April

Dienstag 1ten
Fidi etwas wohler, soll jedoch noch nicht aufstehen. R. macht Korrekturen an dem 8ten Band, der langsam vorwärts kommt, der Strikes der Buchdrucker wegen. Nach Tisch in den Wald mit den vier Mädchen spazierengegangen, viel Freude daran, herrliche Luft, blauer Himmel, und Amsel-Gesang, der dies Herz durchdringt! - Abends »Minen und Gegenminen«[1] mit vielem Vergnügen gelesen, Einmischung Roms sehr merkwürdig. - Neulich erzählte mir R., daß, wie hier der katholische Bürgermeister einer nachbarlichen Gemeinde wegen Meineid angeklagt (und schließlich verurteilt wurde), der katholische Pfarrer Messen dafür gelesen habe, daß er freigesprochen würde!
Mittwoch 2ten
R. ist bedrängt von dem Gedanken, daß er jetzt bald wird anzeigen müssen, daß die Aufführungen verlegt werden. Unglaubliche Löseriaden, und Kafka wünscht durch Vermittlung R.'s ein Schloß des Königs für seine Bankgesellschaft anzukaufen, verspricht dabei 20 000 Gulden Provision!! - Spaziergang mit den Kindern durch den Wald; Fidi nicht mit, doch wohler. R. leidend, erkältet, besucht Herrn Feustel auch, den Buchbinder Senfft, bei welchem nun der arme Gehilfe angekommen ist. Abends keine Beschäftigung. Eine Depesche des Herrn Löser kommt an, ob er mit Sicherheit auf R. rechnen dürfte für Ende April. R. antwortet ablehnend dieser unverschämten Art. (Viel Ärger für R. mit unsrem Hause.)
Donnerstag 3ten
Der gute Dekan besucht uns in der Frühe, R. zum Kränzchen bei sich einladend. Über Kirche und Prediger gesprochen, der Dekan sagt: »Ja, was positiv ist in der protestantischen Kirche, ist römisch, und sonst wissen sie nichts, als auf der Kanzel ihre eigenen Zweifel zu bekämpfen und in Büchern theologische Einzelheiten gelehrt abzuhandeln - ich denke oft an Sie in der Kirche«, sagt er mir, »was Sie dabei empfinden mögen. Ich bin dem Konsistorium lästig, meine Sinnesart gefällt ihnen allen nicht, sie dulden mich nur, weil sie wissen, daß ich die Sache doch verstehe.« R. ist nicht wohl; will zuerst nicht mit uns spazieren gehen, entschließt sich dann doch, es würde ihm zu Haus zu melancholisch. »Wann werde ich an meine Partitur gehen können?« - Abends diktiert.
Freitag 4ten
Umschlag des Wetters, es ist kalt, doch hatte R. eine gute Nacht; morgens spricht er von Schopenhauer, was er ihm verdanke: »Früher«, sagt er, »habe ich diese Gebiete immer mehr oder minder mit einem Gemeinplatz abgemacht, wie könnte ich ihm genug danken.« - Die Kinder bringen mir ihre Noten von der Schule, sie sind nicht gut, und das betrübt mich insofern, als ich sie sehr ermahnt hatte zum Neuen Jahr, mir doch ja zu Ostern gute Zeugnisse zu [bringen]*,(*Für irrtümlich: »schicken«) die ich ihrem Vater schicken könnte! - R. macht seiner Broschüre von Bayreuth einen anderen Schluß, er will diese mit dem Circular an die Patrone absenden, in welchem er ihnen mitteilt, wie die Lage unsrer Sache ist, bevor böswillige Gerüchte in den Zeitungen - die dem Unternehmen so ungemein bei den einfachen Leuten schaden - darüber aufkommen. Mit R. zum Haus gegangen, wo er viel Ärger über manches schlecht Ausgeführte hat; mich erfreuen zwei Amseln und ein Fink, die auf unserem Grundstück hüpfen. Bei der Heimkehr findet R. allerlei ihn Aufregendes an! In den Berliner Zeitungen kündigt Herr Löser das Konzert im Viktoria-Theater an!! Dieser Herr scheint für Herrn Lang nun eingetreten, um uns Ärgernis zu verursachen. Das Konzert in Köln ist wiederum verlegt, und eine Sängerin bietet sich nun an, um hier zu studieren, was nun verfrüht ist und abgelehnt werden muß. - Dagegen schreibt ein Herr Tesarini[2] aus Mailand von der siebenten erfolgreichen Aufführung des Lohengrin in Mailand; die Pfeifenden - ungefähr 50 an der Zahl - seien von Ricordi bezahlt gewesen. Verstimmter Abend, zu vieles geht R. durch den Sinn, er fragt sich wirklich, ob das zu ertragen ist; ja wären es die Mühen des wahren Wirkens oder die Aufregung des Schaffens - allein diese Nöte des materiellen zu Stande Bringens! - - Ich verfiel leider auf den Gedanken, in eine Entgegnung auf Dr. Puschmann's Schrift den Blick zu werfen, und mußte bis in die tiefste Seele erbeben, zarte Verhältnisse hin und her besprochen zu sehen, ich sammle mich dann und nehme es an mit ganzer Seele als Sühne und Buße! - Ab und zu erheiterte sich R.'s Sinn, und so sagte er u. a.: »Es ist zu viel: Hühnerhaus, Circular an die Patrone, Löser, Tesarini, meine wartenden Sänger - es ist wirklich zu viel Durcheinander.« - Ich schreibe für R. nach New York einen Dankbrief, die Philharmonische Gesellschaft hat R. dort zu ihrem Ehrenmitglied ernannt,
Sonnabend 5ten
R. sagt: Ich habe den Tag mit einem Witz begonnen, ich werde morgen die Freunde, die wir erwarten, Nietzsche und Rohde, zu den Quellen des Jamblichus[3] zu führen als Spaziergang vorschlagen. Über die Vernachlässigung der Sprache bei dem Deutschen; wenn er gut schreibt, ist er dann affektiert, weil er im gewöhnlichen Gebrauch sich gehen läßt. Goethe war der erste, der dieses göttliche naive Umgehen mit der Sprache hatte; Lessing verwarf wohl die Affektation, aber zu dieser naiven Wucht gelangte er nicht, weil er immer Kritik übte. - Erinnerungen an Walter Scott; fast alle seine Romane Meisterwerke. Einer Episode im »Hübschen Mädchen von Perth« gedenkt R., wo das Haupt einer verfolgten Race alles für sich und um sich fallen sieht und schließlich die Flucht ergreift! Gedanken an den König; Lohengrin mit Jubel begrüßt, und der sich dann zum Duell sensiert [?]. - In der Zeitung stand neulich wieder, daß der König Aufführungen von Stücken, darin Louis XIV. vorkommt, für sich allein bestellt habe - und ein Schloß läßt er auf eine steile Anhöhe bei Tegernsee bauen, das in fünf Jahren fertig wird und jährlich 1000 000 Gulden kostet! Auch daß er dem Sänger Nachbaur eine Rüstung von massivem Silber geschenkt und dazu die Benutzung des k. Marstalls gewährt! - Nachrichten aus New York, der W.-Verein gibt dort ein Konzert für Bayreuth. - Nach Tisch, wie ich R. lange betrachtete, sagt er: »Du machst wohl Studien nach Puschmann«, ich erwiderte: Das brauchte ich nicht, da ich vollständig überzeugt sei, daß wir beide eigentlich im Wahnsinnigen begriffen seien! »Doch«, sagt er, »denken wir nicht zu gut von der Welt, aber was wohl als Wahnsinn erscheinen mag, ist, daß bei dieser pessimistischen Erkenntnis der Welt man noch das will, was man will.« - Wir lesen das herrliche Gedicht von Schiller, »Die Sehnsucht«. R. besorgt dann manches in Betreff des Hauses. — Gedanken daß... (nach vielen Tagen wieder begonnen, weiß ich nicht mehr, was ich hier sagen wollte). - R. träumte, daß ich nach Pest mit Krockows verreiste, er mir nachlief, erklärend: Er reise auch mit, dabei aufgehalten, seine Sachen nicht findend u.s.w. Wie ich ihm sagte, es sei nicht schön von ihm, so böse von mir zu träumen, antwortet er: Er habe es doch erlebt, daß ich nach Pest gereist sei, und spricht von dem schimpflichen Zustand für den Liebenden, die Geliebte unter eines andren Macht zu wissen, der über sie bestimmt. Im ersten Taumel ertrüge man es, aber mit der Zeit wäre der Zustand ein ganz ehrloser. - Abends Diktat. (Lulu zu Bett).
Sonntag 6ten
In die Kirche, und wiederum eine lange öde Predigt. Kindertisch, und nachher zuerst ganz unerwartet Herr Gedon, Lenbach's Freund, Bildhauer aus München, dem wir die Ausschmückung unseres Hauses anvertrauen wollten, den wir aber nicht so rasch erwarteten. Nach ihm kommen dann Pr. Nietzsche und Rohde, Besuch des Hauses, das Gedon[4] nicht genug rühmen kann. Besprechungen des Theaters abends, R. liest seine neueste Schrift vor.
Montag 7ten
Fußübel; R. geht mit den Freunden zum Theater, das Gedon sehr schön auch findet. Zu Mittag die beiden Professoren, der Bürgermeister und der Dekan, welcher uns eine schöne Anrede an die drei »Zukunftsmänner«, wie er R. und die jungen Freunde nennt, [hält], -was ihnen beschieden ist in Leid und Freud. Sehr ergreifend. Streit zwischen ihm und R. über die Juden; der Dekan meint, gemischte Ehen seien die Lösung des Problems, R. behauptet: Dann würde es keine Deutschen mehr geben, das deutsche blonde Blut sei nicht kräftig genug, um dieser »Lauge« zu widerstehen, wir sehen ja, wie die Normannen und Franken zu Franzosen geworden seien, und das jüdische Blut sei noch viel korrosiver als das romanische. Er, R., habe nur noch eine Hoffnung, daß »die Kerle« so übermütig würden, daß sie keine Mesalliance mehr mit uns eingingen, womöglich auch die deutsche Sprache aufgäben, wir würden dann hebräisch lernen, um gut fortkommen zu können, blieben aber Deutsche. Mit diesem Scherz wird dieses Gespräch geschlossen. - Der Dekan behauptet dann, R. ginge nirgends hin, weil er sich nicht von mir trennen wollte - worauf R. erwidert, er habe mich zu spät bekommen. - Löser fährt fort, das Konzert in Berlin zu annoncieren, und es sieht wirklich aus, als ob Herr Löser durchaus R. in eine unangenehme Sache hineinzwingen wollte, sei es, wenn er kommt, ein durch die lächerlichen Preise leerer Saal, wenn er nicht kommt, durch das unangenehm erregte Aufsehen. Ich [denke] dabei an Dr. J. Lang! - Abends liest Pr. Nietzsche uns eine neue interessante Arbeit[5] über vorplatonische Philosophen vor.
Dienstag 8ten
R. hatte einen schauderhaften Traum: Hans war erschossen worden, wegen einer Mordtat, und ich war empört darüber, daß R. keine Träne des Mitleides dafür hatte!... R. faßt einen Plan, der mir sehr gut dünkt; da von einer Teilnahme der Nation an seinem Unternehmen nicht die Rede sein kann, will er die Unternehmung einem Banquier übergeben, welcher an dem Preis der Plätze seine Zinsen nehmen solle; die künstlerische Idee wäre gewahrt, die nationale - für die könnte R. allein nicht sorgen. Unsere Freunde zu Mittag und Abend; ich muß meines Fußes wegen immer liegen. Abends Fortsetzung der Vorlesung. - Pr. Nietzsche erzählt mir von einem Pr. Paul Lagarde,[6] welcher durch eine Schrift: »Kirche und Staat«, völlig verfemt worden ist. Eine Schrift von Karl Hillebrand über Frankreich und Franzosen, Hans von Bülow gewidmet, scheint mir das Beste, was über diesen Gegenstand geschrieben worden ist.
Mittwoch 9ten
R. nicht wohl, er verträgt anhaltenden Verkehr eigentlich schlecht. Auch hat er viele Quälereien, Herr Batz mischt sich in allerlei, das Datum des Kölner Konzerts ist noch unbestimmt. Abends [hatten wir], wie R. scherzt: »die Söhne des Thaies«, d. h. Anaximander Heraklit Parmenides in der Arbeit des Pr. N. vornehmen wollen, allein das Gespräch hatte uns so tief in die Erfahrungen geführt, welche wir bei Gelegenheit unseres Bayreuther Unternehmens gemacht, daß die trübe Stimmung nicht zu überwältigen ist. - R. spielt den Schluß der Götterdämmerung - was allerdings alles Schlimme in die Wolken treibt.
Donnerstag 10ten
Loldi's Geburtstag, und dieses Jahr Grün-Donnerstag, ich wollte gern zum Abendmahl gehen, allein mein Fuß verhindert mich daran. Allein vorgenommen; ein Satz von Luther's Bibel, darin das griechische barbaros mit undeutsch übersetzt ist,[7] macht uns große Freude. - Ein Buch - Megalissus »Der undeutsche Katholik« - erbaut uns förmlich durch Ernst und Naivität. - Daß Menschen 1 000 000 Jahre auf der Erde seien, wird auch mitgeteilt; die letzte Scene aus Calderon's »Arzt seiner Ehre« wird gelesen, die »Wahlverwandtschaften« besprochen, »Was ist deutsch« - kurz, viele Gebiete berührt. Abends kommt Feustel, das Gespräch nimmt eine andere Wendung; er berichtet von den massenhaften Auswanderungen in Deutschland, nach Amerika, von der rohen Behandlung der Soldaten durch die Unteroffiziere, viel Betrübendes kommt da zum Vorschein. R. meint, daß, bis Frankreich unter europäische Kuratel gestellt würde, wir keine vernünftige Organisation bekommen könnten, denn immer müßte diese Heeres-Last so bleiben wie es ist, während [man] sonst das vernünftige Milizsystem der Schweiz einführen könnte. - Vorbereitungen wegen Geburtstag nehmen mich sehr ein; große Schwierigkeiten aber und Furcht, [es] nicht durchführen zu können!
Freitag 11ten
R. sehr matt. Wir machen aber trotzdem und unsicheren Wetters eine Fahrt nach Eremitage. Donner und Blitze, das Schloß angesehen. Abends liest Pr. N. den Schluß einer Abhandlung vor.[8] Wenig Gespräche. Loewe'sche Balladen vorgenommen. Uns verdrießt ein wenig die musizierende Spielerei unseres Freundes, und R. ergeht sich über die Wendung, welche die Musik genommen.
Sonnabend 12ten
Letzter Tag mit den Freunden; abends Pr. Nägelsbach dazu. - Nachmittags spielt R. aus der Götterdämmerung, ich verkehre mit Theaterdirektor u.s.w., um etwas zum 22ten zu verwirklichen. - Brief von der guten Lucca aus Mailand, sie haben wirklich den Vorhang zum Fallen gebracht und die letzte Aufführung unterbrochen.
Sonntag 13ten
Ich benutze den freien Tag, nachdem ich die Eier für die Kinder versteckt habe, zu einem Erledigen der Korrespondenz und schreibe sieben Briefe. Abends genießen wir, R. und ich, die Freude des Zusammenseins - »seitdem ich dich habe, hasse ich alle andren«, - sagt er! Zum Schluß nehmen wir auch die Vorrede von Tieck zu der Vorschule Shakespeare's noch vor.
Montag 14ten
Herrlicher Tag! R. schlief gut und lang - das Gespräch des Frühstücks bringt ihn auf die jetzige Musik: »Ich habe es deutlich empfunden«, sagt er, »wie ich es aussprach im >Kunstwerk der Zukunft<, daß die 9te Symphonie auch die letzte sei. Nun knüpfen alle die jungen Leute an exzessive Akzente, die nur durch die Aktion zu verstehen sind, an und machen daraus einen Alltagsbrei. Es ist heillos.« - Wie wir neulich von Geistern und Gespenstern sprachen, sagte er: »Das ist das Erscheinen des Unhörbaren, das uns dabei so erschreckt.« - Hübsche Fahrt mit den Kindern nach Drossenfeld am Main. Fidi wünscht sich auf der Wiese einen Salon und eine Schlafstube. Tal entlang. Am Morgen meldet uns Eva, daß ein Vogel sein Nest an der Balkonsäule von der Kinderstube gemacht; wir sehen nach und beobachten eine gute Grasmücke, ihre Kleinen fütternd. Abends in das Theater, ich berede R. dazu, weil ich die Truppe gern zu seinem Geburtstag gebrauchen möchte. Alles gräßlich, Stücke wie Darsteller; »Hain«, ruft R. plötzlich aus und erzählt mir (nach Berlioz' Soirees d'orchestre), das sei der Ruf des Sultans, wenn er befehlen wollte, daß eine zum Bosporus gebracht würde. Wir müssen viel darüber lachen.
Dienstag 15ten
Beständig herrliches Wetter; ich schreibe wiederum einige Briefe, und wir machen wiederum (die ganze Familie) eine Ausfahrt. Heute nach Berneck; viel Freude an Sonne, Wald, Vögel, Burgen, und auch an den Leuten dort. Vor allem an Fidi, der schön läuft und lieblich zu uns spricht. R. entsinnt sich, wie er mit 23 Jahren von Berneck kommend Bayreuth zum ersten Male in der Abendsonne habe liegen sehen; er freut sich, nun es so wieder zu erblicken; doch versteckt die Sonne sich tückisch; aber für die Strahlen treten die Strahlen des Herzens ein, »Gott, daß ich diesen Weg nun wieder komme, und mit dir und Fidi!« - Wir sind etwas müde abends und können nichts mehr tun.
Mittwoch 16ten
Schott fragt nach der Partitur der Götterdämmerung, R. erwidert, warum er sie nicht schicken könne. Konzert-Hinundher für Mainz!! - Nachmittags auf den Riedelsberg mit den Kindern gefahren. Vorher Anzeige aus Berlin (die Tantiemen), es stellt sich heraus, daß H. v. Hülsen die Werke R.'s in der ergiebigsten Saison, wo er sein Personal auch dafür da hat, kaum gegeben hat, um uns für das Lohengrin-Projekt nun büßen zu machen! - Große Müdigkeit abends. - Die beste Freude ist uns jetzt die Bibliothek; R. las heute die Geschichte Hamlet's im Saxo Grammaticus;[9] wir mußten recht lachen über die lateinische Rhetorik, die Hamlet in seiner Rede entwickelt. Merkwürdige Züge; noch merkwürdiger, was Shakespeare beibehielt und verwarf.
Donnerstag 17ten
Schwüle Hitze; allerlei Vorkehrungen vor der Abreise, namentlich meine Geburtstags-Unternehmung gibt mir viel zu schaffen, ich fürchte, es gelingt mir nichts. R. besucht das Haus und trifft dort seine Anordnungen. Abends Biographie wiederum zu meiner Freude vorgenommen. - Beim Kaffee fiel das Gespräch auf Cromwell, und ich sagte R., wie töricht und unverständig man in der Jugend angeleitet werde, z. B. zum Haß dieses großen Mannes. R. bezeichnet als merkwürdigsten Zug an ihm, daß er den Vorteil der Geburt so hoch schätze, daß er wieder nichts anderes dagegen aufkommen sah als religiösen Fanatismus. - Wie R. sich zur Nachmittags-Ruhe begibt, muß er sehr darüber lachen, daß wir wiederum einmal in lebhaftestes Reden uns verloren hatten: »Ja wir sind ein paar Begeisterte«, scherzt er.
Freitag 18ten*
(*Am Rande hinzugefügt: »Fidi hilft dem Papa Bücher stellen, reicht ihm Creuzer's Symbolik.!«[10]) Der Musikertag in Leipzig hat die Betreibung der neuen Schrift verhindert, R. empfindet großen Ärger hierüber. Schwüle und endlich großes Gewitter, unerhört um diese Zeit in Bayreuth; alles grünt, und wären nicht die Vorbereitungen zur Abreise, man könnte fröhlich sein! Abends Biographie — »nutzloses Vergeuden der Kräfte«, ruft R. aus, die Periode in Paris abschließend.
Sonnabend 19ten
Vorkehrungen zur Reise! Sorge um die Kinder, die R. teilt und versteht, tiefe unabänderliche Sorge!... Am Morgen Gespräch über Deutsche und Franzosen, man erwartet bei den Nachbarn Bürgerkrieg: »Wenn es nur so weit käme«, sagt R., »daß wir nichts mehr von dort bezögen. Wie herabgekommen sie sind, das sieht man daran, daß sie vermeinen, durch Vernunftmaximen die Dinge zu Stande zu bringen. Als ob irgend etwas durch Vernunft bestünde; wären die Menschen vernünftig, so wären sie gar nicht oder häuften sich nicht in schlechten Regionen an, während die schönsten Länder unbewohnt sind. Die Auswanderungen, die üble Gesittung, die sicher bei den Leuten dadurch entsteht, zeigt, wie an Bedingungen des Herkömmlichen der Wiege und des Grabes auch die Moral geknüpft ist. Der große Staatsmann ist der, der das Walten und Schalten des Unvernünftigen erkennt und ohne Maximen es zum möglichst Besten lenkt. Nur Religion und Kunst aber können ein Volk erziehen, was soll die Wissenschaft, die alles auseinandersetzt und nichts erklärt?« — Er zitiert mir einige Jean Paul'sche[11] Titel, wie ich dieselben sehr maniriert, affektiert finde, sagt er: »Ja, und doch, er hat originelle Gedanken gehabt wie der Tod nach dem Tode, wußte sie nicht anders auszudrücken als in der Form, die uns affektiert erscheint.« - Der Papst gefährlich krank. - Briefe aus Köln, nicht sehr gute Nachrichten von Köln, wir überlegen, ob wir unter solchen Umständen die Reise aufgeben. Wir bestellen einen telegraphischen Bericht nach Würzburg. Abends trotz der ärgerlichen Stimmung Diktat (Schluß des 3ten Bandes).
Sonntag 20ten
Abschied von den Kindern, sie sind Gott sei Dank wohl! Abschied vom Bürgermeister, dem R. sagt, nicht zu viel zu erwarten. R. sagt mir, wie peinlich es ihm sei, Komödie gleichsam zu spielen, den Leuten Mut [zu] machen u.s.w. Ihm ist nur wohl in absoluter Wahrheit. Freude an der Gegend, an der Erweiterung des Main. Um fünf Uhr in Würzburg, wiederum »Kronprinzen«; ich habe einige Mühe, mit Ritters für den Geburtstag zu verkehren, weil R. mich nicht entläßt. Freundlichste Mühe!... Schöner Spaziergang im herrlichen Schloßgarten, abends bei Ritters; er erzählt von einem merkwürdigen Falle, er hatte eine Eingabe wegen Reform der Musikschule in Würzburg an den König gemacht, der Plan wird adoptiert, die Stelle aber durch Lachner's Vermittelung einem Hauptmucker der Musik gegeben, Herrn Kirchner![12] So geschieht es überall. Depesche aus Köln, die nichts sagt.
Montag 21ten
Vogelzwitschern in der Frühe, dann Militär-Musik und Artillerie, weniger erfreulich. Abschied von Ritters sehr herzlich; ich hoffe, sie kommen nach Bayreuth; mir ist es ein Bedürfnis, alle diejenigen, mit denen R. einst in näherem Verkehr gestanden, mit ihm in Beziehungen zu erhalten und so die traurige bisherige Unstetheit seines äußeren Lebens durch einen Zusammenhang der inneren Beziehungen auszugleichen. Schöne Fahrt »von dem Lande des deutschen Kultur-Gedankens, dem Main-Tale, in den fanatischen Natur-Ausdruck des Rhein-Tales«, »das Schönste aber«, sagt R., »ist, daß wir es zusammen durchreisen, es sind kleinliche Wanderungen, aber was helfe uns, Berlin z. B. durchzureisen?« Ich sage ihm, daß ich wünsche, unser Franken bis in die kleinste Ecke kennen zu lernen und den Kindern die Liebe und das Interesse für das Nahe, ihnen Angehörige [zu] erwecken, anstatt ihre Blicke nach der Ferne schweifen zu lassen; R. gibt mir recht: »Das sind die Wurzeln, schneidet man die, verliert sich der Saft, ob die Krone noch so weit hinausragte, der Baum vertrocknet. - Es macht auch die Menschen oberflächlich, nach der Ferne zu schweifen.« - In Darmstadt Enttäuschung, Brandt nicht anzutreffen, mit dem vortrefflichen Gesichtsausdruck »gehemmtes und doch durchdringendes Etwas«, statt seiner der Sohn, dessen Seichtigkeit R. zu heftigen Auslassungen über den nachlässigen Brückwald veranlaßt. In Mainz M. Maier. Abends 7 Uhr in Köln; mit seltsamen Empfindungen. Die deutsche Fahne auf einem Floß, die Reichsmünze lassen R. sich freuen, daß die uralte Anlage des Deutschen Reiches nicht zu zerstören gewesen und in wie noch so veränderter Gestalt noch durchbricht und die deutsche Organisation gänzlich verschieden von jeder andren macht. Wehmut über die geistige Unproduktivität dieser herrlichen Länder. - Empfang durch unsere Freunde; auf R.'s Fragen über den Stand der Dinge erwidern sie mit enthusiastischen Phrasen, R. sagt mir, er würde mit ihnen künftig verkehren wie Alexis Commenus im W. Scott'schen Roman[13] mit seinen Generälen, die, wenn er fragt, wie viel Soldaten er habe, erwidern: »Wie Sand am Meere, Sterne am Himmel«, worauf der König ungeduldig Ziffern fordert!
Dienstag 22ten
Gute Nacht im Hotel Disch; am frühen Morgen großer Ärger R.'s, als er Militär-Musik vernimmt, zum Glück erfährt er dann, es sei nicht für ihn, sondern für einen Obersten. Ein Stück, das gespielt wird, wundert uns durch ungemeine Seichtigkeit der Melodik bei fesselnder Harmonie - wir erkennen schließlich die Meditation von Gounod auf das Präludium von Bach und müssen sehr lachen, daß der alte Meister noch dieser trivialsten Erfindung aufhilft. Table d'höte; Herr Lesimple setzt sich zu uns, erzählt allerlei, u. a. daß Herr Hiller in das Geschäft gekommen sei, sich zu erkundigen, ob das Konzert voll würde, »diese lächerliche Gemeinheit«, sagt R. Dann auf Lesimple's scherzhafte Bemerkung: »Wer weiß, Sie versöhnen sich vielleicht noch mit Wagner«, antwortet er: »Mit allem, nur nicht mit dem Verfasser des Judentums in der Musik«, und fügt die Geschichte hinzu: Wagner hasse die Juden so, weil er auf der Schule von einem jüdischen Knaben sei geohrfeigt worden!!! - Gegen 6 Uhr Probe; viel Ärger, Stimmen zu Lohengrin fehlen, lange Unterbrechung. Das Orchester erträglich, jedoch an Vortrag nicht gewöhnt. Sie begrüßen zuerst R. nicht, doch wie er den Stab nimmt, um den Kaisermarsch zu dirigieren, bringen sie einen anhaltenden Tusch, R. meinte zuerst, sie spielten so schlecht, und es mußte alles sehr über das Mißverständnis lachen. Nur dem einen Teil der Probe wohne ich bei, da ich Marie Schleinitz abhole, welche gut und freundlich wie immer von Berlin heute ankam.
Mittwoch 23
Seltsamste Nacht. R. schickte gestern zu Frau v. Schl und mir hinauf, sagen lassen, daß wir ihn nicht genieren würden, wenn wir hinunter kämen. Da der Diener diesen Auftrag ungeschickt ausführte, sagte ich R., als ich hinunterkam, er möchte künftig keine ähnlichen Aufträge ihm geben; R. brachte dies, daß ich ihm nach einer Trennung nichts anderes zu sagen wüßte, außer sich; nun war es spät in der Nacht, heute früh stand Probe bevor, still und bekümmert schlich ich mich davon; in kaum je gekannter Reue bat ich zu Gott, ihm eine gute Nacht, trotz meiner Unbesonnenheit, dennoch zu gewähren; in bitteren Tränen der Sorge um seine Gesundheit fühlte ich mich der Gottheit nahe, sie ist die Liebe, sie wird mir helfen, sie erkennt meine Not. Als ich vernahm, daß R. schlief, löste sich mein Schmerz, und dankend und betend verbrachte ich den übrigen Teil der Nacht. Seit ein Uhr zu Mittag hatte ich nichts zu mir genommen, worunter etwas leidend ich das Gelübde tat, nicht zu frühstücken und nur nach der Probe, wenn R. sich nicht so elend fühlte, mich zu stärken. Welches Bedürfnis ist doch die Buße dem reuigen Herzen!... Um 10 Uhr Probe, Eroica, viel Arbeit. Diner mit Marie Schi. Sehr angenehm und freundlich. - Ankunft von Frau Schott mit Mathilde Maier. Viele Fremde aus allen Städten der Nachbarschaft.
Donnerstag 24ten
Probe und Konzert*(* Beigelegt der Programm-Zettel des Konzerts, siehe Anm.[14]); letzteres, schön gefüllt, bringt 3400 Thaler ein, und der Wagner-Verein ist glücklich über »das Loch, das gebohrt« sei. Diener singt das Preislied schön; R. hat es ihm einstudiert. - Nach dem Konzert sagt mir R., er wolle die Stimmen verbrennen, um nie wieder in den Fall zu kommen, wiederum ein Konzert zu dirigieren! — Herrn Hiller gaben heute seine Freunde ein Tröstungsfest mit Geschenken! (Gute Nachricht von den Kindern.)
Freitag 25ten
R. lachte neulich und sagte, wenn man jetzt eine Karikatur von ihm machen wollte, müßte man ihn darstellen, wie ich ihn bei den Rockschößen hielt, damit er nicht fiele und verschwinde. - Er ist müde, doch Gott sei Dank, da er Bankett und derlei mehr refüsiert hat, nicht übermäßig. Ich gehe mit Marie Schi, in das Museum und erhalte besonders von Johannes und Maria am Kreuz, von dem Meister der Lipporger Passion,[15] einen tiefen Eindruck. Abends Plauderei mit unserer Freundin, ein unvergleichliches Geschöpf. (Wir hören, daß das Orchester ganz verwundert und entzückt über den Umgang mit R., den man ihm hier wie anderswo als unerträglichen Charakter geschildert).
Sonnabend 26ten
Abschied von Marie Schl, sie geht um 10 Uhr, wir fahren um zwei Uhr nach Kassel, durch schöne deutsche Stätten, Ankunft im »Kronprinzen« um zehn Uhr.
Sonntag 27ten
Gute Nacht trotz wildem Wetter (Schneegestöber und große Kälte). Wir besuchen die herrliche Galerie und machen uns um 12 Uhr mittags nach Leipzig auf. In Eisleben halten wir auf meinen Wunsch an und besuchen den Ort, wo R.'s achtes Jahr zugebracht wurde; er zeigt mir das Haus, wo er wohnte, die Frau, die er nach dem früheren Besitzer, dem Seifensieder, fragt, sagt: »Ach, das ist lange her«; ich sehe auch die Stelle, wo ein Pferd, das er reizte, ihm einen Schlag gab und er in Ohnmacht fiel. Besuch des Luther'schen Hauses - Traurigkeit über Verkümmerung des Ortes; R. sagt: »Die Preußen halten ihre Städte schlecht.« Im »Goldenen Schiff« gespeist, um 9 Uhr fort. - Als wir Kassel verließen, kam in unser Coupe sehr erregt ein Hauptmann von Schöning, der nur R. sehen und begrüßen wollte - treuherziger enthusiastischer Gesichtsausdruck. - Seltsamer Eindruck des Portraits des Malers Rigault[16] in Kassel, vortrefflich gemacht, aber der gamin und cretin, die theatralische Meisterschaft, wie wir sie an dem heutigen Franzosen kennen. Die effektvollsten und auf den Effekt ersichtlich gemachten einzelnen Bilder der Italiener, Spanier und Niederländer sind ganz verschieden von dieser theatralischen Art. - Abends 10 Uhr im Hotel de Prusse zum Rendezvous mit dem Vater ausgesucht. Messe!
Montag 28ten
Der Vater kommt mit dem Frühzug um 5 Uhr hier an, er sieht wohl aus, und es vergehen die ersten kurzen Augenblicke in heiter wehmütiger Art. Nachmittags berührt er Punkte, die mich schmerzen müssen; ob ich die Erziehung der Kinder weiterführen will, Hans habe bitter über sie gesprochen u.s.w. Dann von Fürstin Wittgenstein, dieselbe habe behauptet, wir seien zum zweiten Male in Bayreuth getraut worden, die erste Trauung (in einer Kapelle in Tribschen!) habe keine Validität gehabt, deshalb hätten wir die Konversion vorgenommen, und welche Absurditäten mehr!... Abends bei Brockhausens mit dem Vater, ganz gemütlicher Abend; der Vater anders als alle, sieht wundervoll aus, spricht aber kaum; sein Anblick erfüllt mich mit Melancholie; so fern die Wege, so verwandt die Herzen!... Spät abends gepackt. R. sprach heute viel mit Fritzsch über das neue Literatur-Blatt; Pr. Nietzsche bereitet einen Aufsatz gegen D. Strauß vor und schlägt Fritzsch vor ein theologisches Werk von Pr. Overbeck,[17] das kein Verleger seiner Offenherzigkeit wegen herausgeben will. Seltsame Lage des trefflichen Musikhändlers. R. sagt, wenn die Sache mit Konsequenz betrieben wird, kann sie sehr bedeutend werden. -
Dienstag 29ten
Bei großer Kälte früh um 6 Uhr in wehmütiger Stimmung abgereist. Die Bosheit der Menschen, die sich in den Gerüchten widerspiegelt, die wir vom Vater vernahmen, entsetzt uns immer wieder von neuem. Wir verscheuchen die üblen Gedanken und sprechen von den Freunden aus der Kasseler Galerie; »seltsam«, sagt R., »trotz Entfernung der Zeit, Verschiedenheit der Tracht, alle diese Wesen blicken mich so befreundet an, als ob ich sie ganz genau kennte, der direkte Reflex des Ding an sich, durch die Erscheinung, bewirkt diesen Eindruck«. Wir gedenken der herrlichen Frauen von Rembrandt, der Dürer'schen Köpfe, des Ehepaars von van Dyck - für Rubens hegt R. keine Sympathie, wenn uns »Der Grieche« auch in der Erinnerung viel Vergnügen macht. Um 1 Uhr Ankunft in der Dammallee, die Kinder wohl und gut*(* Dieser Seite liegt ein Zettel bei mit kindlichen Spottversen auf Hermann Zumpes Bierliebe). Ich treffe einen Brief von Hans an Daniella an, der vollständig alle törichten Gerüchte Lügen straft; er ist jetzt in London und war zufrieden mit dem Ertrag seiner Konzert-Tournee. Abends in dem Roman »Minen, Gegenminen« gelesen.
Mittwoch 30ten
R. hatte keine gute Nacht, er meint, das üppige Souper bei Brockhausens habe ihm geschadet, er müsse vor allem allen derartigen Vergnügungen aus dem Wege gehen. - Wir sprechen von der zu erscheinenden Broschüre,[18] und ich bitte R., sie Frau v. Schleinitz zu widmen; da die einfache Widmung manche Veränderung in der Broschüre notwendig machen würde, entwirft R. einen schönen Brief, welchen er der Broschüre vorangehen lassen wird. - Die fünf Hamburger danken sehr hübsch für die ihnen zugeteilten Patronatsscheine. Ich schreibe an den Vater, ihm mein vorsätzliches Schweigen allen Bosheiten gegenüber auseinandersetzend. - Sehr schlechtes Wetter, doch singen die Vögelchen; die Bäume aber haben es noch nicht über »den ersten Bart-Flaum« hinausgebracht, wie R. sagt. Wir beendigen abends den zweiten Teil von »Minen und Gegenminen«, mit vielem Vergnügen. - R. meldet sich beim König von Bayern an.