1. Der Kampf um die zivilrechtliche Gleichberechtigung
Die soziale Abhängigkeit einer Rasse, einer Klasse oder eines Geschlechts erhält stets ihren Ausdruck in den Gesetzen und politischen Einrichtungen des betreffenden Landes. Die Gesetze sind der in Paragraphen formulierte Ausdruck der maßgebenden Interessen, der zum Rechte eines Landes erhoben wird. Die Frauen als abhängiges, unterdrücktes Geschlecht finden dementsprechend ihre Stellung im Rechte eines Landes zugewiesen. Die Gesetze sind negativer und positiver Art. Negativ, insofern sie bei der Verteilung von Rechten von dem Unterdrückten keine Notiz nehmen, positiv, indem sie ihm seine unterdrückte Stellung anweisen und etwaige Ausnahmen bezeichnen. Unser gemeinsames Recht beruht auf dem römischen Rechte, das den Menschen nur als besitzendes Wesen kennt. Das alte germanische Recht, das die Frau würdiger behandelte, hat nur teilweise seine Wirksamkeit behalten. Wie in der französischen Sprache der Mensch und der Mann durch ein und dasselbe Wort, »homme«, bezeichnet werden, und ebenso in der englischen durch »man«, so kennt das französische Recht den Menschen nur als Mann, und ganz ähnlich war es bis vor wenigen Jahrzehnten in England, woselbst die Frau sich in sklavischer Abhängigkeit vom Manne befand. So einst auch in Rom. Es gab römische Bürger und Frauen römischer Bürger, keine Bürgerinnen. [...]
Nachbemerkung (Monika Seifert):
Von dem Kapitel »Der Kampf um die zivilrechtliche Gleichberechtigung« habe ich nur die theoretischen Überlegungen, die Bebel der Beschreibung der rechtlichen Stellung der Frauen vorausschickt, übernommen. Man kann davon ausgehen, daß die letzten Vorschriften, die der rechtlichen Gleichberechtigung entgegenstehen, die jetzige Legislaturperiode nicht überdauern werden. Gleichwohl kann nicht davon gesprochen werden, daß die soziale Abhängigkeit der Frauen beseitigt wäre. Wir haben also den grotesken Zustand, daß die Gesetze etwas bestimmen, was in der Wirklichkeit erst noch erkämpft werden muß. Wie kam es zu dieser paradoxen Entwicklung? 1949 wurde ins Grundgesetz aufgenommen, daß Männer und Frauen gleichberechtigt sind. Alle Gesetze (die Stellung der Frau regelnd) bestanden aber weiter. Die verfassungsgebende Versammlung hatte dem Parlament die Auflage gemacht, bis zum 31.3.53 diese Gesetze der Verfassung anzupassen. Das Parlament entwickelte von sich aus, im Gegensatz zum Verfassungsauftrag, keinerlei Gesetzesinitiative. Erst als die Richter nach Ablauf der Frist die Verfassung selbst interpretierten und die alten Gesetze außer Kraft setzten, besann sich das Parlament auf seine Aufgabe. Das erste Parlament der Bundesrepublik hat das Gleichberechtigungsgebot wie im übrigen auch das eng damit zusammenhängende Gebot, gleiche Rechte für uneheliche Kinder gesetzlich zu verankern - nicht ernst genommen. Man kann sich also fragen, was bescherte uns eigentlich die Gleichberechtigung? Die verfassungsgebende Versammlung stand noch unter dem Einfluß der französischen, englischen und amerikanischen Besatzungsmächte. In deren Heimatländern waren Menschenrechte - wie z. B. die Gleichheit aller Menschen vor dem Gesetz - durch Revolutionen erkämpft und lange in den Verfassungen verankert. (Was übrigens nicht verhinderte, daß die Frauen auch in diesen Ländern weder rechtlich noch politisch gleichberechtigt waren.) Unter dem Eindruck der faschistischen Diktatur, die Menschenrechte nicht anerkannt hatte, kam auch die Gleichberechtigung der Frauen ins Grundgesetz. In der Nachkriegszeit war es nicht möglich, die gesellschaftlichen Verhältnisse, die den Faschismus ermöglicht hatten, zu verändern, wohl aber Verfassungspostulate zu formulieren, die solche veränderten Verhältnisse zur Voraussetzung gehabt hätten. Postulate dieser Art können weder Leichtlohngruppen noch geringere Bildungschancen verhindern.
2. Der Kampf um die politische Gleichberechtigung
Die handgreifliche Rechtsungleichheit der Frauen gegenüber den Männern hat bei den vorgeschritteneren unter ihnen die Forderung nach politischen Rechten hervorgerufen, um durch die Gesetzgebung für ihre Gleichberechtigung zu wirken. Es ist derselbe Gedanke, der auch die Arbeiterklasse leitete, auf die Eroberung politischer Macht ihre Agitation zu richten. Was für die Arbeiterklasse recht ist, kann für die Frauen nicht unrecht sein. Unterdrückt, rechtlos, vielfach hintangesetzt, haben sie nicht bloß das Recht, sondern die Pflicht, sich zu wehren und jedes ihnen gut scheinende Mittel zu ergreifen, um sich eine unabhängige Stellung zu erobern. Gegen diese Bestrebungen erheben sich natürlich wieder die reaktionären Unkenrufe. Sehen wir zu, mit welchem Recht. Hervorragend geistig veranlagte Frauen haben in den verschiedenen Zeitaltern und unter den verschiedensten Völkern, auch dort, wo sie nicht als Fürstinnen die Macht in Händen hatten, eine einflußreiche politische Rolle zu spielen verstanden.
Davon war sogar der päpstliche Hof nicht ausgeschlossen. Konnten sie einen Einfluß nicht direkt und auf dem Wege ihnen zustehender Rechte erlangen, so auf dem Wege geistigen Übergewichts, selbst der Kabale und Intrige. Groß war insbesondere ihr Einfluß während Jahrhunderten am französischen Hofe, aber nicht minder an den spanischen und italienischen Höfen. So war gegen Ende des siebzehnten Jahrhunderts am Hofe Philipps V. von Spanien die Großkämmerin Marie von Trémouille, Herzogin von Bracciano und Fürstin von Ursins, während dreizehn Jahren der erste Minister Spaniens, und sie leitete während dieser Zeit die spanische Politik in ausgezeichneter Weise. Auch als fürstliche Mätressen haben sie es vielfach meisterhaft verstanden, sich einen oft gewaltigen politischen Einfluß zu sichern; wir erinnern nur an die altbekannten Namen, die Maintenon, die Mätresse Ludwigs XIV., und die Pompadour, die Mätresse Ludwigs XV. Die große geistige Bewegung, die sich im achtzehnten Jahrhundert unter Männern wie Montesquieu, Voltaire, d'Alembert, Holbach, Helvetius, Lamettrie, Rousseau und vielen anderen vollzog, ließen die Frauen nicht unberührt.
Mochten viele unter ihnen, um die Mode mitzumachen oder ihrem Hang zur Intrige Rechnung zu tragen oder aus sonstigen nicht immer rühmlichen Motiven, sich all dieser großen Bewegung beteiligen, welche die Berechtigung aller Grundlagen des Staates und der feudalen Gesellschaft in Zweifel zog und untergrub, eine ganze Anzahl derselben nahm aus lebhaftem Interesse und aus Begeisterung für die großen Ziele an ihr teil. Schon Jahrzehnte vor dem Ausbruch der großen Revolution, die wie ein reinigendes Gewitter Frankreich durchtobte, alles Alte aus den Fugen trieb und zu Boden warf und die vorgeschrittensten Geister in der ganzen Kulturwelt zu hellem Jubel begeisterte, strömten die Frauen in Mengen in die wissenschaftlichen und politischen Klubs, in denen philosophische, naturwissenschaftliche, religiöse, soziale, politische Fragen mit bis dahin unerhörter Kühnheit erörtert wurden, und beteiligten sich an den Debatten.
Und als endlich im Juli 1789 mit dem Bastillesturm die Ouvertüre zur großen Revolution begann, da waren es sowohl die Frauen aus den oberen Schichten wie aus dem Volke, die sehr aktiv in die Bewegung eingriffen und einen merkbaren Einfluß pro und kontra ausübten. Exzessiv im Guten wie im Schlimmen beteiligten sie sich, wo die Gelegenheit sich dazu fand. Die Mehrzahl der Geschichtsschreiber hat mehr von den Ausschreitungen der Revolution, die unter den gegebenen Verhältnissen nur zu natürlich waren, denn sie waren die Folge all der ungeheuren Erbitterung über die unsägliche Korruption, die Ausbeutung, den Betrug, die Niedertracht, die Schmach und den Verrat der herrschenden Klassen am Volke, als von ihren Großtaten Akt genommen. Unter dem Einfluß dieser einseitigen Schilderungen dichtete Schiller sein: »... da werden Weiber zu Hyänen und treiben mit Entsetzen Spott.« Und doch haben sie in jenen Jahren so viel Beispiele von Heroismus, Seelengröße und bewundernswerter Aufopferungsfähigkeit gegeben, daß ein unparteiisches Buch »über die Frauen in der großen Revolution« schreiben hieße, ihnen eine weithin leuchtende Ehrensäule errichten.[49] Waren doch selbst nach Michelet die Frauen die Avantgarde der Revolution. Die allgemeine Not, unter der das französische Volk unter dem Raub- und Schandregiment der Bourbonen litt, traf wie immer unter gleichen Verhältnissen namentlich die Frauen. Von fast jedem ehrlichen Erwerb durch die Gesetze ausgeschlossen, fielen sie zu Zehntausenden der Prostitution zum Opfer.
Dazu kam die Hungersnot des Jahres 1789, die ihr und ihrer Angehörigen Elend auf die Spitze trieb. Diese zwang sie im Oktober zum Rathaussturm und zum Massenzug nach Versailles, dem Sitz des Hofes; sie veranlaßte aber auch eine Anzahl von ihnen, bei der Nationalversammlung zu petitionieren, »daß die Gleichheit zwischen Mann und Frau wiederhergestellt, ihnen Arbeit und Beschäftigung freigegeben werde und ihnen Stellen eingeräumt würden, für die ihre Fähigkeit sie eigneten«. Und da sie begriffen, daß, um zu ihrem Recht zu kommen, sie Macht haben müßten, Macht sich aber nur erobern ließ, wenn sie sich organisierten und in Massen zusammenständen, so riefen sie in ganz Frankreich Frauenvereine ins Leben, die zum Teil eine überraschend hohe Mitgliederzahl erlangten, und beteiligten sich auch an den Versammlungen der Männer. Wenn die geniale Madame Roland es vorzog, unter den »Staatsmännern« der Revolution, den Girondisten, eine leitende politische Rolle zu spielen, so nahm die feurige und beredte Olympe de Gouges die Führung der Frauen des Volkes in ihre Hand und trat mit der ganzen Begeisterung, zu der ihr Temperament sie befähigte, für diese ein. Als 1793 der Konvent die Menschenrechte (les droits de l'homme) proklamierte, erkannte sie sofort, daß es nur Männerrechte seien. Diesen stellte Olympe de Gouges im Verein mit Rose Lacombe und anderen in 17 Artikeln die »Frauenrechte« gegenüber, die sie 1793 vor der Pariser Kommune des längeren begründeten mit Ausführungen, die auch noch heute ihre volle Berechtigung haben und in denen der der Situation entsprechende Satz enthalten war: »Hat die Frau das Recht, das Schafott zu besteigen, so muß sie auch das Recht haben, die Tribüne zu besteigen.« Ihre Forderungen blieben unerfüllt.
Dagegen fand ihr Hinweis auf das Recht der Frau, gegebenenfalls das Schafott besteigen zu müssen, blutige Bestätigung. Ihr Eintreten für die Rechte der Frauen auf der einen und ihr Kampf gegen die Gewalttaten des Konvents auf der anderen Seite ließen sie dem Konvent für das Schafott reif erscheinen; ihr Kopf fiel noch am 3. November desselben Jahres. Fünf Tage später fiel auch der Kopf der Madame Roland. Beide starben wie Helden. Kurz vor ihrem Tode, am 30. Oktober 1793, hatte der Konvent seine frauenfeindliche Gesinnung auch dadurch bestätigt, daß er die Unterdrückung aller Frauenvereine beschloß, und später ging er sogar so weit, als die Frauen fortfuhren, gegen das an ihnen verübte Unrecht zu protestieren, daß er ihnen den Besuch des Konvents und der öffentlichen Versammlungen verbot und sie als Aufrührer behandelte.
Als der Konvent gegen das heran marschierende monarchische Europa »das Vaterland in Gefahr« erklärt hatte und das Massenaufgebot anordnete, erboten sich die Pariser Frauen zu tun, was zwanzig Jahre später begeisterte preußische Frauen ausführten, mit dem Gewehr in der Hand das Vaterland zu verteidigen, hoffend, damit ihr Recht auf Gleichheit zu beweisen. Aber da trat ihnen in der Kommune der radikale Chaumette entgegen, der ihnen zurief:
»Seit wann ist es den Frauen gestattet, ihr Geschlecht abzuschwören und sich zu Männern zu machen? Seit wann ist es Gebrauch, sie die fromme Sorge ihres Haushaltes, die Wiege ihrer Kinder verlassen zu sehen, um auf die öffentlichen Plätze zu kommen, von der Tribüne herab Reden zu halten, in die Reihe der Truppen zu treten, mit einem Worte Pflichten zu erfüllen, welche die Natur dem Manne allein zugeteilt hat? - Die Natur hat dem Manne gesagt: Sei Mann! Die Wettrennen, die Jagd, der Ackerbau, die Politik und die Anstrengungen aller Art sind dein Vorrecht! Sie hat zu dem Weibe gesagt: Sei Weib! Die Sorge für deine Kinder, die Details des Haushaltes, die süße Unruhe der Mutterschaft, das sind deine Arbeiten! - Unkluge Frauen, warum wollt ihr Männer werden? Sind die Menschen nicht genug geteilt? Was bedürft ihr mehr? Im Namen der Natur, bleibt, was ihr seid; und weit entfernt, uns um die Gefahren eines so stürmischen Lebens zu beneiden, begnügt euch damit, sie uns im Schoße unserer Familien vergessen zu machen, indem ihr unsere Augen ruhen lasset auf dem entzückenden Schauspiel unserer durch eure zärtliche Sorge glücklichen Kinder.«
Ohne Zweifel sprach der radikale Chaumette den meisten unserer Männer aus der Seele. Auch wir glauben, daß es eine zweckmäßige Arbeitsteilung ist, den Männern die Verteidigung des Landes zu überlassen, dagegen den Frauen die Sorge für Heimat und Herd. Im übrigen ist der rednerische Erguß Chaumettes nur Phrase. Was er von der Mühe des Mannes im Ackerbau sagt, trifft nicht zu, denn im Ackerbau hat von uralter Zeit bis zur Stunde die Frau nicht die leichteste Rolle gehabt. Die Anstrengungen der Jagd und des Wettrennens sind keine »Anstrengungen«, sondern ein Vergnügen der Männer. Die Politik aber hat nur Gefahren für die, die gegen den Strom schwimmen, im übrigen bietet sie wenigstens ebensoviel Vergnügen als Anstrengung. Es ist der Egoismus des Mannes, der aus dieser Rede spricht. Gleiche Bestrebungen, wie sie das Auftreten der Enzyklopädisten und die große Revolution in Frankreich hervorgerufen hatten, waren auch in den Vereinigten Staaten aufgetaucht, als diese in den siebziger und achtziger Jahren des achtzehnten Jahrhunderts ihre Unabhängigkeit von England erkämpften und sich eine demokratische Verfassung gaben. Hier waren es in erster Linie Mercy Ottis Warren und die Gattin des späteren zweiten Präsidenten der Vereinigten Staaten, Mrs. Adams, und ihnen gleichgesinnte Frauen, die für die politische Gleichberechtigung eintraten. Ihrem Einfluß war es zu danken, daß wenigstens der Staat New Jersey den Frauen das Stimmrecht gewährte, es aber bereits im Jahre 1807 wieder beseitigte. Noch vor dem Ausbruch der Revolution in Frankreich (1787) war es hier Condorcet, der spätere Girondist, der in einem glänzend geschriebenen Essay für das Frauenstimmrecht und die volle politische Gleichheit der Geschlechter eintrat. Angeregt durch die gewaltigen Ereignisse im Nachbarlande erhob jenseits des Kanals die 1759 geborene tapfere Mary Wollstonecraft ihre Stimme. 1790 schrieb sie gegen Burke, den heftigsten Gegner der Französischen Revolution, ein Buch, in dem sie die Forderung der Menschenrechte verteidigte. Sehr bald ging sie aber dazu über, auch für ihr eigenes Geschlecht die Menschenrechte zu verlangen. Das geschah in ihrem 1792 erschienenen Buch »A Vindication of the Rights of Women« (Eine Rechtfertigung der Rechte der Frauen), in dem sie, scharfe Kritik an dem eigenen Geschlecht übend, für die Frauen die volle Gleichberechtigung zum Besten des Ganzen in Anspruch nahm und kühn verteidigte. Aber sie fand wie natürlich den heftigsten Widerstand und die schwersten und ungerechtesten Angriffe. An schweren seelischen Kämpfen ging sie (1797), von ihren Zeitgenossen verkannt und verhöhnt, zugrunde.
Das Merkwürdigste aber ist, daß um dieselbe Zeit, in der in Frankreich, England und den Vereinigten Staaten die ersten ernsten Bestrebungen auftauchten, die politische Gleichheit der Frauen zu erkämpfen, auch in dem damals so rückständigen Deutschland ein deutscher Schriftsteller - Th. G. v. Hippel - sich fand, der ein Buch erscheinen ließ, in dem er, zunächst anonym, unter dem Titel »über die bürgerliche Verbesserung der Weiber«, Berlin 1792, für die Gleichberechtigung der Frauen eintrat. Das war zu einer Zeit, in der ein Buch »über die bürgerliche Verbesserung der Männer« in Deutschland die gleiche Berechtigung gehabt hätte. Um so mehr ist der Mut des Mannes zu bewundern, der in diesem Buche alle Konsequenzen für die soziale und politische Gleichberechtigung der Geschlechter zog und sehr geschickt und geistvoll verteidigte. Seitdem ruhte lange Zeit die Forderung der politischen Gleichberechtigung der Frauen mit den Männern, aber die Forderung ist allmählich ein Postulat in der vorgeschritteneren Frauenbewegung aller Kulturländer geworden und ist zum Teil in einer Anzahl Staaten verwirklicht. In Frankreich traten die St. Simonisten und Fourieristen für die gesellschaftliche Gleichheit der Geschlechter ein, und der Fourierist Considerant beantragte 1848 in der Verfassungskommission des französischen Parlaments die Gewährung der gleichen politischen Rechte an die Frauen.
1851 wiederholte Pierre Leroux den Antrag in der Kammer, aber ebenfalls ohne Erfolg. Heute liegen die Dinge wesentlich anders. Die ganze Entwicklung, alle Verhältnisse haben sich seitdem mächtig umgestaltet und haben auch die Stellung der Frauen verändert. Sie sind mehr als je mit allen Fasern ihrer Existenz mit dem gesellschaftlichen Entwicklungsgang verbunden und greifen mehr als je auch selbsttätig ein. Wir sehen, wie in allen Kulturstaaten Hunderttausende und Millionen Frauen gleich den Männern in den verschiedensten Berufen tätig sind und die Zahl derjenigen von Jahr zu Jahr wächst, die, auf die eigene Kraft und die eigenen Fähigkeiten angewiesen, den Kampf um die Existenz zu führen haben. Es kann also den Frauen sowenig wie den Männern gleichgültig sein, wie unsere sozialen und politischen Verhältnisse beschaffen sind. Fragen zum Beispiel wie die: Welche innere und welche äußere Politik gehandhabt wird, ob eine solche Kriege begünstigt oder nicht, ob der Staat jährlich Hunderttausende von gesunden Männern in der Armee festhält und Zehntausende ins Ausland treibt, ob die notwendigsten Lebensbedürfnisse durch Steuern und Zölle verteuert werden und die Familie um so härter treffen, je zahlreicher diese ist, und das in einer Zeit, in der die Mittel zum Leben für die große Mehrzahl äußerst knapp bemessen sind, gehen die Frau ebenso nahe an wie den Mann. Auch bezahlt die Frau direkte und indirekte Steuern von ihrer Lebenshaltung und aus ihrem Einkommen. Das Erziehungssystem ist für sie von höchstem Interesse, denn die Art der Erziehung entscheidet in hohem Grade über die Stellung ihres Geschlechts; als Mutter hat sie daran ein doppeltes Interesse. Ferner sind die Hunderttausende und Millionen Frauen in Hunderten von Berufsarten persönlich sehr lebhaft beteiligt an dem Zustand unserer Sozialgesetzgebung. Fragen, betreffend die Länge der Arbeitszeit, die Nacht-, Sonntags- und Kinderarbeit, die Lohnzahlungs- und Kündigungsfristen, die Schutzmaßregeln in Fabriken und Werkstätten, mit einem Worte der Arbeiterschutz, weiter die ganze Versicherungsgesetzgebung, das Gewerbegerichtswesen usw. sind auch für sie vom höchsten Interesse. Die Arbeiter haben über den Zustand vieler Industriezweige, in welchen Arbeiterinnen ausschließlich oder überwiegend beschäftigt sind, nur eine unvollkommene oder keine Kenntnis. Die Unternehmer haben alles Interesse, Mißstände, die sie verschulden, zu vertuschen, aber die Gewerbeinspektion erstreckt sich vielfach nicht auf Gewerbszweige, in welchen Frauen ausschließlich beschäftigt sind, auch ist sie noch äußerst unzureichend, und gerade hier sind Schutzmaßregeln am notwendigsten. Man braucht nur an die Arbeitslokale zu erinnern, in welchen in unseren größeren Städten Näherinnen, Schneiderinnen, Putzmacherinnen usw. zusammengepfercht werden. Von dort kommt kaum eine Klage, und dorthin dringt bis jetzt keine Untersuchung. Auch ist die Frau als Erwerbende an der Handels- und Zollgesetzgebung und dem gesamten bürgerlichen Recht interessiert. Es kann also gar keinem Zweifel unterliegen, daß sie so gut wie der Mann das größte Interesse hat, Einfluß auf die Gestaltung unserer Zustände durch die Gesetzgebung zu erlangen. Ihre Beteiligung, am öffentlichen Leben würde demselben einen bedeutenden Aufschwung geben und eine Menge neuer Gesichtspunkte eröffnen. Auf solche Ansprüche folgt die kurz abweisende Antwort: Die Frauen verstehen nichts von Politik, sie wollen auch in der großen Mehrzahl nichts davon wissen, auch verstehen sie das Stimmrecht nicht zu benutzen. Das ist wahr und nicht wahr. Allerdings haben bis jetzt noch nicht große Frauenkreise, wenigstens in Deutschland, die politische Gleichberechtigung gefordert.
Die erste Frau, die schon Ende der sechziger Jahre in Deutschland dafür eintrat, war Frau Hedwig Dohm. Neuerdings sind es hauptsächlich die sozialdemokratisch gesinnten Arbeiterinnen, die kräftig agitatorisch dafür eintreten. Mit dem Einwand, daß bisher die Frauen der politischen Bewegung nur schwaches Interesse entgegenbrachten, ist nichts bewiesen. Bekümmerten sich bisher die Frauen nicht um Politik, so ist damit nicht bewiesen, daß sie es nicht müßten. Dieselben Gründe, die gegen das Stimmrecht der Frauen angeführt werden, wurden in der ersten Hälfte der sechziger Jahre gegen das allgemeine Stimmrecht der Männer geltend gemacht. Der Verfasser dieser Schrift gehörte selbst noch 1863 zu denen, die sich gegen dasselbe erklärten, vier Jahre später verdankte er ihm seine Wahl in den Reichstag. Zehntausenden erging es ähnlich, sie wurden aus einem Saulus zu einem Paulus. Gleichwohl gibt es noch viele Männer, die ihr wichtigstes politisches Recht entweder nicht benutzen oder nicht zu benutzen verstehen, aber das ist kein Grund, ihnen dasselbe vorzuenthalten, und es kann keiner sein, es ihnen entziehen zu wollen. Bei den Reichstagswahlen stimmen in der Regel 25 bis 30 Prozent der Wähler nicht, und diese rekrutieren sich aus allen Klassen. Und unter den 70 bis 75 Prozent, die an der Wahl sich beteiligen, stimmt nach unserer Auffassung die Mehrzahl so wie sie nicht stimmen dürfte, begriffe sie ihr wahres Interesse. Daß sie dieses noch nicht begriffen hat, liegt an dem Mangel politischer Bildung.
Politische Bildung wird dadurch aber nicht gewonnen, daß man die Massen von öffentlichen Angelegenheiten fernhält, sondern dadurch, daß man sie zur Ausübung politischer Rechte zuläßt. Ohne Übung keine Meister. Die herrschenden Klassen haben es bisher in ihrem Interesse verstanden, die große Mehrheit des Volkes in politischer Unmündigkeit zu erhalten. Bis zu dieser Stunde war es deshalb die Aufgabe einer klassen- und zielbewußten Minorität, mit Energie und Begeisterung für die Interessen der Allgemeinheit zu kämpfen und die große träge Masse aufzurütteln und zu sich emporzuziehen. So war es aber bisher in allen großen Bewegungen, und so kann es weder verwundern noch entmutigen, daß es auch in der Frauenbewegung nicht anders ist. Die bisherigen Erfolge zeigen, daß Mühe und Opfer belohnt werden, und die Zukunft bringt den Sieg.
In dem Augenblick, in dem die Frauen gleiche Rechte mit den Männern erlangen, wird auch das Bewußtsein der Pflichten in ihnen lebendig werden. Aufgefordert, ihre Stimmen abzugeben, werden sie sich fragen: Wozu? Für wen? Mit diesem Augenblick werden zwischen Mann und Frau eine Reihe von Anregungen gegeben, die, weit entfernt, ihr gegenseitiges Verhältnis zu verschlechtern, es im Gegenteil wesentlich verbessern werden. Die ununterrichtetere Frau wird sich naturgemäß an den unterrichteteren Mann wenden. Daraus folgt Ideenaustausch und gegenseitige Belehrung, ein Zustand, wie er bisher in den seltensten Fällen zwischen Mann und Frau bestand. Dies wird ihrem Leben einen neuen Reiz geben. Der unglückliche Bildungs- und Auffassungsunterschied unter den Geschlechtern, der so vielfach zu Meinungsdifferenzen und Streitigkeiten führt, den Mann mit seinen verschiedenseitigen Pflichten in Zwiespalt setzt und das Gemeinwohl schädigt, wird mehr und mehr ausgeglichen. Statt eines Hemmschuhs wird der Mann in der gleichgesinnten Frau eine Unterstützerin erhalten; sie wird, wenn sie selbst durch Pflichten abgehalten ist, sich zu beteiligen, den Mann anspornen, seine Schuldigkeit zu tun. Sie wird es auch in der Ordnung finden, daß ein Bruchteil des Einkommens für eine Zeitung und für Agitationszwecke ausgegeben wird, weil auch ihr die Zeitung zur Belehrung und Unterhaltung dient und weil sie die Notwendigkeit der Opfer für die Agitation begreift, damit erobert wird, was ihr, dem Manne und ihren Kindern fehlt - ein menschenwürdiges Dasein. So wird das beiderseitige Eintreten für das Gemeinwohl, das mit dem eigenen auf das engste verknüpft ist, im höchsten Grade veredelnd wirken. Es wird das Gegenteil von dem geschehen, was Kurzsichtige oder die Feinde eines auf voller Gleichberechtigung aller beruhenden Gemeinwesens behaupten. Dieses Verhältnis zwischen den beiden Geschlechtern wird in demselben Maße sich verschönern, wie die gesellschaftlichen Einrichtungen Mann und Frau von materieller Sorge und übermäßiger Arbeitslast befreien. Übung und Erziehung werden hier wie in anderen Fällen weiterhelfen. Gehe ich nicht ins Wasser, so lerne ich nie schwimmen; studiere ich keine fremde Sprache und übe ich sie nicht, so werde ich sie nie sprechen lernen. Das findet jeder natürlich, aber viele begreifen nicht, daß dasselbe auch für die Angelegenheiten des Staates und der Gesellschaft gilt. Sind unsere Frauen unfähiger als die weit tiefer stehenden Neger, denen man in Nordamerika die politische Gleichberechtigung zuerkannte? Oder soll eine geistig hochstehende Frau weniger Recht haben als der roheste, ungebildetste Mann; zum Beispiel als ein unwissender, hinterpommerscher Tagelöhner oder ein ultramontaner polnischer Kanalarbeiter, und nur deshalb, weil der Zufall diese als Männer zur Welt kommen ließ? Der Sohn hat mehr Recht als die Mutter, von der er vielleicht seine besten Eigenschaften erbte, die ihn zu dem erst machte, was er ist. In der Tat sonderbar!
[...]
Von welchem Punkte man immer bei der Kritik unserer Zustände ausgeht, man kommt schließlich stets wieder darauf zurück: Eine gründliche Umgestaltung unserer sozialen Zustände und durch sie eine gründliche Umgestaltung in der Stellung der Geschlechter ist notwendig. Die Frau muß, um rascher zum Ziele zu kommen, sich nach Bundesgenossen umsehen, die ihr naturgemäß in der Proletarierbewegung begegnen. Das klassenbewußte Proletariat hat schon seit geraumer Zeit den Sturm auf die Festung, den Klassenstaat, der auch die Herrschaft des einen über das andere Geschlecht aufrechterhält, begonnen. Die Festung muß mit Laufgräben von allen Seiten umgeben und durch Geschütze jeden Kalibers zur Übergabe gezwungen werden. Die belagernde Armee findet ihre Offiziere und die geeigneten Waffen auf allen Seiten. Die Sozialwissenschaft und die Naturwissenschaften, die Geschichtsforschung, die Pädagogik, die Hygiene und Statistik liefern der Bewegung Munition und Waffen. Die Philosophie bleibt nicht zurück und kündigt, in Mainländers »Philosophie der Erlösung«, die baldige Verwirklichung des »ldealstaats« an. Die Eroberung des Klassenstaats und seine Umgestaltung wird erleichtert durch die Spaltung in den Reihen seiner Verteidiger, die, bei aller Interessengemeinschaft gegen den gemeinsamen Feind, im Kampfe um die Beute sich gegenseitig bekämpfen. Das Interesse der einen Schicht steht dem Interesse der anderen gegenüber. Was ferner uns nützt, ist die täglich wachsende Meuterei in den Reihen der Feinde, deren Kämpfer zu einem großen Teil Bein von unserem Bein, Fleisch von unserem Fleisch sind, die aber aus Mißverstand und irregeleitet bisher gegen uns und sich selbst kämpften, aber immer mehr zur Einsicht gelangen und sich uns anschließen. Ferner hilft uns die Desertion der ehrlichen, zur Einsicht gekommenen Männer aus den Reihen der bisher feindlichen Denker, die ihr höheres Wissen, ihre bessere Einsicht anspornt, sich über ihr niederes Klasseninteresse zu erheben und, indem sie ihrem idealen Drange nach Gerechtigkeit folgen, sich den nach Befreiung lechzenden Massen anschließen. Vielen ist das Stadium der Zersetzung, in dem Staat und Gesellschaft sich bereits befinden, noch nicht zum Bewußtsein gekommen, und so ist auch diese Darlegung notwendig.
Nachbemerkung (Monika Seifert):
Wie auch in der zivilrechtlichen Frage haben die Frauen formal erreicht, politisch gleiche Rechte zu haben. Warum hat sich Bebels Optimismus, daß die Frauen nur die Möglichkeiten bekommen müßten, dann würden sie auch »schwimmen« lernen, nicht bewahrheitet? Die Frauen und die Arbeiterklasse sind immer noch unterprivilegiert. Schlimmer, sie sind auch immer noch schlecht in der Lage, für ihre Interessen einzutreten und zu kämpfen. Wenn Frauen sich die Frage stellen, warum sie in den vergangenen 100 Jahren nicht mehr erreicht haben, wird ihnen mit schöner Regelmäßigkeit entgegengehalten, daß auch die Arbeiterklasse in ihrem Kampf um Emanzipation noch nicht weiter sei und die Emanzipation der Frauen nicht über das gesellschaftlich erreichte Ausmaß hinausgehen könnte. Was mit anderen Worten heißt, der Maßstab für mögliche Emanzipation ist die erreichte männliche Emanzipation. Wir sollten uns von solchen Argumenten nicht beirren lassen, haben sie doch lange genug unsere Köpfe vernebelt und uns daran gehindert zu analysieren, was wir jetzt und hier für unsere Befreiung tun können. Niemand käme umgekehrt auf die Idee zu behaupten, der Kampf der Arbeiterklasse könne nicht weiter sein, weil die Frauen in dem ihren noch nicht weiter vorangekommen seien.
Patriarchalismus und Frauenbefreiung
Von patriarchalischen Vorstellungen, nach welchen die Männer Maßstab und Lehrmeister der Frauen zu sein hätten, war auch Bebel nicht frei, wenn er z. B. sagt: »Die ununterrichtete Frau wird sich naturgemäß an den unterrichteten Mann wenden.« Die Analyse unserer Situation hätte an der in diesem Satz ausgedrückten Vorstellung von absoluter lnteressensolidarität zwischen Männern und Frauen anzusetzen, die davon ausgeht, daß im Kapitalismus das Gesamtproletariat unterdrückt sei.* (* Anm. Seifert: Nicht nur der Gerechtigkeit halber muß gesagt werden, daß Bebei keineswegs immer so patriarchalisch argumentiert und lnteressenidentität zwischen Männern und Frauen unterstellt. An anderen Stellen sagt er sehr deutlich, daß die Frauen alter Schichten von den Männern unterdrückt werden und sie sich nur selbst befreien können. Seine widersprüchliche Argumentation konnte er selbst nicht auflösen).
Dem wird niemand widersprechen wollen. Jedoch ist die Unterdrückung der Frauen nicht nur die Folge des Kapitalismus; sie ist seit Jahrtausenden in den gesellschaftlichen Strukturen verankert. Sie hat so viele Produktionsweisen überlebt, daß nicht einzusehen ist, warum sie mit dem Kapitalismus untergehen wird. Befreiung der Frauen muß also nicht nur Oberwindung des Kapitalismus, sondern auch die der autoritär patriarchalischen Strukturen in der Gesellschaft heißen. Dieser Aspekt wird und wurde in allen Fraktionen der sozialistischen Bewegung verleugnet. Das zeigt sich nicht nur in der Theorie, sondern auch im praktischen Verhalten in den auf Emanzipation zielenden Organisationen, in der männliche Dominanz ungebrochen ist. Zwar haben Frauen formal die gleichen Chancen, aber die Bewegung entwickelte nicht einmal für sich selbst ein Konzept, das ermöglicht, daß die Frauen diese Chance auch realisieren können. Vielmehr verwiesen auch Sozialisten Frauen, die sich betätigen wollten, auf die sozialen Fragen, zu deren Lösung angeblich weniger politisches Verständnis als weibliche Einfühlung notwendig ist. Frauen, die sich trotz solcher Widerstände durchsetzten und durchsetzen, müssen tüchtiger, fleißiger, intelligenter, zäher als die Männer sein, um die gleichen Positionen wie sie zu erreichen oder zu behalten. Kurz: sie müssen sich männlichen Normen anpassen. Auf diese Weise konnte verhindert werden, daß die patriarchalischen Strukturen in den Organisationen in Frage gestellt wurden. Wer angesichts dieses offensichtlichen Mangels an Problembewußtsein an der vollen Identität von Klassenkampf und Kampf für die Frauenbefreiung festhält, handelt m. E. idealistisch. Zu Bebels Zeiten war es noch eher gerechtfertigt anzunehmen, daß das objektive Interesse der Männer der Arbeiterklasse an der Befreiung der Frauen - als einem Teilkampf für den Sieg des Sozialismus - auch ihr Verhalten beeinflussen werde.Mögliche Formen des politischen Kampfes von Frauen
Frauen, die in Bereichen außerhalb der als weiblich angesehenen politischen Aufgaben Erfolg in politischen Organisationen haben, erwecken leicht die Vorstellung, dieser Erfolg sei beliebig wiederholbar. Politische Gleichberechtigung wird zur Frage des individuellen »Nur-Wollens« der Frauen. Die politische Aufklärung von Frauen wird dann auf die Aufgabe beschränkt, sie dazu zu motivieren, ihre (selbstverschuldete) Unmündigkeit aufzugeben. Ganz abgesehen davon, daß niemand ein Interesse daran hat, sich auf seinem Weg nach oben Konkurrenten zu schaffen, so daß niemand die Frauen ernsthaft motivieren wird, wäre dieser Weg in jedem Fall nur für eine Minderheit von Frauen möglich (genauso wie bei den Männern) und brächte den Frauen die gleiche (Un-)Freiheit, die Männer schon haben. Verloren ginge dabei jeder Anspruch, das kollektive Problem der Frauen kollektiv und solidarisch zu lösen. Die Frage ist aber, ob die Weigerung der Gesellschaft, Frauen voll an ihren Weihen - wie Obernahme von Leistungsmotivation und -fähigkeit - teilhaben zu lassen, nicht zur Waffe gegen sie werden kann. Indem Frauen spezifische Qualitäten, wie Bedürfnisbefriedigung und Gefühle, die sie aufgrund ihrer sozio-ökonomischen Lage* (* Anm. Seifert: Vgl. dazu Nachbemerkung zu den beiden ersten Kapiteln S. 43 ff.) eher entwickeln können, weniger verleugnen und nicht länger als minderwertig betrachten, könnten sie einen spezifischen, weiblichen Ansatz für politische Praxis zur Veränderung kapitalistischer Produktionsweisen entwickeln. »In den Umgangsformen gelungener Mutter-Kind-Beziehungen hält sich eine Produktionsweise durch, die man als einen Rest matriarchalischer Produktionsweise ansehen kann. Es ist falsch, sie allein auf Vorgänge im Hormonhaushalt, einen bloß biologisch begründeten >Mutterinstinkt<, zurückzuführen. Vielmehr verteidigt sich hier eine auf Bedürfnisbefriedigung gerichtete eigene Produktionsweise der Frau (>das Kind nach seinen Fähigkeiten behandeln, seine Bedürfnisse um jeden Preis stillen<) gegenüber der patriarchalen und kapitalistischen Umwelt. Diese Produktionsweise ist den Mechanismen ihrer Umwelt absolut überlegen, aber vom Vergesellschaftungsgrad der gesamtgesellschaftlichen Kommunikation abgeschlossen. In der Überlegenheit dieser Produktionsweise liegt der eigentliche Emanzipationsanspruch der Frau: sie verfügt, wie immer unterdrückt und verformt, über Erfahrungen in einer überlegenen Produktionsweise, sobald diese das Ganze der Gesellschaft erfassen könnte.«* (*Anm. Seifert: Oskar Negt/Alexander Kluge: Öffentlichkeit und Erfahrung. Zur Organisationsanalyse von bürgerlicher und proletarischer Öffentlichkeit. Ffm. 1972).
Dieser spezifische Ansatz bedeutet nicht, daß der Kampf für den Sozialismus nicht mit den Männern gemeinsam geführt werden muß. Es bedeutet aber, daß Frauen sich solidarisieren müssen, sobald Männer angestammte Vorrechte autoritär-patriarchalisch verteidigen und männliche Prinzipien zur einzigen Richtschnur im Kampf machen. Die Notwendigkeit des gemeinsamen Kampfes schließt nicht aus, daß Frauen - solange sie sich von männlicher Vorherrschaft eingeschränkt fühlen - eigene Zusammenschlüsse gründen. Das konkrete Vorgehen wird dann aber nur vom Ziel und nicht von einer Entscheidung für oder gegen die Männer bestimmt.
Ob eine zukünftige sozialistische Gesellschaft frei von Autoritarismus und Patriarchalismus* (* Vgl. Susan Sontag: Reflexion über die Befreiung der Frauen, in Alice Schwarzer: Frauenarbeit - Frauenbefreiung. Ffm. 1973) sein wird, hängt davon ab, ob die Frauen lernen, gegen ihre Unterdrückung solidarisch zu kämpfen.