Weiße Provokation- schwarze Frauen im Widerstand
«Man sagt: Hochverrat gelingt niemals.
Denn es liegt auf der Hand, daß ein erfolgreicher
Hochverrat nie Hochverrat
genannt wird. So war es auch in unserem Krieg.
Bis zu unseren Siegen, bis zum Lancaster-House-Abkommen,
nannten sie unseren Kampf Terrorismus.
Für uns war es immer ein Krieg.
Ein Krieg der zuerst mit Worten,
dann mit Waffen ausgetragen wurde.»
Ehemaliger Freiheitskämpfer
Elizabeth Moyo spricht ungern vom Krieg. Sie hat viel Leid gesehen.
«Weißt du, nach der UDI war alles aus. Streiks, das Tanzen bei Demonstrationen, alles wurde verboten. Smith führte ein Gesetz ein, das seinen Leuten alles erlaubte und uns alles verbot. Ich las, daß von der UNO Wirtschaftssanktionen verhängt worden waren. Aber hat das geholfen? Natürlich nicht. Nur wenn britische Soldaten Smith und seine Leute verhaftet hätten, so wie sie unsere Männer festnahmen, das hätte etwas genützt. Für uns war das das Ende legaler politischer Aktionen. Das neue Gesetz bedeutete so viel wie Ausnahmezustand.»
Nachdem alle schwarzen Parteien 1964 verboten worden waren, eröffneten ZANU und ZAPU Exilbüros im Ausland, die ZANU in der tanzanischen Hauptstadt Daressalam, die ZAPU in Lusaka, der Hauptstadt Zambias. Männer und Frauen wurden in Ausbildungslager geschickt, manchmal auch zum Studium weil man nach dem Krieg ausgebildete Leute brauchte. Bis dahin waren selbst Schlosser und Elektriker weiße Fachkräfte gewesen. Die Befreiungsbewegungen wurden von außen unterstützt, ZAPU im wesentlichen von der Sowjetunion und ZANU von der Volksrepublik China.
Über das Verhalten der ehemaligen Kolonialmacht England sagt Elizabeth: «Während dieser ganzen Zeit ließen die Engländer zwar nicht locker - denn Smith galt durch die Einseitige Unabhängigkeitserklärung als Verräter an England. Aber es geschah nichts. Es wurde nur geredet, <talks about talks>, wie sie es nannten.» Elizabeth hält einen Augenblick inne. «Ich erinnere mich genau», fährt sie dann fort, «es war ein Witz. Die Briten brachen die diplomatischen Beziehungen zu Salisbury ab, unterhielten aber eine inoffizielle <Mission> und sandten ständig (Makler) - Geschäftsleute und Diplomaten -, die mit Jan Smith über eine Lösung des Problems der illegalen Unabhängigkeit sprechen sollten, um Friedensverhandlungen in Gang zu bringen. So ging es die ganzen sechziger Jahre hindurch, ohne daß sich etwas änderte.» Die Freiheitskämpfer beider Parteien waren in den sechziger Jahren noch schlecht ausgebildet und unerfahren. Außerdem konnten sie nur von Zambia aus operieren, nur von dort aus über den Zambesi nach Südrhodesien eindringen, da alle anderen Nachbarn Feinde waren. Ein gefährliches Unternehmen: Die meisten Rekruten konnten nicht schwimmen, dazu wimmelte der Fluß von Krokodilen. Noch schlimmer war die Tatsache, daß es unter den Guerillas immer wieder Spitzel gab. «Oft überquerten sie den Fluß und gerieten sofort in eine Falle», berichtet Elizabeth traurig. «Mein Bruder zum Beispiel verlor einen Sohn im Zambesital. Die Kämpfer waren kaum angekommen, da wurde auch schon geschossen. Wenigstens weiß er, wo sein Kind gestorben ist. Er hörte es von Leuten, die in Lusaka im Exil lebten. Viele junge Kämpfer verschwanden einfach, die Eltern wissen nicht, wo und wann. So viele starben seit 1965, so viele.» Elizabeth blickt auf ihre Handarbeit herab, läßt ihre schweren Hände sinken. «Es leben nicht mehr viele Menschen im Tal. Früher lebten dort die Tonga. Aber als die Weißen den Karibastaudamm bauten, vertrieben sie die Tonga. Sie mußten alle wegziehen. Und du weißt, was das bedeutet: es gab kein Dorf mehr, wo die Freiheitskämpfer Unterschlupf finden konnten.» Bei Elizabeths Schilderung erinnerte ich mich an die Schlachten, die damals im Zambesital stattgefunden haben. Nach den ersten Angriffen auf Weiße patroullierten ständig Sicherheitstruppen des Smith-Regimes im Zambesital. Die Guerillas kamen in viel zu großen Gruppen über den Fluß. Weit und breit gab es kein Dorf mehr, sie mußten versuchen, unentdeckt durch das Tal zu kommen. Das war fast unmöglich. In diesem trockenen, heißen Gebiet bestand wenig Möglichkeit, Deckung zu finden. Es war mit Hubschraubern und Truppen, die das Terrain kannten, verhältnismäßig leicht zu verteidigen. Die Guerillas wurden besiegt. Etwa ab 1968 wurde es still im Tal, Smith-Truppen waren dort fest stationiert.
«Schwere Zeiten», sagt Elizabeth. «Wir duckten uns, machten unsere Arbeit. Viele dachten, es würde niemals anders werden. Wir erfuhren so wenig. Nur daß ab und zu ein Kind verschwand oder wenn jemand Nachricht aus Zambia erhielt. Es war, als wenn wir in einer Welt der Toten lebten.»
Ich wußte, was sie meinte: die Zensur der öffentlichen Medien, die Propaganda, die Zuversicht der weißen Regierung, alles im Griff zu haben. Dennoch blieb der internationale Druck massiv. Es wurde weiter nach einer Lösung des rhodesischen Problems gesucht. Südafrika entsandte paramilitärische Truppen ins Zambesital, denn zusammen mit der ZAPU kämpften auch Guerillas des südafrikanischen ANC.
«Dann machten die Engländer einen neuen Vorstoß», knüpft Elizabeth an meine Gedankengänge an. «Es kam die Pearce-Kommission». Diese britische Kommission sollte Anfang der siebziger Jahre untersuchen, ob die Mehrheit der Bevölkerung mit den neuen Verfassungsvorschlägen einverstanden war. Diese Nachricht machte Schlagzeilen in aller Welt. Elizabeth erinnert sich: «Unsere Führer im Gefängnis waren dagegen. Die, die man herausgelassen hatte, standen unter Beobachtung. Dennoch wurden sie beauftragt, unser Nein dem Bischof Muzorewa mitzuteilen. Der organisierte dann die Kampagne gegen die Vorschläge. Der Bischof wurde populär, besonders bei den Frauen», meint Elizabeth nachdenklich. «Unsere Hoffnungen, die wir seit den Kämpfen im Tal begraben hatten, wurden wieder wach.» Lord Pearce mußte der Regierung Ihrer Majestät berichten, daß die rhodesischen Afrikaner der Unabhängigkeit nicht zustimmen würden, solange sie nicht die volle politische Mehrheit hätten. Die Verfassungsvorschläge brachten keine Lösung des rhodesischen Problems, sondern Krieg: Guerillaangriffe waren an der Tagesordnung. Dörfer wurden nach den Kämpfern und ihren Verbündeten durchkämmt. Schmerz, Leid und Tod wurde das Schicksal von Millionen.
Währenddessen hatten sich die Kämpfer der Befreiungsbewegung auf ihre Einsätze besser vorbereitet. 1971 erschienen zum ersten Mal ZANLA-Guerillas in den Grenzdörfern zu Mocambique im Nordosten des Landes. Dies war möglich, seit die mittlerweile erfolgreiche antiportugiesische Befreiungsbewegung FRILEMO, die später, ab 1975, die Regierung in Mocambique bildete, die ZANLA unterstützte.
Die Zustimmung der N'angas, daß die Zeit gekommen sei, für das Land der Ahnen zu kämpfen, bewirkte, daß die Freiheitskämpfer von nun an in den Dörfern Nahrung, Unterschlupf und jede andere Hilfe erhielten, insbesondere bei den Frauen. Als Anfang 1972 die ersten Angriffe in der Nähe der moizambiquischen Grenze begannen, dachte die Smith-Regierung, es handele sich um aus Zambia kommende Guerillas, und schloß die Grenze zu Zambia, was einen internationalen Skandal hervorrief. Erst einige Wochen später begriff man, daß sich mit Hilfe der Dorfbewohner an der Grenze zu Mocambique eine neue Front aufgebaut hatte, und Smith sprach erbittert von «Hexen», die den Aberglauben der Bevölkerung schürten. Als eine dieser «Hexen» war natürlich Nehanda gemeint. Um sie vor den Sicherheitstruppen zu schützen, trugen ZANLA-Kämpfer die alte Frau nach Zambia in das Chifanbo-Lager, wo sie etwa ein Jahr später starb. Doch zuvor hatte sie das Feuer entfacht, das sich im ganzen Land ausbreitete und letztlich die Einigung am Verhandlungstisch in London brachte.
So kam also der Krieg in «Gottes eigenes Land» und damit das Leiden der Landfrauen.
Elizabeth freut sich über die Unabhängigkeit, aber sie trauert um die Opfer des Kampfes. «Weißt du, meine Großmutter erinnert sich ganz genau an die ersten Vakumana-Angriffe an der Grenze. Nachts wurde sie aufgeweckt. Andere Frauen waren schon wach: die Vakumana waren gekommen, sie brauchten Hilfe. Die Frauen hielten eine Versammlung ab; weißt du, das war nicht üblich, bei uns ist die Frau die zweite Person im Haus. Aber die Männer waren nicht da, sie waren bei der Arbeit, in den Fabriken, in den Minen. Die Frauen besprachen die Lage. Natürlich befragten sie ihr Medium. Der Rat, den sie erhielten, war klar: Es war der Wunsch der Ahnen, daß sie den jungen Männern helfen sollten. Damit fing es an: Die Vakumana schliefen zwar nicht im Dorf, holten sich aber Nahrung. Die Frauen, die sowieso ihre Last auf dem Kopf tragen - Wasser, Holz und alles mögliche -, versteckten darunter Waffen und Munition. Am Anfang wurden nur Männer von den Sicherheitstruppen angehalten und durchsucht, niemand dachte an die Frauen und Kinder. Bis man es merkte. Dann wurde es schlimm.» Elizabeth unterbricht, steht auf, um Tee zu kochen. «Was geschah dann?» «Eines Tages kamen die Hubschrauber, sie brachten Soldaten. Wie Heuschrecken fielen sie in das Dorf ein, gingen in jede Hütte, durchsuchten alles, zerbrachen Töpfe, zerstörten die Einrichtung. Sie suchten nach den jungen Männern. Dann nahmen sie vier junge Mädchen mit, meine Großmutter sagte, sie hätten sie den ganzen Nachmittag schreien gehört. Am nächsten Tag kam ein schwarzer Soldat ins Dorf, sagte, sie könnten die Mädchen holen. Sie lagen in der Nähe des Flusses. Tot. Man hatte sie schwer gefoltert. Nach zwei Wochen kamen die Soldaten wieder. Diesmal mit Lastwagen. Sie trieben die Dorfbewohner zusammen, sagten ihnen, sie sollten ein paar Sachen mitnehmen, Töpfe, Decken, Paraffinkerzen. Keiner sagte, wohin man sie bringen würde. Sie kamen in ein <Keep> in die vom Smith-Regime eingerichteten Wehrdörfen. Meine Großmutter lebte vier Jahre lang dort.»
Die Strategie der Smithgruppen war, die Verbindung zwischen Dorf und Freiheitskämpfern abzuschneiden, Sie zu isolieren und zu verhindern, daß sie sich mit Nahrung versorgten, die Menschen politisierten und Mitkämpfer gewinnen konnten. Die Verhältnisse in diesen neuen bewachten Dörfern waren grausam. Die grasgedeckten Hütten waren trist, oft aus Beton. Es gab kein Grün zwischen den Hütten, kein Vieh, nichts. Jedes Keep war umzäunt, keiner durfte es unkontrolliert verlassen oder besuchen. Jede Frau, die durch das Tor ging, wurde durchsucht, jedes Kind mußte vom Rücken der Mutter genommen werden. Die Decke wurde durchstöbert. Selbst in Wassertöpfen stocherten sie herum, um festzustellen, ob etwa ein Brief oder sonst etwas darin versteckt sei. Das Schlimmste jedoch war, daß es in verschiedenen Gebieten bei Anbruch der Dunkelheit verboten war, sich außerhalb eines Keep oder außerhalb eines Hauses aufzuhalten; es wurde auf alles geschossen, was sich bewegte. Von Sonnenuntergang bis Sonnenaufgang war Ausgangssperre. Zu dieser Zeit gab es viele Tote, denn die Frauen mußten oft mehrere Kilometer weit zu ihren Gärten laufen, um diese zu bestellen oder um Wasser und Holz zu holen. Das Vieh verlief sich, es wurde nicht mehr gepflegt. Man schätzt, daß etwa zwei Millionen Stück Vieh während des Krieges abhanden gekommen sind.
Überfall
Kurzgeschichte von Elizabeth Moyo
Das Dorf schlief. Ab und zu bewegte sich das Vieh im Kraal. Die kleine Tandi lag wach in ihrer Hütte. Sie hatte Malaria, den ganzen Tag war es ihr schlecht gegangen, sie hatte hohes Fieber gehabt. Die Mutter und ihre Tante hatten sich um sie gekümmert und sie fühlte sich dadurch wichtig. Lieber aber wäre ihr gewesen, wenn alles nicht so weh getan hätte. Nun konnte sie nicht schlafen und war durstig.
Tandi war elf Jahre alt. Nur zwei Jahre lang war sie zur Schule gegangen, weil sie zu Hause gebraucht wurde, um ihrer Mutter und den Geschwistern zu helfen. Sie wußte, es ging nicht anders, und sie packte zu, wo sie konnte. Doch manchmalg wie an diesem Abend, schien alles sehr schwierig. Sie sah sich um. Alle schliefen. Ein Geräusch. Ein Nachtvogel vielleicht oder eine Hyäne? Tandi wußte es nicht. Wenn sie etwas zu trinken hätte, würde es ihr besser gehen. Leise stand sie auf, ihr Kopf war schwer, ihr Rücken schmerzte. Sie öffnete langsam die Tür.
Es war helle Nacht. Die Sterne leuchten, als ob sie geputzt sind, dachte Tandi.
Über den Dornbüschen stand der Mond, dann bewölkte sich der Himmel. Plötzlich faßte sie jemand an, legte eine Hand auf ihren Mund und zog sie zu Boden. Tandis Herz stand einen Augenblick still. Doch dann hörte sie eine sanfte und freundliche, schonasprechende Stimme. «Geh Kleine, weck deine Mutter, sag ihr, daß wir hier sind.» Die Hand wurde von ihrem Mund genommen. Tandi lächelte. «Ich bin krank», sagte sie, aber der junge Mann sagte nur «Geh!» und fügte hinzu: «Wir sind alle krank! Hol deine Mutter.»
Das Mädchen rannte zur Hütte. Doch die Mutter, mit dem Instinkt, den Mütter besitzen, war schon wach. «Vakumana?» fragte sie nur. Auch die Tante stand auf, holte Wasser und setzte einen Topf aufs Feuer. Die Mutter gab Tandi einen Becher mit Wasser, das sie gierig trank.
Das Mädchen wußte genau, worum es ging. Es war nicht das erste Mal, daß die jungen Männer gekommen waren - die Soldaten, die mit der Regierung Krieg führten. Vakumana, unsere Jungens. Sie war stolz, daß sie die erste gewesen war, die sie bemerkt hatte. Jetzt sah sie zu, wie die Leute aus ihren Hütten kamen. Zu dem jungen Mann, der ihr die Hand auf den Mund gelegt hatte, sagte sie: «Ich werde mit dir gehen, ich bin schon groß. Ich kann arbeiten, ich kümmere mich auch um meine kleinen Brüder.» «Ich weiß. Vielleicht kannst du bald Soldat werden. Und eines Tages wirst du auch eine Frau», sagte er lachend und ging zu seinen Kameraden.
Jemand fing an zu singen. Sofort stimmten die anderen ein. Die Vakumana setzten sich in die Mitte und sprachen, sangen vor, lehrten die Leute neue Lieder über den Kampf und über die Befreiung. Alle sangen, nur Tandi konnte nicht, ihre Kehle war völlig ausgetrocknet, sie fieberte. Die Mutter gab ihr noch einen Becher mit Wasser und wickelte sie wieder in die Decke. «Nachts gehört Zimbabwe uns», sagte einer der jungen Soldaten. «Am Tag gehört es noch dem Feind. Aber bald werden wir frei sein, bald wird uns Zimbabwe auch am Tag gehören.» Tandi schlief ein.
In der Nähe der Hügel, die Tandi betrachtet hatte, stand das Farmhaus der Hills, wo in dieser Nacht auch wenig geschlafen wurde. Schon lange waren dort Soldaten der Regierung einquartiert. Nun waren einige Selous Scouts angekommen, die die Information erhalten hatten, es wären Terroristen in der Gegend; sie befragten die Hills nach den umliegenden Dörfern und nach ihren Farmarbeitern. «Diesen Kerlen», sagten sie, «werden wir's zeigen.» Kurz vor Sonnenaufgang setzte sich die Sondertruppe zum Frühstück auf die Veranda. Die Selous Scouts, benannt nach dem Jäger Selous, einem der sogenannten alten Pioniere, galten als die besten Buschkämpfer und waren von den Vakumana sehr gefürchtet. Die Soldaten tranken den letzten Schluck Tee, aßen den letzten Bissen der frischgebackenen Scones, eine Art Brötchen, die Frau Hills ihnen vorgesetzt hatte, dann verschwanden sie langsam und leise im Busch.
Frau Hill, eine hagere Südafrikanerin, die ihren englischen Mann in Rhodesien kennengelernt hatte, hatte schon viel erlebt. Jetzt, wo sie fort waren, lag wieder der Hauch von Tod in der Luft.
Unten, im Dorf, hatte das Sterben bereits begonnen. Die ersten Schüsse waren gefallen. Alte und junge hatten singend und tanzend die Nacht durchlebt, so wie vor dem Krieg bei einer Hochzeit oder einem Begräbnis.
Plötzlich hatte sich die Szene verändert. Granaten, Explosionen, Feuer. Die Frauen kreischten. Panik brach aus. Niemand wußte, was sie tun, wohin sie flüchten sollten. Auch die Guerillas waren im ersten Augenblick verstört. Angriff! jemand hatte sie verraten, jemand hatte sich zu den Selous geschlichen, jemand der wußte, daß Besuch im Dorf war. Es gab keine Zeit zum Nachdenken. Die Guerillas schrien. «Raus, in den Busch, versteckt euch!»
Die Mutter hatte schon den kleinen Bruder auf dem Rücken, versuchte Tandis Decke aufzuheben, da traf sie ein Schlag, ein Granatsplitter riß ihr den Hals auf. Tandi lief völlig verstört zu den Vakumanas. Der junge Mann, auf den sie in der Nacht getroffen war, rannte zu der Hecke, hinter der sich das Vieh befand. Sie verstand sofort, folgte ihm. Das Vieh! Man konnte Spuren verwischen, ein Durcheinander auslösen, den Leuten einige Minuten Zeit geben zu entkommen. Tandi wußte, was sie zu tun hatte. Der Mann war schon verschwunden, suchte vorsichtig Deckung hinter einem Ameisenhügel am Kraal. Ängstlich schnaubend rannte das Vieh durch die nun offene Hecke, zertrampelte die Töpfe, die in der Nacht aufgestellt worden waren. Es roch das Feuer, versuchte in den Busch zu fliehen, dem gleichen Instinkt folgend, der die Überlebenden trieb. Wieder Granaten, wieder Schüsse. Die Guerillas erwiderten das Feuer, sie wollten die Selous so lange wie möglich aufhalten, den Bauern eine Chance geben zu entfliehen. Das Gemetzel war bereits in vollem Gange; die Selous machten nur selten Gefangene... jetzt war keine Zeit zum Überlegen, man mußte handeln. Der junge Mann hinter dem Ameisenhügel feuerte sein AK 47-Gewehr ab, ergriff ein brennendes Stück Holz. Tandi sah, wie er es in der Hand hielt, zielte und es wie einen Speer direkt auf das geflochtene Dach der Hütte warf, in der sie geschlafen hatte. Der Brand würde einen Keil treiben zwischen die fliehenden Dorfbewohner und die Sondertruppe. Tandi drehte sich um, sie raste zum Fluß, wo selbst die Krokodile stromabwärts geflüchtet waren. Das Feuer würde andere Dörfer warnen, die Leute konnten sich im Busch verstecken. Tandi hatte Geschichten gehört von Menschen, die tagelang nicht in ihre Dörfer zurückkehrten. Manche kamen nie wieder, gingen über die Grenzen oder waren getötet worden.
Die Soldaten waren auch schon unten am Fluß. Geduckt huschte das Mädchen den Abhang hinab, bog ab, trat auf einen Dornbuschzweig, aber sie merkte es kaum. Immer noch Schüsse. Da sah sie den Guerilla wieder. Er blutete, hinkte, aber er lebte noch. Wortlos sah er sie an, nickte, sie solle ihm folgen. An Gehorsam gewohnt, tat sie, was er tat und schlich ihm nach. Ihr Dorf war vernichtet, das wußte sie. Es gab nur noch einen neuen Anfang oder ein endgültiges Ende.
Tandi, das kleine Mädchen aus dem Dorf, das seine Mutter und sein Zuhause verloren hatte, war jetzt eine Guerilla, war auf einem Weg, der lang und schwierig war.