1. Der historische Kontext

Will man das Verhalten, die Bedeutung und tatsächliche Rolle der Frau in den verschiedenen keltischen Gesellschaften näher untersuchen, so müssen diese zunächst einmal definiert und ihr Verhältnis zu anderen gleichzeitig existierenden Gesellschaften charakterisiert werden. Dabei sind aber auch zeitlich weiter von ihnen entfernte Gesellschaften zu berücksichtigen, die in bestimmten Fällen erkennbar keltische Einflüsse bewahrt haben könnten.
Als eindeutig keltisch bezeichnet man diejenigen Länder, in denen das Keltische die ..Landes- oder zumindest eine Regionalsprache ist. Irland, Wales, die Bretagne und — in geringerem Ausmaß — die Isle of Man sowie Schottland sind heute noch keltophone Länder. Das Forschungsgebiet auf diese Länder zu beschränken hieße aber, einen bedeutenden Teil der uns zur Verfügung stehenden Quellen bewußt außer Acht zu lassen. Während der Eiszeit war nahezu ganz.Westeuropa von den Kelten bewohnt und daher zwangsläufig von ihrer Kultur in vielen Bereichen geprägt — sei es im Bereich der Ortsnamen oder folkloristischen Traditionen oder sogar in manchen Bräuchen, die, in das Gewohnheitsrecht eingegangen, noch bis in die heutigen Rechtskodices einwirken konnten.
So betrachtet, eröffnet sich uns ein ausgedehntes Untersuchungsfeld, das - abgesehen von gelegentlich überraschend weiten Ausläufern bis nach Mittel- und Osteuropa — zwischen Rhein und Atlantik,liegt: dazu gehört zunächst das Territorium des, alten Gallien mit Frankreich, Belgien, dem Rheinland, der Schweiz und der Poebene; dann Nordwest-Spanien, wo die Zivilisation der Keltiberer inmitten verschiedener, noch recht rätselhafter Einflüsse deutlich keltische Strukturen aufweist; schließlich die britischen Inseln. Auch die Alpenregionen und daran angrenzenden Gebiete müssen hierzu gerechnet werden, selbst wenn sie zum Teil nur punktuell von Kelten bewohnt waren.
Wie wir wissen, kamen die Kelten — wie alle Indoeuropäer — ursprünglich aus den großen Ebenen Zentralasiens. Einige Völker dieser indoeuropäischen Urrasse wanderten bereits in sehr früher Zeit in das Indus- und Ganges-Tal oder auf die Hochebenen des Irans aus. Im Neolithikum strömte dann eine indoeuropäische Völkermasse nach Westen; sie folgte der großen nordeuropäischen Lößebene, die die Fortsetzung des asiatischen Tieflandes bildet und als Zuglinie besonders charakteristisch zu sein scheint, da sich an ihr entlang eine Bevölkerung niederlassen konnte, die mehr und mehr von Ackerbau und Viehzucht zu leben begann. Diese Völkerwanderung vollzog sich in mehrfach wiederholten Schüben, je nachdem wie sich die Lebensbedingungen verbesserten und die Bevölkerung zunahm. So setzte sich eine erste Welle von Hellenen, nachdem sie ihr wahrscheinliches Stammland im Umkreis der Karpaten verlassen hatten, an den Küsten der Ägäis fest: es waren die berühmten Achäer, die in den homerischen Epen gebührend besungen werden. Zur gleichen Zeit wanderte eine andere Gruppe nach Westen und Süden und passierte dabei eine Zwischenstation, die man im heutigen Harz vermutet. Im Westen befanden sich die Goidelen oder Galen, die wir sehr früh bereits in Irland wiederfinden, ohne genau zu wissen, wo sie sich abgesehen davon noch niedergelassen haben könnten. Im Süden waren es die Italioten, darunter die Osker, Umbrer und Latiner, die sich mit einer bereits vor ihnen auf der italienischen Halbinsel ansässigen etruskischen Bevölkerung mehr oder weniger stark zu vermischen begannen.
Diese Wanderungsphasen lassen sich auf die mittlere und ausgehende Bronzezeit datieren, das heißt etwa zwischen 1500 und 900 v. Chr. Archäologisch betrachtet entspricht diese Epoche der »Urnenfelder-Kultur«, benannt nach dem für sie charakteristischen Brauch der Totenverbrennung und Aschebeisetzung in Urnen. Unter diesen schier unüberschaubar weit zerstreut siedelnden indoeuropäischen Völkern stoßen wir auf keltische Spuren bei den Gälen, jenem rätselhaften, im äußersten Westen Europas beheimateten Volk. Nun stellt sich aber die Frage, ob sich diese erste Welle der Kelten nicht auch woanders niedergelassen hat. Rein logische Erwägungen lassen diese Annahme durchaus zu, nach dem derzeitigen Stand der Forschung gibt es dafür aber noch keine gesicherten Beweise. Als einzig ergiebiges Forschungsgebiet bleibt daher die Untersuchung der Sprachen. Sie liefern uns einige wenige Hinweise, die allerdings erstaunlich genug sind und dazu führen könnten, daß die etablierte Ansicht über die Frühgeschichte Europas revidiert werden müßte.
So läßt sich bei einem Vergleich bestimmter alter, aus einer gemeinsamen indoeuropäischen Wurzel stammender Wörter, die den Laut -qu- enthalten, tatsachlich feststellen, daß dieser von einigen Völkern beibehalten wurde, bei einigen anderen dagegen zu -p- geworden ist. Aus dieser Erkenntnis hat man eine Sprachgrenze zwischen sogenannten gälischen Kelten (die das qu bewahrten) und sogenannten brit(ton)ischen Kelten (bei denen qu zu p wurde) ableiten können. Dabei ist man zu folgendem Schluß gekommen: diejenigen Völker, die den qu-Laut beibehielten, müssen sich schon sehr früh — das heißt in der Bronzezeit — von der Masse der Indoeuropäer getrennt haben; diejenigen, die das qu zu p mutierten, müssen diesen Lautwandel zu einem Zeitpunkt vollzogen haben, als sie noch mit der indoeuropäischen Großmasse verschmolzen waren, und dürften sich erst später — das heißt in der Eisenzeit — von ihr gelöst haben. Folglich gehörten die Achäer-Hellenen, an deren archaische Sprache noch das Ionische erinnert, zur Zivilisation der Bronzezeit; sie wurden jedoch bald von einer neuen Welle hellenischer Einwanderer aufgerieben, nämlich von den Doriern, die bereits das Eisen kannten und deren Sprache den Wandel von qu zu p schon vollzogen hatte. Demzufolge sind die Latiner und die Gälen, die eine archaisierende Sprache mit y/Laut sprachen, Auswanderer der ersten Stunde. Dagegen kamen bestimmte italiotische Völker (darunter die Sabiner) sowie der weitaus größte Teil der Kelten (Gallier, Belgier, Brit(ton)en/Bretonen) - Völker, die den Gebrauch des Eisens kannten und den »Lautwandel« - p realisiert hatten - mit der zweiten Einwanderungswelle.
Das bezeichnendste Beispiel dieses Sprachphänomens ist die Zahl »fünf«: sie heißt griechisch tievre (pente), lateinisch quinque, gallisch pimp, bretonisch pemp, gallisch pymp und gälisch coic. Bei eingehender Untersuchung des gallischen Wortschatzes — zumindest der wenigen davon noch erhaltenen Reste — stößt man auf eine Reihe von Archaismen, die dem Gälischen ebenso nahe verwandt sind wie dem Lateinischen.[1] Dennoch sind wir sicher, daß die Gallier eine brit(ton)ische Sprache sprachen: der beste Beweis dafür ist, daß Gallier und Brit(ton)en sich ohne Dolmetscher miteinander unterhalten konnten, wie es der Fall des Atebraten Commius, eines von Cäsar zu den Brit(ton)en geschickten Gesandten, zeigt.[2] Die gallische Sprache ist unbestritten eine keltische p -Sprache und kann nur während der eisenzeitlichen Völkerwanderungen nach Gallien eingeführt worden sein, das heißt entweder in der Hallstatt-Zeit (vor SUU v. Chr.) oder während der, Latene-Zeit (nach 500 v. Chr.).
Wie lassen sich aber die Archaismen des Gallischen und seine offensichtliche Verwandtschaft mit dem Gälischen erklären? Die Antwort auf diese Frage kann allerdings nur eine Hypothese sein; sie hat jedoch das Verdienst, die berühmte Lücke im Schicksal der Galen zwischen dem Zeitpunkt ihrer Absonderung von den Ur-Indoeuropäern und demjenigen ihrer Ansiedelung in Irland zu schließen. Es ist durchaus wahrscheinlich, daß sie bereits Gebiete in Gallien bewohnten und sich mit der neuankommenden Woge von pKelten, den Brit(ton)en/Bretonen, vermischten. In diesem Falle hätten sie ohne Schwierigkeit die Sprache der Ankömmlinge in einem archaisierenden Sinn beeinflussen können. Ein Argument, das für diese Hypothese spricht, ist in der Sprache der Keltiberer, einem Volk im Nordwesten Spaniens, zu finden, welches von der zweiten Welle brit(ton)ischer Zuzügler kaum berührt worden sein wird. Aufgrund der wenigen uns bekannten schriftlichen Quellen »deutet vieles daraufhin, daß die Sprache der Keltiberer zum keltischen qu-Typus gehört hat, denn die Konjunktion »und» (lat. -que), die ein indoeuropäisches *kwe vermuten läßt, ist im Keltischen durch ce und cue repräsentiert.«[3] Diese Aussage steht mit den alten irischen Legenden in Einklang, in denen es heißt, die Söhne des Mil (das heißt, die Galen) hätten sich zunächst in Spanien und anschließend in Irland niedergelassen.[4] Man ist daher zu der Annahme berechtigt, daß das gesamte gallische Territorium gälische Einwanderer aufgenommen hatte — sei es in der jüngeren Bronzezeit oder in der Eisenzeit (Hallstatt) oder auch während beider Epochen.
Dieses Sprachproblem dürfte deutlich machen, wie komplex die Bevölkerungsstruktur im keltischen Gallien war. Und da jedes Problem andere nach sicTT zieht, stellen sich sogleich zwei weitere, eng miteinander verknüpfte Fragen von großer Wichtigkeit: Wie ist die Verwandtschaft zwischen dem Gallischen und Lateinischen zu interpretieren? Und weshalb ist das Gallische - mit Ausnahme der britischen Insel, auf der sich bis zur Ankunft der Sachsen die keltische Sprache halten konnte — in allen römisch besetzten Territorien des Festlandes zugunsten des Lateinischen verschwunden?
Zeitweise wurde die These einer angeblichen italo-keltischen Gemeinschaft stark diskutiert. Danach hätten sich die Kelten und Latiner gemeinsam aus der indoeuropäischen Masse gelöst, wodurch sich freilich die Analogien zwischen beiden Sprachen erklären ließen. In Deklination und Konjugation weisen beide tatsächlich deutlich verwandte Züge auf: Latein und Keltisch haben in der O-StammDeklination die Genitiv-Endung -i (lat.: equi; irisch *epi), bilden fast identische Superlative (lat.: maxima; gall. uxisama), das Futur durch das Tempuszeichen -b- sowie die Deponensformen durch -r-. Diese Besonderheiten sind im indoeuropäischen Sprachraum fast überall anzutreffen, kommen aber gerade nicht vollständig in den anderen italischen Sprachen wie Oskisch und Umbrisch vor, das heißt in Sprachen, die auf der Halbinsel wohlgemerkt weit verbreitet waren, bevor sich das Supremat des Lateinischen herausbildete. »Die italo-keltische Hypothese kann allem Anschein nach nicht aufrechterhalten werden, zumindest nicht mit jenem Nachdruck, den man ihr in der Vergangenheit verlieh... Anstatt für eine zeitlich nach der indoeuropäischen Einheit eintretenden Gemeinschaft beider Völker zu argumentieren, dürfte es sirmvöfler sein, regelmäßige Kontakte zwischen diesen beiden Sprachgruppen schon zu einem sehr frühen Zeitpunkt anzunehmen.«[5]
Die Ähnlichkeiten zwischen dem Keltischen und dem Lateinischen lassen sich auf alle Fälle hinreichend erklären durch ihren gemeinsamen indoeuropäischen Ursprung sowie durch die ständigen Kontakte, die diese Völker - sei es durch Handel oder in Kriegen — miteinander hatten. Keltische Wörter haben dabei ebenso in die lateinische, wie lateinische in die gallische Sprache einsickern können.[6] Diese Interferenzphänomene (wie etwa der keltische Einfluß auf die germanischen Sprachen, besonders im Vokabular von Technik und Militär; ferner der griechische Einfluß auf die lateinische Sprache und umgekehrt, oder schließlich der franko-normannische Einfluß auf das Englische und der Einfluß des Englischen auf das Französische) ist nicht nur in den alten Zeiten zu beobachten, sondern aufgrund der immer dichter und intensiver werdenden Kontakte zwischen den Ländern und Völkern in erst recht zunehmendem Maße auch im XX. Jahrhundert. (Ein typisches Beispiel dafür ist das »Franglais» in Frankreich). Von hier aus wenden wir uns nun der zweiten Frage zu, nämlich wie es dazu kommen konnte, daß das Gallische gegenüber der lateinischen Sprache relativ leicht verschwinden konnte. Man ist tatsächlich überrascht — vor allem, wenn man die Realität, den Alltag der gallischen Zivilisation kennt —, in welch hohem Maß das Lateinische sich überall aufdrängen konnte und daß sich in der römischen Umgangssprache (das heißt dem »Vulgärlatein»; Anm. d. Hrsg.), aus der sich später das Französische entwickelte, allem Anschein nach so gut wie nichts, von der gallischen Sprache erhalten hat. So ist man sich bis heute nicht im klaren darüber, zu welchem Zeitpunkt etwa das Gallische untergegangen ist.

»Die römische Besatzung verdrängte es immer mehr, bis es nur noch die Sprache der Bauern und niedersten Stände war, während das Latein zur Sprache der Administration, des Handels und der Gebildeten avancierte. Das Verbot des Druidentums durch die Imperatoren sollte wesentlich zum Niedergang der Landessprache beitragen.., Sidonius Apöllmans zutolge hatte~der arvermsche AdeTetwa im V. Jahrhundert seine keltische Mundart aufgegeben... SornifTcann man davon ausgehen, daß — aBgesenen vielleicht -von einigen abgelegenen Tälernder Schweiz - im VI- Jahrhundert das Gallische überall verschwunden war, jedoch nicht ohne in der Phonologie des Romamschehin Gallien sowie im französischen oder okzitanischen Wortschatz seine Spuren zu hinterlassen. Überlebt hat es bis heute in einer bedeutenden Zahl von Ortsnamen, allerdings in rein romanischer Umgebung: das Französische ist eben keine keltische, sondern eine aus dem Spätlatein gewachsene Neu-Sprache (langue neolatine) mit einem gewiß ziemlich beachtlichen keltischen Substrat«.[7]

Diese Meinung eines unparteiischen und umsichtigen Keltologen dürfte jede weitere Diskussion über den Ursprung der französischen Sprache überflüssig machen. Das bedeutet aber nicht, daß das keltische Substrat in ihr negiert werden darf, — im Gegenteil: es scheint wirklich von größerem Umfang zu sein als bisher allgemein angenommen wurde. Sprechen wir erst gar nicht von der Bedeutung für die Phonologie: das Romanische in Gallien stammt, so viel steht fest, eindeutig aus einem von den Galliern gesprochenen Vulgärlatein ab und hat seine phonetische Entwicklung nach keltischen Regeln vollzogen, denn sonst gäbe es kaum jene bedeutenden Unterschiede zwischen dem Französischen und Italienischen. Wenden wir uns besser gleich dem lexikalischen Bestand zu.
Wir kennen etwa 1200 wahrscheinlich keltische Wörter, die uns größtenteils durch die Toponymie erhalten sind. Kaum 200 davon gibt es in der französischen Sprache: zum Beispiel bief (Flußabschnitt), if(Eibe, Taxus),bille (Holzklotz),soc (Pflugschar, Sech), ruche (Bienenkorb, -stock), claie (Sieb, Hürde), barque (Barke, Nachen), chemin (Weg, Pfad), lieue (Meile, ca. 4 km), lande (Heide), greve (Sand-, Kiesstrand), roche (Felsen), char (Karren, Wagen), bec (Schnabel, Mund), jarret (Kniekehle, Fußwurzel, Sprunggelenk), briser (brechen, branden), changer (ändern), border (einfassen, säumen), petit (klein), dru (dicht gedrängt) etc. Die Herkunft dieser Wörter ist gesichert, da sie keine lateinische Entsprechung haben. Wie sind aber diejenigen zu bewerten, für die es lateinische Entsprechungen gab? Läßt sich wirklich die These vertreten, die Gallier hätten erst auf die Römer warten müssen, um die wichtigsten Elemente des täglichen Lebens benennen zu können? Über die Einzelheiten der gallischen Sprache wissen wir wenig. Das Alt-Keltische, das man mit Hilfe des Irischen, Walisischen, Kornischen und Bretonischen zu erschließen versucht, ist eine rein hypothetische Konstruktion. Vor allem unserer Unkenntnis des Gallischen ist es zuzuschreiben, wenn wir annehmen, das französische Vokabular stamme in der Hauptsache aus dem Lateinischen. Man mag einwenden, die durchgeführten Untersuchungen zögen alle romanischen Dialekte lateinischer Abstammung mit in Betracht, und eine solche Schußfolgerung beruhe auf dem Vergleich der einzelnen romanischen Sprachen. Dies soll nicht bestritten werden; dennoch bleibt aber dieser Schluß — daß der französische Wortschatz (nur um diesen geht es uns hier) zu zwei Dritteln lateinischen Ursprungs ist — ebenfalls eine reine Hypothese, die zwar alle Anzeichen der Wahrheit für sich beansprucht, aber deshalb immer noch Hypothese bleibt! Um dies noch einmal klarzustellen: wir wollen hier keineswegs —wie es gewisse Autoren tun, deren Werke jedoch nichts weiter als Hirngespinste sind — die Behauptung aufstellen, daß das Französische vom Gallischen abstamme; es muß aber ebenso erlaubt sein, hypothetisch anzunehmen, daß das Französische eine beachtliche Zahl an Wörtern enthält, die ursprünglich eine der lateinischen analoge gallische Form besaßen. Das nämlich würde erklären, weshalb das Latein die gallische Sprache so mühelos hat eliminieren können: die Bewohner Galliens werden den Unterschied im Alltagswortschatz kaum bemerkt und sich damit zufrieden gegeben haben, ihre Begriffe der Mode des Lateinischen anzupassen.[8]
Diese Hypothese wurde bereits von Georges Dottin, einem der bedeutendsten Keltologen Anfang dieses Jahrhunderts, in seinem Buch Langue Gauloise entwickelt. Dort heißt es (S. 131):

»Möglicherweise verleitet uns die Verwandtschaft der beiden Wortschätze dazu, hinter den Wörtern, die zugleich im Lateinischen und Gallischen vorkommen, einen lateinischen Ursprung zu vermuten (gall.: gantos = Sohn; gnata = Tochter; vgl. lat.: natus = geboren). Es darf aber nicht vergessen werden, daß das Latein seinerseits Wörter aus dem Gallischen entlehnt hatte..., die einen seit dem IV. vorchristlichen Jahrhundert aus »Gallia cisalpina» (dem Gallien südlich der Alpen; Anm. d. Hrsg.), die anderen nach Eroberung der »Gallia transalpina» (nördlich der Alpen; Anm. d. Hrsg.).« Und an anderer Stelle (S. 121): »Wenn nun der gallische Wortschatz tatsächlich dem lateinischen nahestand, dann wird er sich schneller mit diesem verschmolzen haben, als wenn er sich wesentlich von diesem unterschieden hätte. Andererseits könnte die scheinbare Unerklärbarkeit der phonetischen Entwicklung mancher französischen Etymologien ihren Grund darin haben, daß ihr Prototyp kein lateinisches Wort, sondern ein dem lateinischen nur verwandtes, gallisches Wort ist.«

So verschwand das Gallische mit der Zeit aus dem Sprachatlas; zunächst aufgrund der größeren Attraktivität der Prestigesprache Latein dann aber auch und dies kann nie genug betont werden — durch die Einwirkung der römischen Kirche, in deren Augen das Gallische die Sprache des Heidentums war und die im Rahmen der Christianisierung der Städte und des Hinterlandes nichts unterlassen hat, um sie auszurotten. Obwohl die Gallier von Cäsar unterworfen wurden, obwohl die ihm nachfolgenden Kaiser Gallien mit einem Netz römischer Rechtsprechung und Verwaltung überzogen und durch die Zerschlagung des Druidentums die rein keltische Kultur zerstörten, darf man nicht vergessen, daß es das Christentum war, das einem zum Bastard und Heimatlosen gewordenen Gallien den endgültigen Gnadenstoß versetzte, indem es sein Volk zum Erben des bürokratischen Imperiums der Römer machte.
Die gallische Sprache verstummte jedoch keineswegs auf einen Schlag, denn noch im V. Jahrhundert wurde zum Beispiel in der Auvergne und in den Bergregionen Keltisch gesprochen. Im V. Jahrhundert erfolgten die großen Einwanderungen der Bretonen in die armorikanische Bretagne. Weshalb sollte man nicht annehmen dürfen, daß die gallische Sprache in der Armorika ebenfalls bis dahin nie ausgestorben war und die Bretonen bei ihrer Ankunft somit eine Bevölkerung antrafen, die kaum romanisiert war und daher noch — zumindest in einzelnen Gebieten, etwa bei den Venetern — gallisch sprach.[9]
In einem Bereich haben die Gallier auf jeden Fall untilgbare Spuren ihres Durchzuges oder ständigen Wohnsitzes hinterlassen, nämlich in der Toponymie, das heißt im .Bereich der Ortsbenennung. .War sie auch nicht immer rein keltisch — denn man hat dabei mit prä-indoeuropäischen Wörtern ebenso zu rechnen, wie mit späteren germanischen Einflüssen —, so wurde doch die Toponymie außerhalb der Gebiete in der Nähe des Mittelmeeres nur wenig von der Romanisierung betroffen.
Lateinische Ortsnamen tragen im allgemeinen die Eigennamen von Landgutbesitzern (die außerdem romanisierte Gallier waren); häufig kommt es auch zu Verknüpfungen von lateinischen und gallischen Wörtern, wie das vielzitierte Beispiel Autun (aus Augusti und dunum; - »Augustus-Festung») zeigt. Die Namen der wichtigsten französischen Städte sind Namen gallischer Stämme, die in der betreffenden Umgebung zur Zeit der Eroberung lebten: die Parisii um Paris, die Namnetes um Nantes, die Remi um Reims, die Redones um Rennes, die Venetium Vannes, die Lemovices um Limoges, die Atrebates um Arras, die Senones um Sens und so weiter. Andere Städte tragen weiterhin ihren alten Namen aus der Zeit vor der Eroberung: Rouen (Rotomagos), Lyon und Laon (Lugdunum), Vienne (Vindobona), Toulouse (Tolosa), Bordeaux (Burdigala), Boulogne (Bolonia). Straßburg/Strasbourg dagegen ist eine germanische Übersetzung des gallischen Argentorate (= »silberne Festung»); Chàteaudun ein Plenonasmus, denn dun hat die gleiche Bedeutung wie chàteau (= »Festung», »Burg», »Schloß»). Und wie unendlich groß ist daneben die Zahl all der kleinen Städtchen, Weiler und Flurnamen, die ebenfalls noch Spuren des Gallischen aufweisen! Auch die Benennungen der Flüsse und Berge stammen aus sehr alter Zeit: sie sind meist keltischer Herkunft oder gehen sogar noch bis weit vor die keltische Epoche zurück.
Die Untersuchung der Toponymie gestattet uns Aufschlüsse über das Verbreitungsgebiet der Gallier und zeigt, daß es sich über ganz Westeuropa, das heißt weit über die heutigen Grenzen Frankreichs hinaus erstreckte. Schließlich ist es ja

»nicht das einzige Ziel der Toponymie, nur die ursprüngliche Form der Ortsnamen zu rekonstruieren und lediglich ihre Etymologie und ursprüngliche Bedeutung zu erforschen. Da sie Bedeutendes für die Bevölkerungs-Geographie leistet, ist sie auch für die Rekonstruktion der Besiedelungsgeschichte und unterschiedlichen Bewertung des Bodens zu verschiedenen Zeiten von großem Nutzen; angesichts von fehlenden oder nur geringen historischen Fakten stellen die Ortsnamen, sofern man es versteht, sie zum Reden zu bringen, authentische und unbestreitbare Aussagen dar, mit deren Hilfe man die Zeit der Gründung menschlicher Ansiedelungen zwar nicht fest datieren, aber doch wenigstens zeitlich grob umreißen kann. Zusätzlich liefern sie häufig Aufschlüsse über das Aussehen der Orte zum Zeitpunkt ihrer Gründung.«[10]

Auf diesem Wege gelangt man zu dem Beweis dafür, daß Gallien damals ein rein landwirtschaftlich orientiertes Territorium war, während Irland und die britische Insel sich zu dieser Zeit eher für die Viehzucht eigneten. Dieser Unterschied, der sich größtenteils auf die Erkenntnisse aus der Toponymie stützt, ist von größter Wichtigkeit nicht nur für die Erforschung der keltischen Zivilisation im allgemeinen, sondern auch für das Problem der Frau im besonderen, wie wir im folgenden noch sehen werden.
All diese linguistischen und toponymischen Untersuchungen sind somit keineswegs nutzlos. Denn zunächst einmal hat man das Feld, in dem sich die Kelten bewegten, wo sich also der keltische Geist entwickelte, genau abzustecken: die Untersuchung eines Mythos keltischen Ursprungs wird nämlich erst dann möglich, wenn man sich dabei auf einen klar definierten Kontext bezieht, andernfalls würde man Gefahr laufen, die ihm wirklich zugrundeliegende Bedeutung falsch zu interpretieren.
Und genau diese Betrachtungen im Bereich der Linguistik und Toponymie lassen die Tatsache zutage treten, daß die Kelten, obwohl während der Eisenzeit in ganz Westeuropa beheimatet, nicht die einzige dort lebende Bevölkerung waren.. Es waren nicht nur die Brit(ton)en mit schon vor ihnen «dort ansässigen gälischen Völkerschichten vermischt, sondern die beiden Einwandererschübe trafen auch auf Völker, die bereits seit der Vorzeit diese Gegenden bewohnten und keineswegs alle vertrieben oder ausgerottet wurden. Besonders zahlreich waren die einwandernden Keltenscharen nämlich nicht: es handelte sich um kaum mehr als um die Elite einer kriegerischen Oberschicht im Besitz von Technologien, die es ihr möglich machten, die in den betreffenden Ländern bereits ansässigen nichtkeltischen Völker zu unterwerfen, ihnen eine »neue Lebensart« aufzuzwingen und sie zu assimilieren. Dieser Assimilationsprozeß wirkte dabei nicht nur in einer Richtung. Ganz so wie die von den Römern und der römischen Disziplin unterworfenen Griechen zu einem radikalen Wandel der ursprünglichen römischen Gesellschaftsstruktur beitrugen, haben auch die alten Völker von Gallien, Irland und Britannien die keltische Urgesellschaft bis in die Grundstrukturen beeinflußt: hält man sich diese unbestreitbare und logisch schlüssige Tatsache vor Äugen, so findet man die Erklärung für die gewaltigen Unterschiede zwischen den indoeuropäisch-mediterranen beziehungsweise -germanischen und den keltischen Gesellschaften, die im Bereich der Religion, der politischen und juristischen Urdnung sowie in der Familienstruktur und in der recht ungewöhnlichen Rolle der Frau besonders auffallen.
Rekapitulieren wir einmal die wichtigsten Stationen der keltischen Geschichte: Bereits im IV vorchristlichen Jahrhundert sind die Brit(ton)en der Latene-Kultur fest verwurzelt in Gallien, auf den britischen Inseln, sowie in Nordwest-Spanien. Sogar in südlicher Richtung stoßen sie vor, bilden das »Gallia cisalpina» der Poebene und Adriaküste, bedrohen in gefährlicher Weise die Latiner und nehmen nach dem Sieg von Allia durch den Senonenführer Brennusüber die in Auflösung begriffenen römischen Truppen im Jahre 387 Rom ein.[11] Allmählich holen die Römer zum Gegenschlag aus, und es gelingt ihnen zunächst, den Vorstoß der Gallier zum Stehen zu bringen, und später, sie ganz aus Norditalien zu vertreiben. In dieser Zeit brechen andere Galliergruppen — nach Zeugnissen antiker Autoren wegen einer Überbevölkerung Galliens — zum herkynischen Wald und nach dem Balkan auf. Im Zusammenhang mit dieser Balkanexpedition zu Beginn des III. Jahrhunderts begegnet uns ein anderer Brennus, der durch Griechenland zog und etwa um das Jahr 290 sogar das Heiligtum Delphi geplündert haben soll.[12] Reste des Heeres dieses Brennus sollen sogar bis nach Asien vorgestoßen sein und das berühmte Königreich der Galater pepründet haben, wo noch zur Zeit des Hl. Hieronymos (v. Stridon 331-420) keltisch gesprochen wurde.
Das III. vorchristliche Jahrhundert bedeutet für die Kelten die Epoche ihrer weitesten Verbreitung. Fast überall in den verschiedensten Gebieten außerhalb der westlichen Heimatregionen stößt man auf ihre Spur: am rechten Rheinufer, wo sie besonders starken Einfluß auf die Germanen ausüben, ein ursprünglich wahrscheinlich nicht-arisches aber indogermanisiertes Volk; entlang der Donau und den Karpaten, an die die Bojer später ihren Namen (Böhmen) anknüpfen werden; in Illyrien, das heißt im heutigen Jugoslawien; in Kleinasien, wo sie nach Diensten bei den diversen orientalischen Königen die Gesellschaft von Galatien bestimmen werden — und schließlich höchstwahrscheinlich um die Schwarzmeer-Küste herum bis auf die Krim, wo sie mit den Slawen aus dem Norden und mit den sagenhaften Skythen der Steppen in Berührung kommen werden: das hat Anlaß gegeben zu recht vagen Theorien über eine keltisch-skythische Gemeinschaft, womit aber zumindest gewisse verwandte Züge zwischen der Kunst der Kelten und derjenigen der Steppenvölker erklärt werden könnten.[13]
Vom II. vorchristlichen Jahrhundert an ist dann ein allmähliches Schrumpfen des keltischen Reiches zu beobachten — oder zumindest dessen, was man im allgemeinen als ihr Reich zu bezeichnen pflegt; denn in Wirklichkeit gab es lediglich eine Gemeinsamkeit in der Sprache und Religion, aber keinerlei politische. Einheit innerhalb dieses unermeßlich weit ausgedehnten Siedlungsraumes. Die Germanen, die ausüerTektion, die ihnen die Gallier erteilten, gelernt hatten und durch die baltischen oder slawischen Völker aus ihren Stammgebieten vertrieben worden waren, beginnen nun immer stärker vorzudrängen, besetzen das gesamte rechtsrheinische Ufer und siedeln sogar in Nord-Belgien.[14]
Im Zusammenhang mit den großen Völkerinvasionen dieser Zeit fällt besonders auf, daß sich alle in ost-westlicher Stoßrichtung bewegt haben und daß schließlich Westeuropa ~zum Interferenzgebiet tür all die einander verdrängenden Völker wurde, was wieder einmal beweist, daß es absolut abwegig ist, selbst in den heute noch keltophonen Ländern nach einer rein keltischen Rasse suchen zu wollen.
Noch aber bedeuten die Germanen keine ernste Gefahr für die Gallier. Denn noch haben die Römer nicht die Schmach vergessen, die ihnen besagter Senone Brennus angetan hatte: als 387 über den Abzug der Gallier aus Rom verhandelt und eine Summe von 100 Pfund Gold als Lösegeld vereinbart worden war, hatten die Gallier mit falschen Gewichten gewogen, und als die Römer voller Empörung weitere Zahlungen verweigerten, warf Brennus unter dem bekannen Ausruf »vae victis!« (»Wehe den Besiegten!») auch noch sein Schwert in die Waagschale. Seit dieser Zeit war den Römern jedes Mittel recht, um Rache zu nehmen und die Gefahr abzuwenden, die die lärmenden Gallierhorden darstellten, deren alleiniges Auftauchen vor einer latinischen Stadt bereits den berühmten tumultus gallicus entfesselte, jene totale Massen-Mobilmachung, von der man nur im Falle des am allergefährlichsten eingeschätzten Feindes Gebrauch machte. Auf diese Weise konnten die Römer von 241 bis 202 das gesamte »Gallia cisalpina» ihrer Herrschaft unterwerfen.
Allmählich kam den Galliern zu Bewußtsein, daß ein zu mächtiges Rom ihnen selbst Unannehmlichkeiten bereiten könnte. So wird verständlich, weshalb sie sich während der punischen Kriege auf die Seite der Karthager schlugen. Sie erleichterten nicht nur den Marsch Hannibals und seines Heeres durch das Rhone-Tal und über die Alpen, sondern entsandten auch zahlreiche gallische Kontingente, die zum siegreichen Einmarsch der Karthager in Norditalien und zum Sieg bei Cannae beitrugen. Nach Hannibals fatalem Zögern vor Capua war jedoch die Zukunft Westeuropas und des Mittelmeer-Raumes entschieden, denn nun konnte nichts mehr die militärische Expansion der Römer, jener »gewaltigen Völkerunterwerfungsmaschine« stoppen: 197 fallen die Keltiberer unter römische Zwangsherrschaft, und obwohl sie 153 noch einmal einen Aufstand wagen, wird ihre Hauptstadt Valencia 133 durch Scipio Aemilianus endgültig eingenommen. 121 bricht in der Keltika ein gallisch-römischer Krieg aus, der mit der Niederlage des Averner-Führers Bituitos endet.
Bald sollte ein Ereignis für Ablenkung von den mehr als kühlen Beziehungen zwischen Galliern und Römern sorgen, eine Ablenkung durch eine gemeinsame Gefahr: Die Cimbern und Teutonen. Diese Völker werden im allgemeinen zu den Germanen gerechnet, sie sind aber wahrscheinlich Prä-Indoeuropäer mit übrigens stark keltischem Einschlag, wie die Namen ihrer Geschlechter und bedeutendsten Fürsten zeigen. Von Jütland kommend fallen sie über Gallien, Norditalien, Pannonien und über die iberische Halbinsel her und lassen auf ihrem Durchzug keinen Stein über dem anderen. Erst 102 und 101 gelingt es den römischen Truppen unter dem Kommando des Marius, sie bei Fos-sur-Mer und Pourrieres (in der Nähe von Aix-en-Provence) endgültig zu besiegen. Aus diesem Anlaß wurde ein Berg in der Nähe des Schlachtfeldes nach einer christianisierten Kriegsgöttin auf den Namen sancta victoria (= heute: Sainte Victoire) umgetauft.[15] Gleichzeitig wurde der gesamte Südteil Galliens von den Römern besetzt und erhielt die Bezeichnung povincia romana, genannt gallia narbonensis beziehungsweise gallia togata, das heißt der Teil Galliens, der in den Vorteil des römischen Bürgerrechts kam.
Während des ersten vorchristlichen Jahrhunderts gelangt die keltische Zivilisation zu besonderer Blüte: allerorts sprießen Städte aus dem Boden, denn der Boden hat durch eine neue Veredelungstechnik an Wert gewonnen, die nach den Worten von Plinius d.Ä. darin bestand, »die Erde durch Erde zu düngen; diese wird marne genannt«. Man verwendet den Radpflug, der dem gleichzeitig bei den Römern üblichen aratrum weit überlegen und mit «einer beweglichen Pflugschar versehen ist (für die man im Deutschen in der Fachsprache zum Teil noch heute die Bezeichnung Sech verwendet, ein Wort, das möglicherweise nicht von der lat. Wurzel sec(-are) = »schneid(-en)», sondern von der keltischen Urform von frz. soc (s.o.S.15) abstammen könnte; Anm. d. Hrsg.). Man kennt ferner bereits die Egge und vor allem eine Getreide-Mähmaschine, von der wir Darstellungen auf Basreliefs aus Belgien besitzen; sie wurde von Plinius beschrieben als »ein großer, an den Rändern mit Zähnen armierter Kasten auf zwei Rädern, der von Ochsen über das Weizenfeld geschoben wird; dadurch werden die Ähren von den Zähnen ausgerissen und fallen in den Kasten«. Durch diese Neuerungen kommt es zu einem Überschuß an gallischem Weizen, der von den römischen Händlern gekauft wird, aber auch Neid erregt auf dieses Land mit einer derart ertragreichen Landwirtschaft. Auf handwerklichem Sektor entwickelt sich besonders die Metallurgie in den Bereichen der Verarbeitung von Eisen und Bronze, Zinn und Silber; man entdeckt neue Verfahren zur Glasgewinnung, erfindet die Kunst des Emaillierens, perfektioniert die Faßbinderei und die Konstruktion von Fluß- und Seeschiffen. Dabei bleibt auch der künstlerische Fortschritt nicht zurück: reichverzierte Töpferwaren, Plastiken aus Stein und besonders aus Holz, Goldschmiedearbeiten, schmuckvoll gravierte Kessel und kunstvoll bearbeitete Gebrauchsgegenstände sind beredte Zeugnisse davon. Geschicklichkeit und Experimentierlust gehen sogar soweit, daß selbst die Münzen zu wahren Kunstwerken werden.
Um diese Zeit nehmen zwei Gefahren immer bedrohlichere Ausmaße an: die Germanen und die Römer. Die Belgier werden von einer Germanenwelle aus ihrer Heimat vertrieben und lassen sich an der Südküste der britischen Insel nieder. Die Helvetier fliehen vor dem Ansturm des Ariovist und seiner Sueven und geraten dadurch mit den Haeduern in Konflikt. Angesichts dieser Unruhen kommen die Rivalitäten zwischen den einzelnen Galliervölkern nun offen zum Ausbruch. Caesar, der auf nichts anderes als auf die günstigste Gelegenheit gewartet hatte, sieht nun den Augenblick gekommen, um zu handeln und sich selbst unter Einsatz seiner politischen und militärischen Karriere wieder ein Vermögen aufzubauen: er macht sich die Germanengefahr und gleichzeitig die innergallischen Rivalitäten zunutze und greift nun als Vermittler und Beschützer in die Ereignisse ein. Nachdem er die gallischen Streitereien schlichten konnte, läßt er aber seine Truppen als »Schutzmacht» vor Ort zurück, was ihm um so leichter fällt, als die Gallier sich zwischen zwei Gefahren für die geringere - oder zumindest für die ihnen als geringer erscheinende -, nämlich die römische, entschieden haben. Die wahren Ambitionen des Prokonsuls durchschauen sie erst reichlich spät. So unternehmen die Bretonen - durch die Aktionen der Veneter ermutigt — erst im Jahre 56 einen allgemeinen Aufstand, der mit der Vernichtung der Veneter-Flotte am Eingang des Golfs von Morbihan endet. Zweimal versucht Caesar danach, seinen Eroberungszug bis auf die Briten-Insel auszudehnen (55 und 54; Anm. d. Hrsg.). Im Jahre 52 kommt zu einem gesamtgallischen Aufstand gegen die römische Besatzungsmacht, ein Unternehmen, dessen Führer nach langem Hin und Her der Avernerfürst Vercingetorix geworden war. Mit ihm verbündet sich trotz zahlreicher Bedenken schließlich doch die Mehrheit der Gallierfürsten, — darunter sogar auch diejenigen, die wie der Atrebate Commios zunächst noch an die Möglichkeit einer Kollaboration mit den Römern gedacht hatten. Das Ende ist bekannt: hauptsächlich infolge eines taktischen Fehlers seitens Vercingetorix und trotz des verbissenen Einsatzes von Commius, der als letzter gallischer Widerstandskämpfer anschließend zum Exil in Britannien gezwungen wird, kommt es zur Niederlage von Alesia.[16]
Das bedeutet das Ende der gallischen Unabhängigkeit. Für die Gallier beginnt nun durch den Verlust der Eigenständigkeit ihrer Lebensformen, durch das bald folgende Verbot ihrer Religion und ihrer an Wert verlierenden Sprache ein anderes Leben. Ihr in Provinzen zerteiltes Territorium wird zur Beute der Bürokraten des Imperiums, die noch dazu in der Mehrzahl selbst Gallier sind, es aber glänzend verstehen, trotzdem auf ihre Kosten zu kommen. Die Anbetung kaiserlicher Götter, der Stadt Rom und des Kaisers selbst ersetzt — zumindest offiziell — die Verehrung der metaphysischen Glaubenslehren der Druiden. Bald wird das sich erfolgreich durchsetzende Christentum den kaiserlichen Strukturen aufgepflanzt. Somit blieb an Keltischem nichts mehr übrig, als die mündliche Überlieferung des Volkstums, das weiterlebte in Form von Märchen, Legenden und Erzählungen, aber auch in hartnäckig sich haltendem Aberglauben, welchen die christliche Religion — da sie ihn schon nicht völlig ausrotten konnte — aus taktischen Gründen mehr oder weniger stark in den Gottesdienst einbezog, indem sie zum Beispiel Quellen verchristlichte, manche mehr als suspekte Figur als Heiligen anerkannte und zahlreiche sonderbare Devotionalien tolerierte, die zum Teil noch im XX. Jahrhundert verehrt werden.
Auch die Insel Britannien, die vorläufig noch der Romanisierung entgangen war, fällt trotz des heldenhaften Widerstandes einzelner Brit(ton)en — darunter besonders des berühmten Carmatos - im Jahre 51 n.Chr. schließlich in die Hände der Römer. Zehn Jahre später erhebt sich nach einem gräßlichen Massaker an den Druiden der Insel Món (Anglerey) ganz Britannien unter der Führung von Bodicea, der Königin der Iceni, zu einem Aufstand, der jedoch in einem totalen Fiasko endet. 83 n. Chr. waren die Römer bis zu den Ufern des Firth of Clyde und Firth of Forth vorgestoßen, wo Kaiser Antonin jenen Limes errichten ließ, der noch seinen Namen trägt, um die heue provincia gegen die Picten aus dem Nordosten Schottlands und gegen die letzten noch unabhängigen Insel-Brit(ton)en der Nordwest-Küste zu sichern.
Trotzdem wurden die brit(ton)ischen Gebiete im Gegensatz zu Gallien im Grunde nie richtiggehend romanisiert. Die Insel-Briten behielten ihre~Sprache und Kultur bei, die heute noch in Wales lebendig ist und dort nie aufgehört hat zu existieren.
Selbst wenn es den Briten relativ gut gelang, sich der noch dazu recht sporadisch auftretenden römischen Besatzung zu entziehen, so erging es ihnen unter den germanischen Invasionen der Angeln, Juten und Sachsen ganz und gar anders. Unter dem Ansturm der Angeln und Sachsen im III. und IV. Jahrhundert mußten sie bis in den äußersten Westteil der Insel zurückweichen - und dies trotz einzelner Momente erfolgreichen Widerstandes, wie etwa jener Aventüren, die die Legende dem König Artus zuschreibt -, denn sie waren unfähig, ihre inneren Querelen wenigstens in dieser Zeit zum Schweigen zu bringen. Britannien wurde zu drei Vierteln sächsisch und die Brit(ton)en, die aus Raumnot nicht alle in Wales und Cornwall bleiben konnten, mußten den Kanal überqueren und sich in der gallischen Armorika niederlassen, wobei diese Region zu ihrem Namen Bretagne kam. Cornwall geriet besonders schnell in den sächsischen Einflußbereich. Nur Wales konnte seine politische und ethnische Integrität wahren. Erst gegen Ende des XIII. Jahrhunderts verlor es seine Unabhängigkeit, als nämlich 1282 Eduard I., der englische König, für seinen Sohn und Nachfolger den Titel »Prince of Wales» beanspruchte und schützen ließ.[17]
Irland dagegen konnte sich ganz abseits und frei von jeder römischen Beeinflussung entwickeln, aber auch dort kam eine politische Einigung ebenso wenig zustande wie in Britannien oder Gallien. Zu Beginn der christlichen Ära ist dort ein recht erstaunliches Völkergemisch zu beobachten: prähistorische Megalithkultur-Völker (die Fomore und Tuata De Danann der Mythen), Gälen, die och ihren alten Stammnamen Scoten führen: gallische, brit(ton)ische und belgische Stämme (die Fir Gallianin, Fir Domainn und Fir Bolg), die dort seit Mitte des I. vorchristliche Jahrhunderts beheimatet sind. All diese Völkergruppen lassen sich - wenn auch nicht immer deutlich von einander abgrenzbar - in fünf Provinzen zusammenfassen: Ulster, Connaught, Nord-Leinster, Süd-Leinster und Munster. Diese Provinzkönigreiche leben in ständigem Kriegszustand miteinander,« darunter besonders Ulster versus Connaught, die beide um die Hegemonie auf der Insel ringen. In der Mitte des II. Jahrhunderts gründet Conn (mit dem Beinamen »Held der hundert Schlachten«), der König von Connaught, auf den Trümmern von Nord-Leinster ein neues Königreich, das Reich von Mide oder Meath (= »Mitte») und macht Tara, ein uraltes Heiligtum, dessen Entstehung bis in das Dunkel der Vorzeit zurückgeht, zum Sitz eines Großkönigtums mit der höchsten Macht über alle übrigen Könige von Irland. Er selbst läßt sich zum Ard-Ri, dem Großkönig, küren. Diese Institution sollte sich bis zum Verlust der irischen Unabhängigkeit halten, wobei jedoch betont werden muß, daß es sich die meiste Zeit über um eine rein theoretische Macht handelte. Inzwischen überflutete — von der britischen Insel kommend und vom Hl. Patrick (gest. 461) besonders inbrünstig propagiert — das Christentum allmählich auch Irland und dem Druidenkult ein Ende. Aber im Unterschied zu seiner Wirkung in Gallien konnte das Christentum hier weder die gälische Sprache noch die keltischen Traditionen zerstören. Man kann sogar so weit gehen und behaupten, daß gerade durch die Kirche Irlands alles, was an Keltischem noch lebendig war, tatsächlich herübergerettet und erhalten wurde: denn die irischen Mönche waren es, die uns in ihren wertvollen Handschriften die Literatur in gälischer Sprache und im typisch heidnischen Geist der Kelten aufgezeichnet haben. Besonders unter dem Hl. Columcill erhielt das irische Christentum eine ganz eigenwillige Tönung, in der sich noch deutlich druidische Einflüsse erkennen lassen. Und gerade diese Tönung sollte, als sie sich unter den insularen und armorikanischen Bretonen ausbreitete, eine keltische Kirche aus der Taufe heben, die eine ans Wunderbare grenzende Inbrünstigkeit und Aktivität entwickelte und so wesentlich zur Christianisierung des Kontinents beitrug, daß sie der römischen Orthodoxie bald mehr als suspekt werden mußte.[18]
All seinen internen Schwierigkeiten und den skandinavischen Invasionen zum Trotz entwickelte sich Irland rasch zu einem Zentrum keltischen Geistes und sogar — ähnlich wie Wales — zu einem wahren Hort keltlscher Sprache, Literatur und Kunst. Infolge von obskuren Machenschaften,« bei denen die Päpste allem Anschein nach eine nicht gerade rühmliche Rolle spielten, wurde im XII. Jahrhundert der Titel des Großkönigs von Irland auf Henry II. Plantagenet übertragen, unter dessen Verwaltung damals — nach dem Tode seines Sohnes Geoffrey I. und während der Minderjährigkeit seines Enkels Artus — auch die armorikanische Bretagne stand. Irland verblieb unter der Herrschaft der anglo-normannischen Dynastie und mußte dabei mehrere Jahrhunderte hindurch die schlimmsten Enteignungen und übelsten Unterdrückungen seitens der Engländer und Schotten über sich ergehen lassen. Erst 1921 erlangte Irland durch die Gründung des Saorstat Eireann (= »Republik Irland») zumindest partiell wieder seine Freiheit: wenigstens war damit die Basis gerettet; — ungelöst blieb dagegen das Schicksal der gälischen Sprache, die höchstens noch von der intellektuellen Oberschicht gesprochen wurde, und dies trotz der Tatsache, daß sie die offizielle Landessprache war. Was sollte aus ihr werden?[19]
Die armorikanische Bretagne blieb somit bis in das XV. Jahrhundert der einzige noch unabhängige keltische Staat. Nach der Übersiedelung der Brit(ton)en (und nunmehr Bretonen) und der Gründung zahlreicher plous und comtes anstelle der gallo-römischen pagi versuchte die Armorika, soweit es eben möglich war, sowohl ihre Einheit als auch ihre territoriale Integrität gegenüber zwei neidvollen Nachbarn, den Franken und Sachsen, zu bewahren. Und tatsächlich entwickelt sich die Geschichte der armorikanischen Bretagne während der folgenden zehn Jahrhunderte zu einem ständigen Jonglieren um Gleichgewicht zwischen englischem und französischem Einfluß. 845 brachte der bretonische König Nominoe durch seinen Sieg über die Truppen Karls des Kahlen bei Ballon die karolingischen Ambitionen zum Erliegen. 867 ließ sich Karls Nachfolger Salaun von diesem nicht nur den Königstitel, sondern auch die Annexion des Cotentin und der anglo-normannischen Inseln bestätigen. Fatale Folgen hatten dagegen die Normanneneinfälle für die Bretagne, deren Boden immer ertragloser wurde und deren Elite zusehens aus dem Land abwanderte. Allmählich gewann der französische Einfluß durch die neuen herrschenden Klassen immer dominantere Züge, was soweit ging, daß die bretonische Sprache bald nur noch das bäuerliche Idiom der am weitesten westlich gelegenen Gegenden war. Im XII. Jahrhundert verwaltete die (frankophone) anglo-angevinische Dynastie der Plantagenets die mittlerweile schlicht zum Herzogtum degradierte Bretagne. Anschließend kam — im XIII. Jahrhundert — eine Kapetinger-Dynastie an die Macht, und zwar das Haus Dreux, das allerdings ziemlich anti-französisch eingestellt war. Zu Beginn des Hundertjährigen Krieges kämpften dann gleich zwei Parteien um die Nachfolge des ohne direkten Erben gestorbenen Jean II: die Partei des Charles de Blois, den der französische König unterstützte, gegen die Partei des Jean de Montfort, hinter dem der englische König stand. Sieger in diesem Machtkampf wurde schließlich Jean IV. de Montfort in der Schlacht von Auray 1364, wo der Bandenchef Du Guesclin, ein von den Blois bezahlter Söldner, die spektakulärste Niederlage seiner Abenteurer-Karriere einsteckte.[20]
Das Ende ist bekannt: hundertvierundzwanzig Jahre später, nämlich am 28. Juli 1488, wurde die bretonische Armee des Francois II bei Saint-Aubin-duCormier besiegt, was den Interessen der französischen Monarchie nun Tür und Tor öffnete. »Anne de Bretagne, die einzige und letzte Erbin des Herzogtums, wurde zur Hochzeit mit Charles VII. und anschließend mit Louis XII. gezwungen. Danach ging die Herzogskrone an ihre Tochter Claude über, die Franz I. heiratete, und darauf an den Dauphin Henri. Dabei handelte es sich jedoch um einen ausschließlich an die Person gebundenen Titel! So erklärt sich nämlich, daß nach einer Abstimmung des in Vannes einberufenen Parlaments der Bretagne, das allen möglichen Pressionen unterworfen wurde, der König von Frankreich am 13. August 1532 einen Vertrag unterzeichnete, der den Zusammenschluß zwischen Frankreich und der Bretagne festlegte, wobei letzterer einige genau definierte Sonderstatuten zuerkannt und beide als zwei souveräne Staaten betrachtet wurden.[21] Darmt wären aber die keltischen Nationen aus der politischen Landkarte getilgt. Jedoch trotz aller Anstrengungen, die Existenz jeder keltischen Tradition systematisch totzuschweigen, lebte diese weiter. Wertvolle Handschriften aus Irland oder Wales haben sie uns überliefert. Daneben wirkte auch eine umfangreiche mündliche Überlieferung nicht nur in Irland und Wales, sondern auch in dem durch die Galen keltisierten Schottland, das sich noch bis heute seine gälische Sprache erhalten hat,[22] sodann auf der Isle of Man, wo sich das Gärische allmählich wieder einbürgert, in der armorikanischen Bretagne, dem wohl bedeutendsten heute noch keltophonen Land, das zwar leider keine besonders alte schriftliche Literatur besitzt, dafür aber einen unglaublich reichen Schatz an Märchen, Dichtungen und Bräuchen. Wieviele Reminiszenzen erinnern schließlich darüber hinaus in ganz Westeuropa und besonders in Frankreich, im wallonischen Belgien sowie in England an Phänomene, die bis auf die Zeit der Kelten zurückgehen!
Denn ihre Tradition ist keineswegs völlig ausgestorben. Sie hat sich vielmehr mit dominanten Elementen vermischt und damit zu einer oft fruchtbaren Synthese gefunden. Den Beweis dafür liefert uns das keltische Christentum, daneben zahlreiche französische, vom Geist der Bretagne so durchdrungene Schriftsteller wie Chateaubriand oder auch all die anglo-irischen Autoren wie Yeats, Synge und viele andere, die die keltische Tradition in einer für ein breiteres Publikum verständlichen Sprache wieder aufleben ließen.

»In der Geschichte Irlands haben die verschiedenen Invasionen tatsächlich jedes Entstehen einer integralen Zivilisation eines ganz und gar keltischen Irlands verhindert. Andererseits hatten diese Invasionen niemals die Wirkung einer vollständigen Vernichtung... Daher haben wir heute in Irland zwei Traditionen, zwei Sprachen, zweierlei Gesetzgebung. Und die Aufgabe unserer Politik ist es, diese beiden Traditionen der Vergangenheit wieder zu vereinigen.«[23]

Was für Irland zutrifft, gilt in gleicher Weise auch für Wales, die Synthese aus brit(ton)ischer und angel-sächsischer Kultur, sowie für die Bretagne, den Schmelztiegel der keltisch-bretonischen und liteinisch-französischen Kultur, ein zweisprachiges Land, in dem keine der beiden Traditionen der anderen schaden kann, sondern im Gegenteil gerade eine spirituell höhere Entwicklung ermöglicht.[24] Dies könnte - wenn auch in geringerem Maß — sogar auch für diejenigen Länder zutreffen, die noch von Spuren des Keltischen geprägt sind, denn nichts ist zählebiger als die Tradition, nichts wurzelt tiefer als alter Volksglaube und alte Denkschemata, sobald sie sich unter der Schale einer äußerlich erneuerten Form verbergen und somit konservieren können. Denn der Mythos stirbt nie aus. Er bleibt stets lebendig in immer neuen Formen, so daß man gelegentlich mehr als überrascht ist, ihn dort zu entdecken, wo man ihn am wenigsten erwartet hätte.
Damit ist der Bereich, in dem wir unsere Untersuchungen durchzuführen haben, genannt. Auch nicht das scheinbar nebensächlichste Detail darf außer acht gelassen werden bei dem Versuch, die Rolle zu analysieren, die die Frau seit der Morgendämmerung der Geschichte, ja sogar seit der Nacht der Prähistorie in der Welt des Okzidents spielte. Deshalb wurde an dieser Stelle der Bereich, den wir als keltisch bezeichnen, zuerst einmal ausführlicher umrissen. Er ist noch weitgehend unerforscht, und so darf man auf größere Überraschungen gefaßt sein.