Die Welt der Ahnengeister
Das Volk von Zimbabwe änderte den Gang der Geschichte im südlichen Afrika. Fast fünfzehn Jahre mußte es einen bewaffneten Kampf gegen die weißen Unterdrücker führen, die ihm seine Menschen- und Bürgerrechte gewaltsam vorenthielten. Doch der Kampf war schließlich erfolgreich: Am 18. April 1980 konnte Zimbabwe seine Unabhängigkeit erklären und das Ende der neunzigjährigen Herrschaft einer weißen Minderheit im ehemaligen Südrhodesien feiern.
Das Parlament der Republik Zimbabwe befindet sich in der Union Avenue, im Zentrum der Hauptstadt Harare. Diese Stadt, deren traditioneller Name in der Schonasprache «Er, der niemals schläft» bedeutet und den sie seit April 1982 wieder trägt, war in Salisbury umbenannt worden, als sich weiße Siedler, Abgesandte der British South Africa Company (B.s.A.C), 1890 hier niederließen. Besucher, die das schöne Parlamentsgebäude betreten, fühlen sich nicht nur durch den Baustil fast in jene Kolonialzeit versetzt. Das Parlament tagt in zwei Kammern, die Abgeordneten sitzen im Unterhaus, die Senatoren im Oberhaus. Auch in anderer Beziehung gilt britischer Stil: der Parlamentsvorsitzende, obwohl es heute ein Afrikaner ist, hat noch immer in roter Robe und weißer Perücke seinen zeremoniellen Auftritt, und sein Holzstuhl ist ein Geschenk der Briten. In den langen ruhigen Korridoren hängen nach wie vor die Bilder der vergangenen Pracht: die Porträts britischer Königinnen und Könige neben denen ehemaliger Gouverneure der einstigen Kronkolonie Südrhodesien. Die Wände des Lesesaals sind vollgehängt mit Karikaturen englischer Herkunft. Kein Zweifel, dieses Parlament ist geprägt von neunzig Jahren weißer Herrschaft. Doch etwas fällt auf den ersten Blick aus dem Rahmen: Auf dem ersten Absatz der feudalen Treppe, die zum ersten Stock führt, in dem die Minister und die Verwaltung ihre Büros haben, steht eine große Holzfigur. Sie stellt eine Frau dar, eine Afrikanerin, die streng um sich blickt. Hier hat man keine unterwürfige Frau, kein sanftes Geschöpf vor sich, sondern eine Herrscherin, die Achtung gewohnt ist. Die Frage, wer das sei, kann jeder Afrikaner beantworten: Dies ist Mbuya Nehanda, die Heldin der Befreiungskriege. Nehanda - Heldin, Ahnin und Mythos. Es steht ihr zu, an dieser Stelle zu stehen, denn sie ist das Symbol des Widerstandes und des Sieges der Afrikaner, die im Jahre 1980 endlich ihre Unabhängigkeit errungen haben. Mbuya Nehanda litt und starb für diese Freiheit. Sie ist Vorbild und auch Repräsentantin der Frauen von Zimbabwe, die vor allem im vergangenen Krieg eine schwere Last trugen und denen es mit zu verdanken ist, daß Südrhodesien heute Zimbabwe heißt.
In Zimbabwe, das ein Gebiet von 390.580 km2 umfaßt, leben etwa 7,5 Millionen Afrikaner, ungefähr 200.000 Weiße, 10.000 sogenannte Mischlinge und ca. 23.000 Asiaten. Die schwarze Mehrheit setzt sich zusammen aus schona-sprechenden Menschen (80%), die seit dem letzten Jahrhundert einfach als «Schona» bezeichnet werden, aus Ndbele (15%) und zu 5 Prozent aus kleineren afrikanischen Stämmen, wie Tonga, Shangaan und anderen.
Bereits in vorgeschichtlicher Zeit lebten Steinzeitmenschen auf dem Hochplateau des heutigen Zimbabwe. Die bisher ältesten bekannten Einwohner dieses Gebietes waren jedoch Schona auf dem Stand von Eisenzeitmenschen. Ihre Geschichte wird zur Zeit gründlich erforscht. Nach den Erkenntnissen des Historikers David Beach kamen die Schona in mehreren Einwanderungswellen aus dem Norden; Überreste von Schona-Siedlungen können bis ins 2. Jahrhundert n. Chr. datiert werden. Die Schona, die sich gegen 800 n. Chr. bis an die ostafrikanische Küste ausgebreitet hatten, besaßen Vieh und pflanzten Getreide an. Als Werkzeuge und Jagdgerät wurden Hacken, Äxte und Speere verwendet. Ab etwa 1000 n.Chr. lassen sich feste Ansiedlungen mit typischen strohbedeckten Rundhütten nachweisen. Aus den einzelnen Gruppen der Schona gingen mächtige Familien hervor, die Dynastien und Königreiche gründeten. Mehrere Staaten entstanden, für die typisch war, daß die Kleineren den Stärkeren Tribut zollten. Am bekanntesten wurde der Changamire-Staat der Rotse und das Reich der Monomotapa.
Die Rotse regierten im Südwesten des Gebietes und beherrschten die schona-sprechende Gruppe der Karanga. Durch die Berichte portugiesischer Händler und Seefahrer war den Europäern aber vor allem das Reich der Monomotapa im Norden bekannt. Für die Zeit vor dem Eindringen der Portugiesen zu Beginn des 16. Jahrhunderts ist die Geschichte Zimbabwes überwiegend mündlich überliefert worden. Es waren die N'nangas, die traditionellen Heiler, oft auch Geistermedien der Ahnen, die dieses historische Wissen bewahrt und weitergegeben haben. Wer die Geschichte der Schona und der Ndebele verstehen will, muß ihren Glauben verstehen, der auf den Ahnen aufbaut. Die Ahnen, deren Aufgabe es ist, für das Wohl der Nachkommen zu sorgen, sind wichtiger Bestandteil afrikanischen Familienlebens. Nach dem Glauben kann der Geist eines Verstorbenen jederzeit in den Körper eines Nachkommen eingehen und durch diesen sprechen, heilen und Wunder vollbringen. Über den Ahnen steht ein Gott, der «Mwari» genannt wird. Mwari gilt als allwissend und allgegenwärtig. Die Höflichkeit erfordert es, niemanden, der im Range über einem steht, direkt um etwas zu bitten, so wird auch Mwari niemals direkt angesprochen. Dies ist vielmehr Aufgabe eines «Mhondoro», wie der Geist eines Dynastiebegründers bezeichnet wird, und der «Vadzimu», wie die Geister einer Großfamilie heißen. In der Welt der Ahnengeister gilt die Hierarchie der Lebenden. Über den Familienahnen, den Großfamilienahnen und den Dorfahnen stehen die nationalen Ahnen, die «Supermhondoro», wie der Historiker Beach sie nennt. Es ist nicht gestattet, diese großen Nationalahnen direkt anzusprechen, der Weg führt wiederum über die Vadzimu. Viele Ahnennamen wurden vergessen, einige haben sich jedoch erhalten. Die Historiker sind sich nicht einig, wie die nationalen Ahnengeister, etwa Nehanda, Chaminuka oder Kaguvi zu ihren bedeutenden Positionen gekommen sind. Bekannt sind allerdings ihre Geistermedien, wie eben jene Mbuya Nehanda, die in den neunziger Jahren des vorigen Jahrhunderts lebte und die ihr Volk im Auftrag der Ahnen zum Widerstand aufforderte, als die Weißen ins Land kamen.
«Welch Glück für uns» - Der Erste Chimurenga
Mbuya Nehanda und Sekuru Kaguvi,
euch verehren wir, erste Helden
des schönen Zimbabwe,
wegen des Widerstandskrieges von 1986-97
den ihr gekämpft habt - des Ersten Chimurenga.
Obwohl nur mit Äxten, Speeren und Bögen bewaffnet,
habt ihr gegen Gewehre Mut, Opferbereitschaft und den Willen bewiesen,
den leidenden Menschen Zimbabwes zu dienen.
Welch Glück für uns, daß ihr uns
einen besseren Weg zur Freiheit zeigtet.
Ihr wart mütterlich,
und wir sind euren guten Ideen gefolgt.
Jede junge Generation Zimbabwes habt ihr ermutigt
den Kampf um unser Land fortzusetzen.
Als das Gericht dich zum Tode verurteilte, Mbuya Nehanda, sagtest du:
«Ihr tötet mich, aber die kommenden Generationen
werden die Revolution bis zum endgültigen Sieg vorantreiben.«
In unserem Zimbabwe wirst du nie vergessen sein
wegen deiner Taten und deines Mutes
und weil du auch uns damit erfüllt hast.
Olaria [1]
Aus der Geschichte der Schona
Wahrscheinlich schon zu Beginn des 1. Jahrtausends n.Chr. hatte das Volk der Schona ein Staatswesen mit einer festen Gesellschaftsordnung, großen Dörfern und einer zentralen Stadt entwickelt. Diese Stadt, in der etwa zehntausend Menschen lebten, trug den Namen Zimbabwe «Haus aus Stein» - und liegt im Süden des Landes. Mächtige Mauern und Säulen, die Überreste eines Königspalastes und die einfacherer Gebäude sind noch immer stumme Zeugen vergangener Pracht.
Heute heißt der Ort Groß-Zimbabwe (Great Zimbabwe). Im Geschichtsbewußtsein der weißen Minderheit, die bis 1980 an der Macht war, konnte diese Stadt nur von «kultivierten» Völkern aus Nordafrika, Ägypten oder anderen Ländern errichtet worden sein, eine Theorie, über die sich Wissenschaftler heute heftig streiten, ohne daß ein endgültiges Ergebnis abzusehen ist. Der Archäologe Peter Garlake jedenfalls schrieb nach seinen Forschungen bereits in den sechziger Jahren die Urheberschaft Groß-Zimbabwes den Schona zu. Nach seinen Forschungsergebnissen lebten Familien, Jäger und Vieh eng zusammen um das Zentrum der Siedlung, den Palast den Königs. Ausgegrabene Geräte und Werkzeuge weisen zum einen auf ein hohes handwerkliches Geschick der Bewohner hin, zum anderen auf ihren Handel mit Gold und anderen Waren. Es wurden Waren aus Indien, Persien und China aufgefunden. Erste Handelspartner der Schona im Küstengebiet waren Araber, dann Portugiesen. Doch als portugiesische Schiffe 1497 zum ersten Mal das Kap der Guten Hoffnung umsegelten und an der Ostküste Afrikas landeten, war die Stadt Groß-Zimbabwe, die niemals Festung, sondern immer nur Siedlung, Marktplatz, Königssitz und Kultort des Mwari war, von ihren Bewohnern bereits verlassen worden. Die Gründe dafür sind noch nicht erforscht. Nach einer Theorie reichte die Fruchtbarkeit des Bodens für die massenhafte Niederlassung von Menschen und Tieren nicht mehr aus.
Zu Beginn des 15. Jahrhunderts ließ sich eine Schona-Gruppe, die nach ihren Gebräuchen zu schließen aus Groß-Zimbabwe kam, unter der Führung von Mutota im nördlichen Zambesital nieder. Mutota brachte den Stamm der Tonga und die Tavara unter seine Herrschaft, und sein Sohn Matope wurde der erste Monomotapa, Herrscher des legendären Monomotapa-Reiches, das sich etwa zwischen den Flüssen Tsatse, Mazowe und Zambesi erstreckte. Die Monomotapa waren so mächtig, daß sie von ihren Nachbarstaaten Tribut fordern konnten. Das Reich war, wie andere Schona-Staaten auch, nach dem Vorbild Groß-Zimbabwes organisiert, Sprache, Lebensstil und Tradition glichen sich, die Geschichte der einzelnen Staaten allerdings muß differenziert betrachtet werden. Der Reichtum beruhte auf fruchtbarem Land, einem großen Viehbestand und Gold, das vor allem im Süden des Hochplateaus gefunden und abgebaut wurde. Das Edelmetall wurde an der Küste verkauft, wo ebenfalls Schona lebten.
Man muß sich verdeutlichen, daß die später von Weißen geschaffenen Kolonialgrenzen diese ethnischen und kulturellen Zusammenhänge in keiner Weise berücksichtigten und die im Küstengebiet lebenden Schona von denen auf dem Hochplateau oder am Zambesi künstlich trennten. Aufgrund der inneren und äußeren Machtstruktur der Schona-Staaten gab es Kriege, Aufstände und Bündnisse. Als zu Beginn des 16. Jahrhunderts die Portugiesen von den legendären Goldschätzen des Monomotapa-Reiches angelockt in das Gebiet kamen, wurden sie zunächst als Eindringlinge bekämpft. Dann ist es ihnen gelungen, verschiedene Schona-Herrscher gegeneinander auszuspielen und auf diese Weise Einfluß und Handelskonzessionen zu gewinnen. Die Monomotapa büßten stark an Macht ein, und die Portugiesen siedelten im Landesinneren sowie an der Küstenregion und konnten ihre Handelsbeziehungen ausdehnen. Viele Häuptlinge wurden Vasallen der Fremdlinge, dennoch konnte sich der Monomotapa-Staat bis ans Ende des letzten Jahrhunderts behaupten. 1890 wurden die Portugiesen von den Briten abgelöst, es folgte die Neuaufteilung der ehemaligen Schona-Staaten. Einige Jahrzehnte bevor die »Pioniere» der British South Africa Company im September 1890 kamen, hatten die Schona eine neue Bevölkerungsgruppe aufnehmen müssen: die Ndebele.
Aus der Geschichte der Ndebele
Die heute in Matabeleland wohnenden Ndebele sind Nachkommen kriegerischer Zulus aus dem Gebiet des heutigen Südafrika, der Ngoni. Ihr ebenso berühmter wie grausamer König Schaka erzeugte durch seine Kriege zu Beginn des 19. Jahrhunderts eine Zeit der Unruhe, die Afrikaner als «Mfecane» bezeichnen. Ganze Stammesgruppen waren zur Flucht gezwungen, so daß sich die gesellschaftliche Struktur im südlichen Afrika erheblich veränderte. Eine Ngonigruppe und andere vertriebene Stämme zogen unter Führung des König Mzilikazi zunächst in das Transvaalgebiet, wurden dort von den Buren besiegt und wanderten weiter in das heutige Matabeleland, das im damaligen Changamire-Reich lag. Dieses bereits von den Konflikten mit den Portugiesen und mit anderen Stämmen geschwächte Reich konnte die Einwanderungswelle nicht verkraften. Es kam zum Krieg, der 1839 mit dem Untergang der Königsdynastie der Changamire endete. Ndebele-Führer Mzilikazi siedelte sich an, wurde von einigen Häuptlingen als Herrscher anerkannt und verfügte bereits 1840 über ein Gebiet, das nördlich bis zum Umnia-Fluß reichte. Trotz eines Aufstandes konnten die Ndebele ihre Macht festigen. Sie griffen Changamire an, und die Auseinandersetzungen, aus denen die Ndebele als Sieger hervorgingen, dauerten bis in die fünfziger Jahre des 19. Jahrhunderts.
Zur Konfrontation mit den weißen Eindringlingen kam es dann während der Regierungszeit des Mzilikazi-Sohnes König Lobengula. Ersten Missionaren folgten 1888 Vertreter der British South Africa Company(B.S.A.C.). In einem Schreiben, in dem sich Lobengula als König von Matabeleland und Maschonaland bezeichnete, übertrug er der B.S.A.C. die monopolen Schürfrechte für das gesamte Gebiet. Als Gegenleistung erhielt er eine lebenslängliche monatliche Zahlung von 100 Pfund Sterling, 1.000 Gewehre und Munition, außerdem wurde ihm ein Schiff versprochen, das später mit 500 Pfund verrechnet wurde.
Dieses Abkommen veranlaßte Cecil John Rhodes, Premierminister der Kapkolonie, 500 Polizisten und 200 junge Männer als «Pioniere» nach Maschonaland zu schicken, wo sie am 12. September 1890 die britische Flagge hißten - als «erste Zivilbevölkerung von Maschonaland», wie die Engländer es auf eine Gedenktafel schrieben. Von den ansässigen Schona, mit denen nicht einmal Verhandlungen geführt wurden, war keine Rede. Die erste «Plonierzeit» war für die Weißen eine Enttäuschung, weil die Ausbeute an Bodenschätzen geringer war als sie sich erhofft hatten. Also erschlich sich Rhodes ein neues Abkommen, das diesmal den Boden des Landes selbst betraf und aus Minenbesitzern Siedler machte. Lobengula sah bald dem Treiben der Weißen mit wachsender Unruhe zu, schon anfänglich hatte er gefragt, warum denn eine Armee anrücke, nur um nach Gold zu graben. Drei Jahre nachdem die «Pioniere» Maschonaland besetzt hatten, kam es zu einem blutigen Krieg, der in englischen Geschichtsbüchern als der «Matabeleaufstand» bezeichnet wird. Die Ndebele kämpften mit Mut und Geschick, konnten aber gegen die neuen Maximgewehre der Siedler wenig ausrichten. Lobengula wurde besiegt und Matabeleland besetzt; als es 1896 zum zweiten Aufstand kam, mußte Lobengula fliehen. Der Ort seines Todes sowie das Versteck seines Schatzes, den er angeblich mit auf die Flucht genommen hatte, bleiben Legende. Am Ende wurden die Regimenter der Ndebele aufgelöst, und das Land ging in die Hände der weißen Siedler über. Im Bewußtsein der Schona aber, die 1896 mit den ehemaligen Feinden, den Ndebele, gemeinsam gegen die Weissen gekämpft hatten, war der Kriegszustand keineswegs aufgehoben. Es war ein Mißverständnis der Engländer, nachdem sie die Ndebele besiegt oder, wie sie sich ausdrückten «befriedet» - hatten, zu glauben, der Krieg sei auch mit den Schona beendet. Den Ndebelekönig Lobengula hatten sie verstanden, er war ein starker Führer mit einem organisierten Heer gewesen. Aber wes waren die Schona? Sklaven der Ndebele, Schwächlinge und Feiglinge! Etwa dieses Bild hatte der »Durchschnittsverwalter» der B.S.A.C. von ihnen. Die Engländer verkannten die Strukturen der Schonagesellschaft, wußten nichts von der Macht, die durch die Ahnen und die Medien ausgeübt wurde, nichts von den wichtigen Verträgen und Bindungen zwischen Familien und Dynastien. Man erzählt die Geschichte von einem Verwalter der B.S.A.C., der in einem Brief nach Hause schrieb, nun sei alles friedlich, die Ndebele seien besiegt, Lobengula tot. Doch während er ahnungslos schrieb, war sein Tod und der anderer Weißer bereits besiegelt. In seinem Hinterhof saß einer der vielen Boten von Nehanda mit der Botschaft der Ahnen. «Ihr müßt die Weißen angreifen und versuchen, sie zu vertreiben.» Das Medium der Nehanda war damals eine junge Frau, die im Mazowetal lebte. Sie prophezeite: «Die Ahnen fordern, daß ihr zu den Waffen greifen sollt. Der Kampf wird erfolglos sein, und ich werde sterben, aber der Wille der Ahnen muß erfüllt werden.» Ein Zeitgenosse, der Jesuitenpater Boos [2] schrieb: «im Fall von Maschonaland ist etwas Erstaunliches geschehen. Dieses unterdrückte, feige Volk, das seit so vielen Jahren eine leichte Beute der Matabele [3] war, bei deren Ankunft es sich sofort, ohne Widerstand zu leisten in die Berge flüchtete, hat es sich tatsächlich geleistet, auf die Worte seiner Propheten zu hören und sich in einen Krieg zur Ausrottung der weißen Kolonisten zu verwickeln; und obwohl sie immer wieder besiegt wurden, leisteten sie weiter Widerstand aus ihren Felsenhöhlen heraus, gestärkt durch die Versprechen der Zauberärzte.»
Die wichtigsten dieser «Propheten» waren Mbuya Nehanda und Sekuru Kaguvi. Nehanda selbst soll die Männer in die Schlacht geführt haben, wohlwissend, daß sie sterben würde. Als die Führer am Ende gefangen wurden - die Schona wurden besiegt und man schloß mit ihnen nicht einmal einen Friedensvertrag, wie es mit den Ndebele geschehen war -, machte man ihnen den Prozeß. Nehanda, Kaguvi und. zwei andere wurden am 27. April 1897 gehängt. Der Missionar P.F.Richartz sollte die Gefangenen zum Christentum bekehren und mußte ihnen auch die Todesurteile übermitteln. Über Nehanda schrieb er:[4] «Ich sprach mit Neanda erst am Abend, weil ich eine Szene vermeiden wollte. Vorher hatte ich einmal ein langes, ruhiges Gespräch mit ihr, das mir Hoffnung gab. Doch als ich sie am Abend gegen 6 Uhr in Gegenwart von Victor sah, der versuchte, sie zu überreden, mir zuzuhören, und ich ihr mitteilte, sie würde am nächsten Morgen sterben, da fing sie an, sich wie eine Verrückte aufzuführen. Sie nahm ihre Decke und schrie, sie wolle die Zelle verlassen. Als man ihr sagte, sie müsse bleiben und ruhig sein, weigerte sie sich und erklärte, sie hätte es noch nie ertragen, eingesperrt zu sein. Als wir bemerkten, daß ihr nicht zu helfen war, ging ich mit Victor fort. Neanda begann zu tanzen, zu lachen und zu sprechen, so daß die Wärter sich gezwungen sahen, ihre Hände zu fesseln und sie zu beobachten, da sie drohte sich das Leben zu nehmen. Am Mittwoch, den 27. April, versuchte ich wieder mit Neanda zu sprechen, um sie in eine bessere Verfassung zu bringen. Aber sie weigerte sich, rief nach ihrem Volk und sagte, sie wolle in ihr eigenes Land nach Mazowe zurückkehren, und benahm sich wie am Abend zuvor. Ich verließ Neanda und unterhielt mich mit Kaguvi ( ... ), ihr Schreien und Widerstand, als man sie auf die Leiter brachte, ihr Geschrei und Gebrüll auf dem Podest störten mein Gespräch mit Kaguvi ungemein, erst das Geräusch der sich öffnenden Falltreppe und des fallenden Körpers beendete die Unterbrechung.»
Die Zimbabwer sind heute stolz darauf, daß Mbuya Nehanda sich nicht zum weißen Gott bekehren ließ und daß ihr Widerstand bis zum Ende ungebrochen blieb. Dieser Aufstand der Jahre 1896 und 97 wird der «Erste Chimurenga» (erster Befreiungskrieg) genannt.
Der «Zweite Chimurenga» war jener Buschkrieg, der schließlich im Dezember 1979 durch das Lancaster-House-Abkommen in London beigelegt wurde und zur Unabhängigkeit Zimbabwes führte. In London waren damals die sich bekämpfenden Parteien anwesend: Auf der einen Seite Jan Smith, der die weiße Minderheit vertrat, zusammen mit Bischof Abel Muzorewa, den Smith in einem erfolglosen Kompromißversuch zum ersten schwarzen Premierminister gemacht hatte, und auf der anderen Seite die Patriotische Front, gebildet aus den beiden Befreiungsbewegungen, ZAPU unter Joshua Nkomo und ZANU unter Robert Mugabe. Britannien, als die Kolonialmacht, hatte diese Konferenz - endlich - einberufen. Die sogenannte «heiße Phase» des Zweiten Chimurenga hatte im Jahre 1972 begonnen, es wurde ein erfolgreicher Krieg gegen die weißen Machthaber, der seine Anfänge bereits in den sechziger Jahren hatte. Genau wie 1896 war es auch 1972 wieder ein Medium der Ahnin Nehanda gewesen, das das ausschlaggebende Signal für den Beginn des Volkskampfes gegeben hatte. Dieses Nehanda-Medium war eine über 80 Jahre alte Frau, die in einem Dorf des Msengezi-Bezirks im Nordosten des Landes lebte. Die Autoren Martin und Johnson schreiben in ihrem Buch über den Kampf um Zimbabwel:[5] «Urimbo, der die Guerilla-Aktionen von einem FRELIMO-Lager aus organisierte, erinnert sich an Mbuya Nehanda als eine kleine Frau, sehr mager und sehr alt, mit weißem Haar und einer außergewöhnlich schwarzen Haut. Sie hatte ein Stück schwarzen Stoff um den Körper gewickelt und trug Armbänder, einige aus Gold. Ihre Haut war ausgetrocknet und vom Alter aufgesprungen, sie mußte sich regelmäßig gegen die Sonne einreiben.» Die ersten Freiheitskämpfer der ZANLA, der Kampforganisation der ZANU, waren 1972 in die Grenzdörfer gekommen und hatten um Hilfe gebeten. Daraufhin hatten die Landfrauen das Ahnenmedium der Nehanda befragt. Die Antwort war eindeutig: Die Zeit sei gekommen, das Land der Ahnen müsse endlich zuriickgewonnen werden, es müsse gekämpft werden. Und diesmal werde der Krieg erfolgreich sein... Bald darauf fielen Schüsse. Die Anweisungen der Nehanda hatten die letzte Phase des erfolgreichen Widerstands ausgelöst, auf ihren Wunsch hin halfen die Dorfbewohner den Freiheitskämpfern, die bald überall «Vakumana» genannt wurden, was soviel heißt wie «unsere Jungens». 80% der schwarzen Frauen lebten auf dem Land, und so waren es vor allem Frauen, die halfen. Die Männer waren von den Weißen als Arbeiter in «ihre» Gebiete geholt worden, auf Farmen, in Bergwerke und in die Fabriken. Dieser schwere Eingriff, der die traditionellen Gesellschaftsstrukturen zerstörte, wurde den Weißen letztlich zum Verhängnis. Frauen, zu einer bis dahin ungewohnten Selbständigkeit gezwungen, nutzten diese Selbständigkeit im Kampf.
Die Aufteilung des Landes
Der Kampf in Zimbabwe ging stets um das Land. «Gottes eigenes Land» nannten die weißen Siedler den Boden, den sie den Afrikanern entrissen hatten. Zimbabwe liegt auf dem Hochplateau zwischen den Flüssen Limpopo im Süden und Zambesi im Norden und umfaßt nach den kolonialen Grenzen ein Gebiet von 390.580 km2. Dank der Höhe herrscht ein angenehmes Klima. Die Temperaturen schwanken geographisch unterschiedlich zwischen bis zu 29' C im heißesten Monat Oktober und 14' C im kältesten Monat Juli. Die herrliche Regenzeit, die das Land mit seinen vielen Flüssen und Gebirgen so fruchtbar macht, fängt etwa im November an und dauert bis Ende März/Anfang April. Der sich anschließende Winter ist trocken, die Sonne scheint täglich. Zimbabwe ist ein Land, in dem die Menschen draußen leben und in der Natur leben wollen.
Die Landschaft ist anziehend und vielfältig: Hügel, eigenartige Felsengebilde, große Täler, schöne Farmen und Seen: Die weißen Siedler konnten in diesem Gebiet einen Lebensstil führen, der einzigartig war. Ein auswandernder Farmer, den ich fragte, warum er so lange bereit war, gegen eine überwältigende schwarze Mehrheit zu kämpfen, erwiderte mir: «Wir haben uns dadurch fünfzehn Jahre lang ein Luxusleben ermöglicht.» Die B.S.A.C., die das Gebiet im letzten Jahrhundert in ihren Besitz gebracht hatte und verwaltete, war eine Gesellschaft, die mit Profit arbeiten mußte. Deshalb zog man Großfarmer und Firmen, die späteren «Multis», als Eigentümer vor und verkaufte ihnen riesengroße Landflächen als Plantagen oder Bergwerksgelände. Noch heute gibt es derartige Superfarmen In Zimbabwe.
Vor allem nach den erfolglosen Aufständen der neunziger Jahre entriß die B.S.A.C. den Afrikanern das Land, jagte Schona und Ndebele, die rechtmäßigen Besitzer, davon. Zwar erließ die britische Krone 1898 eine Verordnung, nach der Weiße und Schwarze dasselbe Recht hatten, Land zu besitzen, aber die Praxis übertraf noch die an sich schon fragwürdige Theorie: die Weißen verdrängten die Schwarzen, eigneten sich das beste Land an und wiesen ihnen sogenannte «reservierte» Gebiete zu, die weniger fruchtbar waren als die geraubten. Die Reservate wurden später «Tribal Trust Lands» - Stammesgebiete - genannt, heute bezeichnet man sie als «Communal Lands» - Gemeindeland. Diese Politik hatte zur Folge, daß die Afrikaner ihre alten wirtschaftlichen Strukturen verloren, gleichzeitig von den sich neu entwickelnden weißen Märkten ferngehalten wurden und faktisch eine Trennung der Rassen eingeführt wurde. Bereits 1898 gehörten etwa 40 Prozent von Matabeleland nicht mehr den Ndebele, sondern den Weißen, und die Enteignung schritt weiter voran. Schließlich wandten sich Afrikaner und Siedler zur Klärung ihrer Rechte an die britische Krone. Nach dem Ende des Ersten Weltkrieges entschied die britische Regierung, alle Rechtsansprüche an das Land gehörten der Krone. Ein vorteilhafter Spruch für die weißen Siedler, die durch Verhandlungen mit London nun rechtmäßig Land erwerben konnten, eine Beleidigung für die Afrikaner, über deren eigenen Boden jetzt die Regierung eines fremden Landes verfügte, zu dem sie die Entfernung nicht einmal abschätzen konnten.
Bis zum «weißen» Referendum 1922 verwaltete die B.S.A.C. weiterhin das Gebiet. Die Siedler standen vor der Entscheidung, ob sie sich der 1910 gebildeten Union von Südafrika anschließen oder britische Kolonie werden sollten. Da die britischen Siedler die Buren verachteten, wählten sie die britische Krone. 1923 wurde das Land zur selbstverwalteten Kronkolonie Südrhodesien ernannt. Die afrikanische Bevölkerung wurde an der Verwaltung nicht beteiligt. In London kümmerte man sich fortan wenig um die Gesetzgebung, die immer rassistischer wurde, auch nicht um die eigentliche Aufteilung des Landes. Nach sieben Jahren Selbstverwaltung führten die Weißen ein Landgesetz ein (Land Apportionment Act), das sich wie viele andere Gesetze und Anordnungen an südafrikanische Vorbilder anlehnte. Das neue Landgesetz schuf Gebiete für Weiße, für Schwarze und für Nationalparks. Es teilte den Afrikanern 48 Prozent des Bodens zu, den Europäern 52 Prozent. Städte und Gebiete mit reichhaltigen Bodenschätzen oder guten Anbaumöglichkeiten gehörten zum «weißen» Gebiet. Bei einem Zahlenverhältnis von etwa 50.000 Weißen zu über einer Million Afrikanern mußte diese Maßnahme zur Unterdrückung und Armut der schwarzen Mehrheit führen. 1969 trat nach Verabschiedung der neuen Verfassung auch ein neues Landgesetz in Kraft. Danach wurde das gesamte Land in afrikanische und europäische Gebiete neu aufgeteilt. Die Weissen, die fünf Prozent der Gesamtbevölkerung stellten, erhielten 50 Prozent des Bodens, hierzu gehörten Städte, Bergwerke und die fruchtbarsten Gebiete. In den für die schwarze Mehrheit verbleibenden «Tribal Trust Lands» war die Bevölkerungszahl vierzehnmal so hoch wie in den «weißen» Gebieten. Der Boden war weniger kultiviert und die Menschen verarmt, überall waren ländliche Slums entstanden. Nach dem Bericht der Riddell-Kommission, der 1981 erschien, konnten die Stammesgebiete im Jahre 1977 nur noch 275.000, d.h. etwa ein Drittel der Bauernfamilien ernähren. Zur Zeit der Unabhängigkeit lebten ca. 780.000 Bauernfamilien, insgesamt schätzungsweise 4 Millionen Menschen3 in den Stammesgebieten, während die Hauptverdiener dieser Familien meist weit entfernt als Wanderarbeiter tätig waren. Viele hatten weder Land noch die Hoffnung, jemals welches zu besitzen; mehr als 220.000 Familien hätten umgesiedelt werden müssen, ein Vorhaben, das vom ersten Drei-Jahres-Plan der Regierung nicht geleistet werden konnte. Die Landreform stellt die Regierung vor eine ihrer schwierigsten Aufgaben. 1982 besaßen rund 6.000 weiße Farmer noch immer die Hälfte der landwirtschaftlich nutzbaren Fläche. Nach dem 1979 in London ausgehandelten LancasterHouse-Abkommen, das bis zum Beginn des nächsten Jahrzehnts Gültigkeit hat, muß die schwarze Regierung jeden Hektar Land, den sie für die Umsiedlung benötigt, den weißen Farmern abkaufen. Die in Lancaster House versprochene Unterstützung durch einen Sonderfond wurde bisher nur zum Teil eingelöst. Die Mehrzahl der ländlichen Bevölkerung waren Frauen, sie wurden die Ärmsten der Armen. So galt die Parole «Frauen haben nichts zu verlieren, außer ihrer Sklaverei» in den fünfziger wie in den siebziger Jahren. Aber auch heute nach der Urlabhängigkeit des Landes sind es vor allem die Frauen, die darauf bedacht sind, daß der durch den Krieg erkämpfte Fortschritt weitergeführt wird.