Auf den ersten Blick scheint sich die keltische Gesellschaft von den gleichzeitig existierenden indoeuropäischen Gesellschaften nicht sonderlich stark zu unterscheiden, vor allem, wenn man sich auf das beschränkt, was die griechischen und römischen Autoren über die gallische Familie überliefert haben. Zufällig sind wir aber über das keltische Recht -- das irische, wie auch das gallische und bretonische — gut informiert, weit besser als über die Geschichte [1] und Mythologie der Kelten. Wir besitzen nämlich walisische und irische Gesetzbuchsr und -kompilationen, die auf das Hochmittelalter zurückgehen und - selbst da, wo sie bereits vom Christentum geprägt sind — markante Besonderheiten gegenüber den entsprechenden Institutionen der Länder aufweisen, in denen das Römische Recht gilt.[2]
Aus zwei Gründen muß man in diesem Zusammenhang zwischen der Situation in Gallien und der in den übrigen keltischen Ländern unterscheiden: erstens, weil die Gallier bereits relativ früh römisch beeinflußt wurden, so daß die gallo-romanischen Rechtsinstitutionen und -bräuche eher dem Römischen Recht unterzuordnen sind; zweitens, weil der Agrarstatus Galliens bereits zu Urformen eines gallischen Rechts geführt hatte, das dem auf Privatbesitz von Grund und Boden basierenden Römischen Recht in mancher Hinsicht nahestand. Andererseits wissen wir aber über dieses »primitive» gallische Recht besonders wenig, denn die spärlichen Informationen, die wir darüber bei Caesar (der an sich recht gut darüber Bescheid wußte), bei Dio Cassius, Strabon und Diodor v. Sizilien vorfinden, reichen zu einem vollständigen Bild nicht aus. Es ist also unerläßlich, auf die irischen und walisischen Gesetzessammlungen als Quellengrundlage zurückzugreifen, da diese das typisch Keltische daran wesentlich deutlicher widerspiegeln.
Die Grundlage der keltischen Gesellschaft bildet im weitesten Sinn, die indoeuropäische gens, die wir in ähnlicher Form in den griechischen Städten oder im Rom der Antike vorfinden. Sie umfaßt bei den Bretonen ursprünglich sämtliche Verwandten bis in das 9. Glied und ist einer dem pater familias entsprechenden Autoritätsperson untergeordnet. Bei den alten Galen hatte diese Familie den Namen fine. Dabei fällt auf, daß dieses Wort aus der gleichen Wurzel stammt wie die Namen Gwynedd ( des Nordwest-Teils von Wales), Veneti (des in der Umgebung von Vannes beheimateten Gallierstammes) und Gwened im Bretonischen.[3]
In Irland wird diese Familie, wenn sie vollzählig ist, als deirbh-fine bezeichnet und umfaßt dann 4 Generationen vom Vater (genannt cenn-fine = »Familienoberhaupt») bis zum Großneffen. Über diese Grenze hinaus verzweigt sie sich, und es entsteht unter Aufteilung der bis dahin gemeinsamen Güter eine neue Familie.[4]
Mehrere dieser fine bilden die nächsthöhere Einheit, eine Art Sippe, den tuath, der in Irland die poljtische Basiseinheit bildet. Die Besonderheit des tuath besteht darin, daß er ein in sich geschlossenes, autonomes System ist: er hat seine eigene, präzise abgestufte soziale Hierarchie rnit dem König (ri) an der Spitze und den Sklaven, bzw. Unfreien/Leibeigenen an der Basis, er hat eigenen Gemeinschaftsbesitz, eigene Rechtsordnungen und sogar eigene Götter.[5] Dieser fast autarke Status des tuath hatte folgenschwere Konsequenzen für die Geschichte der Kelten, denn die Unfähigkeit, eine politische Einigung herbeizuführen, war ein wesentlicher Charakterzug der Gallier, Bretonen und Iren — ganz zu schweigen von den Schotten, die traditionell unerschütterlich fest mit ihren verschiedenen Einzel-clans verbunden waren. Darum hatten die keltischen Völker nie das Bedürfnis, sich zu größeren politischen Einheiten zusammenzuschließen: der tuath bildete ein autonomes Ganzes, das alle Probleme ohne fremde Hilfe regeln konnte. Wenn man den keltischen Völkern deshalb politische Schwäche vorgeworfen hat, so verkannte man die Bedeutung dieser Eigenart ihrer Gesellschaftsstruktur. Den Kelten war nämlich die Idee des Staates — in der Bedeutung, die sie in unserem XX. Jahrhundert, besonclers seit der Epoche eines Jakobinertums á la Rousseau allgemein hat — vollkommen fremd. Nicht weniger fremd war ihnen die Lebensform der Römer, bei denen die nahezu totalitäre Staatsauffassung der res publica die Grundlage jeder Art von politischem Denken und Handeln war. In der Praxis freilich hatte diese Eigenart der Kelten eine Reihe von Katastrophen zur Folge, bis hin zu ihrem völligen Verschwinden aus dem politischen Kräftefeld Europas.
Anhand einer Lektüre des sogenannten Book of Rights, jener umfangreichen Gesetzessammlung, die Cormac Mac Cuilennen, Bischof und König von Cashel (ermordet 903) in Auftrag gegeben hatte, wird die Genese der keltischen Rechtsbräuche leicht verständlich. Die Geschichte der Galen liest sich ganz so, als hätten sie ihren Traum einer idealen Gesellschaft gelebt und versucht, ihn inmitten eines reinen Weidelandes zu verwirklichen, das zur Entwicklung einer Kultur wenig geeignet war.
Hierin liegt nämlich das ganze Problem: die Eigenart des irischen Rechts, (das »primitiver» war als das walisische und somit ein älteres Stadium in der Entwicklung des keltischen Rechts darstellt), dürfte darauf zurückzuführen sein, daß Irland im Vergleich zu Gallien und sogar Britannien ein armes Land war. Dies könnte zu der Schlußfolgerung verleiten, die gälische Gesellschaft für eine Viehzüchter-Gesellschaft (societe pastorale) zu halten. Dieser Begriff ist jedoch nicht ganz zutreffend, denn wenn man von »Viehzüchtern» spricht, so meint man stets »nomadisierende Viehzüchter». Dies ist aber nicht der Fall: die Galen sind ein seßhaftes Volk und mit den einzelnen Regionen Irlands fest verwurzelt. Lediglich die, Grenzen zwischen den verschiedenen tuatha sind fließend; das führte zu ständigen Ausbrüchen von erbitterten Kriegen, bezeugt jedoch auch eine gewisse Abneigung der Galen gegen die starre Festlegung der Grenzen eines Machtbereichs. der eher auf der moralischen Macht des Königs, als auf seiner reellen, durch militärische Gewalt bedingten Macht beruhte.[6]
Im Unterschied zur römischen Gesellschaft, die auf das Prinzip des Grundbesitzes von einem oder mehreren Eigentümern aufgebaut ist, bildet der gemeinschaftliche Besitz von Grund und Boden das Fundament der keltischen Gesellschaft, was ein Indiz für eine vollkommen auf die Viehzucht ausgerichtete Struktur ist. Wie bei den Germanen und Latinern war auch hier das Vieh das älteste Zahlungsmittel und wurde folglich als einzige Kapitalgrundlage betrachtet. So wurde selbst zur Zeit Caesars immer noch der lateinische Terminus pecunia (< Pecus = »Vieh(herde) in der Bedeutung von »Geld» verwendet, während man das Kapital längst nach der Größe des Grundbesitzes schätzte. Bei den Galen ist dies noch lange nicht der Fall, und es sollte auch noch fast bis zur Zeit der Eroberung Irlands durch die Anglo-Normannen dauern, bis sich das änderte.
Tatsächlich ist der in Irland anzutreffende feudale Vertragstyp, ein auf »lebendes Inventar» bezogener sog. Viehpacht-Vertrag (frz. cheptel<lat.capitale mit der Wurzel caput = »Haupt», d.h. in diesem Kontext »Stück Vieh»; man vergleiche dazu die völlig entsprechende Etymologie des dt. Begriffs Kapital; Anm. d. Hrsg.). Theoretisch ist der Grund und Boden des tuath Eigentum des Staates, d.h. unveräußerliches Konektiveigentum. Der König kann, kraft seiner Eigenschaft als ein von der Gemeinschaft gewählter Magistrat und Verwaltungsbeauftragter, jedem Mitglied des tuath - als Belohnung für bestimmte Dienste oder um lhm einen individuellen Beitrag zum Gemeinwohl zu ermöglichen - das Recht abtreten, auf einem Stück Land sein Heim zu errichten bzw. den Boden zu bewirtschaften. Indem er dieses Recht erteilt handelt er jedoch nicht als Feudal- und Lehensherr, wie es ihn zur gleichen Zeit im übrigen Europa gibt, d.h. er fordert von der von ihm eingesetzten Person keinerlei Abgaben und keinerlei besondere Dienste als Gegenleistung, er überträgt ihm mit anderen Worten kein Lehen im kontinentalen Sinn, sondern er macht ihn lediglich zu einer Art von privilegiertem Pächter, und zwar zu dem Zweck — das sei noch einmal betont — einen Beitrag zum Gemeinwohl des tuath leisten zu können.[7]
Als Beispiel dafür bietet sich die Rolle des sogenannten Hospitalier an (daher der Name des Mönchsordens der »Hospitaliter«, Anm. d. Hrsg.): dabei handelte es sich ursprünglich um einen vom König ernannten Beamten, der den Auftrag hatte, »im Namen des Königs« — d.h. de facto der Gemeinschaft — die Mitglieder des tuath sowie Fremde zu empfangen, zu beherbergen mit Speis und Trank« zu hewirten. Um sein Amt in angemessener Weise ausüben zu können, hatte der Hospitalier Anrecht auf ca. 800 ha Land, zahlreiche Viehherden und eine ausreichende Anzahl von Knechten; innerhalb der sozialen Rangordnung des tuath hatte er eine der höchsten Positionen, denn er stand direkt unter dem König. In Wales gab es ein Amt, das diesem ziemlich genau entsprach: das Amt des Penteulu (= »Familienoberhaupt»; teniu hat die gleiche Bedeutung wie tuath), der nach den Gesetzen von Howell Dda [8] genau ein Drittel der Macht des Königs hatte und entsprechend jeweils ein Drittel der Kriegsbeute erhielt. In der Mehrzahl der Fälle bekommt eine so privilegierte Einzelperson jedoch nicht ein Stück Land (oder zumindest das Niederlassungs- und Nutzungsrecht auf einen bestimmten Teil des Territoriums), sondern vielmehr eine Anzahl von Vieh. Und genau darauf basierte das keltische System des Lehenswesens: derPachtnehmer empfängt vom Pachtgeber ein oder mehrere Stück (d.h. »Köpfe») Vieh und geht damit bestimmte Verpflichtungen gegenüber dem Gebenden ein, Verpflichtungen, die in einem von dem Druiden (oder in christlicher Zeit vor einem Geistlichen) abgeschlossenen Vertrag genau festgehalten werden.[9] Alle, denen irgendeine Anzahl Vieh zugeteilt wurde, erhielten dadurch eine der Größe der Zuteilung entsprechende Position innerhalb der gesellschaftlichen Hierarchie. Dabei sind zwei Gruppen von Viehpacht-Berechtigten zu unterscheiden: Unfreie und Freie. Die Unfreien bzw. Leibeigenen hatten nicht mehr Recht und Besitz als die Leibeigenen auf dem Kontinent. Zu den Freien gehörten alle anderen Gemeinschaftsmitglieder vom König bis zum kleinsten Bauern. Unfreie wie Freie erhielten, sobald sie einen solchen Viehpachtvertrag eingingen, einen Status, den man mit einem von Caesar verwendeten gallischen Terminus als den der ambactoi bezeichnete, was soviel wie »Diener» bedeutet; zum besseren Verständnis sollte man aber eher von »Vasallen» sprechen, einem Begriff, der von gall. vassos abstammt, was ursprünglich ebenfalls »Diener», »Knecht» bedeutete. (Vgl. walis. gwas = »Diener»; breton. gwaz = ursprüngl. ebenfalls »Diener», heute aber in der Bedeutung »Mann» im weitesten Sinn, daneben »Valet», d.h. »Lakai», »Dienstbote».)
Diese Art des Viehpacht-Vertrages hat sich in Irland besonders lange gehalten; deshalb befanden sich die Frauen - die ebenfalls das Recht hatten, Herdenbesitzer zu werden, und daher ebenfalls solche Verträge eingehen konnten, in einer ganz anderen Lage als die Frauen in den Ackerbau-Gesellschaften, die ausschließlich auf der Bebauung von Grund und Boden basierten. In Gallien dagegen verschwand dieser Vertragstypus schon relativ früh, und daher ist bei den Autoren der Antike bereits keine Spur mehr davon erwähnt. In Wales und in der Bretagne scheint er noch bis zum X. Jahrhundert üblich gewesen zu sein, man hat jedoch eher den Eindruck, daß er sich in den brit(ton)ischen Gesellschaften sehr schnell zum Typus des Landpacht-Vertrages hin entwickelt hat, obwohl es sich bei dem durch den König übertragenen Stück Land nur sehr theoretisch um einen dadurch erworbenen Besitz handelte. Die Terwwandschaft zwischen einigen brit(ton)ischen und gälischen Wörtern, die auf eine gemeinsame Wurzel zurückgehen, liefert uns einen wertvollen Hinweis: ein irisches Wort für »Vieh», nämlich tlus, findet sich im Gallischen in der Pluralform tlysseu wieder, bedeutet aber dort »Schmuck»bzw. »Wertgegenstände»; entsprechend korrespondiert irisch alum, »Herde», mit walisisch alaf, was dort »Reichtum» bzw. »Kapital» bedeutet. Somit basierte der Reichtum, der sich ursprünglich aus dem Viehbestand errechnete, in der bretonischen Gesellschaft etwa im X. Jahrhundert auf dem Besitz von Schmuck und Wertgegenständen, und gewisse Hinweise in den juristischen und literarischen Texten der Zeit lassen darauf schließen, daß es sich dabei in erster Linie um die Kriegsausbeute und in weit geringerem Maß um Besitz an Grund und Boden handelte.[10]
Auf alle Fälle stoßen wir selbst noch während der Feudalzeit in den keltischen Gesellschaften immer wieder auf die Existenz eines auf der Viehpacht beruhenden Vertragsprinzips. Genau betrachtet konnte auch der feudale Lehensvertrag, der auf dem Kontinent üblich und wahrscheinlich von den Germanen importiert war, gar nichts anderes sein als ein solcher Viehpachtvertrag. Diesen Schluß läßt außerdem die Untersuchung des Wortschatzes im Bereich des feudalen Lehenswesens zu: das frz. Wort fief (dt. »Lehen») stammt tatsächlich aus dem vulgärlateinischen feuum, einer lediglich deformierten Lehnform aus dem altgermanischen fehu, goth. faihu (vgl. neuhochdt. »Vieh»!), was wiederum genau dem lateinischen pecus entspricht (vgl. auch engl, fee = »Lehen», »Besitzung)», »Gehalt»).
Diese keltischen Gesellschaftern, die im Vergleich zu den übrigen gleichzeitig existierenden indoeuropäischen Gesellschaften eine archaischere Entwicklungsphase darstellen, sind ohne Zweifel patriarchalisch geprägt. Selbst wenn sein Einfluß eher moralischer als tatsächlicher Natur ist, so liegt die Königswürde des tuath in den Händen des Mannes. Die Geschichte kennt jedoch auch Beispiele dafür, daß Frauen die Königsherrschaft ausübten: so etwa Bodicea, die Königin der Iceni. Sie entfesselte, nachdem sie selbst von den Römern ausgepeitscht worden war und zusehen mußte, wie ihre Töchter von Legionären (den angeblichen Aposteln der Zivilisation) vergewaltigt wurden, nach dem Massaker, das die Soldateska des Suetonus Paulinus unter den Druiden von Mön angerichtet hatten, jene gewaltige brit(ton)ische Revolte des Jahres 61, an der sich alle Völker der Insel beteiligten. Ein anderes Beispiel: Cartismandua, die Königin der Brisantes, die als Verräterin an ihrem Volk Caracatos, den Führer des brit(ton)ischen Widerstandes, an die Römer auslieferte.[11]
Ist die Königsherrschaft im Prinzip auch ein Amt der Männer, so spielt dennoch die Königin eine besondre wichtige Rolle. Die walisischen Gesetze bestimmen ausdrücklich, daß der Königin ein Drittel der Kriegsbeute zur persönlichen und freien Verfügung steht, sowie der dritte Teil aller Summen, die aus Kompensationsleistungen für Vergehen im Sinne des jeweils gültigen Strafrechts erstanden, welches diese Reparationen in Form von Geldbeträgen oder entsprechenden Mengen an Wertgegenständen oder Vieh festlegte. Sucht man nach Beispielen aus der Sagentradition, so braucht man nur an die, Königin Mebdh zu denken, die die tatsächliche Herrin ron Connaught war, oder an die vielen anderen weiblichen Herrscherfiguren in den irischen und walisischen Epen, sowie an die idealisierten Königinnen der »Autre Monde», Symbole einer Denkstruktur, welche das Patriarchat nicht bis auf die Wurzeln auszurotten vermochte.
Wenden wir uns nun wieder der Familie, der fine zu. Auch dort scheint die Überlegenheit der, männlichen Autorität zunächst auf der Hand zu liegen. Der cenn-fine ist stets ein Mann, und zwar das älteste Mitglied der Familie. In Wales heißt er tiern (das Wort stammt aus dem altkeltischen tigernos, »Oberhaupt des Hauses», in dem die Wurzel ti, »Haus», zu erkennen ist, sowie die Wurzel eines Wortes, aus welchem breton. kern, »Gipfel», wurde; vgl. lat. cerno = »ich sehe/ entscheide» und cernuo = »ich stürze kopfüber ab»). Als die Brit(ton)en und künftigen Bretonen sich in der armorikanischen Bretagne niederzulassen beginnen, überqueren sie familienweise unter der Führung des jeweiligen tiern den Kanal und gründen in ihrer neuen Heimat »Gemeinden» (plous), die — wie etwa Ploufragan (Cötes du Nord) — gelegentlich noch den Namen des mehr oder weniger seliggesprochenen Gründers tragen. Auf der bretonischen Halbinsel wird tiern zu machtiern; das bedeutet soviel wie »Comte», und wie man heute weiß, kam es auch vor, daß dieses Amt des machtiern gelegentlich von Frauen ausgeübt wurde.
Daraus ist zu ersehen, daß die männliche Vormachtstellung innerhalb der Familie nur eine äußerliche Erscheinung war. Da die Grundlage der Familie das Ehepaar bildete, muß nun die Frage erörtert werden, unter welchen Voraussetzungen bei den Kelten eine Ehe zustandekam und wie sie im Einzelnen funktionierte.
Betrachtet man das umfangreiche Material an Zeugnissen (besonders Berichte von römischen und griechischen Autoren), fällt sofort auf, daß die Frau prinzipiell das Recht hatte, sich ihren Gatten selbst zu wählen, und daß sie auch nicht ohne ihre Zustimmung verheiratet werden konnte, was — verglichen mit der römischen Gesetzgebung — eine beneidenswerte Situation war. »Sollte ein Mädchen heiraten, so organisierte man ein großes Fest, zu welchem alle jungen Männer eingeladen wurden. Das Mädchen traf seine persönliche Wahl, indem es dem Erwählten Wasser zum Händewaschen reichte« (Fulgentius, Buch II). Bei der Analyse der irischen Sagentradition werden wir immer wieder feststellen, daß die Erwählung des von einer Frau begehrten Mannes ein fast magischer Akt von erstaunlicher Tragweite war. Nach den ältesten walisischen Gesetzen, denen von Gwynedd, war ein Mädchen mit 12 Jahren in heiratsfähigem Alter.[12]
Die Tatsache, daß das Mädchen die Auswahl trifft, heißt nun nicht, daß die Eltern bei der Schließung des Ehekontrakts überhaupt kein Wort mitzureden hatten. Man darf nicht vergessen,daß die gesellschaftliche Basiseinheit stets die Familie war. Das Verlassen eines Familienverbandes, um in einen anderen einzutreten, ist ein viel zu bedeutender Akt, als daß sich die Gemeinschaft dafür nicht interessieren würde. Daher wird ein Abkommen zwischen beiden Familien fällig und dieses regelt die Modalitäten der Eheschließung, jedoch ausschließlich in der Lösung der Mitgiftfrage und unabhängig davon, welcher gesellschaftlichen Schicht die Gatten angehören. Caesar berichtet in De bello gallico 1,3:
»Möchte ein Mann eine Frau ehelichen, so hat er eine bestimmte Summe zu zahlen; aber auch die Frau hat ihrerseits einen Betrag gleicher Höhe zu entrichten. Jährlich wird das Vermögen der beiden Parteien geschätzt. Die Gewinne (»Früchte»), die daraus hervorgehen, werden aufbewahrt, und der jeweils überlebende Partner erhält nur seinen ursprünglichen Anteil zurück, zuzüglich der im Lauf der Zeit erzielten Gewinne.«
Dieser Text besagt klar, daß jeder der beiden Partner seinen Teil zum neuen Familienbesitz beizusteuern hat. Nach dem Tode des Gatten fällt nicht das gesamte Erbe an die Gattin, sondern nur der von ihr dazu beigetragene Anteil zuzüglich der aus der Ehegemeinschaft erwachsenen Zugewinne! Das Gleiche trifft auf den Mann zu, falls er Witwer wird. Die Güterregelung setzt somit in keiner Hinsicht eine Gütergemeinschaft im juristischen Sinn voraus, denn keine Rechtsordnung, in der die Mitgift der Frau eben der «Schenkung des Ehemanns existiert, läßt Gütergemeinschaft zu.
Dies ist ein weiteres Indiz, anhand dessen wir erkennen können, daß die gallische Frau dem Mann rechtlich gleichgestellt war. Trotzdem behauptet Caesar, daß sie ihrem Mann untergeordnet war; das steht im Widerspruch zu der Auffassung von L'lprian, einem Juristen des III. Jahrhunderts, der präzisiert, daß die Frau zusätzlich zu ihrer Mitgift über ein Vermögen verfügt, »welches die Griechen irapcupepvä «(= dt, Paraphernalien. d. h. von der Mitgift unabhängige Nebengüter der Frau; Anm. d.Hrsg.) und die Gallier peculum [13] (= im Frz. heute noch in der Bedeutung »Rückhalt-Reserve», »Notgroschen»; man beachte darin wieder die Wurzel pecu- = »Vieh»; Anm.d.Hrsg.) nennen«. Untersucht man die Rechtslage der -Frau in Irland und Britannien, so stellt man fest, daß ihre Situation dort sogar noch vorteilhaft ist.
In Irland nämlich hat der Mann, der eine Frau ehelichen will, laut Gesetz eine »Kaufrecht-Summe» (coibche) zu entrichten. Der coibche-Betrag steht dem Vater der Braut zu, wenn diese zum ersten Mal heiratet. Heiratet sie aber zum zweiten Mal, so erhält der Vater nur zwei Drittel, heiratet sie zum dritten Mal, so erhält er nur noch die Hälfte der Summe und so fort. Im Falle der einundzwanzigsten Heirat der Tochter, so bestimmt das Gesetz in schöner Vollständigkeit, hat die Höhe der coibche-Summe die Nullgrenze erreicht, womit der Anspruch des Vaters darauf erlischt! Ist der Vater nicht mehr am Leben, so hat der Bruder, im Allgemeinen der älteste, Anspruch auf die Hälfte dessen, was der Vater erhalten hätte. Man vergleiche damit die Rechtslage im republikanischen Rom, wo der »Kauf der Braut durch den zukünftigen Gatten nur mehr rein symbolisch existierte. Daraus ist »zu ersehen, daß dieser keltische Rechtsbrauch noch die Züge recht archaischer Institutionen trägt.
Von entscheidender Bedeutung is! jedoch die Tatsache, daß trotz dieses Brautkaufs (durch das coibche), ganz im Gegensatz zum Römischen Recht die Frau nicht automatisch in die Familie des Ehemannes überging, während die römische Frau aufgrund der coemptio rechtlich in manu mariti kam, d.h. von nun an der familia des Gatten angehörte, wodurch sie ihre persönlichen Eigentumsrechte verlor. In ähnlicher Weise ist auch die Frau bei den Germanen nicht erbberechtigt, und zwar aufgrund des berühmien Privilegs des Mannes, woraus sich in der Folgezeit das Recht des Erstgeborenen (Primogenitur) und schließlich das »Salische-Recht« entwickelte. Die irische Frau dagegen bleibt weiterhin berechtigt, über eigene Güter persönlich zu verfügen. Wird aber der Gatte getötet, so erhält nicht sie die Kompensationssumme für den Mord, sondern die Familie des Gatten. Heiratet sie dagegen wieder, so hat sie die neu fällige Choibche-Summe mit ihrer Familie zu teilen. So wird auf gesetzlichem Wege eine nahezu vollständige Unabhängigkeit der verheirateten Frau gewährleistet.
In der Praxis bezieht sich das per coibche erworbene Anrecht des Mannes nur auf den Körper der Frau, sowie auf die aus der Ehe hervorgegangenen Kinder. Die Frau kann als Eigentümerin von persönlichen Gütern nicht mehr Rechte an ihren Gatten abtreten, als sie «selbst auf diese Güter hat und dies in Übereinstimmung mit jenem Grundprinzip, das wir schon im irischen Recht im Zusammenhang mit dem feudalen Lehensvertrag, sowie dem Vorgang der Belehnung beobachten konnten, d.h. dort, wo der rechtliche Eigentümer die Familie (fine) oder die Sippe (tuath) ist. Dieses fundamentale Rechtsprinzip unterscheidet das keltische Recht grundlegend vom römischen und germanischen und liefert die Erklärung für die Eigenart der Conditio feminine, die man bei allen keltischen Völkern beobachten kann.
Die irische Frau bringt ihr eigenes Witwengeld in die Ehe, das tinnscra, das aus der Gesamtheit aller von ihren Eltern erhaltenen Geschenken besteht. Das tinnscra bleibt ihr persönlicher Besitz, denn im Fall einer Auflösung des Ehekontrakts bei Scheidung oder Tod des Ehepartners fällt es vollständig wieder an sie zurück, womit die Geschiedene bzw. Witwe gleichzeitig sowohl ihre persönliche Freiheit, als auch die erworbenen Zugewinne (bzw. den gesetzlich bestimrnten Anteil davon) zurückerhält.
In Wales wird nach der gleichen Methode verfahren: der Mann entrichtet den Kaufpreis für die Frau, das gobyr, was exakt dem coibche entspricht. Die Frau bringt eine Mitgift (arsweddv) in die Ehe, die ebenfalls ihr persönliches Eigentum bleibt. Der Mann (bzw. seine Familie) hat jedoch noch zusätzlich das cowyll, d.h. den Preis für die Defloration (das »Kranzgeld») zu zahlen. Es sei darauf hingewiesen, daß dieses cowyll vor der ersten Nacht gezahlt wird, während in Rom und bei den Germanen die Zahlung am nächsten Morgen fällig wurde — daher der mhd. Terminus Morgengabe. Dies mag zwar nur ein Unterschied im Detail sein, aus ihm spricht jedoch deutlich, wieviel Respekt man vor der Frau hatte; sie galt in Wales stets als moralisch über dem Mann stehendes Wesen, während die Germanen und Römer die Frau zu einem heuchlerisch-verschlagenen und verlogenen »Ding» degradierten.
Diesem Rechtsbrauch und seiner Bezeichnung liegt übrigens eine ziemlich überraschende Geisteshaltung zugrunde: das heute im Bretonischen gebräuchliche Wort, welches »Witwengeld» bedeutet und tatsächlich eine Reminiszenz des ursprünglichen cowyll ist, heißt enebarz. Dieses Wort taucht in der aus dem IX. Jahrhundert stammenden Fassung des Kartulars von Redon als enep-uuerth - enep-werth auf und steht dem neu-walisischen wyneb-werth nahe. Und dieses wyneb-werth, ein juristischer Terminus, welcher »Kompensation», »Ehrenpreis» bedeutet (d.h. Wiedergutmachung für eine jemandem zugefügte Schmach/Schande), hat wie sein irisches Pendant log-enech die wörtliche Bedeutung »Gesichtspreis. Ursprünglich handelte es sich dabei um den Preis der Ehre im Allgemeinen, da ja der Zustand der Ehre bzw. Entehrtheit an dem jeweiligen Ausdruck des Gesichts ablesbar ist, das unter dem Eindruck des zugefügten Affronts erröten oder erblassen kann. Bei den Ur-Kelten — so läßt sich daraus schließen — war also das Gesicht der eigentliche Sitz der Ehre und somit der Scham. Bedenkt man, wie vorurteilsfrei alle diese Völker sich dem Bereich der Sexualität gegenüber verhielten, so wird man unweigerlich an den mohammedanischen Brauch erinnert, wonach die Frauen ihr Gesicht verschleiert tragen, da nach Ansicht des Islam der Sitz von Ehre und Scham ausschließlich das Gesicht ist.[14]
In Wales konnte die Frau zusätzlich zu ihrer Mitgift (argweddy) von ihrer Familie auch noch Paraphemalgüter (argfreu) erhalten, jene Güter, die nach Ulpian, wie bereits erwähnt, bei den Galliern peculia hießen. Dabei handelte es sich im walisischen Rechtsgebrauch um »Mobilien» im juristischen Sinn des Wortes (»Bewegliche Güter»; Anm. d. Hrsg.), also um Wertgegenstände, Zierrat und Schmuck, Küchen- und Hausgeräte, ferner Mobiliar im wörtlichen Sinn sowie nicht zur Familienherde gehörende Tiere. Nach dem Gesetz von Howell Dda gingen diese Güter wieder vollständig an die Frau zurück, falls die Ehe vor dem siebten Jahr ihres Bestehens wieder aufgelöst wurde. Der Anspruch auf sie ging dagegen für die Frau verloren, falls sie sich ohne_wohlbegründetes Motiv scheiden ließ; sie wurden zusammen mit dem übrigen Familienerbe zur Hälfte geteilt, wenn die Ehe erst nach dem siebten Jahr aufgelöst wurde.
Damit stoßen wir auf das Problem der Scheidung. Es dürfte besonders überraschen, mit welch verblüffender Unkompliziertheit die Scheidung selbst noch in christlicher Zeit bei den Kelten zustandekam.[15] Dies hängt zunächst mit dem Umstand zusammen, daß die Ehe damals längst nicht jenen sakralen und zwingend-verbindlichen Charakter hatte wie in den angeblich so modernen heutigen Gesellschaften. Nie bedeutete sie recht viel mehr als ein einfacher Vertrag, der in seinen Klauseln bestimmte Bedingungen enthielt: hielt man sie nicht ein, so wurde der Vertrag ungültig. Die Eheschließung war mit keinen besonderen Zeremonien verbunden. Die walisische und irische Literatur erwähnt in diesem Zusammenhang lediglich ein Fest, nach dessen Ende die Ehe als geschlossen gilt. Auch noch in den in christlicher Zeit abgefaßten walisischen Gesetzen ist an keiner Stelle von einer kirchlichen Trauung die Rede. Die keltische Art der Eheschließung ist in der Hauptsache ein vertraglicher und gesellschaftlicher, aber nicht ein sakraler Akt, ein Akt also, der auf der völligen Freiheit der Partner beruht und die Form einer freien Verbindung hat, die zwar gesetzlich geschützt ist, aber jederzeit wieder gelöst werden kann. Lassen wir dabei aber kein Mißverständnis aufkommen: die Scheidung auf keltische Art bedeutet keineswegs einen Verstoß in jenem Ausmaß, wie es nach den Sitten und Gesetzen des alten Roms usus war und auch in der Geschichte unserer achsoguten christlichen Gesellschaft in zunehmendem Maß zu beobachten ist,— bei den Mächtigen sogar aus höchst »moralischen« Gründen, als da sind die Unfähigkeit, männliche Nachkommen zu gebären, oder gar die (natürlich rein zufällige!) Entdeckung einer zu nahen Blutsverwandtschaft. Diese Art des Verstoßes — welch Triumph der Kasuistik! — hat sich stets zu Ungunsten der Frau und zum großen Vorteil des Mannes ausgewirkt. Nichts dergleichen dagegen in der Scheidung bei den Kelten, wo Mann und Frau auf einlind de7s«elb~en StüTe»strikTer Gleichberechtigung standen.[16]
Dementsprechend fällt, wenn die Frau ihrem Mann keinen gesetzlich verankerten Anlaß zur Scheidung gegeben hat und sich dieser dennoch eine Andere zur Gattin kauft, in Irland der Kaufpreis zu Ungunsten der zweiten (und deren Eltern) automatisch an die erste Frau, und der berühmte »Ehrenpreis» für die zweite Frau muß dann an die erste ausbezahlt werden. Eine besonders ausgefallene Form gesetzlichen Schutzes für die rechtmäßige Ehefrau, in der Tat! Söhnt sich ein abtrünnig gewordener Ehemann mit seiner ehemaligen Frau wieder aus, so hat er ihr außerdem erneut ein coibche zu zahlen. Die Gesetze enthalten eine geradezu verblüffend große Zahl fein unterschiedener Scheidungsgründe: sagt etwa bei den Walisern eine Frau »Schande komme über deinen Bart!«, was als die gröbste Beleidigung für einen Mann gilt, so hat dieser nach walisischem Gesetz automatisch Anrecht auf sofortige Scheidung. Macht sich der Mann des Ehebruchs schuldig, so kann die Frau eine sofortige Auflösung der Ehe erwirken. Außerdem wird in Irland wie in Wales die Scheidung aufgrund von beiderseitigem Einverständnis ebenfalls als rechtskräftig betrachtet.
Ein weiterer Gund für die problemlos unbürokratische Art des Scheidungsvorgangs Und infolgedessen für die relative Instabilität der Ehe ist darin zu sehen, daß die Kelten sich«nie definitiv zwischen der Monogamie und der Polygamie und sogar Polyandrie entscheiden wollten. Caesar deutet an, daß in gewissen »britannischen« Stämmen eine Art Polyandrie praktiziert wurde,[17] jedoch sind seine diesbezüglichen Hinweise reichlich vage und dürften sich nicht so sehr auf die beiderseits des Kanals beheimateten Bretonen (bzw. Brit(ton)en), sondern vielmehr auf die Pikten im Norden Britanniens bezogen haben. Als gesichert darf dagegen gelten, daß die Polyandrie in den keltischen Ländern tatsächlich keine Seltenheit war, denn in geschichtlicher Zeit stößt man auf eine unmißverständliche Spur davon |n der Institution des gesetzlich geregelten Konkubinats: jedem Mann waren, selbst wenn er verheiratet war, eine odejr mehrere Konkubinen gestattet. Im Grunde handelt es sich auch hierbei regelrecht um einen Vertrag, durch welchen der Mann die Konkubine (hen urdnadna = »Frau laut Vertrag» ) erwirbt. Das Entscheidende und besonders Originelle daran ist, daß er sie nur für genau ein Jahr, also 365 Tage, kauft, wobei der Vertrag danach aber für ein weiteres Jahr verlängert werden kann. Diese Klausel kennzeichnet ein weiteres Mal die Sorge der Gesetzgeber um die Wahrung der Feiheit der Frau: die für das angelsächsische Recht typische habed corpus-Doktrin scheint in besonderem Maß in diesem Bereich Anwendung gefunden zu haben. Wenn nämlich die Gültigkeit dieses Vertrages länger als genau ein Jahr, das heißt etwa nach der bekannten Rechtsformel »auf Jahr und Tag« befristet gewesen wäre, so wäre die Konkubine nach Überschreitung dieses Zeitraums aufgrund des usu capions-Prinzips (das heißt Erwerb durch Ersitzen; Anm. d. Hrsg.) Eigentum des Mannes geworden. Der Mann hätte folglich das Recht gehabt, die«Konkubine dann weiter zu verkaufen» und den Verkaufspreis zu Ungunsten der Konkubine oder deren Eltern für sich zu beanspruchen. So aber erhielt die Konkubine jeweils nach genau einem Jahr automatisch wieder ihre volle Freiheit zurück.
Übrigens endete dieses Konkubinat, oder wenn man so will, diese Ein-Jahres-Ehe, jeweils an einem ganz bestimmten Tag des Jahres, der im allgemeinen mit dem Datum eines bedeutenden heidnischen Festes zusammenfiel. D’Arbois de Jubainville hat einen Zusammenhang gesehen zwischen diesem Brauch und einem ähnlichen, der in einigen Gegenden Frankreichs auch heute noch teilweise gepflegt wird (übrigens auch in den deutschen, österreichischen und schweizerischen Alpenländern; Anm. d. Hrsg.), nämlich der jeweils auf ein Jahr befristeten Einstellung von landwirtschaftlichen Dienstmägden, deren Dienstverhältnis am Johannis- oder St. Martinstag endet, mit anderen Worten, an zwei Feiertagen, die an das alte Beltaine - beziehungsweise Samainfest erinnern. Der keltische Brauch der »Miete» einer Konkubine auf Jahresfrist wäre demnach seit Beginn der christlichen Ära lediglich umgewandelt worden in das jährlich an den gleichen Tagen wechselnde Dienst-»Verhältnis» nicht nur des weiblichen sondern auch des männlichen Dienstpersonals.
Auf keinen Fall beeinträchtigte das legale Konkubinat des Mannes in jrgendeiner Form die Rechte der rechtmäßigen Ehefrau, die weiterhin als einzige Titel und Funktion der Gattin hatte und sich sogar von den Konkubinen des Mannes bei ihren häuslichen Arbeiten helfen lassen konnte. Außerdem hatte sie das Recht, die Anwesenheit der Konkubine im Familienkreis abzulehnen. Entsprach der Gatte diesem Wunsch nicht, so blieb der Gattin immer noch die Möglichkeit der Scheidung. Ein Beispiel dafür ist in der Legende der Hl. Brigitta von Kildare (sagenumwobene Schutzheilige Irlands: 453-523; Anm. d. Hrsg.) der Fall des Druiden Dubhthach, der eine Konkubine gekauft und geschwängert hatte. Seine rechtmäßige Ehegattin duldete diesen Zustand nicht und drohte mit Scheidung, .»falls Dubhthach sich nicht von seiner Konkubine trennen würde«. Im Falle einer Scheidung hätte die Gattin nicht nur ihr coibche, den Kaufpreis, sondern auch ihr peculium, beziehungsweise ihr tinnscra zurückerhalten müssen. Diese Drohung stimmte den Druiden natürlich äußerst nachdenklich, und so trennte er sich schließlich von seiner Konkubine, um seine rechtmäßige Gattin zu behalten und vor allem die Güter aus ihrem Besitz.
Denn wenn der Mann auch nach außen als Oberhaupt der Familie gilt, so ist er längst nicht immer das Oberhaupt des Ehepaares. Die irischen Gesetze trennen scharf zwischen drei verschiedenen Formen der Ehe, und von Fall zu Fall kann die Frau - ebenso wie der Mann - darin jeweils die entscheidende Rolle spielen.
Fall eins: Wenn die Gattin, die cetmunter, gleich vermögend und von gleich hoher Geburt ist wie ihr Gatte, so ist sie ihm automatisch rechtlich vollkommen gleichgestellt. Kraft ihrer persönlichen Autorität kann sie daher jeden Vertrag abschließen, der ihr vorteilhaft erscheint. Einer Zustimmung seitens des Gatten bedarf es nur dann, wenn dieser der Auffassung ist, der betreffende Vertrag bringe ihm persönliche Nachteile. Entsprechend hat die Frau das Recht, alle vom Gatten abgeschlossenen Verträge wieder zu annullieren, die ihrer Ansicht nach Nachteile für sie mit sich bringen und ihr persönliches Vermögen betreffen.
Fall zwei: gehört die Gattin einer gesellschaftlich niedrigeren Schicht an, und ist sie vor allem weniger vermögend als der Gatte, dann hat sie nur stark eingeschränkte Rechte. Aus diesen Gründen entbrannte der berühmte Streit zwischen der Königin Mebdh und dem König Ailill zu Beginn des großen Erzählepos» von der Tarn Bö Cuange. Dieser Streit, in dem es um die Bewertung des Vermögens der beiden geht, eskaliert schließlich zu einem unerbittlich geführten Krieg, in welchem Mebdh verbissen um den Besitz eines Stieres kämpft, der mehr wert ist als der Stier ihres königlichen Gemahls.
Fall drei: ist dagegen das Vermögen der Frau größer als das des Mannes, so hat sie laut Gesetz nicht nur das Oberhaupt des Ehepaares, sondern auch das Oberhaupt der Familie.In diesem Fall ist die Autorität des Mannes gleich null. Er hat dann den Status des fer fognama (= »dienender Mann») oder gar eines fer for bau thincur (= »Untertan einer Frau»). In zahlreichen Epen befindet sich der König Ailill in genau dieser Lage absoluter Ohnmacht gegenüber der Königin Mebdh, bei deren Entscheidungen er auch nicht das geringste Mitspracherecht hat. Dies ist natürlich für eine verheiratete Frau eine recht vorteilhafte Situation, da sie dann nicht nur Herrin über ihr eigenes Schicksal, sondern auch über das des Mannes ist. Hier handelt es sich zweifellos um die Reminiszenz aus einer älteren Gesellschaftsform, in welcher die Frau im familiären wie im öffentlich-politischen Leben eine wesentlich bedeutendere Stellung hatte, die Erinnerung also an gewisse Strukturen des Matriarchats; dabei ist natürlich stets zu beachten, daß unter diesem klischeehaften Begriff sich beileibe nicht alle Besonderheiten subsummieren lassen, die möglicherweise damit zusammenhängen.
In Wales und in der Bretagne herrschten in etwa die gleichen Verhältnisse. Das aus dem IX. Jahrhundert stammende Kartular von Redon enthält ebenfalls Fälle, wo verheiratete Frauen, die eigene Güter hatten, ganz nach Belieben darüber verfügen und sie sogar, ohne Zustimmung des Gatten veräußern konnten. Bei den Bretonen waren die Frauen sogar zur Ausübung der Königsherrschaft berechtigt, sofern sie aus einer königlichen Familie stammten und für dieses Amt gewählt wurden.[18] In diesem Falle waren sie berechtigt, die Königswürde auch auf ihren Gatten auszudehnen. Ferner hatten sie das Recht, Erben zu bestimmen, falls sie keine Söhne hatten. An diese Situation erinnert immer noch die besondere moralische Autorität, die die bretonische Frau auf dem Lande heute noch genießt, wo sie als Bäuerin häufig die Rolle des Familienoberhauptes hat.
Eine Reminiszenz des Ur-Matriarchats (es sei noch einmal ausdrücklich betont, daß wir diesen Begriff mit starken Vorbehalten verwenden) ist weiterhin auch darin zu sehen, daß die Familie der Frau bei der Nach- und Erbfolge-Frage Vorrang hat, wenn der Gatte stirbt; dies zeigt besonders jener alte Brauch, den wir in der irischen und walisischen Literatur immer wieder antreffen, nämlich die Gewohnheit, die Helden nach ihrer Mutter und nicht nach ihrem Vater zu benennen: so hat der König Conchobar den Zunamen »Sohn der Ness»; Gwyddyon und Arianrod heißen »Sohri beziehungsweise »Tocher der Döri Setana-Cüchulainn ist »Sohn der Dechtire» und so fort. Hier scheint tatsächlich noch die Spur einer matrilinearen Erbfolge zugrunde zu liegen, die noch nicht gänzlich aus dem Gedächtnis der Erzähler verschwunden war.[19]
Übrigens war die Frau ganz allgemein zur Ausübung der verschiedensten öffentlichen Funktionen berechtigt. Es gibt zwar keine gesicherten Belege dafür, daß dazu auch das Amt des Druiden gehörte, wir wissen aber, daß sie zumindest Magierin und Seherin werden konnte. Die auf den britischen Inseln verbreitete eigenartige Sonderform des Christentums gestattete den Frauen sogar diie Ausübung bestimmter Teile des Gottesdienstes, durchaus glaubwürdigen Zeugnissen zufolge,[20] nahmen sie auch an der Zelebrierung der Messe teil, was von den streng romhörigen Bischöfen des Kontinents scharf verurteilt wurde. Es gab »gemischte» Klöster für Mönche und Nonnen, wie zum Beispiel dasjenige, welches die bereits erwähnte Hl. Brigitta in Kildare an der Stelle eines heidnischen Kultbaues hatte errrichten lassen. In diesem wurde von Frauen ein heiliges Feuer, das nicht verlöschen durfte, gehütet, was deutlich an die römischen Vestalinnen erinnert oder an das in Bath (England] zu Ehren der Göttin Sul[21] gehütete ewige Feuer.
Aller Wahrscheinlichkeit nach war der öffentliche Wirkungskreis der Frau nicht allein auf die Ausübung quasi-geistlicher Ämter beschränkt, sondern sie hatte möglicherweise eine noch wichtigere Aufgabe in der Erziehung nicht nur der Kinder sondern auch der heranwachsenden Jugend. Man weiß von einer bereits damals existierenden Gewohnheit, die man Trift dem englischen Terminus fosterage bezeichnet: sie besteht darin, die Kinder aus dem natürlichen Familienverband zu lösen und sie zur Pflege und Erziehung einem fosterer (dt. etwa »(Er-) (Ziehvater») anzuvertrauen, was häufig sogar dazu führte, daß der Zögling anschließend engere Bindungen an den Ziehvater hatte als an den natürlichen Vater. Außerdem entwickelten sich nicht nur zwischen dem Kind und den Zieheltern, sondern auch zwischen den gemeinsam aufgezogenen Ziehkindern untereinander engere Bande als zwischen den leiblichen Geschwistern. Die irische Literatur kennt unzählige Beispiele einer solchen Situation, wo Milchbrüder und -Schwestern einander in wesentlich intensiverem Maß nahestehen und sich einander mehr verpflichtet fühlen, als es zwischen leiblichen Geschwistern zu erwarten wäre. Dieser Brauch des fosterage, der wahrscheinlich präkeltisch-skandinavischen Ursprungs ist (wir werden in anderem Zusammenhang noch einmal auf ihn zurückkommen), reicht allein noch nicht zur vollständigen Erziehung des jungen Kriegers aus. Eines Tages mußte er seine Zieheltern verlassen und sich von einer äußerst rätselhaften Kaste kriegerischer Frauen in die Kunst des Waffengebrauchs einweihen lassen Dabei handelte es sich um eine Mischung aus Zauberinnen und Amazonen, deren Lebensraum und Wirkungskreis im allgemeinen im Norden, der britischen Insel, also im Lande der Pikten vermutet wird. Die irischen Erwählungen von der Erziehung des Cüchulainn und Finns Jugendabenteuern sind hinsichtlich dieses mysteriösen Initiationsrituals besonders aufschlußreich; [22] eine Fülle archaischer Einzelelemente dieses Brauchs bietet innerhalb der walisischen Literatur die Erzählung von Peredur, dem Archetyp der Quete du Graal-Tradition.[23]
Diese literarische Überlieferung deckt sich völlig mit dem Bild der dem Bild der klassisch-antiken Autoren von den robusten Gallier-Weibern, die stets bereit waren, an der Seite ihrer Männer in Schlachten und Streithändeln mitzukämpfen, sofern sie es nicht selbst waren, die diese Konflikte auslösten. Nach Diodor von Sizilien (V, 32) »sind bei den Galliern die Frauen von fast ebenso kräftiger Statur wie die Männer und können sich mit ihnen an Mut und Kühnheit durchaus messen«. Ähnliche und durch köstliche Details angereicherte Beobachtungen macht Ammianus Marcellinus (XV»,12):
»Die Gallier sind streitsüchtig und arrogant bis zum Exzeß. Jeder Beliebige von ihnen bietet in einer Streiterei immer zugleich mehreren Gegnern die Stirn und dies ohne eine weitere Hilfe als der Unterstützung seiner Frau, die ein noch fürchterlicherer Meister im Kampf ist als er. Man muß diese Mannweiber einmal mit eigenen Augen gesehen haben, wenn ihre Halsschlagadern im Zorn anschwellen, sie ihre schneeweißen und muskulösen Arme schwingen, ihre Fäuste und Füße einsetzen und Schläge und Tritte losprasseln lassen, die wie von einem Katapult abgeschossen wirken.«
Alles in allem kann diese Beschreibung als Kompliment gelten: sie ist der eindeutige Beweis dafür, daß die keltischen Frauen sich Respekt zu verschaffen wußten, weder die gälische noch die walisische Literatur lassen den gegenteiligen Eindruck aufkommen. In der irischen Erzählung vom Fest des Bricriu will keine von den Ehefrauen der drei siegreichen Helden von Ulster, die sich gegenseitig den »Heldenanteil«, das heißt die endgültige Vorrangstellung streitig machen, tatenlos zusehen, und so sind auch sie sofort bereit, sich in die Haare zu geraten und um den ersten Platz zu raufen.[24]
Eine weitere Funktion dieser geheimnisumwobenen Erzieher- und Hexen-Amazonen ist die der muiatlölf in die Sexualität. Weiter unten werden wir die Beziehungen zwischen dem Mythos der femme-mere (»Frau als Mutter») und der femme-amante (»Frau als Liebende») noch eingehender untersuchen, sie müssen jedoch hier im rein rechtsgeschichtlichen Kontext zum besseren Verständnis bereits angedeutet werden. Denn diese eigenartige Institution militärischer und sexueller »Grundausbildung» hat zugleich die Bedeutung einer mehr oder weniger sakralen Art der Prostitution. Das ist ein~welterer Hinweis darauf, daß die Freizügigkeit auf dem Gebiet der Sexualität bei den Kelten hoch entwickeTt^wärTin den juristischen wie auch literarischen Texten, die noch nicht durch das Christentum beeinflußt sind (und selbst dadurch konnte diese Geisteshaltung nicht ausgerottet werden!), findet sich nahezu keine Spur von irgendwelchen sexuellen Tabus, zumindest keinerlei Anzeichen von Prüderie. Die Instabilität der Ehe ist dafür der schlagendste Beweis, ebenso die erwähnte Praxis des Konkubinats. Denn jeder, verheiratet oder ledig, konnte eine solche Ehe auf Jahresfrist abschließen. Eine Frau, die eine solche Situation akzeptierte, wurde deshalb keineswegs von der Gemeinschaft verstoßen, ganz im Gegenteil: in der keltischen Gesellschaft war vor dem Aufkommen des Christentums die Idee der Sünde unbekannt; umso weniger hatte man etwas Sündhaftes in der Sexualität finden können. Wie jedes andere Volk kannten auch die Kelten die Homosexualität: ..Die Männer neigen dazu, sich von Frauen dominieren zu lassen, was besonders bei energischen und kriegerischen Rassen eine häufig anzutreffende Tendenz ist«, erklärt Aristoteles gewichtig, »davon nehme ich allerdings die Kelten aus, die, so sagt man, sich offen zur Liebe von Mann zu Mann bekennen« (Politika 11,6). Diese Ansicht — die mit ähnlichen Äußerungen zahlreicher griechischer Autoren in Einklang steht — ist nicht ohne Würze, besonders bei einem Sokrates-Schüler und Bürger eines Staates, in dem diese Dinge nicht gerade zimperlich behandelt wurden. Dennoch sieht es so aus, als hätten die griechischen Autoren recht, denn wir finden auch in verschiedenen Erzählepen, besonders über Cuchulainn — wenn auch sehr diskrete — Andeutungen über diese Form der Liebe. In der genannten Kaste kriegerischer Frauen kann man ebenfalls eine Art homosexueller Freimaurerinnen-Loge sehen, die jenen Lesbierinnen-Clubs, die auf der ganzen Welt fast allerorts florieren, nicht unähnlich gewesen sein dürfte.
Nach all dem bisher Gesagten läßt sich kaum noch bestreiten, daß dieses Maß an sexueller Freiheit deutlich macht, in welch hohem Ansehen die Frau in der keltischen Gesellschaft stand. Sie war weder ein Lustobjekt, noch die Repräsentantin des »Schwachen Geschlechts», und konnte daher in einer Gesellschaft, die vor allem eine Gesellschaft von Viehzüchtern und Kriegern war, einen wesentlichen Teil des gesellschaftlichen Ranges bewahren, den sie in weiter zurückliegenden Epochen einmal gehabt haben muß. Im allgemeinen ist man sich darüber einig, daß die Landwirtschaft mit den dazu erforderlichen schweren Arbeiten die Ursache, dafür war, daß die Frau — nun Bäuerin — aus dem öffentlichen Gesellschafts- und Arbeitsleben allmählich verdrängt und zur Erledigung der sogenannten »häuslichen» Tätigkeiten verurteilt wurde. Selbstverständlich ist dies nur eine Ursache von vielen, und wir werden im folgenden noch weitere Ursachen, nämlich psychologische, religiöse und metaphysische kennenlernen, jedoch ist bereits die hier genannte logisch durchaus schlüssig und gültig. Aufgrund der Unmenge deutlicher Archaismen in der Struktur (die größtenteils aus den Beiträgen der alteingesessenen Urbevölkerung stammen, die von den Kelten bei ihrer Ankunft im Okzident in ihre eigene Gesellschaftsform integriert worden sind) stellt die keltische Gesellschaft eine Übergangsphase dar zwischen den Gesellschaften »patriarchalischen» Typs auf der einen Seite (mit landwirtschaftlichem Charakter und einer auf dem Grundbesitz des Familienvaters basierenden Struktur) und den sogenannten.»matriarchalisch» geprägten Gesellschaften auf der anderen Seite (worin die Mutter oder die Frau ganz allgemein noch das verbindende Grundelement der Familie und Symbol der Fruchtbarkeit darstellt).
Fassen wir zusammen: Wie wir bisher gesehen haben, hatte die keltische Frau, sowohl die irische als auch die bretonische, ihre volle Freiheit, ferner genoß sie Rechte, die ihrer sozialen Herkunft sowie ihrem persönlichen Eigentum entsprach; sie konnte Familienoberhaupt werden, regierende Königin, Seherin, Magierin und Erzieherin sein; es stand ihr frei, zu heiraten oder auch »Jungfrau», das heißt ledig zu bleiben, und sie war berechtigt, einen Teil des Vermögens ihres Vaters oder ihrer Mutter zu erben.[25]
Anmrkg. zu 2.25: An dieser Stelle seien noch einige Besonderheiten des keltischen Rechts über den Sozialstatus der Frau hinzugefügt. Nach dem Kanonischen Recht Irlands. (Kap. 17) wird das väterliche Erbe zwischen Söhnen und Töchtern geteilt. Hinterläßt der Vater jedoch nur Töchter (Kap. 20), so fällt das gesamte Erbe an sie. Wenn diese aber sterben, so fällt das Erbe an die Brüder (bzw. die Eamilie) des Vaters, während die eigenen Nachkommen der Töchter unberücksichtigt bleiben. Es wird übrigens eigens erwähnt, daß die Töchter, wenn sie das Erbe (das de facto nur ein Nutzungsrecht war annehmen, sich zur Ableistung des Militärdienstes verpflichten; diese Verpflichtung wurde gegen Ende des VII. Jh. getilgt, dafür aber ihr Erbanteil um die Hälfte reduziert. Nach dem Zivilrecht (vgl. M. Dyllon: Relationship and the law of inheritance. Studies in early Irish Laws, Dublin/London 1936) verliert der Vater welcher männliche Nachkommen hat, seine.Rechte, auf das Erbe der Mutter, das dann zwischen den Söhnen aufgeteilt wird. Eine Frau kann nur dann Eigentumsrechte an Grund und Boden an ihre Erben übertragen, wenn sie dieses Eigentum aufgrund von geleisteten Diensten oder durch Schenkung , erworben hat. Der Sohn einer Schwester, der von einem Onkel mütterlicherseits (dem fosterer) adoptiert wurde, steht mit seinem Neffen, d.h. dem Sohn ihres Bruders (also seines Onkels) rechtlich auf ein und derselben Stufe. Häufig bilden die Söhne der Schwester eine sog. glasfme (= »graue» bzw. »blaue Familie»); deren Vater wurde nämlich als ein Fremder angesehen, der über das graue/blaue «Meer nach Irland gekommen war. (siehe O»Donovan: Ancient Laws of Ireland, Bd. IV, S. 284). Dieser Vater hatte nach irischer Rechtsauffassung selbst keine Familie in Irland: also kann er seinem Sohn auch keine Familie bieten, und dieser wird als zu der Familie der Mutter gehörig betrachtet. So wurde z.B. Cartismandua, die Tochter eines Königs der Brigantes, welcher keinen Sohn hatte, aufgrund ihrer Paraphernalrechte Königin, heiratete zunächst den angesehenen Kriegshelden Venutius, verstieß ihn aber bald darauf wieder, um den Truchseß Vellocatus zu heiraten und auch auf ihn die Königswürde auszudehnen (vgl. Tacitus: Historiae III, 45 und Annales XII, 36-40).
So mußten erst nahezu zwei Jahrtausende vergehen, bis die Französin all die Rechte und Privilegien wieder erlangte, die ihre Ahnin, die Gallierin, nach ihrer Unterjochung durch das Römische Recht und durch das vom Christentum gepredigte Mißtrauen gegen alles Weibliche, eingebüßt hatte. Vor diesem Hintergrund kann nun der Frage nachgegangen werden, wie das Idealbild jener Frau aussieht, von der nicht nur die Frauen selbst, sondern auch die Männer seit jeher träumen. Dabei werden wir dem Grundanliegen der Menschheit, nämlich dem Streben nach Ausgeglichenheit zwischen Physis und Psyche wiederbegegnen, einem Streben, welches durch die jüdisch-römisch-christliche Zivilisation ständig verdrängt wurde, da dieses zutiefst menschliche Anliegen die Grundprinzipien, auf die sich diese Zivilisation stützt, erheblich in Frage gestellt werden muß. Wir sehen keinerlei Veranlassung, die gegenwärtige, an allen Ecken und Enden zerbröckelnde Gesellschaft mit Rücksicht zu behandeln oder sie mit dialektischen Krücken noch zu stützen.
Wie der Schleier der Isis dazu dient und reizt, gelüftet zu werden, so soll nun Licht gebracht werden in das Dunkel um den Mythos der keltischen Frau.