HIER BEGINNT DER ZWEITE TEIL DES BUCHES VON DER STADT DER FRAUEN, DER DAVON HANDELT, AUF WELCHE WEISE UND MIT WESSEN HILFE DAS INNERE DER STADT KONSTRUIERT, ERRICHTET UND BEVÖLKERT WIRD.
DAS ERSTE KAPITEL SPRICHT VON DEN ZEHN SIBYLLEN[1]
I.
Nach dieser Ansprache der ersten vornehmen Frau, deren Name »Vernunft« war, ging die zweite, die »Rechtschaffenheit« hieß, auf mich zu, um die folgenden Worte an mich zu richten: »Teure Freundin, wenn es gilt, gemeinsam mit dir am Befestigungsring und am Mauerwerk der Frauenstadt zu arbeiten, die von meiner Schwester Vernunft bereits hochgezogen wurden, dann darf auch ich nicht zurückstehen. Nimm also dein Werkzeug und folge mir! Komm her, rühr den Mörtel hier in der Ecke an und mauere tüchtig, im Rhythmus des Eintauchens deiner Feder; genügend Material will ich dir schon beschaffen. Mit der Hilfe Gottes werden wir binnen kurzem die stattlichen Königspaläste und die vornehmen Wohnstätten für die vortrefflichen und hochberühmten Damen errichten, die bis ans Ende aller Zeiten in dieser Stadt einen Zufluchtsort und eine Bleibe finden sollen.«
Nachdem ich, Christine, aus dem Munde der ehrwürdigen Frau diese Worte vernommen hatte, antwortete ich folgendermaßen: »Edle Frau, Ihr seht mich bereit: befehlt nur — ich brenne darauf zu gehorchen.« Daraufhin sprach jene zu mir: »Schau her, liebe Freundin, sieh dir die wunderschönen, funkelnden, überaus kostbaren Steine an, die ich für dich beschafft und präpariert habe, um das Mauerwerk mit ihnen zu verzieren; während du unter Anleitung von Frau Vernunft unermüdlich mauertest, war ich nämlich nicht untätig. Nun füge sie mit Hilfe dieses Lotes hier und nach meinen Weisungen zusammen!
Unter den altehrwürdigsten Frauen nehmen die unendlich klugen und weisen Sibyllen eine Sonderstellung ein; folgt man den Aussagen der zuverlässigsten Autoren in ihren Standardwerken, so gab es zehn Sibyllen (manche Autoren gehen allerdings von nur neun aus). Und jetzt, teure Freundin, paß gut auf! Erwies jemals ein Gott hinsichtlich einer Weissagung irgendeinem Propheten (wer immer er gewesen sein und wie sehr er ihn geliebt haben mochte) eine größere Ehre als jene, die Er den herausragenden Frauen, von denen ich dir erzähle, zuteil werden ließ? Versah er sie nicht mit solch einem prophetischen Geist, daß ihre Aussagen nicht wie Prophezeiungen der Zukunft, sondern wie Chroniken vergangener, bereits eingetroffener Ereignisse wirkten? Das, was sie sagten und aufzeichneten, war jedenfalls ebenso verständlich und gehaltvoll. Sogar von der Menschwerdung Christi, die lange Zeit später eintraf, sprachen sie bedeutend klarer und detaillierter als alle späteren Propheten. Jene Frauen verharrten zeit ihres Lebens im Stande der Jungfräulichkeit und verachteten die Beschmutzung. Allesamt hießen sie Sibyllen, aber das bedeutet nicht, daß dies ihr Eigenname war; vielmehr bedeutete Sibylle >kundig in der Ergründung der göttlichen Absichten<. Außerdem nannte man sie deshalb so, weil sie so erstaunliche Dinge prophezeiten, daß man vermuten mußte, der Ursprung ihrer Weissagungen läge in der Reinheit des göttlichen Gedankens. Es handelt sich bei diesen Namen also um eine Berufsbezeichnung und um keinen Eigennamen. Jene Frauen erblickten in unterschiedlichen Gegenden der Erde und keineswegs zur gleichen Zeit das Licht der Welt. Alle kündigten sie große Ereignisse, vor allem aber Jesus Christus und dessen Menschwerdung in aller Deutlichkeit an, so wie es überliefert ist — und dies, obwohl sie heidnischen und nicht etwa jüdischen Glaubens waren. Die erste stammte aus Persien und hieß deshalb Persia. Die zweite kam aus Libyen, weshalb sie Libya hieß. Die dritte aus Delphi, und da sie im Tempel des Apollo gezeugt worden war, trug sie den Namen Delphic; sie war es, die lange zuvor bereits die Zerstörung Trojas voraussagte; Ovid widmete ihr in seinem Buch mehrere Verse. Die vierte stammte aus Italien und wurde Cimbria genannt. Die fünfte erblickte in Babylonien das Licht der Welt, weshalb sie Erifila hieß; jene antwortete den Griechen, die sie befragten, Troja wie auch die Festung Ölion werde von ihnen zerstört werden und Homer werde Lügen über diese Ereignisse verbreiten. Jene wurde auch Eritrea genannt, weil sie auf der gleichnamigen Insel lebte, auf der man ihre Aufzeichnungen fand. Die sechste stammte von der Insel Samos und hieß Samia. Die siebte hieß Humana und war aus Italien gebürtig, aus der Stadt Cumae in Kampanien. Die achte nannte man Hellespontina; sie wurde am Hellespont auf dem Gebiet von Troja geboren und hatte ihre große Zeit zu Lebzeiten des edlen Schriftstellers Solon und des Cyrus. Die neunte stammte aus Phrygien, weshalb sie Phrygia genannt wurde; sie sprach oft vom Zerfall mehrerer Reiche und beschrieb ebenfalls mit großer Anschaulichkeit die Ankunft des falschen Propheten, des Antichristen. Die zehnte hieß Tiburtina und mit einem anderen Namen auch Albunia; ihre Schriften stehen in großen Ehren, weil sie in aller Deutlichkeit über Jesus Christus schreibt. Und ungeachtet der Tatsache, daß alle Sibyllen von Heiden abstammten und geboren worden waren, mißbilligten sie allesamt deren Glauben und tadelten die Sitte, mehrere Götter anzubeten; sie sagten, es gäbe nur einen einzigen und die Götzenbilder seien eitler Tand.
HIER IST VON EINER SIBYLLE NAMENS ERYTHREA DIE REDE.
II.
Unter den Sibyllen besaß, das muß man wissen, Erythrea wegen ihrer Weisheit eine Sonderstellung: denn so groß war dank einer besonderen, ihr von Gott verliehenen Fähigkeit ihre Begabung, daß sie zukünftige Ereignisse so präzise beschrieb und voraussagte, als handele es sich eher um das Evangelium als um eine Weissagung. Auf Bitte der Griechen beschrieb sie in ihren werken deren mühselige Unternehmungen, die Schlachten und die Zerstörung Trojas, mit solcher Klarheit, daß die Ereignisse nach ihrem Eintreffen nicht klarer wurden als zuvor. In ähnlicher Weise beschrieb und schilderte sie in "wenigen wahren Worten das römische Reich, die Herrschaft der Römer und ihre verschiedenen Taten, lange bevor dies alles Wirklichkeit wurde, und zwar so, daß es eher einer kurzen Chronik vergangener Ereignisse als der Schilderung zukünftiger Dinge gleicht.
Aber sie vollbrachte noch Erstaunlicheres, denn sie sagte in aller Deutlichkeit das Geheimnis der göttlichen Macht voraus und legte Zeugnis davon ab; von den Propheten war dies lediglich durch gewisse Zeichen und dunkle, geheimnisvolle Worte offenbart worden — ich meine das große Geheimnis des Heiligen Geistes, das in der Menschwerdung des Gottessohnes durch die Jungfrau liegt. In ihrem Buch, dessen Titel auf Latein bedeutet: Jesus Christus, Gottessohn und Erretter, beschrieb sie sein Leben und seine Werke, den Verrat, die Gefangennahme, die Verspottung und den Tod, die Auferstehung, den Sieg und die Himmelfahrt, die Ausgießung des Heiligen Geistes über die Apostel, seine Wiederkehr am Tage des Jüngsten Gerichts. Dies alles geschah auf eine Weise, daß es den Anschein hatte, sie habe die Mysterien des christlichen Glaubens beschrieben und zusammengefaßt — und nicht etwas Zukünftiges vorhergesagt.
Über den Tag des Jüngsten Gerichts sprach jene mit folgenden Worten: >An jenem Tag des Schreckens wird die Erde, als Zeichen des bevorstehenden Gerichts, Blut schwitzen. Vom Himmel wird der König herabkommen, der über die ganze Welt urteilen wird; die Guten und die Bösen werden seiner ansichtig werden. Eine jede Seele wird in ihren Körper zurückkehren, und ein jeder nach seinem Verdienst belohnt. An jenem Tag werden Reichtümer und Götzenbilder ihre Macht verlieren. Der Schlund des Feuers wird sich öffnen und jedes Geschöpf bei lebendigem Leibe verbrennen. Weinen und trauern wird man, und die Menschen werden vor Verzweiflung ihre Zähne zusammenpressen. Sonne, Mond und Sterne werden ihr Licht verlieren, Berge und Täler einander gleichgemacht, das Meer, die Erde und alle Lebewesen auf ihr ihre Unterschiede verlieren. Die Trompete des Himmels wird das menschliche Geschlecht herbeirufen, auf daß es gerichtet werde; dann wird ein großer Schrecken herrschen, ein jeglicher über seine Torheit weinen, und dann wird sich die Erde erneuern. Könige, Fürsten und alle Menschen werden vor dem Richter erscheinen, der einem jeden das ihm Zustehende geben wird. Vom Himmel herab wird ein Feuersblitz in die Hölle fallen.<
Diese Dinge finden sich in 27 Versen, die von jener Sibylle verfaßt wurden.
Boccaccio sagt (und alle anderen weisen Schriftsteller, die über sie geschrieben haben, sind ähnlicher Meinung), Gott müsse sie sehr geliebt haben; ferner: nach den Heiligen aus dem Paradies sei sie verehrungswürdiger als jede andere Frau. Sie wahrte ihr ganzes Leben lang ihre Jungfräulichkeit, und man darf annehmen, daß sie in ihrer Reinheit eine Erwählte war, denn in einem vom Laster erfüllten und beschmutzten Herzen kann es nicht soviel Erleuchtung und Wissen um Zukünftiges geben.
HIER IST VON DER SIBYLLE ALMATHEA DIE REDE.
III.
Wie bereits erwähnt, erblickte die Sibylle Almathea in Kampanien in der Nähe von Rom das Licht der Welt. Sie besaß ebenfalls eine besondere Begabung des Geistes und der Weissagung. In manchen Chroniken heißt es, sie sei bereits zur Zeit der Zerstörung Trojas auf die Welt gekommen und habe bis zur Zeit des Tarquinius Superbus gelebt. Einige nannten sie Deyphebe. Obwohl jene edle Frau ein erstaunlich hohes Alter erreichte, blieb sie zeit ihres Lebens Jungfrau; wegen ihrer großen Weisheit vermuteten manche Dichter, Phöbus, den sie den Gott der Weisheit nannten, müsse sie geliebt haben und sie müsse von jenem Phöbus das Geschenk eines so gewaltigen Wissens und einer so langen Lebensdauer erhalten haben; dies bedeutet, daß sie aufgrund ihrer Jungfräulichkeit und Reinheit von Gott, der Sonne des Wissens, geliebt wurde und er sie mit dem Licht der Weissagung erhellte, dank dessen sie verschiedene zukünftige Ereignisse vorausgesagt und niedergeschrieben hat. Des weiteren wird überliefert, ihr sei, als sie sich am Ufer von Baia in der Nähe des Averner Sees aufhielt, eine höchst wunderbare Antwort und göttliche Offenbarung zuteil geworden, die aufgezeichnet, mit ihrem Namen verbunden und in gereimte Verse gefaßt worden ist. Obwohl dies schon sehr lange her ist, flößt diese Begebenheit doch jedem, der sich genauer mit ihr auseinandersetzt, Bewunderung angesichts der außerordentlichen Bedeutung dieser Frau ein. In wiederum anderen Geschichten heißt es, sie habe Aeneas in die Hölle und wieder aus ihr heraus geführt.
Jene kam nach Rom und trug neun Bücher mit sich, die sie dem König Tarquinius zum Kauf anbot. Weil er es jedoch ablehnte, den von ihr verlangten Preis zu zahlen, verbrannte sie drei davon vor seinen Augen. Da sie am folgenden Tag von ihm für die verbleibenden sechs Bücher den gleichen Preis wie für die neun Bücher verlangte und versicherte, sie würde, falls er ihr nicht den verlangten Preis bezahle, sogleich drei weitere Bücher und am nächsten Tag die restlichen drei verbrennen, bezahlte ihr der König Tarquinius den Preis, den sie ursprünglich verlangt hatte. Deshalb hütete man diese Bücher gut, und es stellte sich heraus, daß sie alle großen Geschehnisse, die den Römern in der Folgezeit zustoßen sollten, weissagten. Man bewahrte sie mit besonderer Sorgfalt in den Schatzkammern der Herrscher auf, und wenn guter Rat not tat, so konsultierte man sie, geradeso als handele es sich um eine göttliche Verheißung.
Nun paß auf, süße Freundin, und sieh, wie Gott einer einzigen Frau eine solche große Gnade zuteil werden ließ, daß sie befähigt war, nicht nur zu ihren Lebzeiten einen Herrscher zu beraten und zu warnen, sondern ebenfalls all jene, die, so lange die Welt besteht, in Rom an die Macht gelangen sollten; desgleichen sagte sie alle großen Ereignisse im Kaiserreich voraus. Nun sag mir bitte einmal: wo hat es jemals einen Mann gegeben, der solches vollbrachte? Und du Närrin warst eben noch unglücklich darüber, vom gleichen Geschlecht wie solche Wesen zu sein, weil du glaubtest, Gott verachte es!
Vergil berichtete in seinem Buch in Versen von jener Sibylle. Sie beendete ihr Leben in Sizilien, und lange Zeit wurde ihr Grab gezeigt.
VON VERSCHIEDENEN PROPHETINNEN
IV.
Aber auf der Welt gab es keineswegs nur jene zehn Frauen, die dank einer besonderen Gottesgabe Prophetinnen waren, sondern viele andere in allen existierenden Religionen. Denn wenn du dich im Judentum umblickst, so wirst du eine ganze Reihe solcher Frauen finden, wie etwa Debora[1] eine Prophetin zur Zeit der Richter von Israel. Durch sie und ihre Klugheit wurde das Volk Gottes aus der Knechtschaft des Königs von Kana befreit, der es zwanzig Jahre lang unterdrückt hatte. Ähnliches gilt für die gebenedeite Elisabeth,[2] die Base Unserer Lieben Frau: war sie etwa keine Prophetin, als sie zu der ruhmreichen Jungfrau, die sie besuchte, sprach: >Wie kommt es, daß die Mutter Gottes mich aufsucht?< Woher sonst als dank des Geistes der Weissagung konnte sie wissen, daß sie den Heiligen Geist empfangen hatte?
Und besaß nicht auch Hanna,[3] die vortreffliche hebräische Frau, die im Tempel die Lichter anzündete, den Geist der Weissagung, ähnlich wie der Prophet Simeon, dem Unsere Liebe Frau am Tag der Lichtmeß Jesus Christus am Altar des Tempels zeigte? Der heilige Prophet wußte, daß es der Erretter der Welt war und umschloß ihn mit seinen Armen, während er sagte: >Herr, nun lassest du deinen Diener in Frieden fahren.< Aber Hanna, diese vortreffliche Frau, die im Tempel umherging und ihren Dienst verrichtete, wußte in ihrem Geist sogleich, daß es der Heiland war, als sie die Jungfrau erblickte, die mit ihrem Kind auf dem Arm in den Tempel kam. Deshalb kniete sie nieder, betete ihn an und verkündete mit lauter Stimme, dies sei der, der gekommen sei, die Welt zu erretten. Wenn du einmal darauf achtest, so wirst du in der jüdischen Religion noch auf eine große Zahl anderer Prophetinnen stoßen; unzählige und auch eine Reihe Heilige gibt es in der christlichen Religion.
Aber klammern wir diese einmal aus, denn sonst könnte man noch behaupten, Gott habe sie durch die Verleihung einer besonderen Gabe bevorzugt; laß uns deshalb voranschreiten und von anderen Frauen heidnischen Glaubens sprechen.
Sogar in der Heiligen Schrift wird die Königin von Saba[4] eine Frau von großer Klugheit, erwähnt. Diese hatte so viel über die Weisheit Salomos gehört, dessen Ruhm durch die ganze Welt eilte, daß sie ihn zu sehen wünschte. Sie brach also auf aus dem Orient, aus dem abgelegensten Teil der Welt, verließ ihre Heimat und ritt durch Äthiopien und Ägypten, an den Gestaden des Roten Meeres entlang und durch die großen arabischen Wüsten. In der überaus vornehmen Begleitung von Fürsten, Herren, Rittern und Edelfrauen, unter gewaltiger Prachtentfaltung und beladen mit Kostbarkeiten gelangte sie in die Stadt Jerusalem, um den weisen König Salomo aufzusuchen und um zu ergründen, ob das, was man überall auf der Welt über ihn sagte, wahr sei. Salomo empfing sie in großen Ehren, wie es sich schickte; sie verbrachte eine lange Zeit mit ihm und stellte seine Weisheit in vielen Bereichen auf die Probe. Sie richtete mehrere Fragen an ihn und legte ihm eine Reihe äußerst schwieriger Rätsel vor; auf alles, was sie fragte, antwortete er in so vollkommener Weise, daß sie sagte, Salomos Weisheit sei nicht der Ausdruck menschlicher Klugheit, sondern auf eine besondere Gabe Gottes zurückzuführen. Jene edle Frau schenkte ihm eine Reihe kostbarer Gegenstände, darunter die Pflanzen kleiner Bäume, die eine Flüssigkeit abgeben und Balsam liefern; der König ließ sie in der Nähe eines Sees namens Allefabter anpflanzen und befahl, sie mit Sorgfalt zu hegen und zu pflegen. Der König seinerseits schenkte ihr mehrere kostbare Schmuckstücke.
Eine Reihe von Schriften erzählen von der Weisheit jener Frau und ihrer Sehergabe. Sie berichten, wie Salomo ihr während ihres Jerusalem-Aufenthaltes einen prachtvollen Tempel zeigte, den er hatte errichten lassen, und ihr Blick auf ein langes, flaches Brett fiel, das über einer morastigen Pfütze lag und als Steg über diese Sumpflache diente. Auf einmal blieb die edle Frau stehen und blickte das Brett an, pries es und sprach: >Dieses Brett, das gegenwärtig als verächtliches Ding gilt und unter die Füße gelegt wurde, wird einmal als vornehmste aller Holzplanken geehrt und mit kostbaren Steinen aus der Schatzkammer der Fürsten verziert werden. Denn auf dem Holz dieses Brettes wird jener sterben, der die jüdische Religion vernichten wird.< Die Juden nahmen diesen Ausspruch sehr ernst, entfernten das Brett und vergruben es an einer Stelle, von der sie vermuteten, daß niemand es dort finden werde. Aber was Gott erhalten will, das wird sehr wohl erhalten: denn die Juden versteckten es nicht gut genug, um zu verhindern, daß man es in der Zeit der Passion Unseres Herrn Jesus Christus wieder ausgrub. Aus diesem Holz, so sagt man, wurde das Kreuz gezimmert, an dem unser Heiland Tod und Leid erlitt; auf diese Weise bewahrheitete sich die Weissagung jener edlen Frau.
ERNEUT ÜBER NIKOSTRATE[1] KASSANDRA[2]
UND DIE KÖNIGIN BASENA[3]
V.
Jene Nikostrate, die bereits weiter oben erwähnt wurde, war ebenfalls eine Prophetin; denn sobald sie den Tiber überquert und mit ihrem Sohn Evandro, über den die Geschichtswerke viel zu berichten wissen, auf den Palatin gestiegen war, weissagte sie, auf jenem Hügel werde man eine Stadt erbauen, die berühmteste aller Städte der Welt, die an der obersten Spitze aller weltlichen Reiche stehen werde. Und um als erste den Grundstein dazu zu legen, baute sie an dieser Stelle eine gewaltige Festung (wie zuvor berichtet wurde); später wurde dort Rom gegründet und errichtet.
Ähnliches gilt für Kassandra, die vornehme trojanische Jungfrau, Tochter des Königs Priamos von Troja und Schwester des tapferen Hektor, die so klug war, daß sie alle Künste beherrschte: und war sie nicht auch eine Weissagerin? Da dieses junge Mädchen es ablehnte, einen Mann — und sei es ein noch so mächtiger Fürst — zum Gemahl zu nehmen und sie um das wußte, was den Trojanern zustoßen sollte, war sie stets traurig. Und je mehr sie Trojas großen Wohlstand blühen und je prächtiger sie die Stadt vor Ausbruch des Krieges der Trojaner gegen die Griechen sah, desto mehr weinte, klagte und trauerte sie. Angesichts der Vornehmheit und des Reichtums der Stadt und ihres schönen, berühmten und so preiswürdigen Bruders konnte sie nicht umhin, von dem zukünftigen großen Unheil zu sprechen. Und als sie den Beginn des Krieges erlebte, wurde ihr Schmerz noch größer. Ohne Unterlaß klagte sie, schrie und ermahnte ihren Vater und ihren Bruder, in Gottes Namen mit den Griechen Frieden zu schließen, weil sie sonst unausweichlich von diesem Krieg selbst vernichtet würden. Diese jedoch gaben nichts auf ihre Worte und schenkten ihnen keinen Glauben. Jene jedoch, die häufig und völlig zu Recht über diesen gewaltigen Verlust und Schaden klagte, konnte immer noch nicht schweigen, weswegen sie oft von ihrem Vater und ihren Brüdern geschlagen wurde, die behaupteten, sie sei närrisch. Trotzdem schwieg sie immer noch nicht; selbst bei Androhung der Todesstrafe hätte sie nicht geschwiegen und sich davon abhalten lassen, es ihnen ohne Unterlaß zu verkünden. Deshalb sah sich ihre Familie, die ihre Ruhe haben wollte, genötigt, sie in einem Raum fernab von allen Menschen einzuschließen, um so ihr Lärmen aus der Reichweite ihrer Ohren zu entfernen. Aber sie hätten besser daran getan, ihr zu glauben, hatte sie doch alles, was ihnen dann zustieß, vorhergesagt; zu guter Letzt bereuten sie es, da war es jedoch zu spät für sie.
Ferner: war es nicht ebenfalls eine erstaunliche Weissagung, die von der Königin Basena ausgesprochen wurde und von der die Chroniken berichten? Sie war zuerst die Frau des Königs der Thüringer, später die Gemahlin Childerichs. In der Nacht ihrer Eheschließung mit jenem König Childerich, so berichtet die Überlieferung, sagte sie ihm, er werde, falls er sich der Fleischeslust enthalte, eine außergewöhnliche Vision haben. Dann befahl sie ihm, er solle sich erheben, zur Tür des Gemachs gehen und genau auf das achtgeben, was er sehen werde. Der König begab sich dorthin, und es schien ihm, er sehe große, Einhorn genannte Tiere, ferner Leoparden und Löwen im Palast ein- und ausgehen; voller Schrecken kehrte er zurück und fragte die Königin, was das zu bedeuten habe. Sie aber antwortete, sie werde es ihm am Morgen sagen; er solle keine Angst haben, vielmehr sogleich an seinen Platz zurückkehren. So geschah es, und nun glaubte er, riesige Bären und Wölfe zu sehen, die sich anschickten, aufeinander loszustürzen. Die Königin schickte ihn ein drittes Mal fort, und nun schien ihm, er sehe Hunde und kleine Tiere, die sich alle gegenseitig zerfleischten. Und da der König deswegen sehr erschrocken und erstaunt war, sagte ihm die Königin, seine Vision der verschiedenen Tiere bedeute verschiedene Generationen von Prinzen, die in Frankreich regieren würden und ihre Nachkommen seien; das Verhalten und die Taten jener Prinzen glichen der Natur und der Verschiedenheit der Tiere, die er gesehen habe. Teure Freundin, daran könnt Ihr in aller Deutlichkeit erkennen, wie häufig Unser Herr Seine Geheimnisse durch Frauen offenbarte.
VON ANTONIA[1] DIE KAISERIN WURDE
VI.
Keineswegs um eine Lappalie handelt es sich bei dem Geheimnis, das Gott durch die Vision einer Frau dem Justinian enthüllte. Jener Justinian war Schatzmeister des Kaisers Justinus. Eines Tages war Justinian zu seinem Vergnügen durch die Felder gestreift; in seiner Begleitung befand sich seine Freundin, die er liebte, eine Frau namens Antonia. In der Mittagszeit bekam Justinian Lust, sich auszuruhen; er ließ sich also zum Schlaf unter einem Baum nieder und legte seinen Kopf in den Schoß seiner Freundin. Und als er eingeschlafen war, sah Antonia, wie ein großer Adler angeflogen kam, über ihnen verharrte und sich bemühte, seine Flügel zu entfalten, um Justinians Antlitz vor der Glut der Sonne zu schützen. Jene erkannte in ihrer Klugheit sogleich die tiefere Bedeutung; und als Justinian erwacht war, redete sie ihn in wohlgesetzten Worten an und sprach zu ihm: >Schöner, süßer Freund, ich habe Euch sehr geliebt und liebe Euch immer noch, wie Ihr, der Ihr Herr über meinen Körper und über meine Liebe seid, sehr wohl wißt. Es gibt deshalb keinen Grund dafür, daß der von seiner Freundin so sehr geliebte Freund dieser irgend etwas verweigerte; und deshalb erbitte ich von Euch, als Entgelt für meine Jungfräulichkeit und meine Liebe, eine einzige Gabe, die, so überaus wichtig sie für mich ist, Euch sehr gering dünken wird.< Justinian antwortete seiner Freundin, sie möge ohne jede Scheu ihren Wunsch äußern; er wolle nichts verweigern, was er geben könne. Darauf sprach Antonia: >Das Geschenk, welches ich von Euch erbitte, ist folgendes: wenn Ihr Kaiser sein werdet, so sollt Ihr Eure arme Freundin Antonia nicht verachten, sondern sie Euch als Teilhaberin an Eurer Ehre und Eurem Reiche in rechtmäßiger Ehe verbinden. Dies, so bitte ich Euch, versprecht mir in diesem Augenblick.< Als Justinian das junge Mädchen so sprechen hörte, begann er zu lachen, denn er glaubte, sie habe es aus Spaß gesagt. Da er es für unmöglich hielt, Kaiser werden zu können, versprach er ihr, er werde sie mit Sicherheit zur Frau nehmen, falls er Kaiser werde. Dies bezeugte er im Namen aller seiner Götter, und jene dankte ihm hierfür. Zur Besiegelung dieses Versprechens ließ sie sich seinen Ring geben und händigte ihm ihren aus. Unmittelbar im Anschluß daran hob sie an, ihm zu sagen: >Justinian, ich verkünde und versichere dir: du wirst Kaiser werden, und dies wird dir binnen kurzem zustoßen.< Daraufhin gingen sie beide ihrer Wege.
Kurze Zeit später wurde der Kaiser Justinus, der sein Heer zum Krieg gegen die Perser gesammelt hatte, krank und starb. Als danach die Barone und Fürsten zwecks Wahl eines neuen Kaisers zusammenkamen und sie sich nicht einigen konnten, wählten sie, gleichsam um sich gegenseitig zu ärgern, Justinian zum Kaiser. Dieser überlegte nicht lange, sondern zog sogleich voller Angriffslust und begleitet von einem großen Heer gegen die Perser, gewann die Schlacht, nahm den persischen König gefangen und errang große Ehre und beträchtliche Güter. Als er in seinen Palast zurückgekehrt war, vergaß seine Freundin Antonia ihre Belange nicht, und es gelang ihr, sich mit viel Geschick Zugang zu dem Raum zu verschaffen, in dem er, umgeben von seinen Fürsten, thronte. Dort begann sie, auf Knien vor ihm liegend, ihre Sache zu verfechten und sagte, sie sei ein junges Mädchen und gekommen, Recht und Billigkeit von einem jungen Mann zu fordern, der sich mit ihr verlobt und mit dem sie die Ringe getauscht habe. Der Kaiser, der nicht im entferntesten an sie dachte, antwortete ihr: wenn es wahr sei, daß sich jemand mit ihr verlobt habe, so sei es rechtens, daß jener sie zur Frau nehme; er wolle ihr gern ihr Recht verschaffen, vorausgesetzt, sie könne es beweisen. In diesem Augenblick zog Antonia den Ring von ihrem Finger, reichte ihm diesen und sprach: >Edler Kaiser, ich kann es mit Hilfe dieses Ringes beweisen. Sieh genau hin — vielleicht kennst du ihn.< Da erkannte der Kaiser sehr wohl, daß er sich in seinen eigenen Worten verstrickt hatte; weil er aber sein Versprechen halten wollte, ließ er sie sogleich in seine Gemächer führen und sie kostbar ausstatten, um sie zu heiraten.«
CHRISTINE SPRICHT 2U FRAU RECHTSCHAFFENHEIT.
VII.
Edle Frau, aus allem, was ich in aller Deutlichkeit vernehme und sehe, ergibt sich klarer als jemals zuvor, daß in allen Anklagepunkten das Recht auf der Seite der Frauen und großes Unrecht auf der Seite ihrer Ankläger ist. In diesem Zusammenhang muß ich von einer bei den Männern und sogar bei einigen Frauen sehr verbreiteten Gepflogenheit sprechen. Es handelt sich um folgendes: wenn die Frauen schwanger sind und ein Mädchen zur Welt bringen, werden manche Ehemänner ungehalten und murren, weil ihre Frauen keinen Sohn geboren haben. Und ihre törichten Frauen, statt überglücklich zu sein, weil Gott sie in Gesundheit hat gebären lassen, und diesem aus ganzem Herzen dafür zu danken, werden angesichts eines Mädchens ebenfalls unwirsch, weil sie sehen, daß ihre Männer sich aufregen. Aber woher kommt es eigentlich, hohe Frau, daß sie das dermaßen bekümmert? Bereiten ihnen denn Töchter mehr Unannehmlichkeiten als Söhne? Oder zeigen die Mädchen weniger Liebe und mehr Gleichgültigkeit für ihre Eltern als die Jungen?«
Antwort: »Teure Freundin, da du mich nun einmal nach der Ursache hierfür fragst, entgegne ich dir: das hängt mit der übergroßen Dummheit und Unwissenheit derer zusammen, die aus diesem Anlaß ungehalten werden. Gleichwohl liegt der wichtigste Beweggrund in den Kosten, die sie auf sich zukommen sehen, wenn sie die Mädchen verheiraten müssen; bei dieser Gelegenheit sind sie gezwungen, etwas von ihrem Geld und Gut herauszurücken. Andere sind bekümmert, weil sie an die Gefahren denken, denen naive junge Mädchen durch allerlei Einflüsterungen ausgesetzt sind. Aber all diese Gründe halten rationalen Argumenten nicht stand.
Was die Angst vor Fehltritten angeht: man muß sie nur bereits im Kindesalter klug erziehen, und die Mutter muß ihnen ein Vorbild an Ehrsamkeit und Anstand sein (denn wenn die Mutter sich Ausschweifungen hingäbe, so wäre das für die Tochter ein schlechtes Beispiel); außerdem ist schlechter Umgang von ihr fernzuhalten und sie muß streng erzogen werden, denn wenn man Kindern und Jugendlichen Disziplin beibringt, dann ist das der erste Schritt für ein das ganze Leben währendes untadeliges Benehmen. Ähnliches gilt für die Geldausgaben: wenn die Eltern einmal genau darauf achteten, wie viel ihre Söhne sie kosten — sowohl für das Erlernen einer Wissenschaft oder eines Berufs als auch für ihre standesgemäße Ausstattung, seien sie nun vornehmer, mittlerer oder niedriger Abstammung, als auch für überflüssige Ausgaben in zweifelhafter Gesellschaft und für manche Albernheiten — täten sie dies, so fänden sie meiner Meinung nach kaum mehr Vorteile bei den Söhnen als bei den Töchtern. Und was den Ärger und die Sorgen angeht, die manche Jungen verursachen, weil sie häufig an üblen Raufereien und Händeln beteiligt sind oder zum Kummer und auf Kosten ihrer Eltern ein ausschweifendes Leben führen, so glaube ich, daß all das mindestens genausoviel Sorgen bereitet wie ihre Töchter.
Schau dich doch einmal um und sag mir, wie viele Söhne sich liebevoll und geduldig um ihre alten Eltern kümmern, wie es ihre Kindespflicht wäre! Ich würde sagen, sie sind sehr spärlich gesät, denn das kommt äußerst selten vor, obwohl es doch so viele Söhne gibt und gegeben hat. Wenn nun Vater undMutter ihre Söhne vergöttert haben, diese groß geworden sind und dank der Bemühungen des Vaters und ihrer guten Ausbildung oder dank eines glücklichen Geschicks im Geld schwimmen, ihr alter Vater aber durch einen Unglücksfall arm und gebrechlich geworden ist, dann verachten sie ihn, sind verärgert und schämen sich seiner, wenn sie seiner ansichtig werden. Ist der Vater reich, so sehnen sie seinen Tod herbei, um an seinen Besitz zu kommen. Oh, allein Gott weiß, wie viele Söhne großer Herren und reicher Männer auf den Tod ihrer Eltern -warten, um in den Besitz von deren Ländereien und Vermögen zu gelangen! In dieser Hinsicht hat Petrarca recht, der sagt: >Oh, du törichter Mensch! Du begehrst Kinder zu haben, besitzest jedoch keinen größeren Todfeind als diese: bist du arm, so werden sie dich als Last empfinden und, um von dieser befreit zu werden, deinen Tod herbeiwünschen. Bist du aber reich, so sehnen sie ihn gleichfalls herbei, um an dein Vermögen zu kommen.< Nun will ich gar nicht behaupten, alle seien so, aber von dieser Sorte gibt es schon sehr viele. Wenn sie verheiratet sind, so weiß Gott, wie sehr sie darauf aus sind, ständig etwas von Vater und Mutter zu verlangen; und wenn es ihnen auch nicht viel ausmachen würde, die armen Alten vor Hunger sterben zu sehen, so ist es doch ungemein wichtig, daß sie selbst alles bekommen. Ah, das ist mir eine feineBrut! Oder wenn die Mütter Witwen werden, sie die ihre Kinder so liebevoll aufgezogen haben, um im Alter an ihnen Stütze und Stab zu finden: wie schlecht vergilt man ihnen ihre Mühsal! Ihre mißratenen Kinder meinen nämlich, alles für sich beanspruchen zu dürfen; falls die Mütter ihnen nicht alles gewähren, was sie begehren, schrecken die Kinder noch nicht einmal davor zurück, ihren Müttern schlimme Beschimpfungen an den Kopf zu werfen. Und wie es um die Achtung bestellt ist, das weiß allein der liebe Gott! Aber es kommt noch ärger, denn manche schrecken selbst davor nicht zurück, gerichtlich gegen die eigene Mutter vorzugehen. Dies ist der Lohn einiger Mütter dafür, sich ihr ganzes Leben lang für ihre Kinder aufgeopfert zu haben! Söhne dieses Schlags gibt es eine ganze Menge, manchmal vielleicht auch Töchter von dieser Sorte. Aber wenn du genau hinsiehst, wirst du wohl feststellen, daß es unter den wider die Natur handelnden Kindern mehr Söhne als Töchter gibt.
Selbst wenn wir einmal annehmen, alle Söhne seien gutherzig, so gibt es immer noch gewöhnlich mehr Töchter als Söhne, die ihren Eltern Gesellschaft leisten, sie häufiger besuchen und sich in Alter und Krankheit um sie kümmern. Dies hängt damit zusammen, daß die Söhne mehr in der Welt umherziehen und die Töchter ruhiger sind, sich eher in der Nachbarschaft aufhalten, wie du es an dir selbst sehen kannst; denn obwohl deine Brüder äußerst wohlgeraten, sehr liebevoll und gutmütig sind, sind sie doch in die Welt hinausgezogen, und du allein bist zurückgeblieben, um deiner lieben Mutter Gesellschaft zu leisten; dies ist ihr ein großer Trost im Alter. Um zum Schluß zu kommen: ich sage dir, diejenigen, die sich ärgern und traurig sind, wenn ihnen ein Mädchen geboren wird, sind große Narren. Weil du mich auf dieses Thema gebracht hast, will ich dir von einigen Frauen erzählen, von denen unter anderem die Heilige Schrift berichtet und die wohlgeraten sind und ihre Eltern sehr lieben.
HIER BEGINNT SIE VON TÖCHTERN ZU SPRECHEN,
DIE IHRE ELTERN LIEBTEN; ZUERST SPRICHT SIE VON DRYPETINA[1]
VIII.
Trypetina, die Königin von Laodikeia und die Tochter des großen Königs Mithridates, liebte ihren Vater über alles, so sehr, daß sie ihn in alle Schlachten begleitete. Sie war äußerst häßlich, denn sie besaß eine doppelte Zahnreihe, was ein großer Schönheitsfehler ist. Weder im Glück noch im Unglück wich sie von der Seite ihres Vaters, weil sie ihn so sehr liebte, und obwohl sie über ein gewaltiges Königreich herrschte und sich dem Müßiggang hätte hingeben können, nahm sie doch alle Schmerzen und Mühsal auf sich, die ihr Vater auf manchen seiner Feldzüge erlitt. Und als er vom großen Pompeius besiegt wurde, ließ sie ihn nicht im Stich, sondern kümmerte sich mit großer Sorgfalt und Aufmerksamkeit um ihn.
HIER IST VON HYPSIPYLE[1] DIE REDE
IX.
Hypsipyle begab sich in Todesgefahr, um ihren Vater zu retten, der Thoas hieß und König über die Bewohner von Lemnos war. Da sein Land sich gegen ihn erhob und die Bewohner in großer Wut zum Palast rannten, um ihn zu töten, versteckte seine Tochter Hypsipyle ihn sofort in einer ihrer Truhen und lief dann nach draußen, um das Volk zur Vernunft zu bringen. Aber das nützte nichts; als man überall nach dem König suchte und ihn nicht finden konnte, richtete man die Schwerter auf Hypsipyle und drohte ihr mit dem Tode, falls sie nicht sagte, wo er sei. Gleichzeitig versprach man ihr, sie, für den Fall, daß sie es verriete, zur Königin zu krönen und ihr zu gehorchen. Die gute und warmherzige Tochter jedoch, der am Leben ihres Vaters mehr lag als daran, selbst Königin zu werden, beugte sich nicht aus Angst vor dem Tode, sondern erteilte die mutige Antwort, er sei sicher schon lange über alle Berge. Weil die Leute ihn nicht finden konnten und sie ihnen im Brustton der Überzeugung versicherte, er sei geflohen, glaubten sie ihr schließlich und krönten sie zur Königin. Sie regierte eine ganze Zeit lang in Frieden über ihr Volk. Da sie aber ihren Vater über einen geraumen Zeitraum hinweg verborgen gehalten hatte und befürchtete, er könne am Ende doch noch von irgendwelchen Neidern verraten werden, brachte sie ihn des Nachts ins Freie und schickte ihn, mit allem Notwendigen reichlich versehen, hinaus aufs Meer in Sicherheit. Jedoch erfuhren die aufrührerischen Bürger zu guter Letzt davon und verjagten ihre Königin Hypsipyle. Sie hätten sie sogar umgebracht, wenn nicht einige von ihnen Mitleid empfunden hätten, weil die Königin so gut gewesen war.
VON DER JUNGFRAU CLAUDIA[1]
X.
Oh welchen gewaltigen Beweis ihrer Liebe gab die Jungfrau Claudia ihrem Vater, als dieser siegreich heimkehrte und man ihn, als Dank für seine großen Wohltaten und die bedeutenden Siege, die er in mehreren Schlachten errungen hatte, in Rom mit der höchsten Ehrung empfing; die Römer nannten das Triumphzug. Dies war eine große Ehrbezeugung, mit der sie die siegreich von bedeutenden Heldentaten zurückkehrenden Fürsten empfingen. Als nun aber Claudias Vater, einem der tapfersten römischen Edelleute, jener Triumphzug zuteil wurde, griff ihn ein anderer römischer Edelmann, der ihn haßte, an. Seine Tochter Claudia war dem Kult der Göttin Vesta geweiht (heute würden wir sagen: sie war Nonne in einem Kloster); in Gesellschaft der übrigen Frauen ihres Ordens ging sie, wie es üblich war, jenem Fürsten entgegen. In dem Augenblick, da Claudia den Lärm vernahm und hörte, ihr Vater werde von seinen Widersachern angegriffen, ließ die Liebe der Tochter zu ihrem Vater sie die demütige und gesittete Haltung, die jungfräuliche Nonnen im allgemeinen besitzen, vergessen. Desgleichen vergaß sie alle Furcht und Angst, sprang sofort von dem Wagen herunter, auf dem sie mit ihren Gefährtinnen saß, bahnte sich einen Weg durch die Menge und stellte sich tollkühn vor die auf ihren Vater gerichteten Schwerter und Degen, wobei sie sich wahrhaftig anschickte, dem ihr am nächsten Stehenden an die Gurgel zu springen und mit all ihrer Kraft ihren Vater zu verteidigen. Daraufhin entstand ein riesiger Volksauflauf, und man trennte alsdann die Streitenden. Aber da die tapferen Römer gewöhnlich viel Aufhebens um jeden Menschen machten, der eine bewunderungswürdige Tat vollbracht hatte, schätzten sie auch jene Jungfrau sehr und priesen sie für ihre Tat.
VON EINER FRAU, DIE IHRE MUTTER IM GEFÄNGNIS NÄHRTE
XI.
Einen ähnlich großen Beweis ihrer Liebe erbrachte eine Römerin[1] von der die Geschichtswerke berichten, ihrer Mutter. Wegen eines Verbrechens, das sie begangen hatte, wurde jene Mutter dazu verurteilt, im Gefängnis zu sterben, und es war verboten, ihr etwas zu essen oder zu trinken zu geben. Ihre Tochter, die ihre Mutter sehr liebte und die über diese Verurteilung äußerst traurig war, erbat sich eine besondere Gnade von den Bewachern ihrer Mutter: sie wolle jene, solange sie noch am Leben sei, jeden Tag besuchen, um sie so zu einem geduldigen Ertragen ihres Schicksals zu bewegen. Kurz und gut, sie weinte und flehte so lange, bis die Gefängniswärter Mitleid mit ihr verspürten und ihr erlaubten, ihre Mutter jeden Tag zu sehen. Bevor man sie jedoch zu ihr ließ, wurde sie einer peinlichen Leibesvisitation unterzogen, damit sie ihrer Mutter nichts zu essen mitbrächte. Nun dauerten diese Besuche schon viele Tage, und es schien den Wächtern unverständlich, daß eine Gefangene, falls alles mit rechten Dingen zuginge, so lange überleben könne, und sie wunderten sich, daß sie immer noch nicht tot war. Da sie aber nur Besuch von ihrer Tochter bekam, die jedesmal sorgfältig untersucht wurde, bevor man sie zur Mutter ließ, fragten sich die Gefängniswärter, wie dies möglich sei. Und wahrhaftig, eines Tages beobachteten sie Mutter und Tochter, und da sahen
sie, wie die arme Tochter, die vor kurzem ein Kind geboren hatte, ihrer Mutter so lange die Brust gab, bis diese ihr all ihre Milch aus den Brüsten gesogen hatte. Auf diese Weise gab die Tochter der Mutter in ihrem Alter das zurück, was sie von ihr als Kind bekommen hatte. Diese beständige Fürsorge und die große Liebe der Tochter zur Mutter stimmten die Gefängniswärter sehr mitleidig; und nachdem sie den Richtern von dieser Angelegenheit erzählt hatten, die ebenfalls menschliches Mitleid verspürten, schenkte man der Mutter die Freiheit und gab sie ihrer Tochter zurück.
Was die Liebe einer Tochter zum Vater angeht, so könnte man auch von der vortrefflichen und klugen Griselda[2] erzählen, der späteren Markgräfin von Saluzzo, von deren großer Tugend, Festigkeit und Beständigkeit ich dir später noch erzählen werde. Oh! mit welch großer Liebe, die ihren Ursprung in ihrem treuen Wesen hatte, ließ sie es sich angelegen sein, ihrem armen, alten und kranken Vater Janicola mit großer Demut und Gehorsam zu dienen! Sie, in ihrer Reinheit und Jungfräulichkeit, sie, die in der Blüte ihrer Jugend stand: mit welch liebevoller Sorgfalt ernährte und pflegte sie ihn! Mit ihrer Hände Arbeit verdiente sie unter großen Mühen und Anstrengungen ihrer beider Lebensunterhalt. Oh! unter einem guten Stern sind Töchter von solch großer Güte und mit solcher Liebe zu Vater und Mutter geboren, denn obwohl sie ja im Grunde nur ihre Pflicht tun, gereicht es ihrer Seele zu großem Verdienst; ihnen, wie auch ähnlich gearteten Söhnen, gebührt auf Erden großes Lob für eine solche Haltung.
Was soll ich dir sonst noch zu diesem Thema sagen? Ich könnte dir ohne Unterlaß Beispiele ähnlicher Fälle anführen; aber das bisher Gesagte mag dir genügen.
HIER SAGT FRAU RECHTSCHAFFENHEIT,
SIE HABE DEN BAU DER STADT ABGESCHLOSSEN;
NUN SEI ES AN DER ZEIT, DIESE ZU BEVÖLKERN.
XII.
Teuerste Freundin, wir haben nun, so meine ich, unseren Bau ein großes Stück vorangetrieben und die Stadt der Frauen, an beiden Seiten ihrer breiten Straßen entlang, hoch errichtet. Gewaltige königliche Paläste haben wir erbaut, und die Zwinger und Wehrtürme der Stadt recken sich so trutzig und aufrecht empor, daß man sie schon aus weiter Entfernung sieht. Aber jetzt ist es höchste Zeit, diese großartige Stadt zu bevölkern, damit sie nicht wüst und leer steht, sondern mit den vortrefflichsten Frauen (andere Bewohner dulden wir dort nicht) bestückt wird. Oh, wie glücklich werden die Bewohnerinnen unserer Stadt sein! Sie müssen nicht ständig fürchten, von fremden Eindringlingen verjagt zu werden, weil es eine Eigentümlichkeit dieser Stadt ist, daß ihre Bevölkerung nicht verjagt werden kann. Dies ist der Beginn eines neuen Reiches der Frauen. Seine Würde ist allerdings ungleich höher als die des Frauenreichs früherer Zeiten, denn seine Frauen werden nicht gezwungen sein, ihr Territorium zu verlassen, um Nachfolgerinnen zu empfangen und zu gebären und so ihren Besitz über die Zeiten hinweg, von einem Geschlecht zum anderen, zu erhalten: die Frauen, die wir jetzt dort ansiedeln, werden alle Zeiten überdauern.
Nachdem wir die Stadt mit vornehmen Bewohnerinnen bevölkert haben werden, wird meine Schwester, die edle Frau Gerechtigkeit, kommen und die alle überstrahlende Königin in Begleitung von Fürstinnen höchsten Ranges hierhin geleiten; diese Frauen werden die erhabensten Plätze und die höchsten Türme bewohnen. Bei ihrem Eintreffen soll die Königin die Stadt bereits von edlen Frauen bewohnt sehen, und diese sollen sie als ihre Herrin, als Herrscherin über ihr ganzes Geschlecht in großen Ehren empfangen. Aber mit welchen Frauen sollen wir die Stadt bevölkern? Etwa mit solchen, die bekannt sind für ihren schlechten Lebenswandel und einen üblen Ruf haben? Ganz bestimmt nicht! Vielmehr ausschließlich mit klugen Frauen, die großes Ansehen besitzen, denn man kann sich für eine Stadt keine angenehmeren Bewohner, keine größere Zierde denken als edle und kluge Frauen. Deshalb zögere nicht länger, liebe Freundin: mach dich sogleich an die Arbeit und auf den Weg, denn wir wollen uns auf die Suche nach ihnen machen.«
CHRISTINE FRAGT FRAU RECHTSCHAFFENHEIT, OB WAHR SEI, WAS DIE BÜCHER UND DIE MÄNNER BEHAUPTEN, DASS NÄMLICH DAS EHELEBEN ALLEIN DURCH DIE SCHULD DER FRAUEN SO SCHWER ZU ERTRAGEN SEI. FRAU RECHTSCHAFFENHEIT ANTWORTET UND BEGINNT VON DER GROSSEN LIEBE EINIGER FRAUEN ZU IHREN MÄNNERN ZU ERZÄHLEN.
XIII.
Als wir aufbrachen, um auf Geheiß von Frau Rechtschaffenheit die oben erwähnten Frauen zu suchen, sagte ich folgendes: »Edle Frau, Ihr und Frau Vernunft habt mir wirklich alle meine Fragen so umfassend beantwortet, daß ich nichts mehr entgegnen kann und mein Wissensdrang voll befriedigt ist. Außerdem habe ich von Euch erfahren, wie alles, was machbar und erlernbar ist, ob nun durch Körperkraft, geistige Fähigkeiten oder alle möglichen anderen Eigenschaften, von Frauen mühelos bewältigt werden kann. Ich habe jedoch noch etwas auf dem Herzen: könntet Ihr mir wohl sagen, ob das stimmt, was die Männer behaupten und so viele Schriftsteller bezeugen (und was mir selbst übrigens ganz besonders zu schaffen macht): daß das Eheleben für die Männer voll des allergrößten Ungemachs ist, und zwar einzig durch die Schuld, die Unbeherrschtheit und das nachtragende Gejammer der Frauen, wie es in so zahlreichen Büchern nachzulesen ist? Dies bezeugen viele Männer und behaupten ferner, die Frauen liebten ihre Ehemänner und das Zusammensein mit diesen so wenig, daß ihnen nichts soviel Verdruß bereite wie eben dies. Zwecks Vermeidung solchen Ungemachs hat eine Reihe von Schriftstellern den Weisen von der Ehe abgeraten und zudem versichert, so gut wie keine Frau sei ihrem Ehemann treu.
Dies legt selbst Valerius[1] in seinem Brief an Rufinius dar, und Theophrast[2] sagt in seinem Buch, kein weiser Mann dürfe sich verehelichen, denn mit Frauen sei eine Fülle von Sorgen, wenig Liebe und jede Menge übler Nachrede verbunden; wenn ein Mann in der Absicht heirate, im Krankheitsfall besser versorgt und betreut zu werden, dann könne ein treuer Diener, der ihn weniger koste, dies besser und sorgfältiger tun. Hinzu komme folgendes: wenn die Frau erkrankt, dann ist der Mann schlecht dran und wird sich nicht von ihrer Seite wagen. Er behauptet noch andere Dinge ähnlichen Kalibers, deren Wiedergabe zu viel Zeit beanspruchen würde. Daraus schließe ich, edle Herrin, daß alle anderen Vorzüge und Tugenden, die die Frauen möglicherweise besitzen, angesichts dieses Sachverhaltes völlig zunichte werden — vorausgesetzt allerdings, diese Dinge sind wirklich wahr ...« Antwort: »Wie sagtest nicht du selbst, teure Freundin, vor geraumer Zeit zu diesem Thema: wer einen Prozeß ohne gegnerische Partei führt, hat ein leichtes Spiel! Du kannst sicher sein, daß die Bücher, die so etwas verbreiten, nicht von Frauen verfaßt wurden. Aber andererseits gibt es für mich nicht den mindesten Zweifel: wenn jemand wirklich über das Für und Wider der Ehe informieren und ein neues Buch schreiben wollte, das sich an der Wahrheit orientierte, dann stieße man auf ganz andere Geschichten!
Ach, teure Freundin, du weißt selbst, wie viele Frauen es gibt, die aufgrund der Härte ihrer Ehemänner ihr jämmerliches Leben unter dem Joch der Ehe fristen und die dabei mehr leiden, als wenn sie Sklavinnen bei den Sarazenen wären! Wie viele grausame und völlig unverdiente Schläge, wie viele Beschimpfungen, Gemeinheiten, Beleidigungen, Erniedrigungen und Schmähungen erdulden zahlreiche gutherzige und rechtschaffene Frauen, ohne daß sich eine von ihnen beklagte! Und all die Frauen, die vor Hunger und Armut, umgeben von einer großen Schar Kinder, sterben, während sich ihre Männer in zweifelhaften Lokalitäten herumtreiben und mit nichtsnutzigen Frauenzimmern in der Stadt oder in Wirtshäusern umherziehen; kommen diese Männer nach Hause, dann werden ihre Frauen auch noch geschlagen, und das ist ihr einziges Abendessen: sag an, erfinde ich das alles? Hast du nie einige deiner Nachbarinnen in ähnlichen Umständen leben sehen?«
Daraufhin ich: »Gewiß, edle Frau, ich habe viele solcher Fälle, die mich mit tiefem Mitleid erfüllten, erlebt.« »Das will ich wohl meinen. Und was die Ehemänner betrifft, denen angeblich die Krankheiten ihrer Frauen so sehr zu schaffen machen: sag an, meine Freundin, wo sind sie? Auch wenn ich dir nicht mehr zu diesem Thema sage, so kannst du selbst sehr wohl erkennen, daß diese in Wort und Schrift gegen die Frauen vorgebrachten Gemeinheiten zu allen Zeiten frei erfundene, der Wahrheit widersprechende Dinge waren. Es verhält sich doch so, daß die Männer über ihre Frauen und keineswegs die Frauen über die Männer Herrschaft ausüben; überdies würden die Männer den Frauen niemals Macht über sich selbst zugestehen.
Aber ich sage dir zu deiner Beruhigung: nicht alle Ehen werden von solchen Kämpfen bestimmt, denn es gibt durchaus Eheleute, die in großer Friedfertigkeit, Liebe und Treue miteinander leben, weil die Ehepartner gutherzig, klug und einsichtig sind. Zwar gibt es schlechte Ehemänner, aber eben auch sehr gute, tüchtige und weise; die Frauen, die solchen Männern begegnen, wurden zu einer günstigen Stunde geboren, was den irdischen Ruhm angeht, den Gott ihnen damit zuteil werden ließ. Das alles weißt du aus eigener Erfahrung, hattest du doch einen Mann, wie du ihn dir besser nicht hättest wünschen können; einen Mann, den kein anderer an Güte, Friedfertigkeit, Zuverlässigkeit und in seiner Liebe zu dir übertraf. Niemals wird der Kummer darüber, daß der Tod ihn dir entriß, aus deinem Herzen weichen. Obwohl ich dir sage und es auch stimmt, daß zahlreiche gutherzige Frauen von ihren übellaunigen Ehemännern äußerst schlecht behandelt werden, so mußt du doch auch wissen, daß es viele launische und unvernünftige Frauen gibt. Wenn ich dir sagen würde, alle wären gutherzig, dann könnte ich mit Leichtigkeit der Lüge überführt werden; allerdings befinden sich die Schlechten in der Minderzahl. Und um diese Sorte Frauen kümmere ich mich nicht, handelt es sich doch um gleichsam widernatürliche Wesen.
Um auf die rechtschaffenen Frauen zurückzukommen und was jenen von dir erwähnten Theophrast angeht, der behauptet, ein kranker Mann werde von seinem Diener genauso getreulich und liebevoll gepflegt wie von seiner Frau: ah! wie viele gutherzige Frauen gibt es, die aus unerschütterlicher Zuneigung nichts anderes im Sinn haben, als ihren Männern in guten und in schlechten Tagen hingebungsvoll zu dienen, gerade so, als wären sie Götter. Ich glaube, einen solchen Diener findet man wohl kaum; und da wir nun schon einmal dieses Thema angeschnitten haben, werde ich dir eine Reihe von Beispielen für die große Liebe und Treue von Frauen zu ihren Ehemännern an die Hand geben. So kehren wir, Gott sei's gelobt, in der Begleitung zahlreicher schöner, rechtschaffener Frauen, die wir dort ansiedeln werden, in unsere Stadt zurück. Den Anfang macht die edle Königin Hypsicrathea, ehedem Gemahlin des reichen Königs Mithridates; da sie einer längst vergangenen Zeit entstammt und von überaus großer Bedeutung ist, siedeln wir sie als erste in der edlen Stätte und dem Palast, der ihr bestimmt ist, an.
HIER IST VON DER KÖNIGIN HYPSICRATHEA[1] DIE REDE
XIV.
Welches Lebewesen könnte die überaus schöne, edle und treue Königin Hypsicrathea in ihrer Liebe zu ihrem Mann übertreffen? Für diese Liebe lieferte sie ihm zahlreiche Beweise. Sie war die Gemahlin des großen Königs Mithridates, des Herrschers über Länder mit vierundzwanzig verschiedenen Sprachen. Obgleich er ein über die Maßen mächtiger König war, führten die Römer einen erbitterten Krieg gegen ihn. In all der Zeit jedoch, während er sich ausgiebig und unter gewaltigen Anstrengungen diesen Schlachten widmete, wich seine edle Frau nicht von seiner Seite, wohin auch immer er seine Schritte lenken mochte. Obwohl jener König nach heidnischer Sitte eine Reihe Konkubinen besaß, war jene vornehme Frau ihm stets in vollkommener Liebe zugetan und ließ es nicht zu, daß er etwas ohne sie unternahm. In den großen Schlachten, in denen er häufig sein Leben riskierte und sein Reich an die Römer zu fallen drohte, war sie oft an seiner Seite. Wohin auch immer er ziehen mochte, sei es in ein unbekanntes Gebiet oder ein entferntes Land, ob er das Meer überquerte oder durch gefährliche Wüsten reiste, immer war sie seine treue Gefährtin, die sich niemals von ihm trennte. Sie liebte ihn nämlich so sehr, daß sie der Überzeugung war, niemand sonst außer ihr könne ihrem Herrn so aufmerksam und so treu dienen wie sie selbst.
Und um dem, was der Philosoph Theophrast zu diesem Thema sagt, noch etwas entgegenzusetzen: da jene Frau wußte, daß Könige und Fürsten nur allzuoft falsche Diener haben, woraus ihnen schlechte Dienstleistungen erwachsen, wollte sie, die treue Liebende, ihm immer folgen, damit es ihrem Mann nicht an den ihm angemessenen und notwendigen Dingen mangele. Weil aber zu diesem Zweck Frauenkleider nicht praktisch waren und es nicht ratsam war, daß sich in der Schlacht an der Seite eines so großen Königs und tapferen Kämpfers eine Frau aufhielt, schnitt sie, um einem Mann zu gleichen, ihr langes goldblondes Haar ab, das eine Frau so sehr schmückt. Doch damit nicht genug: auch auf ihr schönes, jugendfrisches Antlitz nahm sie keine Rücksicht, stülpte sich vielmehr den Helm übers Gesicht, unter dem sie nur allzuoft voller Schmutz, Schweiß und Staub war. Ihren anmutigen zarten Körper bekleidete sie mit Waffen, einem kleinen Panzerhemd und trug Beinkleider aus Eisenringen. Nachdem sie die kostbaren Ringe und ihren reichen Schmuck abgelegt hatte, hielt sie stattdessen scharfe Äxte, Lanzen, Bögen und Pfeile in ihrer Hand und gürtete ein Schwert anstelle kostbarer Gürtel. Die Allmacht ihrer großen und unerschütterlichen Liebe bewirkte, daß die Zartheit ihres anmutigen, jungen, schwachen und in Sanftheit geformten Körpers verwandelt wurde in einen sehr kräftigen und tapferen bewaffneten Ritter. Boccaccio, der diese Geschichte erzählt, sagt dazu: >Wie groß ist doch die Macht der Liebe, wenn jene, die es gewohnt war, ein sehr bequemes Leben zu führen, weich gebettet zu schlafen und von jeglichem Komfort umgeben zu sein, nun aus freien Stücken mit sich umspringen läßt, als wäre sie ein abgehärteter und starker Mann, auf Bergen und in Tälern, des Nachts und tagsüber, in Wüsten und in Wäldern schlafend, oft, aus Angst vor den Feinden, auf dem bloßen Erdboden, überall umgeben von wilden Tieren und Schlangen!< Aber all das war ihr lieb, befand sie sich doch ständig an der Seite ihres Mannes und konnte ihm Trost, Rat und Beistand in allen seinen Geschicken spenden.
Geraume Zeit später, nachdem sie über einen langen Zeitraum hinweg manche harte Pein hatte erdulden müssen, geschah es, daß ihr Mann von Pompeius, einem Fürsten des römischen Heeres, grausam besiegt und in die Flucht geschlagen wurde. Als er nun von seiner gesamten Gefolgschaft im Stich gelassen worden war und allein zurückblieb, da verließ ihn seine hochherzige Frau nicht, vielmehr folgte sie ihm über Berge, durch Täler und durch düstere und unbewohnte Gegenden. Er, der von allen seinen Freunden Verlassene und Hoffnungslose, wurde von seiner vortrefflichen Gattin getröstet, die ihm sanft zuredete, auf ein besseres Geschick zu hoffen. Als beide sich in einem Zustand größter Verzweiflung befanden, da strengte sie sich noch mehr an, um ihm Freude zu schenken und ihn mit ihren süßen Worten zu erfreuen, damit er dank der anmutigen und vergnüglichen Spiele, die sie zu erfinden verstand, eine Weile seine Schwermut vergäße. Auf diese Weise und durch ihre große Sanftheit spendete ihm jene Frau so viel Trost, daß sie ihn alles erlittene Unglück, alles Leid und alle Pein vergessen ließ und er oft sagte, er fühle sich keineswegs als Exilant, sondern habe den Eindruck, mit seiner treuen Gattin höchst vergnügt im heimischen Palast zu leben.
VON DER KAISERIN TRIARIA[1]
XV.
Triaria, die edle Kaiserin, die Frau des römischen Kaisers Lucius Vitellius, ist der oben erwähnten Königin hinsichtlich ihres Schicksals und ihrer treuen Liebe zu ihrem Ehemann gleichzustellen. Sie liebte ihn so sehr, daß sie ihm überallhin folgte; in allen Schlachten, bewaffnet wie ein Ritter, stand sie ihm kühn zur Seite und schlug sich tapfer. Als jener Kaiser nun mit Vespasian um die Herrschaft über das Reich kämpfte und er gegen eine Stadt der Volsker stritt, brachte er es fertig, in die Stadt einzudringen und fand ihre Bewohner schlafend, woraufhin er ihnen grausam zusetzte. Jene edle Triaria jedoch, die während der gesamten Nacht ihrem Mann gefolgt war, befand sich in seiner Nähe, und da sie ihn siegen sehen wollte, kämpfte sie in voller Bewaffnung, gegürtet mit einem Schwert, unentwegt stolz an der Seite ihres Mannes, einmal hier, einmal dort, inmitten nächtlicher Dunkelheit. Weder Angst noch Schrecken ließ sie sich anmerken, sondern legte so große Tapferkeit an den Tag, daß ihr die höchste Auszeichnung in jener Schlacht gebührte und sie dort Wunder bewirkte. Auf diese Weise bewies sie in aller Deutlichkeit (so sagt Boccaccio) ihre große Liebe zu ihrem Mann und lieferte ein Argument für die eheliche Verbindung, die von anderen mit so vielen Vorwürfen bedacht wird.
NOCH EINMAL ÜBER DIE KÖNIGIN ARTEMISIA[1]
XVI.
Zu den Frauen, die ihre Männer sehr geliebt und dies durch Taten bewiesen haben, gehört auch jene edle Artemisia, die Königin von Karien. Als sie — ähnlich wie in den oben beschriebenen Fällen — dem König Mausolos in manche Schlacht gefolgt war und er plötzlich starb, da vollbrachte sie, die außer sich war angesichts eines solchen übermenschlichen Schmerzes und die zu Lebzeiten bewiesen hatte, wie sehr sie ihn liebte, bei seinem Tod etwas ähnlich Großartiges: sie veranlaßte alle Feierlichkeiten, die das Gesetz in einem solchen Fall für einen König vorschreibt, ließ im Rahmen einer großen Beerdigung und in Anwesenheit zahlreicher Fürsten und Barone den Leichnam verbrennen, dessen Asche sie selbst auflas, mit ihren Tränen benetzte und dann in einem goldenen Gefäß verwahrte. Nun dünkte es ihr, es sei nicht einzusehen, weshalb die Asche des Mannes, den sie so sehr geliebt hatte, eine andere Begräbnisstätte haben sollte als das Herz und den Körper, die der Hort jener großen Liebe waren. Aus diesem Grunde trank sie diese Asche, vermischt mit etwas Flüssigkeit, nach und nach in kleinen Schlucken, so lange, bis sie alles in sich aufgenommen hatte.
Darüber hinaus wollte sie ihm zu seinem Gedächtnis ein Grabmal schaffen, das die Erinnerung an ihn über alle Zeiten hinweg lebendig erhalten sollte. Nichts war ihr zu teuer für die Ausführung dieses Vorhabens. Sie schickte nach Spezialisten, die sich darauf verstanden, wunderbare Bauwerke zu entwerfen und zu errichten, und zwar nach Scopas, Bryaxis, Timotheus und Leochares, alles hervorragende Handwerker. Die Königin erläuterte ihnen, wie sie sich das Grabmal für ihren Mann, den König Mausolos, den erhabensten aller Könige und Fürsten der Erde, vorstellte, denn sie wollte, daß mit Hilfe des wunderbaren Werks der Name ihres Mannes die Zeiten überdauere. Jene willigten ein. Die Königin ließ ihnen daraufhin große Mengen Marmor, Jaspis in verschiedenen Farben und alles, was sie verlangten, herbeischaffen. Das Resultat war, daß die zehn Werkleute vor den Toren von Halikarnassos, der Hauptstadt von Karien, ein riesiges Gebilde aus Marmor errichteten. Der Marmor war äußerst kunstvoll bearbeitet, und das Ganze viereckig, wobei jede Seite vierundsechzig Fuß maß und in der Höhe einhundertvierzig Fuß. Doch damit nicht genug des Wunderbaren: dieses gewaltige Bauwerk ruhte auf dreißig gewaltigen Marmorsäulen, und jeder der vier Meister bearbeitete um die Wette eine Seite des Denkmals, dessen Beschaffenheit so erstaunlich war, daß es nicht nur an jenen erinnerte, für den es geschaffen worden war, sondern auch Bewunderung angesichts der Geschicklichkeit der Meister hervorrief. Zwecks Vervollkommnung jenes Werks traf der fünfte Spezialist mit Namen Ytheron ein: er schuf die Spitze des Grabes, die er vierzig Stufen höher als das setzte, was die anderen gemacht hatten. Schließlich traf ein sechster Meister namens Pithis ein, der aus Marmor einen Wagen meißelte und ihn auf die Spitze des Bauwerks setzte.
Dieses Werk war so wunderbar, daß man es als eines der sieben Weltwunder betrachtete, und da es für den König Mausolos errichtet worden war, wurde das Denk mal nach ihm »Mausoleum« genannt. Weil es aber außerdem das gewaltigste aller jemals für einen König oder Fürsten errichteten Grabmäler war, wurden von da an, so berichtet Boccaccio, alle anderen Grabstätten für Könige oder Fürsten Mausoleen genannt. Auf diese Weise manifestierte sich die unerschütterliche Liebe der Artemisia, die zeit ihres Lebens dauerte, in ihrem Verhalten und in wundersamen Taten.
HIER WIRD VON ARGEIA[1] DER TOCHTER
DES KÖNIGS ADRASTOS, ERZÄHLT
XVII.
Wer wagt es, angesichts der unvorstellbar großen Liebe, die Argeia, Tochter des Königs Adrastos von Argos, für Polyneikes empfand und bewies, wer wagt es angesichts dieser Frau zu behaupten, eine Frau liebe ihren Mann nur wenig? Jener Polyneikes, Argeias Gemahl, kämpfte mit seinem Bruder Eteokles um die Herrschaft über das Königreich Theben, die ihm aufgrund bestimmter Abmachungen zwischen ihnen zustand. Da Eteokles jedoch das Königreich an sich reißen wollte, führte sein Bruder Polyneikes Krieg gegen ihn und wurde dabei von seinem Herrn, dem König Adrastos, voll unterstützt. Das Schicksal war aber Polyneikes so ungünstig gesonnen, daß er und sein Bruder sich gegenseitig in der Schlacht töteten; vom gesamten Heer blieb nur der König Adrastos und ein Drittel seiner Gefolgsleute am Leben.
Als nun Argeia erfuhr, ihr Mann sei in der Schlacht ums Leben gekommen, da brach sie gemeinsam mit allen anderen Frauen der Stadt Argos auf und verließ ihre königliche Bleibe. Ihre Taten schildert Boccaccio folgendermaßen: Die edle Argeia hörte, der unbestattete Leichnam ihres Gemahls Polyneikes liege inmitten der Leichen und der verwesenden Körper einfacher Leute, die dort den Tod gefunden hatten. Voller Schmerz legte sie sogleich ihr königliches Gewand und ihren Schmuck ab und verzichtete auf die süße Bequemlichkeit des Lebens in ihren reich geschmückten Gemächern. Zugleich überwanden und besiegten ihr starker Wille und ihre brennende Liebe die weibliche Schwäche und Zaghaftigkeit. Sie legte auf ihren Tagesmärschen so große Entfernungen zurück, daß sie schon bald an den Platz des Kampfes gelangte; auf dem Wege dahin hatte sie sich weder durch die Nachstellungen hinterhältiger Feinde schrecken lassen, noch hatten sie die Länge der Wegstrecke und die heiße Witterung erschöpft. Und als sie auf dem Schlachtfeld angekommen war, fürchtete sie sich weder vor dem wilden Getier noch vor den großen Vögeln, die gewöhnlich die Leichen heimsuchen, und ebensowenig vor den bösen Geistern, die, wie einige Dummköpfe behaupten, die Leichname umflattern. Aber noch erstaunlicher ist, so sagt Boccaccio, daß sie nicht im geringsten Kreons Erlaß und Anordnung fürchtete; diese besagten, daß unter Androhung der Todesstrafe es niemandem, wer auch immer er sein möge, erlaubt sei, sich den Leichen zu nähern und sie zu bestatten. Aber schließlich war sie ja nicht dorthin gezogen, um diese Anordnung zu befolgen! Sobald sie also angekommen war (es wurde gerade dunkel), scherte sie sich nicht um die große Furcht, die die verwesenden Leichen verursachten; vielmehr begann sie, bewogen von einem ebenso brennenden wie schmerzvollen Willen, mit den Füßen bald diesen, bald jenen Leichnam beiseite zu schieben. Überall suchte sie nach dem geliebten Mann.
Dies währte so lange, bis sie im Licht der kleinen Fackel, die sie in die Höhe hielt, ihren über die Maßen geliebten Mann wiedererkannte und somit das Gesuchte gefunden hatte. Boccaccio kommentiert dies mit den Worten: >Wie erstaunlich ist doch die Liebe, die gewaltige Willenskraft und die Treue dieser Frau!< Jene liebte nämlich ihren Mann so sehr, daß sie sein Gesicht wiedererkannte, obgleich es vom Rost der Waffen halb zerfressen, voller Fäulnis, über und über blutverschmiert, schmutzig, von Dreck bedeckt und befleckt, leichenblaß und geschwärzt zugleich und so gut wie nicht mehr zu identifizieren war. Weder die Fäulnis des Körpers noch das dreckverklebte Gesicht vermochten sie daran zu hindern, ihn mit Inbrunst zu küssen und zu umfangen; und weder der Erlaß noch das Gebot des Königs Kreon hielten sie davon ab, mit lauter Stimme zu schreien: >Ach, ich Unglückselige! Gefunden habe ich den, den ich einst liebte!< und ihn heftig zu beweinen. Nachdem sie durch wiederholtes Küssen auf den Mund zu ergründen versucht hatte, ob in ihrem Mann noch ein Funke Leben sei, nachdem sie mit ihren Tränen seine bereits stinkenden Glieder gewaschen und ihn dabei häufig, unter lautem Klagen, Weinen und Seufzen, angerufen hatte, da schließlich erwies sie ihm den letzten und traurigen Liebesdienst: laut klagend verbrannte sie ihn und bewahrte seine Asche sorgfältig in einem goldenen Gefäß auf. Um ihren Mann zu rächen, fürchtete sie sich danach nicht vor dem Tod, sondern es gelang ihr, gemeinsam mit den anderen Frauen, die sehr zahlreich waren, die Mauern der Stadt zu überwinden. Daraufhin eroberten sie die Stadt und töteten alle Bewohner.
VON DER EDLEN AGRIPPINA[1]
XVIII.
In diese Reihe der adligen Frauen, die ihre Ehemänner sehr liebten, gehört gleichfalls Agrippina, die Tochter des Marcus Agrippa und der Julia, der Tochter des Kaisers Octavian, des Herrschers über den gesamten Erdkreis. Da jene vortreffliche Frau mit Germanicus, einem Fürsten von sehr edler Abstammung und hervorragenden Sitten, einem weisen Verwalter des römischen Gemeinwohls, verheiratet wurde, packte Tiberius, den damaligen Kaiser, einen Menschen niedriger Gesinnung, ein derartiger Neid angesichts des Lobs, mit dem man Germanicus, den Mann jener Agrippina, bedachte und angesichts dessen Beliebtheit, daß er ihm nachstellen und ihn umbringen ließ. Germanicus< Tod stürzte Agrippina in eine solche Verzweiflung, daß sie verlangte, ebenfalls getötet zu werden. Und alles in ihrem Verhalten zielte darauf ab: sie beschimpfte Tiberius ohne Unterlaß, woraufhin dieser sie schlagen, grausam foltern und gefangenhalten ließ. Da jene jedoch wegen der Trauer um ihren Mann, den sie nicht vergessen konnte, den Tod dem Leben vorzog, faßte sie den Entschluß, nie mehr etwas zu trinken oder zu essen. Als aber der Tyrann Tiberius von dieser Entscheidung hörte, da wollte er sie, um ihre Qualen zu verlängern, mit Gewalt zur Nahrungsaufnahme nötigen. Doch war jede Anstrengung umsonst, weshalb er schließlich darauf verfiel, sie zum Verzehr von Fleisch zu zwingen. Sie aber zeigte ihm, daß es zwar in seiner Macht stand, Menschen zu töten, nicht jedoch, sie am Sterben zu hindern, und bereitete ihrem Leben ein Ende, wie es ihre Absicht gewesen war.«
CHRISTINE ERGREIFT DAS WORT; FRAU RECHTSCHAFFENHEIT ANTWORTET IHR DANN, INDEM SIE BEISPIELE LIEFERT UND ERZÄHLT VON DER EDLEN JULIA[1] DER TOCHTER DES JULIUS CÄSAR UND DER FRAU DES HERRSCHERS POMPEIUS.
XIX.
Nachdem Frau Rechtschaffenheit mir diese Dinge erzählt hatte, antwortete ich ihr mit den folgenden Worten: »Hohe Frau, es ist ohne Zweifel eine große Ehre für das weibliche Geschlecht, die Geschicke so vieler herausragender Frauengestalten erzählt zu bekommen. Für alle ist es in höchstem Maße erfreulich zu erfahren, von wie tiefer Liebe — neben anderen Tugenden — das Herz einer verheirateten Frau beseelt sein kann. Sich schlafen zu legen und den Mund zu halten: das ist alles, was Matheolus und all den anderen Lästermäulern, die so mißgünstig und so verlogen gegen die Frauen argumentiert haben, noch zu tun bleibt! Hohe Frau, ich erinnere mich jedoch auch daran, daß der Philosoph Theophrast, von dem ich weiter oben gesprochen habe, behauptet, die Frauen haßten ihre Ehemänner, wenn diese vorgerückten Alters seien; außerdem liebten sie weder Wissenschaftler noch Gelehrte. Er verbreitet nämlich, das Studium der Bücher sei unvereinbar mit der Aufmerksamkeit, die man den Frauen im ehelichen Zusammenleben widmen müßte.« Antwort: »Ah, schweig still, teure Freundin, ich habe sofort Gegenbeispiele parat, mit deren Hilfe wir sie mühelos widerlegen können!
In ihrer Zeit war Julia, die Tochter des späteren Herrschers Julius Cäsar und seiner Frau Cornelia, der Nachfahrin des Aeneas und der Venus von Troja, die erste unter den Römerinnen. Sie war die Frau des großen Eroberers Pompeius. Dieser, so Boccaccio, hatte manche Könige besiegt, indem er sie entmachtete und andere einsetzte, hatte ganze Länder unterworfen und den Übeltätern das Handwerk gelegt; er stand in der Gunst Roms und in der der Könige der ganzen Welt, weil er dank erstaunlicher Siege die Herrschaft nicht nur über Ländereien, sondern auch über das Meer und Wassergebiete errungen hatte. Er hatte den Höhepunkt seines Ruhms erreicht und war darüber alt und gebrechlich geworden. Trotzdem jedoch liebte ihn die edle Julia, seine Frau, die noch sehr jung war, so unverbrüchlich, treu und stark, daß ein unglücklicher Vorfall ihrem Leben ein Ende setzte. Es geschah nämlich eines Tages, daß seine Frömmigkeit dem Pompeius eingab, die Götter für die ihm gewährten bedeutenden Siege zu preisen, und er wollte deshalb nach der damaligen Sitte ein Opfer darbringen. Als nun das Opfertier auf dem Altar lag und der fromme Pompeius es von einer Seite festhielt, da wurde sein Gewand von dem Blut aus der Wunde des Tieres beschmutzt. Er zog es deshalb aus und ließ das Kleidungsstück, das er getragen hatte, von einem seiner Diener in sein Haus bringen, um ein anderes sauberes und frisches zu verlangen.
Durch einen unglücklichen Zufall traf jener, der das erwähnte Kleidungsstück trug, auf Julia, die Frau des Pompeius. Diese wurde beim Anblick des blutbefleckten Gewandes ihres Mannes plötzlich von einem solchen Herzeleid ergriffen, daß sie nicht länger leben wollte; sie wußte nämlich nur allzu gut, wie oft es in Rom vorkam, daß gerade die Besten vom Neid verfolgt und manchmal auch ermordet wurden. Beim Anblick jenes Zeichens erfüllte sie die absolute Gewißheit, etwas ähnliches sei, aufgrund eines Unglücks, ihrem Manne widerfahren. Sie, die gerade schwanger war, fiel ohnmächtig, bleich, mit blutleerem Gesicht und verdrehten Augen zu Boden, und bevor man ihr helfen und ihr jene Angst nehmen konnte, war sie bereits verschieden. Ihr Tod muß für den Mann ein Anlaß tiefer Trauer gewesen sein, aber er gereichte nicht nur ihm und den Römern zum Nachteil, sondern der gesamten damaligen Welt: hätten sie und ihr Kind überlebt, dann hätte der gewaltige und für alle Länder schädliche Krieg, der später zwischen Julius Cäsar und Pompeius ausbrach, nie stattgefunden.
VON DER EDLEN AEMILIA TERTIA[1]
XX.
Auch die schöne und gute Aemilia Tertia, die Frau des Staatsmannes Scipio Africanus, haßte ihren Mann trotz seines Alters nicht. Sie war von großer Klugheit und Tugend. Obgleich ihr Mann schon alt und sie noch jung und schön war, schlief er mit einer ihrer Dienerinnen, ihrer Zofe, und dies passierte so oft, daß es die rechtschaffene Frau schließlich merkte. Zwar schmerzte sie das sehr; aber ihre große Klugheit siegte über ihre Eifersucht, denn sie verbarg es so geschickt, daß weder ihr Mann noch irgend jemand anders jemals etwas davon erfuhr. Mit ihm wollte sie nicht darüber sprechen, da sie es für unpassend hielt, einen so bedeutenden Mann, wie er es war, zu tadeln; und noch weniger wollte sie einer anderen Person davon erzählen, hätte dies doch den Ruf und die Ehre eines so weisen Mannes beeinträchtigt, der so zahlreiche Königreiche und Imperien erobert hatte. Trotz alledem hörte die gute Frau nicht auf, ihm getreulich zu dienen, ihn zu lieben und in Ehren zu halten. Nach seinem Tod schenkte sie der anderen Frau die Freiheit und verheiratete sie mit einem freien Mann.«
Daraufhin sprach ich, Christine: »Edle Herrin, das, was Ihr sagt, entspricht den Tatsachen, und ich erinnere mich in diesem Zusammenhang, ähnlichen Frauen begegnet zu sein. Obwohl jene Bescheid wußten darüber, daß sich ihre Männer ihnen gegenüber wenig loyal verhielten, hörten diese Frauen dennoch nicht auf, sie zu lieben und zu umsorgen. Außerdem trösteten diese Ehefrauen sogar noch jene Frauen und unterstützten sie, die von ihren Männern Kinder hatten. Ähnliches hörte ich zum Beispiel von einer bretonischen Edelfrau, die vor einiger Zeit lebte, der Gräfin von Coemen, die in der Blüte ihrer Jugend stand und alle anderen Frauen an Schönheit übertraf. Sie handelte so aufgrund ihrer außerordentlichen Beständigkeit und Güte.«
HIER IST VON XANTHIPPE[1]
DER FRAU DES PHILOSOPHEN SOKRATES, DIE REDE.
XXI.
Die ungemein edelmütige Xanthippe war von großer Klugheit und Güte und die Frau des großen Philosophen Sokrates. Obgleich dieser schon betagt war und sich mehr dafür interessierte, Bücher aufzutreiben und über diesen zu meditieren als dafür, seiner Frau hübsche, ausgefallene Dinge zu erstehen, war seine gutherzige Frau ihm in unverbrüchlicher Liebe zugetan und bewunderte, liebte und verehrte ihn aufgrund seines überlegenen Wissens, seiner großen Tugend und seiner Charakterfestigkeit sehr. Als nun jene rechtschaffene Frau erfuhr, ihr Mann sei von den Athenern zum Tode verurteilt worden, weil er deren Götterverehrung getadelt und gesagt hatte, es gäbe nur einen einzigen Gott, den man anbeten und verehren solle, da wollte sich die edle Frau mit diesem Urteil nicht abfinden. Mit aufgelöstem Haar und laut klagend brach sie deshalb eilig zu dem Gebäude auf, in dem ihr Mann weilte und wo sie ihn inmitten der falschen Richter antraf, die ihm bereits den giftigen Trank zwecks Verkürzung seines Lebens kredenzt hatten. Sie kam genau in jenem Augenblick an, als Sokrates den Kelch an seinen Mund setzen wollte, um das Gift zu trinken. Da stürzte sie sich auf ihn, riß ihm in unbändigem Zorn den Kelch aus der Hand und verschüttete dessen ganzen Inhalt auf dem Boden. Sokrates tadelte sie deswegen, ermahnte sie zur Geduld und sprach ihr gut zu. Weil nun jene seinen Tod nicht zu verhindern vermochte, brach sie in herzzerreißende Klagen aus und sprach: >Ach, welch ein Jammer, welch gewaltiges Unglück ist es, einen so gerechten Mann auf der Grundlage eines völlig unrechtmäßigen Urteils zu töten!< Sokrates wurde nicht müde, sie zu trösten und sagte, es sei besser, er sterbe unschuldig, als wenn sein Tod auf einem gerechten Urteil basiere. Auf diese Weise schied er aus dem Leben. Im Herzen jener Frau, die ihn liebte, währte der Schmerz darüber ein ganzes Leben lang.
VON POMPEIA PAULINA[1] DER FRAU DES SENECA
XXII.
Obgleich der weise Philosoph Seneca schon alt war und nichts anderes mehr im Sinn hatte als seine Arbeit, wurde er doch von seiner jungen und schönen Frau namens Pompeia Paulina sehr geliebt. Der ganze Sinn jener edlen Frau war darauf gerichtet, ihrem Mann zur Seite zu stehen und alle Störungen von ihm fernzuhalten; sie war ihm in großer Treue und Zuneigung verbunden.
Als sie erfuhr, der tyrannische Kaiser Nero, dessen Lehrer Seneca gewesen war, habe diesen dazu verurteilt, im Bade zu verbluten, verlor sie beinahe den Verstand vor Schmerz. Um gemeinsam mit ihrem Mann zu sterben, schickte sie sich an, dem Tyrannen Nero üble Beschimpfungen zuzurufen, um ihn dazu zu bewegen, seine Grausamkeit auch auf sie auszudehnen. Als jedoch dies alles nichts fruchtete, empfand sie so großen Schmerz angesichts des Todes ihres Mannes, daß sie selbst kurze Zeit später ebenfalls starb.«
Daraufhin sagte ich, Christine, zu der edlen Frau, die solches erzählte: »Hohe Frau, Eure Worte haben mich an zahlreiche andere schöne, junge Frauen denken lassen, die ihren Ehemännern in vollkommener Liebe zugetan waren, obwohl diese sehr alt und häßlich waren. In meinem eigenen Leben kannte ich ebenfalls eine Frau, die ihren Mann sehr liebte und ihm zeit seines Lebens eine unerschütterliche Zuneigung bezeugte. Diese Adlige, die Tochter eines mächtigen bretonischen Barons[2] wurde mit dem überaus tapferen Konnetabel von Frankreich, Herrn Bertrand Du Guesclin, verheiratet. Obwohl dieser körperlich nicht sehr anziehend und zudem schon recht betagt war, während jene edle Frau noch in der Blüte ihrer Jugend stand, gab sie doch mehr auf seine charakterliche Vollkommenheit denn auf sein Aussehen und liebte ihn von Herzen — so sehr, daß sie später zeit ihres Lebens seinen Tod beklagte. Von vielen anderen ähnlichen Fällen könnte ich erzählen, verzichte jedoch aus Zeitgründen darauf.« Antwort: »Ich glaube dir aufs Wort und will dir nun noch mehr über Frauen, die ihre Ehemänner liebten, erzählen.
VON DER EDLEN SULPICIA[1]
XXIII.
Sulpicia war die Frau des römischen Adligen Lentulus Cruscelio, den sie, wie dem folgenden zu entnehmen sein wird, über alle Maßen liebte. Als dieser nämlich wegen gewisser Dinge, die man ihm anlastete, von den römischen Richtern mit Schimpf und Schande des Landes verwiesen wurde, auf daß er im Exil jämmerlich sein Leben friste, zog es die äußerst gutherzige Sulpicia vor, ihrem Mann in die Armut und ins Exil zu folgen, statt allein zurückzubleiben und im Überfluß zu leben; sie tat dies, obgleich sie in Rom über große Reichtümer verfügte und also unbehelligt, in Bequemlichkeit und Wohlstand, hätte weiterleben können. Stattdessen verzichtete sie auf ihr gesamtes Erbe, ihren Besitz und ihre Heimat. Einige Mühe kostete es sie, sich von ihrer Mutter und ihren Verwandten davonzustehlen, denn diese bewachten sie aus eben diesem Grunde sehr sorgfältig; schließlich machte sie sich verkleidet auf den Weg zu ihrem Mann.«
Christine sagte: »Edle Frau, Eure Worte lassen mich an Frauen aus meiner eigenen Zeit denken, die ich in ähnlichen Situationen erlebt habe. Ich kannte Frauen, deren Männer leprakrank wurden und die deshalb von ihren Mitmenschen isoliert und auf eine Lepra-Station gebracht werden mußten. Ihre rechtschaffenen Frauen jedoch wollten sie um nichts auf der Welt allein lassen und lieber mit ihnen ziehen, um ihnen in der Krankheit beizustehen und ihnen die bei der Eheschließung gelobte Treue zu halten, als ohne ihre Männer in aller Bequemlichkeit in ihren Häusern weiterzuleben. Und wenn mich nicht alles täuscht, so kenne ich heute eine junge, gutherzige und schöne Frau, deren Mann unter dem schweren Verdacht steht, diese Krankheit zu haben. Da jedoch ihre Eltern unablässig auf sie einwirken, sie möge ihn verlassen, um mit ihnen zu leben, antwortet sie ihnen, sie werde ihn keinen Tag seines Lebens allein lassen. Für den Fall, daß sie ihn untersuchen 1 assen sollten und es sich herausstelle, er sei von jener Krankheit befallen und deshalb gezwungen, jede menschliche Gemeinschaft zu meiden, werde sie auf jeden Fall mit ihm ziehen. Aus diesem Grunde verzichten ihre Eltern darauf, ihn untersuchen zu lassen.
Ähnlich verhält es sich mit anderen Frauen aus meinem Bekanntenkreis (da es ihnen mißfallen könnte, verzichte ich darauf, sie zu nennen), die so perverse Männer mit so ausschweifendem Lebenswandel
haben, daß die Verwandten der Frauen diesen Männern den Tod wünschen und alles unternehmen, um die Frauen zu sich zu holen und sie von ihren üblen Ehemännern zu entfernen. Die Frauen jedoch ziehen es vor, häufig geschlagen und schlecht versorgt zu werden und mit ihren Männern in großer Armut und Unterwürfigkeit zu leben, statt sie zu verlassen. Zu ihren Freunden sagen sie: >Ihr habt ihn mir gegeben, und so werde ich mit ihm leben und sterben.< Dies alles sind Dinge, die man jeden Tag sieht, nur beachtet sie niemand.«
HIER IST VON EINER GRUPPE FRAUEN DIE REDE,
DIE IHRE MÄNNER VOR DEM TODE RETTETEN.
XXIV.
Ich will dir nun noch von einer Gruppe von Frauen, die ähnlich wie die oben genannten ihre Männer sehr liebten, erzählen. Nachdem Jason auf Colchos gewesen war, um das Goldene Vlies zu erringen, geschah es, daß einige der ihn begleitenden Ritter, die jus Orchomenos in Griechenland stammten, ihr Land und ihre Heimatstadt verließen, um in eine andere griechische Stadt namens Lakedämon zu ziehen. Aufgrund ihres alten Adels und ihrer Reichtümer wurden sie mit großen Ehren empfangen, und sie verheirateten sich dort mit hochgeborenen Töchtern der Stadt. Mit der Zeit wurden sie so reich, nahmen einen so hohen Rang ein und wurden so hochmütig, daß sie den Plan hißten, eine Verschwörung gegen den Herrscher der Stadt anzuzetteln, u m selbst die Herrschaft an sich zu reißen. Ihr Komplott wurde jedoch aufgedeckt; alle landeten im Gefängnis und wurden zum Tode verurteilt. Ihre Frauen jammerte dies sehr, und sie kamen zusammen — scheinbar, um gemeinsam zu klagen, in Wirklichkeit jedoch, um zu beraten, ob sie ihre Männer nicht auf irgendeinem Wege befreien könnten.
Zu guter Letzt entschlossen sich alle, bei Dunkelheit ärmliche Kleidung anzulegen und, um nicht erkannt zu werden, ihre Häupter unter einer losen Kapuze zu verbergen. In dieser Verkleidung gingen sie zum Gefängnis und setzten den Wächtern mit ihren Tränen, mit Versprechungen und mit Geschenken so lange zu, bis diese ihnen erlaubten, ihre Ehemänner zu besuchen. Dort angelangt, steckten die Frauen ihre Männer in ihre Kleidung und zogen selbst die Kleidungsstücke der Männer an. Dann brachten sie sie nach draußen, und die Gefängniswärter meinten, es handle sich um die zurückkehrenden Frauen. Am Tage ihrer Hinrichtung führten die Henker sie zu ihrer Leidensstätte, und als herauskam, daß man es mit Frauen zu tun hatte, war alle Welt voller Bewunderung und voll des Lobes für ihr kluges Verhalten. Daraufhin verspürten die Bewohner der Stadt Mitleid mit ihren eigenen Abkömmlingen, und keine einzige von ihnen mußte sterben: auf diese Weise retteten diese beherzten Frauen ihre Ehemänner vor dem Tode.«
CHRISTINE BEKLAGT SICH BEI FRAU RECHTSCHAFFENHEIT ÜBER MÄNNER,
DIE BEHAUPTEN, FRAUEN KÖNNTEN KEINE GEHEIMNISSE WAHREN.
IN DER ANTWORT, DIE SIE DARAUFHIN ERHÄLT,
WIRD AUF CATOS TOCHTER PORCIA[1] VERWIESEN.
XXV.
Hohe Frau, jetzt weiß ich mit absoluter Sicherheit — allerdings ahnte ich das bereits vorher — daß die Liebe und das Vertrauen zahlreicher Frauen in ihre Männer zu allen Zeiten sehr groß gewesen sind. Um so mehr jedoch überrascht mich eine üble Unterstellung, die unter Männern ziemlich verbreitet ist (selbst der große Meister Jean de Meun behauptet dies steif und fest in seinem Rosenroman, und andere Schriftsteller folgen ihm darin): kein Mann solle seiner Frau ein Geheimnis anvertrauen, denn Frauen könnten nichts für sich behalten.« Antwort: »Liebe Freundin, du weißt selbst, daß weder alle Frauen noch alle Männer mit Klugheit gesegnet sind. Wenn also nun ein Mann ein Geheimnis hat, dann muß er sich eben darüber im klaren sein, welches Maß an Klugheit und Güte seine Frau besitzt, bevor er ihr ein Geheimnis anvertraut, denn sonst kann es gefährlich werden. Wenn jedoch ein Mann der Überzeugung ist, eine gutherzige, kluge und verschwiegene Frau zu haben, dann gibt es keine Person auf der ganzen Welt, der er mehr vertrauen und von der er mehr Trost empfangen könnte.
Der römische Edelmann Brutus, der Gatte der Porcia, war vor vielen Jahren keineswegs der Meinung, Frauen, und vor allem solche, die ihren Mann lieben, seien so unzuverlässig, wie es jene Männer glauben machen wollen. Jene edle Porcia war die Tochter des Cato Uticensis, eines Urenkels des großen Cato. Ihr eben erwähnter Ehemann, der um ihre große Klugheit und ihren lauteren Charakter wußte, weihte sie in den Plan ein, den er gemeinsam mit Cassius, einem anderen römischen Ehrenmann, gefaßt hatte, Julius Cäsar während einer Ratssitzung zu ermorden. Die kluge Frau, die das daraus erwachsende Unheil voraussah, riet ihm mit aller Macht davon ab und tadelte ihn deswegen. Diese Angelegenheit bereitete ihr soviel Sorge und Verdruß, daß sie die ganze Nacht nicht schlafen konnte. Am nächsten Morgen, als Brutus sein Zimmer verließ, um sein trauriges Geschäft zu erledigen, ergriff seine Frau, die ihn um jeden Preis davon abbringen wollte, das Rasiermesser eines Barbiers, scheinbar in der Absicht, sich die Nägel zu schneiden. Dabei ließ sie es fallen, tat so, als wolle sie es wieder aufheben und schnitt sich dabei absichtlich in die Hand. Ihre Dienerinnen, die sie verletzt sahen, brachen daraufhin in so großes Geschrei aus, daß Brutus zurückkehrte. Als er ihre Wunde sah, schalt er sie und sagte ihr, es sei nicht ihre, sondern die Aufgabe des Barbiers, mit einem Rasiermesser herumzuhantieren. Daraufhin entgegnete sie ihm, sie handele nicht ganz so töricht, wie er glaube, habe sie es doch in der Absicht getan, auszuprobieren, auf welche Weise sie sich umbringen könne, falls sein Unternehmen fehlschlage. Jener ließ sich jedoch nicht von seinem Vorhaben abbringen, brach auf und tötete kurz darauf, gemeinsam mit Cassius, Julius Cäsar. Sie wurden beide aus diesem Grunde vertrieben, und obwohl Brutus Rom verlassen hatte, wurde er später ermordet. Als jedoch seine edelmütige Frau Porcia von seinem Tod erfuhr, war ihr Schmerz so groß, daß sie auf jegliche Freude verzichtete und am Leben nicht mehr teilhatte. Da man alle Messer und anderen Gegenstände, mit denen man sich töten kann, aus ihrer Nähe entfernt hatte (denn man ahnte, was sie beabsichtigte), ging sie zur Feuerstelle, entnahm dieser glühende Kohlen und verschlang sie: auf diese Weise verbrannte sie und brachte ihr Leben zum Erlöschen. So also, durch die merkwürdigste aller Todesarten, starb die edle Porcia.
ZUM GLEICHEN THEMA WIRD DAS BEISPIEL DER EDLEN TURIA[1] ANGEFÜHRT.
XXVI.
Ich werde dir in diesem Zusammenhang ein weiteres Argument gegen alle diejenigen an die Hand geben, die behaupten, Frauen könnten keine Geheimnisse wahren; zugleich gehört es in die Reihe der Beispiele für die außerordentliche Liebe, die viele Frauen ihren Männern entgegenbringen. Die edle Römerin Turia bewies im Umgang mit ihrem Mann Quintus Lucretius bewundernswert viel Vertrauen, Beständigkeit, Klugheit und aufrichtige Liebe. Als nämlich ihr Mann mit einigen Gleichgesinnten wegen eines ihnen zur Last gelegten Verbrechens zum Tode verurteilt wurde und sie Wind davon bekamen, man suche sie zwecks Vollstreckung der Strafe, fügte es sich so günstig, daß ihnen Zeit zur Flucht blieb. Da sie jedoch große Angst davor hatten, gefunden zu werden, versteckten sie sich in den Höhlen wilder Tiere, und selbst dort wagten sie sich kaum zu regen.
Lucretius aber, der den guten Rat seiner klugen Frau befolgte, verließ sein Zimmer nie. Und als die Häscher dorthin kamen, da hielt sie ihn in ihrem Bett im Arm, versteckte ihn aber so geschickt, daß man ihn überhaupt nicht bemerkte. Sie verstand es zudem, ihn im Innern ihres Gemachs so gut zu verbergen, daß noch nicht einmal ihre Hausgemeinschaft etwas davon erfuhr. Mit Hilfe der folgenden List gelang es ihr, diesen Tatbestand geheimzuhalten: in ärmlicher Kleidung, mit aufgelöstem Haar, weinend und mit Gesten der Verzweiflung lief sie, einer Wahnsinnigen gleich, durch die Straßen, zeigte sich in Kirchen und Klöstern. Überall stellte sie Nachforschungen über den Verbleib und das Schicksal ihres Mannes an: denn wo immer er auch sein möge, sie wolle mit ihm gehen und mit ihm das Exil und all sein Elend teilen. Auf diese Weise verstand sie es, sich dermaßen geschickt zu verstellen, daß niemand auch nur den leisesten Verdacht schöpfte. So rettete sie ihn und spendete ihrem Mann, der voller Furcht war, Trost. Um es kurz zu machen: es gelang ihr, ihn vor dem Tod und dem Exil zu bewahren.
IMMER NOCH ZUM GLEICHEN THEMA
XXVII.
Im Zusammenhang unseres Versuchs, Beweismaterial gegen diejenigen zu sammeln, die behaupten, Frauen könnten keine Geheimnisse wahren, könnte ich dir unendlich viele andere Beispiele nennen, will es aber mit einem einzigen, das ich dir nun noch schildere, bewenden lassen.
In der Zeit, als der große Kaiser Nero über Rom herrschte, gab es einige Männer, die angesichts der furchtbaren Gewalttaten und Grausamkeiten jenes Nero meinten, seine Ermordung wäre eine über die Maßen nützliche Wohltat. Aus diesem Grunde zettelten sie eine Verschwörung gegen ihn an und beschlossen seinen Tod. Jene Verschwörer pflegten sich bei einer Frau zu treffen, der sie so sehr vertrauten, daß sie nicht umhin konnten, dieser ihr Vorhaben zu enthüllen. Eines Abends, als sie beschlossen hatten, ihr Unternehmen am nächsten Tag auszuführen, aßen sie bei eben dieser Frau und waren nicht klug genug, ihre Zunge zu hüten. So kam es, daß sie unglücklicherweise von jemandem belauscht wurden, der dem Kaiser schmeicheln und dessen Gunst erringen wollte und der deshalb sogleich aufbrach, um diesem das Gehörte mitzuteilen. Darum standen, kurz nachdem die Verschwörer die Frau verlassen hatten, die Schergen des Kaisers vor ihrer Tür. Da sie die Männer nicht fanden, führten sie die Frau dem Kaiser vor, der diese lange verhörte. Jedoch schaffte er es weder durch süße Versprechungen noch durch Folter, die er ihr nicht ersparte, ihr die Namen der Verschwörer oder irgendeine andere Information zu entreißen, weswegen die erstaunliche Standhaftigkeit und Verschwiegenheit jener Frau gerühmt wurde.«
BEWEISMATERIAL GEGEN DIEJENIGEN, DIE BEHAUPTEN,
EIN MANN, DER DEM RAT SEINER FRAU FOLGE
UND DIESER VERTRAUEN SCHENKE, SEI ZU VERACHTEN.
CHRISTINE STELLT EINE FRAGE, UND FRAU RECHTSCHAFFENHEIT ANTWORTET IHR.
XXVIII.
»Hohe Frau, nach all dem, was ich aus Eurem Mund vernehme, und angesichts der Vernunft und der Güte, die Frauen eigen sind, wundert es mich, daß so viele sagen, Männer, die auf den Rat ihrer Frauen hörten, seien die allergrößten Dummköpfe.«
Antwort: »Daß keineswegs alle Frauen mit Klugheit gesegnet sind, habe ich dir bereits gesagt; die Männer jedoch, die gutherzige und umsichtige Frauen besitzen, handeln töricht, wenn sie deren Rat in den Wind schlagen. Dies kannst du dem zuvor Gesagten entnehmen: denn hätte Brutus seiner Frau Porcia Glauben geschenkt und Julius Cäsar nicht ermordet, so hätte er selbst nicht das Leben verloren und all das Verhängnisvolle, was daraus folgte, wäre nicht geschehen. Und da wir nun einmal bei diesem Thema sind, möchte ich dir von einigen Männern erzählen, denen es gleichfalls zum Nachteil gereichte, nicht auf ihre Frau gehört zu haben. Außerdem werde ich dir danach von solchen Männern berichten, die großen Vorteil daraus zogen. Hätte Julius Cäsar, von dem wir bereits sprachen, seiner äußerst klugen und guten Frau Glauben geschenkt und wäre er nicht zum Staatsrat gegangen, so hätte man ihn nicht ermordet; seine Frau hatte, aufgrund mehrerer ihr offenbarten Zeichen, die den Tod ihres Mannes bedeuteten, und aufgrund des schlimmen Traums gleichen Inhalts in der Nacht zuvor, mit allen Mitteln versucht, ihn daran zu hindern, an jenem Tag in die Ratssitzung zu gehen.
Ähnliches gilt für Pompeius, der, wie ich dir zuvor berichtet habe, mit Julia, der Tochter des Julius Cäsar, verheiratet war und in zweiter Ehe mit einer anderen Frau sehr edler Abstammung namens Cornelia.[1] Um auf unser Thema zurückzukommen: jene liebte ihn so sehr, daß sie auch im Unglück, das ihm zustieß, nicht von seiner Seite weichen wollte. Sie blieb sogar dann bei ihm und in allen gefährlichen Situationen an seiner Seite, als er sich, nachdem Julius Cäsar ihn in einer Schlacht besiegt hatte, gezwungen sah, über das Meer zu entkommen. Er gelangte ins Königreich Ägypten, wo der dortige König Ptolomäus in seiner Falschheit so tat, als sei er über die Ankunft des Pompeius erfreut und ihm seine Leute entgegenschickte, scheinbar, um ihn in Freuden zu empfangen; in Wirklichkeit geschah dies jedoch in der Absicht, ihn zu ermorden. Die Leute des Königs legten ihm nahe, auf ihr Schiff zu kommen und sein eigenes Gefolge zurückzulassen, denn es sei einfacher mit ihrem leichteren Schiff den Hafen zu erreichen. Als er sich aber anschickte, das fremde Schiff zu betreten, riet ihm seine kluge und rechtschaffene Frau Cornelia davon ab, dies zu tun und sich von seiner Gefolgschaft zu trennen. Dann erkannte sie, daß er nicht davon abzubringen war und wollte ihn, da ihr Böses schwante, um jeden Preis auf das Schiff begleiten; dies wiederum wollte er nicht gestatten und ließ sie beinahe mit Gewalt festhalten. In eben diesem Augenblick begann nun das Leid jener hochherzigen Frau, das sie von da an ihr ganzes Leben lang nie mehr verlassen sollte: denn kurz nachdem er sie verlassen hatte, sah sie, die ihre Augen nicht von ihm abwenden konnte und ihm mit ihren Blicken folgte, wie er auf dem Schiff von den Verrätern ermordet wurde. Wäre sie nicht mit Gewalt daran gehindert worden, sie hätte sich aus Schmerz darüber ins Meer gestürzt.
Ein ähnliches Unglück traf den tapferen Hektor von Troja. In der Nacht vor seinem Tod hatte seine Frau Andromache einen überaus wunderbaren Traum des Inhalts, Hektor werde mit Sicherheit sterben, falls er am nächsten Tag an der Schlacht teilnähme. Kein trügerischer Traum war dies, sondern eine wirkliche Prophezeiung, und dies erschreckte die edle Frau so sehr, daß sie vor ihrem Mann niederkniete, ihm seine beiden Wohlgestalten Kinder in den Arm legen ließ und ihn mit gefalteten Händen anflehte, er möge doch darauf verzichten, an jenem Tag in die Schlacht zu ziehen. Er jedoch wollte um keinen Preis von seinem Vorhaben abrücken und schlug ihre Worte in den Wind, war er doch der Meinung, es müsse ihm zum Nachteil gereichen, wenn er sich aufgrund des Rates und der Rede einer Frau davon abhalten ließe, in die Schlacht zu ziehen; ohne Wirkung blieben auch die Bitten seines Vaters und seiner Mutter, die seine Frau herbeiholen ließ. Alles traf jedoch genauso ein, wie sie es vorausgesagt hatte: er wurde von Achilles getötet; es wäre folglich besser für ihn gewesen, wenn er ihren Rat befolgt hätte.
Ich könnte dir noch unzählige weitere Fälle von Männern anführen, denen es in vielerlei Hinsicht geschadet hat, nicht den Rat ihrer klugen und vortrefflichen Frauen befolgt zu haben. Wenn allerdings jenen, die diesen Rat in den Wind schlagen, Schaden daraus erwächst, dann braucht man sie auch nicht zu bemitleiden.
HIER IST VON EINIGEN MÄNNERN DIE REDE,
DIE ZU IHREM EIGENEN VORTEIL DEN RAT
IHRER FRAUEN BEFOLGTEN.
XXIX.
Nun will ich dir von einigen Männern erzählen, die zu ihrem eigenen Vorteil den Rat ihrer Frauen befolgten. Die folgenden wenigen Beispiele mögen dir als Beweismaterial genügen; es ließen sich jedoch noch so viele anführen, daß das Verfahren überhaupt kein Ende nähme. Im übrigen gilt in diesem Zusammenhang all das, was ich zuvor von zahlreichen klugen und hochherzigen Frauen gesagt habe.
Der Kaiser Justinian, von dem ich weiter oben sprach, hatte einen General und Kampfgefährten, den er liebte wie sich selbst. Belisarios hieß er und war ein sehr tapferer Ritter. Der Kaiser hatte ihn zum obersten Führer über seine Reiterschaft gemacht; er gab ihm einen Platz an seiner Tafel und ließ ihm die gleiche Bedienung wie sich selbst zukommen. Kurz und gut, er erwies ihm so zahlreiche Gunstbeweise, daß die übrigen Barone sehr eifersüchtig wurden und sie dem Kaiser einflüsterten, Belisarios trachte ihm nach dem Leben, um die Herrschaft an sich zu reißen. Der Kaiser glaubte dies ohne weiteres, und in der geheimen Absicht, ihn in den Tod zu schicken, befahl er ihm, gegen das Volk der Vandalen in den Krieg zu ziehen, ein Volk, das so stark war, daß niemand mit ihm fertig wurde. Als Belisarios diesen Befehl vernahm, erkannte er sehr wohl, daß der Kaiser ihn nur deshalb damit beauftragt hatte, weil er in Ungnade gefallen war. Tiefe Trauer bemächtigte sich seiner, und er war der Verzweiflung nahe, als er schließlich in sein Haus zurückkehrte.
Wie nun seine Frau Antonia[1] eine Schwester der Kaiserin, ihren Mann so bleich, nachdenklich, die Augen voller Tränen, auf dem Bett liegen sah, ergriff sie großes Mitleid, und sie beschwor ihn, ihr um jeden Preis die Ursache seines Kummers zu enthüllen. Nachdem die kluge Frau erfahren hatte, um was es sich handelte, setzte sie ihre heiterste Miene auf, tröstete ihn und sprach: >Wie! das ist Euer ganzer Kummer? Deswegen braucht Ihr wirklich nicht den Mut zu verlieren!<
Nun muß man wissen, daß in jenen Jahren der christliche Glaube ein relativ neues Phänomen war; und so sprach die edle Frau, die Christin war: >Habt Vertrauen in Jesus Christus, den Gekreuzigten: mit seiner Hilfe werdet Ihr das Euch Aufgetragene bewältigen. Und wenn Euch die Neider durch üble Nachrede zu schaden suchen, dann werdet Ihr sie durch Eure Wohltaten als Lügner entlarven und ihre Intrigen scheitern lassen. Wenn Ihr mir vertraut und meine Worte nicht mißachtet, werdet Ihr alle Eure Hoffnung in den lebendigen Gott setzen und, so versichere ich Euch, den Sieg davontragen. Hütet Euch davor, Euch den Kummer über diese Angelegenheit irgendwie anmerken zu lassen; niemals soll man Euch in trauriger Stimmung sehen, vielmehr voller Heiterkeit, wie jemand, der sehr glücklich über diese Entwicklungen ist. Des weiteren rate ich Euch, Euer Heer so schnell wie möglich zu versammeln, ohne irgend jemandem mitzuteilen, wohin Ihr zu ziehen gedenkt. Gleiches veranlaßt, damit Ihr über eine hinreichend große Flotte verfügt. Dann teilt Euer Heer in zwei Teile und fallt in aller Schnelle und Heimlichkeit in Afrika ein, um sogleich Eure Feinde anzugreifen. Ich werde meinerseits Euer restliches Heer anführen, und auf dem Seeweg werden wir von der anderen Seite in den Hafen eindringen. Während sich die Feinde nun darauf konzentrieren werden, gegen Euch zu kämpfen, brechen wir aus der anderen Richtung in die Städte und Befestigungen ein, töten alle Menschen, legen überall Feuer und rotten sie alle aus.< Belisarios befolgte den Rat seiner Frau, und er tat gut daran. Ihre Anordnungen exakt befolgend, gab er die für seinen Aufbruch notwendigen Befehle, und alles fügte sich so sehr zu seinem Vorteil, daß er seine Feinde besiegte und unterwarf und den König der Vandalen gefangennahm. So errang er mit Hilfe des Rats, der Klugheit und der Tapferkeit seiner Frau einen so bedeutenden Sieg, daß der Kaiser ihn mehr als je zuvor liebte.
Ähnliches gilt für einen anderen Fall. Durch die üble Nachrede der Neider fiel jener Belisarios beim Kaiser dermaßen in Ungnade, daß dieser ihm die Befehlsgewalt über die Reiterschaft nahm; seine Frau jedoch tröstete ihn und machte ihm Mut. Des weiteren geschah es, daß der Kaiser selbst durch eben jene Neider der Herrschaftsgewalt beraubt wurde. Wiederum folgte Belisarios dem Rat seiner Frau, und unter Aufbietung all seiner Macht gelang es ihm, den Kaiser wieder in seine Rechte einzusetzen, obwohl dieser ihm großes Unrecht zugefügt hatte. Auf diese Weise erkannte der Kaiser die Treue seines Ritters und den Verrat der anderen, und dies alles aufgrund der Klugheit und des verständigen Rats der weisen Frau.
Auch der König Alexander verachtete keineswegs den Ratschlag und die Stellungnahme seiner Frau, der Königin, die eine Tochter des persischen Königs Darius war. Als jener Alexander merkte, daß er von seinen treulosen Dienern vergiftet worden war, und sich wegen des qualvollen Schmerzes, der ihn peinigte, in einen Fluß werfen wollte, um seinem Leben ein schnelleres Ende zu bereiten, da begegnete er seiner Frau. Obgleich diese sehr traurig war, begann sie doch, ihn zu trösten und bewog ihn dazu, zurückzukehren und sich in sein Bett zu legen, um von dort aus zu seinen Baronen zu sprechen und seine Anweisungen zu geben, wie es sich für einen Herrscher seines Formats gehörte; denn es wäre seiner Ehre sehr abträglich gewesen, hätte man später behaupten können, er wäre der Unbeherrschtheit erlegen. Also schenkte er den Worten seiner Frau Glauben und gab seine Anweisungen, wie sie es ihm geraten hatte.«
CHRISTINE WEIST AUF DIE BEDEUTENDEN WOHLTATEN HIN,
DIE DER WELT ZU ALLEN ZEITEN DURCH FRAUEN ZUTEIL WURDEN.
XXX.
Edle Frau, ich sehe unzählige Wohltaten, die der Welt durch Frauen zuteil wurden — und trotzdem behaupten manche Männer, die Frau sei die Quelle allen Übels.«
Antwort: »Schöne Freundin, du kannst aus dem zuvor Vernommenen schließen, daß genau das Gegenteil dessen, was sie sagen, der Wahrheit entspricht. Niemand ist überhaupt in der Lage, die gewaltigen Wohltaten aufzuzählen, die in früheren Zeiten den Frauen zu verdanken waren und ihnen auch heute noch jeden Tag zu verdanken sind. Dies habe ich dir schon mit dem Hinweis auf die herausragenden Frauen bewiesen, die der Welt Wissenschaften und Künste schenkten, aber wenn dir dieser Hinweis auf weltliche Wohltaten, die auf Frauen zurückgehen, nicht genügt, dann werde ich dir noch von solchen geistlicher Art berichten. Oh, wie kann ein Mann je so undankbar sein und vergessen, daß ihm von einer Frau die Pforte zum Paradies geöffnet wird? Wie dir zuvor dargelegt worden ist, geschieht dies und die Menschwerdung Gottes allein durch die Jungfrau Maria; und um welche gewaltigere Wohltat kann man noch bitten? Und wer könnte die großen Wohltaten vergessen, die die Mütter ihren Söhnen und Frauen überhaupt allen Männern angedeihen lassen? Auch sollten die Männer zumindest die Wohltaten im geistlichen Bereich nicht vergessen! Werfen wir außerdem einen Blick auf die alte jüdische Religion: wenn du die Geschichte des Moses betrachtest, dem Gott die schriftlich fixierten Gesetze der Juden aushändigte, so wirst du feststellen, daß jener heilige Prophet, der in der Folgezeit so viel Gutes tat, durch eine Frau vor dem Tode bewahrt wurde; dies will ich dir nun erzählen.
Zur Zeit der jüdischen Knechtschaft unter den Königen von Ägypten erfolgte die Weissagung, ein Mann aus dem Stamme der Hebräer würde das Volk Israel aus der ägyptischen Gefangenschaft befreien. Dann geschah es, daß Moses, der edle Führer, von einer Mutter geboren wurde, die nicht wagte, ihn aufzuziehen, und die gezwungen war, ihn in ein Kästchen zu legen und den Fluß hinuntertreiben zu lassen. Da Gott, der rettet, wen er retten will, es so wollte, geschah es, daß Thermutis [1] die Tochter des Königs Pharao, sich in eben dem Augenblick am Flußufer erging, als der kleine Schrein vorüberschwamm; sie ließ ihn alsbald herausfischen, um zu sehen, was er enthielte. Als sie sah, daß es ein Kind war und noch dazu ein über alle Maßen schönes Kind, war sie hocherfreut. Sie gab es als ihr eigenes aus und brachte es zu einer Amme; und da es wunderbarerweise keine Milch von einer Frau fremden Glaubens annehmen wollte, ließ sie es von einer Hebräerin stillen und aufziehen. Jenem Moses, dem Erwählten Gottes, händigte, als er erwachsen war, unser Herr das Gesetz aus, und Moses war es auch, der die Juden aus den Händen der Ägypter befreite, der das Rote Meer durchquerte und der Anführer und Leiter der Kinder Israel war. Dank einer Frau, die ihn rettete, wurde auf diese Weise dem jüdischen Volk solch großes Glück zuteil.
ÜBER DIE HOCHHERZIGE WITWE JUDIT[1]
XXXI.
Sie hochherzige Witwe Judit rettete in der Zeit, als der zweite Nebukadnezzar Holofernes, den obersten Befehlshaber seines Reiterheeres, nach der Eroberung Ägyptens auf die Juden ansetzte, das israelitische Volk vor dem Untergang. Da jener Holofernes die Juden mit gewaltiger militärischer Macht in ihrer Stadt belagerte und sie schon so weit bezwungen hatte, daß ihre Widerstandskraft allmählich erlosch, und als man sie bereits von der Wasserversorgung abgeschnitten hatte und die Lebensmittelvorräte knapp wurden, da hatten sie kaum Hoffnung, sich noch länger halten zu können. Die Juden standen also ganz kurz davor, von dem, der sie aufs härteste bedrohte, gefangengenommen zu werden, und sie waren aus diesem Grunde zu Tode betrübt; sie beteten ohne Unterlaß und flehten Gott an, er möge doch Mitleid mit seinem Volk haben und sie vor den Händen ihrer Feinde bewahren. Gott erhörte ihre Gebete; und es hatte den Anschein, als wolle er das Menschengeschlecht durch eine Frau erretten, denn es gefiel Ihm, dem jüdischen Volk mittels einer Frau beizustehen und es so zu retten.
In jener Stadt lebte also die hochherzige und rechtschaffene Judit; sie war eine noch junge und sehr schöne Frau, aber noch mehr zeichnete sie sich durch ihren keuschen und untadeligen Lebenswandel aus. Großes Mitleid ergriff sie beim Anblick ihres Volkes, das sie in so großer Bedrängnis sah, und Tag und Nacht flehte sie Unseren Herrn an, er möge ihnen beistehen. Und da Gott, dem ihr ganzes Vertrauen gehörte, sie inspirierte, entschloß sie sich zu einer überaus kühnen Tat. Eines Nachts befahl sie sich der Obhut Unseres Herrn an, verließ in Begleitung einer Dienerin die Stadt und marschierte so lange, bis sie das Heereslager des Holofernes erreichte. Als die Wachen im Schein des Mondes sahen, wie schön sie war, führte man sie sogleich zu Holofernes, der die schöne Frau voller Freude empfing. Er hieß sie, an seiner Seite Platz zu nehmen und pries ihre Klugheit, ihre Schönheit und ihr Auftreten sehr, und je länger er sie ansah, desto heftiger entbrannte er in begehrlicher, zügelloser Liebe zu Judit. Jene aber, deren Sinn nach anderem stand, betete insgeheim ohne Unterlaß zu Gott, er möge ihr bei ihrem Vorhaben helfen.
Mit schönen Worten hatte sie Holofernes schließlich so lange hingehalten, bis sie ihren Augenblick gekommen sah. Als nämlich die dritte Nacht hereinbrach, hatte Holofernes seine Heerführer zu einem Gastmahl geladen. Er selbst hatte sehr viel getrunken und war vom Wein und vom Fleischgenuß derartig erhitzt, daß er es gar nicht mehr erwarten konnte, mit der hebräischen Frau zu schlafen und also nach ihr schickte. Sie kam, und er offenbarte ihr seine Absichten, ohne auf Widerspruch zu stoßen. Sie sagte ihm lediglich, aus Rücksicht auf ihre Ehre bitte sie ihn darum, alle seine Leute aus dem Zelt zu entfernen; er solle sich ruhig schon auf sein Lager legen, sie selbst käme gegen Mitternacht, wenn alle schliefen, ganz bestimmt zu ihm. Holofernes willigte ein, und die hochherzige Frau begann ihre Gebete, in denen sie ohne Unterlaß Gott darum bat, er möge ihrem furchtsamen weiblichen Herzen genügend Mut und Kraft geben, um ihr Volk von dem niederträchtigen Tyrannen zu befreien.
Als Judit meinte, nun müsse Holofernes fest schlafen, brach sie in aller Stille, nur von einer Dienerin begleitet, auf, lauschte am Eingang des Zeltes und hörte, daß jener in tiefem Schlaf lag. Da sprach sie: >Laß uns furchtlos hineingehen, denn der Herr ist mit uns.< Sie betrat also das Zelt, ergriff mutig das am Kopfende des Bettes hängende Schwert, zog es a us der Scheide, schwang es dann mit aller Kraft und schlug Holofernes den Kopf ab, ohne daß irgend jemand etwas gehört hätte. Sie verbarg den Kopf in ihrem Rock und lief, so schnell sie konnte, in Richtung Stadt. Ohne weitere Zwischenfälle erreichte sie endlich die Stadttore und rief: >Kommt, kommt alle her und öffnet mir, denn Gott ist auf unserer Seite!< Nachdem man sie hereingelassen hatte, war die Freude angesichts dieser Tat unvorstellbar.
Am nächsten Morgen hängten sie den Kopf an einer Zinne der Stadtmauer auf, griffen alle zu den Waffen und stürzten sich auf ihre Feinde, die, nichts Böses ahnend, noch in ihren Betten lagen. Als die Feinde dann das Zelt ihres obersten Heeresführers betraten, um ihn in aller Eile zu wecken und geschwind aus dem Bett zu holen und sie ihn tot auffanden, war ihre Bestürzung groß. Daraufhin töteten die Juden viele Feinde und nahmen alle anderen gefangen. So wurde das Volk Gottes dank der hochherzigen Judit, die deswegen für alle Zeiten in der Bibel gepriesen wird, aus den Händen des Holofernes befreit.
HIER IST VON DER KÖNIGIN ESTER[1] DIE REDE.
XXXII.
Gott beliebte es gleichfalls, sein Volk durch die edelmütige und kluge Königin Ester von dem Joch des Königs Artaxerxes zu befreien. Jener König Artaxerxes übertraf an Macht alle anderen Könige und herrschte über viele Reiche; er war Heide und hatte auch die Juden unterworfen. Als jener nun in allen Reichen nach den edelsten, schönsten und wohlerzogensten Jungfrauen Ausschau halten ließ, um diejenige, die ihm am besten gefiele, zu seiner Gemahlin zu erwählen, da wurde ihm gemeinsam mit den anderen eine Hebräerin, die edle, kluge, gutherzige, schöne und von Gott geliebte Jungfrau Ester zugeführt. Diese gefiel ihm mehr als alle anderen. Er heiratete sie und liebte sie so sehr, daß er ihr niemals einen Wunsch abschlug.
Kurze Zeit später geschah es, daß ein doppelzüngiger Schmeichler namens Haman den König so sehr gegen die Juden einzunehmen wußte, daß dieser anordnete, sie allerorts gefangenzunehmen und zu töten. Von all dem wußte die Königin Ester nichts, und hätte sie es erfahren, so hätte es sie sehr geschmerzt, ihr Volk so übel behandelt zu sehen. Ihr Onkel Mordechai jedoch, ein hochgestellter Jude, teilte es ihr mit und verlangte baldige Abhilfe von ihr, war doch der Tag nicht mehr allzu fern, an dem die Anordnung des Königs ausgeführt werden sollte. Die Königin war tiefbetrübt über das Gehörte. Sie kleidete und schmückte sich daraufhin mit aller erdenklichen Sorgfalt und begab sich in Begleitung ihrer Frauen wie zum Zeitvertreib in einen Garten, von dem sie wußte, daß der König ihn vom Fenster aus beobachtete. Als sie auf dem Rückweg wie zufällig am königlichen Gemach vorbeikam und sie den König am Fenster stehen sah, fiel sie sogleich auf die Knie und grüßte ihn, wobei sie auf dem Boden ausgestreckt blieb. Der König, dem ihre Demut sehr gefiel und der mit großem Vergnügen sich an ihrer überwältigenden, strahlenden Schönheit erfreute, richtete das Wort an sie und sagte ihr, was immer sie verlangen möge, das werde sie erhalten. Sie antwortete, sie begehre lediglich, daß er in ihren Gemächern eine Mahlzeit einnähme und Haman mitbrächte; dies gewährte er ihr mit Vergnügen. Nachdem er drei Tage hintereinander dort gegessen und sich an der freundlichen Aufnahme, an der Ehrbezeugung und an der Güte und Schönheit jener Frau ergötzt hatte und er sie drängte, einen Wunsch auszusprechen, warf sie sich zu seinen Füßen nieder. Weinend schickte sie sich an, ihm zu sagen, sie bäte ihn darum, Mitleid mit ihrem Volk zu haben; da er sie auf einen so hohen Rang erhoben habe, möge er sie nicht so über die Maßen demütigen und ihre Sippe und ihre Landsleute nicht auf eine so niederträchtige Weise umbringen lassen. Voller Zorn entgegnete daraufhin der König: >Teure Frau, wer besitzt die Kühnheit, dies zu wagen?< Sie antwortete: >Herr, dies veranlaßt Euer Vogt Haman, der hier vor Euch steht.'
Kurz und gut, der König widerrief seinen Befehl. Haman, der dies alles aus Neid angezettelt hatte, wurde gefangengenommen und für seine Schandtaten gehängt. Mordechai, der Onkel der Königin, wurde an Hamans Stelle gesetzt, die Juden wurden befreit und vor allen übrigen Völkern mit den meisten Vorrechten und Ehrungen ausgezeichnet. Ähnlich also wie im Falle Judits gefiel es Gott, sein Volk auch dieses Mal durch eine Frau zu erretten. Und glaube nur nicht, diese beiden Frauen seien die einzigen in der Heiligen Schrift, mit deren Hilfe es Gott zu wiederholten Malen beliebte, sein Volk zu retten: es gibt noch zahlreiche andere, die ich aus Zeitgründen übergehe. Zu denken wäre etwa auch an Deborah, von der ich weiter oben gesprochen habe und die ebenfalls ihr Volk aus der Knechtschaft befreite; andere Frauen vollbrachten ähnliches.
ÜBER DIE SABINERINNEN[1]
XXXIII.
Ich könnte dir ebenfalls viel über edle Frauen aus der heidnischen Vergangenheit erzählen, denen die Rettung von Ländern, Städten und Festungen zu verdanken war. Allein zwei sehr berühmte Beispiele, nicht mehr und nicht weniger, mögen als Hinweis auf solche Frauen genügen.
Nachdem Remus und Romulus die Stadt Rom gegründet hatten, bevölkerte und füllte Romulus eben diese Stadt mit Rittern und Soldaten aller Art, die er nach mehreren Siegen schließlich hatte versammeln können. Des weiteren trachtete Romulus mit allem Nachdruck danach, sie mit Frauen zu versehen, damit sie Nachkommen bekämen, die ihnen für immer die Herrschaft über die Stadt sicherten. Aber er wußte nicht genau, wie er es anstellen sollte, um sich selbst und alle seine Gefährten mit Frauen zu versorgen und zu verheiraten, denn der König, die Fürsten und die übrigen Einheimischen mochten ihnen ihre Töchter nicht geben, galten sie doch als unstetes Volk. Man zögerte also, sich mit ihnen zu verbinden, denn sie waren zu wild und zu unbeständig. Aus diesem Grunde ließ Romulus, einem genialen Einfall folgend, überall im Lande ein Turnier und ein Stechen ausrufen und forderte Fürsten, Könige und alle übrigen Männer auf, in Begleitung edler Frauen und Mädchen zu kommen, um sich die Lustbarkeiten der fremden Ritter anzuschauen. Am Tage des Festes herrschte auf beiden Seiten gewaltiger Andrang, und zahlreiche edle Frauen und Jungfrauen wollten den Spielen beiwohnen. Unter anderem hatte der König der Sabiner seine ebenso schöne wie anmutige Tochter mitgebracht, in deren Gefolge sich alle Edelfrauen und Jungfrauen des Landes befanden. Die Stechen fanden außerhalb der Stadt am Fuße eines Berges statt; alle Frauen hatten ihrem Rang nach auf dem Abhang Platz genommen. Unten strengten sich die Ritter im Kampf gegeneinander an, ihre Kraft und ihre Tapferkeit zu beweisen, denn die schönen Frauen, die sie sahen, ließen ihre Kräfte und ihren Mut wachsen und spornten sie zu ritterlichem Verhalten an. Kurz und gut, nachdem sie eine ganze Weile gekämpft hatten, schien es Romulus an der Zeit, seinen Plan zu verwirklichen. Er ergriff also ein großes Hörn aus Elfenbein und blies es mit aller Macht. Diesen Laut und dieses verabredete Zeichen vernahmen alle Männer deutlich, unterbrachen sofort ihre Kämpfe und stürzten sich auf die Frauen. Romulus ergriff die Tochter des Königs, die bereits von vielen begehrt wurde; alle anderen warfen sich ebenfalls auf eine Frau ihrer Wahl. Mit Gewalt hob m an die Frauen auf die Pferde, ritt zur Stadt und verrammelte die Stadttore. Da war das Geschrei und Gejammer der Väter und Verwandten draußen und auch das der gewaltsam entführten Frauen groß, aber es half nichts. Unter großem Gepränge heiratete Romulus seine Frau, und alle anderen taten es ihm nach.
Dies war der Anlaß zu einem erbitterten Krieg, denn sobald es dem König der Sabiner möglich war, zog er mit einem gewaltigen Heer gegen die Römer. Es war jedoch gar nicht so einfach, sie zu besiegen, denn sie schlugen sich äußerst tapfer. Der Krieg währte bereits fünf Jahre, als sich eines Tages die beiden Parteien in all ihrer Stärke gegenüberstanden, und es hatte den Anschein, als liefe das Ganze auf ein gewaltiges Blutbad und ein furchtbares Gemetzel hinaus. Die Römer waren schon mit einem großen Heer ausgezogen, als die Königin in einem Tempel alle Frauen der Stadt zu einer Ratsversammlung zusammenrief. Als weise, gutherzige und schöne Frau, die sie war, richtete sie die folgenden Worte an sie: >Hochverehrte sabinische Frauen, meine teuren Schwestern und Gefährtinnen, Ihr wißt um den unseretwegen von unseren Männern unternommenen Raub, der der Grund dafür ist, daß sich unsere Väter und Verwandten mit unseren Männern bekriegen. Es ist unmöglich, diesen tödlichen Krieg irgendwo und auf irgendeine Weise zu beenden oder weiter fortzusetzen (wer auch immer den Sieg davontragen mag), ohne daß es uns zum Nachteil gereichte: denn wenn es sich so fügen sollte, daß unsere Männer besiegt werden, so wäre das für uns, die wir sie lieben, wie es sich gehört, und die wir bereits Kinder von ihnen haben, ein Grund zu großem Schmerz und Verzweiflung, blieben dann doch unsere kleinen Kinder als Waisen zurück. Wenn es sich aber andererseits so fügt, daß unsere Männer den Sieg davontragen und unsere Väter und Verwandten töten und vernichten, dann muß es uns gewiß gewaltig jammern, daß uns ein derartiges Unglück zugestoßen ist. Was geschehen ist, ist geschehen und kann nicht rückgängig gemacht werden. Deshalb wäre es, so dünkt mich, von großem Nutzen, wenn wir darüber beraten könnten, wie in diesem Krieg ein Friedensschluß zu erreichen ist. Und wenn Ihr meinem Rat Glauben schenken, mir folgen und tun wollt, was ich tun werde, dann, so glaube ich, werden wir es schon schaffen.< Nach dieser Rede der edlen Frau antworteten alle, sie möge nur befehlen, und alle würden ihr gern gehorchen.
Daraufhin löste die Königin ihr Haar, und alle Frauen taten es ihr gleich; die, die Kinder hatten, trugen diese auf dem Arm und nahmen sie mit, so daß die Zahl der Kinder und der schwangeren Frauen groß war. Die Königin ging voraus, und der gesamte beklagenswerte Zug folgte ihr.
Genau in dem Augenblick, als der große Zusammenprall beider Heere stattzufinden drohte, erreichten sie das Schlachtfeld, wo sie sich zwischen die beiden Heere stellten, so daß diese sich nur über die Frauen und Kinder hinweg bekämpfen konnten. Nun kniete die Königin nieder, und alle anderen Frauen folgten ihr; dabei riefen sie mit lauter Stimme: >Überaus teure Väter und Verwandte und Ihr über die Maßen geliebten Ehemänner, schließt um Gottes willen Frieden! Und wenn nicht, dann wollen wir alle unter den Hufen Eurer Pferde sterben!< Die Männer, die ihre weinenden Frauen und ihre Kinder sahen, waren sehr überrascht und einigermaßen verlegen, und wahrscheinlich liefen sie zu ihnen. Desgleichen rührte und bewegte es die Herzen der Väter sehr, ihre Töchter in dieser Lage zu sehen. Aus Mitleid mit den Frauen, die sie so demütig baten, sahen sie einander an, und ihre Wut verwandelte sich in liebendes Mitgefühl, wie es zwischen Vätern und Söhnen existiert. Dies führte dazu, daß sich beide Seiten gezwungen sahen, ihre Waffen fortzuwerfen, aufeinander zuzugehen, um sich zu umarmen und Frieden zu schließen. Romulus geleitete seinen Herrn, den König der Sabiner, in seine Stadt und ließ ihm wie seiner ganzen Begleitung große Ehren zuteil werden. Und auf diese Weise, dank der Klugheit und der Durchsetzungsfähigkeit jener Königin und ihrer Frauen, blieb den Römern und den Sabinern die Ausrottung erspart.
ÜBER VETURIA[1]
XXXIV.
Veturia war eine Römerin edler Abstammung, die Mutter eines sehr bedeutenden Römers namens Marcius, eines Mannes voll großer Tugend und Verstand, klug und von rascher Auffassungsgabe, rechtschaffen und kühn. Dieser edle Ritter und Sohn der Veturia wurde von den Römern mit einer gewaltigen Armee gegen die Bewohner von Corioli geschickt; er besiegte sie und nahm die Festung der Volsker ein, weswegen er Coriolanus genannt wurde. Aus diesem Grund wurde er außerdem so geehrt, daß er beinahe die gesamte Herrschaft über Rom erhielt. Da es jedoch eine äußerst gefährliche Angelegenheit ist, ein Volk zu regieren und es allen recht zu machen, verurteilten ihn schließlich die gegen ihn aufgebrachten Römer zum Exil, und er wurde aus Rom verbannt. Jedoch wußte er sich dafür sehr wohl zu rächen, denn er lief zu denen über, die er zuvor besiegt hatte, und wiegelte sie gegen die Römer auf. Sie machten ihn zu ihrem Anführer, zogen mit einer gewaltigen Armee gegen die Stadt Rom und richteten auf ihrem Wege beträchtlichen Schaden an. Dies versetzte die Römer in große Furcht, und da sie sich in höchster Gefahr sahen, schickten sie ihm Botschafter entgegen, um über den Frieden zu verhandeln. Marcius jedoch schenkte ihnen kein Gehör. Erneut entsandten sie Botschafter, •was aber nichts fruchtete, denn jener fuhr fort, ihnen Schaden zuzufügen. Nun sandten sie Erzbischöfe und Priester in vollem Ornat aus, die ihn äußerst demütig anflehten. Aber selbst das nützte nichts, so daß die Römer in ihrer Ratlosigkeit die obersten Frauen der Stadt zur edlen Veturia, der Mutter des Marcius, schickten, um diese inständig zu bitten, sich für eine Versöhnung ihres Sohnes Marcius mit ihnen einzusetzen. Daraufhin verließ die gutherzige Veturia die Stadt in Begleitung aller Edelfrauen. Mit diesem Zug bewegte sie sich auf ihren Sohn zu; dieser, gutherzig und menschlich, wie er war, stieg bei ihrer Ankunft sogleich vom Pferd und ging ihr entgegen. Als diese ihn darum bitten wollte, Frieden zu schließen, antwortete er ihr, für eine Mutter gehöre es sich, ihrem Sohn zu befehlen und nicht, ihn anzuflehen. Auf diese Weise führte die edle Frau ihn nach Rom zurück. Ihr hatten die Römer es zu verdanken, dieses Mal noch vor dem Untergang bewahrt zu werden. Sie allein hatte etwas geschafft, was den hochgestellten Römern nicht gelungen war.
HIER IST VON DER FRANZÖSISCHEN KÖNIGIN CHLOTHILDE[1] DIE REDE.
XXXV.
Was die großen geistlichen Wohltaten angeht, die, wie ich dir zuvor erläutert habe, Frauen zu verdanken sind: war es nicht so, daß durch Chlothilde, die Tochter des burgundischen Königs und die Frau des mächtigen französischen Königs Chlodwig, der christliche Glaube zuallererst unter den französischen Königen und Fürsten verbreitet wurde? Kann man sich eine größere Wohltat als die durch sie bewirkte vorstellen? Als gute Christin und heilige Frau, erleuchtet vom Licht des Glaubens, wurde sie es nicht müde, ihren Ehemann anzustacheln und ihn darum zu bitten, den christlichen Glauben anzunehmen und sich taufen zu lassen. Allein er war dazu nicht bereit, weshalb jene edle Frau ohne Unterlaß Gott weinend, unter Abhaltung von Fasten- und Andachtsübungen, anflehte, er möge doch das Herz des Königs erleuchten. So sehr bat sie darum, daß Unseren Herrn schließlich ihr Kummer dauerte und er sich dem König offenbarte, was folgendermaßen geschah: als dieser eines Tages in eine Schlacht gegen den deutschen König gezogen war und ihm eine schwere Niederlage drohte, da richtete der König Chlodwig, auf eine göttliche Eingebung hoffend, seinen Blick gen Himmel und sprach in großer Traurigkeit: >Allmächtiger Gott, an den meine Frau, die Königin, glaubt und zu dem sie betet: wenn Du mir in dieser Schlacht beistehst, verspreche ich Dir, Deinen heiligen Glauben anzunehmen.< Kaum hatte er dies gesagt, als sich der weitere Verlauf der Schlacht zu seinen Gunsten entwickelte und er schließlich einen eindeutigen Sieg davontrug. Dafür stattete er Gott seinen Dank ab, und nachdem er in großer Freude und zur eigenen wie der Königin Erleichterung heimgekehrt war, ließ er sich taufen; darin folgten ihm alle Barone und später das gesamte Volk. Den Gebeten jener guten und heiligen Königin war es zu verdanken, wenn von dieser Stunde an Gott seine Gnade auf Frankreich ruhen ließ, das von da an weder jemals vom Glauben abfiel, noch — Gott sei's gedankt — einen ketzerischen König bekommen sollte (was man im Falle anderer Könige und zahlreicher Kaiser nicht behaupten kann). Dies gereicht den französischen Königen zu großer Ehre, und aus diesem Grunde bezeichnet man sie als »die sehr christlichen«.
Wenn ich dir von allen bedeutenden Wohltaten erzählen wollte, die weiblichen Ursprungs sind, dann ließe sich ein dickes Buch damit füllen. Zu den Wohltaten geistlicher Art hier nur noch so viel: wieviele heilige Märtyrer (über die ich zu einem späteren Zeitpunkt berichten werde) wurden nicht von zarten Frauen, von Witwen und anderen rechtschaffenen Frauenzimmern aufgerichtet, bewirtet und mit Nahrung versorgt? Bei der Lektüre ihrer Legenden wirst du wiederholt darauf stoßen, daß es Gott immer wieder gefiel, alle oder doch wenigstens die meisten unter ihnen in höchster Bedrängnis und Not Trost bei Frauen finden zu lassen, mehr noch: die Märtyrer, ja sogar die Apostel — der heilige Paulus und andere — und sogar Jesus Christus sind von Frauen unterstützt und getröstet worden.
Und was die Franzosen angeht, die die sterblichen Überreste des heiligen Dionysius, der den christlichen Glauben nach Frankreich brachte, aus gutem Grund so sehr verehren: verdanken sie diesen gebenedeiten Leichnam und diejenigen seiner gesegneten Gefährten, des heiligen Rusticus und des heiligen Eleutherius, nicht einer Frau? Der Tyrann nämlich, der sie hatte enthaupten lassen, ordnete an, die Leichen in die Seine zu werfen, worauf die damit beauftragten Männer sie in einen Sack steckten, um sie dorthin zu tragen. Unterwegs kehrten sie bei einer rechtschaffenen Witwe namens Catulla[2] ein; diese machte sie betrunken und steckte dann anstelle der heiligen Leichname tote Ferkel in den Sack. Sie begrub die gebenedeiten Märtyrer so ehrenvoll, wie ihr das in ihrem Hause möglich war, und brachte oberhalb der Grabstelle eine Schrifttafel an, damit dieser Ort später auszumachen wäre. Wiederum von einer Frau, der heiligen Genevieve, wurde sehr viel später an eben dieser Stelle die erste Kapelle zu Ehren jener Märtyrer errichtet, und in der Folgezeit gründete der edelmütige König Dagobert von Frankreich dort die Kirche, die heute an dieser Stelle steht.«
GEGEN JENE, DIE BEHAUPTEN, FRAUENBILDUNG
SEI EINE VERWERFLICHE SACHE.
XXXVI.
Im Anschluß daran sagte ich, Christine, folgendes: »Edle Frau, ich erkenne in aller Deutlichkeit, wieviele bedeutende Wohltaten den Frauen zu verdanken sind; und wenn auch einige schlechte Weibsbilder manche Schandtaten zu verantworten haben, so überwiegen doch, wie mir scheint, die durch rechtschaffene Frauen zu allen Zeiten verursachten Wohltaten. Ähnliches gilt für all das, was den weisen und in Künsten und Wissenschaften ausgebildeten Frauen, von denen zuvor die Rede war, zu verdanken ist. Sehr wundern muß ich mich deshalb über die Auffassung einiger Männer, die sagen, sie seien dagegen, ihre Töchter, Frauen oder weiblichen Verwandten eine der Wissenschaften erlernen zu lassen, weil dies der Moral abträglich sei.«
Antwort: »Dies beweist dir lediglich, daß nicht alle Männermeinungen auf der Vernunft gründen und jene Männer Unrecht haben. Denn man kann nicht behaupten, der Umgang mit den Moralwissenschaften, die ja die Tugend lehren, schade den Sitten: vielmehr verbessern und verfeinern sie diese. Es ist also weder vorstellbar noch glaubhaft, daß eine Person, der gute Lektion und Lehre zuteil werden, dadurch Schaden nimmt! Das ist völlig aus der Luft gegriffen! Allerdings behaupte ich keineswegs, es sei Männern oder Frauen anzuraten, sich mit Zauberkünsten oder anderen verbotenen Wissenschaften zu beschäftigen, denn nicht von ungefähr hat die Heilige Kirche sie der Allgemeinheit verboten; daß Frauen jedoch durch das Wissen um das Gute Schaden nehmen sollen, ist Unfug.
Hortensius Quintus, der große römische Redner und unübertreffliche Autor, war nicht dieser Meinung. Er besaß eine Tochter namens Hortensia[1] die er um ihrer großen Klugheit willen sehr liebte. Deshalb gab er ihr eine literarische Ausbildung und ließ sie die Redekunst erlernen. Boccaccio berichtet, sie habe in diesem Bereich so viel gelernt, daß sie es ihrem Vater Hortensius nicht nur hinsichtlich ihrer Intelligenz, ihres guten Gedächtnisses und jeder Art von Beredtheit gleichtat, sondern auch in ihrer guten Aussprache und jeder Form der Sprechkunst; letztendlich war er ihr in keiner Hinsicht überlegen. Im Hinblick auf die zuvor erwähnten, auf Frauen zurückgehenden Wohltaten muß das durch diese Frau und ihr Wissen bewirkte Wohl als gleichwertig betrachtet werden.
Denn in der Zeit des römischen Triumvirats entschloß sich jene Hortensia, die Sache der Frauen zu unterstützen und etwas in Angriff zu nehmen, wovor die Männer zurückschreckten. Es ging um bestimmte Steuern, mit denen in Notzeiten die römischen Frauen und ihr Schmuck belastet werden sollten. Jene Frau war von so großer Beredsamkeit, daß man ihr ebenso gern zuhörte wie ihrem Vater und sie den Sieg davontrug.
Man braucht jedoch gar nicht unbedingt Geschichten aus alter Zeit heranzuziehen; auch in jüngerer Zeit gibt es ähnliche Fälle: so war etwa vor knapp sechzig Jahren der berühmte Jurist Giovanni Andreae aus dem reichen Bologna keineswegs der Auffassung, Bildung sei für Frauen von Nachteil und ließ deshalb seine schöne, gutherzige Tochter Novella[2] die er über alle Maßen liebte, das Schrifttum und die Gesetze studieren. Sie war darin so beschlagen, daß der Vater sie damit beauftragte, an seiner Statt die Studenten vom Katheder aus zu unterrichten, wenn er selbst aus irgendwelchen Gründen verhindert war, Kolleg zu halten. Damit ihre Schönheit ihre Zuhörer nicht ablenkte, stand sie hinter einem kleinen Vorhang. Auf diese Weise vertrat und unterstützte sie ihren Vater in seiner Tätigkeit. Dieser liebte sie so sehr, daß er einer berühmten Interpretation eines Gesetzeswerkes den Namen seiner Tochter, Novella, verlieh.
Nicht alle Männer, und am wenigsten die weisesten unter ihnen, sind also der zuvor zitierten Meinung, daß Bildung den Frauen schadet. Eins steht jedoch fest: zahlreiche Männer, die selbst nicht sonderlich klug sind, verbreiten dies, weil es ihnen mißfiele, wenn Frauen ihnen an Wissen überlegen wären. Dein eigener Vater, ein bedeutender Naturwissenschaftler und Philosoph, glaubte keineswegs, das Erlernen einer Wissenschaft gereiche einer Frau zum Schaden; wie du weißt, machte es ihm große Freude, als er deine Neigung für das Studium der Literatur erkannte. Aber die weibliche Meinung deiner Mutter, die dich, wie es für Frauen gemeinhin üblich ist, mit Handarbeiten beschäftigen wollte, stand dem entgegen, und so wurdest du daran gehindert, in deiner Kindheit weitere Fortschritte in den Wissenschaften zu machen. Wie lautet jedoch das bereits zitierte Sprichwort: >Niemand kann eine Eigenschaft verbergen, die ihm die Natur verliehen hat<; deshalb ist es deiner Mutter nicht gelungen, dein Gespür für die Wissenschaft so vollständig zu unterdrücken, daß du nicht wenigstens, dank deiner natürlichen Neigung, einige kleine Bruchstücke aufgenommen hättest. Und ich gehe wohl richtig in der Annahme, du dünkst dich deshalb nicht minderwertig, sondern betrachtest dies als einen großen Gewinn; jedenfalls hast du allen Grund dazu!«
Ich, Christine, entgegnete darauf: »Gewiß, hohe Frau: Eure Worte sind so wahr wie das Vaterunser.«
CHRISTINE WENDET SICH AN FRAU RECHTSCHAFFENHEIT;
ARGUMENTE GEGEN ALL JENE, DIE BEHAUPTEN, ES GEBE WENIGE
KEUSCHE FRAUEN; AUSSERDEM WIRD VON SUSANNA[1] ERZÄHLT.
XXXVII.
Hohe Frau, ich sehe sehr wohl, daß Frauen mit Tugenden aller Art ausgestattet sein können. Aber wie ist es dann zu erklären, daß jene mißgünstigen Männer behaupten, es gebe nur sehr wenige keusche Frauen? Wäre dies wirklich so, dann sind ihre übrigen Tugenden nur wenig wert, denn die Keuschheit ist die höchste weibliche Tugend; nach dem, was ich Euch habe sagen hören, sieht die Wirklichkeit jedoch ganz anders aus als das, was jene unterstellen.«
Antwort: »Wahrlich, nach dem, was ich dir erzählt habe und nach dem, was du aus eigener Erfahrung weißt, kannst du in aller Deutlichkeit erkennen, daß das genaue Gegenteil zutrifft; ich kann dir aber zu diesem Thema noch eine ganze Menge sagen und werde es auch tun. Oh, von wie vielen charakterstarken und sittsamen Frauen kündet die Heilige Schrift, von Frauen, die es vorzogen zu sterben, als ihre Keuschheit, ihre körperliche und seelische Reinheit preiszugeben! Ein gutes Beispiel hierfür bietet die schöne, gutherzige Susanna, die Frau des Jojakim, eines sehr reichen und mächtigen Juden. Als sich jene rechtschaffene Susanna eines Tages allein in ihrem Garten erging, stiegen ihr heimlich zwei Älteste, alle beide verlogene Priester, nach und machten ihr unsittliche Anträge. Sie aber weigerte sich empört, und als die Männer nun erkannten, daß ihr Bitten nichts fruchtete, drohten sie ihr damit, sie vor Gericht zu verklagen und zu behaupten, man habe sie mit einem jungen Mann ertappt. Damals war es üblich, in solchen Fällen die Frauen zu steinigen, und deshalb sprach Susanna, nachdem sie ihre Drohungen vernommen hatte: >Ich bin bedrängt von allen Seiten, denn tue ich nicht, was jene Männer von mir verlangen, so droht mir der Tod; tue ich es jedoch, dann sündige ich vor meinem Schöpfer. Aber trotz alledem ist es besser für mich, unschuldig zu sterben, als durch eine Sünde bei meinem Gott in Ungnade zu fallen.< Dann schrie Susanna laut, und das Hausgesinde kam angelaufen. Um es kurz zu machen: die falschzüngigen Priester bewirkten mit ihrem lügnerischen Zeugnis tatsächlich, daß Susanna zum Tode verurteilt wurde. Gott jedoch, der stets für seine Getreuen sorgt, löste die Zunge des Propheten Daniel, der noch ein kleines Kind auf dem Arm seiner Mutter war; und als man Susanna, umgeben von einer großen Menschenmenge, die ihr Schicksal beweinte, zur Urteilsvollstreckung führte, rief er laut, man habe die unschuldige Susanna völlig zu Unrecht verurteilt. Daraufhin holte man sie zurück und unterzog die lügnerischen Priester, die sich dann prompt in ihren eigenen Widersprüchen verstrickten, einem schärferen Verhör. Die unschuldige Susanna wurde alsbald freigelassen und jene Männer bestraft.
HIER WIRD VON SARA[1] BERICHTET.
XXXVIII.
Die Bibel spricht im Umkreis des XX. Kapitels der Genesis von der Keuschheit und Rechtschaffenheit der Sara, der brau des Erzvaters Abraham. Die Heilige Schrift weiß viel Gutes über diese edle Frau zu berichten; ich will mich jedoch kurz fassen und überspringe dies alles. Aber da wir weiter oben behauptet haben, es gebe zahlreiche schöne und keusche Frauen, kann man hier als Beweis Saras untadeligen Lebenswandel anführen.
Sie war nämlich von so unbeschreiblicher Schönheit, daß sie alle übrigen Frauen ihrer Zeit in den Schatten stellte, und aus diesem Grunde begehrten viele Fürsten sie. Sie jedoch war so treu, daß sie keinen einzigen erhörte. Unter diesen Verehrern befand sich auch der König Pharao, der sie mit Gewalt ihrem Mann entriß, weil er sie so sehr begehrte. Aber ihre große Güte, die ihre Schönheit noch übertraf, verschaffte ihr die Gnade Unseres Herrn. Dieser liebte sie so sehr, daß er sie vor allem Übel behütete, denn er setzte dem Pharao und dessen Gefolge so sehr mit schweren körperlichen und seelischen Plagen und düsteren Visionen zu, daß dieser Sara niemals berührte und sich schließlich gezwungen sah, sie Abraham zurückzugeben.
HIER IST VON REBECCA[1] DIE REDE.
XXXIX.
Die gute, rechtschaffene Rebecca, die Frau des Erzvaters Isaak, Jakobs Vater, stand Sara hinsichtlich ihres Charakters und ihrer Schönheit in nichts nach. In der Heiligen Schrift wird sie für viele Dinge hoch gepriesen; das XXIII. Kapitel der Genesis handelt von ihr. So rechtschaffen, gut und ehrsam war jene, daß ihre Reinheit allen, die sie sahen, zum Vorbild gereichte. Des weiteren legte sie, ungeachtet ihrer Vornehmheit, im Umgang mit ihrem Mann eine erstaunliche Demut an den Tag. Jener edlen Frau wurde jedoch aufgrund ihrer großen Keuschheit und ihrer Güte ein noch größeres Geschenk zuteil als aufgrund der Liebe zu ihrem Gemahl: die Gnade und die Liebe Gottes, der sie so sehr liebte, daß er ihr, obgleich sie schon alt und eigentlich unfruchtbar war, zwei leibliche Kinder bescherte: das waren Jakob und Esau, die Urväter der Stämme Israels.
ÜBER RUT[1]
XL.
Viel könnte ich dir noch über die rechtschaffenen und sittsamen Frauen, die in der Heiligen Schrift erwähnt werden, erzählen, verzichte aber um der gebotenen Kürze willen darauf. Eine andere edle Frau war Rut, von der der Prophet David abstammt. Jene war sowohl in ihrer Ehe als auch während ihrer Witwenschaft von untadeligem Verhalten, und sie liebte gewiß ihren Mann über alle Maßen, denn aus Liebe zu ihm verließ sie nach seinem Tod ihr eigenes Land und ihren Stamm, um den Rest ihres Lebens unter den Juden, von denen ihr Mann abstammte, zu verbringen; außerdem willigte sie ein, mit seiner Mutter zusammenzuleben. Kurz und gut, jene edle Frau war von so großer Güte und Sittenreinheit, daß ihr und ihrem Leben ein ganzes Buch, in dem jene Dinge aufgezeichnet worden sind, gewidmet wurde.
ÜBER PENELOPE[1] DIE FRAU DES ODYSSEUS
XLI.
In der Literatur begegnet man auch heidnischen Frauen von ähnlicher Sittsamkeit und Rechtschaffenheit. So war Penelope, die Gemahlin des Königssohns Odysseus, eine äußerst tugendhafte Frau, und man pries neben ihren anderen Vorzügen vor allem ihre Keuschheit. Mehrere Geschichtswerke berichten ausführlich über sie. Jene Frau verhielt sich nämlich sehr weise: während ihr Gatte zehn Jahre lang Troja belagerte, erhörte sie keinen einzigen anderen Mann, und dies, obwohl ihr aufgrund ihrer großen Schönheit zahlreiche Könige und Fürsten nachstellten. Sie war weise, umsichtig, fromm und vorbildlich in ihrer Lebensführung. Nach der Zerstörung Trojas wartete sie sogar noch weitere zehn Jahre auf ihren Gemahl, obwohl man annahm, er sei auf dem Meer, wo es viele Unglücksfälle gab, umgekommen. Bei seiner Heimkehr fand er sie bedrängt von einem König, der sie um ihrer großen Keuschheit und Güte willen um jeden Preis zur Frau begehrte. Ihr Gemahl verkleidete sich als Pilger und stellte Erkundungen über sie an; er war überglücklich, als er so viel Gutes über sie vernahm und seinen Sohn Telemachos, den er als kleines Kind zurückgelassen hatte, herangewachsen sah.« Ich, Christine, sagte daraufhin folgendes: »Hohe Frau, nach allem, was ich aus Eurem Munde vernommen habe, hinderte jene Damen ihre Schönheit nicht daran, gleichzeitig sittsam zu sein. Viele Männer behaupten dagegen, eine schöne und keusche Frau sei so schwer zu finden wie eine Nadel im Heuhaufen.« Antwort: »Jene, die das sagen, täuschen sich gewaltig, denn zu allen Zeiten hat es ebenso schöne wie sehr ehrbare Frauen gegeben.«
GEGEN JENE, DIE BEHAUPTEN, SCHÖNE FRAUEN SEIEN
HÖCHST SELTEN SITTSAM; DAS BEISPIEL DER MARIAMNE[1]
XLII.
Mariamne war eine Hebräerin, die Tochter des Königs Aristobolus, und so unbeschreiblich schön, daß man zu ihren Lebzeiten nicht nur meinte, sie übertreffe alle Frauen an Schönheit, sondern glaubte, sie sei eher ein himmlisches und göttliches Abbild denn eine sterbliche Frau. Man fertigte ihr Porträt an und schickte es dem König Antonius von Ägypten, der sich voller Staunen angesichts solcher Schönheit zu dem Urteil verstieg, sie müsse eine Tochter des Gottes Jupiter sein, hielt er es doch für undenkbar, daß ein Sterblicher eine solche Frau gezeugt haben sollte. Trotz ihrer strahlenden Schönheit und obwohl sie von mehreren mächtigen Fürsten und Königen umworben und begehrt wurde, widerstand sie allen dank ihrer großen Tugend und ihres starken Charakters; aus diesem Grunde wurde sie sehr gepriesen, und ihr Ruhm wuchs. Ihre Preiswürdigkeit wird noch größer, wenn man bedenkt, daß sie sehr unglücklich verheiratet war, und zwar mit Herodes Antipas, dem König der Juden, der sehr grausam war und nicht davor zurückgeschreckt war, ihren Bruder töten zu lassen. Deshalb und aufgrund vieler schlimmer Dinge, denen er sie aussetzte, haßte sie ihn. Aber trotzdem blieb sie eine Frau von untadeligem Lebenswandel — und dies, obwohl sie von seiner Anordnung wußte, sie im Falle seines vorzeitigen Todes sogleich zu töten, damit sich kein anderer nach ihm des Besitzes einer so schönen Frau erfreue.
IMMER NOCH ZUM GLEICHEN THEMA; ERZÄHLT WIRD VON ANTONIA*[1]
DER FRAU DES DRUSUS TIBERIUS.
XLIII.
Man sagt gemeinhin, es sei ebenso unmöglich für eine schöne Frau, inmitten von Jünglingen und Höflingen, denen der Sinn nach Liebesabenteuern steht, nicht vom Pfade der Tugend abzukommen, wie in der Feuersglut zu verweilen, ohne zu verbrennen. Die schöne und rechtschaffene Antonia, die Frau von Drusus Tiberius, der ein Bruder des Kaisers Nero war, wußte sich jedoch sehr wohl davor zu bewahren. Jene über die Maßen schöne Frau blieb in der Blüte ihrer Jugend als Witwe ihres Mannes Tiberius zurück, der von seinem Bruder vergiftet wurde; die edle Frau verfiel deshalb in tiefe Trauer. Sie nahm sich vor, nie wieder zu heiraten und eine untadelige Witwenexistenz zu führen; an diesen Vorsatz hielt sie sich ihr ganzes Leben lang, und keine heidnische Frau wurde je wegen ihrer Keuschheit so sehr gepriesen. Boccaccio sagt, diese Haltung sei um so rühmenswerter, als jene Frau auf diese Weise am Hof und umgeben von eleganten, herausgeputzten, ansehnlichen, zur Liebe bereiten und müßigen Jünglingen lebte. Ihr ganzes Leben verbrachte sie dort, ohne jemals durch eine Unbedachtsamkeit Anlaß zu Kritik zu bieten. Dies verdient auch deshalb höchste Anerkennung (sagt unser Autor), da es sich um eine sehr schöne junge Frau handelte, die Tochter des Marcus Antonius, eines Mannes, der seinerseits ein ebenso ausschweifendes wie liederliches Leben führte. Doch ungeachtet dieses abstoßenden Beispiels, das sie stets vor Augen hatte, blieb sie inmitten der heißen Flammen seelisch intakt, voller Sittsamkeit, und dies alles nicht etwa nur für kurze Zeit, sondern ihr ganzes Leben lang bis zu ihrem Tode im hohen Alter.
Ich könnte dir eine ganze Menge anderer Beispiele für ähnlich schöne und zugleich sehr sittsame Frauen anführen, die in der Welt und sogar am Hof, umgeben von jungen Männern, lebten. Selbst heute gibt es noch eine große Anzahl solcher Frauen, und wir bedürfen ihrer sehr, was immer die bösen Zungen dazu sagen mögen. Allerdings glaube ich nicht, daß es in vergangenen Zeiten so viele böse Zungen wie heute gab oder so viele Männer ohne jeden Grund Gefallen an der Verleumdung von Frauen fanden wie in unserer Zeit. Würden jene guten und schönen Frauen, von denen ich dir erzählte, heute leben, dann, so fürchte ich, würde man anstelle des Lobs, das die Alten ihnen spendeten, aus purem Neid allerlei Schmähungen über sie ergießen.
Doch kehren wir zu unserem Thema zurück: Valerius Maximus reiht unter jene rechtschaffenen, sittsamen und ehrbaren Frauen, die selbst inmitten einer sehr weltlichen Umgebung ihre Tugend bewahrten, die edle Sulpicia ein; sie war sehr schön und galt dennoch als die sittsamste aller römischen Frauen.«
GEGEN DIEJENIGEN, DIE BEHAUPTEN, FRAUEN WOLLTEN VERGEWALTIGT WERDEN,
LIEFERT DIESES KAPITEL BEISPIELE MEHRERER FRAUENSCHICKSALE,
UND AN ERSTER STELLE DAS DER LUCRETIA[1]
XLIV.
Nun sagte ich, Christine, folgendes: »Hohe Frau, ich glaube Euch aufs Wort und bin überzeugt davon, daß es genügend schöne, gute und sittsame Frauen gibt, die sich sehr wohl vor den üblen Machenschaften der Verführer zu hüten wissen. Um so mehr betrübt und bekümmert es mich jedoch, die Männer so häufig behaupten zu hören, Frauen wollten vergewaltigt werden; aber ich kann mir einfach nicht vorstellen, daß Frauen an einer solchen Gemeinheit Gefallen finden sollen.«
Antwort: »Sei ganz unbesorgt, liebe Freundin: sittsamen Frauen mit einem untadeligen Lebenswandel bereitet eine Vergewaltigung wirklich nicht das geringste Vergnügen, sondern den größten aller Schmerzen. Die Wahrheit dieses Satzes haben zahlreiche Frauen mit dem Beispiel ihres eigenen Lebens bezeugt — allen voran Lucretia, jene sehr vornehme Römerin, die tugendhafteste aller römischen Frauen, die mit einem Edelmann namens Tarquinius Collatinus verheiratet war. Und da sich Tarquinius der Hochmütige, der Sohn des Königs Tarquinius, heftig in sie verliebt hatte, es ihr jedoch nicht zu gestehen wagte, weil er sehr wohl sah, wie untadelig ihr Lebenswandel war, und weil er nicht hoffen konnte, sie durch Liebesgaben oder Bitten zu gewinnen, sann er darauf, sie sich mit Hilfe einer sorgfältig ausgeklügelten List gefügig zu machen. Er gab also vor, ein intimer Freund ihres Gemahls zu sein, um sich auf diese Weise Zugang zu dessen Haus zu verschaffen, wann immer es ihm gefiel. Eines Tages, als er den Ehemann außer Hauses wußte, kam er dorthin, und die edle Frau empfing ihn in allen Ehren, wie es sich eben für einen guten Freund ihres Gemahls ziemte. Tarquinius jedoch, dem der Sinn nach anderem stand, brachte es fertig, zu nächtlicher Stunde in Lucretias Gemach einzudringen, was diese in gewaltige Angst versetzte. Kurz und gut, nachdem er mit großen Versprechungen, Geschenken und Angeboten versucht hatte, sie sich gefügig zu machen, er aber merkte, daß ihm alles Bitten nichts half, da zog er sein Schwert und drohte ihr, sie umzubringen, falls sie nicht schweige und ihm zu Willen sei. Jene erwiderte, er solle sie nur töten: sie wolle lieber sterben, als sich
ihm hingeben. Tarquinius sah sehr wohl, daß dies alles nichts fruchtete, und ließ sich deshalb eine weitere große Gemeinheit einfallen. Er sagte nämlich, er wolle überall verbreiten, er habe sie in den Armen eines seiner Männer ertappt. Um es kurz zu machen: der Gedanke, man werde seinen Worten Glauben schenken, versetzte sie in solche Angst, daß sie sich schließlich Gewalt antun ließ.
Diese ungeheuerliche Schmach konnte Lucretia jedoch nicht geduldig hinnehmen. Sobald es tagte, schickte sie deshalb nach ihrem Gemahl, ihrem Vater und ihren nächsten Verwandten, die zu den ersten Familien Roms gehörten, um ihnen unter vielen Tränen und herzzerreißenden Klagen das Geschehene zu erzählen. Als ihr Gemahl und ihre Verwandten, die Lucretia außer sich vor Schmerz sahen, sie trösteten, zog sie einen unter ihrem Gewand verborgenen Dolch hervor und sprach: Auch wenn ich mich auf diese Weise von Sünde reinwasche und meine Unschuld beweise, so befreie ich mich doch keineswegs von meiner Qual und Pein. Ich möchte auch nicht, daß für mich eine Ausnahme gemacht wird; keine ehrlose Frau soll sich künftig auf das Beispiel der Lucretia berufen können!< Nach diesen Worten stieß sie sich mit aller Gewalt den Dolch in die Brust und fiel sogleich tödlich getroffen zu Boden; dabei richtete sie den Blick auf ihren Gemahl und ihre Freunde. Diese stürzten sich unverzüglich und voller Wut auf Tarquinius, und in Rom kam es aus diesem Anlaß zu einem Aufstand: man jagte den König außer Landes und hätte dessen Sohn umgebracht, wenn man seiner nur habhaft geworden wäre. Von diesem Tag an gab es in Rom keinen König mehr. Manche behaupten ferner, die Vergewaltigung der Lucretia sei der Anlaß für ein Gesetz gewesen, das die Vergewaltigung von Frauen unter Todesstrafe stellte; auf jeden Fall ist dies ein angemessenes, gerechtes und heiliges Gesetz.
ZUM NÄMLICHEN THEMA: DIE REDE IST VON DER KÖNIGIN DER GALATER[1]
XLV.
Auch die Geschichte der edlen Königin der Galater und Gemahlin des Königs Orgiogontis paßt gut in diesen Zusammenhang. In der Zeit, als die Römer ihre großen Eroberungen in fremden Ländern machten, fügte es sich, daß jener Galaterkönig und seine Frau von den Römern in einer Schlacht gefangengenommen wurden.
Als man sie ins Lager gebracht hatte, gefiel die edle Königin, die ungemein schön, sanft, sittsam und rechtschaffen war, einem mit ihrer und des Königs Bewachung betrauten Konnetabel des römischen Heeres sehr. Er redete lange auf sie ein, umwarb sie mit großartigen Versprechungen, und als er sah, daß all sein Bitten nichts half, vergewaltigte er sie kurzerhand. Die edle Frau litt sehr unter dieser Schmach und sann Tag und Nacht auf Rache. Sie beherrschte sich aber und wartete auf einen günstigen Augenblick. Als man dann das Lösegeld brachte, um ihren Mann und sie zu befreien, ordnete die edle Frau an, das Geld in ihrer Gegenwart jenem Konnetabel, ihrem Bewacher, zu übergeben. Diesem sagte sie, er solle das Gold nur genau abwiegen, um auf jeden Fall auf seine Kosten zu kommen und nicht betrogen zu werden. Wie sie ihn nun damit beschäftigt sah, das Gold abzuwiegen und merkte, daß sich niemand von seinen Leuten in seiner Nähe befand, ergriff sie ein Messer, stieß es ihm in die Kehle und brachte ihn um. Dann nahm sie seinen Kopf und brachte ihn ungehindert zu ihrem Mann, dem sie von der Schandtat, ferner der Art und Weise, wie sie sich gerächt hatte, erzählte.
IMMER NOCH ZUM NÄMLICHEN THEMA: DIE REDE IST VON DEN
SICAMBERN UND VON EINIGEN JUNGFRAUEN.
XLVI.
Ich könnte dir noch zahlreiche andere Beispiele für verheiratete Frauen, die den Schmerz über eine Vergewaltigung nicht verwanden, anführen, und ähnliches läßt sich von Witwen und Jungfrauen berichten.
Hyppo war eine Griechin, die von feindlichen Piraten gefangengenommen und geraubt wurde, und sie war so ungemein schön, daß die Seeleute ihr keine Ruhe ließen. Als Hyppo erkannte, daß sie einer Vergewaltigung nicht entgehen konnte, erfüllte sie dies mit so großem Abscheu und solchem Widerwillen, daß sie es vorzog zu sterben, sich ins Meer stürzte und ertrank.
Gleiches gilt für die Frauen der Sicamber, die man heute Franken nennt. Diese belagerten einst mit einem starken Heer und vielen Mannen die Stadt Rom und hatten, in der Hoffnung, diese zu zerstören, bereits ihre Frauen und Kinder mitgebracht. Die Sicamber wurden jedoch besiegt, und als ihre Frauen dies sahen, beschlossen sie unter sich, lieber zu sterben und ihre Reinheit zu bewahren (denn sie wußten nur allzu gut, daß nach Kriegsbrauch allen die Vergewaltigung drohte), als völlig entehrt zu werden. Deshalb errichteten sie um sich herum aus ihren Wagen und Karren eine Festung, bewaffneten sich gegen die Römer und verteidigten sich mit aller Macht und töteten dabei eine große Anzahl ihrer Feinde. Als schließlich jedoch beinahe alle Frauen umgekommen waren, baten die Überlebenden mit flehend erhobenen Händen darum, den Rest ihres Lebens im Tempel der Vestalinnen dienen zu dürfen; falls man ihnen dies nicht gewähre, wollten sie lieber von eigener Hand sterben als vergewaltigt werden.
Ähnliches gilt für manche Jungfrauen, wie zum Beispiel die edle Virginia, ein junges Mädchen aus Rom. Der niederträchtige Richter Claudius meinte sich ihrer mit List und Gewalt bemächtigen zu können, nachdem er erkannt hatte, daß alles Bitten vergebens war. Sie jedoch zog trotz ihrer Jugend den Tod einer Vergewaltigung vor.
Ähnliches ereignete sich in einer lombardischen Stadt, bei deren Eroberung der Grundherr von den Feinden getötet wurde. Seine sehr ansehnlichen Töchter verfielen aus Angst vor Vergewaltigung auf einen merkwürdigen, jedoch sehr lobenswerten Ausweg: sie schmierten sich nämlich rohes Kükenfleisch auf die Brust, das in der Hitze zu verwesen begann. Als sich die Feinde den Mädchen nähern wollten, stieg den Männern dieser Gestank in die Nase, woraufhin sie sofort von ihnen abließen und ausriefen: >Bei Gott, diese Lombardinnen stinken wirklich wie die Pest!< Dieser Gestank jedoch gereichte ihnen zur Ehre.«
BEWEISE GEGEN DAS, WAS ÜBER WEIBLICHEN WANKELMUT
VERBREITET WIRD; CHRISTINE SPRICHT. FRAU RECHTSCHAFFENHEIT
ANTWORTET IHR MIT DEM HINWEIS AUF DEN WANKELMUT UND
DIE SCHWÄCHE EINIGER KAISER.
XLVII.
Hohe Frau, Ihr liefert mir erstaunliche Beispiele für die Beständigkeit, Charakterfestigkeit und Tugend der Frauen. Ließe sich überhaupt Rühmlicheres über die charakterstärksten Männer aller Zeiten berichten? Und doch bezeichnen die Männer und sogar die Bücher alle in schöner Einstimmigkeit die Frauen als launisch und unbeständig, als wankelmütig und flatterhaft, als willensschwach und sprunghaft wie die Kinder, als bar jeder Standhaftigkeit. Sind denn diese Männer, die die Frauen so lauthals des Wankelmuts und der Unbeständigkeit bezichtigen, selbst so charakterfest, daß sie nie oder doch zumindest sehr selten schwanken? Wenn sie aber selbst diese Festigkeit nicht besitzen, dann ist es schon sehr übel, den Mitmenschen die eigene Schwäche zum Vorwurf zu machen oder vom anderen eine Tugend zu fordern, die sie selbst nicht besitzen.«
Antwort: »Schöne, sanfte Freundin, kennst du nicht das Sprichwort: der Narr sieht sehr wohl den Splitter im Auge seines Nachbarn, aber den Balken im eigenen Auge bemerkt er nicht? Ich werde dir den gewaltigen Widerspruch erläutern, der in den Reden der Männer über den Wankelmut und die Unbeständigkeit der Frauen liegt. Die Männer versichern nämlich gemeinhin, Frauen seien von Natur aus sehr willensschwach; und da sie die Willensschwäche der Frauen anklagen, ist doch wohl anzunehmen, daß sie sich selbst als willensstark betrachten oder doch zumindest meinen, die Frauen seien es in geringerem Maße als sie selbst. Wahr ist jedoch, daß sie von den Frauen mehr Festigkeit verlangen, als sie selbst besitzen: denn sie, die sich ihrer Standhaftigkeit und ihres hohen Standes rühmen, sind doch nicht vor gewaltigen Fehlern und Sünden gefeit, und zwar verfallen sie diesen nicht aus Unwissenheit, sondern aus reiner Charakterschwäche, denn sie wissen ganz genau, daß sie auf dem falschen Wege sind; aber sie finden für alles eine Entschuldigung und sagen, zu sündigen sei nur allzu menschlich. Wenn sich aber die Frauen so verhalten und außerdem durch langwierige männliche Machenschaften dazu gebracht wurden, dann sind die Männer sofort mit dem Vorwurf der Schwäche und der Unbeständigkeit bei der Hand. Wenn es mir aber nun mehr als gerechtfertigt scheint, daß die Männer über die in ihren Augen so willensschwachen Frauen urteilen, dann dürfen sie sich aber ihre eigenen Schwächen nicht ohne weiteres durchgehen lassen, um gleichzeitig den Frauen etwas als großes Verbrechen anzukreiden, was sie bei sich selbst als geringfügiges Vergehen betrachten! Denn nirgends steht geschrieben, daß es allein ihnen, nicht jedoch den Frauen gestattet wäre, sich zu versündigen und daß die männliche Schwäche verzeihlicher wäre. Letztendlich maßen sie sich an, den Frauen nichts durchgehen zu lassen; aus diesem Grunde vergällen viele Männer den Frauen mit zahlreichen Vorwürfen das Leben. Des weiteren vermögen sie nicht die Stärke und die Beständigkeit der Frauen zu erkennen, die sich bereits darin zeigt, daß diese die unerbittlichen Vorwürfe der Männer ertragen. Die Männer beanspruchen also in jeder Hinsicht alle Rechte für sich, sie wollen eben beide Enden des Riemens haben. Aber zu all diesen Dingen hast du ja ausführlich in deiner Epistre au Dieu d'Amours[1] Stellung genommen.
Was nun deine Frage betrifft, ob die Männer selbst so charakterfest und standhaft sind, daß sie das Recht hätten, andere der Unbeständigkeit zu bezichtigen: betrachte den Zeitraum vom weisen Altertum bis heute, und ich versichere dir, daß du den Büchern und deinen eigenen Erfahrungen aus Vergangenheit und Gegenwart entnehmen kannst, daß es Vollkommenheit, Festigkeit und Beständigkeit durchaus gegeben hat. Zwar triffst du sie nicht bei einfachen Männern oder solchen niedriger Herkunft an, sondern nur bei solchen der oberen Stände; aber dort gibt es zweifellos beständige, charakterfeste und weise Männer, derer wir bitter bedürfen.
Wenn ich dir jedoch in der Vergangenheit und in der Gegenwart Beispiele für solche Männer geben soll, die, als wenn ihnen selbst jede Form von Wankelmut oder Unbeständigkeit völlig fremd wäre, die Frauen heftig wegen dieser Schwäche anklagen, so solltest du dich einmal unter den mächtigsten Fürsten und den wichtigsten Männern, mehr noch: unter solchen kaiserlichen Standes umschauen; denn dort ist ein solches Verhalten noch ungebührlicher als bei den anderen. Und ich frage dich: welches Frauenherz war jemals so schwach und ängstlich, so niederträchtig und so unbeständig wie das des Kaisers Claudius? Seine Launenhaftigkeit war so groß, daß er das, was er in der einen Stunde angeordnet hatte, in der nächsten schon wieder rückgängig machte; auf sein Wort war nicht der geringste Verlaß. Jedem fremden Rat beugte er sich. In seiner Verrücktheit und Grausamkeit ließ er seine eigene Frau ermorden — und fragte des abends, weshalb sie sich nicht schlafen lege. Ähnlich schickte er nach seinen Vertrauten, denen er zuvor die Köpfe hatte abschlagen lassen, und forderte sie auf, mit ihm zu spielen. Und ein solches Hasenherz war dieser Mann, daß er immerzu vor Angst zitterte und sich vor jedermann fürchtete. Was soll ich dir sonst noch über ihn erzählen? Dieser schwächliche Kaiser war ein Ausbund an moralischer Verkommenheit und niedriger Gesinnung. Aber weshalb erzähle ich dir gerade von ihm? War es etwa der einzige Schwächling auf einem kaiserlichen Thron? War eigentlich der Kaiser Tiberius ein wertvollerer Mensch? Besaß er nicht mehr Wankelmut, Unbeständigkeit, mehr Lüsternheit als irgendeine Frau?
HIER IST VON NERO DIE REDE.
XLVIII.
Und da wir uns gerade mit den großen Taten der Kaiser befassen: was für ein Mensch war denn eigentlich Nero? Seine gewaltige Schwäche und sein Wankelmut springen wohl allen in die Augen. Anfangs war er ganz erträglich und bemühte sich, es allen recht zu machen; später jedoch legte er seiner Lüsternheit, seiner Habgier und Grausamkeit keinen Zügel mehr an. Um dies alles ungehindert auszuleben, bewaffnete er sich häufig zu nächtlicher Stunde und brach mit seinen gefräßigen Spießgesellen zu Freßorgien und Lasterhöhlen auf, tollte wie närrisch durch die Straßen und vollbrachte alle möglichen Untaten. Um sich eine Gelegenheit zu einer Schandtat zu verschaffen, rempelte er Passanten an, und wenn sie etwas zu sagen wagten, fügte er ihnen Verwundungen zu und tötete sie. In Spelunken und anderen Orten der Ausschweifung richtete er Verwüstungen an; er vergewaltigte Frauen, und einmal hätte er dabei beinahe den Mann einer Frau, die er vergewaltigt hatte, umgebracht. Er organisierte Badeorgien und aß die ganze Nacht lang. Er ordnete einmal dies, dann wieder das an, wie es ihm seine Narrheit gerade eingab. Er brillierte in jeder Art von Wollust, in Nichtigkeiten und Schrullen jeglicher Art, in jeder Form von Eitelkeit und darin, das Geld mit beiden Händen zum Fenster hinauszuwerfen. Die Bösewichter liebte er und verfolgte die Guten. Mit dem Tode seines Vaters war er einverstanden, und später ließ er seine Mutter umbringen; nach ihrem Tod gab er den Befehl, sie aufzuschneiden, um den Ort, in dem er empfangen worden war, zu betrachten und sagte, nachdem er sie sich angesehen hatte, sie sei eine schöne Frau gewesen. Er ermordete seine Gemahlin, die rechtschaffene Octavia; dann nahm er sich eine andere, liebte sie anfangs sehr, brachte sie dann aber ebenfalls um. Claudia, die Tochter seines Vorgängers, ließ er ermorden, weil sie ihn nicht heiraten wollte. Er tötete seinen Stiefsohn, der weniger als sieben Jahre zählte, weil man diesen zum Spielen trug, als sei er ein Herzogssohn.
Seinen Lehrmeister, den edlen Philosophen Seneca, ließ er ins Jenseits befördern, weil er sich dessen, was er vor Senecas Augen tat, schämte. Unter dem Vorwand, er wolle ihn von einer Zahnkrankheit heilen, vergiftete er seinen Vogt. Mit Speisen und Getränken vergiftete er die edlen Fürsten, die vornehmen und einflußreichen Barone, die über viel Macht verfügten. Er ließ seine Tante ermorden, um sich ihrer Güter zu bemächtigen. Die vornehmsten Römer ließ er umbringen oder außer Landes jagen und ermordete ihre Kinder. Einen grausamen Ägypter ließ er darauf abrichten, rohes Menschenfleisch zu essen, damit er durch diesen alle bei lebendigem Leibe verspeisen lassen konnte. Was soll ich dir sonst noch über ihn erzählen? Es ist schier unmöglich, seine grausamen Schindereien und fürchterlichen Schandtaten in Worte zu fassen. Sein übles Tun gipfelte darin, daß er an allen Ecken Roms sechs Tage und sechs Nächte lang Feuer legen ließ. Viele Menschen kamen in diesem Unglück um, er jedoch betrachtete von seinem Turm aus das Feuer und die Zerstörung, ergötzte sich an der Schönheit der Flammen und sang. Während er aß, ließ er die Köpfe des heiligen Petrus, des heiligen Paulus und vieler anderer Märtyrer rollen. Nachdem er unter Ausübung solcher Schandtaten vierzehn Jahre lang regiert hatte, erhoben sich die Römer, die unendlich unter ihm gelitten hatten, gegen ihn; er gab schließlich auf und beging Selbstmord.
ÜBER DEN KAISER GALBA UND ANDERE
XLIX.
Aber handelt es sich, wie es den Anschein haben könnte, bei der Bösartigkeit und dem Wankelmut des Kaisers Nero etwa um einen Einzelfall? Keineswegs, denn ich versichere dir, daß sein Nachfolger namens Galba kein bißchen besser gewesen wäre, hätte er nur ebenso lange gelebt. Seine Grausamkeit war grenzenlos, und neben seinen übrigen Lastern besaß er das einer unvorstellbaren Launenhaftigkeit. In seinem Wesen gab es weder Beständigkeit noch Ruhe — mal war er grausam und maßlos, dann wieder zu weich und ungerecht, nachlässig und mißtrauisch, ohne Zuneigung für seine Fürsten und Ritter, schwächlich, hasenherzig und von einer Begehrlichkeit, die vor nichts halt machte. Er regierte nur sechs Monate lang, dann ermordete man ihn, um seinen Untaten Einhalt zu gebieten.
Aber war etwa Otho, der nächste Kaiser, viel besser? Den Frauen sagt man zwar nach, sie seien zu sehr mit sich selbst beschäftigt; er jedoch war so kokett und, was seinen Körper angeht, so verzärtelt, daß niemand verweichlichter war als er. Von schwächlicher Gesinnung, nur auf seine Bequemlichkeit bedacht, sehr habgierig, der größte aller Narren, ein gewaltiger Vielfraß, verlogen, wollüstig und ein hinterhältiger Verräter endete er, indem er drei Monate nach seinem Regierungsantritt Selbstmord beging, weil ihn seine Feinde besiegt hatten.
Keine Spur besser, sondern ein Hort jeglicher Verderbtheit war auch Vitellius, der Nachfolger Othos. Ich weiß nicht, was ich dir sonst noch erzählen soll. Aber glaube nur nicht, ich belüge dich! Lies doch einmal die Geschichten der Kaiser, ihre Lebensläufe, und du wirst erkennen, wie wenige von ihnen, ganz gleich in welcher Zeit, gut, rechtschaffen und charakterfest waren: zu diesen wenigen guten Herrschern zahlen Julius Cäsar, Augustus, die Kaiser Trajan und Titus. Aber ich versichere dir: auf einen jener Guten kommen zehn von der allerübelsten Sorte.
Gleiches kann ich dir über die Päpste und die Angehörigen der Heiligen Kirche sagen, die mehr als alle anderen Menschen zu Vollkommenheit und Vorbildlichkeit verpflichtet sind. Zwar waren sie in den Anfängen des Christentums frei von Korruption; doch seitdem Konstantin der Kirche beträchtliche Einkünfte und Reichtümer verschafft hat[1] ist es mit ihrer Unbestechlichkeit so eine Sache: es genügt, einen Blick in ihre Berichte und Chroniken zu werfen... Wenn du nun einwenden möchtest, dies sei nur früher so gewesen, und in unserer Zeit seien alle rechtschaffen, dann sieh dich doch einmal in allen Ständen um und sag mir, ob die Welt wirklich besser wird, ob in Taten oder den Ratsversammlungen, seien es nun die weltlicher oder geistlicher Fürsten, große Entschlossenheit und Standhaftigkeit herrschen? Die Antwort liegt auf der Hand — ich kann mir also jeden weiteren Kommentar sparen. Ich weiß wirklich nicht, weshalb die Männer von weiblichem Wankelmut und Launenhaftigkeit sprechen. Sie sollten sich schämen, so etwas zu verbreiten, vor allem angesichts der großen Unentschlossenheit und Beliebigkeit, die in den von ihnen — und nicht etwa von den Frauen! — betreuten wichtigen Angelegenheiten waltet; das ganze gleicht den Spielen kleiner Kinder, und von entsprechender Qualität sind dann^auch die Reden und Beschlüsse auf ihren Ratssitzungen.
Schließlich und endlich bedeuten Unbeständigkeit und Launenhaftigkeit nichts anderes, als gegen die Gebote der Vernunft zu handeln, denn diese gibt jedem vernunftbegabten Wesen ein, das Richtige zu tun. Wenn jedoch ein Mann oder eine Frau die Sinnlichkeit über die Gebote der Vernunft siegen läßt, dann ist das ein Zeichen der Schwäche und Unbeständigkeit; und je öfter eine Person ein großes Vergehen oder eine große Sünde begeht, desto schwächer ist sie, denn sie entfernt sich damit weit vom Gebot der Vernunft. Nach dem, was die Geschichtswerke übereinstimmend berichten, und im Einklang mit der Erfahrung verhält es sich jedoch so: was immer die Philosophen und andere Schriftsteller auch über weiblichen Wankelmut verbreiten mögen — es hat keine Frauen von so großer Verderbtheit gegeben, wie sie einer großen Anzahl von Männern eigen war.
Die schwärzesten Frauengestalten, deren Existenz du schriftlich belegt findest, waren Athalis[2] und ihre Mutter Jesabel[3] die Königinnen von Jerusalem, die das Volk Israel verfolgten; dann die Frankenkönigin Brunhild[4] und einige andere. Nun bedenke aber andererseits die Niederträchtigkeit des Judas, der seinen guten Herrn, dessen Apostel er war und der ihm so viel Gutes getan hatte, so grausam verriet, denk an die Härte und Grausamkeit der Juden und des Volkes Israel, die nicht nur Jesus Christus aus Mißgunst töteten, sondern auch noch mehrere heilige Propheten vor ihm; die einen schlugen sie, unter den anderen wüteten sie und töteten sie auf verschiedene Weise. Und berücksichtige auch Julianus, den Abtrünnigen, den manche seiner großen Verderbtheit wegen für einen Antichrist hielten; denk an Dionysius, den falschen Tyrannen von Sizilien, der so verabscheuungswürdig war, daß es mehr als unerfreulich ist, seine Biographie zu lesen; denke des weiteren an die zahlreichen charakterlosen Könige, die es in den verschiedenen Ländern gibt, an treulose Kaiser, an ketzerische Päpste und andere Prälaten ohne Glauben, dafür aber voller Begehrlichkeit; an die verschiedenen Verkörperungen des Antichrist, die es geben dürfte: dann wirst du erkennen, daß die Männer lieber schweigen sollten! Die Frauen hingegen haben allen Grund, Gott dafür zu loben und zu preisen, das Kleinod ihrer Seelen mit einem weiblichen Körper umgeben zu haben. Doch mehr will ich im Augenblick zu diesem Thema nicht sagen. Um die Aussagen jener Männer, die die Frauen als äußerst willensschwach bezeichnen, mit einigen Gegenbeispielen zu widerlegen, will ich dir von Frauen erzählen, die außergewöhnliche Stärke bewiesen haben; von ihnen zu hören, erfreut das Herz und regt zur Nachahmung an.