Nach dem Krieg erzählten ehemalige Freiheitskämpferinnen von ihren Erlebnissen und schrieben sie während eines Kurses auf, der von September bis Dezember 1981 in Ranch House in Harare abgehalten wurde, unterstützt durch das «Zimbabwe-Project». Die Aufzeichnungen wurden unter dem Titel «Stories and poems from the struggle» veröffentlicht. Aus dieser Sammlung stammt der folgende Bericht von Olaria:
Olaria, Lebensgeschichte einer Kämpferin
Da ich aus einer armen Familie stamme, mußte ich schon schwer arbeiten, bevor ich mit sechs in die Schule kam. Lange vor Unterrichtsbeginn weckte mich meine Mutter, damit ich auf's Feld konnte. Nach der Schule rannte ich schnell nach Hause und aß zu Mittag, um danach auf dem Markt Gemüse zu verkaufen, während meine Mutter auf dem Feld war. Mir blieb nie Zeit, um mit den anderen Kindern zu spielen, denn ich wußte, daß ohne meine Mithilfe kein Schulgeld da sein würde. Mein Vater war nach Südafrika gegangen, als ich vier Jahre alt und meine Mutter zum zweiten Mal schwanger war; dort arbeitete er in den Goldminen.
Ich war immer die Beste oder Zweitbeste in der Schule und meine Mutter spornte mich an, noch mehr zu arbeiten. Mein Vater schrieb ab und zu an meine Mutter und schickte rüanchmal auch etwas Geld, was für uns aber nicht reichte. Wir waren inzwischen zu dritt, da meine Schwester geboren worden war. Als meine Schwester vier Jahre alt war, kam mein Vater aus Südafrika zarück. Ich war damals in der dritten Klasse. Meine Eltern freuten sich darüber, daß ich so gut in der Schule war, denn das machte ihnen Mut, hart für das Schulgeld zu arbeiten. Ich ging ohne Schuhe in die Schule. Das war während der kalten Jahreszeit schlimm. Die anderen Kinder lachten über meine alten Kleider. Manchmal weinte ich, aber meistens kümmerte ich mich nicht um die anderen, ich wußte, daß ich im Unterricht gut war. Da ich in der 7. Klasse gute Noten hatte, ging ich weiter auf die höhere Schule. Manchmal durfte ich nicht in die Schule gehen, weil ich kein Schulgeld bezahlt hatte. Da ich auch außerhalb des Unterrichts aktiv war, entschieden sich die Lehrer, mir zu helfen. Ich wurde im Haus unseres Mathematik-Lehrers aufgenommen. Er und seine Familie waren Amerikaner, die sehr nett zu mir waren. Wenn ich Zeit hatte, half ich dort im Haushalt. Manchmal kam ich in den Ferien nach Hause. Meine Eltern freuten sich, daß sie für mich nichts mehr bezahlen mußten, seitdem ich bei Mr. und Mrs. Wooden lebte. Ich war von 1974 bis 1975 bei ihnen.
Ende Juni 1975 erhielt ich einen Brief von zu Hause mit der Nachricht, daß mein Vater festgenommen und meine Mutter schwer geschlagen worden sei, weil sie verdächtigt worden waren, Freiheitskämpfer mit Essen versorgt zu haben. Mich erstaunte das, da es in der Provinz Manica keine Genossen gab. Ein neidischer Nachbar hatte meine Eltern verdächtigt, Kontakt zu Freiheitskämpfern zu haben. Nachdem ich das erfahren hatte, weinte ich viel und ließ in der Schule nach. Der Gedanke an meine inzwischen sechsköpfige Familie beunruhigte mich, denn Mutter mußte wieder leiden, weil mein Vater verhaftet worden war. Ich überlegte, wie ich meiner Mutter helfen könnte, fand aber keine Lösung. Zuerst dachte ich, ich sollte weiter in die Schule gehen, las dann aber die «Farm der Tiere» von George Orwell. Ich begriff, daß der Autor über Politik schrieb, und das Geschriebene berührte mich tief. Ich verglich mein Leid mit dem im Buch - Ich verstand, daß wirunterdrückt waren, und entschloß mich, zur Befreiungsbewegung zu gehen. Ich schrieb meiner Mutter, daß ich verschwinden und in ein unbekanntes Land gehen würde, um für unser Land zu kämpfen. Mir tat es leid, später von anderen, die nach mir kamen, zu hören, daß meine Mutter über meinen Brief totunglücklich war.
Ich ging mit zwei Freunden nach Mocambique. Mr. und Mrs. Wooden sagte ich nichts. Um 11.45 ging es los. Wir hatten Glück, da wir in der Nähe der Grenze waren. Wir verließen die Straße und liefen im Busch über die felsigen Berge. Wir kamen an einen Fluß und schwammen hinüber. Auf der anderen Seite trafen wir zwei Frauen, die Holz holten und die wir nach dem Weg zur Grenze fragten. Wir mußten bis Sonnenuntergang warten. Wir waren sehr hungrig und baten um Essen. Die Frauen waren sehr nett zu uns und gaben uns süße Kartoffeln, die wir in Papier einwickelten. Dann setzten wir unsere Reise fort. Wir machten keine Rast, aßen beim Gehen und erreichten schließlich die Grenze. Wir trafen FRELIMO-Soldaten und sagten ihnen, daß wir uns der Befreiungsbewegung von Zimbabwe anschließen wollten. Sie stellten viele Fragen, die wir nicht beantworten konnten, aber sie waren freundlich und brachten uns nach Espungabeira, wo bereits andere Zimbabwer eingetroffen waren.
Das Leben in den Lagern war schwer. Leider war es sehr kalt und ich besaß nur ein Kleid. Wir schliefen ohne Decken im Freien. Wir sammelten Holz, machten ein Feuer, um uns zu wärmen, sangen Lieder. Das Essen wurde immer knapper, da noch Tausende von Schülern zu uns stießen. Wir hatten kaum genug Wasser zum Trinken. Viele starben an Hunger und Krankheiten. Wir waren ohne Führung, wie verlorene Schafe, da unsere Führer in Zambia inhaftiert waren. Wir verkauften Kleider für Essen. Da ich nur ein Kleid hatte, konnte ich nichts verkaufen. Ich arbeitete bei Mocambiquern auf dem Feld, um etwas Essen zu bekommen. Als Ende '75 unsere Führer freigelassen wurden, verbesserte sich die Lage. Genosse Mugabe kam zu uns und sorgte für Essen, Kleidung, Waffen und Ausbildungsmöglichkeiten in verschiedenen Ländern. Ich habe viel erlebt - schlief unter Bäumen, ohne Decke, war oft hungrig, wusch mich ohne Seife oder überhaupt nicht, weil es auch kein Wasser gab. Ich habe erfahren, wie es ist, mit Leuten aus anderen Stämmen zusammenzuleben. Wir aßen wilde, giftige Beeren und viele starben daran.
Anfang 1976 wurden neue Ausbildungslager eingerichtet, Chimoio und Tembwe in Mocambique, Mugagao und Chingwea in Tanzania und neue Operationsgebiete ausgewählt. Anfang 1976 ging ich nach Tanzania. Ich war sehr aufgeregt, weil ich zum ersten Mal mit einem Flugzeug flog. Ich blieb den ganzen Januar in Tanzania. Die Tanzanier waren genauso freundlich und hilfsbereit wie die Menschen in Mocambique. Die Ausbildung dauerte von Februar bis Juli und es war eine schwere Zeit. Wlr standen früh auf und machten lange Märsche mit schweren Lasten und bekamen nur wenig zu essen und zu trinken. Wir lernten auch, wie man den Feind überfällt und seine Einrichtungen zerstört. Als die Ausbildung zu Ende war, flogen wir nach Mocambique, wo ich zuerst in Chimoio eingesetzt wurde. Ich arbeitete als Lehrerin und als politische Kommissarin. Es gab viel zu tun. Montags bis freitags unterrichtete ich in allgemeinen Fächern, am Wochenende in Politik und die Freizeit galt der Vorbereitung der Stunden. Ich hatte kaum Zeit, mich auszuruhen.
Bei dem Angriff auf Chimolo war ich dabei und hatte das Glück, zu den Überlebenden zu gehören.
Als Genosse Mugabe in Lancaster House bei der Konferenz war, hörte ich ständig Radio. Ich freute mich, als das Abkommen unterschrieben wurde und stellte mich auf Wahlen ein. Mir war klar, daß wir gewinnen würden, weil die Mehrheit der Bevölkerung hinter uns stand, Waffen und Politik gehörten doch zusammen. Als das Wahlresultat im April bekannt gegeben wurde, und ich erfuhr, daß wir gewonnen hatten, war ich unbeschreiblich glücklich. Ich konnte nur noch an meine Familie denken und daran, wie ich mit ihr ein neues Leben beginnen würde.
Vom Schrecken des Krieges - Überlebende berichten
Während der sechziger Jahre nahm die Weltöffentlichkeit nur sehr wenig Notiz vom Bürgerkrieg in Südrhodesien. Die Weißen, die das Zambesital besetzt hielten, gingen nur selten über den Fluß auf die zambische Seite, die Kämpfe spielten sich meistens innerhalb der südrhodesischen Grenzen « ab. Mit dem Einsetzen der «heißen» Kriegsphase zu Beginn der siebziger Jahre wurde das anders. In der ganzen Welt wurde man aufmerksam, als Smith-Truppen die Flüchtlingslager in den Nachbarländern angriffen. Dabei wurden nicht nur Freiheitskämpfer der ZANLA und ZIPRA, sondern auch Tausende von Flüchtlingen und viele unbeteiligte Zambier getötet. Einer dieser Angriffe galt am 17. Oktober 1978 einem Frauenausbildungscamp in Mkushi, 150 km nördlich von der zambischen Hauptstadt Lusaka. Nach Angaben der ZAPU befanden sich zu diesem Zeitpunkt 1589 junge Frauen und 36 Männer im Lager. Gegen 11 Uhr morgens begann der Angriff mit einem Bombardement des Lagers, dann setzten Hubschrauber Soldaten ab, die unter den Frauen ein furchtbares Massaker anrichteten. Parallel zu dieser Aktion griffen Smith-Truppen ein anderes Lager bei Chikumbi, etwa 20 km nördlich von Lusaka, an. Etwa 100 Frauen und Mädchen wurden getötet, 90 schwer verletzt und über 200 als vermißt gemeldet.
Siyathemba Mlilo ist eine der Überlebenden von Mkushi. Zusammen mit ihrem Bruder war sie nach Zambia geflohen, nachdem ihr Vater wegen Parteiaktivitäten verhaftet worden war, und sie selber eine Festnahme befürchten mußten. Im Mkushi-Camp sollte die damals Neunzehnjährige eine medizinische Ausbildung erhalten. Siyathemba schildert, wie sie den Angriff der Smith-Truppe erlebt und überlebt halt.
«Ich sah etwa fünf Düsenjäger und sechs Hubschrauber, von denen einige am Lagerrand schwarze und weiße Truppen absetzten. Eine Gruppe von uns rannte weg und versteckte sich in einer Höhle an der Flußböschung. Während wir uns versteckt hielten, hörten wir einen Pfiff und etwas später unsere Lehrerin Jane, die laut fragte, warum wir nicht aus dem Versteck kämen, ob wir den Pfiff nicht gehört hätten. Sie sagte, vor dem Lager seien Leute, die mit uns sprechen wollten. Daraufhin entschieden sich einige der Mädchen rauszugehen. Ich ging nicht, weil ich mißtrauisch und ängstlich war. Nachdem die anderen hinausgegangen waren, warf ich einen verstohlenen Blick nach draußen. Ungefähr achtzig bis neunzig Mädchen standen vor acht bis zehn weißen Soldaten, von denen einer Jane ein Gewehr gab und ihr befahl, die Mädchen zu erschießen. Jane weigerte sich, und ich sah, wie die Mörder zuerst Jane niederschossen und dann die Mädchen. Ich glaube, daß es ungefähr fünfzig waren, die sie erschossen haben. Die übrigen schafften es, in die nahegelegenen Höhlen und Gräben zu entkommen. Die Rassisten warfen daraufhin Granaten in die Verstecke und die Mädchen wurden buchstäblich in Stücke gerissen.
Mittlerweile war es mir gelungen rauszurennen und mich im Busch zu verstecken. Zwei weiße Soldaten liefen vorbei, sahen mich aber nicht. Dann sah mich ein schwarzer Soldat und zu meiner Überraschung riß er mir nur den Hut weg und sagte mir in Ndebele, nachdem er sich vergewisserte hatte, daß ihn niemand beobachtete: »Baleka uyele. Akulabantu, Uzasinda.« (Renn diesen Weg entlang. Da ist niemand und du bist sicher.» Unterwegs wurde mein Fuß schwer von Napalm verbrannt. Ich schaffte es, ein Dorf in der Nähe zu erreichen, dessen Bewohner mich zu einer nahegelegenen Polizeistation brachten.»
Ins Flüchtlingslager Chimolo in Mocambique fielen die südrhodesischen Regierungstruppen im November 1977 ein. Eine der Überlebenden ist die Lehrerin und Sozialarbeiterin Ruvimbo Mujeni. Ruvimbo war früher mit dem ehemaligen Generalsekretär der ZANU, Edgar Tekere, verheiratet. In Maputo erzählte sie mir die folgende Geschichte:
«Es ging am 23. November frühmorgens los, kurz nachdem wir uns versammelt und die Aufgaben verteilt hatten. Gegen halb acht bemerkten wir ein Flugzeug am Himmel. Wir fürchteten uns nicht, weil es ziemlich hoch flog, entschieden uns aber aus Sicherheitsgründen doch, nicht länger zusammenzubleiben und gingen an unsere Arbeiten. Im Lager waren etwa 2.000 Menschen. Ehe wir die Kinder in den Unterricht bringen konnten, hörten wir eine furchtbare Explosion. Wir glaubten zuerst nicht an einen Angriff, bis jemand schrie: »Angriff, geht in Deckung!« Da wir militärisch nicht ausgebildet waren, wußten wir nicht, wie wir uns am besten schützen konnten und ob wir die Kinder zusammen oder einzeln laufen lassen sollten. Schließlich versteckte sich jeder allein, rannte irgendwohin. Ich lief nicht weit, nur bis zu einem kleinen Gebüsch, dort blieb ich liegen. Wenn ich zum Himmel blickte, sah ich nur Grau und Grün, Feuerschein und Rauch. War das jetzt das Ende, nach all den Monaten hier? Warum griffen sie uns an, wir waren doch kein Militärlager? Bisher hatten wir uns in der Nähe der Stadt Chimolo sicher gefühlt. Der Bombenangriff hörte nicht auf. Erst nach zwanzig Minuten wurde es etwas stiller. Sollte ich nach Chimoio flüchten? Auf der anderen Seite lag nur noch die südrhodesische Grenze. Als ich den Kopf hob und in Richtung Chimoio blickte, war der Himmel über den Bäumen grün von Fallschirmen. Jetzt war es soweit, sie kamen, und es hatte weder Sinn nach Chimoio zu laufen noch sich in einer der Hütten zu verbergen. Es gab nur noch ein Versteck: die Latrine. Ich rannte, Bomben fielen wieder, aber ich erreichte unversehrt die Latrine in der Nähe einiger Häuser, dort wo wir die Schweine hielten. Ich schlüpfte in das Loch, blieb aber mit den Schultern stecken, mußte die Hände hoch über den Kopf halten und sank hinein. Die Jauche ging mir bis zur Taille. Wie soll ich das beschreiben - es war widerlich, verfault, schmutzig - unbeschreiblich. Würmer krabbelten sofort über meinen Körper. Vor den Bomben war ich verschont geblieben, jetzt würden mich die Würmer bei lebendigem Leibe fressen! Mir blieb nichts anderes übrig. Ich blieb dort, lehnte mich an die Wand des Grubenkastens. Die Bombardierung ging weiter. Die Latrinenwand erschütterte zwar, aber sie barst nicht, ich war sicher wie in einem Graben. Ich dachte an die abgesprungenen Soldaten. Ich wollte bis Mittag bleiben, einmal mußten sie ja mit den Bomben aufhören. Doch es ging weiter, immer nur mit wenigen Minuten Unterbrechung. Ich hörte Flugzeuge und Hubschrauber, ja sogar das Geräusch der Rotationsblätter. Ich wußte nicht, wie es oben aussah: waren ZANLA Truppen angekommen, wurde oben gekämpft? Also blieb ich einfach da, war weder hungrig noch durstig, wartete. Ich glaube, meine Rettung war, daß ich so passiv war.
Der zweite Tag war wie der erste. Nachts hatten sie aufgehört, Bomben zu werfen, aber es waren Schüsse zu hören gewesen. Morgens kamen die Flugzeuge und Hubschrauber zurück und mit ihnen die Bombenexplosionen, die Gewehrschüsse und das Feuer. Tag und Nacht konnte ich das Geräusch des Feuers hören. Ich glaube, sie wollten verhindern, daß jemand zurückkam und etwas aus dem Lager rettete.
Am dritten Tag hörten die Bombenabwürfe auf. Ich hörte Stimmen und Leute rennen, wußte aber nicht, wer im Lager war. Das Brummen der Fliegen um mich herum war so laut, daß ich nicht herausfinden konnte, ob ich unsere Sprache hörte. So blieb ich auch am dritten Tag in der Latrine.
Zwischendurch regnete es, einen Schuh hatte ich verloren, mit dem anderen versuchte ich Wasser zu sammeln, was zwecklos war. Ich probierte meinen eigenen Urin, der so bitter war, daß ich ihn nicht runterbrachte. Dann angelte ich eine Plastikflasche, die in einer Pfütze schwamm, schnitt sie mit einem Stein auf und konnte mit ihr etwa drei bis vier Zentimeter Regenwasser erhaschen, das ich trank, obwohl es dreckig war. Ich hatte Angst, der Regen könnte bald aufhören.
Mir ging viel durch den Kopf. Ich dachte über mein Leben nach, über die letzten Monate. Hätten wir uns anders verhalten sollen? Was war aus den Kindern geworden, was aus dem alten Mann, den ich sah, als ich zur Latrine gerast war? Er hatte nicht mitkommen wollen, hatte wohl einen anderen Plan. Ich war sicher, daß er niemals in Chimoio ankommen würde. Später erfuhr ich, daß er gegen 14 Uhr ein anderes Camp erreicht und bereits abends für die Kinder dort Essen gekocht hatte... Ich träumte viel. Obwohl ich glaubte, gar nicht geschlafen zu haben, muß ich immer wieder eingenickt sein. Ich träumte von meiner Rettung: ein Bus sei mit Kindern und Müttern abgefahren und würde zurückkommen, mich zu holen. Am Vormittag des vierten Tages hörte ich von weit her den Lärm einer großen Maschine. Was konnte das sein? FRELIMO-Leute, die uns retten wollten? oder Rhodesier, die das Lager besetzen wollten? Für einen Lastwagen war das Geräusch zu stark, ich konnte es nicht identifizieren. Die Maschine mußte Rhodesiern gehören, denn weder unsere noch FRELlMO-Kämpfer verfügten über so schwere Maschinen. Also wartete ich, der Lärm kam weiter aus der Ferne. Er kam erst nachmittags gegen vier Uhr näher. Jetzt überlegte ich, ob ich mich bemerkbar machen sollte. Was würden sie mit mir tun? Wäre es nicht besser, dort zu sterben, wo ich war? Würden sie mich foltern, und war ich sicher, daß ich dann nicht Dinge sagen würde, die den anderen schaden könnten? Ich konnte mich nicht entscheiden und lauschte wieder auf die Stimmen. Würde ich englisch sprechen hören, wären die Rhodesier da, denn die ließen auch die Afrikaner nicht gerne Schona sprechen. Aber wegen der Fliegen konnte ich nichts verstehen. Endlich überlegte ich: Wenn es wirklich Freunde oder sogar meine Kameraden sind, dann ist es meine letzte Chance, denn sie werden nie wieder hierherkommen. Ich wußte, wenn Menschen auf so schreckliche Weise gestorben sind wie hier, wird jeder von uns diesen Ort für immer meiden, dann müßte ich so oder so sterben. Also rief ich, aber meine Stimme war zu schwach, keiner hörte mich. Als das Maschinengeräusch für einen Moment nachließ, rief ich erneut um Hilfe. Ich konnte hören, daß Schona gesprochen wurde. Meine Kameraden! Dann hörte ich sie auf die Latrine zurennen. Der Lauf eines schußbereiten Gewehres erschien in der Öffnung meines Verstecks. Ach Kameraden, ich bin's, Ruvimbo Tekere, ich habe keine Waffe! rief ich. Jemand fragte: Sind Sie wirklich Frau Tekere? es war eines der Kinder, die ich betreut hatte. Dann holten sie mich heraus. Einige unserer Kinder hatten unsere Kameraden und Freunde von derFRELIMO hergeführt. Sie hatten Wasser und Essen, wuschen mich, gaben mir von dem Wasser aber nicht zu trinken - aus Angst es könnte vergiftet sein. Sie holten anderes Wasser von den FRELIMO-Leuten und sagten, ich dürfe nur sehr wenig trinken. Das Essen, das sie mir gaben, konnte ich nicht schlucken, mein Hals schmerzte zu sehr. Dann setzten sie mich in einen Bus und ich fuhr in ein Krankenhaus.
Die große Maschine war ein Bulldozer gewesen, mit dem ein Massengrab ausgehoben wurde. Überall lagen Leichen, manche seit vier Tagen; es hatte geregnet und es war November, also sehr heiß. Die Körper waren aufgedunsen, mit Fliegen und Würmern übersät, manche waren von wilden Tieren zerfetzt, halb aufgefressen. Es war ein grauenvoller Anblick, der mir in der Latrine zunächst erspart geblieben war. Auf dem Weg ins Krankenhaus erkannte ich langsam das Ausmaß der Vernichtung. Im Lager noch hatte ich die toten Schweine gesehen, die verrottet herumlagen. Auf den Feldern sah ich verendete Kühe liegen, die Ernte war abgebrannt, alles war dem Erdboden gleichgemacht oder vom Feuer verdorrt. Ein großer Lastwagen lag ausgebrannt an der Straße, die Ladung Bohnen verschüttet. Die Leiche des erschossenen Fahrers war bereits abtransportiert worden.
Das Krankenhaus in Chimio war überfüllt. Von der Eingangstür bis zum Operationssaal lagerten Menschen im Korridor, blutige, schmutzige, übelriechende Körper. Menschen, die verzweifelt auf Hilfe warteten; es war ein kleines Krankenhaus mit einem noch kleineren Operationssaal. Abends regnete es, und Scharen von Mücken quälten die Menschen.
Freiheitslieder, weiß und schwarz[1]
Weiß: Rhodesier sterben nie
Wir werden diese Nation
unseren Kindeskindern bewahren,
denn für Rhodesier
gibt es kein anderes Land.
Die Wahrheit auf unserer Seite
werden wir aufrecht in der Sonne stehen.
Und müssen wir allein durchfechten
Tun wir's voller Stolz.
Wir sind alle Rhodesier
und werden zusammenbleiben
durch dich und dünn.
Wir werden unser Land frei
und die Feinde nördlich des Zambesi halten
Bis dieser mächtige Fluß
ausgetrocknet sein wird.Schwarz: Chimurenga-Lied
Hört! Es donnert!
Smith! Unsere Brüder und Schwestern
leben in den Wäldern,
denn sie beschützen unser Land.
Smith! Unsere Brüder und Schwestern
leben in den Wäldern,
denn sie kämpfen für unser Land.
Sie hätten gern auch
ein Dach über ihren Köpfen,
sie würden gern auch
die Felder bestellen,
aus Liebe zu unserem Land,
aus Liebe zu unserem Land!
Ihr Ahnengeister,
Herr, schützt sie,
ihr Ahnengeister,
Herr, schützt sie.
Mbuya Nehanda,
unser Ahnengeist,
Mbuya Nehanda,
unser Ahnengeist,
wache über uns, Herr,
damit wir zurückkönnen nach Zimbabwe.
Heute leiden die Leute,
unsere Mütter leiden,
unsere Väter leiden.
Wann werden wir Zimbabwe wieder besitzen?
Ahnengeist,
Ahnengeist,
schütze uns.
Janice McLoughlin, eine Ordensschwester auf Seiten der Unterdrückten
Die Regierungstruppen sammelten im Verlauf des Krieges Erfahrung und hatten sich zu «Buschexperten» entwickelt, ein Sonderkommando war gebildet worden- die gefürchteten Selous Scouts, die sich aus weißen und schwarzen Soldaten rekrutierten. Oft als Guerilla getarnt, verübten sie grausame Taten in den Dörfern. Sie machten vor den Missionsstationen nicht Halt, die die Freiheitskämpfer oft medizinisch versorgten. Den Guerillas sind viele Morde an Missionaren angelastet worden, es wird aber wohl nie geklärt werden, wieviele in Wirklichkeit Opfer der Selous Scouts wurden. Die Katholische Kommission für Gerechtigkeit und Frieden gründete ein Büro in Salisbury und dokumentierte regelmäßig die Greueltaten dieses schlimmen Krieges. Den Einsatz chemischer Kampfstoffe, das Abbrennen von Maisfeldern, Folterungen, Vergewaltigungen, Mordüberfälle...
Die Nonne Janice McLoughlin, die heute wieder in Zimbabwe lebt, war Mitglied dieser Kommission. Die schlanke, dunkelhaarige Amerikanerin gehört dem Orden der Maryknoll-Schwestern an. Auf die Besucher ihres Büros macht sie jedoch keineswegs den Eindruck einer frommen weltfremden Ordensschwester, sondern den einer Frau voll Energie und Lebensmut, die weiß, was sie will. Schwester Janice wurde 1942 in Pittsburgh, Pennsylvania, geboren. Die Eltern waren engagierte Leute, die Mutter arbeitete als Lehrerin, der Vater als Schreiner und Gelegenheitsarbeiter in den Kohlebergwerken. «Abends kam er heim», erzählt sie, «und berichtete von den furchtbaren Bedingungen, unter denen die Menschen lebten und arbeiteten. Er war aktiv in der Arbeiterbewegung, in seinem Betrieb waren Gewerkschaften verboten. Ich entwickelte schon früh ein Gefühl für das ungleiche Verhältnis zwischen Armen und Reichen. Als ich noch klein war, nahm mich meine Mutter bereits mit in Vorträge. Ich erinnere mich an einen Jesuitenpater, der über Bürgerrechte sprach, das war lange vor Martin Luther King. Damals las ich auch das Buch <Laßt mein Volk ziehen> von Albert Luthuli,[2] das mich sehr beeindruckte.»
Janice McLoughlin trat 1961 in den Orden ein, 1969 wurde sie nach Afrika entsandt, vorher lernte sie Swahili [3] und arbeitete dann sieben Jahre in Nairobi. 1977 kam sie nach Südrhodesien. Wegen ihrer Arbeit in der Kommission für Gerechtigkeit und Frieden wurde sie inhaftiert und später ausgewiesen. Sie hielt jedoch ihre Kontakte zu Südrhodesien aufrecht und machte in den USA Öffentlichkeitsarbeit für den Volkskampf gegen das weiße Regime. Sie kehrte nach Afrika zurück, um die Befreiungsbewegung von Mocambique aus zu unterstützen, sie war die einzige Weiße, die jemals in einem Lager in Mocambique gelebt hat. Heute arbeitet Schwester Janice in einem Institut für Erziehung, das direkt dem Büro des Premierministers unterstellt ist. Ihr Orden sei fortschrittlich, sagt sie. Ihre Kleidung bestimme sie selbst, auch das Arbeitsfeld könne sie selbst auswählen. Bis auf weiteres sieht sie ihre Aufgabe darin, den jungen Staat Zimbabwe zu unterstützen. Aus ihren Erlebnissen wird ersichtlich, warum sie sich mit diesem Land und seinen Menschen so verbunden fühlt:
«Als ich 1977 die Arbeit der Kommission aufnahm, suchten wir sofort Kontakt zu den Menschen in den ländlichen Bezirken. Ich glaube, bald wußten wir besser als die offiziellen Stellen, was eigentlich vor sich ging. Die Landbevölkerung vertraute uns und erzählte von den Greueltaten der Regierungssoldaten, von den Zuständen in den Keeps. In der offiziellen Propaganda schrieb niemand objektiv über die Befreiungsbewegungen. Da gab es nur die Greueltaten der <Terroristen>. So sammelte ich drei Monate lang die Berichte von Informanten, die ein großes Risiko eingingen, wenn sie zu uns kamen.Ich erinnere mich an einen Jungen, der mir seine Geschichte erzählte. Man hatte ihn zur Polizei geschleppt. Dort hatten sie ihm nichts zu essen und nichts zu trinken gegeben, ihn geschlagen, bis er bewußtlos wurde. Nach einer Woche hatten sie ihn laufen lassen, eine Gerichtsverhandlung hatte es nicht gegeben. Nachdem er mir das alles erzählt hatte, zeigte er mir seinen Rücken, der überall blutete, eine einzige offene Wunde. Er hatte ganz ruhig mit mir gesprochen, alles genau erzählt, obwohl er große Schmerzen gehabt haben mußte. Der Junge mußte befürchten, getötet zu werden, weil er uns alles im Detail und mit vollen personellen Angaben berichtet hatte. Aber er wußte auch, daß die Veröffentlichung dieser Dinge den Kampf weiterbringen würde. Gefährdet waren auch die Mitarbeiter der Kommission.
Ständig erhielten wir Bombenwarnungen und Morddrohungen. Die afrikanischen Mitarbeiter wurden schließlich verhaftet. Mir wurde klar, was der Kampf bedeutete. Nach drei Monaten erschien die Polizei - sie war schon öfter im Büro gewesen - diesmal mit einem Haftbefehl. Sie durchsuchten erst das Büro, dann unsere Wohnungen nach Veröffentlichungen, die Bestürzung und Depressionen hervorriefen, wie sie sagten. Ich hatte nicht erwartet, daß mein Haus durchsucht werden würde, und so fanden sie dort mein Tagebuch mit aufschlußreichen Notizen. Mir war klar, was passieren würde: Sie würden mich als vermeintliche Kommunistin und wegen Unterstützung der Terroristen, verhaften. Noch am Abend brachten sie mich ins Chikurubi-Gefängnis in der Nähe von Salisbury, wo ich drei Wochen bleiben sollte. Fast alle schwarzen Insassen waren politische Gefangene, es waren mehrere hundert. Drei oder vier Mischlinge waren wegen kleinerer Vergehen eingesperrt, ebenso drei Weiße, die Geld gestohlen hatten. Eigentlich war für mich Einzelhaft in der Mischlingsabteilung vorgesehen, aber ich hatte trotzdem viel Kontakt mit den anderen Gefangenen. Gefangene wissen, wie man Verbote umgeht. Vom ersten Tag an wurde ich gut behandelt. Die schwarzen Wärter sagten zu mir: <Du mußt wissen, daß wir die Jungen voll unterstützen, aber wir haben Familien und brauchen diesen Job.> Weibliche Mitgefangene schmuggelten Briefe in meine Zelle, sie brachten auch in Erfahrung, daß ich deportiert werden sollte und gaben mir Zettel, damit ich informiert war, wie man sie behandelte und unter welchen Bedingungen sie leben mußten. Im Gefängnis herrschte dieselbe Rassendiskriminierung wie draußen. Schwarze Gefangene hatten die schlechtesten Bedingungen, Mischlinge etwas bessere, den Weißen ging es noch am besten. Nach drei Wochen stellten sie mich wegen <Unterstützung der Terroristen> vor Gericht. Sie fragten mich: <Unterstützt du den Terrorismus?> Ich antwortete: <Ich unterstütze den Befreiungskampf und ich nenne sie nicht Terroristen.> Sie schoben mich in die USA ab. Ich hatte vor, gleich wieder nach Kenia zu gehen, aber Exil-Zimbabwer kamen zu mir und sagten: <Du darfst den Kampf nicht im Stich lassen. Hilf uns hier, den Amerikanern klar zu machen, was bei uns zu Hause wirklich passiert. Uns glauben sie nicht, aber dir werden sie glauben.> So blieb ich erst einmal, hielt viele Vorträge, schrieb viel, arbeitete mit Abgeordneten aus dem Unterhaus und Senat zusammen, erhielt auch immer wieder Informationen von der Kommission in Salisbury. Die wurde natürlich ständig unter Druck gesetzt, aber niemals verboten. Sie drohten zwar an, ihnen den Prozeß zu machen, aber es geschah nichts.
1978 ging ich zusammen mit afro-amerikanischen Journalisten nach Mocambique, wo ich Mit ZANU-Führern zusammentraf. Unvergeßlich bleibt mir die Begegnung mit dem verstorbenen Kameraden Josiah Tongogara.[4] Wir waren auf dem Flughafen und jemand fragte, ob ich Tongogara, der zufällig auch da war, kennenlernen wollte. Natürlich wollte ich, war aber etwas nervös, was würde er wohl sagen? Daß ich mich aus ihrer Sache heraushalten sollte und was mich das alles anginge? Jemand stellte mich vor, und Tongogara umarmte mich. Dann ergriff er meinen Arm, und während er meine Haut streichelte, sagte er zu mir: <Du hast uns geholfen zu beweisen, daß die Hautfarbe keinen Unterschied macht. Wir erklären unseren Soldaten, daß wir nicht die Weissen bekämpfen, sondern das System. Jetzt können wir sagen: Seht, hier ist eine Weiße, die unseren Kampf unterstützt, sie läßt sich dafür sogar ins Gefängnis stecken.> Dann bat er sehr herzlich: <Wenn du nach Amerika zurückkommst, versuch Medizin und Ausrüstung für unsere Flüchtlinge zu bekommen, auch Nahrung brauchen wir dringend.> Also kehrte ich für ein Jahr nach Amerika zurück und arbeitete danach in den Lagern von Mocambique.»
Vorbereitung auf die neue Gesellschaft: Lernen im Lager
Während die diplomatischen Verhandlungen in Genf und Malta erfolglos blieben, breitete sich der Krieg aus. Die Landbevölkerung war über den Stand der Dinge kaum informiert, sie versuchte zu überleben, versuchte, nicht zwischen Freiheitskämpfern und den Sicherheitstruppen aufgerieben zu werden. Schulen wurden geschlossen, oft zogen die Schüler gemeinsam über die Grenzen nach Mocambique, Zambia oder Botswana. Auch ältere Menschen flüchteten, viele in die Nähe der Städte, wo sie sich in Stadtrandslums niederließen. Auch für die Weißen wurde das Land unsicher. Niemand ging abends mehr aus, Farmer verwandelten ihre Häuser in Festungen, Autos fuhren nur noch mit Militärschutz über die Landstraßen. Viele nahmen sich aus Sicherheitsgründen eine Wohnung in der Stadt. Auf den Farmen wurde den schwarzen Arbeitern verboten, in ihren Hütten zu kochen: Das Essen wurde jetzt in einem abgezäunten Hof gekocht und ausgeteilt, alles was übrig blieb, wurde vernichtet. So sollte verhindert werden, daß «Terroristen» mit Nahrung versorgt wurden. Die Flüchtlinge aus den Landgebieten wurden verfolgt. Sie mußten mit Hubschraubern, Landminen und Überfällen rechnen, aber auch mit Hunger, Durst und nicht zuletzt mit wilden Tieren. Die Verhältnisse in den Flüchtlingslagern waren sehr schwierig. Es gab nicht genug Nahrung, zu wenig Unterkünfte, es herrschte einfach Mangel an allem - ganz abgesehen von den ständig zu erwartenden Überfällen. Die jungen Leute erhielten eine militärische Ausbildung, zum Teil wurden sie in befreundete Länder geschickt. Manche erhielten auch ein Stipendium, um im Ausland zu studieren. Die jungen weiblichen Rekruten waren meist zwischen 12 und 16 Jahren. Anfangs hielten sie die Nachrichtenverbindung zwischen den einzelnen Gruppen aufrecht.
Eine ehemalige Freiheitskämpferin berichtete mir von den gefährlichen Botengängen der Frauen, die auch Waffen und Nachschub aus Mocambique in die Karnpfgebiete brachten: «Unsere Frauen sind gewohnt, schwere Lasten zu tragen. Nur kam es an den Grenzen oft zu Überfällen. Außerdem war das ganze Grenzgebiet vermint. Die Frauen konnten nur in einer Reihe hintereinander herlaufen. Wenn eine Landmine hochging, konnte man nicht ausweichen, weil da vielleicht noch eine daneben lag. So mußten sie über das Loch, in dem die tote Kameradin lag, springen - es gab keinen anderen Weg. Das alles war schwer, körperlich wie seelisch.» Als diese Arbeit immer gefährlicher wurde, forderten sie für sich ebenfalls Waffen und Ausbildung, später gingen sie auch in die Kampfgebiete. Andere Frauen arbeiteten in der medizinischen Versorgung. Joy erzählt:
«Ich bin aus der Mount Darwin Region, ich arbeitete als Krankenschwester. Eines Nachts holte mich mein Onkel. Ohne zu fragen, ging ich mit. Wir mußten sehr vorsichtig sein, denn es war unter Todesstrafe verboten, sich nachts außerhalb des Dorfes zu bewegen. Wir gingen einen Hügel hinauf. Eine Wache sprach uns an. Vakumana. Sie hatten sich in einer Höhle versteckt. Wir krochen hinein. Bei einem Gefecht war ein Mann schwer verletzt worden. Der Arm war aus der Schulter gerissen, er hatte viel Blut verloren. Es war ein Wunder, daß er noch lebte und bei Bewußtsein war. Ich wußte, daß er sterben würde. Ich konnte nichts mehr tun. Ich wusch ihn, hielt seine Hand, kühlte sein Gesicht. In der Höhle war es dunkel, nur ein kleines Feuer brannte, um ihn warm zu halten. im Schein der Flammen sah ich, daß er mich die ganze Zeit anblickte. Das werde ich nie vergessen. Ich glaube, ich verliebte mich, nicht in diesen sterbenden jungen Mann, sondern in alle jungen Leute, die für unsere Freiheit starben. Von dem Augenblick an war mir klar, daß ich in den Kampf ziehen würde.» Ein Hauptproblem in den Lagern war die Nahrung. Selbst wenn Mocambiquer und Zambier es erlaubten, war es schwer, etwas anzubauen. Die meisten Flüchtlinge erinnern sich an Hunger, an Durst, an Kälteeinbrüche und Hitzewellen. Dennoch wurde versucht, vor allem für die Kinder ein regelmäßiges Leben einzurichten und Schulen zu organisieren. Darüber berichtet auch Schwester Janice: «Das Zimbabwe Project versuchte, soviel Material wie möglich in die Lager zu schaffen. Aber es war nie genug. Auch die ZANLA-Erziehungsabteilung von Matenga in Mocambique, bei der ich eine Zeitlang arbeitete, mußte versuchen, mit wenigen Mitteln viel zu tun. Trotzdem entwickelten sie eine neue, eine revolutionäre Erziehungsmethode, vor allem in der Grundschule. Wir versuchen, sie heute in Zimbabwe einzuführen: Die Kinder sollten nicht nur Wissen aus Büchern lernen, sondern lernten praktisch und produktiv zu arbeiten. In den Lagern gab es sogar Lehrerausbildungs- und Verwaltungskurse für Grund- und höhere Schulen, daneben Kulturveranstaltungen, Theater - und das alles mitten im Krieg. Ich empfand es als eine Ehre, das miterleben zu können.»
Ständig war man bemüht, für die Sicherheit der Kinder in den Lagern zu sorgen, wie Fay Chung berichtet: «Nach dem Überfall auf Chimoio teilten wir die Kinder auf kleinere Lager auf . In einem Abstand von einem Kilometer wurde jeweils eine Klasse zusammengefaßt - im ganzen 40 - 50 Klassen. 40 Stellen konnten nicht so einfach auf einmal angegriffen werden. In meinem Lager waren 1.200 Kinder, alle jünger als fünf Jahre auch meine kleine Tochter war darunter. Als wir eines Tages von einem Flugzeug angegriffen wurden, waren die meisten Kinder gerade außerhalb des Lagers. 400 waren noch drinnen. Es entstand Panik, Chaos. Aber wir hatten den Kleinen beigebracht, bei einem Angriff nicht zu rennen, sondern zu krabbeln. So verloren wir nur zwei Kinder ... »
Der Krieg - Gedicht von Olaria [5]
Meine Mutter erzählte mir,
daß ich an einem herrlichen
Morgen geboren wurde
und alle sich freuten.
Unsere Familie war arm,
doch unsere Tage waren voller Glück.
Dann wollte ich teilnehmen
am bewaffneten Kampf.
Schwierig war's zu Anfang,
denn die Zeiten waren schlimm.
Doch ich gewöhnte mich daran.
Mocambique war frei geworden, unabhängig,
die Lage hatte sich beruhigt.
Man sprach von Entspannung.
Jäh wurde diese Phase beendet,
wir mußten fort ins Militärlager.
Nach unserer Ausbildung
kam ich an die Front.
Schlimm war alles, wiederum.
Von Hügel zu Hügel im Laufschritt
bekämpften wir den Feind, wußten nie,
ob und wo es Essen für uns gab.
Trotz ungezählter Opfer
machten wir weiter.
Wie überleben? Durch Töten.
Voll Angst sahen wir die Sonne aufgehen,
wachten auf zu einem neuen Leidenstag.
Viele Kameraden starben,
die Körper blieben unbegraben
und wurden wilden Tieren zum Fest,
doch die Hoffnung verloren wir nie.
Wir kämpften weiter, in der Kälte,
im Regen, in der Sonne, im Sturm.
Zeiten des Schmerzes, des Furchtbaren.
Niemals vergesse ich das Sterben
der guten Freundin Zimunya.
Erschossen wurde sie, zerfetzt ihr Körper.
Sie starb im kalten Licht der Wirklichkeit.
«Wenn du erlebst», sagte sie,
«daß Zimbabwe unabhängig wird,
dann erzähle meine Eltern, wie ich starb
beim Versuch, den gebrochenen Herzen
und Seelen unseres Volkes zu dienen.»
Als ich sie verließ, um mein Leben
zu retten, war sie tot.
Meine Florence, deinen armen nackten Körper
ließen sie den Kopf nach unten
an einem Hubschrauber baumeln
und die Sicherheitsbeamten meinten,
sie hätten eine Terroristin getötet,
verstanden nicht, daß sie gestorben war
für unser geliebtes Zimbabwe.
Alte Rollen geraten ins Wanken
Sich Tainie Mundondo mit einem Gewehr in der Hand vorzustellen, ist schwer, wenn man ihr in ihrem Büro eines neuen Verlages in Harare begegnet. Selbstbewußt sitzt sie hinter dem Schreibtisch, unterbricht das Gespräch, wenn das Telefon klingelt, ist freundlich, aber bestimmt; zu einem Gespräch mit mir ist sie gern bereit. Die Arbeit macht ihr Spaß. Und privat, denkt sie, hat sie auch Glück gehabt nach dem Krieg: sie ist noch mit dem ehemaligen Kameraden zusammen, den sie während des Kampfes kennenlernte.
«Meine Geschichte ist so lang - es ist nicht einfach, sie zu erzählen. Warum ich zu den Freiheitskämpfern ging, wußte ich eigentlich gar nicht - ich war sehr jung, bin 1958 in Mutare geboren. Ich ging dort in eine Internatsschule, Mutare hieß damals noch Umtali. Als ich weglief, war ich etwa 16 Jahre alt ich war einfach abenteuerlustig, außerdem hatten wir schon oft über den Krieg gesprochen. Unser Führer chitepo war damals gerade im Exil ermordet worden, und einer unserer » Lehrer hielt eine ziemlich aufregende Rede. Zwölf Jungen gingen daraufhin in der Nacht fort, angeblich wollten sie zu einem Treffen in Mutare gehen, aber sie fuhren einfach mit dem Bus zur Grenze. Die Polizei kam, durchsuchte vergeblich unsere Schlafzimmer, fragte uns aus. Danach hatten wir nur noch ein Gesprächsthema: wie wir nach Mocambique kommen konnten. Ich tat kaum mehr etwas für die Schule. Einer der Mit schüler kannte den Weg, aber seiner Meinung nach war das nichts für mich, nur etwas für jungen. Dann kam Ostern. Weil die Busfahrt für die kurzen Ferien zu teuer war, konnte ich nicht nach Hause fahren, obwohl die Schule zwei Wochen geschlossen war. Ich ging zu demselben Lehrer, der uns die Rede gehalten hatte, und bat ihn, mir zu helfen, über die Grenze zu gehen. <Nein>, sagte er, aber als ich nicht locker ließ, verwies er mich an den Jungen, den ich schon erwähnt habe, der könnte mir helfen. Er riet mir allerdings ab, er sagte, ich solle lieber meine Examen machen, ich würde später dann einen guten Posten bekommen. Doch ich war entschlossen. Meiner Freundin, die sehr weinte, gab ich einige Fotografien von mir für meine Mutter. Es gelang mir, unbemerkt die Schule zu verlassen und nach Mutare zu kommen. Leider begegnete ich dort einem Mann, der in mich verliebt war und mich schon seit längerer Zeit belästigte. Ihm erzählte ich, daß ich bloß meinen Bruder besuchen wollte. Dann endlich fand ich jenen Jungen, der schon mit einigen anderen auf dem Weg zur Grenze war, und ich überredete ihn, mich mitzunehmen; einige jüngere Kinder, die uns nachliefen, schickten wir wieder zurück, weil sie zu klein waren. Nach einer Busfahrt und einem zweistündigen Fußmarsch kamen wir gegen acht Uhr abends an der Grenze an, wo wir FRELIMO-Soldaten trafen. Die Jungen schickten mich vor, ich sollte sagen, ich sei mit meinem Bruder da. Als sie dann meine vier <Brüder> sahen, verhafteten sie uns, was uns jedoch in keiner Weise bekümmerte. Wir lachten und waren froh, in Mocambique zu sein. Sie brachten uns in ein Lager, und schon am nächsten Tag machten wir uns nach Rutende auf. Nach drei mühsamen Tagen kamen wir an. Später gingen wir nach Chimoio, wo wir bis zur Unabhängigkeit von Mocambique 1975 blieben.
Die Wochen danach in der Tete-Provinz waren schwer. Es gab nicht genug zu essen, und es gab Kameraden, die Mädchen als Freiheitskämpfer ablehnten. in einem Lager im Norden von Tete arbeitete ich als Grundschullehrerin, die Kameraden hatten mich gewählt. Spater erhielt ich auch eine militärische Ausbildung, was schwierig war, denn ich mußte mich neben der Schule ausbilden lassen und hatte nie Zeit. Beim Training hinkte ich immer ein bißchen hinterher, aber in der 200 Personen starken Kompanie - mit sechs Ausbildern lernte ich alles, was ein Soldat lernen muß. Nach der Ausbildung war ich ab August 1977 in verschiedenen Lagern, in einem beschäftigte ich mich mit Haushaltsfragen, um zu diesem Thema ein Anleitungsbuch zu schreiben, dann wurde ich in die Erziehungsabteilung nach Beira versetzt. Ja, ich habe auch Bombenangriffe auf Lager erlebt, in denen Flüchtlinge und Kinder waren.
Im Dezember wurde ich zur weiteren Ausbildung nach Dänemark geschickt. Das war harte Arbeit. Wir mußten unsere eigenen Textbücher entwerfen, studierten Landwirtschaft, lernten Maschinenschreiben und noch vieles mehr. 1979 kehrte ich nach Maputo zurück, wurde nach Tete versetzt und hatte dort die Aufgabe, Bücher und anderes Informationsmaterial zu verteilen. Als ich 1980 nach Hause kam, wollte ich nicht mehr als Lehrerin arbeiten. Also fing ich bei der Zentralbank an, wo mir die Arbeit jedoch bald langweilig wurde. Heute bin ich hier im Verlag selbständig arbeitende Redakteurin, das macht mir Spaß. In den Lagern, in der Ausbildung und überhaupt bei allem, was wir während des Krieges unternahmen, gab es kaum Unterschiede zwischen Männern und Frauen. Wenn etwas zu tun war, wie zum Beispiel Wasser holen, dann taten es Frauen und Männer gemeinsam, obwohl traditionellerweise Wasserholen und Holzsuchen Frauenarbeit ist. Eine Ausnahme war vielleicht die militärische Ausbildung: Männer erhielten besseren Unterricht an Waffen, sie besaßen auch mehr Waffen als die Frauen. Aber einer Frau, die Offizier war, erwiesen die Kameraden genau dieselbe Achtung wie jedem männlichen Offizier. Mit der Liebe war es manchmal schwierig. Mir passierte die Geschichte, daß der Mann wieder auftauchte, der damals in Mutare in mich verliebt war. Er kam in unser Lager und behauptete, ich gehöre zu ihm. Nach meinem Verschwinden wären Sicherheitstruppen zu ihm gekommen und hätten nach mir gefragt. Deswegen hätte er auch weggehen müssen. Ich mußte dann den Kameraden im Lager erklären, daß das nicht stimmte. Meine Eltern würden ihn gar nicht kennen und ich sei noch ein Schulmädchen gewesen, als ich ihn das letztemal getroffen habe.
Natürlich lernten sich Männer und Frauen kennen und liebten sich. Wenn sie zusammen bleiben wollten, meldeten sie es und es wurde registriert. Familienplanung war nicht erlaubt, verständlicherweise. Wir durften Geburten nicht verhüten, weil so viele Menschen starben. Viele Kinder starben - der Kampf war hart, die nächste Generation war wichtig. Für die schwangeren Frauen war es schwer, sie kamen in ein Sonderlager für Frauen und Kinder. Über Lobola sprachen wir nie. Wenn wir uns liebten, fühlten wir uns frei.
Ich bin glücklich. Ich habe meinen Mann und ein Kind, das zweieinhalb Jahre alt ist. Wir, die am bewaffneten Kampf beteiligt waren, wissen, daß heute nicht alles so ist, wie wir es uns gewünscht haben, wir wissen aber auch, daß sich alles langsam verbessern wird.»
Julia Zvobgo arbeitete in der Erziehungsabteilung von Matenga, sie kümmerte sich vor allem um die besonderen Probleme von Frauen, wußte, um ein kleines Beispiel zu nennen, daß sie Watte und ähnliches benötigten, an die kein Mann denken würde. Sie war sich Im klaren, daß trotz entsprechender Vorschriften, trotz aller scheinbaren Ebenbürtigkeit, die man theoretisch der Kameradin Im Krieg einräumte, die Probleme der Frauen weiter bestanden: Probleme zwischen den Geschlechtern, Probleme von Müttern, Probleme von Männern ohne Frauen, Probleme von Frauen ohne Männer, Probleme mit der Tradition. «Wir richteten für die Frauen Kurse ein, werdende Mütter wurden in einem Sonderlager untergebracht. Schlimm war es, wenn Soldatinnen schwanger wurden. Sie wollten nicht in dieses Sonderlager, wurden hysterisch, weil sie das als schlimme Strafe empfanden. In diesem Lager war die Versorgung besser als in anderen, aber trotzdem wollten sie bei den Kameraden bleiben. Theoretisch sollte es zwischen den Kameraden keinen Geschlechtsverkehr geben, was sich natürlich nicht verhindern ließ. Verhütung erlaubten wir nicht, weil es gegen die Tradition verstößt. Alte Frauen kannten zwar Kräuter, die halfen, aber wir verboten alles, weil wir dachten, das ist eine so wichtige Sache in unserer Tradition, daß wir offen darüber diskutieren müssen, sobald wir wieder zu Hause sind. Vorher ging es nicht, denn an einer so entscheidenden Diskussion muß jeder teilnehmen. Die Führer verboten den Männern auch den Verkehr mit den ansässigen Dorffrauen. Aber vor allem gegen Ende des Krieges, war dieses Verbot schwer durchzusetzen. Genauso wie es nicht zu verhindern war, daß einige Frauen nur deshalb Freundinnen von Führern wurden, weil sie sich davon einen Vorteil versprachen. Vor allem in stilleren Phasen des Krieges führten solche Verhältnisse zu Unfrieden in den Lagern. Im großen und ganzen lebten wir miteinander ohne große Unterschiede zwischen den Geschlechtern; vor allem die sehr jungen Frauen, die sich voll im Kampf engagiert hatten, die täglich ihr Leben aufs Spiel setzten, täglich ihren Mut bewiesen, wurden von den Männern voll akzeptiert - trotz der alten Tradition, die der Frau den zweiten Platz zuweist.»