Die Frau und der Dichter

Eine Einleitung

Wie die Frau, so lebt der Dichter, nach dem Ausdrucke Goethes, antizipierend. Und da seine Wünsche dem entsprechen, was tatsächlich vorbestimmt ist, so sieht man immer wie diese vom Dichter formulierten Vermutungen und Wünsche die Kraft der Wahrsagung besitzen. Der Dichter ist, heute so gut wie in den Frühzeiten der Seher und Prophet der Ereignisse. Um über das Bild der Frau von morgen wirklich Zuverlässiges zu erfahren, muß man also bei den Dichtern nachfragen. Wer nun dies Buch aufschlägt, der wird schon beim ersten flüchtigen Anblättern empfinden, daß die Dichter das Thema als Freunde der Frau, als natürliche Vertraute, ja als ihre Sachwalter behandeln. Vertieft man sich aufmerksamer in diese Beiträge so wird man Meinungen vernehmen, die aus dem Gedankenleben der Frau heraus geformt sind, daß sie wie von Frauen selber gesprochen scheinen; freilich nicht von einer erstbesten Privatperson, sondern aus jener überpersönlichen Wesenheit der die das einzelne Exemplar gesetzgebend überschwebt.
Man darf sagen, daß die Zukunftsmöglichkeiten wie sie hier von dem nächsten Freunde der Frau, dem Dichter, entworfen werden, Wunschbilde entsprechen, das der Frau selber zumindest den besten Vertretern der Gattung im Herzen steht. Weil es sich aber so verhält (daß im Dasein der Frau die Liebe die Mittelachse bildet, handeln die nachfolgenden Beiträge samt und sonders und in erster Linie von diesem Grundsätzlichen: von der Liebe, ihrem Verfall in unseren Tagen und der Notwendigkeit ihrer sittlichen und empfindungsmäßigen Veredelung. Man soll es den Dichtern nicht ankreiden, daß sie so wenig auf die wirtschaftliche, die juristische, die sozialpolitische Seite der angeschnittenen Frage eingehen. Vom Manne und seiner männlichen Gesellschaftsordnung her betrachtet, mögen diese Bereiche primäre Wichtigkeit besitzen; von der Frau aus betrachtet sind sie immer und durchaus von sekundärer Wichtigkeit. Die Frau weiß, daß ihre Stellung im Staate sich ins Rechte rückt, sofern man ihr zuvörderst als Mensch Gerechtigkeit widerfahren läßt.
Der Dichter unterstützt die Frau bei diesem Bestreben. Weiß er doch, daß die moderne Frau nicht auf Ausschweifung und Bandelosigkeit aus ist, daß sie im Gegenteil einer feineren verpflichtenden Gestaltung des Verhältnisses zwischen Mann und Frau nachträumt und damit - denn die Frau will nun einmal für den Mann da sein - einer feineren edleren Beglückung des Mannes. Als Bundesgenosse der Frau kehrt der Dichter sich damit gegen die täppischen oder rohen Ansprüche, die der durchschnittliche Mann an sie stellt, und er bemerkt mit Freuden, daß die Frau einen Weg einschlägt der es dem Manne wieder mühsam und schwierig macht, der Frau zu folgen, die Frau zu "besitzen". Doch sieht man, daß die sehr fortschrittlichen und freiheitliebenden Dichter, die in diesem Buche sprechen, im Punkte des Liebeswunders "altväterische" Ansichten vertreten, obschon sie durchaus nicht der Umkehr, der Rückwendung in die Vergangenheit das Wort reden. Sie erinnern einfach daran, auch in der Zukunft nicht des Ewigen und Wesentlichen zu vergessen "Macht man aus der Liebe eine Sache, so ist alles aus", warnt einer von ihnen. "Dieser Stil der Sachlichkeit, der Herzlosigkeit hat eine Gefahrenzone erreicht", sagt ein anderer. "Er steht im Begriffe umzukippen, das Gegenteil von dem zu erzielen was er angestrebt hat." Wer es nicht bereits weiß, der kann es diesem Buche entnehmen: Nämlich, daß der Mann und die vom Manne eingerichtete Welt heute mehr denn je die Frau nötig hat. Es sind nicht nur gewisse Sonderberufe, die in die Hände der Frau übergehen, weil man einsichtig genug geworden ist, zuzugeben, daß die Frau geeigneter zu deren Erfüllung als der Mann ist.

Die Hilfe, die der Mann heutigen Tags von der Frau erwartet, betrifft Tieferes als die zweckvolle Lösung gewisser Arbeitsgemeinschaften. Die Frau ist die Verwalterin der Lebensmächte. An diese wiederum den Anschluß zu finden darum geht es.

  • "Nur durch die Frau bereitet sich ein neues kosmisches Verhältnis des Menschen zum Leben vor, neue Beziehungen der Geschlechter und ein gänzlich geändertes System der Erziehung, die frühere Formen überwindet, wird die Praxis des Lebens mit seinen Erkenntnissen in Einklang bringen."

Damit ist das letzte, das höchste Wort des Zutrauens gesprochen, das der Freund der Frau, der Dichter, der Frau sagen kann. Ein nachfolgendes, von Frauen geschriebenes Buch, das wir vorbereiten, wird erweisen, daß die neue, die befreite und selbstgewisse Frau dieses Zutrauens würdig ist; und so wird die Frau von morgen nicht nur dem Manne, sondern auch der Welt ein neues Glück bringen, dieses: Einem neuen Mythus nachträumen zu dürfen. Denn ohne einen solchen ist der Mensch auf Erden nichts als ein ratloser und gespenstischer Gast.

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