10 Thesen
Es gibt nichts in dieser Welt, das den Mann so verunsichern kann wie die Frau. Sei es in seinem sogenannten primitiven Zustand oder als hochentwickelter und zivilisierter Mensch; niemals hat es der Mann erreicht, seine Verhältnisse zum anderen Geschlecht so zu normalisieren, daß er mit den Frauen friedlich und problemlos leben kann. Ihre ambivalente Haltung Frauen gegenüber hat die Männerwelt stets in der Tatsache manifestiert, daß sie die »Weiber« entweder vergöttert oder verteufelt hat. Bei den »Primitiven« treffen wir auf diese Ambivalenz in ihren Mythen, Riten, Tabus usw.; bei den »zivilisierten« Männern äußert sie sich in den Bemühungen, die »Wesensart« des anderen Geschlechts »wissenschaftlich« zu erfassen und zu beschreiben, mit dem Resultat, daß es eine Fülle von »wissenschaftlich« begründeten Meinungen über die Frau gibt, die sich zwischen den sich total widersprechenden konträren Standpunkten vom »physiologischen Schwachsinn des Weibes[1] und von der »natürlichen Überlegenheit des Weibes«[2] bewegen. Angesichts dieser Situation und vieler anderer historisch, anthropologisch und soziologisch belegter Falten, die die Unfähigkeit der Männer bezeugen, ihre Probleme, vor allem die, welche sich aus ihrer Eigenschaft als Geschlechtswesen ergeben, konstruktiv zu bewältigen, halte ich die Hauptthese für vertretbar, daß die Bezeichnung der Frauen als »Schwaches Geschlecht« eine Erfindung der Männerwelt ist, die durch die Etikettierung des anderen Geschlechts mit dem Prädikat schwach ihre eigene Schwäche in eine nicht vorhandene Stärke umfunktioniert. Anders ausgedrückt: weder die Schwächen der Frauen noch ihre Minderwertigkeitskomplexe[3] trugen dazu bei, daß das patriarchalische Vorurteil und die Rangordnung der Geschlechter entstehen konnten. Männerschwächen, Minderwertigkeitskomplexe der Männer und ihre Geschlechtsfurcht bzw. ihre Angst vor der Frau bildeten die Hauptursache der Entstehung einer ausgesprochenen Männerwelt, die sich, solange die Geschlechtsfurcht nicht überwunden werden kann, mit den ihr erdichteten Gegensätzen zwischen Mann und Frau: starkes Geschlecht - schwaches Geschlecht; aktiv - passiv, Rezeption; besonnen impulsiv; intelligent - emotional; logisch - irrational; superior - inferior; progressiv - konservativ; sexuell aktiv - sexuell passiv; schöpferisch - reproduktiv; »Geist« »Seele«; Gerechtigkeitssinn - Ichhaftigkeit, Neid; Sachlichkeit - Subjektivismus; Reife - Infantilismus; selbstkritisch - eitel usw.[4] zufrieden geben wird bei gleichzeitiger Negation und Bekämpfung jeder Umwertung der Werte, die die Schwäche der Männer entlarven kann. Diese Hauptthese hoffe ich durch folgende zehn Thesen besser belegen zu können.
- Die vermeintliche Schwäche der Frau, ihre Unterlegenheit in der von den Männern geprägten »zivilisierten« Welt sowie ihre heutige Abhängigkeit vom Mann hat nichts mit dem »Wesen der Frau« oder anders ausgedrückt - mit der »weiblichen Eigenart« zu tun, denn das Anderssein der Frau ist nicht aus ihrem »Wesen« und ihrer »Eigenart« zu erklären. Es gibt weder biologische noch seelische Gründe, die die Ansprüche der Männer auf Herrschaft, über die Frau rechtfertigen können. Durch ihre Feldstudien haben die Anthropologen und die Ethnologen nachgewiesen, daß es keine sozialen Rollen von Mann und Frau gibt, die als »natürlich« und deshalb als ewig und unabänderlich gelten können. So gesteht Margaret Mead, daß es für sie »eine große Überraschung[5] war, als sie während ihrer Forschungen feststellen mußte, daß die sogenannten primitiven Völker nichts von Temperamentsunterschieden[6] zwischen Männern und Frauen wissen. Sie gestehen ihnen unterschiedliche wirtschaftliche und religiöse Rollen zu, unterschiedliche Geschichtlichkeit unterschiedliche Anfälligkeit für Zauberei und übernatürliche Einflüsse. Die Arapesch z. B. sind überzeugt, daß sich Malen in Farben nur für Männer eigne, während etwa die Mundugumor die Fischerei für eine ausgesprochen weibliche Beschäftigung halten. »Aber daß gewissen Charaktereigenschaften wie Herrschsucht, Tapferkeit, Aggressivität, Anpassungsfähigkeit unlöslich nur mit dem einen Geschlecht verknüpft sind, eine solche Vorstellung fehlt völlig bei ihnen.[7]
- Die »Schwäche« der Frau und ihre heutige Situation sind das Resultat einer unterschiedlichen Wertung der Geschlechter, die sozial, kulturell und ökonomisch bedingt ist. In der Urgesellschaft hat es diese Wertung nicht gegeben. Als Beispiel sei hier das Vorurteil erwähnt, Frauen seien in sexueller Hinsicht passiv bzw. Frauen hätten keine sexuellen Bedürfnisse. Die Sexualbräuche aller Völker, die wir gewöhnlich als nicht zivilisiert bezeichnen, beweisen das Gegenteil, daß nämlich Frauen sehr leidenschaftlich und aktiv sein können. Eine Regafrau z. B., die in einem abgelegenen Gebiet zufällig einen Mann trifft, gibt sich ihm ohne weiteres hin, und wenn der Mann die Situation nicht ausnutzt, lacht sie später mit ihren Freundinnen über ihn. Zu den heißblütigen Frauen Afrikas zählen die Babua, die Korongo und die Messakin vom oberen Nil, die von freien Sexualbeziehungen offen und mit Begeisterung sprechen. Bei den Dahomey tragen die Frauen, die dem Schlangenkult huldigen, ein Röckchen, das sie jedesmal, wenn sie einen Mann treffen, nach dem sie Verlangen haben, fallen lassen.[8] Die Hottentottenfrauen sind als besonders anspruchsvoll in Sachen Liebe bekannt, und die Dschisufrauen, die nicht nach ihren Wünschen befriedigt werden, beginnen so zu schreien, daß die ganze Nachbarschaft davon in Kenntnis gesetzt wird.[9] Im übrigen ist bekannt, daß viele »starke« Männer aus dem zivilisierten Europa in Afrika daran gestorben sind, daß sie das Temperament und die sexuellen Erwartungen des »schwachen« Geschlechts Afrikas nur auf Kosten ihrer Gesundheit befriedigen konnten. Bei den sogenannten primitiven Völkern, und zwar überall dort, wo der Mann keine Angst vor dem anderen Geschlecht empfindet, entwickeln Männer und Frauen dieselben sexuellen Bedürfnisse, die sie auf Grund des Lust-Unlust-Prinzips frei von Zwängen regulieren und befriedigen. Die Frau als passives Wesen ohne sexuelle Bedürfnisse ist Produkt einer Männerwelt, die einen sozial, ökonomisch und kulturell bedingten Moralkodex aufstellte, der die Freude am Trieb zugunsten des Mannes monopolisiert. Die »anständige« Frau hat stets Pflichten, sie soll »sauber« bleiben und sich bereithalten für die Befriedigung der Bedürfnisse des »starken« Geschlechts.
- Zu den wichtigsten und entscheidendsten Ursachen der unterschiedlichen Wertung der Geschlechter zählt die Urangst der Männer vor dem anderen Geschlecht, die die Männer, solange sie ihre Geschlechtsangst nicht überwinden können, zwingt, sich von den Frauen zu trennen, um eine eigene Männerwelt zu bilden. Bei näherer Beobachtung und Vertiefung dieser Angst, die der Mann schon bei den »primitiven« Völkern vor dem anderen Geschlecht empfindet und die eine entscheidende und wichtige Rolle im Leben des Menschen spielt, können wir sofort feststellen, daß sie primär magisch-religiös bedingt ist. Sie hat vor allem nicht das geringste mit Sexualität und dem Geschlechtsverkehr zu tun. Grundsätzlich sind es die Folgen des Geschlechtsverkehrs (Schwangerschaft und Geburt) sowie das Menstruationsblut, die den Primitiven verängstigen und ihn veranlassen, die Frau mit der Welt der Götter und Dämonen in Zusammenhang zu bringen. Deshalb bilden Menstruation, Schwangerschaft und Geburt die Hauptursache der Entstellung von Normen und gesellschaftlichen Formen die die Frau als Trägerin positiver und negativer religiöser Macht,[10] vor denen die Männer von Furcht erfüllt sind, von der Männerwelt ausschließen.[11] Diese Urangst der Männer lebt weiter, und sie steht als sakrale oder säkularisierte Macht jedem Versuch des Mannes im Wege, seine Beziehungen zum anderen Geschlecht zu normalisieren. Schließlich funktioniert der Mann seine Angst um, indem er sagt: »Nicht, daß ich mich vor der Frau fürchte, aber sie ist bösartig übelwollend, jedes Verbrechens fähig«, ein beutegieriges Tier, ein Vampir, eine Hexe, unersättlich in ihren Begierden. Sie ist das Unheimliche, Gefährliche in Person.«[12] Die durch Geschlechtsangst bedingte Entfremdung, der Geschlechter ist ein Phänomen, welches wir in allen Kulturen und Gesellschaftsformen antreffen können Während aber bei den primitiven und den meisten nichtchristlichen Religionen nur die Angst die Beziehungen zwischen den Geschlechtern stören kann, treten im sogenannten christlichen Abendland neben der Angst Schuldgefühle und der Begriff Sünde auf, die das gestörte Verhältnis zwischen Mann und Frau weiter verschlechtern. Während in jenen Kulturen und Gesellschaftsformen, die das Christentum nicht kennen, nur die Angst trennend zwischen Mann und Frau steht, scheiden die Angst und die Entwertung der Frau zur kathexochen Trägerin der Sünde die Geschlechter im »christlichen«, Abendland.
- Neben der Geschlechtsangst wären als weitere entscheidende Ursachen der unterschiedlichen Wertung der Geschlechter die Minderwertigkeitskomplexe der Männer zu nennen, die dadurch entstanden sind, daß die Frau in der Urgesellschaft eine dominierende Rolle spielte, Zwar steht fest, daß in der Urgesellschaft nur der einzige Unterschied existierte, der sich aus der Arbeitsteilung zwischen den Geschlechtern ergab, die im übrigen nicht das geringste mit dem »Wesen« der Frau oder ihrer »Stellung« in der Gesellschaft zu tun hatte. Wahr ist aber ferner, daß diese Arbeitsteilung die Vorherrschaft der Frauen begünstigte, zumal die Tatsache z. B., daß die Frau den Haushalt versorgte, während der Mann sich um die Beschaffung der Nahrung kümmerte, die Herrschaft der Frau im Hause implizierte. Daß sich trotz der Gleichheit der Geschlechter in der Urzeit eine gewisse Stärke, Überlegenheit und dominierende Rolle der Frau in der Gesellschaft bemerkbar macht, läßt sich auch dadurch erklären, daß Frauen Kinder gebären können, die sie mit Sicherheit als die eigenen Kinder bezeichnen können. Schwangerschaft und Geburt haben aber, wie wir sahen, die Männer stets veranlaßt, die Frau als Trägerin einer besonderen religiösen Macht zu betrachten, während die Tatsache, daß zwar die Mutterschaft mit absoluter Sicherheit nachzuweisen ist, die Vaterschaft aber nicht, die Männerwelt verunsichert. In der Urgesellschaft hat im übrigen der Mann mehr Pflichten als Rechte. So ist er z. B. angehalten, seiner Frau während der Schwangerschaft zu helfen und zu dienen. Bronislaw Malinowski stellt auf Grund seiner reichen Erfahrungen mit »primitiven« Menschen und Gesellschaften fest, daß in den frühen Stadien der menschlichen Familie der Vater »viel mehr Hüter und Pfleger, denn ein Mann der Autorität war.«[13] »Wenn der Ehegatte die Schwangerschaftstabus mit seiner Frau teilt und zu dieser Zeit über ihrem Wohlergehen wacht, wenn er während der Schwangerschaft seiner Frau eingeschlossen wird und wenn er Säuglinge pflegt, sind dabei körperliche Stärke, moralische Autorität, religiöse Vorrechte wie auch die legale Gewalt nicht im geringsten beteiligt. In erster Linie wird alles, was er in solchen Zeiten tut, als seine Pflicht und nicht als sein Recht angesehen. Bei der Ausübung vieler intimer Funktionen muß der Mann oft die weibliche Rolle spielen - manchmal auf etwas entwürdigende Weise - oder er muß der Frau bei der Durchführung gewisser Aufgaben zur Seite stehen. Zur gleichen Zeit steht er aber häufig außerhalb und ist das Objekt ihn lächerlich machender bzw. erniedrigender Einstellungen - manchmal sogar seitens der gesamten Gemeinschaft - während seine Frau die wichtigen Angelegenheiten des Lebens vollzieht.[14]
- In dem Moment, wo der Mann von der Angst vor dem anderen Geschlecht überwältigt wird und wo er die dominierende Rolle der Frau in der Gesellschaft als lästig empfindet, vollzieht sich der Übergang zu einer Männerwelt mit eignen Gesetzen und Geheimnissen, die bei den Frauen den Eindruck erwecken sollen, als ob sie, weil sie Männersache sind, etwas Exklusives darstellen, das für Frauen als Tabu gelten muß. Ihre Exklusivität rechtfertigt diese Männerwelt mit drei Mythen. Dem Mythos von der schwachen Frau, dem Mythos vom starken Mann und dem Mythos vom bösen und gefährlichen Weib. Der erste Mythos hilft den Männern, ihre Minderwertigkeitskomplexe in Überwertigkeitskomplexe umzufunktionieren. Der zweite Mythos, kombiniert mit dem ersten, dient als Rechtfertigung der Brutalität der Männerwelt und der Verherrlichung der Aggression allgemein und des Krieges speziell sowie sämtlicher sadomasochistisch bedingter Abhängigkeitsverhältnisse, zwischen den Männern. Der dritte schließlich macht aus der Geschlechtsangst der Männer eine Tugend. Da die Frau das böse Prinzip verkörpert, muß sich der Mann vor ihr hüten, um das bleiben zu können, wofür er sich hält, nämlich das Gute schlechthin. Der Umsturz des Mutterrechtes, die patriarchalische Familie und die Umgestaltung der Arbeitsteilung, die diese Phänomene implizieren, gaben schließlich der Männerwelt die Chance, die Frau zu entwürdigen, zu versklaven und in ein Es bzw. in ein Lustobjekt und Werkzeug der Kinderzeugung umzufunktionieren. So verschwindet die ursprüngliche Gleichwertigkeit der beiden Geschlechter und ihre unterschiedliche Wertung - vor allem aber der Mythos vom starken Mann und der schwachen Frau - wird als »natürlich« akzeptiert, da sie sich angeblich aus dem eigentlichen »Wesen« der Frau ergibt. Für eine theoretische Rechtfertigung der unterschiedlichen Wertung der Geschlechter sorgen die Philosophen, so z. B. Plato. Plato ist nicht nur überzeugt, daß Männer viel besser und wertvoller seien als die »Weiber«[15] sondern er glaubt auch ganz besonders, daß nur Männer fähig sind, sich mit geistigen Dingen zu befassen.[16]Plato liefert der Männerwelt die philosophischen und metaphysischen[17]Grundlagen einer frauenfeindlichen Einstellung, die in doppelter Hinsicht gerechtfertigt wird. Einmal durch ein Elitebewußtsein bzw. das Bewußtsein, besser zu sein als die »Weiber«, und zum anderen durch eine Verbindung zwischen Elitebewußtsein und Homosexualität. Von Plato bis zu den Befürwortern des Pflichtzölibats erleben wir die Vorstellungen einer Männerwelt, die, weil die »Weiber böse und gefährlich« sind, die Frauen am liebsten ganz aus ihren Kreisen entfernen möchten. Echte Männer trachten nach Männlichem - meint Plato.[18]»Solange sie Knaben sind, lieben sie als Teile des Männlichen die Männer. Sie freuen sich, bei ihnen zu liegen und in ihren Armen zu sein. Es sind unter Knaben und Jünglingen die besten, sie sind von Natur die männlichsten Man sagt wohl, sie seien schamlos, aber das ist gelogen, denn sie tun das nicht aus Schamlosigkeit, sondern aus Mut und Mannestum und Mannhaftigkeit, weil sie sich hingezogen fühlen zu dem, was ihnen wesensgleich ist. Beweis dafür ist: nur sie werden, wenn sie erwachsen sind, Staatsmänner. Sind sie zu Männern geworden, lieben sie Knaben; auf Ehe und Kindererzeugung richten sie nicht von Natur aus den Sinn, nur die Satzung zwingt sie dazu.«[19]
- Im Rahmen einer Männerwelt im Orient, die bis heute die Frau nur als Dienerin und Lustobjekt des Mannes betrachtet, lebte, lehrte und starb als Opfer dieser Welt vor ca. 2000 Jahren, Jesus Christus, der zum Stifter einer Religion wurde, die idealtypisch gesehen, jegliche Herrschaft des Menschen über den Menschen abschaffen könnte und die deshalb besonders dazu prädestiniert ist, die ursprüngliche Gleichwertigkeit der Geschlechter wiederherzustellen. Eine Welt, die die Lehre Christi ernst nimmt, oder, anders ausgedrückt, eine Welt, die auf Grund spezifisch christlichen Denkens und Handelns entsteht, kann nur eine Welt sein, die, getragen von der Macht der Liebe, die Versöhnung des Menschen mit Gott, mit der Natur, mit sich selbst und mit seinen Mitmenschen begünstigt und fördert. Eine Welt dieser Art kann aber nur eine Geschwisterwelt sein, in deren Rahmen Mann und Frau als gleichberechtigte und gleichwertige Partner zusammen an der gemeinsamen Aufgabe der Vermenschlichung des Menschen arbeiten. Der persönliche Umgang Christi mit Frauen[20] entspricht seiner Oberzeugung, daß Mann und Frau von göttlicher Herkunft sind[21] und daß sie deshalb ebenbürtig sind. »Und es begab sich danach, daß er durch Städte und Dörfer reiste und predigte und verkündete das Evangelium vom Reiche Gottes, und die Zwölf waren mit ihm, dazu etliche Frauen, die er gesund gemacht hatte von bösen Geistern und Krankheiten, nämlich Maria, die da Magdalena heißt, von welcher waren sieben Geister ausgefahren, und Johanna, die Frau des Chusa, eines Verwandten des Herodes und Susanne und viele andere, die ihnen Handreichung taten von ihrer Habe« heißt es bei Lukas[22] Weitere Einzelheiten aus den Evangelien, so z. B. daß Christus Martha und ihre Schwester »lieb hatte«[23] oder die Tatsache, daß seine Jünger sich wunderten über die Art, wie er sich Frauen gegenüber verhielt,[24] seien hier als zusätzliche Beweise dafür erwähnt, daß Christus keine Geschlechtsangst kannte und daß er sich auch in diesem Punkt von seiner Umwelt absetzte. Dadurch unterscheidet sich Christus auch von denen, die sich Christen nennen und die im Namen Christi ihre Angst vor den Frauen nicht nur rechtfertigen, sondern auch als den normalen Zustand eines Christen objektivieren wollen.
- Die nur von Männern geprägte frauenfeindliche Umwelt Christi war der ungünstigste Boden, den man sich vorstellen kann, für die Entfaltung einer Lehre, die, wie die Lehre Christi, die Gleichwertigkeit der beiden Geschlechter impliziert. Unter dem starken Einfluß dieser Umwelt wurde der Apostel Paulus zum Vorläufer einer frauen-und sexualfeindlichen Theologie, die voller Widersprüche ist, welche sich aus der Tatsache erklären, daß er zugleich Jude, Christ und Grieche[25] in dem Sinn war, daß er die griechische Sprache beherrschte. Als Jude und Grieche mußte er die Gleichberechtigung der Geschlechter ablehnen, während der Christ Paulus die Lehre seines Meisters vertreten sollte, die die Aufhebung aller Gegensätze bedeutet, die sich aus der Polarisierung der Geschlechter ergeben. Sehr deutlich treten diese Widersprüche in der paulinischen Lehre dort hervor, wenn Paulus z. B. einmal die Auffassung vertritt, in Christus seien alle - Mann und Weib - eines,[26] während er zum anderen glaubt, daß »der Mann des Weibes Haupt«[27] sei oder daß nur der Mann »Gottes Bild und Abglanz ist,[28] die Frau aber ist des Mannes Abglanz«.[29] Mit Paulus beginnt die metaphysische Legitimation der Diskriminierung der Frau im sogenannten christlichen Abendland, dessen »gottgewollte« Ordnung ein pyramidaler Vater-Ordo war, der sich auf Ungleichheit von oben nach unten, Zwang, Unfreiheit und Unwissenheit stützte. Ganz oben dürfen nur Männer stehen, während die Frauen zu den wichtigsten Opfern dieses Ordo bzw. der Zwänge der Unfreiheit und Unwissenheit, die er impliziert, gehörten. Theologie und Kirche sorgten dafür, daß die Männerwelt mit ruhigem Gewissen und im Namen Christi die Frauen als ihren Besitz behandeln konnte. Als Beispiel der theologischen und kirchlichen Rechtfertigung des Frauenhasses sei hier Thomas[30] von Aquin genannt, dessen System durch päpstliche Beschlußfassung zur offiziellen Theologie der römisch-katholischen Kirche erhoben wurde. Die sehr instruktive Arbeit von Klaus Bernath: Anima Forma Corporis: Eine Untersuchung über die ontologischen Grundlagen der Anthropologie des Thomas von Aquin überzeugt uns, daß die Äußerungen des Thomas zum Thema Frau von einer deutlichen Abneigung gegen das weibliche Geschlecht geprägt sind. Thomas hat sich sehr viel Mühe gegeben, um der Nachwelt zu zeigen und zu beweisen, daß die Frau ein »animal imperfektum« ist.[31]
- Theologie und Kirche haben sich die von Paulus reproduzierte frauenfeindliche Tradition seiner Zeit nicht nur zu eigen gemacht, sondern sie formten aus ihr eine »christliche« Lehre, mit dem Resultat, das wir im sogenannten christlichen Abendland den Höhepunkt einer Polarisierung der Geschlechter auf Grund der Identifizierung der Frau mit der Sünde erlebten. Während der Mann als das geistige und gute schlechthin gilt, verkörpert die Frau das böse Prinzip. Ost und West unterscheiden sich in diesem Punkt wenig. Kirchenmänner östlicher und westlicher Richtung sind darin einig, daß die Frau gefährlich und böse ist. Die Verteufelung der Frau und der Frauenhaß steigerten sich schließlich bis zur organisierten Jagd auf Frauen zu ihrer Vernichtung. Die Hexenprozesse bzw. der Sturm des Hexenwahns liefern die besten Beweise dafür, daß der Frauenhaß keine Grenzen kennt. Trotz der Lehre Christi, die eine Geschwisterwelt bewirken sollte, wo Mann und Frau als gleichwertig und -berechtigt gelten, entstand eine sogenannte christliche Welt, zu deren Hauptmerkmalen der Patriarchalismus, die Gleichsetzung der Menschenrechte mit den Mannesrechten und die Entwertung der Frau zum »Es« und zur Ware gehören. Allerdings ist der Patriarchalismus, den wir hier meinen, ein »sekundärer Patriarchalismus«, der vom archaischen Patriarchalismus dadurch zu unterscheiden ist, daß ersterer als Ideologisierung des zweiten kein konkretes System der Familienorganisation, sondern ein »hochkomplexes kulturelles Zwangssystem«[32]darstellt, das die dominierende Rolle des Mannes in der Gesellschaft und die Unterwerfung der Frau unter seiner Herrschaft als »natürlich« voraussetzt. Dieser »sekundäre Patriarchalismus« ist zugleich das säkulare Erbe jenes pyramidalen Vater-Ordos, den wir im Zusammenhang mit der metaphysischen Legitimation der Diskriminierung der Frau erwähnten und der sich mit Hilfe der Theologen und der Kirchen im Mittelalter als »gottgewollte« Ordnung durchsetzen konnte.
- Daß der »gottgewollte« Vater-Ordo des Mittelalters, den Theologie und Kirche als »christlich« zu bezeichnen pflegen, unmenschlich und daher nicht christlich war, zeigte sich in dem Moment, wo Ereignisse wie die Aufklärung die Französische Revolution oder der Sozialismus dem Menschen dazu verhalfen, sich von seiner »selbstverschuldeten Unmündigkeit« zu befreien und die Legitimität des Vater-Ordo in Frage zu stellen. Eine sehr wichtige Rolle spielten dabei Martin Luther und die Reformation. Daß ich hier Luther und die Reformation im Zusammenhang mit dem Übergang des Menschen vom abhängigen zum selbständigen Denken und Handeln nicht so in den Vordergrund stelle, wie ich es in anderen Arbeiten versuche,[33]liegt darin begründet, daß Martin Luther für die Emanzipation und die Gleichstellung und -Berechtigung der Frau nichts geleistet hat. Im Gegenteil; Er wurde zum wichtigsten Vorläufer der drei K-(Kirche-Küche-Kinder) Mentalität, die die metaphysische Legitimation der Diskriminierung und Ausbeutung der Frau bestätigt und perpetuiert. Was ich andernorts im Zusammenhang mit dem Thema Religion und Sexualität sagte, daß nämlich im Bereich der Sexualität die Reformation ausblieb,[34] gilt auch im Falle der Stellung der Frau in der Gesellschaft. Die Erneuerung der Hoffnung, die Christus in der Welt erweckte, daß es eine Gesellschaft als Geschwisterwelt geben kann, in der Mann und Frau als gleichberechtigte Partner für eine bessere Welt zusammenarbeiten können, ist nicht den sogenannten Nachfolgern Christi zu verdanken, sondern den Sozialisten. Der Sozialismus gab den wichtigsten Anstoß für die Befreiung der Frauen von der Unterdrückung der Männer, indem er erstens die Männerwelt entmythologisierte und den pyramidalen Vater-Ordo als ein raffiniertes System zur Befriedigung der Herrschsucht und Habgier der Männer entlarvte, während er zweitens sich entschieden für die Emanzipation und Gleichberechtigung der Frauen engagierte. Mit Recht schreibt August Bebel, der der sozialistischen Frauenbewegung, aber auch allen anderen Unterdrückten mit seinem Buch: Die Frau und der Sozialismus[35] eine Art Evangelium schenkte, daß »von allen Parteien die sozialdemokratische Partei die einzige Partei ist, welche die volle Gleichberechtigung der Frau, ihre Befreiung von jeder Abhängigkeit und Unterdrückung in ihr Programm aufgenommen hat, nicht aus agitatorischen Gründen, sondern aus Notwendigkeit«.[36] August Bebel meint; daß es keine Befreiung der Menschheit ohne die soziale Unabhängigkeit und Gleichstellung der Geschlechter geben kann, und somit trägt er dazu bei, daß die Menschwerdung und die Befreiung des Menschen von allen Zwängen der Wirklichkeit näher rückt. Deshalb dient er aber der Sache Christi besser als viele Frauenhasser, die sich Christen nennen. Auch hier sehe ich mich im übrigen in meiner Überzeugung bestätigt, daß - wie eine der Thesen meines Buches: Entchristlichung und Sexualisierung - zwei Vorurteile[38] lautet - Ereignisse, wie die Aufklärung, die Französische Revolution oder der Sozialismus, nichts anderes darstellen als funktionale Äquivalente christlicher Überzeugungen, d.h., Überzeugungen, die nicht als christlich angesehen werden, die aber wesentliche soziologisch bedeutsame Merkmale christlicher Anschauungen aufweisen. Sie sind Träger der Früchte christlichen Geistes geworden, die sehr oft gegen den Willen des institutionalisierten Christentums Werte wie Freiheit, Gleichheit und Gerechtigkeit, kurzum Menschlichkeit in der Gegenwartsgesellschaft unter vielen Kämpfen und Opfern durchsetzten. Der Sozialismus verliert aber für die Emanzipation der Frau in dem Moment an Bedeutung, wo er die menschliche Einzelperson einem anonymen Kollektiv oder Apparat - Partei oder Staat - opfert. Ein Sozialismus, der z. B. wie der russische Kommunismus, den einzelnen Menschen nicht als das Wertvollste betrachtet, was es überhaupt geben kann, so daß er die freie Entfaltung der Persönlichkeit des einzelnen hindert oder gar bekämpft, ignoriert das wichtigste Element der sogenannten Frauenfrage: daß nämlich die Frau darunter leidet, daß die Männerwelt ihre Individualität verletzt, indem sie die Selbständigkeit der Frauen stets zu verhindern weiß. Es ist aber offensichtlich, daß eine Männerwelt wie die kommunistischen die nicht einmal die Individualität der Männer bejaht, das Schicksal der Frauen mit dem Schicksal des von ihr erfundenen und dogmatisch als heilbringend legitimierten kommunistischen Systems verbindet. Somit sind aber wieder die Männer, d.h. die Väter des Kommunismus diejenigen, die darüber entscheiden, welche Rolle die Frau »für den Aufbau der sozialistischen Welt« spielen darf. Daher macht es keinen Unterschied, ob man während der Tagesschau am Fernsehen täglich Ereignisse aus den »sozialistischen« oder den kapitalistischen« Ländern sieht. In beiden Fällen sind nur die Gesichter von Männern zu sehen, die nach wie vor die Meinung vertreten, daß sie dazu prädestiniert sind, die Welt zu verbessern. Wie diese Verbesserung aussieht, haben die zwei Weltkriege gezeigt, die uns durchaus berechtigen, das sogenannte starke Geschlecht als das destruktive Geschlecht zu bezeichnen.
- Die Emanzipation der Frau setzt die Emanzipation des Mannes voraus. Denn Emanzipation bedeutet Befreiung aus einem Zustand der Abhängigkeit, der Beschränkung und der Unterdrückung. Solange die Männer sich von dem Zustand ihrer selbstverschuldeten Unmündigkeit nicht befreien konnten, waren sie weder in der Lage noch gewillt, den Frauen Freiheiten zu gestatten, von denen sie selbst keine Ahnung hatten. Die Wiederentdeckung genuiner christlicher Werte, die die Reformation bewirkte und die den Übergang des Menschen vom abhängigen zum selbständigen Denken und Handeln ermöglichte, gab den wichtigen Anstoß für die Emanzipation des Mannes von der pyramidalen Vater-Ordo des Mittelalters mit dem Resultat, daß an die Stelle von Werten wie König, Thron, Befehl, Gehorsam, Dienen, Ehren, Strafen usw. die dieser Ordo sanktionierte, neue Werte sich durchsetzen konnten wie Gleichheit, Brüderlichkeit, Freiheit, Gerechtigkeit usw., die die Herrschaft des Menschen über den Menschen erschweren. Diese neuen Werte bewirkten mehrere Emanzipationsbewegungen, darunter an erster Stelle die Frauenbewegungen, die den Frauen die Chancen gaben zu zeigen, daß sie fähig und stark genug sind, um als gleichberechtigte Partner des Mannes mit ihm für eine neue, menschlichere und daher bessere Welt zusammenzuarbeiten. Sowohl das Christentum als auch der Sozialismus, die in ihrer idealen Form die Emanzipation des Menschen vorantreiben könnten, haben sich in ihrer institutionalisierten Form - als Kirchen (Christentum) oder als kommunistische Parteien (Sozialismus) - von ihren Idealen Freiheit, Brüderlichkeit, Gleichheit so weit entfernt, daß sie bewußt oder unbewußt die Unterwerfung des Menschen unter neue Zwangssysteme oder die Wiederherstellung des pyramidalen Vater-Ordo ermöglichen und unterstützen. Dies geschieht z. B. dann, wenn etwa der Sozialismus in Rußland, wie wir schon sagten, die Individualität des Menschen einem anonymen Kollektiv opfert oder wenn die Kirchen mit etlichen faschistischen Systemen und Diktaturen paktieren, die nur auf Kosten der Freiheit, der Brüderlichkeit und der Gleichheit existieren können. Wenn man ferner bedenkt, daß auch im Rahmen der sogenannten freien Welt und der demokratisch orientierten Gesellschaftsformen der »sekundäre Patriarchalismus« das Leben des Menschen stark prägt und beeinträchtigt, so können wir sagen, daß die Emanzipation des Menschen zwar begonnen hat, sich aber nur mühsam durchsetzt. Deshalb erleben wir sehr oft eine Stagnation der Prozesse der Emanzipation der Frau. Diese Stagnation wird von der Gesellschaft deshalb nicht so bewußt wie nötig erlebt, weil man die wichtigste Tatsache ignoriert, daß Emanzipation und Gleichberechtigung der Frau nicht bedeutet, daß die Frauen so wie die Männer werden und leben sollen. Eine Emanzipation der Frau dieser Art wäre katastrophal, denn sie würde zu einer totalen Anpassung der Frauen an die Männerwelt und ihre Häßlichkeiten führen. Daß die Frauen z. B. Fußball spielen können und dürfen wie die Männer, daß die Frauen Flugzeuge entführen können wie die Männer oder daß die Frauen killen können und dürfen wie die Männer usw. sind keine Beweise der Befreiung der Frau von allen Zwängen. Sie sind Zeichen dafür, daß die Frau sich neuen Zwängen unterwirft. Emanzipation und Gleichberechtigung der Frau bedeutet, daß die Frau in der Gesellschaft endlich die gleichen Chancen für die zwanglose Entfaltung ihrer Persönlichkeit erhält wie die Männer. Nur dann können Mann und Frau als gleichberechtigte Partner eine permanente Emanzipation des Menschen garantieren, die zu einer totalen Abschaffung der Herrschaft des Menschen über den Menschen führen kann. Daß es noch nicht so weit ist, liegt auch darin, daß nicht die Frau, sondern der Mensch schlechthin schwach ist. Die Ängste und die Schwächen der Männer schufen die Bedingungen für die Entstehung einer Männerwelt, deren Produkt u.a. das sogenannte schwache Geschlecht ist. Denn in mancher Hinsicht ist die Frau tatsächlich schwach sie hat in einem jahrhundertelangen Prozeß die Gewalt, die durch den Mann auf sie ausgeübt wurde, so verinnerlicht, daß ihr Bewußtsein der Unterdrückung verdrängt worden ist. Die Stärke oder die Schwäche einer Frau hängt deshalb damit zusammen, ob sie in der Lage ist, ihr verdrängtes Bewußtsein der Unterdrückung; wieder-erfahrbar zu machen.