Keine Entschuldigungen, keine Erklärungen. Als ich mein erstes Buch »Die Kunst, (k)eine perfekte Mutter zu sein« beendet hatte, verkündete ich großspurig, daß dieses Thema ein für allemal abgehakt ist. Von der Empfängnis bis zum vierten Geburtstag des Kindes gab es gute Gründe, Bücher über Babys zu lesen - oder zu schreiben, scheinen doch in diesem frühen Stadium Verallgemeinerungen noch vertretbar zu sein. Zwar ist jedes Baby ein Individuum, doch überwiegen in diesem Alter die Gemeinsamkeiten bei weitem. Alle Babys im Alter von sechs Monaten grapschen nach dem Löffel, wenn man versucht, sie zu füttern; alle Babys ziehen die Tischdecke samt Geschirr vom Tisch, wenn sie die ersten Gehversuche machen. Und auch die Zweijährigen sind in ihren allgemeinen Eigenschaften - einem energiegeladenen Wackelpudding in Michelinmännchenform nicht unähnlich - durchaus vergleichbar.
Aber nach vier Jahren hat man, so schrieb ich, »entweder einen draufgängerischen, kleinen Rebellen oder ein zimperliches Püppchen (geschlechtsunabhängig), eine Intelligenzbestie, einen kraftstrotzenden Muskelprotz oder einen Jet-Set-Aspiranten. Da stehen sie nun, klein, aber jeder für sich mit seinen ureigenen Erbanlagen, seinem Schicksal, seinen Lebensbedingungen. Also ist das vollendete dritte Lebensjahr ein guter Zeitpunkt, das Thema ein für allemal abzuschließen.« Ich ließ also alle meine Freunde wissen, daß ich nicht im entferntesten daran dächte, jemals wieder über Kleinkinder zu schreiben. Wenn das Kind vier Jahre alt ist und Sie den Dreh immer noch nicht raus haben, dann ist ohnehin Hopfen und Malz verloren. Von mir war jedenfalls nichts mehr zu erwarten. Ich hatte meine Schuldigkeit getan und wollte nun endlich über andere Themen schreiben. Eigentlich war ich auch recht froh darüber: Nie mehr würde ich mir Gedanken machen müssen, ob ich »er« (altmodisch), »sie« (der Zeitgeist läßt grüßen!) oder »es« (beleidigend) schreiben oder jeden zweiten Satz mit einem schwerfälligen »er/sie« verhunzen sollte. Dieses Problem werde ich wohl nie elegant lösen. Aber es kam ganz anders. Ich nehme alles zurück. Meine Kinder wurden größer, die Erinnerung an Windeln und durchwachte Nächte verblaßte, aber anstatt mich einer neuen, rationellen Phase des Familienlebens zu stellen, war ich weiterhin ziemlich ratlos. Ich versuchte immer noch, den Dingen auf den Grund zu gehen, diskutierte mit Müttern in meinem Freundeskreis und schreckte auch nicht davor zurück, wildfremde Mütter an der Supermarktkasse anzuquatschen.
In vielen Dingen waren die Kinder schon sehr selbständig geworden und mußten nicht mehr rund um die Uhr versorgt werden. Mit jedem Lebensmonat des Kindes schien für mich ein Leben in geregelten Bahnen wieder in erreichbare Nähe zu rücken. Wenn das Kind erst einmal vier Jahre alt ist, kann man schon mal einen Handel vorschlagen wie: »Gib mir für meinen Bericht hier noch zehn Minuten Zeit. Dann spielen wir zusammen mit dem Legobaukasten. Großes Ehrenwort!« Wenn ein vierjähriges Kind einen Joghurt möchte, kann man auf den Kühlschrank zeigen und sagen: »Gut, geh' schon und such' dir einen aus«, Ohne dafür den Versuch, den verstopften Abfluß frei zu bekommen, abbrechen zu müssen. Ist das Kind fünf, kann man guten Gewissens davon ausgehen, daß es die Kühlschranktür wieder zumacht. Mit sechs Jahren geht das Schließen der Kühlschranktür noch rascher vor sich, hat das Kind doch erst kürzlich in der Schule und im »Öko-Tip« im Fernsehen gelernt, daß Elektrizität nicht zum Verschwenden da ist. Irgendwie war doch alles leichter geworden. Aber eigentlich hatten sich nur die Perspektiven verschoben, und neue Fragen waren aufgetaucht, die in den Babyjahren noch kein Thema gewesen waren: Alpträume, Flüche, Schule, Mumps, Ohrfeigen, gute und böse Feen und ähnliche Dinge. Wie viele Stunden habe ich heiße Diskussionen mit Freunden darüber geführt, was zu tun ist, wenn das Kind Alpträume von bösen Feen hat, wenn es in der Schule wie ein Fischverkäufer flucht oder beim Kindergeburtstag alle Anwesenden mit Mumps ansteckt. Eines Tages wurde mir klar, daß alles anders geworden und doch alles beim alten geblieben ist. Anstatt mit dem Baby auf dem Arm dem anderen Kind ein Lied vorzusingen und dabei eine Banane mit der Gabel zu zerdrücken, baute ich jetzt ein Raumschiffmodell, versuchte gleichzeitig am Telefon einen Schwimmkurs zu belegen und dabei meinem Sohn zu erklären, warum Flugzeuge fliegen.
Und so beschloß ich, schließlich doch Teil zwei der nicht perfekten Mutter zu schreiben. Natürlich wird dies ein ganz anderes Buch werden, haben sich doch, wie schon gesagt, die Perspektiven verschoben. In diesem Stadium der Elternschaft hat es wenig Sinn, zehn heiße Tips zur Ablenkung eines Babys zu geben oder sich seitenweise darüber auszulassen, wie andere Mütter das Problem der Sauberkeitserziehung gelöst haben. Was sollten Sie auch jetzt mit dem Vorschlag, für einen Hotelaufenthalt auf jeden Fall eine Rolle Kreppband einzupacken, damit ihre Kinder in der Badewanne nicht ausrutschen? (Ehrlich gesagt waren meine Kinder mit fünf Jahren viel sicherer auf den Beinen als ihre Mutter.) Es wäre im Grunde genommen geradezu beleidigend, in einem Buch für Eltern Vier- bis Siebenjähriger die gleichen Töne anzuschlagen wie in einem Buch für frisch gebackene Eltern. Kleine Kinder sind ein enormes Managementproblem, aus dem sich allmählich eine Beziehung entwickelt. Bei größeren Kindern steht dann die Beziehung an sich im Vordergrund, und obwohl die Mutter immer noch mit kleinen Tricks arbeiten kann, müssen diese schon sehr viel ausgekochter sein. Warum sonst wenden sich Vier- und Fünfjährige plötzlich so abrupt von Babysittern und Kindermädchen ab, die sich babygemäß gebärden? Weil sich die Kinder verändern. Davon soll dieses Buch handeln.
Vor allem ist es vielleicht ein weiterer Schlag gegen den Perfektionszwang im Familienleben Während in den ersten Jahren der ganze Druck noch auf der Mutter lastet - sie muß eine moderne Madonna mit einem ganzen Arsenal an Fluoridtropfen und endlos selbstaufopfernder Geduld sein, verschiebt sich mit zunehmendem Alter des Kindes der Schwerpunkt. Plötzlich ist es das Kind, das sich als strahlend, ausgeglichen, artig, künstlerisch begabt, naturwissenschaftlich interessiert und körperlich fit erweisen soll. Statt der Mutter ihre eigene Unzulänglichkeit vorzuwerfen, schiebt man ihr indirekt oder direkt die Schwachstellen ihres Kindes in die Schuhe - daß es in der Schule versagt, das Cellospielen aufgegeben hat oder im Sport nicht mitkommt. Kämpfen Sie dagegen an. Es gibt ebenso wenig ein ideales Kind, wie es ideale Eltern gibt. Es ist übrigens völlig egal, ob es sich bei den Eltern um Mutter oder Vater oder um beide handelt. Mutterschaft ist meiner Meinung nach eher eine Arbeitsplatzbeschreibung denn eine Sache des Geschlechts. Wundern Sie sich nicht, wenn die Kapitel sehr unterschiedlich ausgefallen sind. Manche schweben in höheren, philosophischen Regionen, andere wiederum bestehen aus kurzen, praktischen Tips. Das liegt ganz einfach daran, daß Sie, wenn Sie Klein- und Schulkinder haben (so wie ich), sich in zwei verschiedenen Sphären bewegen.
Entweder wimmelt es in Ihrem Haus von Kindern - Ihren eigenen und fremden -, Möbel fallen um, schrilles, markerschütterndes Geschrei erfüllt die Räume, oder aber sie sind alle weg, das Haus ist unnatürlich still, und Sie wandern schwermütig umher, heben ein achtlos hingeworfenes Unterhemd auf, drücken es an Ihre Wange und grübeln mit versonnenem Blick über das Privileg der Elternschaft nach. Und ehe Sie sich's versehen, stürmen die lieben Kleinen wieder herein und streiten sich lauthals darüber, wer denn nun die kleine Plastikfigur aus dem Frühstücksflockenpaket bekommt. Ich hoffe, das Buch wird beiden Situationen gerecht, denn beide sind mitten aus dem Leben gegriffen.