Es bleibt noch zu erklären, warum die mythisch bedeutsamen Bäume, Quert, Apfelbaum und Straif, Schwarzdorn, aus O'Flahertys und O'Sullivans Beth-Luis-Nion ausgelassen wurden. Die Erklärung liegt offenbar darin, daß der Beth-Luis-Nion-Kalender, insofern er den Jahreslauf der Sonne darstellt, wohl ein Sonnenkalender ist, gleichwohl aber von der Weißen Mondgöttin regiert wird, deren heilige Zahl dreizehn ist, insofern die Mondumläufe mit dem Sonnenjahr übereinstimmen, andererseits aber fünfzehn, insofern der Vollmond auf den fünfzehnten Tag eines jeden Mondumlaufs fällt. Fünfzehn ist auch die Multiplikationszahl von drei und fünf: wobei drei die drei Phasen des Mondes und die drei Aspekte der Göttin als Jungfrau, Nymphe und alte Vettel, fünf dagegen die fünf Stationen ihres Jahres ausdrücken: Geburt, Initiation, Vollendung, Ruhe und Tod. Weil also fünfzehn Buchstaben benötigt werden, um die Göttin als Trias und als Pentade abzubilden, und um die Tage eines Monats bis zum Vollmond zu bezeichnen, und weil nur dreizehn Monate zu achtundzwanzig Tagen auf ein Jahr gehen, müssen zwei der Monate jeweils auf ein Baumpaar verteilt werden.
Nachdem nun Q von den irischen Ollaven manchmal als CC geschrieben wurde - wie z. B. in O'Flahertys Alphabet - können wir folgern, daß Z ähnlich als SS geschrieben wurde, wie im Lateinischen während des größten Teils der republikanischen Zeit. Dies aber besagt, daß Quert, der wilde Apfelbaum, sich einen Monat mit Coll, dem Haselstrauch, teilen mußte, weil Apfel- und Nußernte zusammenfallen, und daß Straif, der Schwarzdorn, sich einen Monat mit Saille, der Weide teilte, weil die Weiße Göttin im Frühling in Baumgestalt erschien - in Frankreich heißt der Schwarzdorn La Mére du Bois (»Mutter des Waldes«).
Der Schwarzdorn (lat. bellicum) ist ein unglückverheißender Baum; die Dorfbewohner von Galmpton und Dittisham, South Devon, fürchten noch heute die »schwarze Rute«, die den dortigen Hexen als Wanderstab diente und angeblich Fehlgeburten verursachte. Als Major Weir, der Covenanter (Anhänger des schott. National Covenant. D.) und selbst eingestandene Hexer, im April 1670 in Edinburgh verbrannt wurde, wurde mit ihm ein Schwarzdorn-Stecken als wichtigstes Werkzeug seiner Zauberei verbrannt.
Aus Schwarzdorn sind auch traditionell die Knüppel, mit denen streitlustige irische Kesselflicker sich auf Jahrmärkten prügelten (wiewohl der shillelagh, im Gegensatz zur volkstümlichen Annahme, eine Eichenkeule ist), und die Wörter strife (Streit) und strive (streben), nach dem alten, nordfranzösischen Wort estrif und estriver gebildet, gehen wahrscheinlich auf das gleiche, aus dem Bretonischen abgeleitete Wort Straif zurück; zumindest wurde bisher keine andere plausible Ableitung vorgeschlagen.
Gilbert White meint in seinem Buch Selborne: »Der Schwarzdorn blüht für gewöhnlich, wenn die kalten Nordostwinde wehen; daher nennen die Landleute das kühle, rauhe Wetter, das in dieser Jahreszeit vorherrscht, den >Schwarzdornwinter<.« Der Schwarzdorn wird auch - nach seiner Frucht - Schlehdorn genannt; und die Wörter sloe (Schlehe) und slay (erschlagen) stehen im Früh-Englischen in enger Verbindung. Nachdem der Karfreitag in diesen Monat fällt, wurde mitunter gesagt, daß die Dornenkrone aus Schwarzdorn geflochten war; und dies war auch die Erklärung, die die Mönche für die Unglücksbedeutung des Baumes wußten. Es heißt, daß der Weißdorn, der Baum der Keuschheit, jeden in der Nähe wachsenden Schwarzdorn vernichte.
Daß Coll und Quert sich einen Monat teilen, erscheint angemessen. Die Hasel ist der Baum des Dichters, und die Kraft des Apfels, den Dichtern das Heil zu bringen, wird in der walisischen Sage von jenem Sion Kent besungen (einen Vers daraus zitierte ich im neunten Kapitel), den der Fürst der Lüfte davonzutragen versuchte: Kent rang ihm die Erlaubnis ab, zuerst »einen Apfel zu schlürfen«, und konnte sich dann an den Apfelbaum klammern, ein Heiligtum, von dem er nicht entführt werden konnte. Da er nun »zu sündig für den Himmel, und doch vor der Hölle gefeit« ist, streift er wie ein Irrlicht über die Erde. Mit anderen Worten, er rettete seine dichterische Unsterblichkeit. Quert und Coll werden im Dinnschencas auch mit der Eiche, dem König der Bäume, in Verbindung gebracht: der Große Baum von Mugna vereinigte auf sich die Tugenden von Apfel, Hasel und Eiche, »er trug jedes Jahr eine Ernte köstlicher Äpfel, blutroter Nüsse und wulstiger Eicheln; sein Wipfel war breit wie die ganze Ebene, sein Umfang maß dreißig Ellen, seine Höhe dreihundert Ellen.« Er wurde gefällt, als das Christentum kam.
In Amergins Lied findet sich ein Hinweis auf die »Geheimnisse des unbehauenen Dolmen«. Wie wir sehen, gibt es an jeder Ecke des Dolmenbogens, den ich konstruiert habe, um diesen Hinweis aufzuklären, Raum für einen zusätzlichen Buchstaben: denn die Oghams wurden ja in die Kanten der Steine gehauen, nicht in ihre Oberfläche geritzt.
Beachten wir, daß die Buchstaben sieben bis elf dieses Alphabets, die die gleiche Reihenfolge wie im Boibel-Loth einhalten, die Buchstaben H-DT-C-Q sind. Diese Buchstaben bilden, wie John Rhys aufzeigte, die Anfangsbuchstaben der alt-gälischen Zahlen eins bis fünf - a hoina, a duou, a ttri, a ccetour, a qquenque, die recht genau den lateinischen Zahlen uno, duo, tres, quattuor, quinque entsprechen. Dies erklärt womöglich, warum die Schöpfer des Boibel-Loth die Buchstaben H-D-T-C-Q in die Mitte des Alphabets stellten und Z auf den Platz zwischen NG und R verschoben. Das Alter der alt-gälischen Zahlwörter weist aber darauf hin, daß im ursprünglichen Beth-Luis-Nion-Fingeralphabet die erste Konsonantenserie - die Frühlingsmonate - nur fünf, nicht sechs Buchstaben umfaßte, damit H-D-T-C-Q die zweite, oder Sommer-Serie bilden konnten, und daß Z mithin der letzten, der Winter-Serie - als dem an Unheil gemahnenden Schwarzdornwinter - zugerechnet wurde.
Also: jede Serie hat also ihre fünf Buchstaben, und die Gesamtzahl der Striche ist in jedem Fall fünfzehn.
Obwohl dies nun ein logisches Arrangement und zwangsläufig durch die Anfangsbuchstaben der ersten fünf Zahlwörter im Lateinischen und Alt-Gälischen bedingt ist, erfordert das mathematische Proportionsgefühl, daß an jeder Kante des Dolmen eine einzige Serie eingeschnitten sein sollte. Daraus folgt ein Platzwechsel zwischen Z und Q, damit Apfelbaum und Weide, Haselstrauch und Schwarzdorn sich jeweils einen Monat teilen können (wie oben gezeigt).
Dieses Arrangement erscheint im Hinblick auf die Jahreszeiten sinnvoll, denn der Wildapfel blüht während des Weiden-Monats, und die Schlehe reift im Hasel-Monat. Auch poetisch ergibt sich ein guter Sinn, denn die Weiße Göttin des Apfels verheißt als Auftakt des Sommers ein glücklicheres Omen als die Weiße Göttin des Schwarzdorns; und der feindselige Schwarzdorn mit seinen den Mund zusammenziehenden Schlehen entspricht im Nuß-Monat dem Apfelbaum - und repräsentiert den Dichter in seiner Eigenschaft als Satiriker. Ich glaube, daß diese beiden Anordnungen im Ogham-Alphabet verwendet wurden, wodurch die notwendige Zweideutigkeit der poetischen Bedeutung erhalten blieb; es ist ein Axiom, daß die Weiße Göttin lieblich und grausam, häßlich und milde zugleich ist. Wir bemerken aber, daß es noch zwei unbesetzte Eckplätze auf der Dolmenschwelle gibt, die den überzähligen Tag des Kalenders bezeichnen; und diese können wir den Buchstaben j und dem langen O zuweisen. Dem Y als Verdoppelung des Todesvokals ; dem langen 0 als Verdoppelung des Geburtsvokals A. Daß das Lateinische wie das Griechische nur einen Buchstaben für j und I hatten, ist bekannt; die enge Verbindung zwischen langem O (Omega) und A zeigt sich sowohl im lonischen Griechisch, wo oft Omega anstelle von Alpha - oristos für aristos (»der Beste«) geschrieben wurde; als auch im dorischen Griechisch, wo Alpha oft als Omega geschrieben wurde - etwa pratistos für Protistos (»der Erste«).
Omega (»Großes O«) bezeichnet offenbar das Welt-Ei der orphischen Mysterien, das vom Demiurgen aufgespalten wurde, als er das Universum schuf: denn das groß geschriebene Omega im Griechischen stellt das auf den Amboß gelegte Welt-Ei dar, während der klein geschriebene Buchstabe es bereits in zwei Hälften aufgespalten zeigt. Das groß geschriebene Omikron (»kleines 0«) und das klein geschriebene Omikron zeigen beide das Jahres-Ei, das darauf wartet, ausgebrütet zu werden. Das glain oder »rote Ei der Meeressschlange«, das in den druidischen Mysterien eine Rolle spielte, ist möglicherweise mit dem orphischen Welt-Ei gleichzusetzen: denn die Erschaffung der Welt resultierte, wie die Orphiker meinten, aus einer sexuellen Vereinigung zwischen der Großen Göttin und der Welt-Schlange Ophion. Die Große Göttin selbst nahm die Gestalt einer Schlange an und paarte sich mit Ophion; und die Paarung der Schlangen war folglich im archaischen Griechenland ein verbotener Anblick - der Mann, der sie beobachtete, wurde von der »Frauenkrankheit« befallen: er mußte sieben Jahre wie eine Frau leben, die gleiche Strafe, die immer wieder über die Skythen verhängt wurde, die den Tempel der Großen Göttin zu Askalon plünderten.
Der kadukeos des Hermes, sein Szepter, das er führte, wenn er die Seelen in die Hölle geleitete, war in Form von sich paarenden Schlangen dargestellt. Die Göttin legte sodann das Welt-Ei , das unendliche Möglichkeiten barg, an sich aber nichts vermochte, solange es nicht vom Demiurgen aufgespalten wurde. Der Demiurg war Helios, die Sonne, mit der die Orphiker ihren Gott Apollon gleichsetzten - was nur natürlich war, weil die Sonne ja die Schlangeneier ausbrütet; und das Ausbrüten der Welt wurde alljährlich beim Frühlingsfest der Sonne gefeiert, dem im Alphabet der Vokal Omikron zugewiesen ist. Nachdem nun der Hahn der orphische Vogel der Auferstehung und Apollons Sohn, dem Heiler Asklepios, geweiht war, traten in den späteren druidischen Mysterien Hühnereier an die Stelle der Schlangeneler und wurden zu Ehren der Sonne scharlachrot gefärbt; daraus wurden die Ostereier.
Das kleine O ist aber nicht das große O. Das große O, Omega, müssen wir als Verstärkung von Alpha und als Symbolisierung der Geburt der Geburten verstehen. Daher folgendes neue Dolmenschema.
Jetzt endlich können wir unseren Beth-Luis-Nion-Kalender vervollständigen und jedem Buchstaben den richtigen Baum zuweisen - denn das verdoppelte I oder J, der Buchstabenbaum, der Baum, der dem Tag der Erlösung zugehört und außerhalb der dreizehn Monate zu 364 Tagen steht, ist rasch gefunden. Wenn wir die drei gesuchten Eigenschaften des Baumes in ein bardisches Rätsel einsetzen, kann es nur eine Antwort geben:
Der Tag, der kein Tag ist, verlangt einen Baum,
Der kein Baum ist, und von niedrigem und doch hohem Wuchs.
Wenn die bleiche Herbstkönigin ihre Blätter abwirft,
Sprießen meine Blätter frisch an ihren Zweigen.
Wenn der Wildapfel seine köstlichen Früchte abschüttelt,
Reifen meine all-heilenden Früchte an seinen Zweigen.
Seht, die zwiefachen Tempelsäulen aus Grün und Gold,
Den schattenspendenden Fries aus weißem Stein.
Denn hier leuchte ich weiß und grün und golden -
Pfropfe mich auf den König, wenn seine Säfte steigen,
Daß ich erblühe mit ihm auf der Höhe des Jahres,
Daß ich ihn blende in seiner Stunde der Freude.
Denn die Mistel, deren Beeren einstmals als Allheilmittel und als Aphrodisiakum gepriesen wurden, ist eigentlich kein Baum, der in der Erde wächst; sie nährt sich von anderen Bäumen. Es gibt zwei Arten von Misteln: die eigentliche Mistel und den Loranthus. Die Griechen unterschieden sie als hypear bzw. ixias. Der Loranthus (Riemenblume) kommt im Osten, nicht aber im Westen Europas vor und gedeiht, anders als die echte Mistel, auf Eichen. Er gedeiht auch auf Tamerisken, und seine feuerroten Blätter waren möglicherweise der »brennende Busch«, in dem Jahwe dem Moses erschien. Ob der Loranthus einst in Westeuropa heimisch war oder ob die keltischen Druiden ihn aus dem Donauraum mitbrachten, wo ihre Religion einst entstanden war, oder ob sie die echten Misteln von Pappeln, Apfelbäumen und anderen Wirtsbäumen auf ihre Eichen verpflanzten, läßt sich nicht mehr feststellen. Es ist aber wahrscheinlich, daß sie verpfropften, nachdem im nordischen Mythos immer wieder von Eichen-Misteln die Rede ist.
Vergil bemerkt, die Mistel sei der einzige Baum, der bei winterlicher Witterung frische Blätter trage. Seine Blätter seien weiß, grün und golden gefärbt, wie die Säulen und der Fries, die Herodot im alten Herakles-Tempel zu Tyre gezeigt worden waren. Am Mittsommertag wurde im alten Europa das Auge des Jahres mit einem Mistelpfahl geblendet, nachdem alle anderen Bäume (einer norwegischen Sage zufolge) sich geweigert hatten, dies zu tun. Die Kirche erlaubt heute Steineiche und Efeu als reputierliche Kirchendekoration zur Weihnachtszeit, verbietet aber die Mistel als heidnisch. Dennoch läßt die Mistel sich nicht von ihrem beherrschenden Platz zur Mittwinterzeit vertreiben, und während es in allen anderen Jahreszeiten verboten ist, sich unter Mistelzweigen zu küssen, ist es in der Zeit, wenn sie Beeren tragen, ausdrücklich erlaubt. Die Chemiker versuchten herauszufinden, woher die Mistel ihren Ruf als »Allheilmittel« habe, und analysierten die in ihr enthaltenen Alkaloide. Sie fanden keines, das irgendwelche Heilkraft besäße, wenngleich dies kein endgültiger Beweis für die medizinische Wirkungslosigkeit der Mistel sein kann. Auch Kamille z. B. hat Heilkraft, wenngleich keine destillierbaren Alkaloide. Und selten wurde eine Pflanze mit mystischen Kräften ausgestattet, wenn sie keine irgendwie wohltuende Wirkung auf den Menschen hatte. Vielleicht aber genügte schon der Anblick grüner Blätter und weißer Beeren auf einem sonst nackten Baum, um diesem übernatürliche Kräfte zuzuschreiben. Das Holz der Mistel ist übrigens sehr hart und zäh, denn die Mistel wächst langsam. Haedurs Mistelpfeil, der in der Sage Baldurs zarte Brust durchbohrte, war keine dichterische Phantasie - ich habe mir einmal in der Bretagne selbst einen geschnitzt.
Dieser Kalender erklärt den in Gwions Preddeu Annwm enthaltenen Hinweis auf den »Ochsen mit siebenmal zwanzig Höckern an seinem Halsband«: der Ochse steht für die ersten fünf Monate, bestehend aus 140 Tagen. Auf diese folgen vermutlich ein Löwe (120 Tage) und eine Schlange (ebenfalls 120 Tage), was die beiden (im achten Kapitel zitierten) Texte von Euripides und von dem walisischen Dichter Cynddelw rechfertigen würde - die beide den Gott des Jahres anrufen, er möge sich in Gestalt eines wilden Stieres, eines feuerspeienden Löwen und einer vielköpfigen Schlange zeigen.
Der Greifadler ist wahrscheinlich das Tier eines zusätzlichen Tages, denn in dieser Gestalt erlangt der Gott Unsterblichkeit. Das aus Stier, Löwe, Schlange und Adler gebildete Jahr ist babylonischen Ursprungs: denn ein Kalendertier, Sir-rush genannt, auf dem Drachentor von Babylon, hat den Rumpf und die Hörner eines Stiers, die Vorderbeine und die Mähne eines Löwen, den Kopf, die Schuppen und den Schwanz einer Schlange und die Hinterbeine und Klauen eines Adlers. Der Kalender zeichnet sich durch mehrere geheime Eigenschaften aus. Eine davon ist, daß die Zahl der Vokale auf sieben, die Zahl des Rehbocks, erhöht ist. Eine andere ist, daß II im Ogham einen Buchstaben aus zehn Kerben, und AA einen Buchstaben aus zwei Kerben ergibt: folglich ist die Gesamtzahl der Buchstabenkerben für ein vollständiges Alphabet von zweihundertzwanzig Buchstaben 72, eine Zahl, die in den frühen Mythen und Riten immer wiederkehrt; denn 72 ist die Multiplikationszahl von neun, der Weisheitszahl des Mondes, und von acht, der Zahl der aufgehenden Sonne.[1] Die Zahl 72 hängt, wie Clyde Starkey meint, astronomisch auch mit der Göttin zusammen, und zwar durch die zweiundsiebzig Tage währende Jahreszeit, in der ihr Planet Venus nacheinander von maximaler östlicher Länge zur Kleinen Konjunktion (der nächsten Annäherung an die Erde) und danach zur maximalen westlichen Länge wandert. Eine dritte Eigenschaft ist, daß das Verhältnis aller im Alphabet enthaltenen Buchstaben zu den Vokalen wie 22:7 ist - was, wie bereits erwähnt, die einstmals geheime mathematische Formel für das Verhältnis zwischen Umfang und Durchmesser des Kreises ist.
Bevor wir die vierte und für unseren Zweck wichtigste Eigenschaft des Kalenders untersuchen, müssen wir noch auf das Verhältnis zwischen Haselstrauch und Apfelbaum eingehen. Wir wissen inzwischen, daß der Rehbock, ursprünglich eine Weiße Hindin, sich im Dickicht verbirgt, und daß das Dickicht aus zweiundzwanzig heiligen Bäumen besteht. Der Dichter stellt natürlich noch eine weitere Frage: »Wo aber genau verbirgt sich das Tier in dem Hain?«
»Wo?« Diese Frage sollte den Dichtern die wichtigste sein, die doch stets das eine poetische Thema von Leben und Tod zu gestalten haben. Wie Ifor Williams erklärt, wird der Kuckuck in der früh-walisischen Dichtung als »Freudentöter« bezeichnet, weil er so beharrlich sein »Wo-Wo?« ruft: denn »cw-cw«, ausgesprochen wie »ku-ku«, heißt »wo? wo?«. Er ruft. »Wo ging meine Liebe hin? Wo sind meine verlorenen Gefährten?« Seltsamerweise findet das gleiche Gefühl sich in Omar Khayyams Elegie, wo die »einsame Ringeltaube« in den Ruinen des Palasts brütet und ruft: »Ku? Ku? Ku? Ku? « - das iranische Wort für »wo« ist das gleiche wie im Walisischen; und in der griechischen Sage ruft Tereus, der Wiedehopf, seinen verlorenen Bräuten nach: »Pou? Pou?«. Das englische Wort »where« ist laut dem Oxford English Dictionary »aus dem Fragewort-Stamm qua abgeleitet«. Fast alle Fragewörter der indo-europäischen Sprache beginnen mit q (außer wenn das q sich, wie im Griechischen, in ein p - oder, wie im Deutschen, in ein w verwandelt hat), und im Alt-Schottischen wird »where« als »Quahir« geschrieben. Q ist tatsächlich der Buchstabe des ewigen Fragens. Das Lateinische hat eine lange Reihe von Qs:
- Quare? Quis? Qua? Quid? Qualls? Qui? Quo? Quomodo?
Quando? Quorsum? Quotzes? Quantum? Quot?
Doch die Verheißung der Muse an den Dichter lautet: »Suche geduldig, und du wirst finden.« Wo also wird die weiße Hindin sich verbergen, wenn unter dem Baum Q, dem wilden Apfelbaum? Der Dichter Valentin Iremonger hat mir dies für The Hearings of the Scholars bestätigt: Queirt dano is o chrand rgainmnighead .i. abull ut dicitur clithar boaiscille .i. elit gelt quert .i. aball.
»Der Buchstabe Q stammt von einem Baum namens Quert her, was soviel heißt wie Apfelbaum. Und das Sprichwort sagt: »Quert ist der Unterstand der wilden Hindin« - was besagt, daß es der Apfelbaum ist.« Im gleichen Buch findet sich ein interessanter poetischer Kommentar zu »Unterstand der wilden Hindin«:
.i. boscell .i. gelt . basceall .i. is and tic a ciall do in tan degas a bas.
»Das soll heißen, vom boscell, dem Wahnsinnigen, ein Wort, das von >Todes-Sinn< abgeleitet ist, denn ein Wahnsinniger kommt zu Verstand, wenn er in seinen Tod geht.« Dieser Kommentar besagt, daß die Liebe zur Göttin den Dichter wahnsinnig macht: er geht in seinen Tod, und im Tode erfährt er Weisheit.
Quert ist nicht nur einer der »sieben edlen heiligen Bäume des Hains«, sondern er wird auch in den Triads of Ireland neben Coll, dem Haselstrauch, als einer der zwei heiligen Bäume erwähnt, die zu fällen bei Todesstrafe verboten ist. Der Apfel ist in der europäischen Literatur und Folklore das Symbol der Vollendung, wie das Ei das Symbol der Initiation ist. Die 112 Tage der Monats-Sequenz des Löwen erstrecken sich ab ovo usque ad malum, vom Ei bis zum Apfel, vom Ende des Saille, des Nistbau-Monats, bis zum Ende des Quert, des Apfelmonats. Als nun die biblische Geschichte von Adam und Eva nach Westeuropa gelangte, wurde die Frucht vom Baum der Erkenntnis von Gut und Böse als Apfel aufgefaßt - nicht als Feige, trotz des im gleichen Kontext vorkommenden Feigenblatts. Adam hatte die Frucht vom verbotenen Baum der Weisheit gegessen, die Eva, die Mutter aller Lebenden, ihm reichte; und die Barden übersetzten daher »Frucht« als »Apfel«.
Die sieben edlen heiligen Bäume des Hains, die in einem, dem irischen Gesetzbuch Crith Gablach beigefügten Gedicht aus dem siebenten Jahrhundert einzeln aufgeführt sind, waren: Birke, Erle, Weide, Eiche, Steinelche, Haselstrauch, Apfelbaum. Abgesehen davon, daß Beth, die Birke, der glückbringende Baum des Geburts-Monats, den Platz Huaths, des unglückbringenden Weißdorn einnimmt, stehen die Bäume in eindeutiger Reihenfolge, von der Frühlings-Tag-und-Nachtgleiche bis zur Apfelernte. Die Birke wird in Gwions Cad Goddeu als »sehr edel« bezeichnet, doch der Apfelbaum war der edelste Baum von allen, denn er war der Baum der Unsterblichkeit. Die Dichter von Wales haben immer um seine spirituelle Vorrangstellung gewußt, und das zarte mittelalterliche Afallenau:
Süßer Apfelbaum, von karmesinroter Farbe,
Der verborgen im Walde Celyddon steht.
ist nicht ein Gedicht über den Apfelbaum des Obstgartens, sondern über den Apfelbaum des heiligen Dickichts, den Baum, der der Hindin Obdach bietet. Wie Gwion schreibt: »Ich floh als Reh in das wirre Dickicht.«
Wohin aber fuhr König Arthur, um Heilung von seinen schweren Wunden zu finden? Zur Insel Avalon, der geheimen »Insel der Apfelbäume«. Mit welchem Talisman wurde Bran von der Weißen Göttin gerufen, in das Land der Jugend einzutreten? Mit einem »silberweiß blühenden Apfelzweig aus Emain, an dem Blüte und Zweig eins waren«. Die Insel Emain, das gälische Elysium, wird in einem Gedicht von Ragnall, dem Sohne Godfreys, des Königs der Inseln, wie folgt geschildert:
Ein immerjunger Ort ist das fruchtbare Emain;
Schön ist das Land, wo es zu finden,
Liebling ist das Schloß vor allen anderen Schlössern.
Üppige Apfelbäume wachsen auf diesem Boden.
Als Oisin von Niamh Goldenhaar in eben dieses Land der Jugend geführt wird, erblickt er sein Schicksal zuerst als hornloses Rehkitz, das von einem rotohrigen weißen Jagdhund verfolgt wird, dann aber in seiner eigenen Gestalt, königlich gekleidet und auf einem weißen Pferd reitend und ein schönes Mädchen auf einem dunklen Pferd verfolgend; in ihrer Hand hält sie einen goldenen Apfel. Beide Erscheinungen gleiten über das ruhige Meer; er erkennt ihre Bedeutung nicht, und Niamh weicht seinem Fragen danach sanft aus. In einer Fußnote zum zwölften Kapitel habe ich schon angedeutet, daß die Göttin der Begräbnisinsel Alyscamps, an der Rhäne, Alys hieß und daß die Erle, im Spanischen aliso, nach ihr benannt war. Dauzat bringt in seinem Dictionnaire Etymologique das Wort alisier, Elsbeerbaum, mit aliso, der Erle in Verbindung, die solche Begräbnisinseln vor den Blicken Fremder abschirmte. Die gleiche Verwandtschaft besteht im Skandinavischen und Norddeutschen zwischen els und elze (Elsbeerbaum) und Else (Erle); und der Name Alys scheint auch in Ilse enthalten, jenem Bach, der vom Brocken herab in die Oker fließt, wo einst eine Prinzessin Ilse ertrunken sein soll.
Nachdem nun die Frucht des Elsbeerbaumes (in seinen mediterranen und nordeuropäischen Spielarten) eine Art Speierling ist, dürfte es sich wahrscheinlich um den Apfel der Unsterblichkeit aus dem vorchristlichen Frankreich, Spanien und Skandinavien handeln. Falls es sich so verhält, hätten die Elysischen Felder, oder Alyscamps, die gleiche Bedeutung wie Avalon: Apfel-Haine. Der Speierling symbolisiert »Süße aus Fäulnis«. Er ist erst genießbar, nachdem er zu einem leichenhaften Purpurrot verfault ist. Vielleicht ist dies der Grund, warum der Baum in den Hearings of the Scholars als Euphemismus für die Eibe, den Todesbaum, genannt wird; obgleich die dort angeführte Erklärung besagt, daß beide den Namen »Ältester der Bäume« trugen, kann »Ältester«, wenn damit der Elsbeerbaum gemeint ist, nur bedeuten: »von ältestem Ruhm«, denn er ist nicht besonders langlebig.
Kenneth Dutfield spricht in einem unlängst geschriebenen Brief an die Times Literary Supplement die plausible Vermutung aus, daß Avernus, der Wohnsitz der Toten, was die Lateiner fälschlich vom Griechischen a-ornis, »Ohne Vögel«, ableiteten, dasselbe Wort sein könnte wie Avalon; damit wären die Elysischen Felder als Avernus identifiziert. Der See Avernus bei Cumae erlangte seinen Beinamen als Ort der Toten anscheinend aufgrund der ungesunden Dämpfe, die aus den umliegenden, Sümpfen aufsteigen, und aufgrund des nahegelegenen Tempels der kumäischen Sibylle, die die Geister der Toten beschwor.
Am 13. August wurde einst das vor-christliche Fest der Muttergöttin Diana, oder Vesta, mit Apfelmost, einem auf Haselruten gespießten und gebratenen Kitz und mit Äpfeln gefeiert, die in Büscheln an einem Zweig hingen. Ein anderer Name der Göttin war Nemesis (vom Griechischen nemos, »Hain«, abgeleitet), was im Altgriechischen die Rache der Götter für die Übertretung eines Tabus bezeichnete.
Ihre Statuen zeigen sie mit einem Apfelzweig in der Hand, und der im fünften Jahrhundert lebende christliche Dichter Commodianus setzt sie mit der Diana Menorensis (»vom Haine«) gleich, deren Anhänger »einen abgeschnittenen Zweig verehren und einen Baumstamm Diana nennen«. Aber Nemesis wie Diana Nemorensis hängen beide mit dem Hirsch-, nicht mit dem Ziegenkult zusammen. Nemesis trägt in der anderen Hand ein Rad, das anzeigt, daß sie, wie die ägyptische Isis und die lateinische Fortuna, die Göttin der Jahreswende ist, doch dies wurde gemeinhin so verstanden, als bedeute es, daß das Rad des Schicksals eines Tages seinen Kreislauf vollenden und die Rache den Sünder ereilen werde. [2] In Gallien war sie die Diana Nemetona, wobei nemeton ein heiliger Hain ist. Und sie wurde mit einem Apfelzweig, einem mit Äthiopern ausgeschmückten Mostkrug und einem Löwen-Adler-Greif abgebildet, um die Jahreszeit ihres Festtages zu bezeichnen. Dieses Fest wurde im Mittelalter zu Mariä Himmelfahrt umgedeutet (am 15. August), was aber aufgrund der im siebzehnten Jahrhundert eingeführten Kalenderreformen (wie im Kontext des Weißdorn erwähnt) eigentlich den 6. August, den Anfang des Monats Quert bedeutet. Die Jungfrau starb angeblich am 13. August, wurde auf erweckt und fuhr am dritten Tag in den Himmel auf. Nachdem aber die Jungfrau in der Frühkirche in enger Verbindung mit der Weisheit stand - mit der »Sankta Sophia«, oder Heiligen Weisheit, aus der Kathedrale von Konstantinopel - war dieser Festtag für den Übergang von Weisheit zu Unsterblichkeit glücklich gewählt.
Die Litanei der Heiligen Jungfrau enthält das Gebet sedes sapientiae, ora pro nobis, »Sitz der Weisheit, bete für uns!« Denn St. Petrus Chrysologos hatte in seiner Predigt über die Himmelfahrt die Jungfrau als den siebensäuligen Tempel bezeichnet, den die Weisheit (laut Sprüche, 9, 10) sich selbst errichtet hatte. Die Bedeutung der mittelalterlichen Allegorie von dem milchweißen Einhorn, das nur mit Hilfe einer reinen Jungfrau gefangen werden konnte, ist nun leicht zu enträtseln.
Das Einhorn ist der Rehbock im Dickicht. Er findet Schutz unter einem Apfelbaum, dem Baum der Unsterblichkeit-durch-Weisheit. Er kann nur von einer reinen Jungfrau gefangen werden - von der Weisheit selbst. Die Reinheit der Jungfrau steht für spirituelle Integrität. Das Einhorn legt seinen Kopf in ihren Schoß und weint vor Freude. Doch in der provencalischen Version der Geschichte berührt das Tier mit der Schnauze ihre Brüste und nimmt sich noch andere Vertraulichkeiten heraus, woraufhin die Jungfrau es sanft an seinem Horn packt und es den Jägern zuführt: Dies ist tatsächlich eine Allegorie der von der spirituellen Liebe abgewiesenen profanen Liebe.
Die Wildheit und Unbezähmbarkeit des Einhorns war in frühchristlicher Zeit aufgrund einer Textstelle in Hiob 39,9, sprichwörtlich:
»Meinst du, das Einhorn werde dir dienen und
werde bleiben an deiner Krippe?«
Und dieses biblische Einhorn (eine falsche Übersetzung der Septuaginta [3] für rem, den judäischen Auerochsen oder Wildochsen), wurde mit Ziegen-Hirsch, dem hirco-cervus der dionysischen Mysterien gleichgesetzt, der wiederum ein unzähmbares wildes Tier war. Charles Doughty vermutet in seinem Buch Arabia Deserta, daß der rem nicht ein Auerochs, sondern eine große, sehr gefährliche Antilope war, die bei den Arabern wothyli oder »Wildochse« hieß. Er hat vermutlich recht; und ich glaube, daß der wothyli auch der boubalis oder boibalis, »ein Spießbock von der Größe eines Ochsen« war, den Herodot (Melpomene, 192) und auch Martial als ein wildes Tier erwähnen, das zu Auftritten im römischen Amphitheater benutzt wurde. Doughty schreibt: »Seine Hörner sind schlanke Gerten, wie wir sie seit Kindertagen als >die Hörner des Einhorns< abgebildet sahen. Wir lesen in Bileams Gleichnis: >EI brachte ihn aus Ägypten; er hat gleichsam die Kraft des rem<; und bei Moses' Segnung der Stämme sind Josephs Hörner die beiden Hörner des rem.< Doughty veranschaulicht seine Ausführungen mit der Skizze eines wothyli-Horns, beinah zwei Fuß lang und leicht geschwungen, mit vorspringenden Ringwülsten an der Basis.
Er fährt fort: »Es war eine mönchische Blindstelle in der Naturerkenntnis, wenn einer doppelten Stirn ein einziges Horn zugeordnet wurde.« Dies ist ungerecht gegenüber den Mönchen; denn es war die vorchristliche Septuaginta, die erstmals dem rem ein einzelnes Horn verlieh. Und es ist möglich, daß die falsche Übersetzung von rem als »Einhorn« auf das Mißverständnis einer lkone am Rande eines illustrierten hebräischen Pentateuch zurückgeht. Im Kontext des mosaischen Segens wurde Joseph »mit den Hörnern eines rem« natürlich in den Gestalten seiner beiden Söhne Ephraim und Manasse dargestellt, die zusammen, als Zwillings- rems mit nur je einem Horn, »Joseph« genannt wurden. Das einzelne Horn, durch seine zweimalige Abbildung noch hervorgehoben, schien den Übersetzern auf das Tier hinzudeuten, das Cteslas in seinem Werk Indica schildert. Dieses Horn war ein Allheilmittel und besonders wirksam gegen Vergiftungen.
Die Verbindung des Apfelbaums mit der Unsterblichkeit ist althergebracht und in Europa weit verbreitet. Was aber bedeutet »Apfel«? Das Oxford English Dictionary bezeichnet die Etymologie des Wortes als unbekannt, aber es ist in nordwestlicher Linie in ganz Europa, vom Balkan bis nach Irland, in einer Form verbreitet, die in den meisten Sprachen wie Apol klingt.
Es ist nun klar, daß die alte lkone von der Dreifältigen Göttin, dem Apfel und dem jungen Hirten von Kida, die von irgendwelchen frühen Frauenfeinden lkonotropisch zur Geschichte vom »Zankapfel« umgedeutet wurde (wonach Paris der Liebesgöttin den Apfel zuerkannte), eine völlig andere Bedeutung hat. Der Liebesgöttin einen Apfel zu überreichen, das wäre eine Frechheit von seiten des Schafhirten gewesen. Denn ihr gehörten ohnehin alle Äpfel. Schenkte etwa Merddin Olwen den Apfelhain? Gab Adam der Mutter aller Lebenden einen Apfel? [4]
Offenbar sind die drei Göttinnen, wie stets, die drei Personifikationen der Dreifältigen Göttin, nicht aber eifersüchtige Rivalinnen; und ebenso offensichtlich reicht die Liebesgöttin dem Schaf - (oder Ziegen)Hirten den Apfel - und empfängt ihn nicht von ihm. Es ist der Apfel der Unsterblichkeit, und er ist der junge Dionysos - der Gott, dessen bei dem mit Äpfeln gefüllten Kitzbraten gedacht wird; denn laut Hesychlus und Stephanus von Byzanz hieß Dionysos mit einem seiner Titel Eriphos, »das Kitz«. Vergil hat diese falsche Vorstellung in seinen Georgica übernommen: er sagt, das auf Haselruten gespießte Kitz werde dem Dionysos geopfert, weil Ziege wie Hasel beide dem Wein feindlich seien. Ob das Wort Apol nur zufällig einen Anklang an den Namen Apollons, den unsterblichen Dionysos , enthält, oder ob der Apfel gar nach ihm benannt wurde, ist zweifelhaft. Doch es ist bemerkenswert, daß im Griechischen die Wörter für »Ziege« oder »Schaf« und »Apfel« identisch sind: melon - im Lateinischen malum. Herakles, der Dionysos und ApolIon in einer Person vereinigt, hieß auch Melon, weil seine Anhänger ihm Äpfel opferten; und weil er von den Drei Töchtern des Westens - wiederum die Dreifältige Göttin - den Zweig mit den goldenen Äpfeln erhielt; und diese Äpfel waren es, die ihn unsterblich machten.
Der Schluß der Geschichte vom »Zankapfel«, nämlich daß der Hirte als Belohnung für sein Urteil den Beistand Helenas gewann, geht anscheinend auf eine verwandte lkone über »das Urteil« zurück, die einen jungen Hirten Hand in Hand mit Helena zeigt. Aber Helena war keine Sterbliche; sie war Helle oder Persephone, eine Göttin des Todes und der Auferstehung. Herakles, Theseus, Kastor und Pollux wurden in archaischen Kunstwerken mit ihr zusammen abgebildet.
Wenngleich der Apfel auch der schmackhafteste aller auf Bäumen wachsenden wilden Früchte war, wieso gewann er dann so ungeheure mythische Bedeutung? Die Antwort findet sich in der Sage von Kurois Seele, die in einem Apfel eingeschlossen war; als der Apfel von Cuchulains Schwert entzwei geschnitten wurde, »fiel Nacht über Kuroi«. Denn wenn ein Apfel kreuzweise oder mittendurch halbiert wird, zeigt jede Hälfte in der Mitte einen fünf strahligen Stern, das Symbol der Unsterblichkeit, das die Göttin in ihren fünf Stationen, von der Geburt bis zum Tode und wieder zurück zur Geburt, repräsentiert. Er repräsentiert auch den Planeten Venus - Venus, der der Apfel heilig war - der als Abendstern Hesper auf der einen Hälfte des Apfels, und als Luzifer, dem Sohn des Morgens, auf der anderen Hälfte verehrt wurde.
Der Apfel des thrakischen Orpheus- Kults war vermutlich der Speierling, und nicht die Quitte, der Holzapfel oder der echte Eßapfel, denn Orpheus, dessen Name und singendes Haupt ihn als identisch mit dem Erlengott Bran ausweisen, heißt auch der Sohn des Oeagrius; Oea Agria bedeutet aber »der wilde Elsbeerenbaum«.