Die Stärke des sogenannten schwachen Geschlechts

Adam minus Eva gleich Null

Demosthenes Savramis

I.

Die Bibel schildert die Entstehung des weiblichen Geschlechts so: »Und Gott der Herr sprach. Es ist nicht gut, daß der Mensch allein sei, ich will ihm eine Gehilfin machen, die um ihn sei. Da ließ Gott der Herr einen tiefen Schlaf fallen auf den Menschen, und er schlief ein. Und er nahm eine seiner Rippen und schloß die Stelle mit Fleisch. Und Gott der Herr baute ein Weib aus der Rippe, die er von dem Menschen nahm und brachte sie zu ihm.«[1]
Diese Rippengeschichte wurde von den Männern bis zum Überdruß als Beweis dafür verwendet, daß die Abhängigkeit der Frau vom Mann von Gott selbst angeordnet wurde. Nicht nur das; um die Herabsetzung der Frau auf Grund der Rippengeschichte besser erklären zu können, erfand die Männerwelt weitere frauenfeindliche Mythen, die sich um diese Geschichte ranken. So kursiert unter den Südslawen folgende Erzählung: Gottvater habe die Rippe des Mannes während seines Eingriffs an Adam zerstreut beiseite gelegt. Zufällig kam ein Hund vorbei, schnappte die Rippe und lief davon. »Gottvater jagte den Dieb, aber es gelang ihm nur, dessen Schwanz auszureißen, und da nichts Besseres anzufangen war, schuf er daraus die Frau.«[2]
Die von den Südslawen überlieferten Details über die Entstehung der Frau zeigen, daß die Erfinder dieser Story sich nicht mit dem Gedanken abfinden konnten, daß die Frau ein Teil des Mannes sei und daß der Mann deshalb ohne Frau unvollkommen bleibt. Und in der Tat, wenn man die Rippengeschichte nicht dazu benutzt, um die Herrschaft des Mannes über die Frau metaphysisch zu rechtfertigen, so gelangt man zu ganz anderen Resultaten, daß nämlich nicht Eva von Adam, sondern Adam von Eva abhängig ist. Denn seit der Schöpfung Evas fehlt Adam ein Teil seiner selbst, d. h., er ist nicht mehr vollkommen. Seine Vollkommenheit kann er nur im Zusammenhang mit Eva wiederfinden. So gesehen gewinnt die biblische Erzählung über die Entstehung der Frau eine ganz andere Bedeutung. Gott schuf Eva, um Adam von seiner narzißtischen und egoistischen Beschäftigung mit sich selbst zu befreien und um ihn in den Zustand des Dialogs und der Ich-Du-Beziehungen, die diesen Dialog ermöglichen, zu versetzen. Gott schuf Eva als Mitmenschen und damit der Mensch zur Einsicht kommt, daß er nur als Mitmensch vollkommen sein kann, machte er den ersten Mitmenschen aus einem Teil des ersten Menschen. Daß Gott keinen zweiten Adam, sondern eine Eva schuf, läßt sich dadurch erklären, daß die Ich-Du-Beziehungen die Tatsache voraussetzen, daß eben ein Ich und ein Du, d. h. zwei verschiedene Partner existieren. Die ganze Geschichte der Menschheit beweist, daß das Leben nur deshalb ein schönes Abenteuer sein kann, weil Adam immer Eva gegenübersteht.
Die Wahrheit dieser Feststellung zeigt sich selbstverständlich an erster Stelle dann, wenn Mann und Frau friedlich als gleichberechtigte Partner zusammenleben können. Sie läßt sich aber auch dann bestätigen, wenn der Mann die Frau entwürdigt. Denn die Entwürdigung der Frau impliziert die Entwürdigung der Männer, die in dem Moment, wo sie ohne Eva leben zu können glauben, eine Männerwelt voller Brutalität schaffen, die die Entmenschlichung des Menschen nach sich zieht. Dabei bleibt diese Männerweit weiter von den Frauen abhängig, wie u. a. die Tatsache beweist, daß die entwürdigte Frau für den entwürdigten Mann als die wertvollste Ware gilt. Um sie besitzen zu können, eskaliert der Mann seine Entwürdigung. Schließlich bestätigt Adam seine Abhängigkeit von Eva auch dann, wenn er, wie überzeugte Homosexuelle z. B., tatsächlich die »Weiber« total ablehnt und konsequent haßt. Denn hinter dieser Ablehnung und hinter diesem Haß verbergen sich die intensiven Beziehungen zu einer Frau bzw. zur Mutter, die, wenn sie gestört sind, den Frauenhaß begünstigen.

II.

Der größte Teil der im vorliegenden Band veröffentlichten Texte bestätigen sowohl durch ihren Inhalt als auch durch die Vitae ihrer Verfasser, daß unsere Feststellungen zutreffen, daß der Mann durch sein ganzes Verhalten, sei es auf positive oder negative Weise, den Nachweis liefert, daß er von den Frauen abhängig ist, oder anders ausgedrückt, daß Adam ohne Eva nicht existieren kann. Um mit Hoffmann R. Hays zu beginnen. Sowohl die hier veröffentlichten Texte als auch sein ganzes Buch: Mythos Frau: Das gefährliche Geschlecht, belegen die Tatsache, daß die Männer stets und zu allen Zeiten Angst vor den Frauen haben. Und dennoch sieht Hays sich gezwungen, die berechtigte Frage zu stellen: »Wenn Frauen wirklich so gefährlich sind, warum befassen sich Männer dann überhaupt mit ihnen?«[3] Allerdings liegt die Antwort nicht nur darin, daß der »Sexualtrieb der stärkste instinktive Trieb des Menschen ist«.[4] Die Beschäftigung der Männer mit Frauen aus rein sexuellen Gründen setzt schon die Entwürdigung der Frau und des Mannes voraus, und zwar in einem fortgeschrittenen Stadium. Männer beschäftigen sich mit Frauen auch dann, wenn sie Angst vor ihnen haben, weil sie nicht nur in sexueller und praktischer Hinsicht, sondern auch emotional vom anderen Geschlecht abhängig sind.
Wenn Arthur Schopenhauer die Vielweiberei mit der Begründung befürwortet, daß der Mann »viele Weiber braucht«, so gesteht er zumindest mittelbar die Abhängigkeit des Mannes von der Frau. Wenn er aber zugleich die Polyandrie rechtfertigt, weil eine Frau imstande sei, zwei oder drei kräftige Männer gleichzeitig zu befriedigen, ohne dabei in irgendeiner Weise Schäden zu erleiden,[5] spricht er unbewußt eine Wahrheit aus, die die Männer stets unterdrücken wollen, daß nämlich die Stärke des starken Geschlechts ein Mythos ist. Auf jeden Fall sprechen diese Bemerkungen Schopenhauers dafür, daß er wahrscheinlich nicht im Vollbesitz seiner Männlichkeit und normalen Potenz war. Daß er Angst vor dem anderen Geschlecht empfand, Iäßt sich aus einem anderen Zitat Schopenhauers erfahren, wo steht »Wer jung heiratet ist später an ein alterndes Weib gebunden; wer jedoch ein junges Weib nimmt, zieht sich Geschlechtskrankheiten zu und muß sich überdies im Alter Hörner aufsetzen lassen.«[6]
So gesehen scheint der Frauenhaß Schopenhauers das Resultat persönlicher Erlebnisse zu sein. Vor allem hatte er zu seiner Mutter Johanna Schopenhauer eine ebenso intensive wie gestörte Beziehung.[7] Wie wir aus seinem Leben erfahren, ersehnte er die Liebe seiner Mutter, er mußte jedoch als Volljähriger zusehen und erleben, wie seine Mutter einem anderen Mann, einem dreiunddreißigjährigen Dichter, den Vorzug gab. Wenn man schließlich noch daran denkt, daß Schopenhauer eventuell an Syphilis litt, und daß er während seines ganzen Lebens fast immer auf Ablehnung stieß, so scheint seine berüchtigte Misogynie die These belegen zu können, daß Männer, deren Verhältnis zum anderen Geschlecht gestört ist, mit dem Leben sehr wenig anfangen können. Da sie ferner bewußt oder unbewußt die Frauen hinter ihren Frustrationen vermuten, von denen sie, obwohl sie das Gegenteil behaupten, abhängig sind, hassen sie die »Weiber«. Der noch größere, fast grenzenlose Frauenhaß Otto Weiningers bestätigt, wenn wir ihn im Zusammenhang mit seinem Pessimismus und Nihilismus sehen, nicht nur die eben erwähnte These, sondern auch eine andere, daß nämlich ein Leben ohne Frauen nicht lebenswert ist. Denn das ganze Buch Weiningers: Geschlecht und Charakter, ist ein Geständnis, daß sein Verhältnis zum anderen Geschlecht total gestört war, und auch die Tatsache, daß er mit dreiundzwanzig Jahren seinem Leben selbst ein Ende setzte, bedeutet, daß der Kampf gegen Eva die Selbstvernichtung Adams auslösen kann.
Auch P. J. Möbius der »wissenschaftlich« nachweisen will, daß das Weib schwachsinnig ist, spricht von der »eigentümlichen Kraft« der Frau die sie »bewundernswert und anziehend« macht, und er gibt die Abhängigkeit Adams von Eva zu, wenn er z. B. sagt, daß das »Weib vielfach wie ein Bleigewicht« an dem Mann hängt. Im übrigen läßt das Buch von Möbius eine sehr wichtige Frage offen. Wenn der Mann tatsächlich so klug ist, wie Möbius meint, wie kommt er dazu, ein »Schwachsinniges« Wesen wie die Frau zu heiraten? Mit Recht schreibt eine Frau an Möbius anläßlich der Veröffentlichung der vierten Auflage seines Buches: Ober den physiologischen Schwachsinn des Weibes, daß »der Mann noch schwachsinniger sein müßte zu heiraten«.[8] Und sie fährt fort: »Wenn ich ein Mann wäre, ich möchte um alles in der Welt nicht mit solchen seelenlosen Kaninchen leben! Es ist sehr zu verwundern, daß das so prachtvoll entwickelte Gehirn des Mannes den Krieg und die Prostitution hat aufkommen lassen. Vor kurzem hörte ich daß in den Großstädten 8o% aller Männer wenigstens einmal an Syphilis oder Gonorrhoe erkrankten und daß 6o% aller Frauenleiden durch Ansteckung des Mannes herrührten. In dieser Beziehung sind die Männer ekelhaft, und es ist kein Heil von ihnen zu erwarten. Kein Wunder, wenn die klügsten Mädchen ehescheu werden.«[9] Besser als diese Vertreterin des »schwachsinnigen« Geschlechts konnte kein anderer Mensch Möbius darauf aufmerksam machen, daß der Mann von der Frau abhängig ist, daß das »schwache« Geschlecht die Männerwelt trotz ihrer »heroischen Taten ekelhaft findet und daß die Frauen immerhin klug genug scheinen, um von den Männern kein Heil erwarten zu können.
Mehrere schwedische Frauen machten Möbius in einem Brief aufmerksam,[10] daß noch keine Frau so tief gesunken ist, daß sie ihren letzten Pfennig ausgegeben hat, wie der Mann es tut, um die sexuellen Bedürfnisse auf brutale und tierische Weise zu befriedigen. Damit sprechen diese Frauen die große Wahrheit aus, daß der Mann auch dann von der Frau abhängig bleibt, wenn er sie total entwürdigt, indem er sie zum Lustobjekt entwertet. Die so entwürdigte Frau nimmt dadurch an dem Mann Rache, daß sie ihn so erniedrigt, daß er nicht mehr in der Lage ist, sich wie ein Mensch zu verhalten. Die ganze Geschichte der Prostitution, der Pornographie und der sonstigen Kommerzialisierung der Sexualität beweist, daß die entwürdigte und ausgebeutete Frau über so viel Stärke verfügt, daß sie den ihr auf Gedeih und Verderben ausgelieferten »starken« Mann wie ein willenloses Kind behandeln kann. Sie kann ihn, wenn sie will, vor sich kriechen lassen, sie kann ihn total ausbeuten, sie kann ihn lächerlich machen, sie kann ihn total entmenschlichen. Hier tritt das Phänomen der »self-fullfilling prophecy« in Erscheinung, daß eine bestimmte Voraussage die Bedingungen schafft, die für die Erfüllung dieser Voraussage notwendig sind.[11] Die durch die Ängste und die Minderwertigkeitskomplexe der Männer bedingte Voraussage, daß die Frau böse und gefährlich sei, schuf die notwendigen Voraussetzungen für die Erfüllung dieser Voraussage. Die entwürdigte Frau kann tatsächlich angesichts ihrer Entwürdigung, Diffamierung und Verteufelung böse und gefährlich werden.

III.

Die Verteufelung der Frau, die metaphysische Legitimation dieser Verteufelung und die Jagd und Vernichtung der Frauen auf Grund dieser Legitimation liefern uns eine weitere Bestätigung der These, daß der Mann seine totale Abhängigkeit von der Frau dadurch zu überwinden versucht, daß er die Frau diskriminiert, verteufelt und verfolgt. Die Macht, die die Frau über die Männer besitzt, oder anders ausgedrückt die Tatsache, daß Adam ohne Eva nicht existieren kann, wird im Rahmen der unter dem Einfluß des sexualfeindlichen nichtchristlichen - Dualismus Seele-Leib entstandenen Sexualethik, der Theologen und Kirchenmänner als Macht der Sünde gedeutet. Daß Adam ohne Eva nicht leben kann, wird auf die Tatsache zurückgeführt, daß Adam die Sünde liebt. Durch die Identifikation der Frau mit der Sünde rechtfertigen die Frauenhasser unter den Kirchenmännern einerseits ihre allgemeine Bemühung, die Männerwelt von den Frauen abzusondern, während sie andrerseits zwei für sie sehr wichtige Dinge moralisch untermauern: das Elitenbewußtsein der unverheirateten Männer der Kirche, die sich durch das Zölibat vom gemeinen Volk unterscheiden, und die Verdammung der Frauen in den Bereich des Gefährlichen, wo man sie sogar mit dem Tode - wie im Falle der Hexenjagd - bestrafen darf.
Anderseits haben aber auch die Theologen und Kirchenmänner zu zeigen versucht, daß nicht nur das Böse, sondern auch das Gute von der Frau stammen kann und daß der Mann deshalb beides, sowohl seine Unheilssituation wie auch die Aufhebung dieser Situation der Eva zu verdanken hat. Letzteres kommt deutlich in der Patristik zum Ausdruck, wo Maria Ute Mutter Christi als zweite Eva dargestellt wird. die Bezeichnung Marias als zweite Eva und der Gedanke, der dahintersteht, besagen daß wie die Sünde von der Frau ausging, so nehmen auch die Heilsgüter von ihr ihren Anfang.
Und dennoch stoßen wir auch dann, wenn Theologie und Kirche die Frau nicht verteufeln, auf ihre Diskriminierung. Denn der Marienkult z. b. negiert die Sexualität und das weibliche Geschlecht in doppelter Hinsicht, einmal durch die Hervorhebung der Jungfräulichkeit auf Kosten des geschlechtlichen Lebens des Menschen, und zum andern durch die einseitige Orientierung des Frauenideals an der Mutterschaft. Theologie und Kirche bewegen sich demnach zwischen zwei Auffassungen von der Frau. Entweder wird sie als Inbegriff der Sünde verteufelt Und verfolgt, oder ihre Existenz wird in der Männerwelt nur deshalb geduldet, weil das weibliche Geschlecht geeignet ist, dem Mann und dem Volk Kinder zu gebären. In der gesellschaftlichen Praxis bedeuten diese Auffassungen, daß es In dem an der Lehre der Kirchen orientierten sogenannten christlichen Abendland nur entweder Mütter oder Dirnen geben kann. Mutter und Dirne haben allerdings eines gemeinsam, sie gelten als Mittel zum Zweck, und sie existieren um des Mannes willen. Die Frau als freies, selbständiges Wesen, welches über sich selbst verfügen kann und vor allem seine sexuellen Bedürfnisse auf Grund des Lust-Unlust-Prinzips befriedigen kann, hat im Rahmen der christlichen Theologie keinen Platz.
In einer Männerwelt wie die des »christlichen« Abendlandes, die zwar in der Praxis von den Frauen abhängig ist, die diese Abhängigkeit jedoch verbal dadurch negiert, daß sie die Frauen diskriminiert, entwürdigt und verteufelt, ist es selbstverständlich, daß die Männer auch dann, wenn sie von Menschenrechten sprechen, bewußt oder unbewußt Mannesrechte meinen. Dies haben wir am Beispiel Jean-Jacques Rousseaus gesehen. Aber auch Rousseau gibt zu, daß die Frauen eine Herrschaft ausüben, und zwar nicht, weil die Männer es so gewollt haben, sondern weil die Natur es so will. Sie übten sie schon aus, bevor sie sie zu haben schienen. Wenn aber Rousseau an einer anderen Stelle meint, daß zwar eine gegenseitige Abhängigkeit zwischen Mann und Frau existiert, Männer aber eher ohne Frauen als Frauen ohne Männer leben könnten, dann müssen wir, um diese Behauptung verstehen zu können, die Vita Rousseaus berücksichtigen, die uns offenbart, daß er den Frauen vieles, wenn nicht alles zu verdanken hat. Betont etwa Rousseau die Tatsache, daß Männer ohne Frauen leben können nur, weil er seine eigene Abhängigkeit von dem anderen Geschlecht verdrängen will? Diese Abhängigkeit war stark und läßt sich schon auf Grund seiner Bindung an Frau von Warens beweisen. Elf Jahre, von 1729 bis 1740, hat Rousseau, wenn auch mit verschiedenen, oft längeren Unterbrechungen, bei Frau von Warens gelebt; kein Verhältnis ist für seine intellektuelle und emotionale Entwicklung so bedeutsam gewesen wie diese Liebe zu der zwölf Jahre älteren Frau, die dem jungen Mann sowohl Mutter wie Geliebte war. Gerade dieses Zwielichtig Doppelsinnige war das, was den jungen Jean-Jacques anzog, und was er brauchte: ein Zustand halb kindlicher, halb ehelicher Intimität und Geborgenheit.[12]
Nicht weniger abhängig vom anderen Geschlecht war Friedrich Nietzsche, der sich selbst einzureden versucht, daß die Frau an das »Ewig-Männliche« glaubt. Nietzsche, dessen Vater mit sechsunddreißig Jahren starb, war zu Hause fast nur von Frauen umgeben, die einen braven, fleißigen und gottesfürchtigen Jungen aus ihm machen wollten, was er auch in früheren Jahren war.[13] Er lebte in den kleinbürgerlichen Verhältnissen eines Pastorenhauses, das neben Mutter und Schwester aus einer Mischung von Tanten, Kaffee, Schokolade, viel Kuchen und Gemütlichkeit bestand.[14] Steckt nicht vielleicht hinter der Bemerkung Nietzsches, daß man Frauen wie Vögel einsperren muß, damit sie nicht davonfliegen, der Wunsch, daß man mit Frauen das tun soll, was sie einst mit ihm getan haben? Es steht auf jeden Fall fest, daß dieser Nietzsche, der durch seine Auslassungen gegen die Frauen seinen Haß und seine Verachtung gegen das andere Geschlecht artikulieren will, sich von dem Einfluß der Frauen nie befreien konnte. Das gilt zunächst für sein Verhältnis zu seiner Mutter, die ihren Sohn, der wie seine Vorfahren Pfarrer werden sollte, als Mittelpunkt und Stolz ihres Lebens betrachtete.[15] Noch im Jahre 1879 schreibt Nietzsche Z. B. an seine Mutter: » Ich weiß noch nicht, was ich mit dem Winter anfange, ich bin aller Dinge so müde. Vielleicht, daß ich doch noch im September zu Dir komme.«[16] Und zehn Jahre später, im Januar 1889, ist es die Mutter, die ihn nach Jena in eine Irrenanstalt bringt. Daß er auf der Reise einen Tobsuchtsanfall erlebte, der sich gegen seine Mutter richtete, die das Coupe verlassen mußte,[17] halte ich für keinen Zufall. Bezeichnend ist schließlich, daß die Mutter ihren Sohn später nach Naumburg holte in ihr Haus, wo sie ihn sieben Jahre mit nie ermüdender Liebe« umgibt. Dort erlebt sie mit ihrem Sohn eine zweite Kindheit«. [18]
Aber auch anderen Frauen gegenüber fühlt sich Nietzsche dadurch unterlegen, daß er seine Abhängigkeit von ihnen zugeben muß. So z. B. in einem Brief an Frau Louise Ott, wo es heißt: »Es wurde dunkel um mich, als Sie Bayreuth verließen, es war mir, als ob jemand das Licht mir weggenommen hätte.«[19] In einem anderen Brief an diese Frau schreibt er im Jahre 1877: »Liebe, liebe Freundin! Neulich sah ich auf einmal plötzlich im Dunkel ihre Augen. Warum sieht mich kein Mensch mit solchen Augen an! rief ich ganz erbittert aus. Oh, es ist abscheulich!«[20] Wenn man schließlich an die »fast jünglingshafte Zartheit« Nietzsches denkt, die er während seiner kurzen Freundschaft mit Fräulein Lou von Salome[21] entwickelt, dann ist es fast unmöglich, in diesem Mann den Verfasser des Satzes wiederzuerkennen. »Du gehst zu den Frauen? Vergiß die Peitsche nicht!«

IV.

Sogar der nationalsozialistische Staat, der nach Theodor Friedrich ein neuer völkischer Staat ist, der sich »mit Bewußtsein und aus Grundsatz« auf der Polarität der beiden Geschlechter aufbaut und der »das eigentliche Erlebnis- und Schaffensgebiet des Mannes sein sollte«, hat in der Praxis gezeigt, daß die Männerwelt der Nationalsozialisten ohne die Hilfe der Frauen existenzunfähig gewesen wäre. Man ziehe die Dokumentensammlung von Ursula von Gersdorff: Frauen im Kriegsdienst,[22] heran, um die an Schizophrenie grenzende Inkonsequenz der »Herrenmoral« der Nationalsozialisten festzustellen. Die Nationalsozialisten, die ein Frauenideal vertraten, dessen Vokabular von Worten triefte wie Muttertum, Familienhüterin und ähnliches, schufen schon im Mal 1935 die gesetzliche Grundlage für den Kriegseinsatz der Frauen, die Dienstleistungspflicht für Frauen. Im Juni 1939 arbeiten schon dienstverpflichtete Frauen in Munitionsfabriken. 1941 werden die ersten Kriegsmedaillen an Frauen verliehen, obwohl die Propaganda der Nationalsozialisten Begriffe wie »Flintenweib« oder »weibliche Soldaten« scharf ablehnte. 1943 wird der Luftwaffeneinsatz von 4000 »Maiden« organisiert, und bald sind im Flugmeldedienst 13 000 Frauen, die sogenannten Blitzmädel beschäftigt. Schließlich gibt es im Jahre 1943 1,6 Millionen »einsatzfähige« Frauen. Aus der Überzeugung der Nationalsozialisten, daß die Welt der Frau nur ihren Mann, ihre Familie, ihre Kinder und ihr Haus umfaßt, blieb in dem Moment nichts mehr übrig, wo sie angesichts der Konsequenzen ihrer »Herrenmoral«, die Wahrheit entdecken mußten, daß das »schwache« Geschlecht stark genug ist, um die Männer überall ersetzen zu können. Daß nach dem Krieg kein Mensch von den gefallenen, verwundeten oder in Gefangenschaft geratenen Frauen spricht, während die Soldaten als »Helden« nach wie vor gefeiert werden, ist ein zusätzlicher Beweis dafür, daß die Männerwelt sich selbst betrügt, wenn es um ihre vermeintliche Stärke geht.
Wie Männer sich selbst betrügen können, erleben wir speziell in Ländern wie Griechenland, Spanien, Italien, Ägypten, Marokko usw., wo die Tatsache, daß Adam ohne Eva gleich Null ist, sich auf eine besondere Weise verifizieren läßt. Denn hier benötigt der Mann die Frau primär, um innerhalb der Familie das erreichen zu können, was er in der Gesellschaft nicht leisten kann, nämlich die Bestätigung seiner Männlichkeit. In diesen Ländern, wo der Mann traditionsgemäß in dem Glauben großgezogen wird, er wäre etwas ganz Besonderes bzw. der bessere Teil der Menschheit, herrschen zugleich ökonomische, politische und soziale Zustände, die dein größten Teil der männlichen Bevölkerung, zu vielen Frustrationen und Erniedrigungen zwingen. Einziges Bestätigungsfeld der »Einzigartigkeit« des Mannes, die sich aus seiner Männlichkeit ergibt, ist sein Haus. Je mehr sich der Mann von der Gesellschaft erniedrigen lassen muß, desto mehr genießt er die Rolle des Diktators und Tyrannen im eigenen Haus. Dabei ist die Frau das primäre Opfer dieser Diktatur. Der frustrierte Mann benötigt die Frau, i-im alles erleben zu können, was er in der Gesellschaft kraft seiner vermeintlichen Stärke und »Einzigartigkeit« nie erreicht hat und nie erreichen kann, weil seine Erwartungen sich an die falsche Voraussetzung knüpfen, er sei, weil er eben keine Frau, sondern ein Mann ist, zum Herrscher der Schöpfung geboren.

V.

Nach der Entmythologisierung der Männerwelt, die wir Männern wie J. J. Bachofen, L. H. Morgan oder August Bebel verdanken, verfügen wir über reiches anthropologisches, ethnologisches und soziologisches Material, welches uns abschließend und zusammenfassend folgendes zu sagen berechtigt. Die von der Männerwelt bewirkte Entwürdigung der Frau entwürdigt den Mann selbst, was wiederum die Entwürdigung des Menschen schlechthin impliziert. Anders ausgedrückt: Die Entwürdigung des Menschen beginnt mit der Entwürdigung der Frau. Diese Entwürdigung hängt mit der Geschlechtsangst des Mannes und mit seinen Minderwertigkeitskomplexen zusammen, die sich aus den Tatsachen ergeben, daß die Frau in der Urgesellschaft eine dominierende Rolle spielte. Obwohl diese Rolle als eine Konsequenz der Arbeitsteilung zu betrachten ist, die keineswegs die Abhängigkeit des Mannes von der Frau bedeutet, da es ursprünglich keine gegenseitige Abhängigkeit der Geschlechter gegeben hat, haben die Männer ihre Ängste und Komplexe dadurch zu bekämpfen versucht, daß sie die Abhängigkeitsverhältnisse der Geschlechter zu ihren Gunsten änderten. Sie schufen eine reine Männerwelt, deren ökonomische und soziale Struktur den Männern die Möglichkeit gibt, über die Frauen zu herrschen. Die Unterwerfung der Frau wird zugleich von der Entwürdigung des weiblichen Geschlechts begleitet, welches im Rahmen einer Welt, die eine reine Männerwelt ist, zu den Objekten gehört, die der Mann benötigt, um seine Bedürfnisse zu befriedigen. Nun erlebt aber der Mann die große Überraschung, daß die Frauen in der von ihm aufgebauten Männerwelt genauso eine dominierende Rolle spielen wie in der Urgesellschaft Der wichtigste Unterschied liegt darin, daß, während ursprünglich Mann und Frau als gleichberechtigte Partner friedlich zusammenlebten, sie heute Feinde geworden sind. Denn bewußt oder unbewußt nimmt die entwürdigte Frau Rache an dem Mann, der sie entwürdigt hat, dadurch, daß sie ihn so entwürdigt, daß er alle seine menschlichen Eigenschaften verliert, wenn er sich, wie am besten im Bereich seines sexuellen Lebens zu beobachten ist, wie ein Tier verhält.
Der Versuch des Mannes, die Abhängigkeitsverhältnisse der Geschlechter zu seinen Gunsten zu ändern, endete mit der totalen Abhängigkeit des männlichen vom weiblichen Geschlecht, das sich seine erzwungene Abhängigkeit von den Männern teuer bezahlen läßt: mit der Würde des »Herrn der Schöpfung. So gesehen ist aber der Begriff »schwaches Geschlecht« eine Fiktion, denn es gibt weder den schwachen Mann noch die schwache Frau, sondern den schwachen, weil entwürdigten Menschen. Die Unheilsituation des schwachen Menschen, die sich aus der gegenseitigen Entwürdigung der Geschlechter ergibt, ist nur durch gemeinsame Bemühungen von Männern und Frauen aufzuheben, deren Erfolg oder Mißerfolg von der Tatsache abhängig ist, ob der Mensch endlich einsehen wird oder nicht, daß Gott nicht nur Adam, sondern Adam und Eva mit der Vollendung seines Werkes beauftragte.