Gesund und angenehm

  • Das Dickicht ist ein bequemer Vorwand für Ergüsse der Weisheit. Wer in den Dornen hängt, mag sich lederne Hosen wünschen. Und wer sie über sich hat, wird die Muße finden, ein Loblied auf die Moral zu singen. Wird alle (männliche) Dogmatik ausgeschaltet, bleibt nur ein knapper Rest von der Existenz des weiblichen Menschen, über den der Mann Zuverlässiges aussagen kann. Jahrhunderte-, jahrtausendelang hat er, kraft seiner Vorurteile, geredet; und die Frau hat geschwiegen. Sie tat stets das gleiche: unter mehreren Liebhabern wählte sie sich den brutalen. Es wird berichtet, daß der schwarzhäutige Mann, der seine Frau(en) ziemlich oft prügelt, sie als Arbeitstier(e) hält, dennoch alle Mühe darauf verwendet, ihr (ihnen) beim Liebesspiel angenehm zu sein. Das ist ein Etwas. Und vielleicht hochwertiger als das Minus der Prügelei. (Auch die europäische Frau meint am Ende gar nicht den Brutalen, sondern den Angenehmen.) Der fromme oder geistige Mann ist leicht bereit, (weil er der Betrogene) an die Entscheide der Frau ethische Maßstäbe zu legen. Wir wissen, daß sie bei solcher Beurteilung zum Gefäß der Sünde schlechthin wurde. Man bürdete ihr sogar die Verantwortung für die Triebe des Mannes auf. Verführerin, Aufreizerin, die in der Kirche zu schweigen hat. All diese Irrlehren begründen sich zutiefst (auch der Dünkel, der Unfehlbarkeitswahn des Äxteschwingers haben an dem schlecht sitzenden Kleid mitgewirkt) damit, daß der Mann nur hypothetische Vorstellungen von der Physis der Partnerin erlangen kann. Das Weib handelt mehr nach der Logik des Leibes. Also natürlicher. Es lügt und betrügt weniger als der Mann, außer mit Worten. Es ist physisch widerstandsfähiger als er. Die feminine animalische Existenz ist auf kontinuierliche Belastung eingestellt. Und auf ein wie großes Ausmaß! Der Mann erschöpft sich, von Ereignis zu Ereignis, sprunghaft, wagt sich an Werke über die Kraft und über den Sinn. Ganz schweigen muß er von den animalischen oder harmonikalen Erlebnissen der Frau während der Schwangerschaft, bei der Geburt, in den Zeiträumen der nahen Verbindung zwischen Mutter und Kind. Die Vaterschaft ist eine Erfindung der Zivilisation; die Mutterschaft ist uranfänglich. Also schweigen wir davon.
  • Die nicht mit Moralin geimpften Triebe des Menschen führen zu (zwar unterschiedlichen) zweckmäßigen Formen der Liebesbetätigung. Zweckmäßig im Sinne der Blutgesetze; also auch zweckmäßig für die Entfaltung latenter schöpferischer und geistiger Kräfte.) Der vom Blut getrennte Geist ist zweischneidig, niemals kleiner im Zerstören als im Aufbau. (Giftgase.) Der Mensch, nachdem er von ihm gepackt ist, besitzt die Möglichkeit, sich für die Monogamie oder die Polygamie, Polyandrie zu entscheiden. Für alle Eheformen findet er treffliche Vorbilder in der Tierwelt. Die Moral ist ohne Argumente. Der sich ewig selbst feindliche Mensch das Konglomerat seiner Existenz, hat deshalb mit Vorbedacht den Regulator der Sitte eingeschaltet. Es ist nicht zu leugnen: was dem Neger oder Eskimo ziemt, kann dem Europäer teuer zu stehen kommen. (Man denke, Strafen für Polygamie Polyandrie!) An den Möglichkeiten, die nicht jeder mit einem hohen Einsatz entgelten will, sprießen die Träume von einer Freiheit. Und dieser Freiheitsdrang ist eine metaphysische Sehnsucht, Verlangen, um mit der Körperlichkeit nicht nur im Wohlbefinden zu schweben, auch einzugehen in die harmonikalen Gesetze; nicht geringer zu ein als ein Wassertropfen, der, gerinnend, zum dreizackigen, sechszackigen Stern wird, als ein Mineral das aus der übersatten Mutterlauge zum Kristall sich verdichtet. Selbstbejahungstrieb, grob gesagt, Schöpfungsbejahung schlechthin. (In dieser Zone vollzieht sich der Kampf zwischen gegenwärtiger Kunst und versteinerter Religion.) Das Ich ist, bis zum Tode jedenfalls, keine Theorie, und seine Frucht das Erlebnis. Hinter den Erlebnissen liegt die Wüste der Postulate und Dogmen. Der religiöse Urgrund der Seele ist stets jung und zeugungsfähig; bei den Halbwüchsigen fruchtbarer als bei den Alten. Die Norm ist die Sense des Sensenmannes. Mann und Weib also (ob sie auch lächelnd die Zähne zeigen), rütteln an den Fesseln der Sitte. Bezahlen eine hohe Zeche. Oder machen Schulden. Oder verkrüppeln im Entsagen. Daß die europäischen Frauen ein wenig lauter das hohe Lied einer großzügigen Übereinkunft singen als die Männer, ist nur zu verständlich. Die Natur hat ihnen im Vorwege stärkere Bindungen auferlegt als dem Manne.
  • Soll nicht aus dem Schwung einer schönen Idee ein törichter Wahn werden, darf das Vorhandensein dieser Bindungen nicht übersehen werden. Beginnen wir mit dem Gewaltigsten: Die Frau ist die Gebärerin der Menschen. Wir Männer wissen nicht genau, mit welchem Maß an Schmerzen sie die Berufung bezahlt. In diesem, dem Manne ganz verschlossenen Bezirk, sollte sie souverän sein. Gebärzwang. Pfui Teufel! Von einem verhaßten Ehemann die Schwangerschaft sich aufnötigen lassen. Höchster Grad der Unmoral. Papiernes mit Lebendigem verquicken. Auf diesem Hintergrund ist der Ehebruch der Frau geradezu ein verklärender Ausweg. Kindesunterschiebung ein Akt der ausgleichenden Gerechtigkeit. Ich gehöre zu den Phantasten, die der Ehefrau das Recht auf einen Geliebten nicht bestreiten. Eine Ehe, die nicht von Anbeginn wie ein Gefängnis eingerichtet gewesen ist, kann an dem Dritten geradezu neuen Möglichkeiten entgegenblühen. Wenn die Frau Takt besitzt. Wenn der eine Partner, an dem Angenehmen gemessen nicht zu einem Schatten verblaßt, in die eines Wesens niederen Grades herabsinkt. Ein Kuckuck im Nest mehrerer Kinder fördert die Objektivität, den Gerechtigkeitssinn der Frau, befähigt sie zu fast übermenschlichen Bereitschaften. Sie entfaltet sich an dem Schatten einer Schuld, gepaart mit Bluterkenntnissen, zur ganzen Pracht ihrer kontinuierlichen Kräfte. Es sei denn, der (Ehe)Mann zerbricht, unklug, das herrliche Gebäude leiblicher Energien. Für alles Folgende gilt die Voraussetzung: Die Frau ist Gebärerin der Menschen; will auch zukünftig nicht unfruchtbar sein.
  • Damit setzt sie eine Verantwortung fort, die, ungeheuer angewachsen, weit größer ist als die des Mannes. Das Bejahen der Bindungen verpflichtet sie zu einer geistigen Haltung, in der Kälte, Klarheit, Berechnung, Unerbittlichkeit waltet. Ein uralter Zustand scheint heraufgezogen zu sein: der Vater ist von der Verantwortung für die Kinder abgedrängt. Die Gefahren der Technik, chemischer Kriege, des Rassenhasses, Spätkapitalismus sind herbeigewirbelt. Die Mannmenschheit hat nicht vorgebaut. Der Fluch von Krankheit und rächender Vererbung ist nicht von uns genommen. Die Frau hat gelernt, daß ihre Zeugungsorgane ein bequemes Einfallstor für Krankheiten sind. Ein gewaltiges System von mit feinsten Schleimhäuten überzogenen Funktionsträgern wartet auf den Befruchtungsvorgang. Es empfängt gleichwillig zerstörende und aufbauende Zellen. Die Wunder des Lebens und Verwesens liegen ohne Trennung nebeneinander. Ihre Feuer breiten sich mit verzehrender Schnelligkeit aus. Die Frau muß, müßte vor dem Mann auf der Hut sein. Gegen den Unbekannten, Unvertrauten darf ihr kein Schutzmittel zu kraß sein. Ihr Heiligstes soll sie nach rationellen Gesichtspunkten verwalten. Für sie gilt, heute mehr denn je, die Pflicht: gesund zu sein. Noch niemals vor dieser Zeit war die Situation für die Menschheit prekärer. Nur zu tief begründet, daß die Frau das Recht auf ihren Körper fordert, dagegen revoltiert, Objekt des Mannarztes, Mann-Nationalökonomen, Mannrichters, Mannfrömmlers zu sein. Jede Frau sollte es verstehen, sich vor der Empfängnis zu schützen, wenn sie die Schwangerschaft nicht will; wenn der Mann, der ihr beiwohnt, nicht kraft der Liebe oder kraft der Vernunft als geeigneter Vater ihres Kindes erscheint. Es ist an der Zeit, daß auch für die Frau eine Schlußfolgerung aus der Erfindung des Kindes gezogen wird. Erfindung des Kindes? Ja. Sie ist bereits ziemlich alt. Im 14. Jahrhundert etwa ist sie in Europa gemacht worden. Vor dieser Zeit gab es, selbstverständlich, Kinder, unkomplizierte Resultate der Liebestätigkeit. Lästig oder willkommen. Gottesprüfung des armen Mannes, Tafelzierat des reichen Mannes. Mit den ruhelosen, ewigkeitssüchtigen Gedanken des Menschen nicht verwoben, existent nur an der Mutterbrust. (Wie auch heute millionenfach in glückhafter Tierigkeit.) Wir Jetztmenschen vermögen uns kaum eine Vorstellung zu geben von dem, was in jenem Jahrhundert an geistigen und seelischen Kräften aus der Umklammerung eines lebensfeindlichen Glaubens sich losrang. Die spätgotische Zeit war eine Epoche des Protests der Revolution, eines beispiellosen Ringens nach harmonikalen Erkenntnissen, die aus dem Stoff geboren, nicht aus dem Eishauch unwirklicher Himmel. Die Menschlichkeit, das Mitleiden wurden entdeckt. Dem Gott des Guten und Bösen wurden die Gesänge unerhörter Kathedralen gebaut. Der leibliche Leib begann seine Lust ohne den Beigeschmack der Sünde zu atmen. Da fand sich auch die Idee des Kindes ein. Das Kind als Träger aller Zukunftshoffnung. Das Kind als Fortsetzer des Begonnenen. Das Kind als Heiliger, der die Zusammenbrechenden tröstet. Das neue Ich, Fortpflanzer des erlöschenden Lebens. Die Zukünftigen sind die große Enttäuschung gewesen. Werden auch zukünftig die Enttäuschung bleiben. Als Idee lähmten sie die Schaffenskraft des Erwachsenen. Sie konnten ja kein anderer Stoff sein als ihre Erzeuger. Nachdem die sagenhaften Himmel donnernd einstürzten, ist die Idee des Kindes unausrottbar. Nun ist das Kind plötzlich keine Zahl, nicht der Ausdruck der Vermehrung, sondern der Sicherheit. Die Frau hat vor dem Manne das Recht, ihre Entscheide dadurch beeinflussen zu lassen.
  • Die Zeiten der bedenkungslosen, schrankenlosen Vermehrung sind auch aus anderen als inneren Gründen vorüber. Unzählige Gefahren bedrohen die Stabilität der menschlichen Gesellschaft mit einem Chaos furchtbaren Ausmaßes und furchtbarer Gestalt. Ich erwähnte schon: der Europäer mit seinen Annexen ist in das Zeitalter der Technik eingetreten. Es sind mit Hilfe der Maschine und der Chemie Machtzentren entstanden, denen keine Gegner im Fleisch noch wirksamen Widerstand entgegensetzen können. Der Gedanke des Kampfes im Sinne der Tierheit ist aus. Der Gedanke sinnloser elementhafter Zerstörung ist am dransten. Die Menschheit als Totalwesen ist auf der Stufenleiter zur Vollendung eine Sprosse, vielleicht viele, abwärtsgestiegen. Ihre ethische und geistige Kraft keineswegs mehr in einem erträglichen Verhältnis zum technischen Potential. Die Maschine nicht der Arbeitserleichterung, sie schafft Arbeitslosigkeit. Die Industrie geht nicht darauf aus, Arbeitsenergien zu sammeln, vielmehr sie zu zerstreuen. Verschwendung also mit wildester Ziellosigkeit. Es scheint somit, daß der Mensch nicht reif seine Erfindungen ohne Störung der Erdenharmonie nützen zu können. Die Religionsgemeinschaften mühen sich, die Gültigkeit einer Moral aufrechtzuerhalten, die heranwuchs (nicht ohne Schlauheit gewisser Züchter) als das zweibeinige Tier mit nackten Händen, schlimmstenfalls mit Stein und Schwert dastand. Diese Kost ist trocken und unzuverlässig geworden. Man hat, ein Beispiel, das Diphenilchlorarsen erfunden, ein Gas, das in einer Verdünnung von 1:10 000 000 tödlich wirkt. Wo ist die Morallehre, die die Anwendung, die Herstellung des Giftes verhindert, etwa nach dem Motto: Du sollst nicht töten? Werden Kanzelpredigten den nächsten Krieg unmöglich machen? Gewiß nicht. Die Männer haben in Dingen der Menschlichkeit offenbar vollkommen Schiffbruch erlitten. Sie sind auf dem besten Wege, die weißen Rassen auszurotten. Sie sind herzlos und schwach genug, die Heere des Proletariats anwachsen zu lassen. Spielen mit schrecklichen Gedanken der Rassenproblemlösung. Der schwarze, der gelbe Mensch wird allmählich in den Produktionsmechanismus eingespannt. Nicht als Nutznießer, als Unterjochter; als einer, dem eines Tages die Rache hierfür als einziger Zweck seines Lebens erscheinen muß. Die natürlichen Lösungen, Rassenmischung, Umstellung der Wirtschaftsordnung, Entwicklung einer dem Fortschritt entsprechenden Moral und Rechtsauffassung, werden bestenfalls von wenigen Einsichtigen angestrebt, bleiben weit von der Verwirklichung. Da ist das Gespenst des nächsten Krieges, des nächsten Machtkampfes (der auch wirtschaftlicher, raßlicher Natur sein kann); die Menschtoten werden nach Hundertmillionen gezählt werden können. (Wenn sie noch jemand zählt.) Und nur ein Ausweg: Beschränkung der Kinderzahl. In der großen Ziffer ist alle Gefahr eingeschlossen, alle Unsicherheit. Die physisch bedingten Charaktereigenschaften der Frau, herangereift, sind geprägt durch Unerbittlichkeit. Glückhafter Umstand. (Dem Manne lästig.) Sie kann nicht Kinder gebären wollen, um sie hinmorden zu lassen. Das ist Widerspruch zu ihrer uranfänglichen Verbundenheit mit dem Kind. Wie zutiefst der künstliche Abort es ist, das Tun hungernder chinesischer Proletariermütter, wenn sie ihren Säuglingen den Schädel eindrücken. (Dies ist kein Schrei nach dem Abtreibungsparagraphen, sondern nach Aufklärung und Brot.) Sie wird begreifen, da der Mann im Humanen versagt, verstrickt in den Machtkomplexen, daß es ihre Pflicht, die Praxis der Geburtenregulierung in die Hand zu nehmen. Ihre Aufgabe wächst damit ins Gigantische, ins Selbstlose. Sie bedarf, um das Ziel zu gewinnen, gewisser Rechte und Freiheit, der Logik ihres Leibes zu folgen. Der Kampf gegen die bestehende Sitte, Ehereform, Reform des Strafrechts; das sind nur verhältnismäßig kleine Teillösungen. Das ganze heißt: Wettmachen der Fehler, die durch die Frömmigkeit, Geistigkeit, Begabung des Mannes sich zum Schaden für das Gemeinwesen der Menschen eingeschlichen haben.
  • Wie immer, wird die Frau ihre Aufgabe nur kraft der Liebe lösen können, der irdischen Liebe, der irdischen Liebe, der physisch bedingten, die nur mit einer Komponente in den Kreis des Ewigen hineinschwingt. Die Mann, Weib, Kind umfaßt. Der kontinuierliche Strom zwischen Mutter und Kind, der deutlicher denn je,ist die Kraftquelle, aus der allein sie die Anstrengung der Unerbittlichkeit, des Aufbaus einer neuen Ordnung und großzügigeren Übereinkunft bestreiten kann. Ihre Stellung zum Manne wird ihr durch die unausrottbare Kraft des Geschlechtes diktiert werden, die allmählig weniger zufällig, mehr gesetzmäßig aufblühen kann. Auch die verliebten Augen werden das Wiegen lernen. Und durch den Taumel hindurch noch fragen: gesund und angenehm?

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