrücke von Weber und der Beethoven'schen Symphonie gehabt hätte, Gott weiß, was aus mir geworden wäre, er muß sich aber nach seiner
Weise, uns ungeahnt entwickeln, dann kann etwas daraus werden.«
Montag 10ten
R. hat einen Schafgarben-Tee spät abends auf Anraten unseres Doktors getrunken, der verhalf ihm zu einem guten Schlaf. Er spielt beim Ankleiden aus Lohengrin 3tem Akt; wie das Ankleiden bei ihm immer sehr zerstreut, lebhaft angeregt, ja produktiv ist. - Er sagt, er hätte Lust, seinen Scherz (daß es sein Unglück wäre, daß Napoleon nicht gesiegt hätte, denn wäre der in Deutschland Herrscher geworden, er hätte sich gleich nach deutschen Dingen erkundigt und hätte sein Theater ihm gebaut) öffentlich auszusprechen. Herzog von Dessau hat zwei Patronatsscheine genommen. R. beschließt seinen Aufsatz über die 9te S. - Nachmittags gehen wir zusammen spazieren, zu Feustels, besuchen dann das Haus, Besorgnis wegen der Feuchtigkeit; Gedanken an Fidi, bleibt Vermögen für ihn aus, kann er die untere Wohnung abschließen und oben sehr schön auskommen, hoffentlich wird er diesen Besitz heilig halten, der seinen Vater in Gedanken an ihn so viel beschäftigt! Abends an die Biographie; o diese Prüfungen ohne Sinn! Wie fühle ich, daß keine Liebe und Pflege jemals das wieder gutmachen kann, ich spreche es R. in meiner Weise aus, worauf er mir scherzend erwidert: Dir genügt es nicht, daß man sich alles ist, man muß es sich noch jeden Augenblick sagen!
Dienstag 11ten
R. hatte wieder eine schlimme Nacht und ist angegriffen, nichtsdestoweniger ist unser Gespräch beim Frühstück heiter, ja erhaben, wiederum berührt er die 7te (A dur) Symphonie und sagt: »Es ist völlig wunderbar, wie hier derselbe Urgedanke zwei Erscheinungen durch die Trennungen der Zeit hervorgebracht, für mich ist dieses Werk ein vollständiges Bild eines Dionysos-Festes; natürlich wird man daran nicht denken, wenn man es hört, aber hätte es ein geistvoller Meister ausdrücken wollen, es wäre nicht anders sich vorzustellen. Zuerst der Herold und die Tibien[8]-Spieler, darauf das sich sammelnde Volk (die Scala), darauf das reizvolle Thema, welches den Sinn der Prozession in einer schwungvollen Bewegung darstellt; u.s.w. Das Andante ist die Tragödie, das Opfer des Gottes, - Erinnerungen an Zagreus, auch du hast gelitten, darauf ländliche Feier, die Winzer und sonstige Landleute mit Thyrsusstäben, und als Schluß das Bacchanal. Nun ist die Musik bei weitem idealer als alles, und es wäre töricht, wollte man ein solches Programm aufstellen; nur aus der Betrachtung und der Erinnerung drängt sich mir das Bild auf, das auch in der Betrachtung, nicht als Fest, worinnen wir stecken, unendlich ideal ist.« - Als ich von der Vollendung dieser Symphonien als Ganzes spreche, sagt R.: »Ja, die anderen Meister waren in der Konvention noch befangen; der jesuitische Stil, der sich auf die Architektur ausprägte, hat auch die Sonatenform gegeben, und Mozart war zu leichtsinnig, um die Konvention gänzlich zu brechen.« R. gibt mir den Schluß seines wundervollen Aufsatzes zu lesen, darüber mit mir sprechend sagt er: »Ich habe das Recht, gewisse Änderungen vorzuschlagen, wo der beste Vortrag den melodischen Gehalt nicht zur Geltung bringen kann, weil ich sonst durchaus auf Korrektheit des Vortrages fuße und den Leuten sage, versteht und spielt nur die Vortrags-Nuancen von Beethoven, und das Rechte wird schon herauskommen.« Da er mich verlassen, schickte ich ihm das Manuskript mit der Bemerkung: es sei herrlich; er sagt mir, das Kind habe das wunderschön gesprochen. - Nicht lange aber dürfen wir uns der Freude dieses Gedankenverkehrs hingeben; Herr Am Rhyn fordert immer mehr, von allen Spitzbuben dort unterstützt - aus Wien meldet der akademische Verein, daß sie die von R. geforderte Summe (10 000)*(( ) Zahl nachträglich eingefügt) nicht würden garantieren können!... - Als gestern von dem Impuls, welchen die Gebrüder Schlegel in Bezug auf indische Studien gegeben [gesprochen wurde], frug ich R., ob nicht die Franzosen und Engländer da vorangegangen seien? »Gewiß«, sagt er, »sie hatten Besitzungen dort, und überhaupt, wir können uns eigentlich nie rühmen, in irgend etwas vorangegangen zu sein; die Ehre der Initiative ist den romanischen Völkern zu lassen, aber nun sehe man, was der Deutsche aus der Sache macht. Er hatte keine Besitzungen, die ihm das Studium nahe legten, aber er fand darin die Urverwandtschaft mit seiner Sprache und seinem Geiste - was keinem Volke beschieden werden konnte.« Wie er noch von Beethoven sprach und einzelnen seiner Vortragsnuancen, die zu ändern wären, weil er dies nicht mehr gehört, frag ich, wie es denn mit Weber stünde, »oh«, sagt R., »der war äußerst sorgfältig, er hatte, möchte ich sagen, eine romantische Schärfe«. - R. geht spazieren, kommt abends heim, sehr müde; - ich hatte am Nachmittag die Urvaci begonnen und lese ihm abends daraus vor; er wird aber matt, trotzdem ihn das wundervolle Werk wohl anspricht, und geht früh zu Bett. Herr Lesimple schreibt aus Köln, daß sie die Kosten des Konzertes nicht würden tragen können; daß aber 5000 Th. netto einkommen würden.
Mittwoch 12ten
R. hatte eine übelste Nacht - daran die Schändlichkeiten in Luzern schuld sind; nochmalige Konferenz mit dem Konzipienten Hoffmann, ob man die Klage hier erwarten kann. Kindertisch, darauf Fidi sehr unwohl zu Bett gebracht; der Arzt wird gerufen, er erklärt es für eine kleine Indigestion. Gegen Mitternacht besuche ich noch einmal die Kinderstube und finde alles in gutem Schlaf. Wir beginnen zu großer Freude das indische Drama »Malawika«.[9]
Donnerstag 13ten
R. hatte eine gute Nacht, Gott sei es gedankt! Fidi aber ist krank, heiße Stirn und rascher Puls. R. ordnet seine Bücher und zeigt mir unter anderem das Gebetbuch Maximilian's von Dürer, ich bemerke ihm, daß ich es ihm einst in München zur Ansicht gebracht und gelassen, er behauptet, er habe es gar nicht angesehen, »damals empörte mich alles, was mich zerstreuen sollte von dem Einen, und ich wollte nichts davon wissen«. Nun sieht er [es] an und mit höchster Freude; »Dürer und dann Bach und Beethoven, das sind unsere deutschen Wesen«. »Wie würde wohl Bach einer solchen guten Symphonie zugehört haben«, fragt R. sich plötzlich; ich meine: mit dem Gefühl »das könntest du auch!« Worauf R. sagt, er verstünde mich gut, »denn«, sagt er, »die Konvention bei Bach war etwas anderes als bei Mozart; bei Bach war sie Religion, Ritus; aus der Vierstimmigkeit sich zu dieser Form zu erheben, war ein völliger Weltenbau«. Freude über Lulu's und Boni's Gesundheit, Kummer über Fidi. Große Wehmut über einen armen hübschen guten Buchbinder-Gehülfen, der sich seinen Tod wahrscheinlich dadurch geholt, daß er, der Armut wegen, den Weg zu seiner Gemeinde zu Fuß zurücklegte und sich dabei eine Lungenentzündung holte. R. gedenkt dabei seines armen treuen Hundes Pohl in München, der auch durch einen solchen zu langen Weg sich den Tod erwarb! R. beim »Kränzchen« gegenüber beim Konsistorialrat Kraußold; ich allein schreibend, Lulu übt am Klavier, alle schlafen, Fidi auch - wehmütige Gedanken, doch großer Friede, Schweigen alles Wollens, auch eigentlich keinen Wunsch; Dank, unsägliches Dankgefühl! - Ich frug R. gestern, ob er meine, daß die »Urvaci« gut in Musik und zu einem Operntext umzuarbeiten wäre. »Nein«, sagt er, »es müßte für einen Hof sein, den wir nicht haben.« In der »Malawika« fesselt uns die Darstellung der höfischen Sitte, »alles, was bei uns als Original sich geriert, ist hier vorgebildet, nur wie erscheint Louis XIV. steif und roh dagegen«. Wie ich mich über die Freiheit der Frauen wundre, sagt R.: »Überall, wo ein Hof ist, wird das Verhältnis so werden; und es ist schön so, nur bei den Franzosen ist es einem widerwärtig.«
Freitag 14ten
Gegen Mitternacht kam R. gestern heim und lachte, als er mich über dem Werk von Palla[dio]*,[10](* Ende des Wortes nur zu erraten) das mir große Freude verursachte, fand. Er war nicht unzufrieden mit den Gesprächen, nur der Tabaksqualm und das Bier verursachen ihm große Kopfschmerzen. Er erzählt mir, daß Pr. Fries - nur um einer privatim wahrscheinlich von Konsistorialrat K. erhobenen Einwendung zu erwidern - ihn gefragt habe, ob er nicht glaube, daß das große Publikum an dem Schluß des ersten Aktes der Walküre, wo der Inzest proklamiert wird, sich stoßen würde, worauf R. zuerst scherzend erwidert, daß die Erfahrung in München dem widerspräche, denn das Publikum wäre dort in Begeisterung und Jubel am Schlusse des ersten Aktes [ausgebrochen], während, wo die Moralität der Sache vorgetragen wird, es sich gelangweilt hätte; und dann ernst, daß diese Vereinigung von Siegm. und Siegl. wie eine Naturnotwendigkeit erscheint, an der sie alle zu Grunde gehen, so daß damit doch nichts Unmoralisches dargestellt ist. Ich sage zu R., daß ich nicht begreife, wie die Leute gleich an derlei denken und namentlich gleich die Worte im Munde führen können, er sagt: »Wo Begriffe fehlen, stellt das Wort zur rechten Zeit sich ein, z. B. das Wort Sakrilegium habe ich zwei Mal gehört, wo es nicht dümmer passen konnte und entschieden entweder aus >Robert der Teufel oder irgend einem Roman entnommen; das erste Mal in der scheußlichen Zeit, wo Mathilde Wesendonck auf meine Frau eifersüchtig wurde, da schlug ich ihr vor, mich von meiner Frau, sie sich von ihrem Mann trennen zu lassen und uns zu heiraten, sie erwiderte: das wäre Sakrilegium: Übrigens« - fügt er lachend hinzu, »paßte das unverstandene Wort zu meinem Vorschlag ganz hübsch, denn im tiefsten Grunde und unbewußt ernst war es mir nicht! Das zweite Mal kam von einer zweiten Mathilde das Wort, und zwar in Bezug auf uns! Sakrilegium, warum nicht Frevel oder irgend etwas, es muß aber ein Wort sein, das man nicht versteht.« - Wir waren noch um Mitternacht bei den Kindern, alles schlief gut, auch Fidi; es scheint heute entschieden nur das Ausbrechen eines Zahnes. - Zu Mittag kommen wir auf die Leonoren-Ouvertüren zu sprechen und das Seltsame, daß Beethoven vier von ihnen entwarf, auf ein ihm eigentlich unsicheres Terrain (Oper) sich begeben hatte. - »Ich kann mir diese Unsicherheit vorstellen«, sagt R., »noch nach der Tannhäuser-Ouvertüre hatte ich das Gefühl, Gott, wenn einer kommen könnte und dir beweisen, daß es eigentlich ganz anders zu machen wäre.« Wir gehen zusammen aus, zuerst zum Antiquar, dann in unser Haus, da zeigt er mir die Stelle, wo er wünscht, daß unser Grab zu stehen komme, wo wir beide allein nebeneinander ruhen! Tiefernste heitere Stimmung, »ungetrennt, ewig einig!«... Ich hatte vor dem Ausgang in den »Wahlverwandtschaften« zu unsäglicher Ergriffenheit gelesen; wir entsinnen uns, wie uns dabei zu Mute war, als wir getrennt zugleich lasen: »Doch nichts glich ihrem Behagen« u.s.w. »Ja«, sagt R., »du hattest die Anlage zur Ottilie in dir, ich wollte es aber nicht, und ist es recht gut, wenn man der Welt zeigt, wenn man der Liebe treu bleibt und die für einander Geschaffenen sich vereinigen.« - Beim Abendbrot spricht R. über Mendelssohn, rühmt dessen Hebriden-Ouvertüre, »er hat gut gehört und hat Landschafts-Eindrücke empfangen; z. B. das Aufbauen des Dreiklanges im Beginn der Ouvertüre ist stimmungsvoll, nur [nicht] das menschliche Herz und seine Seufzer, auch nicht die Natur, sondern die Landschaft hat er wiedergegeben, auch kann ich mir ein solches Wesen nie begeistert denken«. - Wir lesen abends die Malawika aus und mit größter Freude daran, Witz, Erfindung, Anmut, Leben und schöne Sitten, alles daran fesselt. - Süßer Abschied von R. zur Nacht, er meint, so etwas wie unsere Vereinigung gäbe es nicht wieder auf dieser Welt.
Sonnabend 15ten
R. hatte eine erträgliche Nacht, so daß unser Frühstückstündchen recht sehr heiter ist, heiter und ernst, denn R. spricht wiederum von den zehn Jahren, in welchen er nach der Aufführung der Spiele sein Thema »Was ist deutsch« recht ergründen will und alles, von dem Einfluß des Provencalischen im Mittelalter bis zu den neuesten Erscheinungen, ja selbst das Element der Jugend mit untersuchen will, auf die Gefahr hin, ganz verzweiflungsvoll zu schließen. Auf Amerika kommend, sagt er: Wäre es nicht denkbar, daß, wenn die Nordländer sich werden im Süden ausgebreitet und endlich eine Nation gebildet, das Deutsche gleichsam die Stelle des Sanskrit in Indien einnehmen würde, die Kultursprache sein, und das Englische das Prakrit, die Volkssprache. Bei dieser Untersuchung knüpfe ich auch Gedanken über meine Unternehmung an, bin ich nur eine Art Fata Morgana gewesen, oder ist meine Erscheinung und die Ideen, die ich mit mir trug, ein Zeichen? - Ich bin unten bei den Kindern, Fidi und Loldi immer zu Bett. R. ordnet seine Bücher mit Leidenschaftlichkeit und freut sich seines Reichtumes. Ich schreibe nach England, von wo man nicht 1000 Pfund Einnahme für das Konzert garantieren kann, aber allerlei seltsame Projekte - vorbringt, eines ganz nach R.'s Ideen zu konstruierenden Theaters, um darin deutsch Tannhäuser und Lohengrin unter R.'s Leitung zu geben! R. hat Besorgungen betreffs des Am Rhyn'schen Prozesses. Abends überfällt uns große Aufregung in Folge von krampfartigen Anfällen Fidi's, ich trage ihn in mein Bett und verbringe mit ihm die Nacht, ihn tröstend und beruhigend.
Sonntag 16ten
Nun ist es an mir, müde zu sein, ich raffe mich aber auf bei herrlichem Frühlingswetter, in das neue Haus durch den Hofgarten gewandert, viel Vergnügen der Kinder; heimgekehrt. - R. hat uns gesucht, nicht angetroffen, das 1te Motiv der 8ten Symphonie gepfiffen, sich unsertwegen schön gemacht! Doch vergebens; so kann man sich im kleinen Bayreuth verfehlen. Bei Tisch erzählt Herr Zumpe, in Leipzig hätten sich die Musiker immer das Zankmotiv aus den Meistersingern als Zeichen zugerufen, das bringt uns auf dieses Werk, »das optimistischste meiner Werke«, sagt R. »In dieser Form, mit einem Volksdichter wie Hans Sachs, einem enthusiastischen Jüngling, der, ohne Meister zu sein, doch dichterisch empfindet, mit der ehrwürdigen Pedanterei, dacht ich mir den Deutschen in seinem wahren Wesen, in seinem besten Licht. So weit bringt er es im Leben, alles übrige, zumal die Elegance, ist bei ihm affektiert; und sonst hat er noch das höchste Pathos. - Ja ja, mein Weibchen,
das habe ich damals geschrieben, wie wir so traurig waren, doch du warst bei mir, und es überkam uns das Behagen, von dem Herr Goethe auch etwas wußte.« - Beim Kaffee las ich die Rede des Maurers vor - (in den »Wahlverw.«), und wie ich zu der Stelle komme, wo Ottilie ihre goldene Kette hergibt, muß ich aufhören, wir sind beide in Tränen - »wir sind schöne Narren«, sagt R. Heute früh machte es R. vielen Spaß, die Broschüre »Das Judentum in der Musik« als seltenes Antiquariatsstück für 9.90 H?*(* Zahl und Bezeichnung undeutlich und mit Fragezeichen versehen) angezeigt [zu sehen], also sechsfach ihren Preis. - Wie ich heute ein Thema sang, frug mich R., von wem es sei, wie ich sage, von Chopin, bedauerte er, daß er selbst so wenig Klavier gespielt hätte, so daß ihm alle diese Sachen eigentlich unbekannt geblieben seien; »und bloß vom Hören«, sagt er, »haben sie sich hier nicht eingeprägt, sie verschwinden mir wie ein schönes Abendrot, geben mir wohl eine Stimmung, aber kein Sinnen, kein Fragen, woher kommt das, wie bei den Sachen der ganz Großen«. - R. freut sich seiner Bücher, namentlich auch der neu angekommenen Mystiker, »der Mystiker ist mein Mann, wenn er auch irrt, derjenige, den es drängt, das innere Licht - gegenüber der Außenhelle, die ihm nichts entdeckt, sich anzuzünden; weshalb auch der Name Illuminaten ein ganz richtig erwählter war. Nur muß man, wie Schopenhauer ganz richtig sagt, von den Schichten zu abstrahieren wissen, die der Katechismus auf ein solches Gemüt lagert«. - Fidi ist etwas wohler, und wir haben einen guten freundlichen Kindertisch. - Abends lesen wir in den »Wahlverwandtschaften« mit immer wachsender Bewunderung dieses unvergleichlichen Meisterwerks, das Gespräch zwischen Eduard und Mittler macht R. viel Freude. Er erzählt mir auch, daß Semper bei der furchtbaren Scene des doch abgebrannten Feuerwerkes**(** Satz unvollständig, sinngemäß: »fand, daß darin der höchste und...«) den höchsten und schönsten Ausdruck der Wahrhaftigkeit der Leidenschaft liege, was R. nun sehr richtig findet. Sehr ergriffen begeben wir uns zur Ruhe. (In Mannheim ist Lohengrin ungekürzt gegeben, was R. zu seinem kleinen Gedicht an Heckel veranlaßt.)
Montag 17ten
Wir besprechen beim Frühstück, ob R. auf die Antwort, auf die Eingabe nun erwidern[11] solle oder nicht, er entschließt sich zu antworten. Schöner Frühlingstag; R. freut sich über den blauen Himmel, erst wenn dieser da wäre, fühle man sich im Zusammenhang mit der Erde, sonst käme man sich vor wie in einem abgesonderten grauen Käfig. R. schreibt seinen Brief und liest mir ihn dann vor. Nach Tisch besuchen wir unser Haus und abends die Probe-Aufführung der 6ten Symphonie des hiesigen Dilettanten-Orchesters unter der Leitung unseres Kopisten Herrn Zumpe, wobei ich wieder R. bewundern mußte, den es nicht [ruhen] ließ und der wirklich den armen Leuten und ihrem befehlshaberischen Leiter Ratschläge gab. Die Tempi!... Zu Hause noch ein wenig in den »Wahlverwandtschaften« gelesen. Bedeutender Brief von Gräfin Luise Oriola über die Sendung von »Staat und Religion«. - Von den »Wahlverwandtschaften« sprechend, sagte R.: »Bei Ottilie ist alles schöpferisch, ursprünglich, es ist wie unmittelbare Produktion, während bei den anderen (Charlotte, Hauptmann) alles wie Umgehen mit vorhandenen Motiven, Arrangieren ist.«
Dienstag 18ten
Ich habe einige Besorgungen zu machen, namentlich in Betreff des armen Buchbindergehilfen mich umzutun. Briefwechsel mit Franziska Ritter. R. mit seinen Büchern viel beschäftigt. Schönes Frühjahrswetter, die Kinder im Gärtchen. Bei Tisch spricht R. von der Besonnenheit und der Geduld, die ein Hauptteil der Eigenschaften der großen Männer ist; Morosini,[12] Schulenburg gegen die Türken, Wilhelm von Oranien, vor allem Friedrich der Große. Es gehört auch dazu, alt zu werden. Bewunderung der Darstellung des Volkes durch Goethe im »Egmont«; so ist es, nicht um ein Haar besser, aber auch nicht schlechter, man muß es verstehen. - R. gibt Herrn Zumpe Anleitungen, wie er als Dirigent mit den Leuten verkehren soll, freundlich präzis, nicht grob und undeutlich, wie es meist geschieht: »Was machen Sie denn da!« »Was war das mit der
Pauke«, u.s.w., sondern: »Dies war der Fehler« R. bespricht mit dem Bürgermeister die Angelegenheit unsrer Gruft im Garten, dieser erschrickt sehr, wird aber von R. bedeutet, mit welcher heiteren Ruhe wir der ewigen Ruhe entgegen sehen. R. sagt, eigentlich sollte man wohl der Gemeinde sich überlassen, denn was von uns bleibt, ist das, was wir mit allen gemein haben - aber es ist ein freundlicher Gedanke, auch hienieden und in der Hülle vereint zu bleiben. - Abends diktiert mir R. fünf Seiten; er sagt, es koste ihn eine große Anstrengung, in diese Zeiten wieder [sich] zu versetzen, die so nichtig waren, in denen er Glauben an nichts hatte, und in welchen die besten Jahre vergeudet wurden in unfruchtbaren Unternehmungen. »O Deutschland!« ruft er aus, und wir kommen darüber ein, daß der Abgang von Zürich eine wahre Katastrophe, insofern sie ihn der Unruhe wiedergegeben und die zwei Frauen in ihrer unbedachten Leidenschaftlichkeit einen großen Frevel ausgeübt.
Mittwoch 19ten
R. hat jetzt Gott sei Dank bessere Nächte! Am Morgen hat er mit dem Hofgärtner zu tun, ich bin mit Geburtstagsvorbereitungen beschäftigt. Das Frühjahr hat sich gewendet, Ostwind und Kälte! - Das Haus besucht. Bei Tisch Besprechung der Schwierigkeiten unserer Unternehmung, die Kopie hat in 6 Monaten die Walküre noch nicht beendet; und wie ist es mit den Maschinen u.s.w. »Ja, der hatte gut reden«, sagt R. lachend, auf Beethoven's Bild deutend, »er schrieb seine Symphonien, hörte sie nicht und lief dann halb nackt in den Wäldern zum Schrecken der Menschen herum, ich muß aber es ausbaden, daß er den Karren in den Schmutz hinein gefahren hat mit seinen Einfällen.« Abends sehen wir alte Radierungen, von dem Juden Seligsberg zugeschickt, an und spielen dann Hagen's von Herrn Zumpe abgeschriebene Partie durch. Großer Schrecken über die Schwierigkeiten! - Am Morgen sang R. ein nettes Motiv von Auber; wie ich bemerkte, wie französisch das sei und daß die Deutschen gerade diese Art nicht nachahmen sollten, denn es wolle ihnen nicht gelingen, sagt R.: »Ja, selbst dem deutschen Juden nicht, Meyerbeer ist dagegen plump.« Daß Auber Musiker wurde, Beweis, daß die Musik unsere jetzige Kunst ist, in einer anderen Zeit würde er vielleicht Schnitzler geworden sein.
Donnerstag 20ten
Wir haben einen armen lebendigen eingesperrten Kapaun, dieser ruft nachts kläglich die Ankunft des Tages; er weckt mich, und der traurige Ton sagt mir von dem Elend des Lebens. O wer in der Jugend auf solche Töne zu lauschen wüßte, müßte der nicht entsagungsvoll von dem Leben sich abwenden und büßen! - »Der alte und der neue Glaube« von Herrn Strauß erlebt die fünfte Auflage, ich glaube in einem Jahre. »Was nennt er denn neuen Glauben«, sagt R., »wie kommt das Wort hierher, denn etwa die Unbegreiflichkeit der großen Männer verehren, das meint er doch nicht.« - Brief des Vaters. - Loldi zu Bett eines kleinen Geschwüres wegen. R. mit der Partie des Hagen beschäftigt. Wir gehen zusammen aus, tragen unsere Sorge für den Gehilfen dem Bürgermeister vor; schreckliches Bild des Zustandes der Gemeinde Nordhalben - üble Zustände des Volkes all über all; Strikes! Ein Mann mir sagt: Ich habe genug für mich, ich gehe in die »Sonne«, für meine Familie sorgt die Gemeinde. Die Gesetze werden von Journalisten und Advokaten gemacht, es sieht alles nach Menschlichkeit aus und ist barbarisch. Das Volk verkommt immer mehr, die Kirchen leeren sich zum Vorteil des Wirtshauses. Das Land, ausgesogen von den früheren Regenten, ist von den nachgekommenen eben da gelassen worden, wo[hin] die früheren es gebracht! - Heute früh war das Motto unseres Frühstückes: »Mein Pathos brächte dich zum Lachen, hättest du dir das Lachen nicht abgewöhnt«, die Behandlung des lieben Gottes findet R. absolut einzig, und er sagt: »Der >Faust< sollte eigentlich die neue Bibel sein, ein jeder sollte jeden Vers daraus auswendig wissen.« - Abends das Kränzchen bei uns; ich bleibe oben und schreibe an Malwide Meysenbug in Bezug auf ihre Übersiedelung hierher; R. ist nicht unzufrieden mit der Unterhaltung mit den Freunden; sie haben das Strauß'sche Buch besprochen. (Beim Antiquar ein altes Glasgemälde gekauft, das ich hübsch finde. An Lenbach die zwei Bilder vom Vater und R. für die Weltausstellung zugeschickt.)
Freitag 21ten
Luzerniana doch nicht zu aufregend. Ich bringe den Morgen unten bei den Kindern zu, da Loldi zu Bett liegen muß. R. richtet den 9ten Band ein. Zu Tisch kommt eine Depesche von Frau Lucca an, daß Lohengrin in Mailand die große Opposition besiegt habe und daß morgen die zweite Aufführung stattfindet. - Mit R. ausgegangen, wir trennen uns, er geht noch zu Herrn Feustel und erfährt dort, daß von Mainz aus viele Patronatsscheine verlangt würden und dort eine große Bewegung im Zuge sei!... - Abends bringt der Zufall einige Aufsätze über Goethe-Schiller von Carlyle in unsre Hände, und wir lesen mit Erbauen das schöne Lob Goethe's, gerade am Abend vor seinem Tode. Bei den Worten Carlyle's, wie wenig man von großen Menschen wirklich wisse, wie sie schattenhaft der Nachwelt erscheinen, ich gedenke dabei dieser Tagebücher, in welchen ich das Wesen R.'s mit möglichster Deutlichkeit den Kindern vermachen möchte, deshalb jedes Wort, das er auch über mich spricht, [ich] der Bescheidenheit zum Trotz niederschreiben möchte, daß das Bild ihnen bliebe - allein ich fühle es, der Versuch mißlingt - Klang der Stimme, Akzent, Bewegung, Blick, wie soll ich diese wiedergeben! Doch ist es vielleicht besser als nichts, und so führe ich das Stümperwerk fort. Große Ergriffenheit in mir über das Lob Goethe's, das auch auf R. so ganz und gar paßt. Die Ächtheit, die Wahrheit, der Mut, die Güte, das Prophetische. R. gefällt Carlyle, er sagt, trotz vieler Banalitäten und der gänzlich unphilosophischen Bildung seines Geistes erkennt man den originellen Menschen - der einen Sinn für das Ächte und Große hat. (Er denkt einen Augenblick daran, Carlyle seinen »Beethoven« zu schicken.) Über Strauß' Kritik der Seele, gänzliche Ignoranz der Erstlings-Begriffe der Philosophie. Strauß wahrscheinlich ein Israelit.
Sonnabend 22ten
Frühlingsbeginn, Goethe's Tod; er kommt zur Welt in der Mittagszeit im heißen August und erlischt beim Gruß des Lenzes; Glut und Milde! Ich denke, wie bei R. sein Wesen wie seine Werke aus größter Stärke und Zartheit bestehen; Mund, Ohr, Haut so fein und zart wie die einer Frau, Knochen-Gerüst stämmig, ja knorrig. - - Wir begrüßen uns sehr heiter zum Frühstück; der Kopist Herr Zumpe hatte mir einen Text mitgeteilt, darin Kardinäle stumm sich die Kerzen anzünden, was noch heute uns erheitert. - »Ach! ich möchte gern dichten, eine Dichtung vornehmen, und nichts von der Welt hören und sehen.« Ich frage ihn, ob er nicht an die Partitur gehen will, er fürchtet die Unterbrechungen. Fidi macht mir Freude; gestern erkannte er den Exerzierplatz und sagte: »Sonst ist Schmutz da, weil die vielen Soldaten trampeln.« Bei Tisch fällt R. das: »Dors mon enfant«[13] ein, er lacht und sagt: »Nicht wahr, damals wußte ich [nicht], was es war, ein Kind zu haben, ungefähr so war es mit Tristan und seiner Isolde; nein, wenn die Sache da ist, fällt das Kunstwerk realistischer aus, wie: Schlafe Kindchen, schlafe im Idyll.« Nachmittag mit R. spazieren, zu Herrn Groß, Talperei von Feustel, der Empfehlungsbriefe vom Herzog von Coburg nach England verlangt hat. Abends Diktate; R. strengt es jetzt leider an. Über Fidi gesprochen, R. sagt: »Ich möchte ihn förmlich absichtlich von meinem Druck entfernen, daß er wie Siegfried dem Wotan gegenüber frei, ja womöglich als mein Gegner sich mir entgegenstellte!« (Kaisers Geburtstag mit Hochs und Heil gefeiert.)
Sonntag 23ten
Heute wird Boni's Geburtstag gefeiert! Hans hat ihr ein Buch geschickt; Fr. Ritter schrieb, daß er in Würzburg sich aufgehalten habe, müde von dem vielen Reisen; er geht nach Karlsruhe, drei Konzerte für Bayreuth unter dem Protektorat des Großherzogs zu geben, dann nach London. Fritzsch kündigt in seiner Zeitung ein Beiblatt für Literatur an, was R. sehr merkwürdig findet, und ein erstes Zeichen für die Realisierung seiner Ideen! — Auch daß unter andrem Herr Tappert die schlechte Behandlung der deutschen Sprache seitens der Journalisten [anprangert], freut R., und erkennt er darin wenigstens einen kleinen Schatten, den er geworfen. - R. blickt in »Macbeth« von Shakespeare und ist von den ersten Zeilen, die er liest, auf das mächtigste erschüttert; es ist das Aparte des Macbeth, als die erste Bestätigung (Than of Cawdor[14]) kommt, welche schließt: Und nur was nicht ist, ist in mir. »Es sind die nackten Worte der Empfindung, die in einer solchen Brust wach werden; der Dichter sieht die Empfindung und findet dann die Worte, die dadurch nahe und natürlich sind, wenn auch der Mensch selbst sie nicht findet.« Schiller's Übersetzung zeigt, daß er die Empfindungen nicht gesehen. - Ich frug R., ob die Nachricht von Goethe's Tod ihn als Jüngling erschüttert habe, er sagt, sein Onkel sei davon sehr erregt gewesen, er selbst habe eigentlich von Goethe nichts mehr gewußt, genauer, er sei unter die Vielschreiber geraten! Schiller habe Goethe bei ihm ungeheuer geschadet, »Die Räuber«, »Fiesco«, »Kabale und Liebe«! - die »Wahlverwandtschaften« seien ihm langweilig vorgekommen, und die Volksscenen im »Egmont« dünkten ihn Nachahmungen von Shakespeare. So sei man in der Jugend. Allerlei Briefe, von London einer, der uns bestimmt, nicht hin zu gehen, trotz der Theaterunternehmung, die alles nach R.'s Ideen einrichten will! - Herrliches Frühjahrswetter, ich gehe mit R. spazieren; zum Theater hinauf, langsame Arbeit, seltsame Gedanken! »Nicht einen Balken«, sagt R., »den der nationale Gedanke mir eingebracht, nur persönliche Teilnahme, und von dieser aus eine Art Erpressung.« - Abends Diktat, zum Glück dieses Mal mit Heiterkeit.
Montag 24ten
Immer schönes Wetter, Evchen aber zu Bett gebracht; halskrank. R. ordnet seinen neunten Band. Im Supplement zum Conversations-Lexikon[15] steht auch unter seinem Namen erzählt, daß, nachdem R.'s Freunde sich vergeblich bemüht hätten, eine Generalmusikdirektorstelle in Berlin für ihn zu erlangen (die Joachim'sche Hochschule sei dem im Weg gewesen!) und sein Aufenthalt in Berlin demnach erfolglos gewesen sei, habe er sich mit doppelter Energie auf Bayreuth geworfen. Soll man nun solche Lügen auf alle Zeiten durchgehen lassen?? - »Stolzes Frauchen freue dich, dein Richard komponiert für dich« - war heute das - nach Marschner's »Stolzes England« - gesungene Motto unseres Frühstück-Stündchens, das immer, jetzt R. gute Nächte hat, heiter freundlich ist. Nach London die Entscheidung getroffen, nicht hin zu gehen. Spaziergang mit den Kindern bei herrlichem Wetter. Abends Diktat. - Ganz spät sang R. das erste Thema eines der letzten Quartette von Beethoven, »was ist dagegen das überschwenglichste Wort«. Wenn die Melodie erklingt, so ist es, wie wenn das Löschpapier endlich abfiele und das wahre Bild vor einem erschiene.
Dienstag 25ten
Evchen immer unwohl, doch zum Glück entsteht keine Gefahr... Richard spricht zu mir von dem Aufsatz über Bayreuth,[16] den er für den 9ten Band aufsetzt und in dem er von Tausig spricht. Gedanken an dessen und Schnorr's Tod, im selben Monat, ich glaube fast an dem selben Tag, und beide im Augenblick, wo sie R.'s Sache am wichtigsten waren, wo man sich eigentlich näher kommen sollte, »da fragt man sich, was das Schicksal einem damit sagen wollte - es ging alles mit natürlichen Dingen zu, und doch war es wie ein dämonischer Wink!« - Immer schöner Tag, wir gehen zum Grundstück. Abends Diktat, immer noch das öde Paris. Merkwürdig sind die Träume R.'s, er, dem nicht nur der Sinn, sondern jedes Verständnis für die Eitelkeit abgeht, hatte nichts als eitle Visionen!
Mittwoch 26ten
R. erzählt, sein Aufsatz werde ein ganz andrer, als er beabsichtigt habe: »Die Schranken (beim Produzieren), die ich mir stelle, verwischen sich mir immer, und ich komme immer in eine Art von Taumel der Begeisterung, daraus alles, was ich leiste, entsteht.« Scherze über meine unverbesserlichen Dative und Akkusative*(* Dazu im Editorischen Nachbericht), »dabei kennst du die Sprache wie der Bettler seine Tasche«. - Er hat gestern eine Erwiderung auf den Artikel im Conversations-Lexikon aufgesetzt; so sehr ich weiß, wie niederträchtig die Gesinnung der hochgelehrten Herrn gegen R. ist, so bin ich doch über diese Tücke und Perfidie dieses Aufsatzes ganz erschrocken. - Wie ich R. frug, bis wohin Baron Erlanger's[17] Teilnahme für ihn gegangen sei, sagt er: »Bis zur Zeit, wo ich gar keine Chancen mehr hatte; es geht einem da wie dem Vogel, der die Gicht bekommen und von seinem früher zärtlichen Weibchen zu Tode gebissen wurde.« - Zu Mittag liest er mir seinen Aufsatz über Bayreuth, der mich zu Tränen rührt. - Feustel meldete, daß die Aufführung in München 550 Gulden, 1 Patronatsschein eingetragen!! - Abends in eine Dilettanten-Vorstellung im schönen Opernhaus mit R. und den zwei älteren Kindern. Die Vorstellung ist gar nicht so übel, das Entsetzlichste ist die Zwischenaktmusik. Auch die Kleidungen und namentlich die Haartracht der Frauen empören R., er sagt: Er könne nicht begreifen, wie ein Mann eine solche Frau umarmen kann, wie ihn dies nicht anwidert. - Der gedruckte Brief ist da, mit einer impertinenten Note von der Redaktion der N.A.Z. begleitet.
Donnerstag 27ten
R. sagt mir, ich sei ihm gestern wie eine Erscheinung, wie aus einem anderen Planeten neben den anderen erschienen, wie das Mädchen aus der Fremde; ich erzähle ihm, wie dieses Gedicht von Schiller mich in der Jugend ergriffen habe, wo ich doch gar keine Deutung dafür hatte, er sagt: »Ja das wirkt wie Musik, ich entsinne mich auch, wie ich es an der Spitze von Schiller's Werken - in der damaligen Ausgabe las, wie es mich rührte; Schiller hat diese Gabe der geheimnisvoll Rührenden; die verschiedensten Wonnen der Vision der Jungfrau, Thekla's Verschwinden, das Verschwinden von dem Mädchen aus der Fremde.« R. arbeitet an seinem »Bayreuth« weiter, froh, daß er Bayern ein gutes Anrecht auf das Land zusprechen kann. Zum Kaffee lese ich im Tagblatt, daß eine Frau - Engländerin - über 20 Personen vergiftet habe, ganz unbehelligt von den Behörden. Das erinnert uns daran, daß wir vor einiger Zeit vermeinten, nur in England dürfe man Exemplare von Produkten der Kultur suchen! Nun werden wir gemahnt, wie entsetzlich herzlos das untere Volk behandelt, vielmehr nicht beachtet wird. Bei uns in Deutschland meint R. - ist alles nicht so akut, es nuschelt sich so hin, unser Nebel, daß nichts drastisch zum Vorschein kommt, ist auch unser Glück. Wir kommen auf die Strikes zu sprechen, und ich kann mich des Gedankens nicht erwehren, daß diese jetzt so häufigen und bedenklichen - eigentlich recht undeutschen - Bewegungen von der ultramontanen Partei organisiert seien, »hoffentlich weiß dies Bismarck auch«, sagt R., »und wie F. W. IV. sagte, gegen Demokraten gibt es Soldaten, so gegen Priester gibt es >schießt er<«. Bekümmernis darüber, daß Bismarck alles der Kammer vortragen müsse: »Ich fürchte«, sagt R., »er steckt noch immer in einer Art Routine und kann sich davon nicht losmachen; die Landtage und alles auflösen, und dann Gesetze oktroyieren und mit der Armee sie aufrechterhalten.« - R. geht aus, ich bleibe zu Haus trotz schönem Wetter, bin nicht wohl, auch die Kinder erkältet. Abends will R. die Korrektur des Rheingoldes vornehmen, aber er ist dazu nicht aufgelegt, auch nicht zum Diktat, der Ärger nagt an ihm, heut früh um 6 Uhr entwarf er einen Brief an Eduard Brockhaus,[18] um die Berichtigung ersuchend, dazu die Note der N.D. Allgemeinen Zeitung, das wühlt ihn förmlich auf. Einzige Freude an der Bibliothek, u. a. an einer ersten Ausgabe von Goethe's Werken in acht Bänden.
Freitag 28ten
R. hatte wiederum eitle Träume! Er war mit einer Prinzessin zum Schein vermählt, und alle Prinzen des preußischen Hofes waren seine Anverwandten!... - Er sagt ein Gedicht von Goethe, und zwar den »Auferstehungshymnus auf dem Sehnsuchts-Walzer«, und sagt, es fehlt der Abschluß, weil alle Strophen gleich sind und nicht die Abwechslung zwischen zwei und drei Füßen stattfindet; das hatten sie verloren, was die Griechen so gut wußten und mir gleich in der Jugend auffiel, von wo ich mir meine ganze Metrik konstruierte. Lope de Vega hat auch diese Abwechslung, weniger Calderon, der mehr räsonnierte und seinen gleichmäßigen Trochäus dazu gebrauchte. Von dem fünffüßigen Jambus hat man sich eingebildet, weil er zwei und drei enthält, er würde die Zäsur geben, aber es ist nicht richtig, er ist auch schwer und verträgt nicht die Verdoppelung. Er arbeitet an seinem Aufsatz, beendigt ihn und liest ihn vor; was zu einem Gespräch über Architektur Veranlassung gab, und R. bemerkte, daß außer der gotischen Kirche alle Gebäude eigentlich für die Fassaden gebaut seien und wir keine eigentlichen freistehenden schönen Monumente haben. Das habe ihn selbst an Venedig verdrossen, daß alles Fassadenbau da sei, mit Ausnahme der Marcuskirche, die eben deshalb einen ungemeinen faszinierenden Eindruck auf ihn gemacht. - Herrliches Wetter, die Kinder aber nicht wohl und Fidi zu Bett - ich laufe des Morgens nach einer Plätterin, da Käthchen wieder leidend ist, und komme in meiner Wanderung bis zum Stadtturm hinauf, wo wirklich - romantisch genug - ein Mädchen arbeitet und plättet!... Herr Feustel besucht mich, redet zu der baldigen Beziehung des Hauses zu. R. erfährt durch den Bürgermeister, daß der Errichtung der Gruft auf unserem Grundstück nichts entgegensteht. Tiefe Freude hierüber. Bei Tisch bekomme ich den letzten Tropfen aus der Flasche, was bedeutet, daß man sich in demselben Jahre verheiratet, »da muß ich sterben«, sagt R., »dann weiß ich, womit ich mich vermähle«, sage ich; des Todes gedenkend will ich mein Glas hinstellen, es berührt leise das andere Glas, und ohne Klang ist es entzwei! — R. ist müde; sein Protest gegen das C.-Lexikon ist erschienen.
Sonnabend 29ten
R. wieder übel geschlafen, immer ist es die Boshaftigkeit der Leute, die ihn angreift. - Mich stimmt das Frühjahr seltsam weich; zum ersten Male seit langen Jahren erlebe ich es in einer Stadt, und dadurch wird die sehnsüchtige Stimmung nur gesteigert. Wir gehen, R. und ich, zum neuen Hause, und R. hat sich darüber zu ärgern, daß es so langsam vorwärts schreitet. Neulich sprachen wir von den vielen Einrichtungen, die R. vorgenommen, den zahllosen Häusern, die er bewohnt, »jetzt erst«, sagt er, »ist der Grund gelegt zu einem vernünftigen Leben, ich hatte auch immer zu wenig Mittel, zu unregelmäßige Einnahmen, ich habe eigentlich immer wie ein Bettler gelebt«. - Wir machen dann einen längeren Spaziergang um die Stadt herum bei herrlichem Wetter, ich weiß nicht, wie wir darauf kommen vor dem Essen, daß sich Ludwig XVI. in der schrecklichen Stunde labte, »das nimmt sich nicht schön aus«, sage ich. »Warum denn?« belehrte mich R., »ich finde es sehr rührend, er war ein Christ, vergab und bestellte sich ein Huhn; die Wertvollen wie Karl der Erste,[19] - Ezzelino, Ludwig der XIV., hungern lieber, wenn sie nicht würgen können. Dieser hatte sich ergeben; und zu was das heroische Schauspiel, er hatte es mit Bestien zu tun, ergab sich und zeigte sich als Mensch mit Naturbedürfnis, im übrigen aber furchtlos vor dem Tode, er steht uns näher als die racenhaften tierischen Wesen, die nur Wut und Haß in solcher Situation gekannt hätten.« Wir kehren heim, und R. muß allerhand Ärgerlichkeiten vorfinden, fürs erste Herrn Batz' vorlaute Einmischung in das Kölner und Londoner Konzert, fürs zweite einen Brief des Herrn Härtel, der meldet, er habe den »Lohengrin« umgedruckt; er hat es also nicht für gut gehalten, diese ihm so viel einbringende Partitur zu stechen; dann aber gute Briefe aus Mailand, welche melden, daß Lohengrin nun zum fünften Male bei stets überfülltem Hause [gegeben], allerdings immer [mit einer] großen pfeifenden Opposition, die jedoch siegreich überwunden wird. Die Philharmonische Gesellschaft in New York hat R. zu ihrem Ehrenmitglied ernannt. Dann schickt New York regelmäßig eine Zeitung, welche nichts als Schmähungen gegen R. enthält. - Abends Diktat, großer Schreck über Niemann's Zynismus, man fragt sich, wie es möglich ward, jemals wieder mit solchem zu verkehren!
Sonntag 30ten
R. hat Gott sei Dank eine gute Nacht, träumt selbst von Bismarck, der sich nach soeben beschlossenem Krieg freundlich mit ihm unterhielt - ich träumte von Kaiser und Kaiserin! — In die Kirche mit den zwei Großen gegangen, das Elend bleibt die Predigt! Kindertisch und großer Spaziergang mit R., über die Wiese zum Theater, das gar langsam vorwärts schreitet. Anhören einer Lerche, die in der Luft schwirrt; heimgekommen erschreckt mich Fidi durch plötzlichen Frost und Zuckungen. Der Doktor hält es für unbedeutend, und es gelingt mir, ihn um die Mitternacht zu beruhigen, durch Halten seiner Hände. Trauriger Abend durch das Unwohlsein des Kindes.
Montag 31ten
Fidi immer unwohl, dabei sehr lieb und freundlich. R. ändert die Lage seiner Bibliothek, was ziemlich viel Unruhe verursacht. Unten bei den Kindern an Frau Lucca geschrieben und an den Vater. Weiter Spaziergang mit R. und den Kindern bei herrlichem Wetter, bei Rollwenzel[20] eingekehrt, R. mußte lachen, mich da zu sehen, und rief immer: »Der verwunschene Prinz, der verwunschene Prinz.« Er entsinnt sich der Landpartien in seiner Jugend, der Gespräche dabei, Streitigkeiten über Friedrich den Großen, Joseph II, Napoleon. Plötzlich, still, die Freischütz-Ouvertüre wird gespielt. Das seien mit die Eindrücke gewesen, die ihn grenzenlos aufgeregt hätten. Ein Hase hüpft über das Feld: »Unbegreiflich«, ruft R. aus, »daß diese Tiere sich noch so in der Nähe der Menschen halten.« - Abends Diktat, große Ergriffenheit beim Gedenken der Anteilnahme Hans' an der wild öden Episode vom Tannhäuser in Paris. R. pflückte mir Veilchen.